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Kapitel 2 Wie im Irrenhaus

7. Juli

Am Samstagmorgen musste Mario zur Arbeit. Ich begann, unser Haus von oben nach unten zu putzen. Plötzlich setzte die quälende Symptomatik wieder ein. Von Stockwerk zu Stockwerk wurde es schlimmer. Unten in der Eingangshalle verkrampften sich meine Finger, und meine rechte Hand war nicht mehr in der Lage, das Staubsaugerrohr zu umgreifen.

Mir wurde schwindelig und ich hatte Herzrasen. Ich konnte meine Finger nur mit Hilfe der linken Hand auseinanderbringen. Die Extrasystolen schlugen wie Bomben ein. Ich bekam Angst und rief meine Eltern an: „Mir geht es nicht gut. Könnt ihr vorbeikommen? Ich bekomme eine Hand nicht mehr auseinander.“ Während ich telefonierte, merkte ich, dass sich auch die linke Hand verkrampfte. Ich erkannte dieses Phänomen. Es war die „Pfötchen-Stellung“, die bei der Tetanie auftritt. Hyper- ventiliert hatte ich nicht. Da war ich mir sicher. Auch mein Rücken war in Ordnung.

Mein Zustand machte mich fast wahnsinnig. Es dauerte unendlich lange, bis meine Eltern eintrafen. Ich wartete und die Minuten zogen sich. Die Zehen begannen sich nach oben zu biegen. Ich rief meine Mutter an und drängelte: „Ich muss ins Krankenhaus. Jetzt krampfen auch die Füße.“ Ich sorgte mich um den PH-Gehalt des Blutes. Eine Azidose oder Alkalose ist ab einem gewissen PH-Wert tödlich. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Die linke Körperhälfte fing an, pelzig zu werden.

Endlich fuhren meine Eltern in den Hof. Ich nahm eine Flasche Wasser: „Fahrt ihr mich bitte in die Magdalenen-Klinik! Seht mal! Ich bekomme die Hände nicht mehr auseinander. Mir geht es nicht gut. Ich habe jetzt wirklich Angst.“

Meine Mutter schaute ganz besorgt. Die Fahrt dauerte ewig. „Nur überleben! Mehr nicht. Alles wird gut.“ So versuchte ich mich zu beruhigen.

Ich meldete mich bei der Empfangsdame an und zeigte ihr meine verkrampften Hände. Sie gab mir einen Anmeldebogen. Ich selbst konnte den Kugelschreiber nicht halten – meine Mutter musste den Bogen ausfüllen. Nach ein paar Minuten kam eine Schwester, die mich mit hochgezogen Augenbrauen aufforderte, mitzukommen: „Um was geht es bei Ihnen?“

Ich hielt meine Hände hin: „Ich bekomme die Finger nicht auf.“

„Wir sind hier für Hochschwangere zuständig und nicht für so etwas.“

Sie drückte mir einen Urinbecher in die Hand und zeigte auf die Toilette: „Rufen Sie, wenn Sie fertig sind!“

Im Behandlungsraum machte ein junger Arzt kurzbündig die Anamnese. Ich erzählte von den Zysten, den vor kurzem aufgetretenen Unterleibsschmerzen, dem Hormontest, den ich gestern machen ließ, und dem täglichen Aufquellen meines Körpers. Der Arzt untersuchte routiniert: „Ich kann keine Wassereinlagerungen feststellen. Und auch sonst ist alles in Ordnung.“

„Und was ist das?“ Ich hob meine verkrampften Finger. „Wie erklären Sie sich das?“

Der Arzt war von mir so genervt, als hätte ich ihn unter dem Weihnachtsbaum von seiner Familie fortgezogen: „Was soll ich dazu sagen? Das ist nicht mein Fachgebiet. Am besten, Sie gehen nach Hause. Wenn sich die Hände bis Montag nicht lösen, stellen Sie sich beim Hausarzt vor. Ich rate Ihnen ab, in eine andere Klinik zu fahren. Das bringt nichts.“

„Und was ist mit dem PH-Gehalt des Blutes? Eine Azidose oder Alkalose! Das ergibt sich doch bei einer Tetanie? Und das kann tödlich sein.“

„Das glaube ich bei Ihnen jetzt nicht. Sie können gehen.“

Mir schossen vor Verzweiflung die Tränen in die Augen. Mir wurde einfach nicht geholfen. Mit nassen Augen ging ich zu meinen Eltern zurück: „So, wir können gehen. Die können mir nicht helfen. Keiner kann mir helfen.“

Ich war völlig fertig. Noch mit den Pfötchen-Händen auf dem Beifahrersitz versuchte ich, mich zu beruhigen. Mein Vater war etwas genervt. Fußball fing auch demnächst an: „Komm‘ zu uns. Mutter kocht dir etwas und du legst dich hin und wartest, bis Mario von der Arbeit kommt.“

Ich überlegte während der Fahrt nach Hause, was schlimmer wäre. Bei meinen Eltern im Nirgendwo eines Pfälzer Provinzstädtchens zu warten oder alleine zu Hause. Ich entschied mich, ein paar Heilpraktiker-Bücher und meinen Übungskoffer mit allmöglichen Untersuchungsinstrumenten einzupacken und meine Eltern zu begleiten.

Während der Fahrt lösten sich allmählich die Finger. Gott sei Dank! Ich konnte sie wieder benutzen.

Ich rief eine Freundin an. Mit ihr tauschte ich mich über das Erlebte aus. Den Schock hatte ich überwunden und lachte schon wieder.

