Читать книгу Does the Noise in My Head Bother You? - Steven Tyler - Страница 6

KAPITEL 2 INMITTEN VON TITTEN

Оглавление

Zwei Monate vor meinem achten Geburtstag – Elvis! »Heartbreak Hotel«, »Hound Dog«. Es war, als hätte mich eine radioaktive Spinne gebissen. Elvis … der Außerirdische. Aber Elvis war es nicht, der mich zum Rock ’n’ Roll brachte. Ich war noch zu jung, um das ganz zu kapieren. Vier Jahre später kamen Chubby Checker und Dimah, das unglaubliche tauchende Pferd, in mein Leben gestürmt.

Als ich zwölf wurde, war Chubby Checkers »Twist« der Hit. Es war die einzige Single, die die Top 100 der US-Billboard-Charts zweimal anführte. Ich hörte den Song mit meiner Familie im Sommer 1960 auf dem Steel Pier in New Jersey. Checker war derart eingeschlagen, dass selbst die Eltern ihn sehen wollten. Er spielte an diesem Abend live und ich bekam auch noch eine Frau zu sehen, die auf einem Pferd von einem Zehnmeterturm in ein Wasserbecken sprang. Der Moderator sagte: »Sehr verehrte Damen und Herren, Dimah das Wunderpferd wird in diesem kleinen Wasserbehälter landen. Die Reiterin, Miss Olive Gelnaw, führt Dimah bei diesem Zehnmetersprung. Seien Sie jetzt ganz still. Sie muss sich völlig konzentrieren, um das zu schaffen, andernfalls verfehlt sie den Behälter und stürzt sich zu Tode.«

Dimah und ihre Reiterin vollführten einen perfekten Sprung und landeten punktgenau. Das Wasser schwappte in einer großen Welle über die Wände des Behälters und die Menge johlte. Die beiden Bilder – Chubby Checker mit seinem »Twist« und das sexy Mädchen im Badeanzug auf dem riesigen Pferd beim Todessprung – verschmolzen in meinem Kopf. So wurde ich mit der Welt des Rock ’n’ Roll bekannt gemacht.

Ich hörte Sex in »Twist«. Ich wusste nicht, was Sex war, ich war noch jungfräulich, hatte auch keine Ahnung, wie man Sex macht, und ich wusste auch nicht, was ein Blowjob ist – »Ich soll mein Ding in deine was stecken?« Aber ich hörte Sex in der Musik. Und das liebte ich. Ich fand großartig, dass jemand Anspielungen auf die ursprünglichsten Instinkte – auf die Kernidee jedes Dates – in einen Song verpackte, und wenn er dann im Radio gespielt wurde und du gerade mit deinem Date beisammen warst, konntet ihr es am Ende tun! Wow! Und dann diese Leck-mich-Haltung! Alles, was du niemals sagen oder machen durftest – auf der Bühne und in der Musik ging es. Wie ist das in diesem Ian-Whitcomb-Song? Wo er singt wie ein Mädchen und dabei ein Mädchen anbaggert. Indem er in diesem durchgeknallten Falsett sang, war es möglich, unaussprechliche Gefühle rüberzubringen, und alle Mädchen wurden rot und verdrehten ihre Köpfe. Er hats kapiert, es wurde ein großer Hit. Sie hatten alle etwas gemeinsam: Die schrillen Falsettschreie von Little Richard stifteten die Beatles zu ihren hohen Harmonien an; und dann das Ende von Ian Whitcombs »Turn on Song«, das zu den Hörern sprach wie ein gehauchter, nasser Fleck, der aus dem Lautsprecher kroch, dich am Genick packte und deine Ohren weinen ließ … und du konntest nichts dagegen tun außer tanzen oder der Leadsänger einer Band zu werden und all das selbst zu tun.

Später dann erlebte ich Janis Joplin. Das war nun wirklich meine Welt – reine Emotion. Auf der Bühne gab sie diese stockbesoffene Thekenschlampe. Ihre heisere Deltastimme und ihre Bescheidwisserart waren das Ergebnis selbst durchlebter Erfahrungen und damit übertraf sie alle ihre Vorgänger. So wie sie einen Song sang, dachtest du, sie wäre die Straße einmal zu viel gegangen und würde es beim nächsten Mal nicht mehr schaffen. Sie hatte eine völlig neue Art von Selbstbewusstsein mit toxisch-überdrehtem Überflieger-»Superhippie«-Charme in ihrer Stimme, wie es noch nie zu hören gewesen war. Wenn du Janis erlebt hattest, fühltest du dich fast wie auf dem Weltkongress irgendwelcher Glaubensfanatiker. Genau so wirkte die Musik auf dein Bewusstsein; es war wie – oh Gott! Da war so eine überhitzte Sachlichkeit, eine drogenerzeugte, animalische Atemlosigkeit in der Art, wie sie »Piece of My Heart« schmetterte. Aber genau das war die Scheiße. Es war, als würde sie ihr Herz tausendmal verschenken und es nie zurückbekommen.

Janis dort oben – Janis, was für eine Grande Dame, wie eine Mutter, aber eine Mischung aus würdiger Lady und kackfrecher Nutte. Ende der Sechzigerjahre. Das war Janis für mich – ein revolutionärer Geist, der das Gefühlsklima veränderte.

Chuck Berry, Bo Diddley, Eddie Cochran, Little Richard. »Roll Over Beethoven«, »Who Do You Love«, AWopBopaLooBopALopBamBoom! Pures Adrenalin. Ein außerirdischer Greifarm packte mich und zog mich ins Mutterschiff.

Die Beach Boys! »In My Room«. Oh Gott! Ich kann nur sagen, dass meine Freundin schon heiß wurde, wenn ich diese Worte nur ekstatisch-entzückt aussprach. Bei diesem Song stand ich zum ersten Mal hinter meinem Schlagzeug auf, schnappte mir das Mikrofon des Bassisten und sagte: »Weißt du was, Kumpel, den singe ich jetzt!« Und siehe da – Abrakadabra – ich wurde zum Sänger! Ich kaufte einen Teleskopständer und steckte das Mikrofon dran. »Ladies and genitals, Applaus für den Sänger Steven Tallarico!« Aber ich bin meiner Geschichte voraus …

Mit fünfzehn wusste ich, was ich wollte – außer high zu sein und den Mädchen unter die Höschenschnur zu greifen. Schlagzeug! Der große Bruder eines Freundes hatte ein Drumset im Keller stehen. Wir schlichen hinunter und als ich es sah, war ich to-tal ver-knallt! Ich konnte kaum glauben, dass etwas zum Draufschlagen derart viel Lärm machen konnte – und es waren keine Töpfe und Pfannen. Ich setzte mich an die Snaredrum und damit war mein Schicksal besiegelt. Ich kaufte mir Übungsplatten von Sandy Nelson, der in den späten Fünfzigerjahren das Schlagzeugsolo im Popsong eingeführt hatte. »Let There Be Drums« von 1961 war sein großer Hit. Da macht er am Ende diese coolen Sachen, nur auf der Snaredrum. Das war Funk und Soul, ach, leck mich, es war alles! Ich zog meine Karte und landete genau auf diesem Feld im großen Spiel des Lebens. Meine Gehe-über-Los-Karte, meine Gehe-aus-dem-Gefängnis-Karte. Das war Zauberei; der Funk der Schwarzen, der Soul von Elvis, genau hier und jetzt hatte ich den Schlüssel zu allem, erst recht nachdem ich den Westchester Workshop Drums Unlimited absolviert hatte.

Ich nahm Unterricht bei WWDU. Ein Typ gab mir ein Gummiding mit dicken Stöcken und ich lernte die Grundlagen, Paradiddles und so Zeug. Ich lauschte Sandy Nelsons Platten, als wären sie neue Beatles-Songs. Mein Kopf steckte praktisch IM Lautsprecher, erfasste jede Bewegung, jede Klangnuance, ZELEBRIERTE sie geradezu. Aber am Schluss eines Albums spielte Sandy dieses Ding – wie eine Kreuzung aus 007-Gitarrenriff und Surfrock – ein Ventures/Dick-Dale-Rata-tat-tat, mit lauter Akzenten. Die Akzente sind alles. Er gab seinem Beat so einen Twist und an der Stelle wars passiert … die Art, wie er durch die Akzente den Beat drehte. Scheiße, hab ich nicht begriffen! »Ich muss wissen, wie das geht!«, schrie meine innere Stimme. Also ging ich, wie gesagt, auf Tauchstation und lernte es.

In der Scheune stand ich zum ersten Mal auf der Bühne. Das muss im Sommer 1963 gewesen sein. Eine Band namens Maniacs spielte und als sie ihr Set beendet hatten, kam ich dran. »Ich darf Ihnen vorstellen … Steven Tallarico.« Ich spielte das klassische Schlagzeugsolo aus »Wipeout«. Es war einfach die schnellere Version eines Highschool-Marchingband-Riffs, aber es klang astronomisch – der pure Sex-Drugs-and-Rock-’n’-Roll-Rausch. Alles klar, jetzt hatte ich es drauf! Ich machte einen Mordsradau in dieser zu Klump gehauenen Surferschießbude. Alle liebten es … und ich erst. John Conrad, der Manager der Scheune, strahlte – jetzt gehörte ich dazu.

Wenn ich heute, 49 Jahre später, daran denke, habe ich immer noch denselben Gefühlsrausch, dieselbe Energie und Freude, wenn die Endorphine mein Gehirn fluten. Es ist fast wie eine Sucht. Ich schließe die Augen und will nichts anderes tun. Das Set spielen und die Songs singen – diese Songs waren mein Ausweg.

In der Bronx war ich ständig in Straßenkämpfe verwickelt – sie dauerten bis zu eineinhalb Stunden, dann kehrte ich blutüberströmt heim. Viele haben mich in der Highschool gehänselt. Auf jüdischen Kindern wurde dauernd rumgehackt – sie bekamen im Leben zu spüren, was der anderen Seite erspart blieb. Vorurteile. In der Schule wurde ich angespuckt und »Negerlippe« gerufen. Die Kinder kniffen mich ins Ohrläppchen, was an kalten Tagen besonders wehtat. Aber dass man mich auch an der Bushaltestelle schikanierte, sollte sich als meine Rettung herausstellen. Anfangs fühlte ich mich von dem Spitznamen beleidigt, aber als ich singen gelernt hatte, wurde ich stolz auf ihn, denn es wurde mir bewusst, wo ich herkam. Meine schwarzen Wurzeln lagen in der schwarzen Musik und dafür brauchte sich niemand zu schämen.

Meine Familiengeschichte: Vor zweihundert Jahren lebten die Tallaricos in Kalabrien, der Stiefelspitze von Italien. Und davor? Sie waren Albaner, Ägypter, Äthiopier. Aber genau genommen sind wir letzten Endes – eigentlich Anfangs – alle Afrikaner. In kaltem Klima können sich menschliche Wesen nicht entwickeln. Bevor wir Menschen wurden, waren wir Affen, und wenn wir schon keine Kälte ertragen, wie soll es dann ein Affe, der sich nicht mal einen Mantel kaufen kann? Also, zu Beginn des Starts waren wir alle schwarz. Es ist albern, herumzulaufen und »Ich bin Italiener« zu sagen (wie ich das die ganze Zeit mache).

Ich wusste nun, wie ich den Schulprügeln entgehen konnte: Ich wurde Schlagzeuger in einer Band. Meine erste Gruppe hieß The Strangers: Don Solomon, Peter Stahl und Alan Strohmayer. Peter spielte Gitarre, Alan Bass, Don war der Leadsänger und ich spielte Schlagzeug. Wir bauten uns in der Cafeteria auf und legten nach der Schule los. Ich spielte »Wipeout« und sang »In My Room«. Wenn du in der Highschool nicht gehänselt werden willst, musst du unterhaltsam sein; so wie Dicke, die Witze erzählen, sich über andere lustig machen und schließlich in Ruhe gelassen werden. Ich war dürr, schräg drauf und hatte große Lippen. Ich ließ mir die Haare wachsen und spielte Schlagzeug in einer Band, das war mein Schlüssel zur Anerkennung. Von meinem Dad wusste ich viel über Musik, deshalb war Rock ’n’ Roll mein Mittel, die anderen auszutricksen.

