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EINE DEUTSCHE DYNASTIE? HABSBURG UND DIE FOLGEN

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Da der König von Frankreich sich mit dem türkischen Sultan gegen das Reich verbündete, so stellte der Reichstag von Speyer 1544 offiziell fest, war zwischen ihm und den Osmanen kein Unterschied zu machen. Beide waren Feinde der Christenheit, des Reiches und der deutschen Nation. Der Beschluss war ein Sieg der kaiserlichen Politik. Die hatte den Begriff des Erbfeindes seit Beginn des 16. Jahrhunderts immer wieder ins Spiel gebracht. Nun, da Franz I. seine Kontakte zum Sultan in Istanbul beständig ausgebaut hatte, da er mit Suleimans Flotte stillschweigend kooperierte und dessen Truppen Winterquartiere bereitstellte, schien der geeignete Moment gekommen zu sein: Wer einem Feind der Christenheit in dieser Weise half, war – nach Worten des Kaisers – selbst nicht besser als der verhasste Türke selbst. Er sei aus dem Kreis der abendländischen Monarchen entlassen, seine Nation entehrt. Gegen ihn zu kämpfen gehöre, so wurden die habsburgischen Gesandten am Reichstage nicht müde zu betonen, zu den vornehmsten Pflichten eines jeden Reichsstandes.

Was sich wie ein Vorspann auf die deutsch-französischen Hasstiraden des 19. und 20. Jahrhunderts liest, hatte mit modernem Nationalismus denkbar wenig zu tun. Der Spiritus Rector dieser Zeilen, Kaiser Karl V., sprach kaum Deutsch; Latein und Kastilisch dagegen beherrschte er fließend. Am meisten allerdings liebte er seine französische Muttersprache. Die Mehrzahl der Teilnehmer am Reichstag teilte diese Vorliebe zwar nicht, pflegte aber durchaus intensive Kontakte zum westlichen Nachbarn, und mancher der protestantischen Vertreter in Speyer hoffte vor allem auf die Hilfe Franz’ I., wenn er nach starkem Schutz wider die Ansprüche des Kaisers Ausschau hielt. Jünger des Hasses auf die französische Sprache, auf die französische Hofkultur oder gar die französische Nation suchte man dementsprechend in Speyer vergeblich. Warum also die antifranzösische Rhetorik auf dem Reichstag? Weshalb beschwor der Habsburger die nationale Ehre der Reichsstände, und warum folgten diese zumindest formell seinem Aufruf?

Die nationalen Gedankenspiele der Humanisten waren von den Habsburgern bereits früh gefördert worden. Dafür gab es gute Gründe, konnte der Kaiser die stets widerwilligen Reichsfürsten mit nationaler Rhetorik doch unter Rechtfertigungsdruck setzen. Immerhin war „Teutschland“ keine Erfindung aus dem Hause Habsburg. Auch die Reichsstände hatten sich an der Konstruktion dieser in beständigem Wandel befindlichen Kategorie nach Kräften beteiligt. Ursprünglich hatte der Begriff „teutsch“ in die rechtliche Terminologie des Reiches als Notbehelf Eingang gefunden. Die antike Einteilung des Imperiums ließ sich nicht auf die politischen Strukturen des Hochmittelalters übertragen. Caesars Germanien endete am Rhein. Um jenen Reichsteil zu erfassen, dessen Herrschaftsträger zentrale Entscheidungen gemeinsam trafen, wurde zunehmend die sprachliche Zugehörigkeit als Kennzeichen der Zugehörigkeit zu einem Reichsteil genannt. Im Verlaufe des 15. Jahrhunderts gewann dieser Prozess an Dynamik.

War bisher vornehmlich von den „teutschen Landen“ die Rede, so führten die Reichsfürsten nunmehr den Begriff „Teutschland“ im Munde. Die neuen Häupter der Territorialherrschaften grenzten sich damit eindeutig von der alten Einteilung des Reiches in Herzogtümer ab. Die einzelnen „deutschen Lande“ sollten an Bindungskraft verlieren. Stattdessen mühten sich die Reichsfürsten, „Teutschland“ als politischen Bezugspunkt zu stärken, der die Stämme überwölbte. Da sie an der Entscheidungsfindung der Reichstage beteiligt waren und damit „Teutschland“ gemeinsam konstituierten, waren sie an einer Stärkung der Bindungswirkung dieser Kategorie in hohem Maße interessiert. So zeigte man sich bemüht, den Begriff mit Bedeutung aufzuladen. Die Reichsfürsten bekannten sich zum „teutschen Vaterland“ ebenso wie zur „teutschen Nation“. Zwei Begriffe, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten – Vaterland und Nation –, konnten nun synonym verwendet werden. Das hatte durchaus weitreichende Folgen, denn nun durfte die Nation – bis dahin eher als unscharfe Sprach- und Ehrgemeinschaft verstanden – jene Bindungswirkung für sich beanspruchen, die seit der Antike mit dem Vaterlandsbegriff verbunden war. „Teutschland“ hatte man zu lieben und bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.