Ich versuchte, mich im Wohnzimmer etwas hinzulegen. Mir fehlte die Ruhe dazu. Ich ging zu meiner Mutter in die Küche. Ich wollte ihr beim Kochen zur Hand gehen. Als ich den Salat umrühren wollte, bekam ich plötzlich keine Luft. Mein Herz raste und der Kopf wollte platzen. Mein Körper schwoll an. Ich ging zu dem großen Standspiegel in der Garderobe und blickte hinein. Meine Mutter sah das mit Entsetzten, wie der Bauch immer dicker wurde. Ich nahm aus der Untersuchungstasche ein Maßband. Der Bauch umfasste stattliche 90 cm. Vorher waren es 75 cm gewesen.

„Kannst du mir den Blutdruck messen?“ Mein Herz raste und klopfte. Es gelang mir während des Messens kaum, den Arm still zu halten.

Der Blutdruck maß 180/110.

„Bitte ruf‘ einen Rettungswagen! Ich muss ins Krankenhaus. Wenn die Werte noch schlimmer werden, dann sterbe ich. Ich halt‘ das nicht mehr aus.“ Mir liefen die Tränen die Wangen hinunter, solche Angst hatte ich. Das Herz pumpte immer stärker. Der Blutdruck schnürte mir die Kehle zu.

Ich wurde immer benommener. „Leg dich auf die Couch bis der Rettungswagen kommt! Die müssen die unaufgeräumte Küche nicht unbedingt sehen.“

Ich schwankte in Richtung Sofa und legte mich hin. Ab da bekam ich nicht mehr viel mit. Irgendwann schien der Rettungswagen angekommen zu sein. Ich machte kurz die Augen auf und sah verschwommen ein Paar klobige, braune Schuhe. Neben dem Sofa stand medizinisches Gerät. Der Sanitäter half mir aufzusitzen, um Blutdruck und EKG zu messen.

Ich sah auf meine Füße und erschrak: „Meine Beine schwellen an. Sehen Sie!“

Alles versank im Halbbewussten. Dass mich die Sanitäter stützten, mich in den Rettungswagen brachten und auf einen Sitz festschnallten, erschien mir wie im Traum. Ich machte kurz die Augen auf. Jemand saß mir gegenüber. „Ich habe wirklich keine Panikattacke gehabt. Das alles kann nicht daher kommen. Glauben Sie mir! Ich bin nicht verrückt. Es hilft mir nur keiner. Oder wirke ich auf Sie, als hätte ich eine Panikattacke?“

Der Sanitäter schüttelte den Kopf und beruhigte mich: „Nein wie kommen Sie auf so etwas? Wir fahren Sie ins Krankenhaus. Da wird man feststellen, was mit Ihnen ist.“

Der Wagen hielt an der Notaufnahme am Dorothea-Krankenhaus. Meine Eltern waren mir hinterhergefahren. Sie nahmen mich vom Sanitäter in Empfang und stützten mich. Der Sanitäter meldete mich an. Ich wurde von den Schwestern in ein Behandlungszimmer gebracht. Ein EKG wurde angelegt. „Warten Sie kurz! Es kommt gleich jemand für Sie.“

Ich schloss die Augen und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Nach einigen Minuten hob ich den Kopf und schaute mich um. Wann kam denn endlich der Arzt? An einem Schreibtisch saß eine Frau mit asiatischen Gesichtszügen und starrte mich an. „Wann kommt denn der Arzt?“, fragte ich.

Die Frau rümpfte die Nase: „Ich bin die Ärztin. Darf ich fragen, warum Sie hier sind?“

Ich erklärte, was geschehen war.

„Ich kann weder Herzrhythmusstörungen noch einen erhöhten Blutdruck feststellen. Der Blutdruck ist etwas im erhöhten Bereich. Wir werden jetzt einen Ultraschall vom Bauch machen, wenn Sie sich immer so aufgequollen fühlen.“

„Ich fühle mich nicht aufgequollen – ich quelle jeden Tag auf.“ „Kommen Sie mit!“

Ich folgte der Ärztin in einen anderen Behandlungsraum. Sie machte einen Ultraschall der Bauchorgane. „Sie haben eine Verstopfung. Das sehe ich hier sehr deutlich. Ich werde Ihnen ein Zimmer in der Gastroenterologie reservieren, dann bekommen Sie ein Abführmittel.“

Ich sollte auf der Liege warten bis es weiterging. Während des Wartens wurde ich immer unruhiger. Der Durst setzte ein. Dass der Ursprung meiner Symptome eine Verstopfung sein sollte, wollte ich nicht glauben. Mir ging es immer schlechter. Ich musste hin- und herlaufen. Der Hals schnürte sich zu. In dem Moment wurde mir bewusst, wie sich der Tod anfühlt. Ich musste handeln.

Ich ging zur Tür hinaus. Zwei Schwestern saßen auf einer Liege und unterhielten sich. „Dauert es noch lange? Ich habe Durst und mir geht es nicht gut.“ In weiter Ferne sah ich meine Mutter, die auf einem Stuhl saß und wartete. Die Unruhe wurde schlimmer. Mein Sehvermögen ließ nach. Alles wurde unscharf. Der Hals fühlte sich immer enger an.

Endlich kam eine Schwester, die mich auf die Gastroenterologie brachte. Ich musste mir ein Zimmer mit einer älteren Dame teilen. Ich legte mich auf das Bett und versuchte zu warten. Aber meine innere Unruhe forderte Bewegung. Ich ging in das Badezimmer und trank aus dem Wasserhahn. Dann setzte ich mich erneut auf das Bett. Keine zwei Sekunden später musste ich aufstehen. Die ältere Dame im Nebenbett rief wütend: „Ist jetzt bald mal Ruhe? Sie sind nicht allein hier. Legen Sie sich hin und seien Sie still!“

Mein Körper fing an, von oben bis unten zu kribbeln. Beide Arme wurden taub. Jetzt krampfte rechtsseitig der Hals.

