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Die neue Wohnung

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29. April 2014. Die älteren Herrschaften schauten sich genau um, ganz genau. Und sie lauschten, sahen aus dem Fenster des vierten Stockwerks. „Der Blick ist interessant“, sagt der alte Herr im edlen Zwirn zu der jungen Frau, die vor Aufregung und Nervosität kaum still stehen kann.

„Paps, das ist phänomenal hier, schau doch nur, die zwei Etagen, und das uralte Holz mit den dicken Steinwänden, oder das….“, ruft sie, doch der alte Herr unterbricht sie: „Ja, ja, wir sehen das, wir sind ja nicht blind, noch nicht. Deswegen sehen wir ja auch ganz deutlich die Ziffern des Kaufpreises. 520.000,-- Euro. Eine halbe Million, Schätzelchen, das ist heftig.“

Auch die ältere Dame, die Mutter von „Schätzelchen“ wirkt nicht so enthusiastisch wie ihre Tochter. Nun fällt seitlich ein Licht der Sonne in die frisch renovierte Wohnung und die Räume erhalten einen behaglichen warmen Ton. „Kind, so hübsch das ja auch ist, im Sommer werden die Kanäle muffeln, wahrscheinlich sogar stinken und mehr als ein paar Augenblicke Sonne wird es hier drin nicht geben“, sprach sie und wandte sich zum steilen Treppenaufgang in die obere Etage. Von der großzügigen, offenen Empore mit dem schicken Edelholzgeländer ist das untere, spätere Wohnzimmer gut einsehbar. Der ehemalige Speicher war zu einer charmanten, hochwertigen Wohnung umgebaut, die zu den ersten der zunächst 50 geplanten Wohnungen in der historischen Speicherstadt zählt.

Jetzt regt sich die Vermittlerin, die etwas abseits steht und die Eigentumswohnung verkaufen will. 3,1 Prozent Provision, da kann man sich schon mal ins Zeug legen. „Im Hamburger Zentrum liegt der Kaufpreis pro Quadratmeter bei rund 5.000 Euro, in Harvestehude liegt der Durchschnitt sogar bei 7.500,-- Euro je qm. Da ist der Preis für diese 106qm Maisonett - Wohnung nicht nur gerechtfertigt, sondern auch sehr niedrig. Es handelt sich ja um den Erstverkauf im Auftrag des Hamburger Senats und daher ist sie so preiswert. Werter Herr Johannsen, eine Wohnung in dieser Lage ist eine famose Wertanlage. Sie haben nahezu jedes Jahr eine Wertsteigerung von rund 7 Prozent. In noch nicht einmal 8 Jahren ist die Wohnung 1 Million wert. Die Hafen-City wächst und selbst da gibt es kaum noch eine freie Wohnung. Dort ist der Quadratmeterpreis auch höher. Aber hier haben sie die Hamburger Geschichte nicht nur vor Augen, sie leben im Herzen der Historie und sogar mitten im Zentrum der Stadt, direkt am Verkehrsfluss angebunden, aber dennoch ruhig.“ „Hm,, ja, das mag angehen“, grummelte Frieder-Ludwig-Peerfried Johannsen, der es in dieser Stadt durch Mut, Fleiß und dank starker Ellenbogen im Schifffahrts- und Frachtgewerbe zu großem Wohlstand gebracht hatte. 520.000 Euro würden ihn nicht in die Altersarmut treiben, nein, die Familie würde es gar nicht bemerken. Aber es ist schon ein Stange Geld und der alte Kaufmann wusste sehr wohl mit Geld umzugehen. „Nun gut, sehen wir mal weiter“, bestimmt er und führt die Besichtigung fort. Das Bad erscheint erstaunlich geräumig für die alte Speicherstadt mit ihren unterschiedlich großen Speichern und den dicken, mehrfach hintereinander gelegten Ziegelsteinen. Roswitha-Liselotte Johannsen springt aufgeregt voran, für die 27-jährige ist die Wohnung ein Traum. Sie war schon zum Beginn ihres Hochschulstudiums aus der elterlichen Villa in Blankenese ausgezogen und lebt aktuell in einer Wohngemeinschaft. Doch einerseits wird es ihr nach den Jahren in der Dreier-Mädchen-WG zu eng und zu hektisch und andererseits gibt es seit einigen Monaten einen Mann in ihrem Leben, mit dem sie ihre Zukunft plant. Es galt als sicher, dass sie als Betriebswirtin mit Fachgebiet Schifffahrtsfracht schon in Kürze eine beachtliche Position in einem Hamburger Unternehmen erhielt. Natürlich hatte der Papa mal ein bisschen herum telefoniert und ein paar Knöpfe gedrückt. Für den neuen, kommenden Lebensabschnitt musste nun auch eine eigene Wohnung her. Eine Eigentumswohnung in der historischen Speicherstadt ist für nahezu jeden Hamburger ein Traum. Doch meistens ein völlig unerschwinglicher. Aber eine schöne Mietwohnung in Hamburg zu finden war in diesen Zeiten kaum möglich und mieten kommt für die hanseatische Familie auch gar nicht in Betracht.