Aus Sicht der Habsburger war diese Entwicklung überaus erfreulich. Bewaffnete Konflikte des Kaisers mit dem König von Frankreich ließen sich als Verteidigungskämpfe des Vaterlandes darstellen, an denen sich jeder Patriot zu beteiligen hatte. Die Reichsfürsten wichen den Versuchen, sie mit ihrer eigenen Rhetorik zu schlagen, indes geschickt aus. Das Vaterland, so ließ man den Kaiser wissen, sei vor allem ein Hort der Freiheit und des Rechts. Ob ein Angriff überhaupt vorliege und wie darauf zu antworten sei, müsse nach ihrer Meinung erst sorgsam geprüft werden. Es war eine wohltemperierte Vaterlandsliebe, die den Kaiser zu einer beständigen Schärfung seiner nationalen und patriotischen Appelle provozierte.

Eine europäische Dynastie in einem Europa der werdenden Nationen

Die nationale Rhetorik barg indes beträchtliche Risiken für die Habsburger. Seit der Thronbesteigung Karls V. 1519 erstreckte sich der Herrschaftsraum der Dynastie weit über die Grenzen des Reiches hinaus. Karls Imperium reichte vom Pazifik bis zur Iberischen Halbinsel, von Süditalien bis zu den heutigen Niederlanden und Belgien. Sein Bruder Ferdinand I., der im Reich als sein Statthalter fungierte, regierte zudem die österreichischen Erblande und ab 1526 noch Böhmen, Mähren, Schlesien, Krain und Teile des Königreichs Ungarn. Das Haupt eines solch uneinheitlichen Gebildes konnte es sich kaum leisten, die deutsche Nation als seine Heimat und den vornehmsten Stamm auf Erden zu preisen. Stattdessen verwies man auf König Priamos als Ahnherr des Kaiserhauses.

Das Reich der Habsburger gehorchte eigenen Regeln, die den Entscheidungsspielräumen der Kaiser im Reich enge Grenzen setzten. Immer wieder gerieten Interessen einzelner Territorien, die durch Erbfälle zu Teilen der Gesamtverbandes geworden waren, in Widerspruch zu jenen der Dynastie. Des Kaisers Kriege um Italien etwa waren keineswegs im Interesse seiner niederländischen Besitzungen. Die waren auf sicheren Seehandel, ungehinderte Getreidezufuhr aus dem Baltikum und enge Kooperation mit französischen Handelspartnern angewiesen – bewaffnete Auseinandersetzungen mit Frankreich waren das Letzte, was sie brauchen konnten.

Als hellsichtiger Kritiker dieses widersprüchlichen Imperiums trat Erasmus von Rotterdam in Erscheinung. Ganz abgesehen davon, so erklärte er, dass die Dynasten ihre Töchter wie Vieh verschacherten, bringe die Überlagerung von dynastischen und Landesinteressen nichts als Probleme. Schwierigkeiten in einem entlegenen Reichsteil, Beleidigungen gegen einen entfernten Verwandten des Landesherrn führten sofort zu einer allgemeinen Kriegsrüstung. Plötzlich befand sich die ganze Christenheit inmitten eines blutigen Gemetzels, ohne so recht zu wissen, warum.

Zahlreiche Herzogtümer, Grafschaften und Königreiche, das zeigte die Kritik des Erasmus überdeutlich, waren zu Beginn des 16. Jahrhunderts längst nicht mehr beliebig zu fusionieren. Böhmen, Spanien, die Niederlande oder Neapel waren politisch, rechtlich und wirtschaftlich gefestigte Räume, getragen von Eliten, die aus der relativen Autonomie dieser Territorien Vorteile zogen. Der Versuch des kaiserlichen Großkanzlers Mercurino Gattinara, aus den habsburgischen Besitzungen ein habsburgisches Reich mit einer gemeinsamen Verwaltungsspitze zu machen, war damit von vornherein zum Scheitern verurteilt. Statt die gewachsenen Grenzen einzuebnen und die Vorstellung von der Existenz europäischer Nationen zu ignorieren, entschloss sich der Habsburger daher, das Unabänderliche für sich nutzbar zu machen. Kastilien, Aragon, Mailand, Neapel, Böhmen, Tirol, die Erblande und die Niederlande – sie alle behielten ihre eingeführten Verwaltungsstrukturen, Privilegien und ihre Zentren. Zumeist wurden sie von Angehörigen des Kaisers verwaltet.

