Читать книгу Der letzte Monarch - Simone Lilly - Страница 4

Оглавление

 

Grillen zirpten leise, von außerhalb des Schlosses, vom Schlossgarten her, war es deutlich zu hören. Eulen schrien, flogen laut an ihrem Fenster vorüber. Es war eine warme Nacht. Noch mehr, da Louis sich eng und innig an Marléne gekuschelt hatte, ihr war kalt geworden, sie lagen unter der Decke. An seinem Rücken klebte das dicke Bettlaken, an seinem Bauch, seiner Brust die Decke. Seine Haare waren feucht, ihm war so warm, dass es ihm sogleich fröstelte. Bei jeder Bewegung, in der er seinen Körper von der klebrigen Unterlage lösen wollte und warme Luft seine schweißnasse Haut berührte, schlich ihm eine eisige Gänsehaut den Rücken hinauf. Marléne hatte sich dicht an ihn gelehnt, sie beide saßen etwas aufrecht an den Kopf des Bettes gelehnt. Er hatte eine Kerze angezündet. Das Licht war nicht gerade stark, doch es erleuchtete ihrer beiden Gesichter. Sorgsam glitten seine Finger über ihre verklebten Haare, damit hoffte er sie beruhigen zu können. „Geht es wieder?“

Mit zusammengebissenen Zähnen schüttelte sie den Kopf. „Nein.“, sie hatte ihre Hände um ihren Bauch gelegt, sie konnte nur schwer atmen. Louis fürchtete sogar, sie würde ersticken.

Fürsorglich drückte er ihr einen kurzen Kuss auf die Wange, doch es interessierte seine Frau nicht im Geringsten. Sie wollte ihre Ruhe, wollte dass die Schmerzen aufhörten. Wenn er doch nur wüsste, wie er ihr helfen konnte. „Das Kind ist doch jetzt geboren? Was fehlt dir?“

Wieder schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß es … nicht.“

„Tut es sehr weh?“

Sie nickte, wobei ihre Lippen sich gefährlich kräuselten.

„Ist dir übel?“

„Ja.“

Schnaubend stand er auf, schlotterte mit den Knien, da ihm augenblicklich eisigkalt wurde, warf sich seine Kleidung über – sofort begann sie ebenfalls an ihm, als wäre sie eine zweite Haut, zu kleben. Rasch ging er ins Badezimmer, kramte einen Lappen hervor und tunkte ihn in eine Schale kaltem Wassers. Bestimmt würde es ihr helfen. Sie hatte Fieber, sie war heißer als sonst, heißer als er, wenn er schwitzte. Doch wovon? Das Kind war auf der Welt, die Gefahr vorbei. „Hier bitte.“

Wortlos ließ sie sich das nasse Tuch auf die Stirn legen. Mehr sagte sie nicht.

Die Nacht hatte so wundervoll begonnen. Louis war Vater. Zusammen mit Marléne hatte er sich seine Tochter mehrmals angesehen, konnte sein Glück kaum fassen, war sich sicher, ein solches Glück gar nicht verdient zu haben. Die Gäste und die Krönungsfeier waren vergessen. Es zählten nur Marléne und sein Kind. Ophélia war bald eingeschlafen, Marléne ebenfalls, nachdem sie noch einmal über Schmerzen geklagt hatte. Er seufzte, drehte das Tuch, sodass die kältere Seite nun auf Marlénes Stirn lag. Anfangs dachten sie es wäre noch eine Folge der anstrengenden Geburt, ihr Körper musste sich erholen. Doch ihm wurde anders. Ihr Verhalten war es. Es waren mehr Schmerzen, schlimmerer Natur. Das konnte er fühlen.

„Mon Cheri, mir geht es nicht gut, bist du wach?“, so hatte sie ihn geweckt, hatte ihm leicht in die Seite getreten in der Hoffnung ihn somit zu wecken.

Geschlafen hatte er nicht gut, er war viel zu aufgewühlt, musste viel zu sehr an seine neue Rolle als Vater denken, an seinen Vorsatz, alles richtig zu machen, nicht so wie der alte König. Ihre Worte hatte ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen. Verschreckt war er kerzengerade nach oben geschossen. Was bedeutete: „Nicht gut“? Bedeutete es baldige Heilung oder eine schwere Krankheit, Leid und Tod?

„Geht es wieder?“

„Nein“, stöhnend ergriff sie seine Hand, drückte sie so feste, als würde sie jeder Zeit verenden. „… es ist schlimmer geworden.“

„Soll ich jemanden holen?“

Sie nickte, biss die Zähne in ihre Lippe, wurde blutig.

Zärtlich küsste er ihre Hand, legte sie flehend an seine Backe und strich ihr tröstend über ihre Haare. „Ich bin bald wieder da.“

Gehen konnte er nur schweren Herzens. Mit der Angst im Nacken, Marléne könnte während er fort war, versterben und er sich nicht von ihr verabschieden, erkämpfte er sich seinen Weg nach draußen, einen Arzt, er brauchte den Arzt.

