Читать книгу The Japanese H-Manga Academy (of Rumoi) - Tuja Tiira - Страница 6

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"Vor kurzem lief hier eine Dokumentation über Ostdeutschland im Fernsehen. Das muss schwer für dich gewesen sein, da zu leben."

"Wie kommst du darauf?"

"Entschuldige, wenn ich zu weit gegangen bin."

"Nein. Ich glaube nur, ..."

"Ich wollte nicht kulturunsensibel sein, aber dann ist es für dich sicher auch nicht einfach, dich hier in Japan zu akklimatisieren, mit den vielen Menschen überall."

Inzwischen saßen wir im Bus. Sie hatte sich neben mich gesetzt. Aus dem Fenster waren Teile der Stadt Rumoi zu erkennen, die mit etwas mehr als 20.000 EinwohnerInnen die größte Stadt der Subpräfektur Rumoi war, einem dünn besiedelten Gebiet auf Hokkaido, der nördlichsten Insel Japans. Unweit war eine einspurige Eisenbahnanbindung zu sehen, die aber aussah, als wäre sie stillgelegt worden.

"Ich glaube, du hast falsche Vorstellungen über Deutschland."

"Ich wollte wirklich nicht deine Heimat schlecht machen."

Ich kam nicht dazu, noch etwas zu erwidern, da meine Nachbarin kurz darauf einschlief. Ihre Schulter berührte mich leicht. Und dabei hatte ich gelernt, das Japanerinnen körperscheu sind. Ich versuchte, sie nicht zu wecken. Der Bus fuhr inzwischen, am Fenster zogen Äcker, Weiden und bewaldete Hänge vorbei, ab und zu überquerten wir eine Brücke oder fuhren durch einen Tunnel. Auf einmal hörte ich neben mir eine Stimme:

"Schwarzer Räder

Schweiß auf rohem Asphalt,

des Todes Spur."

Meine Nachbarin war aufgewacht. Ihr Blick wirkte, als würde sie eine Reaktion erwarten, doch da von mir keine Erwiderung kam, streckte sie mir ihre Hand entgegen.

"Ich heiße Itsuko Yasumi."

"Yukiko Müller."

"Müller?"

Sie ließ die Laute über ihre Zunge rollen.

"Das klingt ungewöhnlich."

Wieder ließ sie mir nicht die Zeit für eine Antwort, bevor sie fortfuhr.

"Ich versuche, surrealistische Haiku zu dichten. Wie fandest du die Zeilen?"

"Oh, ..." Ich erinnerte mich an das, was ich über Haiku gelesen hatte: Haiku sind eine japanische Kurzgedichtform, die traditionell aus 3 Zeilen zu 5 / 7 / 5 Lauteinheiten besteht, die sich nicht reimen und die den Buchstaben des Hiragana-Alphabets entsprechen. Haiku nutzen in ihrer traditionellen Form bestimmte Begriffe mit Jahreszeitenbezug, beschränken sich auf bestimmte Themengebiete, vor allem Natur, und fassen diese konkret, teils mit symbolischen Bezügen zur Religion oder zu Emotionen, überlassen aber gleichzeitig die Vervollständigung des Sinns den Lesenden.

Da Silben teils aus mehreren Lauteinheiten bestehen, wird im Deutschen für Haiku teils ein Schema aus 3 Zeilen zu 4 / 6 / 4 Silben zu Grunde gelegt. Manchmal wird aber auch ein 5 / 7 / 5 Silbenschema verwendet.

Das Haiku von Itsuko war zumindest ungewöhnlich und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Zum Glück wartete sie meine Antwort jedoch auch nicht ab, bevor sie weiter sprach.

"Hast du etwas gegen moderne Haiku? Meinst du, die traditionelle Form muss gewahrt werden?"

"Ich weiß nicht."

Ihr Blick wirkte auf einmal unsicher.

"Du kommst aus Ostdeutschland. Bist du Faschistin?"

"Nein."

Sie atmete auf.

"Im japanischen Faschismus wurden in den 1940er Jahren Haiku-Dichter der Schule moderner Haiku verhaftet und teils bis zum Tod gefoltert, weil sie von der traditionellen Form abgewichen sind. Sie haben zum Beispiel auf jahreszeitliche Begriffe verzichtet und individuelle Gefühle thematisiert.2 Hana hat dazu ein Haiku geschrieben:

1940

Februareis,

die Tokkô weist Dichtern

den Weg zurück.

Die Tokkô, die tokubetsu kôtô keisatsu, das japanische Gegenstück zur GeStaPo, begann am 14. Februar 1940 mit der Verhaftung von Haiku-Dichtern der Neuen Haiku-Bewegung, der shinkô haiku undô, und zwang sie unter Folter zur Selbstkritik und zum Schreiben traditioneller Haiku. Unterstützt wurde die Tokkô dabei von Takahama Kyoshi, dem zu der Zeit wichtigsten Dichter traditioneller Haiku. Hana hat in diesem Haiku deshalb einen jahreszeitlichen Terminus aufgenommen und ein Naturthema gewählt."

"Ah, ..." Wer war Hana?

"Willst du einen Apfel?"

"Danke."

Beide wussten wir einen Augenblick lang nicht, was wir sagen sollten. Dank der Äpfel konnten wir unauffällig schweigen. Draußen hatte sich die Landschaft kaum verändert, nur ab und zu kamen wir durch kleinere Ortschaften und immer wieder war das Meer zu sehen. Itsuko schlief wieder ein. Auch ich lehnte den Kopf an und schloss die Augen.

Ein Zupfen an meiner Kleidung ließ mich hoch-schrecken. Itsuko beugte sich zu mir herüber.

"Gewürm kriecht mir

aus den Augen, der Schlaf

zieht mich hinab."

Ich schüttelte mich, um wach zu werden.

"Ist das auch ein surrealistisches Haiku?"

Sie schaute mich unsicher an.

"Natürlich, aber ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Falls du so etwas noch nie gelesen hast, kann ich dir einen Band mit surrealistischen Gedichten leihen. In Ostdeutschland ist das vielleicht nicht so bekannt."

Ich wollte gerade versuchen, Itsukos Blick auf Ostdeutschland zu korrigieren, als sie auf einmal aufblickte.

"Du musst raus, das ist deine Haltestelle. Ich fahre noch eine Station weiter. Bis bald." Sie drängte mich zur Tür.

Gleich darauf stand ich draußen. Ich kam nur noch dazu, ihr ein kurzes "Danke!" zuzurufen, dann setzte sich der Bus wieder in Bewegung.

Itsuko winkte noch.

"Wir sehen uns."

Wieso war sie sich so sicher, dass wir uns wiedersehen würden? Wir hatten nicht einmal Telefonnummern ausgetauscht. Bald war der Bus in einem Tunnel verschwunden. Ich sah mich um, ich stand im Nirgendwo. Weit und breit war kein Gebäude zu sehen, kein Auto, kein Mensch, nur Wald und Buschwerk. Und mein Smartphone hat keinen Empfang.

Aber der Busfahrer hatte die Haltestelle sogar angesagt: "The Japanese H-Manga Academy. Bitte Vorsicht beim Ausstieg."

Itsuko hatte mir zum Abschied noch einen Apfel in die Hand gedrückt. Den Apfel in der einen, den Trolley mit meinem Reisegepäck mit der anderen Hand fest-haltend, stand ich am Straßenrand und starrte auf die Bäume.

The Japanese H-Manga Academy (of Rumoi)

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