Der Welt der Stars lag ich hoffnungslos zu Füßen. Im Brooklyn Fox lief ich auf die Bühne, um Mary Weiss zu berühren, die Leadsängerin der Bad-Girl-Group The Shangri-Las. Mit ihrem blonden Haar, der schwarzen Lederhose und den melancholischen Augen war Mary Weiss eine Teenagergottheit. Sie allein genügte, um Rock ’n’ Roll zu deiner eigenen Religion zu erheben, besonders wenn sie »Leader of the Pack« sang. Sie war extrem hübsch und tough und wurde später vom FBI verhört, weil sie ein Gewehr über die Grenze gebracht hatte. Ich war ihr total verfallen. Als ich Mary Weiss das nächste Mal begegnete, war es ein wenig intimer – wenn auch nicht mit ihrer Einwilligung. 1966 fuhr ich mit Chain Reaction, meiner damaligen Band, nach Cleveland, um bei der Teenietanzshow Upbeat aufzutreten. Ich wollte den Leadgesang machen, deshalb engagierte ich David Conrad (den Neffen von John Conrad, dem Manager der Scheune) als Schlagzeuger. Es gab keine Garderoben, also ging ich zum Umziehen aufs Klo. Ich hörte jemanden im Nebenklo. Weil ich dachte, es sei David, stemmte ich mich aus Spaß die Trennwand hinauf. Aber als ich über sie hinwegschaute, sah ich dort Mary Weiss sitzen, die schwarze Lederhose runtergezogen und die Muschi gut sichtbar. Davon kriegte ich so einen Ständer – ich träumte noch wochenlang davon! Und es versüßte mir viele kalte Winternächte in Sunapee.

Bei uns in Yonkers schloss niemand die Türen ab, deshalb musste ich mir, als Sex und Drogen in mein Leben traten, etwas einfallen lassen, um nicht beim Kiffen, Wichsen oder bei was auch immer ertappt zu werden. Ein ernstes Problem für einen Teenager. Ich hätte einen Stuhl vor die Tür stellen können, aber das war langweilig. Durch den Umgang mit Fallen hatte ich einiges mechanisches Geschick und ich erfand eine geniale Art, die Tür zu verschließen. Durch den Riegel – das Metallteil im Schloss, das in die Türzarge dringt – bohrte ich ein Loch, steckte den Draht eines Kleiderbügels rein und ließ ihn wie den Abzug einer Handgranate ein Stück herausstehen. Wenn man den Griff drehte, ließ sich die Tür nicht öffnen.

Dann entwickelte ich einen noch teuflischeren Plan. Ich bestellte mir eine Induktionsspule, das ist nichts anderes als der Transformator einer Spielzeugeisenbahn. Du drehst ihn auf 10, 20, 30, 40, dann brettert der Zug über die Schienen, bis er irgendwann entgleist. Ich verband die Induktionsspule mit dem Geländer der Treppe zu meinem Zimmer rauf, sodass es jeden, der das Geländer berührte, von den Füßen riss. Ich brauchte das nur für spezielle Anlässe, wenn ich oben mit einem Mädchen rummachte und meine Eltern nicht zu Hause waren, da benötigte ich ein verlässliches Warnsystem. JA, Leute bekamen Stromschläge. Aber nur meine besten Freunde! Ihnen sagte ich: »Fass das mal an!«, sie schrien Auuuu! und plötzlich hatten meine Kameraden Benimm. Ganz unverhofft.

Einmal legte ich einen Draht ganz runter bis in den Keller und wieder rauf unter die Couch und die Kissen. Ich entfernte ein Stück der Isolierung, bog die Drähte auseinander – den positiven und den negativen – und legte sie unter die Kissen, sodass jeden der Schlag traf, der sich auf die Couch setzte. Mein bester Freund war unten und aß Erdnüsse. »Da hast du ein Bier«, sagte ich, »ich komm gleich wieder!« Ich ging in mein Zimmer, drehte den Transformator hoch, machte die Tür auf und schaltete ihn ein. Ich hörte den Transformator summen. Dann wartete ich ab, was passierte … Auu! Nur ein übler kleiner Teenagerstreich.

Als »House of the Rising Sun« im Radio lief, hielt ich den Song für den besten, den ich je gehört hatte. Ich erlebte die Animals live in der Academy of Music und war von meinen Emotionen so überwältigt, dass ich vom Sitz aufsprang, den Gang hinauflief und dem Bassisten Chas Chandler die Hand drückte. Dann kamen die Stones. Rock ist meine Religion und diese Typen waren meine Götter!

Ich musste nicht bis zum Tempel des Todes gehen, um zu entdecken, was mich bei den Stones oder den Yardbirds so anzog – was damals mein sechzehn Jahre altes Köpfchen beschäftigte. Es war der Wunsch, selbst Songs zu schreiben und zur Zeit der ersten Brit Invasion Mitglied einer englischen Band zu sein, und – mehr als alles andere – Ruhm! Unsterblichkeit! Ich wollte mich in die Rillen der Schallplatten eingravieren. Ich wollte, dass traumschöne Mädchen meiner Stimme lauschen und weinen. Und ich stellte mir vor, dass noch tausend Jahre nach meinem Tod Leute aus entlegenen Galaxien »Dream On« hören und mit gesenkter Stimme sagen: »Das ist er, der seltsame Unsterbliche!«

Und dann spürte ich kurz die zärtliche Hand des Schicksals, als ich irgendwann 1964 zu Mick Jaggers Bruder Chris wurde. Mick Jagger war the baddest guy on the block und natürlich machte ich mir begeistert seine ganze Art zu eigen. Mick und Keith und alles – es überrollte mich einfach. »It’s All Over Now« war wie ein Bluesgüterzug, der direkt auf mich zuraste.

Im Sommer 1964 fuhr ich mit etlichen Kids aus Yonkers an einen See oben im Staat New York, in der Nähe von Utica, Bash Bish Falls oder so ähnlich. Langhaarig, sechzehn, ohne Band, aber einer von denen sagte: »Wow, du siehst aus wie Mick Jagger!« Und von da an … war kein Halten mehr! »Weißt du, ich bin Chris, Mick Jaggers Bruder! Der bin ich!« Ich knallte völlig durch. Katapultierte mich auf den englischen Planeten und sprach plötzlich mit Cockneyakzent. So ungefähr klang das: »Bloody bleedin’ poncey wanker, spot of Marmite, darlin’? Care for a leaper, mate? Ghastly weather we’re ’avin, innit?« Das nennt man wohl die verlorenen Jugendjahre. Als Kind kannst du in anderer Leute Persönlichkeit schlüpfen, dich völlig anverwandeln. Kann ich noch immer nachempfinden.

In dieser Zeit der British Invasion musstest du britisch sein, um Erfolg zu haben. Das Wichtigste war ein englischer Akzent. Und den hatte ich drauf. Ich habe noch die Zeitungsausschnitte über die Strangers zu Hause: »Steven Tyler, mit hängender Unterlippe wie die von Jagger, brachte die vorderen Reihen auf die Beine.« Das stand in der Zeitung. Die nahmen mir die Mick-Jagger-Imitation voll ab. Ich konnte es kaum glauben. Aber natürlich glaubte ich daran – mehr als sonst jemand auf diesem Planeten. Ich war er. Ich war gerade sechzehn, zählte in meinem Kopf aber schon zu »Englands größten Hitproduzenten«. Auch wenn die Strangers nicht sehr nach Stones klangen, eher nach einer schlechten Kopie von Freddie and the Dreamers. Yonkers’ größte Hitproduzenten – das kann hinkommen.

Anfang der Siebzigerjahre gab ich meine Begeisterung für Mick nur noch ungern zu, denn in der Presse stand immer dieselbe Mick-Jagger-und-Steven-Tyler-Leier und ich wollte so weit wie möglich weg von all den Vergleichen. Ich hoffte, man würde in meiner Musik eine eigene Leistung erkennen, statt Aerosmith nur als eine Tributeband und mich als Pseudojagger zu sehen.

Und doch, er war mein fucking hero. Sechs, sieben Jahre lang hatte ich eine Phase, in der ich nicht wagte, das der Presse gegenüber zuzugeben. Zuerst sagte ich: »Nein, gar nicht!« Dann rückte ich natürlich doch damit raus und sagte: »Na und ob!« Bis heute, bis zu dieser Minute, bis zu dieser Sekunde ist Mick Jagger mein Held. Ich weiß noch, wie ich Anfang 1966 in einem Club im West Village war, mich umdrehte und Mick Jagger und Brian Jones hinter mir sitzen sah. Kein einziges Wort brachte ich raus.

Ich wurde nicht mit einem Mal zu Steven Tyler, ich erfand ihn Stück für Stück. Er entwickelte sich aus den Auftritten in New Yorker Clubs, den LSD-Trips und dem Leben in Greenwich Village, wo wir zu Be-ins im Central Park gingen. All das prägte mich. Aber am meisten formte mich die Musik, die ich 64, 65, 66 hörte. Yardbirds, Rolling Stones, Animals, The Pretty Things mit ihrem wilden Schlagzeuger Viv Prince – er war Keith Moon, bevor Keith Moon der verrückte Who-Drummer wurde. Moon ging in den Marquee Club, um ihn zu sehen und sich ein paar mad moves abzuschauen. Und natürlich die Beatles, die ich im Shea-Stadion erlebte. Die waren der musikalische G-Punkt.

Ich bekam alle britischen Importe in einem Plattengeschäft in der IRT-U-Bahnstation in der 46. Straße. Die Singles der Yardbirds: »For Your Love«, »Shapes of Things«, »Over Under Sideways Down«. Das waren frühe Erfahrungen – aber nicht dass ich 1964 irgendwie in der Lage gewesen wäre, das alles zu verarbeiten und daraus zu lernen. Ich nahm Speed und hörte die Yardbirds, The Pretty Things, die Stones. Wie alt waren wir – sechzehn? Vor dem achtzehnten Lebensjahr bekam man nichts zu trinken, also griffen wir zu Gras und Pillen … Amphetamine, Marihuana, Christmas Trees, Dexedrine, Benzedrine. Im Winter fuhr ich rauf nach Sunapee, saß in der Scheune – draußen lag über ein Meter Schnee –, machte ein Feuer und nahm Speed, bis ich auf derselben Frequenz vibrierte wie der Scheiß auf den Schallplatten.

So langsam bekamen die Strangers Gigs. Anfangs spielten wir in vielen seltsamen Locations wie dem Banana Fish Park auf Long Island. Wir hatten sogar einen Slogan: »THE STRANGERS – ENGLISH SOUNDS, AMERICAN R & B«. Zu Ostern fuhr uns meine Mutter zu Auftritten in Sunapee. Wir spielten Sachen wie »She’s a Woman« und »Bits and Pieces« von Dave Clark Five.

Mein Motto war immer: »DURCH SCHEIN ZUM SEIN.« Wenn du ein Rock-’n’-Roll-Star sein willst (wie Keith Richards sagt), musst du erst mal vor dem Spiegel deine Moves einüben. Deinen Look. Du musst dir eine Ausgabe von Rave besorgen und sehen, was die coolen Typen im Swinging London momentan anziehen. Rave war Mitte der Sechziger das britische Magazin für angesagte Herrenmode. Schaut euch bloß Micks Hosen mit dem Hahnentrittmuster an. Und die grünen Schuhe. Wo hat Keith Relf diese Panoramasonnenbrille her, Mann? Über diese Dinge musst du gebieten, wenn du ein Rockstar sein willst. Musst in den aktuellsten Klamotten stecken, wenn plötzlich der Moment kommt, an dem der unstete Finger der Top Ten der Billboard-Charts auf dich zeigt.

