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Der Determinismus der Natur

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Die Stellen, in denen die Gita Nachdruck auf die Feststellung legt, dass die Ego-Seele der Natur unterworfen ist, sind von manchen als die Behauptung verstanden worden, der Determinismus der Natur sei absolut und mechanisch und lasse innerhalb des kosmischen Seins keinen Raum für irgendeine Freiheit. Gewiss verwendet die Gita eine nachdrückliche Sprache, die sehr bestimmt zu sein scheint. Wir müssen aber hier, wie auch anderswo, das Denken der Gita als ein Ganzes verstehen und dürfen nicht ihren Aussagen in ihrem vereinzelten Sinn, völlig losgelöst von jeder anderen, Gewalt antun.Wie überhaupt jede Wahrheit, wie wahr sie auch in sich selbst sein mag, dann, wenn sie aus anderen Wahrheiten, die sie zugleich begrenzen und ergänzen, herausgelöst wird, eine Schlinge ist, die den Intellekt drosselt, und zu einem irreführenden Dogma wird. Denn in Wirklichkeit ist jede nur ein einziger Faden in einem komplexen Gewebe, und kein Faden darf aus dem Gewebe herausgelöst werden. Ebenso ist in der Gita alles miteinander verwoben und muss in seiner Beziehung zum Ganzen verstanden werden. So macht auch die Gita einen Unterschied zwischen denen, die nicht das Wissen vom Ganzen besitzen, akṛtsnavidaḥ, die darum von den Teilwahrheiten des Daseins irregeleitet werden, und dem Yogin, der das synthetische Wissen vom Ganzen besitzt, kṛtsna-vit. Das ganze Dasein mit stetem Blick und als ein Ganzes zu betrachten und nicht durch seine einander widerstreitenden Wahrheiten irregeführt zu werden, ist eine erste Notwendigkeit für die ruhige und vollständige Weisheit, zu der emporzukommen der Yogin berufen ist. Eine gewisse absolute Freiheit ist der eine Aspekt der Beziehungen der Seele zur Natur, der eine Pol unseres vielseitigen Wesens. Ein gewisser absoluter Determinismus durch die Natur ist der entgegengesetzte Aspekt an seinem entgegengesetzten Pol. Und es gibt auch ein partielles und augenscheinliches, darum unwirkliches Trugbild von Freiheit, das die Seele durch eine verzerrte Spiegelung dieser beiden entgegengesetzten Wahrheiten in der sich entwickelnden Mentalität empfängt. Diesem letzteren geben wir gewöhnlich, mehr oder weniger ungenau, den Namen „freier Wille“. Die Gita betrachtet aber nichts als Freiheit, was nicht vollständige Befreiung und Beherrschung ist.

Wir müssen uns stets der beiden großen Lehren bewusst sein, die in Bezug auf Seele und Natur hinter der ganzen Lehre der Gita stehen –, der Sankhya-Wahrheit von Purusha und Prakriti, die durch die vedantische Wahrheit vom dreifachen Purusha und der doppelten Prakriti korrigiert und vervollständigt wird. Die niedere Form dieser Prakriti ist die Maya der drei Gunas, die höhere ist die göttliche Natur und die wahre Seelen-Natur. Das erschließt uns die Möglichkeit, miteinander auszugleichen und zu erklären, was wir sonst als Widersprüche und Unvereinbarkeiten stehen lassen müssten. Es gibt tatsächlich verschiedene Ebenen unseres bewussten Daseins. Was auf der einen Ebene eine praktische Wahrheit ist, hört auf, wahr zu sein, und nimmt ein ganz anderes Aussehen an, sobald wir auf eine höhere Ebene emporkommen, von der aus wir die Dinge mehr im Ganzen schauen können. (212-13)

3.27

Zwar werden alle Handlungen ausschließlich von der Wirkensweise der Natur [den drei Gunas] vollzogen. Dennoch meint der Mensch, dessen Selbst durch seinen Egoismus verwirrt ist, sein „Ich“ bewirke sie.

3.28

Kennt aber einer, O Starkarmiger, die wahren Prinzipien der Unterscheidung dieser Wirkensweisen und der Werke, dann versteht er, dass es die Wirkensweisen allein sind, die miteinander agieren und aufeinander reagieren und ist nicht in ihnen verfangen durch Bindung.