Natürlich ohne Widerstand zu leisten, war der alte Mann ihm gefolgt. Ganz erstaunt darüber, dass er zu so später Stunde noch gerufen wurde. „So“, ungehalten schob er ihn samt seines Koffers durch die Tür, schloss diese und wies auf Marléne. Sie atmete noch, eiligst rannte er wieder zu ihr, wechselte die Seite des Tuches und hielt ihre Hand. „… es ist mit ihr?!“, seine Stimme klang barsch, als würde er den Arzt zum Tode verurteilen. Das tat er auch, sollte seine Frau diese Nacht nicht überleben.

„Eure Majestät …“

Steh nicht so dumm herum, tu etwas!

„Ich muss die Königin erst untersuchen, bevor ich etwas sagen kann.“

„Wie bitte?“, ungläubig riss er Augen und Mund weit auf. „… Sie sollen ihr sofort helfen! Und nicht erst nach eingehender Untersuchung!“

„Sie ist aber notwendig, Eure Majestät.“

Bedrohlich wollte er sich vor ihm aufbauen, doch ein lauter Aufschrei von Marléne ließ ihn schwach zurückschrecken. „Was ist …?“

Weiter kam er nicht. Der Arzt schien plötzlich genau zu wissen, was ihr fehlte. Wie von der Tarantel gestochen sprang er auf sie zu, riss die Decke vom Bett, warf sie unachtsam auf den Boden und beugte sich über sie, befühlte ihre Stirn.

Fassungslos beäugte er sie. Ihr Nachtgewand war unterhalb ihrer Hüfte blutig, ebenso das Bett. Erbost ballte er die Fäuste. „Ich dachte ihr Gewand und die übrigen Tücher wurden gewechselt, gereinigt?! Kein Wunder, wenn sie krank wird. Sie wird sich eine Infektion eingefangen haben!“

Sein Schreien war kaum zu überhören. Der Arzt richtete sich auf, begann Marlénes Bauch zu befühlen. Ruhig redete er auf ihn ein. „Eure Majestät, wir haben alles gesäubert und gewechselt.“, beruhigend klopfte er Marléne auf die Schulter, legte sie in eine andere Position und wandte sich dann wieder an Louis, so als wäre er der König und Louis selbst der Diener. „Holen Sie mir die Hebamme.“

„Wie?“

„Los!“

Die Hebamme. Strauchelnd fuhr er um eine Ecke. Zum Glück kam ihm keiner entgegen, er hätte ihn über den Haufen gerannt. Die Hebamme. Er wusste wo sie war, hatte sie noch vor wenigen Stunden gesehen. Weit konnte sie nicht gekommen sein. Ihm wurde übel, seine Lungen brannten, doch er rannte weiter. Warum zum Teufel musste Versailles über so viele Gänge und Wege verfügen?

Sofort als er ihr Zimmer erreichte, klopfte er an. Was auch immer sie sagen würde, wie auch immer sie auf seinen unerwarteten Besuch reagieren würde, er würde sie einfach mit sich mitzerren. Irgendetwas stimmte mit Marléne nicht, was der Arzt hingegen mit einer Hebamme wollte, war ihm nicht klar, das Kind war doch schon geboren, wozu also die alte Frau?

Sie blinzelte mehrere Male, bis sie nach Worten suchen konnte und diese auch fand. „Eure … Majestät?“

Seine Figner griffen nach ihr, bevor sie sich überhaupt bewegen konnte. „Komm mit!“

Die Frau war wirklich alt. Sie war schon bei seiner eigenen Geburt und der seines Bruders dabei gewesen, damals schon in die Jahre gekommen. Doch sie konnte überraschend gut mit ihm Schritt halten. Vermutlich weil es für sie zum Handwerk gehörte, eilig von einem Ort zum nächsten zu gelangen. Sie hatte lange graue Haare, die ihr frei um den Körper wedelten. Ihre Kleidung war normal. Nicht einfach oder ärmlich. Sie trug ein beige farbenes Kleid, es saß richtig, umspielte ihre Linie, ging ihr bis zu den Knöcheln, zeigte von ihr nicht zu viel und nicht zu wenig. Als Hebamme des Schlosses besaß man Geld, musste man nicht hungern. Soweit Louis sich erinnern konnte hatte sie fast alle seine Cousins und Cousinen auf die Welt gebracht, nicht einmal war etwas geschehen, nicht einmal war jemand verstorben. Vielleicht war es Zufall, doch er vertraute der erfahrenen Frau.

Sie erreichten Marlénes Gemach. Sofort war die Frau bei ihr. Zuerst erschrocken und erstaunt, doch auf ein bedeutendes Nicken des Arztes hin, fasste sie sich und befühlte Marlénes Bauch. Louis verstand noch immer nichts. „Was ist denn los?“

„Majestät.“, der Doktor wollte ihn höflich aus dem Raum schieben, doch Louis dachte erst gar nicht daran zu gehen.