Ich durchstreifte die Carnaby-Street-Nachahmergeschäfte von Greenwich Village für das definitive Teil. Kragenlose Hemden, Lederjacken, karierte Hosen bei Paul Sargent in der 8. Straße. Beatles-Boots mit hohen Absätzen aus Bloom’s Shoe Gallery im West Village oder bei Florsheim Shoes in der 42. Straße. Die hatten die geilsten Stiefel, mit hohen Absätzen, eng am Knöchel – die trug ich auf der Bühne. Dann gab es die Modschuhe, Ballettschuhe von Capezio in Knallfarben, geblümte Hemden und Seidenschals – okay, die Schals kamen später (angeregt durch Janis Joplin). Die bekam ich, wie die Räucherstäbchen, bei Sindori (hieß der Laden so?), einem Importladen gegenüber vom Fillmore East.

In unseren Anfangsjahren verteilte ich die Räucherstäbchen über alle Verstärker und vor der Bühne, um mein Territorium abzustecken. Ich dachte, wenn ich exotisches Zeug wie Myrrhe verbrenne, würde man mich schon an meinem Geruch wiedererkennen, so wie Gott in der Kirche. Ich wollte, dass man uns noch an etwas anderem erkennt als an den verstimmten Instrumenten und meiner hässlichen Mick-Jagger-Fresse. Als wäre ich ein Hund, der an den Bühnenrand geht, sein Bein hebt, pinkelt und sagt: »Gestattet eine kleine Gabe, die euch an mich erinnern soll.« Hunde pinkeln an Bäume, um ihr Territorium zu markieren; ich markierte meins mit Räucherstäbchen und Bannern – alten schottischen Tartans zum Beispiel, mit den Farben und Wappen der jeweiligen Clans.

Schon komisch, dieses besessene Imitieren der Engländer. 1966 bekamst du in der Delancey Street, wo sich die Schwarzen mit Klamotten eindeckten, eine schöne Lederjacke für 26 Mäuse … aber wer hatte damals 26 Mäuse? Ich lungerte vor der Bloom’s Shoe Gallery rum, nur um zu sehen, wer hineinging. Ich kaufte meinen ganzen Scheiß dort, nur weil sie das machten. Die Stones, die Byrds, Dylan. Mike Clark, der Drummer der Byrds, zeigte mir einen Ort in Estes Park, Colorado, wo er seine Mokassins gekauft hatte, die, die er auf einem Albumcover trug. Ich hatte ihn gefragt: »Wo kriege ich auch so ein Paar her?« Er gab mir die Adresse und ich kaufte sie mir, ich brachte sie später mit ins Studio, wo wir unser erstes Album aufnahmen. Ich nahm den Halter mit den Gummistempeln, mit denen man die Tonbandspulen für das Mastering kennzeichnete. Auf den Stempeln stand »DOLBY OUTTAKES«, »REMIX VERSION. SLAVE, MASTER« – alles, was man mit den Bändern anstellen konnte. Ich stempelte meine Mokassins, die ich fortan meine Aufnahmestiefel nannte, überall voll und trug sie, bis die Sohlen abfielen.

In Bloom’s Shoe Gallery begegnete ich Bob Dylan. Okay, er kam gerade raus und ich ging rein. Ich hätte ihm eine tolle Geschichte erzählen wollen und gesagt, dass ich in einer Band sei (war ich nicht). Und so gern hätte ich ihm gesagt, dass ich seine Stimme liebte (tat ich). Ich ging immer wieder nach Greenwich Village und spazierte in der Hoffnung herum, den Stones über den Weg zu laufen, was natürlich nicht passierte. Nie bekam ich die Chance, mit Dylan, Keith oder Mick zu sprechen, um sie zu fragen, wie zum Teufel sie ihre Songs schrieben. Ich nahm an, dass sie ihre Texte aus ihren Erfahrungen bezogen. Ich wusste, dass dabei Drogen im Spiel waren. Ich hatte gehört, dass Pete Townshends Stottern in »My Generation« vom Leapers kam, einem seltsamen britischen Speed. Tuinal, LSD, Gras – das kannte ich. Aber da gab es noch eine Droge namens »Koks«.

Ich hatte manches erlebt und nicht weniger Amphetamine eingeworfen als sonst wer; irgendwann beschloss ich, es sei Zeit für etwas anderes, als Speed zu nehmen und im Village abzufeiern. »Scheiß drauf«, dachte ich, »ich bleibe heute Abend zu Hause und mach einen auf John Lennon. Ich werde einen Song über meine vagen Ahnungen und meine gründliche Ahnungslosigkeit schreiben, der die Welt verändern wird.« Bis ich dort angelangt war, dauerte es noch eine Weile.

New York City war voller schräger Vögel – ich liebte das. Ich fuhr mit dem Wagen meiner Mutter in die Stadt, parkte ihn auf der Straße, bekam ein Knöllchen, warf es weg und fuhr wieder nach Hause. Ich weiß nicht, wie viele Strafzettel ich bekam, ich weiß nur, dass ich nie einen bezahlt habe. Ein aufstrebender Rock-’n’-Roll-Dillinger. Oder ich stellte das Auto in der Bronx bei der ersten Haltestelle hinter White Plains und Yonkers Raceway ab, nahm die Bahn und stieg an der 59. Straße aus, beim Columbus Circle. Die U-Bahnstation an der 59. Straße war nicht weit entfernt von der Stelle, wo Moondog mit seinem Speer und seinem Wikingerhelm stand. Er lebte auf der Straße, trug nur selbst geschneiderte Sachen und hielt sich für die Inkarnation des nordischen Gottes Thor. Er war so edel und geheimnisvoll, als wäre eine Figur aus der Mythologie auf der Sixth Avenue lebendig geworden.

Moondog schrieb »All Is Loneliness« (das Janis auf dem ersten Album von Big Brother and the Holding Company sang). Man sah ihn mit einem glatzköpfigen Typen, der dauernd verächtlich rumprustete und jedem Passanten »Fuck you!« entgegenschrie. Er hatte eine kratzige, raue Straßenköterstimme. Welcome to Freak City! Die Freaks waren auf der Straße, in den Clubs, im Fernsehen. Überall gab es wunderbare Außenseiter, niemand wusste, warum sie berühmt waren, aber alle waren es für irgendetwas. Ich liebte sie. Danach spazierte ich in den Central Park, rauchte Marihuana und hatte die schönste Gotham-Dröhnung.

Freitagnachmittags fuhren Ray Tabano, Debbie Benson, Rickie Holtzmans Freundin, Debbies Freundin Dia und ich nach Greenwich Village, denn dort lebten die Beatniks und wir wollten auch Beatniks sein. Es war 1964, im Sommer. Ich war ein weißer Junge aus Yonkers, der high und hip sein wollte. Wir saßen im Washington Square Park und tranken Southern Comfort oder Seagrams 7 (oder was immer wir gerade bekamen), bis wir von Schnaps, Pillen und Pot völlig zugedröhnt waren. Danach klapperten wir die Clubs ab. Kettle of Fish, Tin Angel, Bitter End, Night Owl, Trudy Heller’s, Café Wha?. Diese New Yorker Clubs waren meine Lehranstalt. Später spielten wir in jedem dieser Schuppen. Sie rochen nostalgisch nach muffigem Patschuli. Noch heute liebe ich den abgestandenen Geruch von Zigaretten und Bier in diesen Spelunken.

Eines Abends streunten wir im Village rum und sahen an einem Club ein Plakat, das eine Gruppe namens The Strangers ankündigte – die waren offenkundig schon etabliert und klangen besser als wir, deshalb beschlossen wir, unseren Namen in das leicht prätentiöse Strangeurs zu ändern.

Am Freitagabend fuhr ich in die Stadt, am Sonntag kam ich wieder nach Hause. Ich liebte das; genau so wollte ich leben. Wir saßen im West Village vor dem Tin Angel mit Zal Yanovsky von Lovin’ Spoonful auf einem Auto und tratschten. Er trug Kniebundhosen, ein Keith Richards aus der Bleecker Street. Und Josie die Dämonin – ein Transvestit, der in Greenwich Village umherstolzierte, mit keiner anderen Mission als der Demonstration exzentrischen Gehabes. Es war ein wilder Trip. Uptown New York waren das Ondine’s und Steve Pauls Club The Scene. Teddy Slatus war der Türsteher vom Scene, ein bissiger kleiner Kerl. Man ging die Treppe runter in den Keller und landete in einer Beatnikhöhle, die aussah wie in alten Filmen – niedrige Decke, klein, überfüllt, aber magisch. Jeder sah aus wie Andy Warhol. Steve Paul im Rollkragenpullover, groß aufgeschossen, redete in seinem Beatkauderwelsch so schnell und abgehackt, dass man kaum verstand, was er sagte, aber es war echt cool und eines Tages würde man es schon kapieren. Spät in der Nacht kreuzten Jimi Hendrix, Paul McCartney oder Brian Jones einfach so auf und spielten – auf einer winzigen Bühne, keine anderthalb Meter von dir entfernt. Ich trat dort 1968 mit meiner zweiten Band William Proud auf. Tiny Tim, eine verrückte libanesische Bohnenstange mit langen, fettigen Haaren, hoher Stimme und schlechten Zähnen, sang »Tiptoe Through the Tulips« und spielte dazu auf der Ukulele. Das war das Tolle am The Scene: Er wurde nicht wie ein Nebendarsteller behandelt – die Haltung war eher: »Das ist unser Artist in Residence. Er gehört hierher – wenn du das auch willst, musst du dich auf ihn einstimmen.«

Im Scene sah ich Bands wie die Doors und ich konnte kaum glauben, wie sich der Leadsänger da gebärdete. Ich dachte: »Wow, was für ’n Scheiß!« Aber vielleicht liebten die Leute die Doors gerade deshalb – weil sie wirklich glaubten, Jim Morrison wäre besessen. Alles spielte sich direkt vor dir ab. Kaum zu fassen, wie nahe du den Stars kamst. Du saßt an einem Tischchen und einen Meter entfernt war Jim, der Lizard King.

Ich war Steven Tally und machte alles nach – ich las die Gedichte, die Dylan las – Allen Ginsberg, Jack Kerouac, Gregory Corso. Im Kettle of Fish gab es Lesungen, bei denen Dylan auftauchte und seine unglaublichen Texte vortrug. Ich saß da, mit offenem Mund und wie gebannt.

1965 hatten die Stones zwei Monsterhits: »Satisfaction« und »Get Off of My Cloud«. Wir erfuhren, dass sie im Lincoln Square Motor Inn abgestiegen waren, also überredeten wir unseren Freund Henry Smith, uns im Wagen seiner Mutter dorthin zu fahren, der er sagen sollte, wir müssten proben. Ich hatte immer noch den Mick-Imitator-Look, unser Bassist Alan Strohmayer, der eine blonde Mähne wie Brian Jones hatte, kam auch mit. Als wir ankamen, waren die Straßen rund um das Hotel voll von Kids. Sehr niedliche, echt heiße Mädchen – Stones-Fans. Nun ja, wie sollte ich da widerstehen, in dieser Menge den Mick zu geben?

