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6 – Überraschung! Heiko, unser Sozialarbeiter

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Mum ist natürlich nicht da. Um die Zeit ist sie dienstags bei ihrem Putzjob drüben in den Büros von Eon. Wir haben die Absprache, dass ich an den beiden Tagen, die sie putzen geht, den Haushalt fertig habe, wenn sie nach Hause kommt. Heute wird es knapp, ich muss mich beeilen.

Ich knalle die Tür hinter mir zu und trippel barfuß auf Zehenspitzen zu unserer Toilette, Nikes und Strümpfe hatte ich noch vor der Wohnungstür ausgezogen. Am ausgestreckten Arm halte ich sie so weit wie möglich von mir weg. Zum Glück tropft nichts. Ich schmeiße sie in die Dusche und brause alles ab. Sagrotan drauf und noch mal abbrausen. Danach lege ich sie auf die Heizung. Bis die trocken sind, das dauert eine Weile.

In Mums Schlafzimmer räume ich die Chipstüte und das Schokoladenpapier weg, dann staubsauge ich zur aufgedrehten Gossen Posse im Wohnzimmer, in meinem Zimmer und im Flur. Alles in fünf Minuten. Dann lade ich in der Küche das Geschirr in den Spüler, schalte ihn an, wische kurz mit nem Lappen über die Arbeitsplatte und lasse Wasser in den Eimer, um das Bad zu putzen. Das hasse ich am meisten. Erst die Dusche nochmal und dann Kloschrubben, igitt.

Mum sagt immer, ich soll mich nicht so anstellen, aber immerhin bringt sie mir regelmäßig neue Gummihandschuhe aus dem 1-Euro-Laden mit. Ich halte mir mit der einen Hand die Nase zu, mit der anderen stecke ich die Klobürste in die Schüssel und scheuere ein wenig drin rum.

Mum hat drei Jobs. Mittwochs trägt sie früh morgens das Wochenblatt aus und sonntags die Hallo Sonntag. Ihr Hauptjob ist am Hauptbahnhof bei MäcGeiz, und zweimal die Woche, wie gesagt, geht sie abends noch putzen bei Eon. Ich versteh nicht, wie sie das aushält. Heiko sagt ihr immer, sie soll lieber zum Amt gehen, zusätzlich Hartz IV nehmen und sich dafür mehr um mich kümmern. Der hat gut reden. Nennt sich Familienhelfer und macht auf einfühlsam. Will uns helfen, eine Struktur für uns zu finden, sagt er. Als ob wir die nicht hätten. Mum und ich funktionieren als Familie, oder als das was davon übrig ist. Es geht eher um mich. Darum, dass ich in der Schule auffällig geworden bin, weil ich so oft ausraste. Da kommt Mum nicht mit klar. Komm ich ja selbst nicht immer.

Einerseits bewundere ich Mum für ihren Stolz, aber anderseits nervt ihr ewiges Gestöhne ganz schön. Ich selber kann ja nicht klagen, Mum achtet schon drauf, dass meine Klamotten nicht nach Asi aussehen und keiner merkt, dass wir wenig Kohle haben. Sie will nicht, dass ich auffalle. Leider kann ich ihr damit keinen Gefallen tun, es passieren halt immer wieder so blöde Sachen wie beim Handball.

Durch die Beats der Gossen Posse höre ich ein leises Klopfen an der Tür, ich gehe nach vorn. Es ist ein lautes, sehr lautes Klopfen.

„Hey“, schreie ich, „geht's noch? Wer ist denn da?“

„Ich bin's, Heiko.“

Ach du Scheiße, der nun wieder. Ich mache die Tür einen Spalt weit auf, lasse aber die Kette vor.

„Kannst du nicht wie ein normaler Mensch klopfen?“

„Hab ich zehn Minuten lang versucht, und geklingelt auch. Wie wär's, wenn du deine Kapelle mal leiser drehst?“

„Jaja, Heiko.“

Ich mache die Tür auf, lasse ihn rein, gehe in mein Zimmer, um die Mucke leiser zu drehen.

„Tragen das die jungen Leute heute als neues Accessoire?“, grinst Heiko mich an, als ich wieder komme.

Ich halte noch die Klobürste in meiner gummigelben Hand habe, „Ha-ha!“

„Sorry“, beschwichtigt er, „ich wollte dich nicht aufziehen. Bist du am Putzen?“

„Nee, ich schwenke die Bürste aus dem Fenster und segne die Leute auf dem Bürgersteig.“

„Sorry-sorry!“, er hebt entschuldigend die Hände.

Ich stelle die Bürste ins Klo und ziehe mir die Handschuhe aus. Eigentlich ist Heiko ganz okay, obwohl das mit dem Duzen ziemlich schleimig von ihm ist. Vor allem sieht er ganz cool aus. Groß wie'n Basketballer, muskulös, und beide Arme von der Schulter bis zum Handgelenk tätowiert. Man sieht ihm den Sozialarbeiter gar nicht an, meint Mum, und das finde ich auch.

Mum sagt, Heiko wäre früher Buchhalter bei den Sons Of Mayhem gewesen, das ist eine ziemlich fiese Motorradgang draußen hinter dem Deister. Das Studium hat er angeblich gemacht, nachdem er im Knast sein Fachabi nachgeholt hat. Da muss er ja Zeit gehabt haben.

