Читать книгу Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr. - Udo Schnelle - Страница 8

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3. Voraussetzungen und Kontexte

Das frühe Christentum ist gleichermaßen in die Geschichte des Judentums und der griechisch-römischen Welt eingebunden. Es entstand als eine Bewegung innerhalb des Judentums und entwickelte sich zu einer neuen griechischsprachigen Universalreligion im Römischen Reich. Voraussetzung für diese Entwicklung war der Hellenismus, der ab dem 4. Jh. v.Chr. eine neue Weltkultur schuf, in deren Raum auch das Neue Testament entstand.

3.1 Der Hellenismus als Weltkultur

Johann Gustav Droysen, Geschichte des Hellenismus I–III, Darmstadt 1998 (=1836–1843). – Martin Hengel, Judentum und Hellenismus, WUNT 10, Tübingen 21969. – Carl Schneider, Die Welt des Hellenismus, München 1975. – Reinhold Bichler, „Hellenismus“. Geschichte und Probleme eines Epochenbegriffs, Darmstadt 1983. – Hans Dieter Betz, Art. Hellenismus, TRE 15, Berlin 1986, 19–35. – Hans-Joachim Gehrke, Geschichte des Hellenismus, München 21995. – Hellmut Flashar (Hg.), Die Hellenistische Philosophie, Die Philosophie der Antike 4,1.2, Basel 1994. – Heinz Heinen, Geschichte des Hellenismus, München 2003. – Hatto H. Schmitt/Ernst Vogt (Hg.), Lexikon des Hellenismus, Wiesbaden 2005. – Burkhard Meissner, Hellenismus, Darmstadt 2007.

Hellenismus als Universalkultur

Der Ausdruck ‚Hellenismus‘ zur Bezeichnung einer geschichtlichen Epoche wurde von dem Historiker Johann Gustav Droysen (1808–1884) geprägt1. Der Hellenismus ( = die griechische Sprache und Sitte) bezeichnet die mit dem Auftreten Alexanders des Großen (356–323 v.Chr.) einsetzende Ausbreitung der griechischen Sprache, Sitten, Verwaltungsstrukturen, Kunst, Architektur, Literatur, Philosophie und Religion im Nahen und Mittleren Osten; von Mazedonien bis nach Vorderindien, von der Nordküste des Schwarzen Meeres und den Ufern der Donau bis nach Nubien und in die Sahara hinein. Die kulturelle Expansion des Hellenismus gründete sich vor allem auf das als attraktiv empfundene griechische Städtewesen2, das mit seinen zahlreichen Neugründungen, einer imponierenden Architektur, seinen militärischen und wirtschaftlichen Potentialen, aber auch mit seinen offenen Lebensformen den kurzfristigen militärischen Erfolgen Alexanders eine lang anhaltende Wirkung beschied.


Der Feldzug Alexanders 334–323 v.Chr.

Der Hellenismus ging mit dem Aufstieg des Imperium Romanum nicht zu Ende3, sondern sein Einfluss erhielt sich in der gesamten römischen Welt, und er wurde auch weiterhin für den Gang der Geschichte von Bedeutung, denn sowohl Byzanz als auch die Renaissance des Mittelalters sind ohne den Hellenismus nicht zu denken. Das Hauptkennzeichen des Hellenismus ist die beschleunigte Verschmelzung und Durchdringung verschiedener Kulturen, wobei vor allem nationale Kulturen durch das griechische Leben und Denken transformiert wurden, zugleich sich aber das griechische und später das römische Denken für orientalische Einflüsse öffnete4. Die neue Globalkultur löste die bestehenden National- bzw. Regionalkulturen nicht auf, transformierte sie aber zugleich. So entstand ein relativ einheitlicher Kulturraum, der bewusst Eigenheiten und Differenzen zuließ, ohne daran zu zerbrechen.

Griechisch als Weltsprache

Als ein hervorragendes Kennzeichen dieses Prozesses muss die Verbreitung der griechischen Sprache angesehen werden. Die griechische Sprache war z. Zt. des Neuen Testaments die Weltsprache. Vornehmlich Inschriftenfunde zeigen, dass sich im Palästina des 1. Jh. n.Chr. zwei linguae francae überlappten5. Neben Aramäisch war das Koine-Griechisch weit verbreitet, bis in die einfachsten Volksschichten hinab wurde Griechisch gesprochen6. Eine vergleichbare Sprachsituation findet sich in Syrien, auch hier dominierten Aramäisch und Griechisch7. Kleinasien unterlag nach dem Alexander-Zug griechischem Einfluss, so dass Griechisch vollständig das sprachliche Gesicht Kleinasiens im 1. Jh. n.Chr.8 bestimmte. Daneben hielten sich lediglich lokale Dialekte (vgl. z.B. Apg 2,5–11; 14,11). Die sprachliche Situation in Griechenland war eindeutig, demgegenüber lässt sich die Lage in Italien und Rom nur schwer beurteilen.

Griechisch als allgemeine (= ) Sprache

Die gebildeten Römer beherrschten Griechisch ebenso wie die große Zahl von Sklaven, die aus dem Osten des Reiches nach Rom gebracht wurden. Deshalb kann in einem eingeschränkten Sinn auch für Rom mit einer Zweisprachigkeit gerechnet werden9. Alle Autoren ntl. Schriften schreiben Griechisch, besonders Paulus konnte in seiner Mission mit einer Sprache auskommen und mit ihr alle gesellschaftlichen Schichten erreichen. Auch die Sprache der Diaspora-Juden des Mittelmeerraumes war Griechisch. Hier sind neben der Septuaginta und den anderen zahlreichen Schriften des hellenistischen Judentums vor allem Philo und Josephus zu nennen. Philo von Alexandrien bezeichnet Griechisch als ‚unsere Sprache‘10 und Josephus schreibt seine Geschichte des jüdischen Krieges um 78/79 n.Chr. für vorwiegend römische Leser auf Griechisch11.

Judentum und Hellenismus

Das antike Judentum (s.u. 3.3) ist seit der Diadochenzeit (ab ca. 300 v.Chr.) politisch und kulturell ein Teil des Hellenismus. Dabei war der hellenistische Einfluss in der Diaspora stärker als in Palästina. Dies zeigt sich vor allem in der Literaturproduktion, denn es bildete sich eine jüdisch-hellenistische Literatur heraus12. Hier ist zuallererst die griechische Übersetzung des Alten Testaments zu nennen: die Septuaginta (LXX)13. In der Diaspora verstanden immer weniger Juden Hebräisch, so dass ein großes Bedürfnis entstand, die Heiligen Schriften ins Griechische zu übersetzen; Griechisch wurde die Sprache der Gottesdienste. Die Septuaginta ist kulturgeschichtlich von höchster Bedeutung, denn mit ihr als dem größten Übersetzungswerk der Antike begegnen sich im 3. Jh. v.Chr. (wahrscheinlich ab 250 v.Chr. in Alexandria) der semitische und der griechische Sprachkreis und formen eine eigenständige Überlieferungstradition. Über die hebräische Überlieferung hinaus enthält die Septuaginta neben Ergänzungen und Bearbeitungen neun zusätzliche Bücher (Sapientia Salomonis, Jesus Sirach, Psalmen Salomos, Judith, Tobit, 1–4Makkabäerbuch). Während bei der Septuaginta der griechische Einfluss umstritten ist, ist er bei anderen Autoren offenkundig: Aristobul (Anfang des 2. Jh. v.Chr.), griechischer Jesus Sirach (zwischen 132–117 v.Chr.), Joseph und Asenet (2. Jh. v.Chr.), 4Makkabäerbuch (1./2. Jh. n.Chr.) und natürlich: Philo von Alexandrien (s.u. 3.2.1), der die jüdische Religion mit Hilfe der allegorischen Bibelauslegung und damit auf der Basis platonischer Hermeneutik als alte und zugleich überlegene Philosophie darstellte.

