Читать книгу Cappuccino Amore - Susanne Fülscher - Страница 6

modell versager

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Antonio liebte seinen Kiez, den Prenzlauer Berg, und inzwischen mochte er auch den Hinterhof, auf den man durch den Torbogen zwischen dem kitchen und dem Saigon gelangte.

Vor einigen Jahren war hier noch alles grau und marode gewesen (allein aus diesem Grund war Antonio ein paar Straßen weiter in eine hübsch renovierte und dennoch bezahlbare Wohnung gezogen), doch nach und nach hatten die Besitzer das Vorderhaus und die beiden Seitenflügel renoviert und hellgelb getüncht. Nur das Gartenhaus, in dem sich Karl mit Antonios Exaffären Ebbi und Helen WG-technisch eingenistet hatte, moderte immer noch im alten Stil vor sich hin.

Ein bunt gemischter Haufen bevölkerte den Hof: Studentinnen und Studenten, ältere Damen und Familien, Ehepaare mit viel Schotter, Ehepaare mit wenig Schotter, alleinerziehende Mütter mit meistens gar keinem Schotter – daneben gab es einige wenige skurrile Lokale und Läden, die Anwohner und Touristen gleichermaßen anlockten. Dazu gehörten natürlich der Vietnamese, das Saigon, und das Café kitchen im Vorderhaus. Im Innenhof befand sich im linken Seitenflügel die Boutique chic-y-micki, direkt gegenüber im rechten Seitenflügel die Kondomerie rosarot, um die Antonio bisher jedoch immer einen großen Bogen gemacht hatte. Wenn er Kondome brauchte, kaufte er sie in irgendeiner anonymen Drogerie, möglichst in einem anderen Kiez. Sein bester Freund Jupp nannte das verklemmt, er selbst fand es bloß diskret. Schließlich ging sein Kondomverbrauch niemanden (und schon gar nicht die Nachbarn) etwas an.

Noch vor ein paar Wochen hatte Antonio den Wohnungsmarkt geprüft – vielleicht sollte er doch in diesen quirligen Hinterhof umsiedeln? –, aber die renovierten Wohnungen in den Seitenflügeln waren ohnehin nicht frei und hätten überdies sein Budget gesprengt. Die erschwinglichen Wohnungen im Gartenhaus – zwei standen sogar leer – schieden mangels Komfort aus. Kohlen schleppen? Nein, danke. Antonio liebte es modern, warm und sauber, und er war auch kein Fan von skurrilen Tapeten und Kacheln aus längst vergangenen DDR-Zeiten.

Wie ein Kater auf Beutezug pirschte er sich an die Boutique chic-y-micki ran und bezog unauffällig/pfeifend/ab und zu den Kopf in den Himmel reckend Stellung vorm Schaufenster. In der Vitrine schwebten schwarze T-Shirts, bloß mit einer Wäscheklammer an einem Draht befestigt. Auf jedem stand ein anderes Zitat von Dichtern und Denkern aus früheren Jahrhunderten. Am besten gefiel Antonio der Schriftzug: Erfüllung ist der Feind der Sehnsucht. Das kannte er: Hatte er ein Mädchen erst mal im Bett gehabt, war der Zauber des ersten Mals dahin, und er fühlte sich rasch eingeengt. Sehnsucht gab es zwar immer noch, aber nicht mehr nach ihr. Eher nach etwas, das größer, höher, eben bedeutsamer war als eine Bettgeschichte – nur was das sein sollte und wo es zu finden war, wussten allenfalls die Götter. Antonio hatte jedenfalls nicht die leiseste Ahnung. Ihm war nur klar, dass er Tran Hang endlich rumkriegen musste, bevor er richtig heftigen Notstand bekam und alle Welt ihm das womöglich noch an der Nasenspitze ansah.

Im Innern der Boutique bewegten sich schemenhafte Gestalten. Eine von ihnen war klein und zierlich wie Tran Hang.