Über allem schwebte der Reisehof des Kaisers, der in unregelmäßigen, nur schwer zu berechnenden Abständen von Brandherd zu Brandherd eilte. Die Krisen und Unruhen in seinem Reich nahmen kein Ende. Kaum eine Woche verging, in der er nicht von seinen Verwandten bedrängt wurde, sich ihrer Provinzen anzunehmen und endlich überfällige Entscheidungen zu treffen. Obwohl der Streit um Luthers Lehren für das Reich zu einer Zerreißprobe wurde, war es dem Verwalter der kaiserlichen Interessen, König Ferdinand I., nur selten möglich, die Aufmerksamkeit seines Bruders auf diesen Konfliktherd zu lenken. Die Reformation fand im toten Winkel des Blickfeldes eines vielbeschäftigten Monarchen statt.

Als Karl V. 1556, von Misserfolgen und Gichtanfällen zermürbt, seine Titel niederlegte und sich auf seinen Alterssitz in die Estremadura zurückzog, war eine Neuordnung des habsburgischen Territorialverbandes geradezu unvermeidlich.

Ferdinand I. hatte als einziger seiner Verwandten schon 1521/22 durch die Erbteilungsverträge von Worms und Brüssel einen eigenen Territorialbestand erhalten. Er umfasste die Erblande, einige norditalienische Gebiete an der Adria, Böhmen und Ungarn. Nun wurde er mit Zustimmung der Kurfürsten noch zusätzlich mit dem Kaiseramt betraut. Karls Sohn Philipp II. erbte die spanischen, italienischen und burgundischen Teile des habsburgischen Kolosses. Zwei Herrschafts- und Einflusssphären waren entstanden, die trotz rechtlicher Trennung politisch miteinander verzahnt blieben. Wichtige Schnittstellen bildeten Oberitalien und Burgund einschließlich der niederländischen Provinzen. Beide Gebiete waren von hoher strategischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Versuche, sie durch Privilegien und Verträge weitgehend aus dem Reichsverband zu lösen, zeitigten nur eingeschränkte Erfolge. Eine enge Kooperation zwischen den habsburgischen Linien war schon aus diesem Grunde unumgänglich. Doch wie war sie zu gewährleisten?

Wichtig blieb das bewährte Mittel der Heiratsallianzen. Statt bei befreundeten Königsfamilien suchten die Habsburger ihre Ehepartner nunmehr bevorzugt innerhalb der Verwandtschaft. Kirchenrechtliche Verbote solcher Bindungen interessierten dabei wenig. Kaisertreue Kleriker betonten vielmehr die Harmonie der Ehegatten, die aus dergleichen Verbindungen resultierten. Bezeichnend war etwa der billigende Unterton, mit dem der Jesuit Ferdinand Widmann 1709 eine Episode aus dem Leben Leopolds I. berichtete. Als dessen Schwester 1649 nach Madrid aufbrach, um ihren Onkel Philipp IV. zu ehelichen, habe der erst Neunjährige sie aufgefordert, rasch eine Tochter zu zeugen. Die könne er dann vor den Traualtar führen. Der kindliche Scherz wurde Wahrheit. Leopold heiratete tatsächlich seine eigene Nichte. Das war kein Einzelfall – die habsburgischen Kaiser ehelichten im 16. und 17. Jahrhundert in der Regel ihre spanische Verwandtschaft.

Angesichts dieser Heiratspolitik war es kaum verwunderlich, dass die Territorien und die Erbkrankheiten der Habsburger in der Familie blieben. Dass diese nicht nur gleichen Geblüts, sondern auch gleichen Sinnes war, dafür sollte ein Erziehungsprogramm sorgen: Neben Vielsprachigkeit wurde auch der kulturelle Austausch zwischen den Familienzweigen gefördert. Ferdinand I. sandte seinen Sohn Maximilian wie selbstverständlich an den spanischen Hof zur Ausbildung. Der Erfolg war allerdings begrenzt. In Spanien, so teilte Maximilian seinem Vater mit, könne er nichts lernen, was ihm zuhause nützlich sei. Im Gegenteil, spanische Sitten und spanische Formen des Regierens sorgten letztlich nur dafür, dass er im Reich auf verstärkte Ablehnung stieß.