Der Einfluss des Hellenismus war keineswegs auf die Diaspora beschränkt, sondern auch in Palästina allgegenwärtig. Insbesondere seit dem 3. Jh. v.Chr. setzten sich immer mehr griechische Lebensweisen durch, die durch den Makkabäeraufstand (s.u. 3.3) eingedämmt, aber keineswegs überwunden wurden. Davon zeugen nicht nur zweisprachige oder griechische Inschriften und Sarkophage, sondern auch zahlreiche Theater, Amphitheater und Hippodrome14. Das Badewesen als besonderer Ausdruck griechischen Lebensgefühls wurde in das Judentum integriert und Regionalherrscher wie Herodes d. Gr. (40–4 v.Chr.) und seine Söhne führten sich wie hellenistische Fürsten auf. So war das architektonische Programm der Erneuerung des Jerusalemer Tempels unter Herodes griechisch: Prunkarchitektur mit riesigen Säulenhallen und korinthischen/ionischen Kapitellen. In Galiläa weisen Sepphoris und die neue Hauptstadt Tiberias (seit 19 n.Chr.; benannt nach dem Kaiser Tiberius) deutlich eine hellenistische Prägung auf. Herodes Antipas (4 v.Chr. – 39 n.Chr.) war wie sein Vater Herodes d. Gr. ein nach Rom orientierter hellenistischer Herrscher, der zugleich seine jüdische Identität hervorhob. Die Heirat von Herodes Antipas mit Herodias, die zuvor mit einem seiner Halbbrüder verheiratet war, wurde von Johannes d. T. angeprangert (vgl. Lk 3,19–20; Mk 6,14–29). Diese politisch-kulturelle (anti-hellenistische?) Kritik hatte die Hinrichtung des Täufers zur Folge (s.u. 3.3). Offenbar fürchtete Herodes Antipas den Täufer ebenso wie Jesus (vgl. Lk 13,31–32) als Führer messianischer Bewegungen.

Der Hellenismus hob die Identität des Judentums nicht auf, veränderte sie aber, indem es sich nun als ein Teil einer Globalkultur verstehen lernte, der man sich nicht entziehen konnte und wollte.

Das Neue Testament ist ein Teil des Hellenismus

Auch das Neue Testament ist Teil und Ausdruck des Hellenismus, denn der Hellenismus begünstigte zweifellos das Entstehen neuer religiöser Bewegungen und die damit verbundenen Verschmelzungsprozesse. Alle Schriften des Neuen Testaments liegen in griechischer Sprache vor; keine einzige Schrift wurde in Palästina abgefasst, sondern sie entstanden vor allem in Kleinasien, Griechenland und Rom. Das Wirkungsfeld der neuen Bewegung lag von einem sehr frühen Zeitpunkt an auch außerhalb Palästinas und verlagerte sich vor allem mit der paulinischen Mission in genuin griechisches Gebiet. Paulus war ein Diasporajude aus der hellenistischen Metropole Tarsus, der in Jerusalem als Phariäser ausgebildet wurde (vgl. Apg 22,3), aber auch über eine griechische Bildung verfügte15. In den paulinischen Gemeinden lebten mehrheitlich Mensehen aus griechisch-römischer Tradition, die nicht erst mit dem Hellenismus in Berührung kommen mussten, sondern aus dem Hellenismus stammten. Die literarischen Gattungen des Neuen Testaments wie die Paulusbriefe, die Evangelien oder die Apostelgeschichte haben ihre nächsten Parallelen in der hellenistischen Literatur. Das frühe Christentum entwickelte sich nicht aus dem Judentum zum Hellenismus hin, sondern es war von Anfang an ein Teil des Hellenismus! Die Frage nach dem Einfluss des Hellenismus lässt sich deshalb nicht auf die These reduzieren, alles Hellenistische im frühen Christentum sei durch das hellenistische Judentum vermittelt worden16. Vielmehr wird nicht nur an der Gestalt des Paulus deutlich, dass die frühen Christen an Debatten teilnahmen, die sowohl im Judentum als auch im genuin griechisch-römischen Bereich geführt wurden.

Die Verankerung des frühen Christentums im (vorwiegend hellenistischen) Judentum wird damit keineswegs geleugnet. Die frühen Christen lebten in dem Bewusstsein der grundlegenden Kontinuität zur Geschichte Gottes mit Israel; sie lebten aus der Septuaginta, hier fanden die Glaubenden Vorverweise auf Gottes Handeln in Jesus Christus und bildeten im lebendigen Umgang mit den Schriften ihre Frömmigkeit aus (z.B. in den Psalmen). Daraus sollten aber keine falschen Alternativen abgeleitet werden, denn die frühchristlichen Gemeinden agierten innerhalb eines übergreifenden Kulturraumes, zu dem selbstverständlich auch die griechisch-römische Kultur gehörte.

3.2 Die griechisch-römische Kultur

Georg Wissowa, Religion und Kultus der Römer, München 21912. – Martin P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion I.II, München 31967.21961. – Kurt Latte, Römische Religionsgeschichte, München 1960. – Robert Maxwell Ogilvie, … und bauten die Tempel wieder auf. Religion und Staat im Zeitalter des Augustus, Stuttgart 1982. – Walter Burkert, Art. Griechische Religion, TRE 14, Berlin/New York 1985, 235–252. – Jan N. Bremmer, Götter, Mythen und Heiligtümer im antiken Griechenland, Darmstadt 1996. – Hans-Josef Klauck, Umwelt des Urchristentums I, 27–76. – Jörg Rüpke, Die Religion der Römer, München 2001. – Paul Veyne, Die griechisch-römische Religion, Stuttgart 2008. – Walter Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, Stuttgart 22011. – Martin Ebner, Die Stadt als Lebensraum der ersten Christen, 101–137. – Dietrich-Alex Koch, Geschichte des Urchristentums, 67–88.