3.29

Doch soll, wer das Ganze erkennt, nicht die anderen, die durch die Wirkensweisen verwirrt sind und das Ganze nicht erkennen, in ihrem mentalen Standpunkt verunsichern.

Hier haben wir also eine klare Unterscheidung zweier Bewusstseinsebenen, zweier Standpunkte des Handelns. Beim einen ist die Seele im Netz ihrer egoistischen Natur gefangen und handelt mit der Vorstellung, wenn auch nicht in der Wirklichkeit, eines freien Willens, unter dem Antrieb der Natur. Beim anderen ist sie von ihrer Identifizierung mit dem Ego befreit und beobachtet, billigt, lenkt die Werke der Natur von oben.

Wir sprechen davon, dass die Seele der Natur unterworfen ist. Die Gita ihrerseits unterscheidet aber die besonderen Eigenschaften der Seele von der Natur. Sie stellt fest, dass die Natur die ausführende Macht ist, während die Seele stets der Herr ist, īśvara. Sie spricht hier von einem Selbst, das durch den Egoismus verwirrt sei. Das wirkliche Selbst ist aber für den Vedantin das Göttliche, das immer frei und seiner selbst inne ist. Was ist also dieses Selbst, das durch die Natur verwirrt, diese Seele, die ihr unterworfen ist? Die Antwort lautet: Wir sprechen hier in der allgemeinen Redeweise unserer niederen oder mentalen Betrachtung der Dinge. Wir sprechen vom Selbst der Erscheinung, von der sichtbaren Seele, nicht vom wahren Selbst, nicht vom wahren Purusha. In Wirklichkeit ist es das Ego, das unentrinnbar der Natur unterworfen ist, weil es selbst ein Teil der Natur und eine der Funktionen ihres Mechanismus ist. Wenn sich aber im Mental-Bewusstsein das Selbst-Innesein mit dem Ego identifiziert, bildet es die Erscheinung eines niederen Selbsts, ein Ego-Selbst. Darum ist auch das, was wir uns gewöhnlich als unsere Seele vorstellen, in Wirklichkeit die natürliche Personalität, nicht aber die wahre Person, der Purusha. Es ist die Begehrens-Seele in uns, die eine Widerspiegelung des Purusha in den Wirkensweisen von Prakriti ist. Sie ist tatsächlich nur eine Aktivität der drei Erscheinungsweisen und darum ein Teil der Natur. Dergestalt gibt es sozusagen zwei Seelen in uns: die sichtbare Seele oder Begehrens-Seele, die sich mit den Verwandlungen der Gunas verändert und ausschließlich von ihnen gebildet und bestimmt wird; und den freien, ewigen Purusha, der nicht durch die Natur und ihre Gunas eingeschränkt wird. Wir haben zweierlei Selbst: das Selbst der Erscheinung, das nur das Ego ist, das mentale Zentrum in uns, das die veränderliche Wirkensweise der Prakriti durchführt, diese veränderliche Personalität ist, die sagt: „Ich bin diese Persönlichkeit. Ich bin dies natürliche Wesen, und als solches tue ich diese Werke.“ Aber dies natürliche Wesen ist einfach die Natur, eine Zusammensetzung der Gunas und andererseits das wahre Selbst, das tatsächlich der Erhalter, Besitzer und Herr der Natur ist, in ihr dargestellt, aber nicht selbst die veränderliche natürliche Personalität. Der Weg, frei zu werden, muss also darin bestehen, dass wir jede Art von Begehren, diese Begehrens-Seele und die falsche Selbst-Anschauung dieses Ego loswerden...