Am Fenster in der oberen Etage schauen Mutter und Tochter heraus auf den Kanal. „Aber du willst doch nicht gleich mit Jan zusammenziehen, oder?“ mahnt die Mutter fragend, ohne die Tochter direkt anzusehen. „Nein, Mama, das hat noch Zeit. Ich möchte nur ein kleines Reich für mich und alles andere sehen wir später.“

13. Mai 2014, 14:00 Uhr. Zwei Wochen später ist es soweit. Roswitha zieht mit ihrem noch spärlichen Hausstand ein. Die Möbel aus ihrem Mädchenzimmer, das sie zuhause in der elterlichen Villa noch nicht ganz aufgegeben hatte, wollte sie nur teilweise übernehmen. Manches gefiel ihr heute als erwachsene junge Frau nicht mehr. Ein schönes, historisch aussehendes Gitterbett steht jedoch schon im oberen Bereich, das hat die Mutti zum „Einwohnen“ geschenkt. Der im Zimmer integrierte begehbare Kleiderschrank ist salopp gesagt eine „Wucht“, es fehlen nur noch die Kleiderbügel. Ein kleiner Nachttisch, und jede Menge Kartons mit Kleidung stehen am Bett. Der untere Hauptraum, das Wohnzimmer, wirkt schon ohne Möbel sehr gediegen, großzügig und sogar behaglich. „He kleines Fräulein, das ist ja ein Traum“, scherzt Jan und die alten Herrschaften stehen mit einem zufriedenen Ausdruck am Treppenaufgang. „Also wir gehen dann und heute Abend führen wir Euch in die Hafen-City aus. Wir treffen uns um 20 Uhr im „Giovanni“, ein Tisch ist reserviert“, erklärt das Familienoberhaupt.

Beim Hinausgehen entdeckt Friederike-Liselotte Johannsen ein lockeres Brett zwischen der Treppe und dem Eckübergang zur Wand. „Oh, hier scheint was nicht in Ordnung zu sein“, sagt sie. Jan geht in die Hocke und wackelt am Brett, das sich überraschend mit kleinen Scharnieren ganz einfach öffnen lässt. „Schaut mal, das ist ein kleines Geheimversteck und da liegt sogar schon was drin!“, lachend greift er hinein. Alle staunen, denn Jan hält ein dickes, altes und verstaubtes Buch in den Händen. „Was für ein alter Schinken“, schmunzelt er und zeigt das Buch in die Runde. „Lass mal sehen“, Frieder Johannsen nimmt das alte Buch und geht ans Fenster. Das Buch ist in altem Leder mit seltsamen, eingeprägten Zeichen auf dem Einband gebunden und verwitterte Metallspangen schließen es. Die Seiten kleben aneinander.

„Oha, das ist sehr alt!“, stellt Frieder Johannsen fest.

