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Die Kleinbühnen, die drei bis vier Jahre später das amerikanische Theater beleben sollten, waren noch im Embryonalzustand. Doch Carola ahnte diesen bevorstehenden Umsturz voraus. Sie wußte aus einem vereinzelten Magazinartikel, daß es in Dublin Neuerer gab, die sich »The Irish Players« nannten. Sie hatte verworrene Kenntnis davon, daß ein Mann namens Gordon Craig Dekorationen gemalt hatte – oder hatte er Stücke geschrieben? In einer Zeitung aus Minneapolis fiel ihr ein Inserat in die Augen:

Die Kosmos-Schule für Musik, Sprechkunst und Theater. Nächstes Programm: Vier Einakter von Schnitzler, Shaw, Yeats und Lord Dunsany.

Da mußte sie dabei sein! Sie bat Kennicott, mit ihr »einen Sprung in die Stadt« zu machen.

»Na, ich weiß nicht. Es wär' ja ganz nett, sich 'ne Vorstellung anzusehen, aber, verdammt noch mal, warum willst du denn die dummen ausländischen Stücke sehen, die da von Dilettanten gespielt werden? Warum willst du nicht auf 'n richtiges Stück warten? Es kommen bald paar blendende Sachen: ›Lottie von der Schießfarm‹ und ›Polizei und Verbrecher‹, richtige Broadwaysachen mit der New Yorker Besetzung. Was ist denn der Schmarrn, den du sehen möchtest? Hm. ›Wie er ihren Mann belog‹. Das klingt nicht schlecht. Scheint pikant zu sein. Und, äh, na ja, da könnt' ich ja auch in die Automobilausstellung gehen. Das neue Hupmobil-Modell würd' ich mir gern ansehen. Schön –«

Ob ihn das Theater oder die Automobilausstellung zum Entschluß brachte, erfuhr sie nicht.

Kennicott ging herum und ließ nebenbei durchblicken, daß er »'nen Sprung in die Stadt machen und sich ein bißchen Theater ansehen wollte.«

Während der Zug über die graue Prärie keuchte, an einem windlosen Tag, an dem der Rauch von der Maschine in ungeheuren Schwaden über den Feldern hing und ihre Schneedecke verhüllte, sah sie nicht ein Mal aus dem Fenster. Sie hatte die Augen geschlossen und summte vor sich hin, ohne zu wissen, daß sie summte.

Sie war die junge Dichterin, die sich den Ruhm und Paris erobern wollte.

Auf dem Bahnhof in Minneapolis verwirrten sie die Mengen von Holzfällern, Farmern und schwedischen Familien mit zahllosen Kindern, Großeltern und Papierpaketen, das Durcheinander und der Lärm machten sie fassungslos. In dieser ihr einst so vertrauten Stadt kam sie sich provinziell vor, nach eineinhalb Jahren in Gopher Prairie. Sie war überzeugt, daß Kennicott in die falsche Elektrische stieg. In der Dämmerung sahen die Flaschenspeicher, die jüdischen Kleiderläden und die Pensionshäuser in der unteren Hennepin Avenue verräuchert, scheußlich und verdrossen aus. Der Lärm und das Rütteln in der Stunde des Hauptverkehrs betäubten sie. Als ein Kommis in einem Paletot, der in der Taille zu eng geschnitten war, sie anstarrte, drängte sie sich näher an Kennicotts Arm. Der Kommis war eingebildet und städtisch. Er war ihr überlegen, war diesen Tumult gewohnt. Lachte er über sie?

Einen Augenblick lang sehnte sie sich nach dem sicheren Frieden Gopher Prairies.

In der Hotelhalle war sie verlegen. Sie war nicht an Hotels gewöhnt; voll Eifersucht dachte sie daran, wie oft Juanita Haydock von den berühmten Hotels in Chicago gesprochen hatte. Den Geschäftsreisenden, die sich wie Barone in großen Lederstühlen streckten, konnte sie nicht ins Gesicht blicken. Sie wollte, man solle glauben, daß ihr Mann und sie an Luxus und Eleganz gewöhnt seien; sie ärgerte sich ein wenig über die Vulgarität, mit der er, nachdem er »Dr. W. P. Kennicott und Frau« eingetragen hatte, dem Sekretär laut zurief: »Hab'n Sie 'n hübsches Zimmer mit Bad für uns, alter Junge?« Sie warf hochmütige Blicke um sich, als sie aber merkte, daß kein Mensch sich für sie interessierte, kam sie sich töricht vor und schämte sich ihrer Unruhe.

Sie behauptete: »Diese dumme Halle ist zu überladen«, und bewunderte sie gleichzeitig: die Onyxsäulen mit den vergoldeten Kapitälen, die mit Kronen bestickten Vorhänge an der Tür zum Speisesaal, die mit Seide bespannte Nische, in der hübsche Mädchen unaufhörlich rätselhafte Männer erwarteten, die Zweipfundschachteln mit Konfekt und die vielen Magazine am Zeitungsstand. Es fiel ihr ein Herr auf, der wie ein europäischer Diplomat aussah. Eine Dame in einem Breitschwanzmantel, mit schwerem Spitzenschleier, Ohrringen und schwarzem Hut war in den Speisesaal gegangen. »Himmel! Das ist die erste wirklich elegante Frau, die ich seit einem Jahr sehe!« jubelte Carola. Sie kam sich großstädtisch vor.

Als sie aber Kennicott zum Fahrstuhl folgte, wurde sie wieder schüchtern. Sobald sie in ihrem Zimmer waren, musterte sie Kennicott kritisch. Das erstemal seit Monaten sah sie ihn wirklich.

Seine Kleider waren zu schwerfällig und provinziell. Sein schlichter grauer Anzug, von Nat Hicks in Gopher Prairie angefertigt, hätte ebensogut aus Eisenblech sein können; er hatte keinen besonderen Schnitt, keine leichte Anmut wie der des Diplomaten. Seine schwarzen Schuhe waren derb und schlecht geputzt. Seine Krawatte war langweilig braun. Unrasiert war er auch.

Doch sie vergaß das alles, als sie die genialen Einrichtungen im Zimmer erblickte. Sie lief umher, drehte die Hähne an der Badewanne auf, aus denen das Wasser hervorschoß, nicht tröpfelte wie zu Hause, riß den neuen Waschlappen aus seinem Ölpapierkuvert, probierte die Lampe mit dem rosa Schirm über dem Doppelbett, zog die Schubladen des nierenförmigen Nußbaumschreibtisches heraus, um das Briefpapier zu untersuchen, nahm sich vor, allen Bekannten zu schreiben, bewunderte den bordeauxroten Samtlehnstuhl und den blauen Teppich, probierte den Eiswasserhahn und jubelte auf, als das Wasser wirklich kalt herauskam. Sie schlang die Arme um Kennicott und küßte ihn.

»Gefällt's dir, mein Mädel?«

»Es ist herrlich. Es ist so lustig. Ich hab' dich lieb, weil du mich hergebracht hast, du bist wirklich ein lieber Kerl!«

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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