Diese Auffassung von unserem Wesen stützt sich, auf die Sankhya-Analyse des dualen Prinzips in unserer Natur, von Purusha und Prakriti. Purusha ist inaktiv, akartā; Prakriti ist aktiv; kartrī: Purusha ist das Wesen, ganz erfüllt vom Licht des Bewusstseins. Prakriti ist die Natur, die mechanisch alle Arten ihres Wirkens im bewussten Beobachter, dem Purusha, widerspiegelt. Prakriti wirkt durch die Unausgeglichenheit ihrer drei Erscheinungsweisen, Gunas, in ständigem Zusammenstoß, in gegenseitiger Vermischung und Veränderung. Durch die Arbeit des Ego-Mentals bringt sie den Purusha dazu, sich mit all diesem Wirken zu identifizieren und erschafft so das Empfinden einer aktiven, veränderlichen, zeitlich vergänglichen Personalität in der schweigenden Ewigkeit des Selbsts. Das ungeläuterte naturhafte Bewusstsein verdeckt das reine Seelen-Bewusstsein. Das Mental vergisst in dem Ego und der Personalität die Person. Wir lassen es zu, dass die unterscheidende Intelligenz durch das Sinnen-Mental mit seinen nach außen wirkenden Funktionen und durch das Begehren des Lebens und Körpers mit fortgerissen wird. Solange der Purusha dieses Wirken zulässt, müssen Ego, Begehren und Unwissenheit das natürliche Wesen regieren.

Wäre dies schon alles, bestünde die einzige Abhilfe darin, dass der Purusha seine Zustimmung völlig zurückzieht. Dann würde er durch diesen Entzug unsere Natur in ein bewegungsloses Gleichgewicht der drei Gunas, zurückfallen lassen oder sie dazu zwingen; sie würde dann mit allem Wirken aufhören. Das ist aber gerade die Abhilfe, die die Gita ständig verurteilt – obwohl es zweifellos eine Abhilfe ist, wenn auch gleichsam eine, durch die der Patient zugleich mit der Krankheit beseitigt wird. Besonders die Unwissenden werden, wenn man ihnen diese Wahrheit nahelegt, sich einer tamasischen Untätigkeit zuwenden. Das unterscheidende Mental in ihnen verfällt in falsche Zertrennung; in falsche Gegensätzlichkeit, buddhibheda.

Deshalb ruft der Lehrer aus: „Da du frei geworden bist von Begehren und Egoismus, kämpfe, denn nun ist das Fieber deiner Seele von dir gewichen!“ nirāśīr nirmamo bhūtvā. (214-16)

3.30

Gib dein Wirken an Mich hin, verankere dein Bewusstsein fest in deinem Selbst, frei von allem Verlangen und von allem Egoismus, und kämpfe, befreit vom Fieber deiner Seele!

3.31-32

Die Menschen, die glauben und ihr Vertrauen nicht in den kritischen Verstand setzen, sondern beständig dieser Meiner Lehre folgen, werden von ihrem (Gebundensein an ihr) Wirken befreit. Jene aber, die Meiner Lehre widersprechen und nicht nach ihr handeln, erkenne als Menschen von unreifem Sinn und Verstand. Sie sind in ihrem Wissen verwirrt und dazu bestimmt, zugrunde zu gehen.

Tatsächlich können diese Wahrheiten nur auf einer höheren und weiteren Ebene des Bewusstseins und Wesens hilfreich sein, da sie sich nur dort für die Erfahrung bewahrheiten und gelebt werden können. Wenn wir diese Wahrheiten von der niederen Ebene her betrachten, müssen wir sie falsch sehen, falsch verstehen und wahrscheinlich falsch anwenden. Es ist eine höhere Wahrheit, dass die Unterscheidung zwischen Gut und Böse freilich nur eine praktische Tatsache und ein Gesetz ist, gültig für das egoistische Leben des Menschen, das die Übergangsstufe vom Tier zum Göttlichen ist. Auf einer höheren Stufe erheben wir uns aber über Gut und Böse hinaus und stehen über ihrer Dualität, genauso wie die Gottheit über ihr steht. Wenn sich jedoch das unreife Mental dieser Wahrheit bemächtigt, ohne dass es sich aus dem niederen Bewusstsein, wo sie praktisch keine Gültigkeit besitzt, emporschwingt, wird es sie einfach als bequeme Entschuldigung dafür verwenden, sich seinen asurischen Neigungen hinzugeben, den Unterschied zwischen Gut und Böse überhaupt leugnen und durch die Befriedigung seiner egoistischen Leidenschaften tiefer im Morast des Verderbens versinken, sarva-jñāna-vimūḍhān naṣṭan acetasaḥ. So steht es auch mit der Wahrheit des Determinismus der Natur. Sie wird falsch gesehen und falsch verwendet, wie jene sie missbrauchen, die erklären, ein Mensch sei das, was seine Natur aus ihm gemacht hat; er könne nicht anders handeln als so, wie seine Natur ihn zwinge. Das ist zwar in einem gewissen Sinne wahr, jedoch nicht in dem Sinn, der ihm beigelegt wird, nicht in dem Sinn, dass das Ego-Selbst nicht verantwortlich wäre und Straflosigkeit für sein Wirken beanspruchen könnte. Denn es hat Willen, und es hat Begehren. Solange es gemäß diesem Willen und Begehren handelt, muss es auch, wenn das seine Natur ist, die Reaktionen seines Karma tragen. Es ist in einem Netz, gleichsam in einer Schlinge verfangen, die seiner gegenwärtigen Erfahrung, seiner beschränkten Selbst-Erkenntnis, sehr wohl als verwirrend, unlogisch, ungerecht, schrecklich erscheinen mag, die aber eine selbst-gewählte Schlinge, ein Fangnetz ist, das es sich selbst gestrickt hat. (217)