„Amore, du wartest hier!“, befahl er, drückte die Klinke runter und hatte im selben Moment die zündende Idee. Die Vitrine war originell dekoriert, das musste Antonio der Ladenbesitzerin lassen, trotz allem fehlte der gewisse Kick. Ein paar seiner Schuhobjekte, die er – begnadeter Freizeitkünstler – an verregneten Abenden herstellte, und das Schaufenster wäre wirklich perfekt.

Ein siegesgewisses Lächeln umspielte Antonios Lippen, als er die Boutique betrat. Jepp! Er befand sich auf der Zielgeraden! Nicht nur, dass er endlich einen Ausstellungsraum für seine Kunst gefunden hatte, Tran Hang würde unter Garantie mächtig beeindruckt sein und sich bestimmt noch am selben Abend freiwillig die Kleider vom Leib reißen.

„Hallo, Herr Nachbar!“ Die Ladeninhaberin – sie war auch gleichzeitig die Designerin der T-Shirts und zudem Jolkas Stiefmutter – stand wie hergezaubert vor ihm. Tran Hang war nirgends zu sehen. „Möchten Sie sich bloß umsehen, oder kann ich Ihnen etwas zeigen?“

„Um es kurz zu machen.“ Antonio räusperte sich. „Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten.“ Himmel, wieso redete er nur so hölzern?

„Einen Vorschlag?“ Die Frau wirkte auf einmal so kühl wie ein Eisspender in der Mittagshitze eines italienischen Dorfes im Hochsommer.

Ratsch – wurde der Vorhang der Kabine zur Seite gezogen, und Tran Hang trat in einem schwarzen T-Shirt heraus. Auf ihren Brüsten stand in goldenen Lettern: Ich kann allem widerstehen, nur nicht der Versuchung.

„Hi, Antonio“, sagte sie, wobei die zwei Wörter mit einem Fragezeichen ausklangen.

„Hi!“ Antonio reckte den Daumen seiner rechten Hand in die Luft. „Steht dir super!“ Wie gut, dass der Spruch auf ihrer Brust exakt zu dem Vorhaben passte, das er noch heute in die Tat umzusetzen gedachte.

Tran Hang lächelte geschmeichelt und fragte: „Auch auf der Suche nach einem T-Shirt?“

„Nein“, schaltete sich die Designerin ein. „Er möchte mir einen Vorschlag unterbreiten. Da bin ich jetzt aber mal sehr gespannt.“

„Also, ähm, es geht um Folgendes“, stotterte Antonio. Die Boutiquebesitzerin und Tran Hang brachten ihn mit ihren Röntgenblicken aus dem Konzept. „Ich bin Künstler.“

„Aha? Ich dachte, Sie sind Kellner im kitchen. Oder haben Sie dort einen Doppelgänger?“

„Nein, das bin schon ich. Nur meine Hauptbeschäftigung“, log er, „sind Schuhobjekte. Frauenschuhe. Als Material verwende ich Kork.“

„Oh, wie interessant!“, rief die Designerin aus, und Tran Hang fügte hinzu: „Das hast du mir ja nie erzählt!“

„Man geht schließlich nicht mit seinen Talenten hausieren.“ Antonio hüstelte bescheiden, eine Verlegenheitsgeste, die er sich bei der Hauptdarstellerin einer Telenovela abgeguckt hatte. Dann wandte er sich wieder an die Ladenbesitzerin. „Ich habe gerade Ihr Schaufenster ein bisschen genauer unter die Lupe genommen, und da ist mir aufgefallen ... Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Die Idee mit dem Draht und den Wäscheklammern ist grandios.“

„Aber –?“

„Meine Kunstobjekte würden sich in Ihrer Vitrine hervorragend machen.“

Stille. Antonio hörte nur sein eigenes Herz pochen. War Tran Hang beeindruckt? Riss sie sich im Geiste schon ihre Klamotten vom Leib?