„Was willst'n du schon wieder?“, frage ich, „Ich dachte, wir hatten erst nächste Woche nen Termin?“

„Na, ich geh gerade über den Markt und was flüstern mir die Engel zu? Mein Schützling sei aus der Handballmannschaft geflogen ...“

Auf dem Weg zum Wohnzimmertisch drehe ich die Gossen Posse leiser, „Was für Engel sollen das denn gewesen sein? Wohl eher Gänse.“

Er folgt mir, „Sag mal, wie hast du das denn wieder hingekriegt?“

Wie mich dieses Gesülze nervt, „wie hast du das denn WIEDER hingekriegt“, als ob ich ständig jemandem auf die Schnauze haue. Ruhig, Anneke. Muss runterkommen. Nicht aufregen.

„Keine Ahnung“, sage ich schließlich, „die Merle die ganze Zeit so: Schwabbel, Schwabbel, Dönerplauze, und so ein Zeug. Und ich sag ihr, sie soll die Klappe halten, aber sie hört nicht auf, und da hab ich ihr halt ...“

Ich zucke mit den Schultern.

„Mensch Anneke, das haben wir doch hundertmal geübt. Lass dich nicht provozieren. Du bist doch nicht auf den Mund gefallen, es gibt ganz andere Möglichkeiten, auf sowas zu reagieren.“

„Ja, aber die bringen mich in die geschlossene Psychiatrische.“

Er lacht kurz auf und bügelt mit einem ernsten Gesicht darüber, „Das ist nicht lustig. Und was ist dann passiert?“

„Die Mannschaft hat mich auf Schultern durch die Halle getragen.“

Er rollt mit den Augen.

„Der Trainer hat mich aus der Mannschaft geworfen. Da sind Lan und Jamila gleich mitgegangen.“

„Freundinnen hast du ja.“

„Ja.“

„Nun, zu dir ...“

„Jetzt komm mir ja nicht von wegen ich hätte dich so enttäuscht oder so!“

„Quatsch, das ist schwarze Pädagogik.“

„Schwarze ... ist das politisch korrekt, Heiko?“

„Das heißt ... ach, ich will sagen: so bin ich nicht, das weißt du doch.“

„Sondern?“

„Ich denk nur daran, dass ich deine Jugendrichterin noch anrufen muss. Die will von mir eine Einschätzung hören, ob das kaputte Nasenbein, das du deinem Mitschüler neulich verpasst hast, ein Ausrutscher war und ob du deine Aggressionen in den Griff kriegst. Und wir hatten beide gedacht, dass das mit dem Handball eine gute Sache wäre, bei der du Dampf ablassen kannst und vor allem, dass du in eine soziale Struktur eingebettet bist. Das Argument kann ich bei der Richterin jetzt wohl vergessen.“

„Ey, ich kann doch nicht bei allem, was ich tue, immer daran denken, was mein Familienhelfer davon hält!“ Ich fass es echt nicht.

„Anneke, wir hatten einen Deal. Du hast dich nicht daran gehalten. Was soll ich jetzt deiner Meinung nach tun? Wie soll ich die Richterin davon abbringen, dir die fünfzig Sozialstunden aufzubrummen?“

Ich merke, wie ich rot werde, meine Wirbelsäule krampft sich zusammen, meine Hände zucken. Ich drehe mich weg und gehe zum Fenster. Heiko steht mitten im Wohnzimmer, eine Hand in der Hosentasche, mit der anderen kratzt er sich am Kopf. Wenn er jetzt noch sagt, er will mir ja nur helfen, gehe ich ihm an die Gurgel. Ich überlege.

„Ich weiß was“, sage ich.

„Echt?“

„Ich kann etwas durchziehen, ich kann mich auch in ne Gruppe einfügen!“

„Sagt wer?“

„Ich sage das. Und W-Lan und Jamaika wissen das auch. Wir haben jetzt nämlich ne Band!“

„Ne Band? Ihr? Du, Lan und Jamila. Echt? Und was macht ihr für Mucke? Fahrt ihr zum nächsten Popstars-Casting?“

„Nicht so ne Kacke. Wir machen richtig Musik und treten damit auf. Selbstgeschriebene Songs und so. Wir machen sogar bei einem Wettbewerb mit.“

Heiko seufzt. Jetzt hält er mich wahrscheinlich für total durchgeknallt oder glaubt, ich lüge ihn an.

„Klingt ganz gut. Aber ob das die Richterin beeindruckt? Pass mal auf, ich muss jetzt leider wieder los. Wenn du mir versprichst, mir bis morgen Nachmittag ein Konzept erklären zu können, aus dem klar wird, dass ihr das ernsthaft und ehrgeizig angeht und ich das der Richterin erklären kann, dann warte ich mit dem Anruf bei ihr noch bis morgen und leg ein Wort für dich ein. Abgemacht?“

„Abgemacht.“

„Tatze Katze!“, und er hebt die Hand zum Abklatschen.

„So reden wir, nicht du, nicht schleimen.“

„Okay. Fünf drauf?“

„Fünf drauf.“

Wir klatschen uns ab.

„Gut“, sagt Heiko, „ich mach dann mal weiter. Denk dran, dass du dich morgen bis vierzehn Uhr bei mir meldest.“

„Mach ich. Ach, Heiko?“

„Was denn?“

„Erzählst du Mum nichts von meinem Rauswurf?“

„Wieso sollte ich? Das machst du ja gleich selber.“

Damit ist er aus der Wohnungstür raus und reißt schon die Tür zum Treppenhaus auf. Bestimmt nimmt er wieder sportlich drei Stufen auf einmal beim Runterlaufen. Ich drücke die Tür zu und schau auf mein Handy. Keine Nachrichten, die Uhr zeigt kurz nach sechs. In einer Stunde kommt Mum.

Unbekannt Verzogen

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