Die Worte des Thronfolgers waren als deutlicher Seitenhieb auf die Politik des Vaters zu verstehen. Dessen politische Misserfolge wurden auf einen einzigen Urgrund zurückgeführt – seine spanische Erziehung. Spanien stand, wie der Thronfolger deutlich machte, im Reich für einen Umgang mit religiösen und politischen Fragen, der als fremdartig und nicht regelkonform wahrgenommen wurde. In den Adelskreisen Nieder- und Oberösterreichs wurde folgende für die Habsburger wenig schmeichelhafte Geschichte kolportiert: Während der Hochzeitsfeierlichkeiten für Ferdinand I. und Anna von Ungarn in Linz 1521 habe ein spanischer Adeliger sich äußerst verächtlich über die Deutschen geäußert und sie dann zum Zweikampf gefordert. Sebastian von Losenstein habe die Verteidigung der deutschen Ehre auf sich genommen und dabei zunächst einen schweren Stand gehabt. Der Spanier erwies sich als überlegen. Nur mit einem Trick – er hielt das Pferd des Gegners an den Nüstern fest – konnte Losenstein eine Wende herbeiführen. Der Spanier geriet ins Wanken und hätte das Turnier verloren, wenn nicht Ferdinand eingeschritten wäre und sein Leben gerettet hätte. Dergleichen Berichte – deren historischer Gehalt unklar ist – zeigten, welches Misstrauen das spanische Umfeld des Monarchen in seinen deutschsprachigen Erblanden auslöste. Es stellte einen permanenten Angriffspunkt dar und erschwerte die Entstehung einer kaiserlichen Hofkultur, die den unzähligen Regionalhöfen des Reiches als Orientierungspunkt dienen konnte.

Ferdinands Sohn versuchte aus dem Scheitern seines Vaters Lehren zu ziehen. Der vielsprachige und begabte Maximilian, dessen Wertschätzung für deutsche Weine und deutsches Essen auf der Iberischen Halbinsel für Irritationen sorgte, plädierte für die Schärfung des Eigenprofils der österreichischen Linie. Aus einer solchen Position sprach nicht nur politischanalytischer Verstand, sie war auch die Frucht persönlicher Erfahrungen. In Spanien, so hatte Maximilian erkennen müssen, wurden österreichische Ratschläge bestenfalls mit freundlichem Schulterzucken quittiert. Germanien galt als Land der Barbaren und die eigene Verwandtschaft dort als ferne Außenstelle spanischer Weltmissionierungsträume. Die Aufgabe, das Evangelium in den letzten Winkel der Welt zu tragen und damit das Schlusskapitel der Menschheitsgeschichte einzuleiten, hatte der Herr nicht den Deutschen, sondern – davon waren die Theologen im Umfeld des Habsburger Hofes zutiefst überzeugt – den Spaniern übertragen.

Nationale Rivalitäten und der Zwang zur nationalen Profilbildung hatten längst ein Herrschergeschlecht erreicht, das nationale Bekenntnisse tunlichst vermied und sich ein europäisches Profil zu geben versuchte. Längst waren die Bindungskräfte der Nation für das Haus Habsburg zu einem ähnlichen Problem geworden wie die festgefügten politischen Strukturen der zahlreichen Territorialherrschaften, die sie erworben hatten. Die Frage war, wie dieses Dilemma zu überwinden sei. Wie konnte es dem Haus Habsburg gelingen, die mobilisierende Wirkung nationaler Rhetorik zu nutzen, ohne von ihr vereinnahmt oder – schlimmer noch – durch sie ausgegrenzt zu werden?

Protector Germaniae – Ertrag und Last des Kaiseramtes

Ein Schlüssel zum möglichen Erfolg lag im übernational-imperialen Anspruch der Dynastie. Die Kaiserkrone symbolisierte die Einheit in der Vielheit, den Anspruch, Hüter eines vielgestaltigen Reiches zu sein, das gemeinsamen Grundprinzipien verpflichtet blieb.

