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Das Flackern

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Tuday hielt sich an dem Pferdehasen fest und ließ sich von ihm leiten. Zielstrebig hüpfte das Hasentier über Felder und Büsche, so als hätte es einen richtungsweisenden Kompass in sich. Tuday bekam schwere Augenlider, die Dämmrigkeit, die ihn wie aus einer fernen Zeit herangezogen, umgab, ermüdete ihn. Er schlief ein. Der Hüpfhase kannte den Weg, er trug Tuday mit sich wie einen wertvollen Schatz. Der goldenen Umhang wehte, ein goldener Wächter, der ihn schützte. Heimlich viele Stunden waren vergangen. Tuday, der inzwischen wieder in die Dämmerung zurückgekommen war, erblickte ein Flackern in nahender Ferne. Der Hase war stehengeblieben. Tuday rutschte von seinem Rücken. Das Tier drehte sich zu ihm um und im selben Moment wurde es wieder kleiner und hüpfte davon. Tuday hatte sich dem Flackern schon so genähert, dass es sich in seinen Augen spiegelte. Jetzt erst konnte er das Fenster wahrnehmen, durch das er die ganze Zeit geschaut hatte. Denn das flackernde Licht drang von einem Raum heraus durch eine große Öffnung nach draußen. Das Fenster hatte keine Scheibe, sie war auch nicht zerbrochen, sie war einfach nicht da. Es war eine einfache Holzhütte, die diese Fensteröffnung umschloss. Auf Tuday hatte es eher den Anschein als wäre es einzig und allein ein Fenster, die Hütte diene nur dazu diesem Gestalt zu geben. Es gab keine Tür. Tuday stieg durch die fast ebenerdige, mächtig groß wirkende Öffnung und rutschte fast auf dem Boden der Hütte aus. Der Boden war uneben und glatt. Auch wenn es ein recht offener, sehr spärlich geschützter Raum war, wurde es Tuday warm als er darin stand. Kerzen, überall schwebten Kerzen. Sie brannten. Die Kerzenflammen tanzten wie zu einer geheimnisvollen Melodie. Tuday vernahm das auf den Boden tropfende Wachs wie ein zärtlich dahinhuschendes Trommeln. Manchmal wiegten einige Kerzen ihren Kopf zur Seite. An diesen Stellen lief das Wachs in kleinen Flüssen nach unten. Die Kerzen schütteten sich aus. Es war Tuday ein bisschen unheimlich zumute. Seit diese Geschichte begonnen hatte erlebte er mysteriöse Dinge, so als würde das Leben aus mysteriösen Dingen bestehen. Vielleicht waren andere Menschen gerade im Supermarkt, putzten, kamen von der Arbeit nach Hause oder schauten einen Film. Und bei ihnen wurde es wahrscheinlich Tag und Nacht in beständigem Wechsel. Aber er, Tuday, war von Anbeginn dieser Geschichte durch eine gleichbleibende Dämmerung gewandelt, wohl ausgelöst und begleitet von den beiden Gestirnen Sonne und Mond. Sie hatten ihren Platz am Himmel verlassen, zogen beide selbst wie verloren vor ihm her.

Während sich das warme Kerzenwachs schmelzend von den Kerzen löste, den Boden tropfend berührte, fragte sich Tuday: Wie konnte ich nur in diese Geschichte geraten? Oder seid ihr schon einmal auf einem pferdegroßen Hasen durch die Gegend gehüpft und hattet plötzlich einen goldenen Umhang an? Doch Tuday vergaß das Wundern über sich selbst und seinen Weg bei dem Anblick dieses märchenhaften Klangbildes.

Unzählige Kerzen an der Decke, die ihre Flammen nach unten züngeln ließen. Und dazu Tropfen, miteinander, nacheinander, in einer einvernehmlichen Harmonie. Der Raum hatte von Außen so klein gewirkt. Doch schon als Tuday durch das Fenster nach Innen gestiegen war, hatte sich die Größe des Raumes geöffnet, breitete sich nun majestätisch anmutend vor seinen Augen und Ohren aus. Er zog seine Stiefel aus, wollte die Wärme des Bodens ganz spüren. Schön fühlte sich das an; Tuday versank in einer träumerischen Stimmung, genoß ganz und gar diesen Raum. Auch seine Hände legte er nun auf den Boden, um der Wärme näher zu sein. Das Wachs tropfte nie auf ihn, der goldene Umhang schützte ihn. Die Kerzen schienen in schwebender Leichtigkeit zu tanzen. Seine Hände fuhren über den Boden; Tuday spürte die Wärme und Unebenheiten. Er erspürte die wächserne Form des Bodens. An manchen Stellen tropften die Kerzen stärker, hier hatten sich Erhebungen des Wachses am Boden gebildet. Seine Hände empfanden beim Wandern über den betropften Boden eine Form.

Diese Form erschien ihm wie die Nachbildung eines Bauwerks, doch er konnte es nicht sehen, das Licht war zu hell. Nach einer Weile wich Tuday langsam zurück, stieg in den bodennahen Fensterrahmen. Von hier aus konnte er das Wachsbodengemälde augenblickend betrachtend, da das Licht aus dieser Perspektive etwas gedämmt war. Doch es war für ihn nun keine klare Form zu erkennen, es erinnerte ihn nun nicht unbedingt an ein Bauwerk, wenn er mit den Augen darauf schaute. Ja, es hätte zwar ein Bauwerk darstellen können, doch auch andere Formgebungen waren enthalten und er hätte Vieles, Verschiedenes darin entdecken können, fast so wie es ihm beliebte. Wie ein Wolkenbetrachter, vor dessen Augen die Wolken zeitzwinkernd in unterschiedliche Formen fließen.

Fabelfeuer

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