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2.2 Selbstpositionierungen

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Eine ethnographische Vorgehensweise führt immer auch zu Problemen, Grenzerfahrungen und forschungsstrategischen Einschränkungen. Meine Forschung war explorativ angelegt und brachte deswegen immer auch ein hohes Maß an Unvorhersehbarkeit mit sich. Gleichzeitig bin ich als Ethnographin mit Menschen in Auseinandersetzung, die ganz verschiedene Vorgehensweisen und Persönlichkeitsstrukturen mit sich bringen. Konflikte und Missverständnisse können so im ethnographischen Prozess vorkommen. Außerdem ist die Problematik des Zugangs ein zentrales Thema, ging es in meinem Fall beispielsweise immer darum, dass ich Projekte finden konnte, die thematisch passend sind, die grob in meinen Zeit- und Finanzplan passten und bei denen die ProjektinitiatorInnen darüber hinaus auch noch offen dafür waren, mich in den Produktionsprozess mit zu involvieren.

Aus der Unterschiedlichkeit der Projekte und unterschiedlichen Zugänglichkeiten ergaben sich deswegen auch Variationen in den Forschungssequenzen: Manche Projekte konnte ich von Anfang an begleiten, andere nur in der Phase der Endproben, bei manchen waren Zuschauerbefragungen schwierig, bei anderen wiederum sehr ergiebig. Solche Unterschiede führen zu Variationen in den Datensätzen. Hier habe ich versucht, die Unterschiede fruchtbar zu machen, indem ich beispielsweise herausarbeiten konnte, welche Fragen offenbleiben, wenn ich einen Probenprozess kaum mitbekommen habe im Gegensatz zu einem intensiv begleiteten Probenprozess.

Ich war als Ethnographin und Teilnehmerin an den Projekten immer auch in die Mechanismen der Hierarchien verstrickt, in denen sich die anderen Beteiligten befanden. Bei meinem Mitwirken in den Produktionsprozessen hat mein Hintergrund eine Rolle gespielt. Die Rolle der „weißen“ Akademikerin, die sich in „ethnisch“ von sich unterscheidende Gemeinschaften von Menschen begibt, um mehr über ihr Leben zu erfahren, steht in der Kolonialtradition der Ethnologie. Diese Tatsache wurde mir sehr eindrücklich bei einer gescheiterten Forschungserfahrung gespiegelt. Im Rahmen der Forschung beim Festival Theater der Welt wollte ich gerne neben der Arbeit Pichet Klunchuns auch die des neuseeländischen/samoanischen Choreographen Lemi Ponifasio in meine Forschung mit einbeziehen. Ponifasio hatte wenig Interesse daran, eine beobachtende Instanz mit in den Prozess der Endproben hinein zu lassen. Als ich ihn fragte, ob es in Ordnung sei, nach der Vorstellung meine Fragebögen an das Publikum zu verteilen, antwortete er barsch „No, you can’t do that. That’s a strange thing to do. You would have to come to New Zealand first.“{67} Ponifasio, dessen Titel des „High Chief“ und dessen regionale Herkunft (Samoa) in seinem Lebenslauf oft hervorgehoben wird,{68} kann vermutlich auf zahlreiche Erfahrungen zurückblicken, in denen er oder seine Arbeit mit einem ethnographischen Ansatz „erforscht“ wurde. Mein Eindruck war, dass er mich als Forscherin wahrnahm, die vielleicht an seiner „Kultur“ interessiert war und Forschungsschritte unternahm, für die ich nicht über genug Wissen bezüglich seines kulturellen Hintergrundes verfügte. Möglicherweise entzog er sich mit dem Verbot einer von ihm befürchteten, exotisierenden und unzureichend recherchierten Stellungnahme in meinem Forschungsbericht.