Griechische Religion

Die griechische Religion ist sehr komplex und uneineinheitlich; geographisch umfasst sie außer dem eigentlichen Griechenland ab dem 8. Jh. v.Chr. auch Süditalien und die Schwarzmeerküste, seit Alexander dem Großen die Gebiete von Kleinasien, Syrien, Ägypten bis hin in den Irak und den Iran. Die Fundamente dieser Religion bilden das lokale und familiäre Brauchtum, wobei als Charakteristika gelten können: 1) ein mythologisch ausgerichteter Polytheismus; 2) eine hochentwickelte Bildkunst und Tempelarchitektur, 3) eine öffentliche Kultpraxis, konzentriert auf das Tieropfer bei lokalkalendarisch festgelegten Festen. Es fehlen in der griechischen Religion: 1) konstitutive Offenbarungsschriften17; 2) Religionsstifter und 3) ein landesweit organisiertes Priestertum.

Homer und Hesiod

Innerhalb der griechischen Religion haben Homer (8. Jh. v.Chr.) und Hesiod (ca. 740–670 v.Chr.) die Genealogie der Götter überliefert, ihre Beinamen aufbewahrt und ihre Zuständigkeiten bestimmt18. Für unsere Epoche entscheidend sind die homerischen Götter, die man sich wie eine Großfamilie auf dem Götterberg Olympos vorstellte. In den olympischen Göttern werden all die Mächte sichtbar, die das Leben bestimmen und verständlich machen. Zumeist werden 12 Götter dem Olymp zugerechnet, die Anzahl variiert jedoch19.

1) An erster Stelle steht Zeus ( Gen. römisch: Jupiter), für die Griechen im Besonderen der blitzschleudernde Wettergott, der stärkste aller Götter. Bei Hesiod wird der Mythos überliefert, wie Zeus die alten Götter, vor allem seinen Vater Kronos und die Titanen stürzte und in der Unterwelt fesselte. Zeus repräsentiert eine sieghafte Ordnung, der sich alle zu unterwerfen haben und die denen Vorteile verschafft, die als Söhne des Zeus daran teilhaben dürfen. Zeus steht über allen Parteien, und hat niemanden über sich. Er ist auch der einzige Gott, der zum Allgott erhoben werden konnte: der Gott der Erde, des Himmels, des Alls und auch der Unterwelt.

2) Hera ( römisch: Juno) ist die eifersüchtige und zänkische Gattin des Zeus; im Kult wird sie aber als große mütterliche Göttin verehrt, die über den Opferfesten thront.

3) Poseidon ( römisch: Neptun) ist der Bruder des Zeus; der Herr der Meere, Patron der Fischer und Reiter.

4) Athena ( römisch: Minerva), die Burggöttin von Athen; sie entsprang dem Haupt des Zeus und ist als bewaffnete Jungfrau die Beschützerin ihrer Stadt.

5) Apollon ( ) ist der strahlende Sohn des Zeus, er verkörpert die blühende Jugend. Gestützt auf die berühmten Heiligtümer von Delos und Delphi ist er der meistverehrte Gott der Griechen.

6) Artemis ( römisch: Diana) ist die Zwillingsschwester des Apollon; sie ist die Herrin der Tiere, die jungfräuliche Jägerin und steht den Frauen bei der Geburt bei.

7) Aphrodite ( römisch: Venus) ist die Göttin der seelischen und körperlichen Liebe; Eros ist ihr Sohn.

8) Hermes ( römisch: Merkur) ist der Götterbote, der die Opfer und die Musik erfindet und den Menschen die Kultur bringt.

9) Hephaistos ( römisch: Vulcanus) ist der Gott des Feuers und der Schmiede, der Patron der Handwerker.

10) Ares ( römisch: Mars) ist der gewalttätige Gott des Krieges.

11) Demeter ( römisch: Ceres), die Mutter der Erde und des Getreides.

12) Dionysos ( römisch: Baccus), der Gott des Weines.

Das Kennzeichen der olympischen Götterfamilie ist ein anthropomorpher Polytheismus20 (klassisch Euripides, Alcestis 1159: „Viele Gestalten kennt das Göttliche“ = ). Göttliche Wesen in Menschengestalt stehen im Zentrum des klassischen griechischen Denkens. Homer berichtet: „Durchwandern die Götter doch, Fremdlingen gleichend, die von weit her sind, in mancherlei Gestalt die Städte …“21 Die Götter sind eine eigene, von den Menschen getrennte Kategorie, dennoch interessieren sie sich für die Menschen. Die Entstehung der Kultur wird auf das Eingreifen der Götter zurückgeführt, so schickt Zeus den Hermes, um den Menschen Recht und Scham zu lehren22; Hermes, Herakles und Apollon nehmen als Boten der Götter Menschengestalt an bzw. wirken als Götter unter den Menschen. Götter in Menschengestalt können sowohl einen ewigen als auch einen irdischen Ursprung haben. Unter den Heroen (Halbgöttern)23 steht an erster Stelle Herakles (römisch: Herkules), dessen Verehrung als Gottessohn von der homerischen Zeit bis in die Kaiserzeit ungebrochen war. Herakles vernichtete Unrecht und Gesetzlosigkeit auf der Erde und Zeus verlieh ihm wegen seiner Tugend () die Unsterblichkeit24.

Der Ritus bestimmt die Religion

Die griechische Religion ist durch rituelle Vollzüge, durch das Handeln nach dem Brauch der Väter bzw. der Stadt geprägt. Theologisch steht dabei (wie auch bei den Römern) die Sühnevorstellung im Mittelpunkt: „Glaubten die Alten doch, dass mit Sühnemitteln der Ursprung jeglichen Übels und auch Unrecht zu reinigen sei. Griechenland gab den Ursprung des Brauchs.“25 Durch den rituell korrekten Vollzug der den Göttern geweihten Opfer26, durch zeremonielles Schlachten und Essen, durch Reinigungsrituale, galt es Störungen im Verhältnis der Götter zu den Menschen und der Menschen untereinander aufzuheben27. Dahinter stand als allgemeingültige religiöse Vorstellung das Prinzip: ‚do ut des‘ („ich gebe, damit du gibst“). Durch die Opfer der Menschen gewähren die Götter weiterhin die Ordnung und die Stabilität des öffentlichen und privaten Lebens. Die Götter sind die Garanten des Lebens und wer sie vernachlässigt oder sich sogar von ihnen abwendet, gefährdet die kosmische Ordnung. Das gewöhnliche Opfertier war das Schaf, daneben die Ziege und das Schwein, das höchste Opfertier war der Stier. Opfer wurden als festliche Veranstaltung der Gemeinschaft zwischen Menschen und Göttern verstanden. Neben dem Schlachtopfer ist das Gaben-Opfer von Bedeutung, speziell die Gabe der Erstlinge der Feld- und Baumfrüchte im Heiligtum; ebenso grundlegend sind die Trankopfer (Libation) sowie die damit verbundenen Gebete28. Heiligtümer durchzogen Griechenland, die in der Regel in einem abgegrenzten Bezirk lagen, markiert durch Steine oder Bäume, zumeist mit einer Quelle verbunden29. Die Altäre, auf denen die Opfer dargebracht wurden, bestanden zumeist aus einfachen quaderförmigen Steinen. Anstelle von Priestern als fest umgrenzten Stand mit Ausbildung und Weihe leiteten lokale Funktionäre von Heiligtümern in der Regel die Opferfeste. Sie waren nicht Vertreter einer bestimmten ‚Theologie‘ oder ‚Religion‘, sondern Fachleute für den Kult am Ort. Mit dem Kult verbanden sich zahlreiche soziale Funktionen, denn die Gemeinschaft definierte sich stets durch die Teilnahme am Kult. Bereits die Familie ist durch ihren Herd bestimmt, Familienverbände treffen sich zu Götterfesten und Städtebünde haben ihr eigenes Bundesheiligtum. Innerhalb einer Stadt wurde dies durch einen Festkalender dokumentiert, der die einzelnen Feste und damit verbundenen Kulthandlungen bestimmte30. Religion war in der griechisch-römischen Antike eine öffentliche und damit immer auch politische Angelegenheit.