Ich lief auf den Flur. Gegenüber befand sich das Schwesterzimmer: “Hallo, Sie! Hören Sie! Mir geht es wirklich nicht gut. Ich habe überall Krämpfe und ein taubes Gefühl in Armen und Beinen. Der Sternocleido- mastoideus krampft.“

Der Körper quoll erneut auf. Ich bekam kaum Luft. Alles zuckte. Mir war klar, dass es, wenn jetzt nicht ein Wunder geschah, aus mit mir war. Ich würde das nicht überleben.

Die Schwester - eine etwas kräftigere, bodenständige Frau - stand von ihrem Platz auf. Ich hob mein Hemd hoch und zeigte ihr den Bauch: „Bitte helfen Sie mir! Ich laufe voll mit Wasser, der Halsmuskel zuckt krampfartig. Ich schaffe das nicht mehr längerer. Ich habe keine Verstopfung. Das müssen Sie mir glauben.“ Ich flehte in diesem Moment um mein Leben - und wurde erhört. Die Schwester sah mein Leid: „Ja, ich sehe es. Sie sind hier im völlig falschen Krankenhaus. Das hier ist eine Wald- und Wiesenklinik. Für solche speziellen Fälle sind wir nicht ausgerüstet. Ich gehe in die Notfallstation und lasse die Ärztin nochmals kommen.“

Das bestätigte mein Gefühl, das ich schon die ganze Zeit hatte. Wenn ich überleben wollte, dann musste ich hier weg. Ich nahm mein Handy aus der Handtasche. Meine Zimmergenossin keifte weiter: „Sie sollen jetzt endlich ruhig sein. Sie sind hier nicht allein auf der Station. Sonst werde ich mich beschweren.“

Während die Frau keifte, rief ich meinen Vater an: “Bitte komm‘ schnell! Du musst mich abholen. Ich werde hier sterben, wenn ich länger bleibe. Du musst mich in ein anderes Krankenhaus fahren.“

Ich machte die schlimmste Phase meines Lebens durch. Aber ich wurde dadurch immer ruhiger. Ich wusste, dass es jetzt um alles ging.

Während ich auf dem Flur wartete, schlurfte eine alte, bucklige, verrunzelte Frau mit ihrem Rollator an mir vorbei. Sie brüllte erbost: „Hier wird geklaut. Mein Geldbeutel ist weg. Ich bin bestohlen worden. Holt gefälligst die Polizei!“

Hoffentlich kam bald die Schwester und vor allem mein Vater, der mich aus diesem Irrenhaus rausholen sollte. Die Zeit drängte. Ich kam mir vor, wie in einem Film.

Die Ärztin von der Notfallstation eilte auf mich zu. Sie war völlig genervt: „Sie gehen jetzt in Ihr Bett und hören auf, so ein Theater zu machen!“ Sie drängte mich zurück ins Zimmer.

„Aber sehen Sie doch! Mein Bauch schwillt an. Der Halsmuskel krampft. Vielleicht ist es eine Herzinsuffizienz!“

„Hören Sie auf, Ihre Symptome zu googeln und machen Sie jetzt, was ich Ihnen sage! Sie kriegen Ihr Abführmittel und dann ist Schluss mit dem Theater. Wenn Sie nicht kooperativ sind, dann schmeiß‘ ich Sie raus.“

Ich ließ mich von der Kuh nicht kommandieren: „Entweder Sie schicken mir einen ordentlichen Arzt oder Sie überweisen mich in ein richtiges Krankenhaus!“

Die Zimmernachbarin nervte im Hintergrund: „Die lamentiert schon die ganze Zeit und gönnt mir nicht meine Ruhe. Das ist hier ein Krankenhaus.“

Die Ärztin funkelte mich wütend an: „Gar nichts werde ich tun. Ich glaube, das ist nicht das richtige Krankenhaus. Ich mache jetzt Ihre Entlassungspapiere fertig. Dann gehen Sie auf eigene Verantwortung.“

„Dann machen Sie das!“

Ich rief erneut meinen Vater an: „Dauert es noch lange? Die machen mir die Papiere fertig. Dann fahren wir in eine andere Klinik.“

Das Krampfen der Muskeln hörte nicht auf. Die Ärztin kam mit dem Wisch der Entlassungspapiere in das Zimmer. Auf dem Bett unterschrieb ich schnell.

Mein Vater war schon auf dem Flur mit einigen Hygieneartikeln, die mir meine Mutter für die Übernachtung zusammengepackt hatte. Im Hintergrund keifte die Zimmernachbarin um ihre Ruhe. Abwechselnd rief die alte Frau: „Diebe und Polizei!“

Das hier war definitiv keine Gastroabteilung – das hier war ein Irrenhaus.

Mein Vater und die unfreundliche Ärztin kamen gleichzeitig ins Zimmer. Ich packte meine Tasche und wollte los. Die Ärztin unterbrach mich: „Halt! Wir dürfen Sie nicht gehen lassen. Ihre Blutwerte sind da. Sie haben eine Elektrolytentgleisung. Sie müssen an den Tropf.“

„Ach was! Haben wir doch mal auf die Blutwerte gesehen? Aber wenn ich schon hier bleibe, dann möchte ich ein Einzelzimmer. Ich bin Privatpatient. Und dann bekommt diese Dame auch endlich ihre Ruhe vor mir.“

„Wenn Sie das Zimmer bezahlen, dann bekommen Sie auch eins.“

Eine der Schwestern richtete mir ein Einzelzimmer. Ich bekam eine Elektrolytlösung intravenös verabreicht. Nach einer Stunde am Tropf war ich friedlich wie ein Lamm. Die Schwester wollte noch eine Urinprobe. Mein Urin war klar – durchsichtig wie Wasser. Das hatte ich noch nie gesehen. Mein Durst hieß mich ja auch ständig trinken, und das Wasser floss dann auch einfach so raus.