Ich lehnte mich aus dem Fenster und sagte mit sehr lautem, derbem Cockney-Akzent: »I say, I see some smashing crumpets out there, mates. Wot you doin’, later then, darlin’?« Sie flippten aus. »Mick! Mick!«, »Brian, ich liebe dich!« Tränen strömten ihnen übers Gesicht. Super – außer dass sie das Auto von Henrys Mutter demolierten, Antenne und Scheibenwischer abrissen. Es entstand ein Tumult, der im Fernsehen in den Abendnachrichten kam. Als wir heimkehrten, stand Henrys Mutter mit verschränkten Armen da: »Na, wie war die Probe, Jungs?«

Weil wir zu jung waren, um in den Clubs der Stadt etwas zu trinken zu bekommen, nahm ich Tuinal und Seconal. Ich zerrieb die Scheißdinger und schnupfte sie. Als ich Manhattan erreichte, war ich bereits völlig zugedröhnt. Später am Abend waren wir im The Scene und sahen Monty Rock III. Wir kannten ihn alle von der Johnny Carson Show im Fernsehen. Danach trat diese riesige Tunte mit dem Nomen-est-Omen-Namen auf. Er war total aufgedonnert, ein greller, schwuler Friseur/Rocker oder so was in der Art – man wusste es nicht genau. Er war eine spezielle Person, die spezielle Sachen von sich gab. Und, machts jemandem was aus?

Er trug Pseudomodklamotten und kam genauso überdreht rüber wie im Fernsehen. »Kommt doch mit zu mir nach Hause, Schätzchen!«, sagte er. »Ich hab da ein Riesending am Laufen!« Als wir ankamen, waren dort zwei große dänische Doggen, ein Schimpanse und eine entgiftete Kobra – die immer noch biss. Ganz abgesehen von den schrägen Blödmännern, die da rumlungerten. Und dann wir, die pubertierenden Grünschnäbel aus Yonkers. Wir checkten gar nichts. Debbie Benson war zum Niederknien, wir waren süße Jungs und plötzlich steckten wir inmitten all der heißblütigen Tunten. Jemand verteilte mit vollen Händen Placidyl. »Da, nehmt ein paar von denen!« Das waren Scheißberuhigungsmittel, Schlaftabletten. Monty hatte eine Badewanne in seinem Wohnzimmer. Ich schaffte es noch, den Stöpsel zu ziehen, und als das Wasser raus war, warf ich ein paar Kissen hinein und legte mich schlafen.

»Jim wird gleich hier sein«, sagte Monty. Jim Morrison kommt vorbei? Alle warteten darauf wie auf die Ankunft eines Gottes. Spät kam er und als er endlich da war, waren wir so zugedröhnt, dass wir dachten, es wäre Van Morrison. Wo wir waren, schmolzen die Worte zu Klängen, und Jim war irgendwo weit da draußen … vielleicht noch weiter! Wir pissten uns ein vor Angst. Wir waren derart verängstigt, dass wir uns im Schlafzimmer versteckten, schließlich schlüpften wir mit einer Kerze unter die Laken und zitterten am ganzen Leib, weil wir so zugedröhnt waren. Wie grotesk; wir hatten Angst davor, was wohl der Schimpanse den dänischen Doggen antut, ganz zu schweigen davon, was Monty mit Jim Morrison vorhatte.

Wir konnten nicht gehen und nicht sprechen. Wir warfen noch mehr Placidyl ein und so um zwei Uhr früh hatten wir einen Totalausfall. Gegen fünf Uhr wachten wir auf. Debbie weinte. »Das sind nicht meine Sachen«, sagte sie. »Was soll das heißen«, sagte ich. »Du hast noch das gleiche Kleid an wie am Abend.« Ihre Augen wurden glasig. »Aber das ist nicht meine Unterhose!« Ogoddogott! Ich sah an mir hinab und dachte, ach du Scheiße. »Weißt du was, das ist auch nicht meine.« Wir rannten die Treppe runter, Debbie krähte: »Ich bin vergewaltigt worden! Ich bin vergewaltigt worden!« Scheiße, wir alle wollten den walk on the wild side, aber das übertraf doch all unsere Erwartungen.

Auffällig an den Bands der British Invasion war, dass sie sich verhielten wie Gangs – insbesondere die Rolling Stones und The Who. Im Gegensatz zu den Beatles wirkten sie aufmüpfig und bedrohlich, wie Typen, mit denen man sich nicht anlegen wollte. Ich würde meine Einblicke in Gruppen und Gangs gern von den Stones mit ihrem kollektiven, irgendwie ledrigen Blick herleiten, aber in Wirklichkeit wusste ich schon lange vor dem Auftauchen der Beatles Bescheid, als nämlich die Gang, in der ich war, zu meiner ersten Band wurde.

Wie kommt man in eine Gang? Du gibst dich tough – und schauspielern lag mir schon immer. Ich war nicht tough. Ich war spindeldürr und in meiner eigenen schrägen Welt gefangen. Den harten Kerl zu geben ist leicht: Versuch einfach so unausstehlich wie es geht zu sein und dafür zur Sau gemacht zu werden. Dann misch noch einige bekloppte und verbotene Dinge hinzu – wie nackt über die Hauptstraße laufen oder Zeug für das Clubhaus klauen – und wenn sie gut aufgelegt sind, lassen sie dich rein.

In der Roosevelt High School gab es diesen Ray Tabano, er sollte zu einem Freund fürs Leben werden. Zum ersten Mal schlossen wir Freundschaft, als ich ihm sagte, er solle seinen Arsch aus meinem Baum entfernen (den er gerade bestieg). »Raus aus meinem Revier«, schrie ich. Ein paar Tage später musste ich teuer dafür bezahlen, als er mir die Scheiße aus dem Leib prügelte – aber das wars wert, denn schließlich wurde ich in seine Gang aufgenommen. Eigentlich war es mehr ein Club, er hieß »Green Mountain Boys«. Als Mitglied einer Gang war man besser vor den echten Schlägern in der Highschool geschützt. Auch bei den Mädchen fand es Beachtung, sie stehen auf eine bestimmte Sorte Arschlöcher.

Mit etwa vierzehn war ich viel mit Ray in der Bar seines Vaters in der Morris Park Avenue in der Bronx. Nicht der schlechteste Ort zum Abhängen. Er ließ uns Bier trinken. Eine lokale R & B-Band, The Bell Notes, trat dort auf, zwischen ihren Sets sangen Ray und ich ihren 59er-Hit »I’ve Had It«. Wir brachten auch den alten Leadbelly-Song »Cotton Fields«, aber in der geglätteten Folksongversion der Highwaymen, die damit 1962 einen Hit gelandet hatten. Später dann (während ich gleichzeitig immer noch mit den Strangeurs spielte) war ich mit Ray in einer Band namens The Dantes, die aus den Green Mountain Boys entstanden waren. Die Strangeurs waren poppiger und beatliger; die Dantes waren düsterer und stonesiger. Ich spielte nur einen Gig mit den Dantes.

Wie die Strangeurs zu ihrem ersten Manager kamen und wie ich deren Leadsänger wurde, das entwickelte sich eigentlich auch aus der Gang heraus – wegen Ray und Diebesgut. Ich hatte in dem kleinen Bonbonladen eines Juden in Yonkers, in dem ich Getränkekisten schleppte, einiges mitgehen lassen; bei der Inventur im Keller klaute ich Süßkram und Zigaretten, die ich Ray zum Verkaufen gab. Später arbeitete ich mich hinauf zum Supermarkt Shopwell an der Hauptstraße – immer größere Sachen, Schachteln und Kisten. Peter Agosta, der Marktleiter, teilte mich zum Einsammeln der Einkaufswagen ein, wo er mich unter Kontrolle hatte, damit ich nicht noch mehr Zeug aus dem Lager stahl. Warum er mich nicht gleich rausschmiss, werde ich wohl nie erfahren. Ich erzählte ihm, dass ich in einer Band spielte, und er wollte uns hören, also lud ich ihn zu unserem nächsten Gig ein, der sich als Sweet-Sixteen-Party von Art Carneys Tochter erwies. Dad hatte uns diesen Auftritt verschafft (er war der Klavierlehrer von Carneys Sohn). Peter Agosta mochte die Gruppe, aber er meinte, ich solle der Leadsänger sein – oh yeah! Wir holten Barry Shapiro für das Schlagzeug.

Das war die Zeit der psychedelischen Rockmusik. Die echt kosmische Single der Byrds, »Eight Miles High«, kam im März 1966 heraus. Sie vibrierte in deinem Gehirn, als wärst du auf einem Trip. Bei den Radiostationen kam der Song auf die schwarze Liste, weil man ihn für einen Drogensong hielt – ach nee! –, trotz der wenig überzeugenden Erklärung von Jim McGuinn, dem sei nicht so. Ich kann euch sagen, was »Eight Miles High« war … eine stratosphärische Rickenbacker-Symphonie!

Bald waren Ray Tabano und ich in weitere halbkriminelle Aktivitäten verstrickt. Um unseren Bedarf an Pot zu finanzieren, vertickten wir es selbst in kleinen Tüten. Wir kauften eine Unze für 20 Dollar, verkauften ein Drittel davon weiter und behielten den Rest. Ein cooler Deal und eine billige Art, high zu werden, bis …

Sie schleusten einen Drogenfahnder (der ungenannt bleibt) in unseren Töpferkurs an der Highschool. Der Scheißtöpferkurs. Der Spitzel ließ uns auffliegen, aber zuvor verkaufte er uns noch kleine Päckchen guten Shit von einer anderen armen Sau, die er verraten hatte.

Am 11. Juni 1966 buchte uns Henry Smith für einen Auftritt in einer Eislaufbahn in Westport, Connecticut. Am Nachmittag probten wir und machten Soundcheck. Ich hoffte, dass einige Leute aus der Stadt kämen, denn wir hatten noch ein weiteres kleines Konzert in Connecticut. Henry Smith, den »lebenden Mythos«, hatte ich im Sommer 1965 in Sunapee kennengelernt – er wurde zu einem engen Freund und zu einer Schlüsselfigur in meinem Leben. Er war von unserem Sound angetan, als wir in der Scheune Sachen spielten wie »Everybody Needs Somebody to Love«, »You Really Got Me« von den Kinks, die Byrds-Version von »Mr. Tambourine Man«, die ganzen aktuellen Hits und Knaller wie »Louie, Louie« und »Money«. Henry und sein Bruder Chris, unser erster Bandfotograf, verschafften uns die ersten Gigs in Connecticut.

Hinter der Eisbahn, auf der anderen Seite des Zauns, war ein Trampolincenter. In der Highschool war ich im Olympiajuniorenteam der Trampolinspringer; ich konnte 26 Rückwärtssalti am Stück, nicht gerade in vollendeter Haltung, aber tierisch hoch. Für drei Dollar konnte man in diesem Trampolinpark eine halbe Stunde lang springen. Es war niemand da, ich schaute mich kurz um und kletterte über den Zaun. Ich sprang von einem Trampolin zum nächsten, immer weiter, lauter Rückwärtssalti. Ich hatte so um die sechs Trampoline absolviert und wollte gerade in der nächsten Reihe weitermachen, als ich hörte: »He! Verpiss dich von meinen Trampolinen!« »Hör mal, Alter«, sagte ich, »wir spielen nebenan, willst du Karten?« Er hieß Scotty. »Oh, du gehörst zu der Band, die heute Abend spielt?« Das gefiel ihm. »Komm doch mit zu mir nach Hause!«

Ich ging mit zu Scotty. Netter Pool und der Kühlschrank voll mit St.-Pauli-Girl-Bier. Wir schwammen und köpften ein paar Flaschen, da kamen zwei Typen mit völlig bescheuerten Höllengokarts die Auffahrt raufgerast. Es waren Paul Newman und Derek Flint, James Coburn. Ach du Scheiße! »Scotty, was ist da los?«, fragte ich. »Oh, das ist mein Vater«, sagte er. »Welcher?« »Paul Newman«, sagte er. »Ich bin Scotty Newman, sehr erfreut.« »Du Arsch, wann hättest du mir das denn mal mitgeteilt?«

Paul Newman war sehr lässig und genauso cool wie der Unbeugsame. Ich fühlte mich wie im Film. Ich ging mit Paul und Scotty in die Sauna. Dort saßen wir schwitzend und Paul Newman zückte eine Flasche fünfzig Jahre alten Brandy, die er von der britischen Königin bekommen hatte; ich trank sie sofort aus. Ich trocknete mich ab, zog mich an und sah mich im Haus um. Auf dem Kaminsims stand mit seinen verschränkten Armen der Oscar von Joanne Woodward. »Wo ist Ihrer?«, fragte ich Paul Newman. »Na ja, ich habe noch keinen gekriegt, aber mein Freund hat diesen hier für mich gemacht.« Er sah aus wie ein Oscar, hatte aber weit vorgestreckte Arme statt verschränkten und auf der Figur stand: »Waas?« So im Sinne: Ihr übergeht mich immer noch, trotz all meiner großartigen Rollen?