„Ich würde natürlich kostenlos ausstellen“, fuhr er mit gepresster Stimme fort. „Die Konditionen bei eventuellem Verkauf wären noch auszuhandeln.“

Doch irgendetwas schien verquer zu laufen, denn die Designerin machte plötzlich ein Gesicht, als hätte Antonio ihr angeboten, ihre Vitrine mit Kuhfladen zu dekorieren. Es zuckte ein paar Mal um ihre Mundwinkel, und sie erklärte: „Tut mir leid, aber wenn Sie ausstellen wollen, müssen Sie sich schon eine Galerie suchen. Außerdem mein Fenster bereits perfekt dekoriert.“ Sie lächelte eisig, dann wandte sie sich wieder Tran Hang zu: „Ein bisschen zu groß, oder? S dürfte reichen. Soll ich Ihnen eins aus dem Lager holen?“

„Sehr gern.“

Die Designerin verschwand hinter einer rosa verputzten Tür, und Antonio kam sich wie der größte Schwachkopf Berlins vor.

„Hm“, machte Tran Hang bloß und zog ihre Schultern ruckartig hoch. Dabei rutschten auch alle Wörter (ausgenommen der Versuchung) hoch und saßen nun oberhalb ihrer Brustwarzen.

Blamiert, dachte Antonio. Ganz bestimmt war er für Tran Hang jetzt nicht mehr die Versuchung, der sie nicht widerstehen konnte, sondern bloß ein durchs Universum irrender Vollidiot.

Also steuerte er, seine Sonnenbrille geschäftig auf- und wieder absetzend, auf den Ausgang der Boutique zu. Dann würde er sich eben etwas anderes einfallen lassen müssen, um Tran Hang in sein Bett zu locken.

Amore kratzte und jaulte inzwischen an der Tür; immerhin einer, der ihn bedingungslos liebte.

„Du gehst schon?“

Antonio fuhr herum und sah, dass Tran Hang Kummerfalten auf der Stirn hatte. Seinetwegen? Weil er das Modell Versager war und jedes weibliche Wesen gar nicht anders konnte, als in seiner Gegenwart in tiefe Trauer zu verfallen? Oder weil sie einfach noch gern einen Kaffee mit ihm getrunken hätte?

„Si, chiara, hier will ja keiner meine Kunst.“

„Aber ich will. Ich spreche mit Papa. Der stellt deine Schuhe ganz bestimmt in seinem Imbiss aus.“

Kaum hatte sie ihren Satz mit einem heftigen Kopfnicken beendet, machten sich bei Antonio gewisse Körperteile unterhalb des Bauchnabels selbstständig. Papa ..., Schuhe ..., Imbiss ... Nicht dass ihn solche Wörter anturnten, es war vielmehr die Art, wie Tran Hangs Zunge beim Sprechen zwischen ihren leuchtend rot geschminkten Lippen hervorblitzte.

„Hey, super“, sagte Antonio wie chloroformiert, wobei ein Areal seines Gehirns mit einem mittelschweren Panikschub reagierte. Seine Kunstwerke in einem Imbiss – mit Bratenfett bespritzt und besudelt! Andererseits war dies eine hervorragende Gelegenheit, Tran Hang in seine Wohnung zu locken, ihr seine Kunstwerke zu zeigen und danach ...

„Vorschlag“, sagte er, einer inneren Eingebung folgend. „Sieh dir meine Schuhobjekte erst mal an, bevor du deinen Vater fragst.“

„Gerne.“ Tran Hang lächelte so zuckersüß wie ein glasiertes Törtchen. „Wann?“

„Heute Abend? Ich könnte uns eine bella Pasta kochen. Ti piacerebbe burro e salvia?“

„Pasta ist immer gut, aber heute geht es leider nicht.“

„Morgen?“

Tran Hang machte eine bedauernde Geste. „Ich kann erst am Wochenende.“

Da Geräusche hinter der rosafarbenen Tür zu hören waren, beeilte sich Antonio, die Verabredung festzuklopfen. „Also Samstag um sieben?“

„Abgemacht.“ Tran Hang deutete auf das Wort Versuchung, das sich in diesem Moment bloß einen Zentimeter oberhalb ihrer Brustwarzen befand. „Ich ziehe dann auch mein neues T-Shirt an.“

„Darum möchte ich doch sehr bitten.“ Besser noch, du ziehst es gleich aus, fügte er in Gedanken hinzu.

Okay, er war vielleicht ein Macho-Arsch.

Aber er war es gerne.

Cappuccino Amore

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