3.33

Alle Daseinsformen folgen dem Gesetz ihrer Natur. Welchen Nutzen sollte es haben, dass man Zwang auf sie ausübt? Auch der Mensch, der Wissen besitzt, handelt gemäß seiner Natur.

Diese Behauptung scheint, wenn wir sie für sich allein nehmen, hoffnungslos absolut zu sein, als ob die Natur der Seele gegenüber allmächtig sei. Darauf gründet die Gita den Rat, wir sollten in unserem Handeln getreu dem Gesetz unserer Natur folgen: „Besser ist, das eigene Gesetz des Wirkens, svadharma, zu erfüllen, auch wenn es an sich noch fehlerhaft ist, als das Gesetz eines anderen, selbst wenn es vollkommener ist. Den Tod im Gehorsam gegen das eigene Wesensgesetz zu erleiden, ist vorzuziehen. Gefährlich ist es, einem fremden Wesensgesetz zu folgen.“ Um zu verstehen, was genau mit diesem svadharma gemeint ist, müssen wir warten, bis wir in den abschließenden Kapiteln über Purusha, Prakriti und die Gunas zu der gründlicheren Untersuchung kommen. Gewiss bedeutet es aber nicht, dass wir jedem Impuls, den wir unsere Natur nennen, auch wenn es ein böser ist, folgen und behaupten dürfen, sie diktiere ihn uns. Denn zwischen diesen beiden Versen fügt die Gita folgendes ausdrückliches Verbot ein: Zuneigung und Abneigung liegen im Gegenstand dieses oder jenes Sinnes auf der Lauer. Gerate nicht in deren Gewalt, denn sie sind die heimtückischsten Feinde der Seele auf ihrem Weg!“ Arjuna macht unmittelbar darauf Einwendungen und fragt, ob es nicht etwas Falsches sei, wenn wir unserer Natur folgen, und was wir von dem Drang in uns sagen sollten, der einen Menschen, wie mit Gewalt, zur Sünde treibt, sogar gegen seinen eigenen widerstrebenden Willen? Der Lehrer antwortet, das sei das Begehren mit seinem Gefährten, dem Zorn, den Kindern des Rajas, der zweiten Guna, des Prinzips der Leidenschaft. Dies Begehren ist der große Feind der Seele und muss abgetötet werden. Die Gita erklärt: Erste Bedingung für die Befreiung ist, dass wir uns dessen enthalten, Böses zu tun. Und immer drängt sie auf Herrschaft des Selbstes, Überwachung durch das Selbst, saṁyama, auf die Kontrolle des Mentals, der Sinne und des ganzen niederen Wesens.