Zwanzig Minuten später rief mich meine Mutter an, völlig hysterisch: »Sie haben es gefunden!«, schrie sie. »Mom, beruhige dich«, sagte ich. »Was ist los?« Sie erklärte es – und es war gar nicht gut. »Die Cops sind hier und haben dein Marihuana gefunden! Es war in einem deiner Bücher.« Oh je, die hatten meinen Stoff gefunden, den ich so clever zwischen den Seiten von The Hardy Boys and the Disappearing Floor versteckt hatte. »Komm sofort nach Hause!« Ich sprang ins Auto und fuhr heim. Als ich in die Auffahrt einbog, bemerkte ich einen unauffälligen schwarzen Wagen, der um die Ecke bog. Die Bullen legten mir Handschellen an und führten mich zum Wagen, derweil ich meine Unschuld beteuerte. »Was machen Sie da? Wieso bin ich verhaftet?«

Tja, ein Unglück kommt selten allein. Mein Vater kam früher nach Hause, weil er Geburtstag hatte. »Mensch, Dad, herzlichen Glückwunsch! Ich wollte, dass alle hier sind, um …« Filmreif. Action! Vater kommt die Einfahrt hochgefahren, während sein Sohn ins Gefängnis gekarrt wird. Es stand sogar in der Zeitung. Wie peinlich! Die italienische Erbschuld! »Dad, hast du eine Feile in deinem Geburtstagskuchen, die du mir leihen könntest?«

Wir wurden aufs Revier gebracht. Sie hatten ziemlich viele von uns auffliegen lassen, die meisten aus meiner Klasse. Wir zeigten ihnen durch das Spiegelfenster den Stinkefinger. Ich saß da, mit Handschellen an einen Gitterstab gefesselt, als dieses Arschloch, das mit uns gekifft hatte, reinkam und seinen Ausweis zückte: Deputy Sheriff. Der Fahnder war sehr zufrieden mit sich selbst. Ich spielte weiterhin die Opferrolle. »Wieso hast du uns verraten, du Töpfersau«, schrie ich ihn an. »Du hast uns reingelegt!« »Du kriegst das Buch noch um die Ohren gehauen, Kleiner«, sagte er beim Hinausgehen. Na ja, nicht das ganze Buch, aber ein paar Kapitel. Der Fahnder, der uns hatte hochgehen lassen, war auf Rache aus – sein Bruder war an einer Überdosis gestorben und wir waren die unglücklichen Opfer seines moralischen Kreuzzugs.

Bei der Anhörung fragte ich, ob ich mit dem Richter allein sprechen könne. Ich hatte genügend Folgen von Perry Mason gesehen, um über Verhandlungen im Büro des Richters Bescheid zu wissen … wenn man da einmal drin ist, kann man ihm jeden Scheiß erzählen. Ich sagte zum Richter, dass der Typ, der Fahnder, der Kriminelle sei – nicht ich. Er habe sich in den Töpferkurs eingeschlichen und uns erst auf das Gras gebracht und danach auffliegen lassen. Ich behauptete, nie zuvor etwas von Gras gehört, geschweige denn es probiert zu haben. »Er hat die Joints verteilt, ich schwöre es, er hat gemeint, das sei jetzt total angesagt. Ich bin Italiener, Euer Ehren (praktischerweise war der Richter das auch), und ich habe immer nach den Moralbegriffen meiner Eltern gelebt, nach den heiligen Überzeugungen der katholischen Kirche …« Matthew Broderick als Ferris Bueller war gar nichts im Vergleich zu mir.

Ich bekam einen Verweis und wurde auf Bewährung entlassen. Für alles musst du bezahlen, so läuft das System. Die gute Nachricht war, dass mir die vier Vergehen, die ich mir hatte zuschulden kommen lassen, den Vermerk »Jugendlicher Straftäter« auf meinem Einberufungsschein einbrachte – also keine Vietnamscheiße für mich. Die schlechte Nachricht … ich komme in einem späteren Kapitel darauf zurück. Nach Vietnam wäre ich sowieso nicht gegangen. Ich war dagegen.

Mein ganzes Leben verlief auf diese Weise. Natürlich flog ich auch von der Roosevelt High School, aber sie ließen mich den Gitarristen im Musical The Music Man spielen. Es gab ein Problem in River City – das Problem war ich. Kurz vor Beginn der Vorstellung ließ »irgendjemand« auf dem Klo einen Feuerwerkskörper hochgehen. Es war gegen Ende des Schuljahres, alle waren mit ihren Prüfungen beschäftigt und wenn mich nicht all dieser unglückselige Kram heimgesucht hätte, hätte ich wohl auch meinen Abschluss geschafft. Ich war am Boden zerstört. Als Andenken nahm ich die Basstrommel mit, die ich in der Marschkapelle gespielt hatte. Diese Trommel sollte später am Ende von »Livin’ on the Edge« mit quälender Rache wieder zum Leben erweckt werden.

Ich kam auf die Jose Quintano School für junge Fachkräfte, 156 West 56. Straße. Auf die Schule gingen ein Haufen Akademikerblagen und Kinder von Filmstars. Da gab es Schauspieler, Tänzer, das Mädchen, das Annie am Broadway spielte, solche Leute, aber es machte mehr Spaß als auf der Roosevelt High School. Jeder hatte diesen Durch-Schein-zum-Sein-Schlag weg. Steve Martin (er hieß wie der Schauspieler) war mit mir in der Oberstufe. Sein vollständiger Name war Steve Martin Caro. Einmal fragte ich ihn: »Was machst du heute Abend?« »Wir machen Aufnahmen«, antwortete er. »Ihr macht Aufnahmen? Was? Wo?!« »Im Apostolic«, sagte er. »Kann ich mit?«, fragte ich atemlos. »Äh, ja, klar«, antwortete er. »Wie heißt deine Gruppe?« »The Left Banke«, sagte er. »Du meinst die Left Banke mit ›Walk Away Renée‹?« »Yeah«, lächelte er. Da drehte ich durch. Er war der Leadsänger von Left Banke.

The Left Banke waren super. Mit den Rascals und Lovin’ Spoonful waren sie eine der großen New Yorker Bands, die dauernd im Radio gespielt wurden. »Welchen Song nehmt ihr auf?«, fragte ich. »Keine Ahnung. Wir kriegen die Noten, wenn wir ins Studio kommen.« »Hä? Du bist bei Left Banke und weißt nicht, welchen Song ihr aufnehmt?« »Nein, das bestimmt unser Produzent«, sagte er. Ich konnte es nicht fassen. »Wie zum Teufel kannst du das machen?«, fragte ich. »Du weißt nicht, was du aufnimmst, wenn du da aufkreuzt?«

Einer der Typen aus der Band hatte ein Goldköpfchen aus Acapulco. Ich stand auf Blonde, wie alle Jungs, und die Süße aus Acapulco sollte bald meine neue Freundin sein. Ich besorgte mir ein Tütchen Gras, eine dime bag, und los gings. Wir kamen zu den Apostolic-Studios, die waren riesig. Fünf Meter hohe Wände und ganz oben waren die Fenster des Kontrollraums. Da ging ich hoch. Ich weiß noch, dass ich den Streicherpart hörte und darauf wartete, Steve singen zu hören. Der Produzent und die Toningenieure schauten auf die Musiker hinunter in das Studio, drückten einen Knopf und sagten über Lautsprecher: »Hey, äh, singst du das noch mal?« Es lag ein Notenblatt auf dem Ständer. Ich war perplex. Das war hier anders als bei den Stones oder den Yardbirds, die ihr Material selbst schrieben, ihr eigenes Zeug spielten. Die hier konnten nicht mal ihre Instrumente stimmen. Der Einzige in der Band, der ein bisschen Ahnung von Musik hatte, war der Keyboarder Michael Brown. Sein Vater, Harry Lookofsky, war Studiomusiker und er kontrollierte alles. Er war Produzent und Arrangeur und er engagierte die Musiker. Michael McKean, der später David St. Hubbins spielte – den blonden Deppen mit der nervigen Freundin in This Is Spinal Tap –, war einer der Musiker im Studio. Ich habe echt immer noch ein Problem mit diesem Film; die Frau kommt der Wahrheit, wie ich sie erlebte, einfach zu nahe (weitere Ausführungen zu diesem Thema folgen). Bei ein paar Left-Banke-Songs habe ich backup mitgesungen, »Dark Is the Bark« und die Rückseite, »My Friend Today«.

Das war meine erste Erfahrung in Sachen Aufnahmen und ich wusste, wenn die das hinkriegten, schaffte ich das auch. Sie waren die ganze Zeit betrunken, meinliebermann. Ich hing mit dem Bassisten Tommy Finn in dessen Wohnung ab. Ich, der Junge aus Yonkers, trieb mich mit einer Truppe Jungs herum, die Hitsingles rausgebracht hatten und super Pot besaßen. Ich war schwer beeindruckt – ach was, ich war im siebten Himmel.

Kurz zuvor war Hendrix in den Apostolic-Studios gewesen. Gott persönlich. »Hendrix war vor zwei Monaten hier … und er hat dieses Mikrofon benutzt«, sagte der Toningenieur. »Welches denn?«, gierte ich. »Das Pencilmikrofon von Sennheiser.« Und ganz beiläufig sagte er noch: »Ja, und dann hat er es auf dem Klo einem Mädchen in die Möse gesteckt. Er hat sie damit gefickt!« Ich: »Waaaas? Hendrix hat dieses Mikro benutzt?« Als der Toningenieur sich abwandte, roch ich dran … das gab dem Begriff purple haze eine ganz neue Bedeutung. Ich schätze, ich wirkte etwas ungläubig, denn nun sagte er: »Ja, hör dir mal dieses Tape an! Du wirst es nicht glauben!« Woraufhin er mir einen Kopfhörer auf den Schädel drückte …

Ich hörte das schmatzende Geräusch, wie Jimi ihr das Mikrofon in die Muschi steckt, und sie, wie sie sagt: »Oh, das ist guuuut, Mann, das ist toll.« Ich hörte sie stöhnen: »Oh-ohhhh, ohhhhhh, ohhh, ohhhh!« Und als er fertig war, fragt Mister Electric Lady sie (kein Scheiß): »Hey, Baby, wie heißt du noch mal?« »Kathy«, schnurrt sie. Also das zum Thema moderne Mythen. Mit einem Mikro! Ich war in eine neue Liga aufgestiegen.

Die Strangeurs spielten als Vorgruppe für jeden, von den Fugs im Café Wha? bis zu Lovin’ Spoonful im Westchester County Center oder in New Yorker Diskotheken wie dem Cheetah. Am 24. Juli 1966 machten die Strangeurs den Opener für die Beach Boys im Iona College, New Rochelle. Pet Sounds war im Mai erschienen und hatte alle umgehauen. Es war sublime and subliminal und drang dir in dein Hirn. Wenn du das gehört hattest, warst du in einem anderen Universum. »Wouldn’t It Be Nice« mit »God Only Knows« auf der Rückseite war erst eine Woche vor unserem Auftritt rausgekommen und überall im Radio zu hören. Auf der Suche nach der Vorgruppe machten sie einen Wettbewerb. Wir spielten »Paint It Black« und bekamen den Job. Jetzt hingen wir mit den Beach Boys ab. Brian war schon damals in einer anderen Sphäre und vibrierte buddhamäßig.

