Читать книгу Fachdidaktisches Orientierungswissen für den Religionsunterricht - Stefanie Pfister - Страница 7

Оглавление

2. Kriterien einer fachdidaktischen Orientierung

1. Der fachdidaktische Ansatz erlaubt sowohl den Lehrkräften als auch den SchülerInnen die Einnahme einer Innen- und einer Außenperspektive. Unter Beachtung der Innen- und der Außenperspektive kann das Kennenlernen christlicher Lebenspraxis ermöglicht werden.

Der Marburger Religionspädagoge Bernhard Dressler betont die Notwendigkeit der Einnahme einer Innen- und einer Außenperspektive im schulischen Religionsunterricht. Eine Differenzkompetenz könne weder mit der „Beschränkung auf eine religiöse Binnenperspektive“ noch mit der „Abblendung zugunsten einer bloßen Außenperspektive“1 ausgebildet werden.

Andere Weltzugänge und Weltdeutungen können aufgegriffen und in einen übergreifenden Sinnzusammenhang gestellt werden, so Dressler:

„Religiöse Bildung, die über Religion nur informiert, ohne deren Leistung für diese Verbindung von Weltdeutung und Daseinshermeneutik zu verstehen zu geben, unterbietet die Bedeutung von Religion so weit, dass damit nicht nur ein unzureichendes, sondern geradezu falsches Verständnis von Religion vermittelt wird.“2

Eine fachdidaktische Orientierung für den Religionsunterricht hat sich daher – unter Wechselwirkung und Beachtung der Außen- und der Innenperspektive – von drei Fehlinterpretationen abzugrenzen:

•Es geht nicht darum, dass ein fachdidaktisches Modell zur Planung von Unterricht mit dem Ziel eines christlichen Bekenntnisses führt und keine kritische Prüfung des Selbstverständnisses beinhaltet (nur Innenperspektive). Im Religionsunterricht geht es nicht um eine potenzielle Glaubensentwicklung, sondern Unverfügbares kann unverfügbar bleiben.

•Ebenso wenig geht es darum, dass man im Religionsunterricht mithilfe eines fachdidaktischen Ansatzes nur religionskundlich vergleicht (nur Außenperspektive).

•Auch das Bestreben, kirchliche Bezugs- und Berührungspunkte des Religionsunterrichts zu vermeiden und im Religionsunterricht kein Kennenlernen christlicher Lebenspraxis zu ermöglichen, ist eine Fehlinterpretation.

Fachdidaktische Ansätze können besonders die gelebte, christliche Lebenspraxis gut aufgreifen, z.B. die Performative Religionsdidaktik. Lehrkräfte des konfessionellen Religionsunterrichts nehmen dabei die notwendige Innenperspektive – als konfessionelle (und von der Wahrheit überzeugte) Lehrkraft – ein. Mit dem Bezug auf die eigene Konfession sind eine existenzielle Auseinandersetzung und das intensive und gründliche Kennenlernen der eigenen Konfession möglich. Dies sollte ein adäquates fachdidaktisches Modell ermöglichen.

Zugleich nehmen die Lehrkräfte die Außenperspektive, z.B. in der (Schul-)Öffentlichkeit und beim Beobachten ihrer Handlungen ein. Der Wechsel zwischen Innen- und Außenperspektive ermöglicht dann das kritisch-konstruktive Prüfen und Beurteilen der eigenen Konfession und der eigenen Handlungen. Wichtig ist dabei eine „transparente Positionalität“3. Dies kann in der Schule mit Schleiermachers Worten einen „religiösen Gedankenerzeugungsprozess“ im Diskurs mit Vertretern anderer Konfessionen und Religionen bewirken. Ein entsprechendes fachdidaktisches Modell sollte diesen religiösen Gedankenerzeugungsprozess unterstützen.

2. Der fachdidaktische Ansatz spiegelt die gemeinsame Verantwortung von Staat und Kirche für den konfessionellen Religionsunterricht wider. Im konfessionellen Religionsunterricht ist sowohl die Rede über Religion als auch die eigene religiöse Sprache möglich.

Das Fach Religionsunterricht ist in der Bundesrepublik Deutschland als einziges Unterrichtsfach ins Grundgesetz aufgenommen. Mit Ausnahme von Berlin, Bremen4 und Brandenburg wird der Religionsunterricht in Deutschland nach Artikel 7 Absatz 3 GG erteilt: als „ordentliches Unterrichtsfach“, „unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes […] in Übereinstimmung mit den Grund sätzen der Religionsgemeinschaften“.