Es muss daher unterschieden werden zwischen dem, was das Wesentliche in der Natur ist, dem ihr eingeborenen und unvermeidlichen Wirken, wobei es ganz und gar nicht förderlich ist, es zu unterdrücken, zu verdrängen, zu bezwingen, und dem, was in der Natur das Unwesentliche ist, ihren Irrwegen, Verwirrungen, Entstellungen, über die wir ganz gewiss die Kontrolle erlangen müssen. Außerdem legt sie eine Unterscheidung nahe zwischen einerseits Zwang und Unterdrückung, nigraha, und andererseits einer Kontrolle, verbunden mit der rechten Verwendung und Führung der Natur, saṁyama. Ersteres ist eine Vergewaltigung, die man der Natur durch den eigenen Willen zufügt und die schließlich die natürlichen Mächte des Wesens unterdrückt, ātmānam avasādayet. Letzteres ist die Kontrolle des niederen Selbstes durch das höhere Selbst, die jenen Mächten das rechte Wirken und ein Höchstmaß an Wirkungskraft für ihren Erfolg verschafft, yogaḥ karmasu kauśalam. (217-18)

3.34

Zuneigung und Abneigung liegen im Gegenstand dieses oder jenes Sinnes auf der Lauer. Gerate nicht in deren Gewalt, denn sie sind die heimtückischsten Feinde der Seele auf ihrem Weg!

3.35

Besser ist, das eigene Gesetz des Wirkens, svadharma, zu erfüllen, auch wenn es an sich noch fehlerhaft ist, als das Gesetz eines anderen, selbst wenn es vollkommener ist. Den Tod im Gehorsam gegenüber dem eigenen Wesensgesetz zu erleiden, ist vorzuziehen. Gefährlich ist es, einem fremden Wesensgesetz zu folgen.

Svadharma: Der Mensch ist nicht dasselbe wie der Tiger, wie das Feuer oder wie der Sturm. Er kann nicht töten und dann als ausreichende Rechtfertigung von sich behaupten: „Ich handle im Einklang mit meiner Natur.“ Und zwar deshalb nicht, weil er nicht die Natur und demgemäß auch nicht das Gesetz des Handelns, svadharma, des Tigers, des Feuers, des Sturms hat. Er besitzt einen bewussten und vernunftbegabten Willen, buddhi; vor ihm muss er seine Handlungen rechtfertigen. Wenn er das nicht tut, wenn er blindlings seinen Impulsen und Leidenschaften gemäß handelt, wird das Gesetz seines Wesens nicht richtig herausgearbeitet, svadharmaḥ su-anuṣṭhitaḥ, hat er nicht nach dem vollen Maß seines Menschseins gehandelt, sondern eben so, wie das Tier handeln könnte... Der Mensch weiß mehr oder weniger unvollkommen, dass er seine rajasische und tamasische Natur durch seine sattwische Natur zu lenken hat und dass die Vervollkommnung seines gewöhnlichen Menschseins in diese Richtung strebt. Der Lehrer verdeutlicht dies in seiner Antwort auf die folgende praktische Frage Arjunas. (220-21)

3.36

Arjuna sprach:

Was ist aber (wenn es nicht falsch ist, dass wir unserer eigenen Natur folgen) diese Macht in uns, die einen Menschen gleichsam mit Gewalt in die Sünde treibt, auch wenn er mit seinem ganzen Willen dagegen ankämpft, O Varshneya?

3.37

Der Erhabene sprach: Es ist das Begehren und dessen Gefährte, der Zorn. Sie sind die Kinder von Rajas, alles verschlingend und alles beschmutzend. Erkenne, dass das Begehren der große Feind der Seele ist (der erschlagen werden muss).