Ich hatte meine erste religiöse Out-of-body-Erfahrung an dem Tag, als ich mit den Beach Boys auftrat. Gemeinsam mit sechstausend Kids vom Iona College sang ich »California Girls«.

Der Veranstalter Pete Bennett (ein ziemliches Schwergewicht in der Branche) kannte mich und meine Bands, er hatte uns in New York City spielen gehört. Ich musste das innere Leuchten eines Sufis gehabt haben – nach unserem Gespräch fühlte ich mich auf jeden Fall wie einer. Er fragte mich nämlich, ob wir was dagegen hätten, für die Beach Boys die nächsten vier Shows zu eröffnen, in New York und Umgebung. Ich sagte: »Lass mich kurz überlegen«, und antwortete schließlich mit einem großen fetten »JA!«.

Unseren ersten Aufnahmevertrag bekamen wir über Peter Agosta. Er kannte Pete Bennett, der bei Apple Werbechef der Beatles werden sollte und mit Elvis, Frank Sinatra, den Stones und Dylan gearbeitet hatte. Bennett verschaffte uns eine Audition vor den Verantwortlichen von Date Records, die zu CBS gehörten. Damals schaffte man im Lastenaufzug sein Equipment rauf, baute sich im Vorstandszimmer auf und spielte vor. Wir brachten ein paar Nummern, dann holten sie ihren Produzenten Richard Gottehrer, der später mit Seymour Stein Sire Records leiten sollte. Gottehrer bot uns einen Deal an: sechstausend Dollar! Okay, einverstanden.

Wir nahmen den Song »The Sun« auf, der nach Lennon-McCartney klang. Er kam 1966 auf den Markt, wurde wenig gespielt und kam in den USA nicht so gut an. In Europa war er ein großer Hit: »Le Soleil« nannte man ihn dort. Er geht darum, wie man die Nacht über aufbleibt und beobachtet, wie am Morgen die Sonne aufgeht.

It comes once a day through the shade of my window

It shines on my bed, my rug, and my floor

It shines once a day through the shade of my window

It comes once a day and not more.

Don Solomon hat selten besser gespielt als bei diesem Song. Auf der Rückseite war »When I Needed You«, ein bisschen härterer Rock, ein wenig experimenteller … unsere Version der Yardbirds. An diesem Punkt mussten wir noch einmal unseren Namen ändern – CBS war in Sorge, dass unsere komische Schreibweise The Strangeurs sich nicht deutlich genug von den anderen Strangers unterschied und wir einen Prozess an den Hals kriegen könnten. So wurden wir zu Chain Reaction – Kettenreaktion, ein kontinuierlicher, unaufhaltsamer Energiefluss.

Damals zog ich aus Yonkers weg und in die 21. Straße West, ins einzige blaue Gebäude des Straßenblocks. Dort wohnte ich mit Lynn Collins, einer wunderschönen Blonden, die ich meinem Gitarristen Marvin Patacki ausgespannt hatte. 1969 sah ich Led Zeppelin im Tea Party. Als die Band von der Bühne kam, ging ich nach hinten, um den Typen Hallo zu sagen, denn Henry Smith arbeitete für Bonzo und ratet mal, wer da am Arm von Jimmy Page aus der Garderobe spaziert kam – Lynn Collins. Sie war ein echtes Luxusgroupie und ich dachte: »Wenn ich sie schon verliere, dann wenigstens an eine Legende wie Jimmy Page.«

Henry wurde unser erster (bezahlter) Roadie und weil er aus Westport, Connecticut, stammte, einer wohlhabenderen Ecke als die, aus der ich kam, konnte er uns lukrativere Auftritte besorgen. Henry buchte Chain Reaction für Gigs, die wir allein nie zustande gebracht hätten, Openings für Sly and the Family Stone, die Byrds und, um mir den Rest zu geben, für die Yardbirds. Jimmy Page war am Bass, Jeff Beck an der Leadgitarre und wir alle im siebten Himmel. Wir fuhren mit unserem Equipment im Kombi meiner Mutter hin. Die Yardbirds hatten einen Lieferwagen. Wir luden unser Zeug aus und stellten es auf den Gehweg, während sie ebenfalls ausluden. Sie hatten fantastisches Equipment, ich machte einen kleinen Scherz: »Passt auf, dass wir hier nichts verwechseln.« Ich sah, wie Jimmy Page sich mit seinem Verstärker abmühte, und sagte: »Moment, ich helf dir.« So kann ich denn behaupten: »Ich war Roadie der Yardbirds.« Immerhin hatte ich etwas, wovon ich erzählen konnte, damals, als Aerosmith Flügel bekam.

Kurioserweise erhielt Henry Smith, der noch immer unser Fulltime-Roadie war, drei Jahre später einen Anruf seines alten Kumpels Brad Condliff, Türsteher im Salvation Club in Greenwich Village. Der fragte ihn, ob er nicht seinem Buddy Jimmy Page und seiner kürzlich gegründeten Band, den New Yardbirds, aushelfen könne (behandle Türsteher immer mit Respekt). Henry kaufte ein Ticket nach London, schnappte seinen damals einzigen Besitz, eine große, mit Aufklebern übersäte Werkzeugkiste, in die er ein paar Unterhosen und einige Gramm Pot stopfte, und machte sich auf den Weg nach Europa, um seinem alten Freund mit seiner neuen Band zu helfen, die im Sommer drauf Led Zeppelin werden sollte.

Jeder neigt dazu, seine Vergangenheit auszuschmücken, ich auch – um bedeutsam erscheinen zu lassen, was geschehen oder auch nicht geschehen ist. Und wenn du gerade am Anfang stehst, ist jede Story gut. Jeff Beck spielte Gitarre, Jimmy Page Bass – es war die zweite Besetzung der Yardbirds (nachdem Eric Clapton die Band verlassen hatte), eine abgefahrene, unaufhaltsame, überlaute R & B-Maschine. »Train Kept a-Rollin’« erschütterte dich bis ins Mark – Rauch und Flammen schossen hervor, die Erde bebte, wenn dieser Güterzug auf Methamphetamin an dir vorbeidonnerte.

Jeden Morgen vor der Schule goss ich mir einen Plastikbecher mit Dewar’s Whiskey oder Wodka voll und kippte ihn runter. Beim Haarefönen hörte ich »Think About It«, die letzte Single der Yardbirds. Ich nahm den Schlauch vom Staubsauger und steckte ihn in das Ausgangsloch, sodass es herausblies, schaltete ihn ein und frühstückte erst mal. Danach war der Staubsauger warmgelaufen und ich fönte mein nasses Haar zu einer Brian-Jones-Gedächtnisfrisur. Schönes Haar ist dir gegeeben! Ich nähte Knöpfe an meine Cowboystiefel und befestigte drei, vier Schlaufen aus Zahnseide innen an meinen Hosenbeinen, die ich an den Knöpfen festmachte, sodass meine Hose nie raufrutschte. So was gefiel mir! Ich war ein durchgeknallter Modefreak. Ich brauchte morgens eine Stunde, um mich fertig zu machen, ging zur Schule und kriegte nur Stunk. Jeden Tag landete ich im Büro des Direktors. »Tallarico, du siehst aus wie ein Mädchen«, sagte er. Ich versuchte es ihm zu erklären: »Es gehört zu meinem Job … Rockmusiker, Sir.« Das war natürlich völlig sinnlos.

Von Winter 1966 bis Frühjahr 1967 bekam Chain Reaction weiterhin gute Gigs – zum Teil durch Pete Bennett. Wir spielten auf Tanzvergnügen der Radiostation WMCA Good Guys. Wir traten als Vorgruppe für Left Banke, die Soul Survivers, die Shangri-Las, Leslie West and the Vagrants, Jay and the Americans und Frank Sinatra Jr. auf. Little Richard sagte eine unserer Shows an – das Urbild des Besessenen mit dem ganzen verrückten Kram, den er anstellte. Was für ’n heißer Scheiß. Und selbst total überdreht noch völlig unter Kontrolle. Keine Ahnung, wie er das schaffte. Er nahm Amylnitrit. Gruseliges Zeug. Es gab nicht viele Drogen, die ich ablehnte, aber bei diesem Scheißdreck sagte ich: »Ohne mich!«.

Pete Bennett wollte die Band loswerden und nur mich managen, aber das lehnte ich ab, obwohl es mit Chain Reaction damals schon bergab ging. Nach drei Jahren hatte ich endgültig genug davon, Beatles-Songs zu covern. Ich dachte über eine Hardrockband nach. Unser letzter Gig war am 18. Juni 1967 im Brooklawn Country Club in Connecticut. Wir machten noch eine Single, die im Jahr darauf bei Verve Records rauskam: »You Should Have Been Here Yesterday« und »Ever Lovin’ Man«. Das wars. Die Kettenreaktion hatte aufgehört.

Im Sommer 1967 hockte ich ohne Band in Sunapee und überlegte, was ich jetzt tun wollte. Ich war eine lokale Berühmtheit mit Platten in der Jukebox, aber niemand kam, um zu fragen: »Wo tretet ihr denn auf?« Ich gründete eine neue Band, sie hieß William Proud, mit Twitty Farren an der Leadgitarre. Twitty kam von der akustischen Gitarre und sang mit einem Typen namens Smitty im Anchorage. Twitty und Smitty waren Lokalgrößen in New Hampshire. Sie coverten Simon and Garfunkel perfekt, lieferten eine verblüffende Version von »Sounds of Silence«. Den Sommer über spielten wir in Southampton, dabei entstand der Song »Somebody«, der auf dem ersten Aerosmith-Album ist. Ich hatte bei den meisten frühen Songs von Chain Reaction mit Don Solomon zusammengearbeitet, aber erst mit »Somebody« (das ich gemeinsam mit Steve Emsback schrieb) wurde mir bewusst, dass ich einen wirklich guten Song komponieren konnte. Und die innere Stimme heulte auf: »Los jetzt, dranbleiben!«

»When I Needed You«, die Rückseite der ersten Single von Chain Reaction, hatte einen Hauch Yardbirds, aber »Somebody« war Yardbirds in Reinkultur. Die Yardbirds waren ungewöhnlich und unvorhersehbar. Sie ließen einen Popsong wie »For Your Love« (in Moll) unheilvoll wie ein Klagelied klingen. Wie von abgefuckten R & B-Mönchen auf Zeitreise. Gregorianischer Gesang! Abgefahrener australischer Wobbleboardsound! Cembalo und Bongotrommeln! Eigentlich erfanden sie das Rocksolo als eigenständige Ausdrucksform. Die Yardbirds dosierten kleine Terzen und Quarten wie Alchimisten. Sie waren die erste Progressive-Rock-Band mit ihren fernöstlichen Klängen in »Over Under Sideways Down« oder den heulenden Sirenen in »Happenings Ten Years Time Ago«. Ich liebte das Merkwürdige und Geheimnisvolle an ihnen.

Als Henry Smith für Led Zeppelin arbeitete, schrottete Jimmy Page seine Lautsprecher und Henry schickte sie mir. Ich hatte zwei große Hirschgeweihe von Achtendern aus New Hampshire, die rechts und links von meinem Bett hingen. Dort hängte ich die Lautsprecher auf und malte sie dick mit phosphoreszierender Farbe an, fünf, sechs Schichten, sodass sie, wenn man eine Lampe daran hielt, ewig in der Dunkelheit leuchteten … na ja, zumindest für zehn, fünfzehn Minuten, aber wenn man so bekifft war wie wir in der Highschool oder Halluzinogene genommen hatte, war das ausreichend.