Mein Vater saß im Zimmer und schaute Fernsehen. Ich wartete, bis Mario endlich kam. Gegen Abend trat er mit besorgter Miene herein. Ich war fix und fertig. Kein Arzt nahm meine Beschwerden ernst. Das Aufquellen, der Durst und die Unruhe mussten doch zusammenhängen. „Mach‘ den Nachweis mit dem Maßband! Dann müssten sie dir doch glauben. Du musst genau Buch führen, wie sich der Bauchumfang ändert!“ Eine Möglichkeit wäre es. In meinem Untersuchungskoffer, den meine Mutter mir mitgebracht hatte, war alles vorhanden.

Es wurde spät, und ich legte mich schlafen. Kurz vor dem Einschlafen kam die Nachtschwester. Sie war sehr jung, so Anfang 20 Jahre, und sah eher aus, als wollte sie in die Disco gehen. Die Schwester wollte mir die Infusionsflasche abmontieren. Sie entfernte das Infusionsbesteck, ohne zu berücksichtigen, dass dann Blut aus der Verweilkanüle ausspritze. Sie vergaß, sich den Verschlussstöpsel bereitzulegen. Die Bettwäsche tränkte sich mit Blut. Die Szene hatte den Charme eines Splatter-Films. Noch nicht mal das funktioniert hier. Ich musste so schnell wie möglich raus aus dem Irrenhaus. Am besten gleich am nächsten Morgen.

8. Juli

Der nächste Morgen begann mit der Ärztin aus der Notfallstation. Sie war genauso schlecht gelaunt wie am gestrigen Nachmittag. Sie wollte mir Blut abnehmen: „Machen Sie den anderen Arm frei!“

„Aber rechts ist die Venenverweilkanüle. Warum nehmen Sie nicht da Blut, ohne erneut zu stechen?“

„Nein, das mache ich nicht. Ich steche neu.“ Es war etwas unangenehm für mich. Besonders deshalb, weil ich auf Blutentnahmen phobisch reagiere.

„Wissen Sie, mein „Wissen“ hole ich nicht aus Google. Ich bereite mich gerade für die Heilpraktiker- Prüfung vor. Darum weiß ich etwas über Medizin.“ Die Bemerkung mit dem Symptom-Googeln nagte noch in mir. Ausgerechnet von so einer unfähigen Kuh kam sie, die eine Elektrolytentgleisung weder erkannte und - was noch schlimmer war - mir in diesem Zustand Abführmittel geben wollte. Hätte ich mich dagegen nicht gewehrt und es einfach hingenommen, hätte es schlimm für mich enden können. Den totalen Elektrolytabsturz hätte ich wahrscheinlich nicht überlebt.

„Wann darf ich denn nach Hause?“

„Das hängt von den Elektrolytwerten ab. Sobald diese stabil sind, können Sie entlassen werden.“

Die nächste Elektrolytlösung hing auch schon am Tropf und wartete auf ihre Verwendung.

Das Frühstück kam. Die Schwester legte mir Abführmittel hin: „Nehmen Sie das! Das wird Ihnen guttun.“

Ab dem Moment war ich davon überzeugt, im völlig falschen Film zu sein. Auf der einen Seite musste ich Infusionen bekommen und durfte erst nach Hause, wenn die Elektrolyte stimmten und andererseits sollte ich Abführmittel nehmen, das die Elektrolyte rauschwemmte. Machte das Sinn? Die hatten ja gar keine Ahnung. Die rechte Hand wusste nicht, was die linke machte. Während ich frühstückte, lockerte sich durch die Bewegungen die Venenverweilkanüle. Auch das noch! Schnell bastelte ich mir einen Tupfer aus Toilettenpapier und verschloss die Lücke.

Mein Bauch hatte sich über Nacht zurückgebildet. Als die Ärztin gegangen war, stand ich auf, putzte die Zähne und begann zu frühstücken. Zuvor maß ich den Bauchumfang. Es waren 77 cm.

Keine halbe Stunde später ging es erneut los. Der Bauch quoll auf. Ich maß nun 83 cm. Gestern war es zwar schlimmer, aber es begann von neuem.

Die Ärztin kam wieder in mein Zimmer. „Schauen Sie mal! Vorhin war der Bauch noch flach und jetzt ist er erneut aufgequollen. Wenn auch nicht so stark wie gestern.“ Ich versuchte, sie mit dem Maßband zu überzeugen.

Sie schaute mich ungläubig an: „Ich sehe nichts. Sie müssen noch dableiben. Die Werte sind noch nicht okay.“ Sprach‘s und machte die Tür zu. Niemand glaubte mir. Es war hoffnungslos. So konnte mir keiner helfen.

Die Schwester kam und räumte das Tablett ab.

„Die Kanüle hat sich gelöst. Könnten Sie mir eine neue machen? Dort hängt die Elektrolytlösung, die ich noch bräuchte.“

„Nein, das dürfen wir nicht. Das muss der Chefarzt machen.“

Eine Krankenschwester durfte keine Kanüle legen? Dazu muss der Chefarzt kommen? Was war denn das für ein Laden?

Gegen 11 Uhr kam der Chef-Kardiologe zur Visite. „Warum sind Sie hier?“ fragte er mit Blick in seine Unterlagen.