Weil es keine normativen Offenbarungsschriften gab, spielte die Beobachtung von Zeichen als Nachrichten der Götter eine große Rolle. Der Vogelflug wurde von Sehern ebenso gedeutet wie die Eingeweide von Geflügeltieren. Neben den Sehern gewannen einzelne Orakel-Heiligtümer an Bedeutung, vor allem das Apollon-Heiligtum in Delphi31. Die Orakel gaben vor allem Handlungsoptionen an Politiker und Militärs über Kriege und Koloniegründungen, aber auch Weisungen für alltägliche Probleme32.


Das Heiligtum von Delphi; Foto: Udo Schnelle

Römische Religion

Laren und Penaten

Unter römischer Religion versteht man zunächst die offizielle Religion der Großgemeinde Rom, dann die Staatsreligion des gesamten Imperium Romanum. Über die Frühzeit der römischen Religion ist wenig bekannt, sie entstand wahrscheinlich im 8. Jh. v.Chr., als sich zwischen den Albaner Bergen und dem Tiber verschiedene Stämme zusammenschlossen und die Besiedlung Roms begann33. In der Anfangszeit dominierten die Einflüsse der Etrusker, deren Traditionen sich sowohl in Tempeln als auch in Götterbildern widerspiegeln. Seit dem 5. Jh. v.Chr. geriet die römische Religion, vor allem durch Vermittlung der Etrusker, unter den Einfluss der griechischen Mythologie, was zur Folge hatte, dass es zu einer immer stärkeren Überlagerung und Verschmelzung der römischen und griechischen Gottheiten kam. Auch die römische Religion wurde von einer Vielzahl von Göttern bestimmt, die für einen bestimmten Lebensbereich zuständig waren. Als die drei römischen Hauptgötter und zugleich die obersten Staatsgötter galten Jupiter, Juno und Minerva. Jupiter thronte wie Zeus als der oberste Himmelgott über allen; Juno stand nach dem Vorbild Heras an der Seite Jupiters; Minerva wurde wahrscheinlich in Analogie zu Athene zur Beschützerin von Künstlern und Handwerkern. Mars hatte als Kriegsgott große Bedeutung; auf dem Marsfeld in Rom wurde alle 5 Jahre an seinem Altar ein großes Opferfest gefeiert. Weitere wichtige Gottheiten: Janus, der Gott des Tores, des Einganges und des Anfanges; Vesta, die Göttin des Herdes. Eine Besonderheit der römischen Religion war die Verehrung von Hausgöttern und Privatgöttern, deren Altäre im Wohnhaus standen: der Laren und Penaten34. Als Laren bezeichnete man die weiterlebenden Geister von verstorbenen Familienmitgliedern, gute Geister, die die Familie beschützen sollten. Penaten waren die Götter der Vorratskammer, die dafür sorgten, dass es der Familie gut ging und sie immer ausreichend zu essen hatte. Wie bei den Griechen war auch die Religion der Römer zuallererst durch den Kult bestimmt, der die Kommunikation mit den Göttern her- und sicherstellte. Eine religiöse Handlung wurde als eine notwendige Pflicht angesehen, die gewissenhaft zu erfüllen war. Cicero leitet den Begriff religio etymologisch von relegere ab: nachdrücklich lesen, gewissenhaft erwägen35. Eine Religion konstituiert sich demnach durch Praxis; durch das Ein- und Ausüben von Gebräuchen, die Ritualcharaker haben, und durch das Einhalten von Vorschriften. Die bestimmende Rolle von Kulten und Riten in der römischen Religion erklärt sich aus der Überzeugung, dass nur ein Festhalten am Überlieferten der Garant für ein glückliches Lebens des Einzelnen, aber auch für den römischen Staat insgesamt ist. Die Tradition bzw. die Überlieferung der Alten (mos maiorum = Sitte der Vorfahren) bildet deshalb den zweiten Grundpfeiler der römischen Religion. Cicero überliefert „man dürfe keine Neuerung einführen, die nicht mit den vorbildhaften Grundsätzen der Vorfahren in Einklang stehe.“36 Die fides ( = Vertrauen/Treue/Loyalität/Bindung) wurde nicht nur als Göttin verehrt, sondern galt als höchste Tugend in allen Lebensbereichen. Die Begegnung mit den Göttern vollzog sich im Kult, wobei den Götterbildern in den Tempeln eine große Bedeutung zukam. Als weiteres zentrales Element römischer Religion dienten Opferhandlungen zur Verherrlichung einer bestimmten Gottheit, um so deren Wirkungskraft zu verstärken. Erzeugnisse der Natur wie Früchte, Wein, Milch und Honig wurden als unblutige Opfer gespendet, aber auch Rinder, Schafe und Stiere geopfert. Dabei kam es auf die korrekte Ausführung der Kulthandlungen an, um durch die Besänftigung der Götter den Staat zu schützen. Im privaten Bereich weit verbreitete Sühnehandlungen dienten zur Reinigung, um den Zustand der Unschuld wiederzugewinnen und dadurch dem Zorn der Götter zu entgehen, wiederum nach dem Prinzip ‚do ut des‘. Magische Praktiken gewannen ebenfalls an Bedeutung, so übernahmen die Römer von den Etruskern die Techniken zur Deutung von Vorzeichen (Prodigien, wie Vogelflug oder Blitzschau)37.