Am evangelischen Religionsunterricht nehmen auch SchülerInnen anderer Religionen teil.5 Auch das Bundesverfassungsgericht bestimmte 1987:

„Die geordnete Teilnahme von Schülern einer anderen Konfession am Religionsunterricht ist daher verfassungsrechtlich unbedenklich, solange der Unterricht nicht seine besondere Prägung als konfessionell gebundene Veranstaltung verliert“.6

Die römisch-katholische Kirche betont dagegen die konfessionelle Homogenität und verweist auf die Trias von römisch-katholischen LehrerInnen, SchülerInnen und Inhalten.7

Der konfessionelle Religionsunterricht8 an der öffentlichen Schule stellt insgesamt eine gemeinsame Angelegenheit (res mixta) einerseits des Staats dar, der den äußeren Rahmen bietet und das Fach reglementiert (deutlich in der Ausbildung, Bezahlung, Dienstaufsicht, Zeittakt des Unterrichts, Notengebung), sowie andererseits der Religionsgemeinschaften, welche gewährleisten, dass die Inhalte des Religionsunterrichts mit ihren Grundsätzen übereinstimmen: Dies zeigt sich in der Mitwirkung bei der Erstellung von Lehrplänen, Begutachtung bei Schulbüchern, kirchlichen Lehrbefähigung (evangelisch vocatio / katholisch missio canonica). Die Bezugswissenschaften – die Evangelische und Katholische Theologie – sollen dabei „die zentrale Aufgabe der wissenschaftlichen Klärung, Beratung und Orientierung“9 für die Kirchen erfüllen.

Mit der Lozierung im Grundgesetz ist der Religionsunterricht grundgesetzlich geschützt, aber nur, wenn er – laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts – „in konfessioneller Positivität und Gebundenheit“10 in Bezug auf die jeweilige Kirche erteilt wird.

Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1987 ist demnach konfessioneller Religionsunterricht:

„keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln ist seine Aufgabe.“11

Die Spannung zwischen Staat und Kirche kann auch als gemeinsame Verantwortung gesehen werden und stellt einen pädagogischen und theologischen Mehrwert für die SchülerInnen dar: Im konfessionellen Religionsunterricht an der öffentlichen Schule kann sowohl sachliche Kritik und sachliche Zustimmung am religiösen Gehalt geäußert werden: Rede über Religion. Dennoch sind auch eigene Glaubensaussagen möglich (religiöse Sprache). Dieses Wechselspiel ist unabdingbar für die religiöse Urteilskompetenz und kann durch entsprechende fachdidaktische Ansätze aufgegriffen werden.

3. Eine fachdidaktische Perspektive ermöglicht es, dass zwischen Sachverhaltsvermutungen (im Sinne von puto: vermuten, glauben) und Sprechakten (im Sinne von credo: ich glaube/ich vertraue) unterschieden werden kann. Dadurch sind authentische Glaubensaussagen – die auf das nach Luther Unverfügbare hinweisen – ebenso möglich wie eine reflektierte Ablehnung des christlichen Glaubens.

Religiöse Kommunikation oder religiöse Äußerungsformen – Worte, Rituale, Gebete – ereignen sich „im Medium des Glaubens“ und verdanken „ihre Plausibilität also anders als die meisten anderen Äußerungsformen einer ganz bestimmten Form der authentischen Haltung (oder wenigstens ihrer Inszenierung). Wer im Medium des Glaubens spricht, setzt sich selbst in eine Position des authentischen Sprechers.“12 Damit wird die Authentizität religiöser Kommunikation betont: Religiöse Kommunikation wirkt durch die Form authentischer Selbstdarstellung,13 so Nassehi: „Soziologisch gesprochen: Religiös wird man durch religiöse Ansprache.“14

Daher ist es im konfessionellen Religionsunterricht wichtig, zwischen Sachverhaltsvermutungen und Sprechakten zu unterscheiden. So können authentische Äußerungen im Sinne von credo auf das nach Luther Unverfügbare, was sich im Geschehen von promissio und fides, Wort und Glaube, ereignet, hinweisen. Zugleich ist jederzeit eine reflektierte Ablehnung des christlichen Glaubens möglich. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für eine fachdidaktische reflektierte Orientierung im schulischen Religionsunterricht.

Hier wird auch die grundlegende theologische Unterscheidung von fides quae creditur (was geglaubt wird: Glaubensinhalt) und fides qua creditur (der Glaube, durch den geglaubt wird: Glaubensakt) deutlich, wobei im konfessionellen Religionsunterricht zwar die Kenntnisnahme (notitia) von Glaubensinhalten ermöglicht wird, die Zustimmung (assensus) und das Sich-Anvertrauen (fiducia) jedoch theologisch vermessen und pädagogisch aussichtslos sind.15

4. Der fachdidaktische Ansatz ermöglicht die Betrachtung des Lerngegenstandes aus verschiedenen Blickwinkeln, die Assoziierung mit anderen Wissensinhalten, kurz: die aktive Auseinandersetzung mit dem Lerninhalt.

Fachdidaktische Orientierung zeichnet sich nicht zuletzt durch eine gute Anwendbarkeit aus, indem z.B. Komplexität verringert wird, interessante Fragestellungen evoziert werden, motivierende handlungs- und produktionsorientierte Prinzipien ermöglicht und damit eine gute Hilfe zur Analyse, Planung und Auswertung von Unterricht gewährleistet ist. Damit bietet ein gelungener fachdidaktischer Ansatz didaktische und methodische Prinzipien, die sich in inklusiven Klassenkontexten gut umsetzen lassen.

