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Kapitel 2

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Nachdem sie aus dem Zug gestiegen war, ließ sie die Landschaft auf sich wirken. Die Gegend war eine ländliche Schönheit. Die lange Reise und die schwierige Aufgabe, die sie am Ziel erwartete, hatten Sandy in einen etwas überreizten Zustand versetzt.

Würde sie ihrer Aufgabe gewachsen sein? Sie, die von Krankenpflege nichts verstand? War sie in der Lage, ihrer Großmutter in dieser hilflosen Situation beizustehen?

Die Fahrt hatte sie hungrig gemacht, sie suchte einen Imbiss, an dem sie schnell eine Kleinigkeit verzehren konnte.

Das Essen war gut und Sandy aß mit Appetit. Sie bezahlte die Rechnung und begab sich wieder auf die Straße. Gerade wollte sie über den Zebrastreifen gehen, als sich eine schwere Hand auf ihre Schulter legte.

Erschrocken drehte sie sich um und sah das strenge Gesicht ihres Vaters. Wäre ein Blitz neben ihr eingeschlagen, Sandy hätte nicht verstörter sein können.

„Vater … du hier?“, stotterte sie.

„Was machst du hier, Sandy?“, hörte sie die tiefe Bassstimme ihres Vaters fragen.

Um ein krampfhaftes Lächeln bemüht, stammelte sie: „Ich … ich habe einen Brief von Tante Susanne bekommen. Ich soll auf dem schnellsten Weg hierher kommen. Großmutter ist gestürzt und liegt im Bett, weil sie nicht mehr laufen kann. Sie braucht dringend Pflege. Außerdem ist der Grundstücksverwalter gestorben und seine Frau hat ihre Arbeitsstelle gekündigt. Tante Susanne musste für Großmutter zwei neue Personen einstellen, weil das restliche Personal auch gekündigt hat.“ Weiter kam sie nicht.

Ihr Vater hatte die Hand erhoben, um ihre Rede zu beenden. „Du brauchst mir nicht zu sagen, was auf dem Anwesen vorgefallen ist. Ich weiß Bescheid. Deine Tante hat mich ausreichend verständigt, ich werde ein ernstes Wort mit ihr reden müssen. Wie kann sie dir nur gestatten alleine zu reisen, man kann sich heutzutage auf keinen mehr verlassen.“

„Nicht böse sein, Papa“, stotterte Sandy mit hochrotem Kopf. „Im Mädchenheim trifft niemand die Schuld, ich habe es heimlich verlassen.“

„Du hast was … getan? Also mein liebes Kind das ist die Höhe! Weißt du nicht, welche Gefahren auf allein reisende Mädchen lauern? Im Übrigen war dein unüberlegtes Handeln überflüssig. Auf den Brief deiner Tante hin habe ich alles Notwendige veranlasst. Ich habe eine Pflegerin für deine Großmutter engagiert. Außerdem bringe ich einen neuen Verwalter mit und dann ist da noch jemand, der im Notfall zur Verfügung steht.“ Er drehte sich um.

Sandy´s Blick folgte ihm, sie bemerkte die drei Personen, die beladen mit Gepäck auf sie zu liefen.

„Das ist Schwester Sofie Kramer“, machte ihr Vater sie mit einer Frau unbestimmten Alters bekannt.

Der neue Verwalter war ein gewisser Herbert Golinski, ein plumper kleiner Bursche, der eher wie ein Stallknecht aussah.

Der dritte Unbekannte hieß Claus und war trotz seinem jugendlichen Alters Doktor der Physik.

Er sah aus, wie sich alle jungen Mädchen den Mann ihrer Träume vorstellten: Groß, dunkles Haar, breitschultrig, ein Prinz wie aus dem Märchen. Er besaß ein schmales, fein geschnittenes Gesicht und ein unwiderstehliches Lächeln. Seine Stimme klang verführerisch weich und er hatte eine Art sein Gegenüber beim Sprechen anzuschauen, das man als Frau schon kalt wie Stein sein musste, um unter diesen Blick nicht dahin zu schmelzen.

„Es freut mich sehr Ihre Bekanntschaft zu machen, Ihr Vater hat schon viel von Ihnen erzählt. Doch ich muss sagen, die Wirklichkeit übertrifft meine kühnsten Erwartungen.“

Sandy spürte, wie ihr das Blut in den Wangen schoss.

„Wollen Sie hier bleiben? Oder wo ist das Ziel Ihrer Reise?“, fragte Sandy mit einer leichten Röte im Gesicht.

Claus erwiderte lächelnd, wobei er zwei Reihen perlweißer Zähne zeigte. „Ich werde in der Stadt erwartet, in der meine Eltern am Stadtrand ein kleines Sommerhaus haben. Sicher freuen sich meine Eltern schon sehr, mich wiederzusehen. Aber dort wartet auch noch eine junge Dame auf mich. Wir sind so gut wie verlobt.“

Sandy spürte einen heftigen Stich in der Herzgegend und wurde verlegen. Er war also vergeben, dieser Traummann. „Das freut mich für Sie.“

„Ich hoffe, du wirst uns mit deiner Verlobten in den nächsten Tagen besuchen?“, fragte Sandys Vater. „Und du, mein liebes Fräulein, fährst auf den schnellsten Weg zu deiner Großmutter.“

Warum behandelt er mich immer noch wie ein kleines Kind? Immerhin bin ich schon 18 und mache demnächst mein Abitur.

„Ich bin nicht so vertrauensselig, wie du meinst, alter Mann“, konterte Sandy mit einer Mischung aus Trotz und Wut.

„Du bist noch zu jung, um die Gefahren zu erkennen“, erwiderte ihr Vater. „Du bist meine einzige Tochter und ich habe Angst, dich zu verlieren. Du und dein Cousin Jens, ihr seid meine einzigen Erben.“

„Andere Mädchen in meinem Alter sind bereits verheiratet“, platzte Sandy heraus.

„Schon gut.“ Ihr Vater streichelte ihre Hand. „Ich weiß, du hast es nicht gern, wenn ich dich wie ein kleines Kind behandele, aber das ist wohl die Schwäche aller liebenden Väter. Vielleicht bin ich nur zu besorgt um dich, weil ich über den Verlust deiner Mutter nicht hinweg gekommen bin.“

Sandy schwieg betroffen und wich dem schmerzerfüllten Blick ihres Vaters aus. „Ich bin so besorgt, dass ich mir manchmal wünsche, du würdest niemals heiraten, Sandy. Manchmal ist es besser, nie das wahre Glück kennen gelernt zu haben, wenn es einem eines Tages doch wieder entrissen wird.“

Dieser letzte Satz beunruhigte Sandy stark. Verstohlen schaute sie sich nach Claus um, der in seinem grünen Notizbuch blätterte. Sandy ertappte sich bei dem Gedanken, ob der gut aussehende Mann sich in sie verlieben könnte.

Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück, um sich ihren heimlichen Träumen hinzugeben.

Ihr Vater riss sie jedoch aus ihren Träumen. Er hatte ein Taxi bestellt, das ihn und Sandy zu ihrer Großmutter bringen sollte.

In diesem Augenblick beschlich sie eine seltsame Anspannung.

Spuk im Gutshof

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