Der kinetische Mensch wird durch kein Ideal zufriedengestellt, das nicht im Zusammenhang steht mit der Erfüllung dieser kosmischen Natur, des Spiels der drei Qualitäten dieser Natur, der menschlichen Aktivität von Mental, Herz und Körper. Die höchste Erfüllung dieser Aktivität, könnte er sagen, ist meine Idee von menschlicher Vollkommenheit, von der göttlichen Möglichkeit im Menschen. Nur ein solches Ideal könne das menschliche Wesen befriedigen, das den Intellekt, das Herz, das moralische Wesen befriedigt, also ein Ideal unserer menschlichen Natur in ihrer Aktivität. Er müsse etwas haben, das er in den Betätigungen seines Mentals, seines Lebens und Körpers suchen kann. Das sei seine Natur, sein dharma, und wie könne er durch etwas zur Erfüllung kommen, das außerhalb seiner Natur liegt? Denn jedes Wesen sei an seine Natur gebunden und müsse in ihr nach Vollkommenheit suchen. Unsere menschliche Vollkommenheit müsse im Einklang stehen mit unserer menschlichen Natur, und jeder Mensch müsse danach streben, im Einklang mit der Grundlinie seiner Persönlichkeit, svadharma, aber hier im Leben, im Handeln, nicht außerhalb von Leben und Handeln. Ja, darin liegt eine Wahrheit, erwidert die Gita. Die Erfüllung Gottes im Menschen, das Spiel des Göttlichen im Leben ist ein Teil der idealen Vollkommenheit. Wenn du dies aber nur im Äußeren suchst, im Leben, im Prinzip des Handelns, wirst du sie niemals finden. Du wirst dann nicht nur im Einklang mit deiner Natur handeln, was an sich eine Regel zur Vervollkommnung ist, sondern du wirst – und das ist ein Gesetz der Unvollkommenheit – ewig ihren Eigenschaften, ihren Gegensätzlichkeiten von Zuneigung und Abneigung, Schmerz und Freude und besonders dem rajasischen Prinzip des Begehrens und seinem Fallstrick Zorn, Kummer, Sehnsucht unterworfen sein, dem ruhelosen, alles-verzehrenden Prinzip des Begehrens, dem unersättlichen Feuer, das dein Handeln in der Welt bedroht, dem ewigen Feind der Erkenntnis, durch den sie hier in deiner Natur überdeckt ist wie das Feuer vom Rauch oder wie der Spiegel vom Staub. Diesen Feind musst du vernichten, um in der ruhigen, klaren, lichtvollen Wahrheit des Geistes leben zu können. (141-42)

3.38

So wie das Feuer umhüllt ist von Rauch, wie der Spiegel bedeckt ist von Staub, wie das Embryo im Mutterleib umhüllt ist von der Eihaut, so ist das Wissen eingehüllt durch das Begehren.

3.39

Umschlossen ist das Wissen, O Kaunteya, von diesem ewigen Feind des Wissens. In Gestalt des Begehrens ist er ein unersättliches Feuer.

3.40

Sinne, Mental und Intellekt sind der Sitz des Begehrens. Indem es durch sie das Wissen einhüllt, verwirrt es die verkörperte Seele.

Sinne, Mental, Intellekt sind der Sitz dieser ewigen Ursache der Unvollkommenheit. Dennoch möchtest du dein Suchen nach Vollkommenheit auf den Bereich innerhalb der Sinne, des Mentals und Intellekts, dieses Spiels deiner niederen Natur, begrenzen. Dies Bemühen ist vergeblich. Die kinetische Seite deiner Natur muss zuerst trachten, die quietistische einzubeziehen. Dann musst du dich in den Bereich jenseits dieser niederen Natur zu dem emporheben, was oberhalb der drei Gunas liegt, was im höchsten Prinzip, in der Seele, seine Grundlage hat. Erst wenn du den Frieden der Seele erlangt hast, kannst du zu einem freien und göttlichen Wirken fähig werden. (142)

3.41

Darum sollst du, O Bester der Bharatas, die Sinne zuerst dadurch beherrschen, dass du dies sündhafte Wesen, das das Wissen zerstört, erschlägst (um in der stillen, klaren und leuchtenden Wahrheit des Geistes zu leben).

3.42

Erhaben (über ihre Gegenstände), sagt man, sind die Sinne. Erhaben über die Sinne ist das Mental. Erhaben über das Mental ist der intelligente Wille. Was aber über dem intelligenten Willen erhaben ist, ist er (der Purusha).