Welche das waren, hatte Karl V. im Jahre 1535 geradezu exemplarisch vorgeführt. In einer kurzen Phase relativer politischer Ruhe entschloss sich der Kaiser zu einer furiosen militärisch-propagandistischen Offensive. Das Ziel war Tunis. Der Gegner, Chaireddin Barbarossa, hatte 1515 Algier von den Spaniern erobert und seine Position im Mittelmeer beständig ausgebaut. Als osmanischer Admiral griechischer Herkunft symbolisierte er die tödliche Schlagkraft der osmanischen Kriegführung. Ihn in einem Überraschungsschlag zu besiegen verhieß höchstes Prestige. Dass der Habsburger bei diesem erfolgreichen Unternehmen rund 20 000 christliche Sklaven befreien konnte, trug dazu bei, diesen Effekt noch zu steigern. Karl V. hatte die Landung persönlich beaufsichtigt und von Beginn an die propagandistische Ausschlachtung des Sieges planmäßig betrieben. Neben der bildlichen Darstellung auf überlebensgroßen Tapisserien, die der Reisehof als mobiles Ruhmestheater stets mit sich führte, waren es vor allem festliche Ereignisse, mit denen der Triumph des wahren Glaubens verherrlicht wurde.

Karls Reise durch Italien, die am 22. Juni 1535 begann und am 29. April 1536 endete, glich einer einzigen Demonstration imperialer Würde. Neapels Bürger verglichen den Habsburger auf Transparenten mit Scipio Africanus, Hannibal und Alexander dem Großen. In Rom ließ Paul III. die Straßen erweitern, um den Zug des Kaisers auf der Via triumphalis entsprechend zur Geltung kommen zu lassen. Neben den alten kaiserlichen Triumphbögen wurden neue aufgerichtet, auf denen Karl wiederum als „Africanus“ gefeiert wurde.

Die Tunisaktion war damit ein voller Erfolg. Sie unterstrich den Anspruch Karls, als Haupt des Abendlandes anerkannt zu werden. Jeglicher Streit – zwischen den Reichen Europas ebenso wie zwischen Alt- und Neugläubigen – hatte in den Hintergrund zu treten, wenn der Imperator die Christenheit gegen äußere Feinde verteidigte. Die auch im Reich überaus positiv aufgenommene Landung in Nordafrika machte Schule. Kein Kaiser und kein König von Spanien mochte künftig auf die Pose des übernationalen Türkenkämpfers verzichten. Obgleich die verschiedenen Zweige der Habsburger dabei nicht immer harmonisch zusammenarbeiteten und die Kriegsstrategien oftmals umstritten waren, wurde die aus etwaigen Siegen gewonnene Reputation doch gemeinsam wahrgenommen.

Die Selbstdarstellung als furchtlose Schutzmacht des Abendlandes eröffnete dem Haus Habsburg eine wichtige Option im Umgang mit der nationalen und patriotischen Rhetorik im Reich. Das zeigte sich in den Schreiben, mit denen habsburgische Monarchen die Reichsstände zu einem Krieg gegen Frankreich zu bewegen suchten. Da die französischen Könige, allen voran Franz I., nur wenig Berührungsängste gegenüber den Osmanen zeigten, war eine Verbindung zwischen beiden rasch hergestellt. Die französische Nation, so erklärte Karl V. beispielsweise dem bereits erwähnten Reichstag von 1544, stehe auf Seiten des orientalischen Erbfeindes. Sie arbeite dem Zerstörer der Christenheit in die Hände und müsse daher mit ebensolcher Härte bekämpft werden. Der Kaiser rufe seine geliebte deutsche Nation, deren Frömmigkeit weltkundig sei, zum Kampf gegen den okzidentalen Erbfeind auf. Habsburg verwies damit auf seine Rolle als Schutzherr aller christlichen Nationen. Wer den Kaiser angriff, begünstigte die Türken und war daher Feind der Christenheit im Allgemeinen und der deutschen Nation im Besonderen.

So wirkungsvoll diese Vorgehensweise aus propagandistischer Sicht sein mochte – sie war mit allerlei unerwünschten Nebenwirkungen befrachtet. Die wohl wichtigste bestand in der Selbstbegrenzung der Dynastie in ihren Handlungsmöglichkeiten. Besonders deutlich wurde dies im Umgang mit dem türkischen Nachbarn. Die nüchterne Politik Franz’ I., der Konstantinopel in das europäische Kräftespiel zu integrieren versuchte, war für einen Kaiser aus dem Hause Habsburg tabu. Dessen Welt blieb zweigeteilt – in Gut und Böse, in christliche Nationen unter dem Schutz des Kaisers und vom Teufel geleitete Völker, die dem Sultan huldigten. Es war dies ein in hohem Maße unflexibles Modell der Wahrnehmung.