„Mein Körper quoll gestern auf. Ich bekam Herzrhythmusstörungen. Meine Beine wurden dick und ich hatte eine Bluthochdruckkrise. Festgestellt wurde dann eine Elektrolytentgleisung. Zuerst wollten sie mich mit Abführmittel behandeln und jetzt bekomme ich die Elektrolyte.“

„Sie waren gestern mit Sicherheit kein Notfall. Sie hatten leicht erhöhten Blutdruck. Aber mit 180/110 ist das kein Notfall und muss auch nicht behandelt werden. Da hatten wir hier schon schlimmere Fälle. Und Ihre Kalium- und Natrium-Werte im Blut waren auch nur leicht erniedrigt.“

„Warum haben mich die Rettungssanitäter dann ins Krankenhaus gefahren? Aus Spaß, weil sie nichts Besseres zu tun hatten? Und wenn ich nichts habe, warum habe ich hier dann ein Bett bekommen? Dann hätte ich ja gestern nach Hause gehen können. So, wie ich es eigentlich auch wollte.“

Der Kardiologe spielte alles runter. Man wollte die Ärztin wegen ihrer Fehldiagnose nicht bloßstellen. „Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Aus meiner Sicht haben Sie nichts. Sie bleiben aber noch bis morgen zur Beobachtung da.“ Der Kardiologe wandte sich zur Tür zum Gehen.

„Legen Sie mir jetzt keine Infusion?“

„Nein, das kann ich auch später machen. Das ist nicht so wichtig.“

Jetzt riss mir der Geduldsfaden. Ich hatte keine Lust, den gesamten Sonntag tatenlos Zeit zu verschwenden. Würden die Elektrolyte am Montag nicht stimmen, würden die mich noch länger dabehalten. Währenddessen baumelte die Infusion sinnlos am Ständer, weil keiner fähig war, eine Kanüle zu legen.

Der Nachmittag brach an und es passierte immer noch nichts mit der Infusion. Ich bekam Besuch von der Freundin, mit der ich noch gestern telefoniert hatte, bevor das Debakel seinen Lauf nahm.

Die nutzlose Infusion hing immer noch am Ständer und prangte als Mahnmal für die Unfähigkeit dieses Krankenhauses.

Das schöne Juli-Wetter lockte uns in den Garten der Klinik. Um dorthin zu kommen, mussten wir den langen Flur am Schwesternzimmer vorbei in Richtung Fahrstuhl. Kurz vor dem Fahrstuhl kam uns die nette Schwester entgegen, die mir gestern das Leben gerettet hatte.

„Ich wollte mich nochmals bei Ihnen bedanken, dass Sie mir das Leben gerettet haben, indem sie so hartnäckig waren.“

„Das ist ja mein Job. Wenn ich nicht so hartnäckig darauf bestanden hätte, dass die Ärztin nochmal hochkommen soll, hätte sie das nicht getan. Das geht gar nicht. Geht es Ihnen besser?“

„Ja. Sehen Sie! Der dicke Ranzen ist auch weg.“

„Den Unterscheid sieht man deutlich.“

Wir suchten uns ein sonniges Plätzchen. Es hätte ein ruhiger Sonntag sein können, aber aus einem der offenen Fenster rief alle paar Minuten eine Stimme nach den Medikamenten, die jemand anscheinend schon lange misste. Das Problem betraf alle Abteilungen. Überall der gleiche Wahnsinn!

Der frühe Abend brach an. Mario gesellte sich zu uns. Während wir uns in der Caféteria unterhielten, bemerkte ich unter der linken Achsel einen penetranten Schweißgeruch. Rechts roch es ganz normal. Auch der Bauch wurde dicker. Der Schwindel setzte ein und ich hatte Mühe, die Gespräche zu verfolgen. Ich wollte mich im Zimmer hinlegen. Im Liegen würde ich das alles besser ertragen können. Vielleicht bekam ich ja gegen Abend die Infusion. Die Freundin verabschiedete sich von uns.

Oben angelangt, ging ich zu der netten Schwester und fragte nach der Infusion. Sie war ein wenig genervt: „Ja, ich wüsste auch gerne, wann mal ein Arzt vorbeikommt. Eine Patientin fällt schon fasst ins diabetische Koma, weil keiner da ist, ihr die Insulinspritze zu geben. Und ich darf es eigentlich nicht tun. Wenn nicht bald der Arzt kommt, dann spritze ich sie selbst.“

„Ist das eigentlich normal, dass nur ein Chefarzt eine Infusion legen darf? Das habe ich ja noch nie gehört?“

„Seit das Krankenhaus privatisiert wurde, wird hier sehr gewinnorientiert gearbeitet. Ich bin hier schon seit über 25 Jahren. Aber seit dem Verkauf hat sich einiges geändert. Ein Arzt darf bei der Krankenkasse mehr abrechnen, als eine Krankenschwester.“

Ich ging auf mein Zimmer zu meinem Mann. Gegen 20 Uhr wurde es auch ihm zu bunt. Er suchte selbst nach dem behandelnden Arzt. Nach einer halben Stunde erschien der Kardiologe.

„Sehen Sie, mein Bauch ist erneut aufgequollen! Das sind bestimmt Wassereinlagerungen.“

Mario bestätigte, dass das nicht normal sei.

Der Kardiologe ließ sich nicht beirren, während er die Kanüle nun endlich an meiner Hand anbrachte.

„Ich sehe nur Speck an Ihren Hüften. Das ist Fett, sonst nichts.“ Er kniff in die Bauchdecke um seine Behauptung zu untermauern, schloss die Infusion an und verschwand.

9. Juli

Am nächsten Morgen kam eine andere Schwester, die mir Blut abnahm. Die Infusion war schon lange durch. Die Frau schloss das Ventil und nahm durch die Kanüle Blut ab.