Mysterienreligionen

Im Zeitalter des Hellenismus erlebten die klassische griechische und römische Religion eine Epoche der beschleunigten gegenseitigen Durchdringung und Befruchtung. Griechische Gottheiten wie Zeus, Apollon, Artemis, Dionysos, Herakles oder Hermes wurden im gesamten vorderen Orient verehrt und zogen auch (zumeist mit ihren römischen Namen) in den römischen Pantheon ein. Griechische und römische Religion trafen sich in einer gemeinsamen Grundanschauung: Fromm ist derjenige, der in Wahrung der Tradition die Götter, die Ahnen und die Eltern ehrt. Zugleich beeinflussten die Kulte des Orients sehr stark die griechische und römische Religion. Die Antike kennt neben dem homerischen Götterhimmel und den offiziellen bzw. öffentlichen Staats-, Stadt- und Hauskulten noch eine weitere Form von Religiosität, die sog. Mysterienkulte ( = „Geheimnis“)38. Sie unterscheiden sich von den offiziellen Kulten durch ihr geheimes Wissen und verborgene Riten, in welche man erst nach einer Art Prüfungszeit eingeführt wurde. Über die Inhalte der Mysterien musste geschwiegen werden, so dass die Arkandisziplin (lat. arcanus = verschwiegen) einer der Gründe ist, warum nur weniges über diese Kulte überliefert ist39. Als grundlegende Kennzeichen der meisten Mysterienkulte können gelten: 1) Arkandisziplin; 2) Initiationsriten; 3) gemeinsame Mahlzeiten; 4) Identifikation mit dem Schicksal einer Gottheit; 5) Jenseitshoffnungen/Wiedergeburtsvorstellungen40.

Die Mysterienkulte waren vor allem eine Form persönlicher Optionen innerhalb des polytheistischen Systems der Antike. Die Mysten erhielten einen neuen Status, indem sie nicht nur an den Festen und Riten des Kultes, sondern auch an dem Schicksal bzw. den Wohltaten der Gottheit teilhatten. Dadurch kamen die Mysterienkulte dem frühen Christentum nahe, denn im Gegensatz zu den meisten lokalen griechischen Kulten verbanden die Mysterienreligionen mit ihren Riten positive Jenseitserwartungen.

Eleusis

Der wahrscheinlich älteste griechische Geheimkult (ca. 8. Jh. v.Chr.) sind die Mysterien von Eleusis (nahe Athen), wo sich ein Heiligtum der Demeter befand41. Die Getreide- und Fruchtbarkeitsgöttin Demeter symbolisierte den ewigen Kreislauf des Wiederaufkeimens und Absterbens, der in Eleusis den Mysten auch ein besseres Leben nach dem Tod in Aussicht stellte. Seine Blütezeit hatte der Kult in römischer Zeit, so ließen sich u. a. Cicero und römische Kaiser wie Augustus und Hadrian dort weihen.

Dionysos

Der Dionysos-Kult gehört zu den bedeutendsten und zugleich rätselhaftesten Erscheinungen antiker Religiosität42. Dionysos (Sohn des Zeus und der Königstocher Semele), auch (lat.: Bacchus) genannt, ist eine vielgestaltige und vielschichtige Gottheit. Er stand für die ungebändigte Natur, für Verwandlung und Ekstase, häufig verbunden mit Weingenuss, Musik, Tanz und teilweise wohl ausschweifender Sexualität. Zum Gefolge des Dionysos gehörten triebhafte Mischwesen wie der Satyr, der Hirtengott Pan und die Mänaden, die ekstatischen Anhängerinnen des Gottes. Darüber hinaus spielte Dionysos (bzw. seine Maske) eine wichtige Rolle in Theater- und Kultaufführungen. Ursprünglich war Dionysos wahrscheinlich ein Vegetationsgott, der bereits im ausgehenden 2. Jahrtausend v.Chr. auf Inseln (Kreta) verehrt wurde, thrakische sowie kleinasiatische Einflüsse aufnahm und dann in das griechische Kerngebiet einwanderte, wo sein Kult ab dem 6. Jh. v.Chr. wirklich fassbar ist. Zahlreiche städtische Dionysosfeste und Dionysosheiligtümer, ihm gewidmete Theater und Prozessionen zeugen von seiner großen Popularität43. Im Jahre 186 v.Chr. wurde der Geheimkult der Bacchanalien durch den römischen Senat vorübergehend verboten, weil die nächtlichen Treffen mit orgiastischen Elementen als Verschwörung angesehen wurden und die Ordnung bedrohten (Livius 39 8–18). Danach konnte sich der Dionysos-Kult aber auch in Italien durchsetzen, wofür es zahlreiche archäologische, künstlerische (z.B. in Pompeii) und literarische Zeugnisse gibt. Satzungen von Dionysos-Vereinen zeigen, dass die ekstatischen Elemente wohl Bestandteil des Mythos blieben, aber nicht mehr so praktiziert wurden. Dionysos galt im Besonderen als Garant für ein gutes Leben im Jenseits, das nach antiker Vorstellung mit Trinkgelagen verbunden war. ‚Totenpässe‘44 sicherten den Mysten den Übergang ins Jenseits, wo die Mysterienfeste fortgesetzt wurden und die Eingeweihten ein gutes/besseres Leben führen werden. Dionysos avancierte immer mehr zum Erlöser, der nicht nur die irdischen Sorgen vergessen machte, sondern die Elemente seines Mythos wurden von breiten Schichten symbolisch-allegorisch als Heilsgeschehen gedeutet.

Isis

Der Isis-Kult ist in Ägypten seit dem ausgehenden 3. Jahrtausend v.Chr. nachweisbar; in der hellenistischen Zeit nimmt er verstärkt griechische Züge an und verbreitet sich in fast allen Provinzen des römischen Reiches45. So sind z.B. in Alexandria, Korinth, Thessalonich, Puteoli, Pompeii46 und Rom Isis-Mysterien nachweisbar. Der Grundmythos erzählt47, dass Osiris, der brüderliche Gemahl der Isis, von seinem bösen Bruder Seth im Nil ertränkt und zerstückelt wurde. Dann verstreute dieser seine Körperteile über das Land. Isis findet ihren Mann, empfängt von ihm noch den Sohn Horus, um dann zusammen mit ihrer Schwester Nephthys den Osiris zu beweinen und zu bestatten. Osiris tritt seine Herrschaft im Reich der Toten an, während Horus heranwächst und mit der Hilfe der Isis den bösen Bruder Seth besiegt. Schließlich wird Horus so zum wahren Herrscher der Welt. Während Horus in der Oberwelt herrscht, üben Osiris und Isis ihre Herrschaft in der Unterwelt aus. Im Verlauf der Hellenisierung des Kultes wird Osiris teilweise mit dem Gott Sarapis identifiziert und nimmt immer mehr Züge des allgewaltigen Zeus an. Der Mythos von der Tötung des Osiris und seiner Wiederbelebung durch Isis symbolisiert nicht nur den ewigen Kreislauf von Vergehen und Neuwerden; er eröffnet darüber hinaus zahlreiche Anknüpfungspunkte: In den Weihen des Isis-Kultes erleben die Mysten bereits jetzt den Gang bis an die Grenze des Todes, sie erleben einen freiwilligen Tod‘, der sie auf das Zukünftige vorbereitet. So berichtet der Myste bei Apuleius über das zentrale Geschehen einer Isisweihe: „Ich bin an die Grenze des Todes gekommen und habe die Schwelle der Proserpina betreten, durch alle Elemente bin ich gefahren und dann zurückgekehrt, um Mitternacht habe ich die Sonne in blendend weißem Lichte leuchten sehen, den Göttern droben und drunten bin ich von Angesicht zu Angesicht genaht und habe sie aus nächster Nähe angebetet.“48 Die ‚Himmelskönigin‘49 Isis verheißt dem Mysten nicht nur ein glückliches Leben, sondern auch Geleit durch die Unterwelt50. Die Teilhabe am Schicksal der Gottheit verleiht den Mysten einen neuen Status; Isis weist als Mitherrscherin der Unterwelt, Gattin und Mutter den Mysten den Weg durch das gefahrvolle Totenreich und gewährt sein Heil. Die Isis-Mysterien kennzeichnet ein umfassendes kultisch-rituelles Stufensystem, das der Myste durchlaufen muss, um wirklich den Schutz der Gottheit zu erlangen. Dazu gehörten heilige Mahlzeiten51 ebenso wie zahlreiche Feste und Prozessionen. Isis wurde besonders in Italien auch zur Göttin der Frauen, zur Wundertäterin und zur allmächtigen und allgegenwärtigen Göttin52. Plutarch zeigt, wie Intellektuelle um 100 n.Chr. all diese merkwürdigen Geschichten aus Ägypten über verfeindete Götterfamilien, Tiergottheiten, heilige Zahlen und Riten verstehen konnten: „Man verehrt dann nicht sie selbst, sondern durch sie das Göttliche, insofern sie für dieses besonders klare, von der Natur geschaffene Spiegel sind.“53 Die symbolische Interpretation ermöglicht es, den gesamten Mythos mit all seinen Einzelheiten auf den göttlichen Logos zu beziehen und ihn so der Vernunft zu öffnen.