Wir müssen uns an das psychologische System des Sankhya erinnern, das die Gita akzeptiert. Auf der einen Seite steht der Purusha, die Seele, still, untätig, unveränderlich, in sich eins, nicht der Evolution unterworfen. Auf der anderen Seite steht Prakriti oder die Natur-Kraft. Ohne die bewusste Seele ist sie träge. Aber aktiv ist sie nur durch ihr Zusammenstehen mit jenem Bewusstsein, sozusagen durch ihre Berührung mit ihm. Sie ist anfangs nicht so sehr etwas Geeintes als vielmehr etwas Unbestimmtes, dreifach in ihren Eigenschaften, fähig zu Evolution und Involution. Der Kontakt zwischen Seele und Natur erzeugt das Spiel von Subjektivität und Objektivität, das unsere Erfahrung des Seins ausmacht. Zuerst entwickelt sich das, was für uns das Subjektive ist, weil das Seelen-Bewusstsein die erste Ursache ist. Die nichtbewusste Natur-Kraft ist erst die sekundäre, abhängige Ursache. Aber es ist dennoch die Natur und nicht die Seele, die die Instrumente für unsere Subjektivität liefert. Zuerst in der Reihenfolge kommt Buddhi, die unterscheidende oder bestimmende Macht, die sich aus der Natur-Kraft entwickelt und, ihr untergeordnet, die Macht des selbst-unterscheidenden Ego. Dann entsteht als sekundäre Evolution aus diesen jene Macht, die die Unterscheidungen von Gegenständen bewirkt, das Sinnen-Mental oder Manas – wir müssen die indischen Namen erwähnen, weil die entsprechenden englischen Wörter nicht ihre wirklichen Äquivalente sind. Als eine tertiäre Evolution aus dem Sinnen-Mental haben wir die spezialisierenden organischen Sinne, zehn an der Zahl: fünf für die Wahrnehmung, fünf für das Handeln. (96-97)

In der Evolution der Seele heraus aus Prakriti hin zu Purusha muss im Verhältnis zur ursprünglichen Natur-Evolution die umgekehrte Reihenfolge stattfinden. Deshalb stellen die Upanishaden, und ihnen folgend die Gita, die die Upanishaden beinahe zitiert, die aufsteigende Reihenfolge unserer subjektiven Mächte so fest. (98)

3.43

Indem du zu dem Höchsten erwachst durch jenes Verstehen, das noch über dem urteilenden Verstand steht, und Macht ausübst auf das Selbst durch das Selbst, um es fest und still zu machen, erschlage, O Starkarmiger, diesen Feind in Gestalt des Begehrens, den man so schwer zu fassen bekommt.

Das Höchste: Dieses Akshara ist das Selbst, das höher ist als Buddhi. Es überragt sogar jenes höchste subjektive Prinzip der Natur in unserem Wesen: die befreiende Intelligenz, durch die der Mensch, der über sein ruhelos bewegtes Mental hinaus zum stillen ewigen spirituellen Selbst zurückkehrt, zuletzt frei wird vom ständigen Kreislauf des Geborenwerdens und der langen Kette des Wirkens, vom Karma. (437)

Darum, sagt die Gita, ist es dieser Purusha, diese erhabene Ursache unseres subjektiven Lebens, den wir verstehen und dessen wir durch die Intelligenz gewahr werden sollen. Auf ihn müssen wir unseren Willen festlegen. So können wir mittels des größeren, wirklich bewussten Selbsts den ruhelosen, immer aktiven Feind unseres Friedens und unserer Selbst-Bemeisterung, das Begehren des Mentals, zerstören, indem wir unser niederes subjektives Selbst in der Natur mit aller Kraft ausgeglichen und still halten. (98)

1 Zugleich scheint aber die Gita weithin den Mahayana-Buddhismus beeinflusst zu haben. Texte sind wörtlich aus ihr in die buddhistischen Schriften übernommen worden. Sie scheint also weithin geholfen zu haben, den Buddhismus, der ursprünglich eine Schule von quietistischen erleuchteten Asketen war, in jene Religion meditativer Hingabe und mitleidsvollen Handelns umgewandelt zu haben, die die asiatische Kultur so machtvoll beeinflusst hat.

2 die mythische Kuh Indras, Kamadhuk, die alle Wünsche erfüllt, d. Ü.

3 Sāyuya, sālokya und sādṛśya oder sādharmya. Sādharmya bedeutet: im Gesetz des Wesens und Wirkens eins zu werden mit dem Göttlichen.

4 die physische, vitale und mentale Welt, einschließlich der höheren mentalen Welten, d. Ü.

Die Botschaft der Bhagavadgita

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