„Sie stechen nicht erneut, um Blut abzunehmen?“

„Nee, warum denn? Dafür ist doch die Kanüle da. Man muss doch Patienten nicht unnötig piesacken. Die Infusion ist ja schon lange durch.“

Aha, es geht also doch.

Danach kam die Putztruppe. Die Mädels waren fast die einzigen in diesem Laden, die funktionierten.

Die morgendliche Visite begann mit einem jungen Arzt. Die erste Frage, die er stellte, kannte ich schon zur Genüge: „Warum sind Sie denn bei uns?“

Erneut erzählte ich von den täglichen Aufschwemmungen des Körpers, dem hohen Blutdruck und der Elektrolytentgleisung. Auch beklagte ich, dass sich mein Bauchumfang täglich von 76 cm auf 84 cm veränderte. Der Arzt hörte sich alles mit überlegenem Blick an. Seine Unterlagen hielt er schräg am Körper, als wolle er sich gleich Notizen machen. „Messen Sie sich denn öfter aus? Nehmen Sie regelmäßig Abführmittel? Und haben Sie Sorgen um Ihr Gewicht?“

Jetzt war ich total perplex. Wofür hielt der mich? Für eine Magersüchtige?

„Jetzt machen Sie mal einen Punkt!“ Die Wut brodelte in mir hoch. „Ich habe weder eine Körperschemastörung, noch Anorexia nervosa, geschweige denn Bulimie. Ich versuche euch seit zwei Tagen zu erklären, dass ich rezidive Wassereinlagerungen habe, die wahrscheinlich von Östrogenen herrühren. Aber das interessiert hier niemanden. Stattdes- sen versucht ihr mich, mit Abführmittel abzufüllen. Wäre ich magersüchtig, dann würde ich mich ja sogar darüber freuen und mich nicht verweigern.“

Der Arzt verteidigte sich, indem er den Verständnisvollen heuchelte: „Ich frage ja nur nach, um alles auszuschließen. Können Sie mir vielleicht erklären, warum bei Ihrer Aufnahme ein Drogentest gemacht wurde?“

„Davon weiß ich nichts. Ich kenne eure üblichen Vorgehensmaßnahmen nicht.“

Der Arzt verabschiedete sich. Als die Tür zuging, bekam ich einen Anruf von einem Bekannten, der Anwalt war. Ich erklärte ihm die Misere, in der ich steckte. Er nahm Stellung dazu: „Erstmal ist es nicht üblich, einen Drogentest ohne das Einverständnis des Patienten zu machen. Auch einen HIV-Test dürfen sie nicht so einfach durchführen. Es sei denn, der Patient ist ohnmächtig und es besteht ein dringender Verdacht.“

Nach Drogen wurde ich überhaupt gar nicht gefragt. Und selbst wenn sie das getan hätten, hätte ich deren Gebrauch verneint. Ob das auch bei Kassenpatienten einfach so gemacht wurde, ohne Deckung der Kasse, bezweifele ich.

Nach Beendigung des Telefonates rief mich die Magdalenen-Klinik an: „Ihre Ergebnisse von der Hormontestung liegen vor. Mit Ihren Hormonen ist etwas nicht in Ordnung. Der Östrogenwert ist zu sehr erhöht. Sie hatten recht mit Ihrer Vermutung. Jetzt wird Ihnen geholfen. Sie können sofort kommen.“

Als ich das hörte, fiel mir ein ganzes Gebirge vom Herzen. Der Wahnsinn hatte endlich ein Ende. Vor lauter Freude wäre ich am liebsten ans andere Ende der Verbindung geklettert, um die Sekretärin des Oberarztes der Magdalenen-Klinik zu umarmen.

„Ich danke Ihnen so für diese Information. Sie sind die Beste. Ich versuche, so schnell wie möglich zu kommen.“

Die neue Hoffnung bescherte mir nun Oberwasser. Ich hatte recht mit meiner Vermutung. Ich hatte eine Östrogendominanz. Alle meine Beschwerden schienen sich jetzt in Luft aufzulösen. Berauscht von der Erkenntnis, dass ich vor allen Ärzten richtig lag, ging ich triumphierend über den Krankenhausflur. Der junge Arzt, der noch auf Visite war, lief mir als erster über den Weg.

„Stellen Sie sich mal vor“, rief ich ihm mit blitzenden Augen entgegen: „Die Magdalenen-Klinik rief mich gerade an und bestätigte meinen Verdacht mit der Hormonstörung. Meine Östrogene sind zu hoch. Das heißt, dass die kleine Heilpraktikerin in Ausbildung es besser wusste als ausstudierte Ärzte. Ich werde mich nun entlassen und mich richtig behandeln lassen.“

Der Arzt schaute mich fassungslos an.

Ich wartete auf meinem Zimmer. Irgendwann musste ja jemand kommen und mich entlassen. Während der Warterei rief ich, immer noch völlig aufgelöst von meinem Sieg, meinen Mann an. Er konnte mich demnächst abholen. Hoffte ich zumindest. Immerhin war es schon zehn Uhr und nichts bewegte sich.

Gegen elf Uhr kam der nächste Arzt zur Visite. Diesmal war es der Oberarzt der Gastroenterologie. Er begrüßte mich mit dem üblichen: „Warum sind Sie denn hier?“

Sollte ich schon wieder alles von vorne erzählen? Schauen die nicht in Ihre Akten?