Kybele/Magna Mater

Der Kybele-Kult (Kybele = Große Mutter) stammt aus Kleinasien, wo er sich um 1000 v.Chr. in Phrygien ausbildete54. Die Region zwischen Phrygien und Galatien entwickelte sich bald zum Zentrum des Kultes und hier entstand eine große Priesterschaft, Galloi genannt, an deren Spitze ein Oberpriester stand, der den Namen Attis trug. Die Priester entmannten sich zu Ehren der Gottheit und feierten – ähnlich wie Dionysos – einen ekstatischen Kult mit Musikzügen, Kriegern und wilden Tieren. Kybele vereinte in sich sehr verschiedenartige Motive; sie war die Göttin der Berge und Erdentiefe, der Natur und der Tiere. Als Herrin der Natur wurde sie in den vielfältigen Ausprägungen des Mythos auch mit dem Werden und Vergehen der Vegetation verbunden. Dazu gehört auch, dass die Muttergottheit Kybele einen schönen jungen Liebhaber hatte, zumeist Attis genannt. Er wird ihr untreu, so dass sie ihn mit Wahnsinn bestraft, woraufhin er sich entmannt und stirbt. Dies reut Kybele und sie bittet Zeus, ihren Geliebten wiederzubeleben, was aber nicht vollständig gelingt. Seit dem 6. Jh. v.Chr. ist der Kybele-Kult in Athen und seit 200 v.Chr. in Rom nachweisbar. Mit der Magna Mater verbanden sich bei zahlreichen öffentlichen Festen vor allem Raserei, Kastration, Tod und partielle Wiederbelebung, so dass es nicht verwundert, dass der Kult – trotz seiner Verbreitung und Aufnahme in den römischen Pantheon – immer argwöhnisch betrachtet wurde. Zugleich erlebte der Magna-Mater-Kult mit dem Beginn der Kaiserzeit vor allem in Rom einen Aufschwung.

Mithras

Der Mithras-Kult führt sich auf die iranische Gottheit Mithras zurück, die ursprünglich ein Schwur-Gott war55. Über Kleinasien gelangte der Kult nach Rom und die westlichen. Provinzen, wobei er einen so starken Transformationsprozess durchlief, dass beim römischen Mithras-Kult vielleicht sogar mit einem Neuansatz zu rechnen ist56. Der römische Mithras-Kult dürfte im letzten Drittel des 1. Jh. entstanden sein und setzte sich im 2. Jh. n.Chr. im gesamten römischen Reich durch. Der Schwerpunkt lag neben Rom/Ostia vor allem in Militäranlagen entlang des Limes (Britannien, Germanien) und in den Donauprovinzen. Der Mithras-Kult war nur Männern vorbehalten, kannte keine weibliche Gottheit und fand unter Soldaten eine große Anhängerschaft, aber auch unter Sklaven und Freigelassenen, die in den Grenzprovinzen in der Verwaltung arbeiteten (z.B. als Steuerbeamte). Weitergetragen wurde der Kult vor allem innerhalb von Familien, vom Großvater auf den Vater und den Sohn. Als besondere Tugenden der Kultanhänger galten Tapferkeit, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Frömmigkeit. Eine zweite Besonderheit bestand darin, dass der römische Mithras-Kult offenbar der einzige ausschließlich private Mysterienkult war, während Dionysos, Isis oder Kybele mit zahlreichen öffentlichen Festen in den Städten verehrt wurden. Der Grundmythos erzählt, wie Mithras in einer Höhle einen Stier tötet, der als Inbegriff der Lebenskraft gilt. Die Höhle symbolisiert wahrscheinlich den Kosmos, dem nun durch die Tötung die Lebenskraft des Stieres zugute kommt, verkörpert durch die Teilnehmer an den kultischen Mahlfeiern. Gefeiert wurden die Mithras-Mysterien deshalb immer in höhlenartigen Räumen. Die kosmischen Dimensionen des Kultes zeigen sich auch in der Verbindung zwischen Mithras und dem unbesiegbaren Sonnengott Sol invictus, der immer wieder auf- und unterging. Mithras wird von diesem Sonnengott auf Kultbildern begleitet57, er gilt selbst als unbesiegbar und sein Geburtstag am 25.12. fällt mit dem des Sonnengottes zusammen. Im 4. Jh. n.Chr. wurde dann der 25.12. zum Geburtstag Jesu Christi, der nun die wahre Sonne verkörpert.

Die griechische und römische Religion, aber auch die Mysterienreligionen, unterschieden sich vom frühen Christentum vor allem durch zwei Punkte: 1) Sie hatten keine zentralen Offenbarungsschriften und betrieben 2) keine umfassende, bewusst geplante Mitgliederwerbung.

3.2.1 Philosophische Hauptströmungen

Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung III/1, Darmstadt 2006 (= 1923). – Hellmut Flashar (Hg.), Die Philosophie der Antike (2,1/2,2/3/4,1/4,2), Basel 1998.1983.1994.2007 – Maximilian Forschner, Die stoische Ethik, Darmstadt 21995. – Malte Hossenfelder, Die Philosophie der Antike 3: Stoa, Epikureismus und Skepsis, München 21995. – Ders., Antike Glückslehren, Stuttgart 1996. – Hans-Josef Klauck, Umwelt des Urchristentums II, 75–143. – Arthur A. Long/David N. Sedley, Die hellenistischen Philosophen, Stuttgart/Weimar 2000. – Heinrich Niehues-Pröbsting, Die antike Philosophie, Frankfurt 2004, 142–219.