Das galt auch für den Umgang mit der Reformation. Dass die Lehre Luthers, die sich im Reich ab 1517 in rasender Geschwindigkeit ausbreitete, weder in Spanien noch in Italien auf nennenswerte Resonanz stieß, zeigte sich schon früh. Sollte die Einheit des Hauses Habsburg erhalten bleiben, mussten daher alle seine Zweige am alten Glauben festhalten.

Das Konvertieren war einem habsburgischen Kaiser nicht möglich, obwohl ein solcher Schritt viele seiner Probleme im Reich gelöst hätte. Dieser Ausschluss einer Handlungsoption war es, der die neue Lehre zum idealen Vehikel antihabsburgischer Profilierung machte und zudem die Möglichkeit eröffnete, die Habsburger aus der Ehrgemeinschaft der Nation auszugrenzen.

Immerhin hing der Kaiser nun in den Augen zahlreicher seiner Untertanen einem fremden Glauben an, von dem Luther meinte, er sei nicht besser als der muslimische. Was lag also näher, als ein Herrscherhaus, das seine Distanz gegenüber „Teutschland“ stets betont hatte, in die Nähe des Erbfeindes zu rücken. Die Politik der habsburgischen Kaiser sollte ihren Gegnern in dieser Beziehung vielfach unfreiwillige Hilfestellungen geben.

Der Kaiser – ein Feind der Nation?

Nichts erregte die Gemüter altgläubiger und neugläubiger Zeitgenossen so sehr wie die Anwesenheit spanischer Truppen im Reich. Karl V. hatte mit ihnen den Schmalkaldischen Krieg gegen die protestantischen Stände gewonnen; Philipp II. setzte sie in den aufständischen Niederlanden ein; Ferdinand II. bediente sich ihrer während des Dreißigjährigen Krieges. Die spanische Großmacht war im Reich präsent. Ihre Soldaten standen für die Integration des Reiches in die europäische Konfliktlandschaft und für die Angst vor einer spanischen Universalmonarchie.

Hier bot sich ein idealer Anknüpfungspunkt, um die habsburgische Strategie der Entmenschlichung einer Nation gegen den Kaiser selbst zu wenden. Hatte das Haus Habsburg die Franzosen zu okzidentalen Türken, zu Barbaren und Rechtsbrechern erklärt, denen nicht zu trauen war, so taten protestantische Prediger nun dasselbe mit den Spaniern. Argumentative Hilfestellungen waren rasch gefunden. Die sogenannte Schwarze Legende, ein wirres Bündel antispanischer Vorurteile, geisterte seit dem 15. Jahrhundert durch ganz Europa. Sie speiste sich aus den kritischen Berichten von Las Casas über die spanische Konquista ebenso wie aus altbekannten Feindbildmotiven. Im Grunde wurde der spanische Erwähltheitsmythos einfach umgekehrt. Nicht die Erleuchtung der Welt, sondern deren Verdunklung sei, so erklärten vor allem niederländische Pamphletisten, die Mission dieser Nation. Die Iberer seien die Handlanger des päpstlichen Antichristen. Sie stammten von heimtückischen Juden und brutalen Mauren ab. Spanier seien Sklaven von Natur, die sich willig einem Tyrannen unterordneten und die Welt in Knechtschaft zu stürzen versuchten. Ihnen sei alles zuzutrauen.

Das Haus Habsburg hatte, wie diese Argumentation zeigte, seinen Gegnern wirkungsvolle Waffen gegen die eigene Position in die Hand gegeben. So war man – zumindest vorläufig – mit dem Versuch gescheitert, das Kaisertum als Schutzmacht der Nation aufzubauen und damit nationale Bindungskräfte zu nutzen, ohne von ihnen vereinnahmt zu werden. Es war ein höchst wirkungsmächtiger Versuch gewesen, der Folgen zeitigte, die das Kaiserhaus selbst nicht mehr beherrschen konnte. Die wichtigste war wohl die von den Habsburgern selbst erzwungene gedankliche Trennung zwischen der Monarchie und der Nation. Anders als in Frankreich oder in England konnte in „Teutschland“ die Nation imaginiert werden, ohne sie zugleich auf die Krone zu beziehen. Das legte den Schluss nahe, dass die Nation auch ohne die Habsburger handlungsfähig war.

Teutschland

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