„Dann erzähle ich Ihnen halt auch zum gefühlten 1.000sten-Male, warum ich in diesem Krankenhaus bin. Mein Körper quoll innerhalb von Sekunden auf. Ich bekam hohen Blutdruck, Herzrhythmusstörungen und beide Beine schwollen an. Sanitäter lieferten mich in dieses Krankenhaus, das eigentlich eher ein Irrenhaus ist, ein. Aber statt einer ordentlichen Untersuchung und Behandlung, wurde mir lediglich Abführmittel verordnet und man beförderte mich auf diese Station. Ich habe das allein einer Krankenschwester zu verdanken, dass ich überhaupt noch lebe, weil die aufnehmende Ärztin zu faul war, auf die Blutergebnisse zu warten und mir mal schnell eine Verstopfung diagnostizierte. Diese Ärztin hat nicht nur eine Elektrolytentgleisung übersehen, sondern hätte mich auch noch mit ihrem Abführmittel weiter gefährdet. Und zwar so, dass ich wahrscheinlich drauf gegangen wäre. Wissen Sie, ich bin zwar nur eine kleine Heilpraktikerin in Ausbildung, aber ich muss ihnen ja nun wirklich nicht erzählen, dass Abführmittel kontraindiziert ist bei einer Elektrolytstörung. Wenn Kalium erniedrigt ist, hat das nicht nur Auswirkungen auf den Stoffwechsel, der langsamer arbeitet, sondern auch auf das Herz. Und wenn wir schon darüber reden, warum ich hier bin. Das hat sich der Chefkardiologe auch gefragt. Laut seiner Ansicht hätte ich nämlich gar nichts Gravierendes gehabt. Aber dafür habt ihr mich auch nicht entlassen, sondern ich musste gestern einen ganzen Tag lang warten, um eine Infusion zu bekommen. Was eine bodenlose Unverschämtheit ist. Und das Dritte, was überhaupt gar nicht geht: Als ich hier eingeliefert wurde, hat man nichts Besseres zu tun gehabt, als ohne mein Einverständnis und ohne mich zu fragen ein Drogenscreening hinter meinem Rücken zu machen. Dass das rechtlich nicht korrekt ist, das wird Ihnen doch hoffentlich klar sein? Ich war weder ohnmächtig noch geistig zu verwirrt, um Auskunft zu geben. Was wäre denn als nächstes gekommen? Ein AIDS-Test?“

Der Arzt war verdattert. Im Laufe meiner Ansprache sank seine Akte Millimeter für Millimeter. „Wurde bei Ihnen ein AIDS-Test gemacht?“

„Nein, darum geht es auch nicht. Ich meinte nur, das wäre genauso rechtlich anfechtbar gewesen. Aber ich bin auch noch nicht fertig. Seit ich hier eingeliefert wurde, erzähle ich jedem Arzt, dass ich innerhalb von Sekunden extreme Wassereinlagerungen bekomme, die wahrscheinlich von einer Hormonstörung herrühren. Selbst die Krankenschwester, die mir am Samstag das Leben rettete, hat es gesehen.

Meine Mutter hat zugeschaut, wie ich immer dicker wurde und es bestätigt. Nur niemand von der Ärzteschaft glaubt mir. Hier unterstellt man mir lieber, dass ich magersüchtig bin und mir deshalb ständig den Bauchumfang ausmessen würde. Aber wie soll ich euch denn beweisen, dass ich täglich aufschwemme? Ihr kennt mich ja nicht. Aber nein, da bin ich lieber psychisch krank und magersüchtig. Ist ja einfacher. Vor einer Stunde hat die Magdalenen-Klinik in angerufen. Und wissen Sie was? Ich hatte Recht mit der Vermutung auf Hormonstörung. Meine Östrogene sind viel zu hoch. Und wenn sie es noch nicht wissen, Östrogene ziehen Wasser an. Deshalb bekommen manche Frauen vor der Menstruation bis zu 3 Kilo an Mehrgewicht durch Wassereinlagerungen.

Jetzt sind Sie sprachlos? Ich möchte jetzt, dass Sie mir meine Entlassungspapiere fertig machen. In dem Irrenhaus bleibe ich keine Sekunde länger. Ich gehe in die Magdalenen-Klinik. Seien sie froh, dass wenigstens die Putzfrauen hier einen guten Job machen. Sonst wäre Ihnen Ihre Abteilung schon längst vor die Hunde gegangen.“

Der arme Arzt, der eigentlich für all das, was mir wiederfahren war, gar nichts konnte, tat mir im Nachhinein leid. Ganz geknickt ging er aus meinem Zimmer. „Dann mache ich Ihre Papiere fertig. Laut Ihren Blutwerten sind die Elektrolyte auch in Ordnung. “

Als Mario mich endlich abholen konnte, brachte man mir gerade das Mittagessen. Der Appetit war mir vergangen. Die Papiere waren immer noch nicht da und ich saß praktisch auf gepackten Koffern. Zudem merkte ich, wie ich immer dicker wurde. Ich bemerkte die Veränderung nicht nur optisch, sondern fühlte auch, dass sich in der Biochemie irgendetwas veränderte. Ich wurde nervös und der wachsende Durst kam wieder auf. Ich versuchte, meine Nervosität abzulenken, indem ich gelegentlich einen Bissen nahm. Ich konnte aber keine 5 Minuten sitzen bleiben, musste aufstehen, mich wieder hinsetzen oder mir die Hände waschen. Endlich kam der Oberarzt und brachte mir die Papiere. In Windeseile verabschiedete ich mich und checkte aus.

Jetzt ging es direkt zur Magdalenen-Klinik. Ich war mir sicher, dass mein Leiden dort ein Ende nehmen würde.

Die Chefsekretärin empfing mich sehr freundlich: „So, Frau Ellermann. Sie sind bestimmt heilfroh, dass Ihnen geholfen wird. Der Chefarzt ist nicht da, aber eine der Ärztinnen wird Sie betreuen. Warten Sie gerade einen Moment.“

Keine 15 Minuten später wurde ich in eines der Behandlungszimmer geschickt.