Weil in der Antike ein sittliches Leben gleichbedeutend mit Philosophie war und die Philosophie handeln lehrt58, kann sie mit der Verkündigung und den ethischen Weisungen des frühen Christentums durchaus verglichen werden. In der Antike gehörten Philosophie und Theologie als konkrete Lebensformen zusammen; philosophische, religiöse und moralische Themen durchdrangen sich und galten nicht als getrennte Wissens- und Lebensbereiche59. Jede Philosophie hatte religiöses Potential und umgekehrt jede Religion auch philosophisches Potential60, zumal es vor allem der Philosoph ist, „der mit seinem Verstand () vielleicht am wahrsten und vollkommensten das Wesen des Göttlichen erklärt und verkündet.“61 Gott und gelingendes Leben sind zentrale Themen antiker Philosophie und Theologie. Fast allen Mitgliedern frühchristlicher Gemeinden in Städten wie Ephesus, Korinth, Philippi, Athen, Rom dürften die philosophischen Hauptströmungen der Zeit (zumindest in rudimentärer Form) bekannt gewesen sein (vgl. Apg 17,18).

Sokrates als Urbild des Weisen

Von herausragender Bedeutung für das geistige Leben im Römischen Reich war die schöpferische Entwicklung der Philosophie im Hellenismus. Sie knüpfte einerseits an die Schulen von Plato und Aristoteles an, auf der anderen Seite entstanden neue wirkmächtige Schulen, wie die Kyniker, die Stoiker und der Epikureer. Leitfigur der gesamten hellenistischen Philosophie war zweifellos Sokrates (um 470–399 v.Chr.)62, der als Urbild des allein seinen Überzeugungen folgenden Weisen und wahrhaft Freien63 galt. Die Bezugnahme auf Sokrates erfolgte allerdings in unterschiedlicher Weise64: Während sich die Kyniker und Stoiker am ‚wilden‘, ethischen Sokrates orientierten, stand für den Platonismus und die Akademie der fragende, aufdeckende und auf Erkenntnis zielende Sokrates im Mittelpunkt.

Kyniker

Die Kyniker führten sich auf den Sokrates-Schüler Antisthenes (ca. 445–365 v.Chr.) zurück65. Ihren Namen ( = „Kyniker“; abgeleitet von = „Hund“) erhielten sie wahrscheinlich aufgrund des Lebensstils ihres Hauptprotagonisten Diogenes von Sinope (ca. 400–325 v.Chr.), der sich teilweise wie ein Hund benahm und wie ein solcher hauste. Hauptvertreter der frühen Epoche des Kynismus waren u. a. Krates (ca. 365–285 v.Chr.), sein Schwager Metrokles, Menippos (ca. 350–270 v.Chr.), Bion (ca. 335–245 v.Chr.) und Teles (Mitte des 3. Jh. v.Chr.)66.

Kynismus als radikale Ethik

Die Kyniker verstanden Philosophie radikal als Ethik, ihre Grundeinsicht formuliert Antisthenes so: „Die Tugend () ist ausreichend () für das Lebensglück () und bedarf zusätzlich allein der Kraft eines Sokrates. Die Tugend ist eine Sache des Handelns und bedarf weder vieler Worte noch Kenntnisse“ (Diogenes Laertius 6,11). Daraus folgt eine Relativierung herkömmlicher kultureller Werte, so die Abkehr von Reichtum und Besitz67, die Verachtung von Luxus, Gewinnsucht und Habgier68, eine Distanz gegenüber Ehe und Familie69, die Bedeutungslosigkeit der Herkunft (als freier griechischer Mann)70, die Verwerfung traditioneller Machtpolitik (z.B. des Krieges) und die Skepsis gegenüber staatlichen, kulturellen und religiösen Ritualen. Die Kyniker enthalten sich der Erklärungsansprüche von Großtheorien (z.B. Plato) und stellen das persönliche Beispiel, die Praxis des gelingenden Lebens in den Vordergrund, wofür sie sich vor allem auf Sokrates berufen. Positiv fordern und praktizieren sie einen an der Natur und damit zugleich an der Vernunft orientierten Lebensstil, der die falschen Leidenschaften aus der Seele (Lust, Begierden, Zorn) ausrottet und zu einem einfachen, bedürfnislosen Leben führt. So ist der Kyniker wahrhaft frei und unabhängig; er steht ein für die ungeschminkte freie Rede und lässt sich für nichts und von niemandem instrumentalisieren; er zerbricht an keinem Schicksal, als Weiser genügt er sich selbst und ist darin den Göttern gleich. Die Herausbildung eines individuellen Freiheitsverständnisses gehört zu den herausragenden Kulturleistungen des Hellenismus71, insbesondere der kynisch-stoischen Philosophie. Es ist geradezu das Kennzeichen des Philosophen, in Freiheit zu leben (vgl. Epiktet, Dissertationes II 1,23); so wird von Diogenes überliefert, „dieselbe Lebensweise wie Herakles zu verfolgen, der die Freiheit allem vorzog“ (Diogenes Laertius 6,71). Speziell bei den Kynikern lässt sich eine große Zurückhaltung gegenüber postmortalen Theorien beobachten. Von Diogenes wird überliefert: „Es heißt auch, der sterbende Diogenes habe befohlen, ihn unbestattet zur Beute wilder Tiere abzulegen oder in einen Graben zu stoßen und etwas Staub darüber zu tun“ (Diogenes Laertius 6,79; vgl. 6,52; Lukian, Demonax 35.66).

Die Kyniker verstanden sich als Kosmopoliten; Diogenes antwortet auf die Frage, woher er komme: „Ich bin Weltbürger“ (Diogenes Laertius VI 63: )72 und Plutarch lobt Zenon ausdrücklich für sein universales Konzept, das Alexander d. Gr. als erster in die Praxis umgesetzt hat: „Dass wir nicht getrennt nach Stadtstaaten und Dörfern leben …, sondern alle Menschen als Landsleute und Mitbürger betrachten, und eine einzige Lebensform und -ordnung gelte“ (Moralia 329A–B)73. Weil die meisten Menschen falsche Vorstellungen vom wahren und naturgemäßen Leben haben, kommen die Kyniker als Kundschafter zu ihnen und bringen ihnen in Anekdoten, Sentenzen und Maximen (= Chrien; gr. ) jene Einsichten dar, die als Lebenssätze für alle Wechselfälle des Lebens Verwendung finden können. Das Handeln muss sich immer an den Umständen orientieren, denn Leiden entsteht durch eine falsche Auffassung von den Dingen. „Daher muss man nicht versuchen, die Verhältnisse zu ändern, sondern sich selbst den jeweiligen Umständen anzupassen, wie es auch die Seeleute tun. Sie versuchen nämlich nicht, die Winde und das Meer zu ändern, sondern sie bereiten sich darauf vor … So musst du dich gegenüber den Umständen verhalten. Du bist alt geworden: Lass die Spiele der Jugend. Du bist schwach: Lass die Hände von einer Arbeit, die Kraft verlangt …“ (Teles, Fragmente 2).