„Ich bleibe“, sagte er feste und stampfte wie ein kleines Kind auf den Boden. „Ich bleibe, um zu sehen was mit ihr ist.“

„Es wird Ihnen nicht gefallen.“

„Ist mir gleich. Ich bleibe.“

Noch einmal wechselten die Hebamme und der Arzt fragende Blicke miteinander, gingen dann aber dazu über, Marléne zu besänftigen, mehr taten sie nicht. Die Frau befühlte desöfteren ihren Bauch, drückte richtig hinein, nickte anscheinend über das was sie fühlte zufrieden und legte Marléne noch ein Kissen unter den Kopf.

Ihre Atmung wurde flacher, hilflos setzte er sich in eine Ecke, still und unsichtbar sah er auf das Treiben der Leute. Marléne beachtete ihn gar nicht, sie schien schlimme Schmerzen zu haben. Ihr Leiden versetzte ihm Höllenqualen, er wollte ihr helfen, wollte ihr die Schmerzen abnehmen, doch das konnte er nicht, alles was er konnte war zuzusehen. Tränen stiegen ihm in die Augen, doch er wischte sie sich schnell wieder fort, niemand sollte ihn so sehen, erst recht nicht Marléne. Vielleicht spendete es ihr Trost und Kraft zu sehen, dass auch Louis stark war, dass er keine Angst hatte.

Immer mehr Blut quoll zwischen ihren Beinen hervor. Er schluckte betroffen. Würde sie verbluten? Sagen traute er sich nichts, der Arzt und auch die Hebamme schienen mehr Ahnung von den Dingen, die vor sich gingen zu haben, als er es tat. Deshalb war es wohl besser zu schweigen. Egal wie schwer es ihm fiel.

Die Frau schob Marlénes Kleid nach oben. Innerlich wurde er wütend. Würde der Arzt auch nur einen Blick auf seine Frau werfen, würde er selbst alle Etikette vergessen und sich auf ihn stürzen. Egal wie hilfreich es war, ihn in diesem Moment abzulenken, er würde es tun.

Marléne stöhnte, ihr Körper war unter ihrem Blut beinahe nicht mehr zu erkennen. Ihm wurde schlecht. Was hatte das alles zu bedeuten. Ein kleiner Kopf kam zum Vorschein, die Hebamme hatte sich vor Marléne gekniet, legte ihre Hände auf ihn und zog ihn langsam zu sich. Louis schnellte nach oben, prallte wie von einer unsichtbaren Kraft gelenkt gegen die Wand, warf einen Kerzenständer auf den Boden. Ein lautloser Schrei verließ seine Lippen. In Gedanken hechtete er zu Ophélias Bettchen um sicher zu gehen, dass sie noch dort war, dass man ihr keinen Streich spielte. Doch sie war dort, schlief tief und fest, hatte ihre Hand friedlich an ihren Mund gelegt, atmete schnell doch ruhig. Zwei Kinder? Fassungslos sank er auf die Knie. Keiner beachtete ihn, weder der Arzt, der Marlénes Kopf tätschelte und ihren Puls fühlte, als auch die Hebamme, die nun schon einen Arm in Empfang genommen hatte. Er bekam zwei Kinder?

Hinsehen konnte er nicht. Immer wieder wippte er hin und her. War auf den Boden gesunken und war dort einfach sitzen geblieben. Mehr konnte er nicht tun. Die Minuten verstrichen qualvoll langsam, Marléne war leise geworden, schweißgebadet doch ruhiger. Die Hebamme redete geduldig auf sie ein. Wie weit sie mit seinem Kind war, wusste er nicht. Denn er hatte die Augen fest verschlossen. Konnte den Anblick nicht ertragen. Hätte niemals erwartet gleich Vater zweier Kinder zu werden. Der Gedanke war ihm fremd, unheimlich.

Ein grelles Schreien durchzuckte die Luft, Louis wurde hellhörig, wagte es nun doch, langsam aufzusehen.

„Vorsicht, Eure Majestät!“, brüllte ihm die Hebamme entgegen, als Louis zu ihr eilen wollte, geschickt hob sie einen kleinen blutigen Klumpen an ihm vorüber, mehr konnte er nicht sehen, so schnell ging es. Das Schreien wurde leiser als sie ins Badezimmer eilte, es wahrscheinlich in der Schale waschen wollte.

Marlénes Kopf war erschöpft in die Kissen gesunken, der Arzt fühlte ihre Stirn, nickte und hob ihr Handgelenk um ihren Puls erneut zu fühlen. „Ihr geht es gut“, sagte er rasch, als er Louis erschrockenen Blick entgegennahm. Dann formte er ein gewinnendes Lächeln. „Sie haben einen kleinen Dauphin.“

Der letzte Monarch

Подняться наверх