Die Ärztin empfang mich professionell distanziert: „So, Frau Ellermann. Ich habe ihre Blutergebnisse nun vorliegen. Leider sind diese nicht aussagekräftig genug, da die Werte drei Tage zu spät innerhalb Ihres Zyklus abgenommenen wurden. Der optimale Zeitraum für eine Hormonuntersuchung der Sexualhormone wäre der dritte Zyklustag. Ich empfehle Ihnen, im nächsten Zyklus die Untersuchung zu wiederholen. Ich bezweifle stark, dass Ihre Symptome von den Östrogenen kommen. Sie sollten sich bei einer Endokrinologie vorstellen.“

Der Laborbefund zeigte eine Erniedrigung um die Hälfte des Referenzwertes des LH-Hormons, das in der Hypophyse erzeugt wird und dafür sorgt, dass der Gelbkörper im Eierstock Progesteron bildet.

Ebenfalls erniedrigt war das FSH-Hormon, das Follikelstimulierende Hormon, das ebenfalls in der Hypophyse gebildet wird. Das lag sehr unter dem Referenzwert und war fast nicht vorhanden. Um den dreifachen Wert erhöht war dafür das Estradiol, das weibliche Östrogen. Progesteron war kaum vorhanden.


Dieses 5minütige Gespräch zerstörte all meine Hoffnung, endlich behandelt zu werden. Noch ganze weitere 4 Wochen warten bis mein- ohnehin unregelmäßiger Zyklus wiederkommt. Das hieß erneut vier Wochen länger mit den Symptomen leben. Die einzige Hoffnung, die mir blieb, war die Endokrinologie. Vielleicht wurde mir dort geholfen.

Zu Hause angekommen, wusch ich mir den Krankenhaus-Mief unter der Dusche vom Körper.

Unter dem heißen Wasser bemerkte ich das neuerliche Anschwellen meines Körpers. Erschrocken hielt ich den Duschstrahl an und blickte auf einen immer größer werdenden Bauch. Auch die Oberschenkel wurden dicker. Mein Körper fing plötzlich an zu zucken. Ich konnte diese rhythmischen Kontraktionen nicht kontrollieren. Ich merkte, wie ich gefühllos wurde. Ich kniff mir in Bauch und Beine und konnte kaum Schmerzen spüren. Keine zwei Sekunden später war es mir unmöglich, aufrecht zu stehen. Ich musste mich bücken, die Zuckungen zwangen mich in die Knie.

Mario brachte mich sofort zu meinem neuen Hausarzt. Die Sprechstundengehilfinnen führten mich ins Behandlungszimmer und ich legte mich zuckend auf die Liege.

Der Arzt kam auch sehr schnell. Er prüfte die Reflexe und machte die Anamnese. „Wie lange haben Sie das schon?“

„Das ist eben erst aufgetreten, während des Duschens. Ich lag am Wochenende mit einer Elektrolytentgleisung im Krankenhaus und bin gerade nach Hause gekommen. Vorher war ich in der Magdalenen-Klinik wegen den Hormonwerten, die leider doch keine genaue Aussagekraft haben. Unter der Dusche wurde ich immer dicker und dann kamen plötzlich diese Zuckungen. Meinen Sie, es könnte Tetanus sein? Ich bin ja nicht geimpft.“

„An Tetanus denke ich nicht. Um Tetanus zu bekommen, müssten Sie schon mit einer Verletzung im Erdreich gewesen sein. Und dann das Pech haben, dass sich gerade dort Erreger befinden. Ich stelle Ihnen eine Überweisung in die Notfallaufnahme des Krankenhauses aus. Dort lassen Sie sich durchchecken. Hier kann ich Ihnen nicht sagen, was Sie haben. Der Befund des Phlebologen war ja normal.“

Jetzt ging es in das Gemeinde-Krankenhaus. Zum Glück gab es keine große Wartezeit. Da ich nur schwer aufrecht stehen konnte, durfte ich mich hinlegen. Die behandelnde Ärztin prüfte die Reflexe und die Kleinhirnzeichen, die ich noch vom Unterricht in der Heilpraktiker-Schule kannte. Da gab es anscheinend keine Auffälligkeiten. Jetzt sollte ich eine CT-Untersuchung bekommen. Während des Wartens ließen die Zuckungen nach und verschwanden genauso plötzlich und unerklärlich, wie sie gekommen waren.

Das CT brauchte keine 5 Minuten. Ich wartete auf die Ergebnisse. Mein Herz raste. Ich befürchtete einen Gehirntumor oder etwas Ähnliches. Immerhin ging es mir besser.

Als die Ärztin mit dem Befund hereinkam, stockte mir der Atem. „Hoffentlich nichts Schlimmes!“

„Das CT war unauffällig. Es ergeben sich keine Hinweise auf eine Erkrankung. Wir können noch eine Lumbalpunktion veranlassen, wenn Sie möchten. Aber diese wird wahrscheinlich auch keinen Aufschluss geben.“

Ich war erleichtert. „Also, wenn Sie sowieso davon ausgehen, dass eine Lumbalpunktion keine Ergebnisse bringt, dann würde ich das lieber sein lassen.“

„Wie Sie meinen! Sie können jetzt nach Hause gehen. Sollten die Zuckungen noch mal auftreten, kommen Sie wieder. Dann sollten wir ein MRT machen. Das ist etwas genauer als ein CT. Aber nach aktuellem Stand sehe ich keinen weiteren Handlungsbedarf, da Ihre Symptomatik zu unspezifisch ist und sich nicht einordnen lässt.“

Den weiteren Abend verbrachte ich, ohne dass mein Körper aus den Fugen geriet.

Körperchaos

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