„Die Schrift scheint griechisch oder so ähnlich zu sein“, murmelt Jan, der ebenfalls hinein sieht. Alle vier drängeln sich nun um das Buch „Hm, das sind Zeichnungen von der Speicherstadt und den einzelnen Speichern“, bemerkt das Familienoberhaupt. Mit vielen Strichen, uralten Zeichen und Verbindungslinien sind Räume und Gebäudeansichten auf das vergilbte Papier gezeichnet worden. Einige Seiten zeigen völlig verblichene, kaum noch sichtbare Schriftzeichen. „Da hat sich jemand sehr viel Mühe gegeben, was für eine wunderschöne Handschrift und diese akkuraten Zeichnungen. Was wohl diese seltsamen Zeichen bedeuten?“, fragt Friederike-Liselotte. „Wir sollten das mal prüfen lassen, vielleicht ist es wertvoll“, spricht Frieder Johannsen mehr zu sich selbst, als zur Familienrunde. „So kunstvoll und mühsam schreibt man heute nicht mehr. Es ist nicht gedruckt, alles ist fein säuberlich mit Hand und Feder geschrieben. Ja, so was gibt es heute nicht mehr“, erklärt er. „Wenn ich so was Altehrwürdiges sehe, wünscht man sich die alte Zeit wirklich zurück.“ Roswitha berührt das Buch, blättert eine Seite weiter und sinniert: „Ja, wunderschön, ich wünschte, diese Zeit wäre nicht vorbei. Solche Kunst hätte man erhalten sollen. Manches sollte wirklich so wie früher sein“, murmelt sie staunend, während ihre Finger sanft über das uralte Papier streicheln. Plötzlich zucken ihre Finger zurück, „das Buch vibriert, oh, was ist das?“, ruft sie erschrocken. Verdutzt schaut ihr Vater sie an. „Was meinst du?“ Er hat nichts bemerkt, doch Roswitha spürte ganz eindeutig etwas Elektrisierendes, eine Art Vibration. „Also irgendwas war da eben“, behauptet sie verunsichert. „Vielleicht eine elektrische Aufladung“, meint Jan. „Nach so langer Zeit und in deiner Kleidung ist doch Polyester und so. Das kennst du doch, wenn man einen kleinen Schlag von der Kleidung bekommt. Vielleicht ist irgendwas im Papier, Metallfäden oder so was.“ Der Vater nickt. „Ja, das lassen wir mal schätzen, vielleicht ist es wirklich wertvoll“. Roswitha berührt dieses Mal vorsichtiger das Buch, nimmt es ganz in die Hände. „Aber vorher möchte ich es mir mal genauer ansehen. Ich frage mal einen unserer Profs in der Uni. Da gibt es jemanden, der sich mit so was auskennt und vielleicht auch die Sprache lesen kann.“

Damit war das Kapitel „Buch“ abgeschlossen und Roswitha legt es auf die breite Fensterbank. „Gut, gut“, meint Frieder Johannsen, „dann bis heute Abend, seid bitte pünktlich.“ Roswitha schlingt ihre Arme um ihren Vater und knutscht fest seine Wange. „Danke Papa, du bist wundervoll“, flüstert sie in sein Ohr. „Ich weiß“, antwortet Frieder Johannsen mit einem zufriedenen Lächeln. Das Glück seiner Tochter ist ihm das Wichtigste in seinem letzten Lebensabschnitt. Als die Eltern die Tür hinter sich schließen strahlt Roswitha ihren Freund an. „Na, ich bin doch eine gute Partie, oder?“, lacht sie und beide fallen sich in die Arme. Nahezu gleichzeitig fummeln sie sich lachend und glucksend die Klamotten vom Leib und Jan trägt seine gute Partie die Treppe hinauf zum Bett. „Unser erstes Mal in deinem eigenen Heim“, flüstert Jan und küsst ihre linke, hart erregte Brustwarze, während seine ebenfalls stehende Männlichkeit den Eingang in Roswithas Herrlichkeit sucht und findet. Hingebungsvoll lieben sie sich im erprobten Rhythmus. Schweiß und der Geruch körperlicher Liebe breiten sich aus. Roswitha schlingt ihre Arme um seinen Hals, sie öffnet sich allen Gefühlen und lässt sich glücklich gehen.

ER

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