Ich malte Schnurrbärte auf die Poster von den Beatles und den Stones und bemalte die Schubladen und Griffe der Schränke mit phosphoreszierender Farbe, sodass der Raum eine psychedelische Höhle war, wenn ich schlafen ging! Ich machte Punkte an sämtliche Ecken und Kanten der Möbel. Punkt, Punkt, Punkt (vielleicht ging es da los mit meinem …-Ding), dann noch ein großer, dicker Klecks und danach überall im Zimmer, bis zu sechs Schichten, damit das Licht lange hielt.

In der Mitte des Zimmers, am Fußende meines Bettes, hatte ich über einen Bereich von knapp vier Metern (von der Tür bis zum Fenster) 15 dicke Gummibänder gespannt – wirklich stark dehnbare – und befestigte in der Mitte ein Senkblei von 150 Gramm, das ich zehnmal in phosphoreszierende Farbe getaucht hatte, sodass es leuchtete wie ein rotglühender Schürhaken. Wenn man das Senkblei losließ, hüpften die Gummibänder wie verrückt … bis sie in Zeitlupe im ganzen Zimmer hin und her schwangen … und schon war man unterwegs im Raumschiff Enterprise. Als ich mit siebzehn, achtzehn auszog, war mein Zimmer eine Wunderkammer. Ich lebte in einem Reich pulsierenden, phosphoreszierenden Lichts. Ich rauchte einen Joint, gab den Gummibändern Schwung und ließ das Blei in der Mitte hin und her pendeln. Danach drehte ich Association, Pretty Things, Brownie McGhee, Sonny Boy Williamson und diese verrückten frühen deutschen Elektroniksachen voll auf. Wenn meine Freunde kamen, hüllte ich sie ein in mein phosphoreszierendes Audiowunderland.

Mit Don Solomon und Ray Tabano fuhr ich einen Tag früher zum Woodstock-Festival. Wir sagten den Leuten, wir seien Ten Years After – wozu ein britischer Akzent nicht alles gut sein kann –, und sie ließen uns rein. Wir schlugen uns durch den Wald bis zur Hog-Farm. So hieß die Kommune von Wavy Gravy in Tujunga, Kalifornien – die am längsten bestehende Hippiekommune der Sechzigerjahre. Am Ende bezeichneten sie sich als »flexible, halluzinatorische Großfamilie« – das war die Art Familie, zu der ich gehören wollte. Beim Woodstock-Festival war die Hog-Farm daran beteiligt, Wege zu bahnen, Feuerstellen zu graben und eine Küche zu errichten. Der Weg, der einen halben Kilometer durch den Wald führte und von Lichterketten beleuchtet war, hieß Groovy Way.

Zur Woodstock-Zeit war ich zugedröhnt wie nichts Gutes. Jeder fragte damals: »Woodstock, Woodstock – warst du dort?«, aber das Lustige daran ist … bestimmt die Hälfte der Leute, die dort waren, wussten nicht, wo sie waren. Durch einen Waldstreifen, den bunte Glühbirnen erhellten, ging ich von der Hog-Farm zum Bühnenbereich. Ich war so high, dass ich dachte, jetzt kriegst du Botschaften vom Mutterschiff. Wir warfen nicht nur eine Pille ein … ich hatte bereits eine geschnupft. Kann man LSD überhaupt schnupfen? Mein Freund Ray kannte Owsley. Er rief ihn an und gab ihm Tipps zur Produktverbesserung: »Mehr Farben, Alter! Mehr Farben!« So high, wie ich war, hätten mir Buddha, Murf the Surf und die Zahnfee über den Weg laufen können, ohne dass ich auch nur die Braue gehoben hätte.

Also, wirklich gern wäre ich auf meinem Spaziergang über den Groovy Way einer dahinschlendernden Janis Joplin über den Weg gelaufen! Aber es reichte schon, zu wissen, dass sie in Woodstock war. Als ich Janis singen hörte, war ich völlig fertig. Alle halten Mick für mein wahres Idol, aber an dieser Stelle gestehe ich (dafür sind Memoiren schließlich da), es war Janis. Die Tücher am Mikrofon, das Schreien – alles inspiriert und durchdrungen von der einzig wahren Janis. Sanft ruhen ihre Gebeine, verzeiht mir, dass ich weine. Cole Porter, Nat King Cole … die göttlichen Stimmen meiner Jugend … doch niemand reicht Sankt Janis das Wasser.

Und dann lief ich – nicht zu fassen – auf dem Groovy Way keinem Geringeren als Joey Kramer über den Weg! Joey war in einer Band namens The King Bees, einer jüngeren Ausgabe der Dantes. Ich werds nie vergessen, dieses Aufeinandertreffen in Woodstock … wir beide zugedröhnt bis über die Ohren. Ich liebte den Drogenrausch, die vibrierende, molekulare Trance. Die Moleküle tanzen durch den Körper, die Hände sprühen Funken. Bewusstseinsveränderung? Ja bitte! Mit Psychedelika gelangst du an Orte, die du auf natürlichem Weg nie erreichst.

In der Literatur war Aldous Huxley einer meiner Gurus. Er hatte nach Experimenten mit Meskalin Die Pforten der Wahrnehmung geschrieben. Er war vorgedrungen in das kosmologische Märchenreich, das sich dem Radar der Alltagswelt entzieht. Ah, wie kommen die Punkte auf die Forelle? Der Rabe hats gemacht! Der Kojote lachte und es regnete zwölf Jahre lang. Solche Geschichten. Als Jugendliche dachten wir: »Wow, wie genial!« Es gab noch andere Typen – Coleridge, de Quincey –, die auf Laudanum waren (dem Heroin des viktorianischen Zeitalters)! Aber all diese seekers and freakers, deren Denken nicht in Schablonen passte, den Horizont überstieg … mit denen konnte was nicht stimmen. Mit mir stimmte auch dauernd was nicht. Ich war immer der künftige Patient, prosaisch gesagt, und deshalb der bad boy, selbst bei fucking Aerosmith! Gerade bei fucking Aerosmith! Aber zu einer gründlicheren Diagnose meiner selbst kommen wir später.

Falls es eine fünfte, sechste Dimension gibt … Falls? Also bitte! Jedenfalls stelle ich mir vor, dass es dort ungefähr so ist wie auf Droge. Mit ganz anderen Schwingungen. Mal im Ernst. LSD half mir, über neue Pläne und Möglichkeiten nachzudenken, Dinge zu sehen und zu fühlen, die es gar nicht gab. Ich ging mit allem bis an die Grenze, nüchtern oder stoned. Als ich in meine neue Wohnung zog, machte ich alle Lichter aus, setzte mich in der schwarzen, endlosen Ungewissheit auf einen Stuhl und sagte: »Komm schon, du Arsch! Na los! Na los! Wo bist du? Ich warte. Wenn du hier bist … dann sei auch hier. Und wenn du später aufkreuzt, trete ich dir in den ektoplasmatischen Hintern!« Dämonen gegenüber musst du entschlossen einen rauen Ton anschlagen, sonst springen sie dich an.

Nachdem ich mir ein paar Tage lang mit Trips das Hirn weggeblasen hatte, fiel ich in die tiefe, dunkle Grube apokalyptischer Schwärze. Damals hatte ich noch keine Ahnung von Drogen. Wie fantastisch musste es sein, Heroin zu schnupfen, derweil dein LSD-Trip nachlässt. Du gerätst ins Taumeln, UFOs haben dir die Synapsen ausgetrocknet, du denkst wirr über das Sterben der Sterne nach. Alles ist unendlich tief und zugleich bedeutungslos. Die Mikroteilchen der Lysergsäure lassen das ganze Universum zur Größe einer Erbse schrumpfen – dann brauchst du eine Valium! »Dosierung bei Abklingen eines LSD-Trips: ein bis drei Tabletten.« Das sollte auf der Packung stehen.

An dem Morgen, als Hendrix spielte, war Woodstock zum Schlachtfeld geworden. Wir liefen ziellos herum und plötzlich hörte ich ba-ba-baa-baa-baa, die ersten Noten der jimifizierten Nationalhymne. Es war gegen drei Uhr, als er loslegte. Hendrix war so clever. Er war die ganze Nacht aufgeblieben. Ich sah ihn herumlaufen wie einen Besucher aus Xanadu. Er spielte »The Star-Spangled Banner« und wusste, dass er damit alle aus dem Schlaf holte. Das war genial! Es war wie ein Strahlenbericht, gesendet von Alpha Centauri an the third stone from the sun.

Nach drei Tagen Frieden, Liebe, Musik und riesigen Mengen Drogen sah Woodstock aus wie Vietnam auf LSD. Die Leute aßen Melonenschalen; Hubschrauber brummten und schwirrten überall. Als alle weg waren, sahen die Felder aus wie nach einer Schlacht, nur ohne Körper – Schlafsäcke statt Leichen.

Irgendwer hatte den Tankdeckel von Don Solomons Auto geklaut. Da es seit zwei Tagen geregnet hatte, war der Tank voll Wasser und wir konnten nicht wegfahren. Ich habe bis heute die Coca-Cola-Kühlbox, die ich damals mitgehen ließ, und ich sammelte alle herumliegenden Pfeifen ein. Da hing auch so eine Fahne mit einem Strichmännchen mit Füllhorn und einem Penis oder Schweif, den es zwischen die Beine geklemmt hatte. Die habe ich auch geklaut. Die Schneiderinnen von Aerosmith, Francine Larness und ihre Schwester, machten mir eine Nachbildung davon, die besitze ich noch.

In Woodstock hörte ich mir Hendrix, Joe Cocker und The Who näher an. Wirre Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich sie auf der Bühne sah: »So großartig könnte ich eines Tages auch sein.« Die Erlebnisse beim ersten Woodstock-Festival waren wesentlich stärker als die beim zweiten, auf dem wir 1994 spielten. Da waren jede Menge Leute backstage und die Presse belagerte uns. Wenn ich aus dem Wohnwagen trat, hatte ich jedes Mal eine Million Blitzlichter im Gesicht. Das war nicht meine Vorstellung von Woodstock, ich wäre lieber draußen durch den Schlamm geschlittert. Wäre ich als Zuschauer dort gewesen, hätte ich »scheiß drauf« gesagt und alles noch einmal erlebt.

Beim echten Woodstock war ich in einem Zelt, das plötzlich ein komisches Geräusch machte wegen der Hubschrauber – es zitterte – es war lebendig! Ich ging raus, mein Hirn war mit LSD geflutet. Ich war atomisiert, Funken stoben aus mir wie bei einem Feuerwerk, und, ja leck mich, wenn das nicht Würstchen regnet! Attacke! Der Hubschrauber sprach zu mir: »AUS DEM WEG!«, sagte er wie Gott der Herr aus einer Wolke, nur dass es Armeehubschrauber waren, die Hunderte Kilo Hot Dogs (und Pfannen und Töpfe zum Kochen) in riesigen Netzen abwarfen. Sie schwebten drei Meter über dem Boden und ließen ihre Ladung fallen. Ich ging hin, nahm einen Topf … und begann zu trommeln. Da kam noch einer und machte dasselbe. Bald darauf schlug ein Dutzend Leute auf die Töpfe, dann zwei Dutzend … drei. Sogar Ken Kesey war da und machte mit! The original bona fide hippie drum circle. Und der Beat änderte sich ständig, weil Leute aufhörten und dazustießen, aufhörten und dazustießen. Das dauerte Tage … oder jedenfalls Stunden, die uns wie Tage vorkamen.