Diese vier Kriterien lassen sich als Arbeitsfragen an jeden fachdidaktischen Ansatz anlegen und dienen der Überprüfung:

1. Erlaubt dieser fachdidaktische Ansatz den Lehrkräften und den SchülerInnen die Einnahme einer Innen- und einer Außenperspektive? Und kann – unter Beachtung der Innen- und der Außenperspektive – das Kennenlernen christlicher Lebenspraxis ermöglicht werden?

2. Inwiefern spiegelt dieser fachdidaktische Ansatz die gemeinsame Verantwortung von Staat und Kirche für den konfessionellen Religionsunterricht wider? Sind sowohl die Rede über Religion als auch die Verwendung eigener religiöser Sprache möglich?

3. Ermöglicht der fachdidaktische Ansatz, dass zwischen Sachverhaltsvermutungen und Sprechakten unterschieden werden kann? Können daher authentische Glaubensaussagen – die auf das nach Luther Unverfügbare hinweisen – ebenso wie eine reflektierte Ablehnung des christlichen Glaubens ermöglicht werden?

4. Ermöglicht dieser fachdidaktische Ansatz die Betrachtung des Lerngegenstands aus verschiedenen Blickwinkeln, die Assoziierung mit anderen Wissensinhalten, kurz: die aktive Auseinandersetzung mit dem Lerninhalt?

1 Bernhard Dressler: Inkonsistenz und Authentizität. Ein neues religiöses Bildungsdilemma? Bildungstheoretische Überlegungen zu Armin Nassehis religionsoziologischen Beobachtungen, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 64 (2002) 2, 10.

2 Ebd., 1. Dressler versteht dabei nun die Möglichkeit, dass „das Gottesverhältnis eine Lebensgeschichte auch unter Bedingungen einer funktional ausdifferenzierten modernen Gesellschaft tragen und begleiten kann.“

3 Bernd Schröder: Religionspädagogik, Tübingen 2012, 534.

4 Vgl. „Religionsunterricht oder nicht? Der Biblische Geschichtsunterricht im Lande Bremen“, in: Jürgen Lott (Hrsg.): RELIGION − warum und wozu in der Schule? Weinheim 1992, 81−102.

5 Der evangelische Religionsunterricht ist zwar nur für Schüler der entsprechenden Konfession verfasst, dennoch hat die EKD bereits 1974 für die Schüler der Sek. II die Möglichkeit eröffnet, auch am Religionsunterricht des anderen Bekenntnisses teilzunehmen. Vgl. Entschluss des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Religionsunterricht in der Sekundarstufe II vom 19. Oktober 1974, in: Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Bildung und Erziehung. Die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland Band 4/1, Gütersloh 1987, 89ff. Zudem wurde 1994 der evangelische Religionsunterricht sämtlicher Schulstufen für SchülerInnen aller religiösen Orientierungen geöffnet. Vgl. EKD (Hrsg.): Identität und Verständigung, Gütersloh 1994, 66.

6 Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.2.1987.

7 Vgl. Schröder: Religionspädagogik, 300.

8 Mit dem Begriff „konfessioneller Religionsunterricht“ beziehen sich die Autoren zwar insbesondere auf den konfessionell-christlichen Religionsunterricht, doch der Passus „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ ermöglicht es theoretisch, dass alle Religionsgemeinschaften Unterricht in ihren jeweiligen konfessionellen Ausprägungen erteilen könnten, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: „Gewähr der Dauer“, Definition von Grundsätzen, Akzeptanz des Grundgesetzes, ausreichend SchülerInnen, gestellter Antrag an den Staat. Vgl. Schröder: Religionspädagogik, 302.

9 Vgl. Landeskirchenamt der EKD (Hrsg.): Das Zusammenwirken von Landeskirchen und Theologischen Fakultäten in Deutschland. Empfehlungen, Hannover 2008, 9.

10 Vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.2.1987.

11 Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 1987. Vgl. auch Janbernd Oebecke: Reichweite und Voraussetzungen der grundgesetzlichen Garantie des Religionsunterrichts, in: Deutsches Verwaltungsblatt 111 (1996), 336–344. Auch in den Richtlinien und Lehrplänen (des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen) – hier am Beispiel der Grundschule – wird der Bezug zur Landesverfassung sowie die Konfessionalität deutlich betont: „Evangelischer Religionsunterricht […] gründet seinen Bildungs- und Erziehungsauftrag auf die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Fach Evangelische Religionslehre erschließt das Erziehungsziel „Ehrfurcht vor Gott und Achtung vor der Würde des Menschen“ nach evangelischem Verständnis. Maßgeblich sind dabei das Bekenntnis zu Jesus Christus und der authentische Erfahrungsraum der Schülerinnen und Schüler, in: MSW NRW (Hrsg.), Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2008, 151.

12 Armin Nassehi: Erstaunliche religiöse Kompetenz. Qualitative Ergebnisse des Religionsmonitors, in: Bertelsmann Stiftung (Hg.): Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2007, S. 113–132, hier: 121.

13 Vgl. ebd.

14 Ebd., 123.

15 Vgl. Schröder: Religionspädagogik, 209ff.

Fachdidaktisches Orientierungswissen für den Religionsunterricht

Подняться наверх