Auch meine institutionelle Einbindung lässt meine Forschung und meinen Text politisch werden. So beeinflusst mein Ziel, aus dieser Forschung eine Doktorarbeit zu schreiben und mich damit im Feld der deutschen Tanzwissenschaft zu platzieren die Dringlichkeit, genug „Material“ zu sammeln, lenkt meinen Blick auf theoretische Anbindungsmöglichkeiten und kann dazu führen, dass ich Dinge ausgeklammert habe, die nicht zielführend wirkten. Ich bin Wissenschaftlerin und die Qualität meiner Arbeit hängt davon ab, dass ich eine Metaebene einnehme und meine Erfahrungen und Beobachtungen so strukturiere, dass sie sich an Diskurse und theoretische Fragestellungen anbinden lassen. Daraus resultiert ein bestimmter Forschungsblick. Außerdem bin ich durch Diskurse zu Tanz, Kultur und Ästhetik, die zu einem großen Teil dem „Westen“ zuzuordnen sind, geprägt. Darüber hinaus war ich selbst noch nie in Afghanistan und Japan, in China und der Elfenbeinküste.

Auch meine Arbeitssprache ist politisch, ich schreibe auf Deutsch und schließe damit den Zugang einiger Personen, die an den Projekten beteiligt waren und um die es in dieser Arbeit auch geht, aus. In den Forschungsprozessen bin ich so nah wie möglich an alle Beteiligten in allen Projekten herangegangen, um Interviews und Gespräche zu führen. Durch Sprache, durch das Anknüpfen an die gleichen Diskurse oder durch ähnliche Ausbildungen fiel mir das meistens bei den in Deutschland lebenden Personen leichter: Oft hatte ich das Gefühl, nicht die richtigen Fragen zu stellen in Interviews mit PerformerInnen aus China oder der Elfenbeinküste.

Auch die Auswahl meiner untersuchten Projekte muss sich einer kritischen Perspektivierung unterziehen: So habe ich nur Projekte ausgewählt, die ihren konzeptionellen Ausgangspunkt in Deutschland setzten. Das schließt Arbeiten aus, die in anderen Settings initiiert und produziert wurden. Neben dem forschungsökonomischen Gesichtspunkt, mich auf ein Feld, das mit ähnlichen Parametern operiert, einzugrenzen, entzieht sich die Wahl dieses Forschungsfeldes aber auch dem Diskurs der ethnographischen Untersuchung des „Anderen“ und bricht so mit einem kolonialgeschichtlich gefärbten Vorgehen der Ethnologie. Denn ich richte den Blick auf Mechanismen, Strategien, die einerseits meinen eigenen Wirkungskreis darstellen und sich auch im Feld derer bewegen, die diese Arbeit rezipieren.

Um all diese Selbstpositionierungen, Grenzen und Verortungen mitlaufen zu lassen, reflektiere ich an den Stellen, an denen es mir sinnvoll erscheint darüber, wie ich zu welchen Forschungs- und Interpretationsschritten gekommen bin.

An den Stellen, an denen es mir möglich ist, stelle ich offene Fragen danach, wie eine Interpretation woanders aussehen würde, das heißt danach, was wohl von den Projekten in verschiedene Regionen zurück verteilt wird, welche Bedeutungsverschiebungen, Statusveränderungen, Neuformierungen von Diskursen möglich wären. Nach vielen Kapiteln setze ich immer wieder ein Unterkapitel „Positionswechsel“, in dem ich jeweils die vorgehende Argumentation noch einmal von einer anderen Warte aus neu reflektiere oder erweitere.

Ein Problem bei der Forschung in öffentlich präsenten Projekten ist, dass ich – wie es sonst in ethnographischen Arbeiten Brauch ist – meine InterviewpartnerInnen nicht anonymisieren konnte. Anonymisierung verhilft zu Unverfänglichkeit, auch delikate Zitate und Positionierungen können herangezogen werden, um Brüche und Widersprüche aufzuzeigen ohne einzelne Personen zu diffamieren oder bloßzustellen. Durch die öffentliche Präsenz und die Bekanntheit der einzelnen beteiligten Personen wäre Anonymisierung unmöglich. So gibt es viele Zitate, Beobachtungen etc., die ich in dieser Arbeit nicht ansprechen werde, weil sie mir beispielsweise zu persönlich erscheinen.

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