Der Vietnamkrieg war schrecklich, aber wir schlossen Frieden, indem wir Pot rauchten. Heute gibt es das nicht mehr, nur noch diesen Ecstasydreck und Clubs und – diesen ganzen Scheiß. Damals hat man einen Joint rumgehen lassen und alles war »make love, not war«. Jeder war dein Freund. Wenn du einen nur näher anschautest, hast du bald darauf zusammen mit ihm gekifft. Und das bezauberndste Zeug dahergelabert. In den Sechzigern hatten wir eine gemeinsame Basis … und Pot und Drogen waren ein Teil davon. Das war unser magisches Dreieck: Pot, Rock, Vietnam (und die Bürgerrechte).

Wir machten einander das Peacezeichen und wenn einer nickte, sagtest du: »Wolln wa ein’n durchziehn? Haste ’n Joint?« Es war herrlich. Heute weiß man nie, was in dem anderen vorgeht. Ich sehe Leute auf der Straße und weiß nicht, ob es da gleich einen Kuss oder was auf die Nuss gibt. Geh du von mir aus ins Internet oder twitter – wir hatten Zugriff auf den gesamten Kosmos! Okay, jetzt klinge ich wie eine Figur aus einem Crumb-Comic – oder wie Oscar aus der Sesamstraße. Aber ich habe gerade rausgekriegt, warum Typen wie ich zu Grantlern werden … die Welt geht den Bach runter, jeder hat sich abgewandt oder aufgegeben, und nachmittags gibts kein Baseball mehr.

Ich warf LSD ein und ging in die Stadt. Wenn man runter auf den Gehweg sah, schien er zu schmelzen. Ich lief auf einer großen, grauen, funkelnden Schlange. Sie zitterte, wenn ich auf sie trat. Der Gehweg lebte! Und dann gab es das Electric Circus im East Village mit dem Rubber Room. Ich nahm LSD und ging da hin. Ich lebte dort! Der Rubber Room war ein gepolsterter Raum für Leute auf dem Trip, weil sie kamikazemäßig drauf waren und sich niemand verletzen sollte.

One Sheridan Square im West Village – da gingen die Stones und die Animals hin. Ich saß dort und hörte den Song »Judy in Disguise (with Glasses)« von John Fred and His Playboy Band.

Es war der Beginn der Disco-Ära, in diesem Club lief die Musik tierisch laut und wir alle sagten: »Scheiße, Mann, tolle Mucke!« Die Musik in den Clubs war markerschütternd laut! So fing das alles an. Und niemand verkaufte die T-Shirts zu dieser Revolution. Stellt euch vor! Kein Mensch verkaufte 1971 T-Shirts! Was ging nur in unseren Köpfen vor?

In den späten Sechzigerjahren fuhr ich voll auf Haight-Ashbury ab. Ich hatte meine Mick-Imitationsphase überwunden – wie Mick selbst. Ich stand mehr auf – ich will nicht sagen, meine feminine Seite, aber auf das flippige Frauenzeug, das Marianne Faithfull und Anita Pallenberg den Typen verpassten. Die kunterbunten, verlotterten, mittelalterlichen Troubadourklamotten. Irgendwann begannen die hippen Läden der King’s Road ihre Sachen zu exportieren, in die New Yorker Filiale von Granny Takes a Trip zum Beispiel. Als ich meinen persönlichen Stil zu kultivieren begann, war ich sofort von diesem Anita-Pallenberg-Keith-Richards-Zigeunerlook angezogen. Aber nachdem ich Janis gesehen hatte – wurde sie zu meinem Mode-Idol.

Anita und ich wurden gute Freunde. Immer wenn ich in England bin, versuche ich sie zu besuchen. Das letzte Mal traf ich sie an ihrem Arbeitsplatz in der Boutique der Designerin Vivienne Westwood, jetzt Dame Vivienne. Sie hatte die Klamotten der Sex Pistols entworfen und machte später ihr exzentrisches Zeug zum Mainstream – wenn man ihre wilden Outfits Mainstream nennen kann. Ich durchstöberte die schrägen Sachen im Geschäft, als sich eine Frau von hinten näherte, mir die Hände erst über die Augen, dann um den Hals legte, wobei sie mir fast das Genick brach, und sagte: »Wer bin ich?« »Hmm, ich gebs auf.« »Deine beste englische Fotze!« Es war Anitas Cockney-Englisch mit starkem Akzent.

Vor einigen Jahren, als Keith und Anita noch in Bing Crosbys ehemaligem Haus auf Long Island lebten, verbrachte ich ein paar Tage bei ihnen. Ich hatte ein ausgefallenes Buch über schwarze Magie in einem abgefahrenen kleinen Buchladen in New York gekauft. Der Typ holte es von hinten. Ich nahm es mit. Ein satanisches kleines Leseerlebnis für ein Wochenende auf dem Land. Es handelte von der Entstehung der sieben Todsünden und so düsterem Zeug. Als Anita es unter meinem Bett entdeckte, flippte sie aus. Sie zerriss das Buch. Als ich sie fragte, warum sie das getan hatte, schrie sie mich vor Keith an: »Wie kannst du es wagen, das in mein Haus zu schleppen?« Zu dem Zeitpunkt waren wir alle schon bis zur Halskrause voll mit Koks.

Die Sechziger und wir – wir kamen ungestraft davon. Und die Leck-mich-Haltung lebt fort! Wer heute Robert Crumb liest, dem stehen all diese Gestalten sofort wieder vor Augen. Der würde sagen: Hey, guck mal, einer wie aus ’m Crumb-Comic. War ’ne tolle Zeit! Ein bisschen lahm und schmuddelig, aber egal, Robert Crumb schuf Mr. Natural und Flakey Funt und Anglefoot McSpade. Das war so geil.

Ende der Sechzigerjahre lebte ich nahe der Sleepy Hollow Restorations, gleich vor der Tappan Zee Bridge. Auf der Rückfahrt von Yonkers oder New York in meinem Volkswagen war ich oft so high von den Haschkeksen und Aufnahmesessions, dass ich die Ausfahrt verpasste und über die Brücke fuhr. Upps, Kleingeld vergessen! Ich fahre ohne Geld über die Brücke! Das Problem: Nach New York rein musst du Maut bezahlen. Ich fuhr rüber und sagte: »Ich habe leider kein –!« Jedes Mal in Todesangst. Das passierte ziemlich oft. Ich erinnere mich, da war ein Baum, der sich bei Sonnenuntergang herrlich gegen den Himmel abhob.

Mit achtzehn wollen die meisten Jugendlichen erwachsen werden. Ich nicht! Meine Klassenkameraden, die wussten, wo’s langging! Kriegten einen Job und gingen jeden Tag zur Arbeit. Die wurden erwachsen. Aber ich stand da mit meinen 22 Jahren und wusste nicht weiter. Was sollte ich machen? Klavierstimmer werden wie Onkel Ernie oder wie mein Dad in der Cardinal Spellman High School Musik unterrichten? Angst beschlich mich.

»Sich verwirrt zu fühlen, ist der Anfang wahren Wissens«, sagte mein Freund Khalil Gibran.

Okay, aber er lebte nicht in Sunapee und nahm Crystal. Mann, ich liebte Speed! Diese Sorte, die brannte, wenn man sie reinzog, die man im Kühlschrank aufbewahren musste. Die blau war und entsetzlich stank. »Iih, schmeckt ja widerlich!« Ein gewöhnungsbedürftiger Geschmack, an den ich mich ohne große Mühe gewöhnte. Du brauchtest nur das Papier zu essen, in das es eingewickelt war, und schon wars scheißegal.

Ich liebte auch Quaalude, vor allem wenn ich total high vom Speed oder Schnupfen war. Jedes Mal, wenn ich auf Entziehungskur war, hieß es: »Sie rennen den Drogen hinterher.« Und ich dann: »Yippie!« Es ist, wie wenn man ein schnelles Auto hat und dahinrast, aber manchmal muss man anhalten und tanken; doch während du tankst, denkst du an nichts anderes, als so schnell wie möglich wieder im Auto zu sitzen. Jedes Mal wieder! Dein Stoff ist alle, du rennst raus zum Dealer, um dir welchen zu holen, dann sitzt du wieder im Auto und durchbrichst die Schallmauer und dein Verstand rinnt dir aus den Ohren und dann sagt einer: »Probier mal das hier!« Es ist wie Ethanol und du drückst auf diesen Knopf und der Verstand beruhigt sich wieder.

Die wildesten Orte, an denen wir auftraten, waren die Studentenverbindungen. Mit Fox Chase spielte ich im Bones Gate – das war die berühmt-berüchtigte Verbindung in Dartmouth, Vorbild für Ich glaub’, mich tritt ein Pferd. Auf diesen Partys saß ich am Bierfass und wenn sie mit dem Zapfen loslegten, machte mir keiner was vor. Fox Chase war die letzte Band vor Aerosmith, in der ich spielte. Direkt davor, 1969, war ich mit William Proud auf Long Island, bis die Gruppe sich auflöste und ich wieder nach Sunapee ging.

Ich hatte kein Geld. Ich war verzweifelt, verstoßen und verdammt. Ich wusste nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. William Proud hatte in jedem Nachtclub, jedem Dreckloch, jedem Gewerkschaftshaus, jeder Turnhalle, bei sämtlichen Bar-Mizwas und Veteranentreffen im Umkreis von fünfzig Meilen gespielt. Wir hatten alles ausgeschöpft, es gab keinen Ort, an dem wir noch nicht aufgetreten waren. Die Stunde der Wahrheit kam eines Abends im Village, weit draußen bei Southampton auf Long Island.

Dort würgte ich unseren Leadgitarristen Twitty Farren bei einer Probe beinahe zu Tode. Topp das, Alice Cooper! Mittendrin blickte ich auf und sah, wie Twitty – übrigens ein hervorragender Gitarrist – gähnte. Und ich fragte mich: »Liegt es an der Hitze oder ist er nicht mehr mit ganzem Herzen dabei?« Ich ging ab wie eine Rakete, sprang über das Schlagzeug, um ihm in den verdammten Arsch zu treten, aber ich fiel über meine Hi-Hat und schlug mir das Bein auf.

Ich stürmte aus dem Club, streckte meinen Daumen aus und trampte den ganzen Weg bis nach New Hampshire … ohne Schlagzeug, ohne Band, ohne Hoffnung. Trotzdem sagte ich immer noch zu meiner Mutter: »Mom, ich werde ein so großer Star, dass die Mädchen hier von den Dachbalken hängen und die Jungen zum Fenster reinklettern und die Türen einschlagen. Wir werden alles verrammeln, einen zwei Meter hohen Zaun aufstellen und Rollläden einbauen lassen müssen. Wir brauchen Überwachungskameras und elektrische Tore, um die tollwütige Meute draußen zu halten. Oder wir müssen umziehen.« »Natürlich, Steven.« Meine Mutter glaubte immer an mich, sie war eingefleischte Romantikerin.

William Proud – Peter Bover, Twitty Farren, Mouse McElroy und Eddie Kisler – bekams nicht hin. Es machte zwar Spaß, wir hatten immer noch Gigs, aber das waren alles kleine Brötchen, es führte zu nichts. Der Weg des Schicksals sieht anders aus. Ich war in einer Familie aufgewachsen, in der sich alle sehr nahestanden, und wahrscheinlich hatte ich Heimweh oder wie immer man das heute nennen will.

Der Sommer ging zu Ende, die Stadt war kalt. Niemand zur Stelle, keine Drogen, nichts gab es dort oben – alle waren fort. Nur Öllampen, Kerzen, Winter, Wind, der durch die Kiefern pfeift. Keine Band, keine Pläne, keine Zukunft – und die Bürgersteige wurden hochgeklappt. Es war meine erste »Season of Wither«. Und dann, in der siebten Stunde des siebten Tages, hörte ich Joe Perry spielen …

Does the Noise in My Head Bother You?

Подняться наверх