Kynische Wanderphilosophen

Im 1./2.Jh. n.Chr. erlebte der Kynismus eine zweite Blüte, wobei zwischen Kynikern und Stoikern oftmals nicht mehr zu unterscheiden war. Berühmte Kyniker bzw. Propagandisten kynischer Gedanken dieser Zeit waren Demetrios (lebte unter Nero und Vespasian), Dio Chrysostomus (ca. 40–120 n.Chr.), Epiktet (ca. 55–135 n.Chr.), Favorinus (ca. 80/90–150 n.Chr.) und Demonax (geb. 80/90 n.Chr.). Die Polemiken eines Dio Chrysostomus, Epiktet oder Lukian von Samosata (ca. 120–180 n.Chr.) gegen ein falsch verstandenes Kynikertum lassen sehr deutlich den Kynismus als ein reichsweites Phänomen erkennen. Die kynischen Wanderphilosophen bildeten keine elitäre Schule, sondern durchzogen die römisch-hellenistische Welt und brachten ihre Botschaft der sittlichen Erneuerung vor allem auf Straßen und Plätzen, vor Theatern und Tempeln zu Gehör74. Um Kundschafter der Götter zu sein, muss der Kyniker „ganz im Dienst der Gottheit stehen, imstande sein unter den Menschen herumzugehen, nicht gefesselt durch bürgerliche Pflichten, nicht gebunden durch persönliche Beziehungen“ (Epiktet, Dissertationes III 22,69)75. Sie erregten durch ihr unkonventionelles Aussehen (Mantel, Ranzen, Stock, lange und ungepflegte Haare), vor allem aber durch das Aufgreifen aktueller Themen und Probleme des alltäglichen Lebens häufig Aufsehen und zogen sich nicht selten die Feindschaft der Herrschenden zu76. Viele Wanderphilosophen hatten keinen festen Wohnsitz, sie reisten barfüßig, bettelten und schliefen auf dem Boden öffentlicher Gebäude. Ein Zentrum der im 1. Jh. n.Chr. neu belebten Kyniker-Bewegung war Korinth; schon Diogenes hielt sich hier gern auf und der berühmte Kyniker Demetrius77 lebte und lehrte ebenfalls in dieser Stadt.

Stoa

Der Kynismus und die Stoa sind sowohl durch ihre Entstehungsgeschichte als auch durch ihr geistiges Profil vielfältig miteinander verbunden. Als Gründer der Stoa gilt der Krates-Schüler Zenon aus Kition auf Zypern (ca. 334–262 v.Chr.). Er gründete um 300 n.Chr. eine Philosophenschule, die ihren Namen vom Ort des Lehrens erhielt; einer bemalten Säulenhalle an der Agora von Athen ( = „bunte Halle“). Als Namen für die Bewegung bürgerten sich dann (= „die Stoiker“) oder (= „die Stoa“) ein78.

Die Stoa als komplexes System

Der wichtigste Unterschied zwischen Stoa und Kynismus besteht darin, dass die Kyniker sich ausschließlich mit der Ethik befassten (vgl. Diogenes Laertius 6,103). Demgegenüber entwickelte die Stoa ein über die Ethik hinausgehendes komplexes wissenschaftliches System, das vor allem auch die Logik, die Sprachphilosophie, die Erkenntnistheorie und die Physik miteinschloss. Die Geschichte der Stoa kann in drei Hauptphasen aufgeteilt werden: Die ‚alte‘ Stoa umfasst den Zeitraum von ca. 300–150 v.Chr.; hier wirkten als Schulhäupter nach Zenon bes. Kleanthes (ca. 310–230 v.Chr.) und Chrysipp (ca. 282– 209 v.Chr.). Die ‚mittlere‘ Stoa von ca. 150 v.Chr. bis zur Zeitenwende fand ihre bedeutendsten Vertreter in Panaitios von Rhodos (ca. 180–100 v.Chr.) und Poseidonios (ca. 135–50 v.Chr.). Die kaiserzeitliche Stoa (bis ca. 150 n.Chr.) zeichnete sich nicht so sehr durch eine Theorieerweiterung, sondern vor allem (in Verbindung mit kynischen Elementen) durch eine Profilierung im ethisch-politischen Bereich aus. Hauptvertreter dieser Epoche79 waren Seneca (um 4 v.Chr. – 65 n.Chr.), Musonius Rufus (ca. 25–85 n.Chr.), Epiktet (ca. 55–135 n.Chr.) und Marc Aurel (121–180 n.Chr.).

Pantheismus

Die Stoa geht von einer göttlichen Struktur der Wirklichkeit aus. Sie vertritt einen monistischen Pantheismus, wonach die Gottheit in allen Daseinsformen wirkt. Sie ist weltimmanent und allgegenwärtig, zugleich aber gerade deshalb nicht fassbar. Chrysipp lehrt, „die göttliche Kraft liege in der Vernunft und in der Seele und dem Geist der gesamten Natur, und erklärt weiter, die Welt selbst und die alles durchdringende Weltseele sei Gott.“80 Es existiert nichts über die Stofflichkeit alles Seienden hinaus, es gibt weder einen transzendenten Schöpfergott noch eine metaphysische Weltbegründung. Die Gottheit wohnt als bildende Kraft, als (‚Geist-Hauch‘) oder (‚befruchtender Logos‘), den Dingen inne, die sie schuf. Nach der Stoa ist die Bestimmung des Menschen eingebettet in die Vorstellung einer göttlichen, zweckmäßig eingerichteten Allnatur, der zu folgen der Mensch berufen ist. In der Übereinstimmung mit der Allnatur (= ) und sich selbst vollzieht sich die authentische Selbsterfahrung des Vernünftigen. Indem sich der Mensch auf das naturgemäße Leben ausrichtet81, wählt er das seinen natürlichen Neigungen Zuträgliche (‚Oikeiosislehre‘; = „Zuträglichkeit“); er sucht durch naturgemäßes Leben das ihm zugedachte Lebensziel zu erreichen.

Die Affekte

Innere Freiheit

Um dies zu realisieren, gilt es richtige Urteile zu fällen und danach zu handeln. Falsche Urteile resultieren aus den Affekten82, denen durchweg falsche Vorstellungen zugrunde liegen83. Es ist die Aufgabe der Vernunft und damit der Philosophie, durch die Vernunft erst gar keine Affekte aufkommen zu lassen. Nur im Kampf mit sich selbst und gegebenenfalls gegen sich selbst ist das Gute zu finden. „Den Affekt nennen die Stoiker einen übersteigerten und der wählenden Vernunft nicht gehorchenden Trieb oder eine (unvernünftige) Bewegung der Seele wider die Natur.“84 Zu den Affekten zählen vor allem die Begierde, Furcht, Trauer, Lust, Unlust, Zorn, starke Liebe, Hass85. Deshalb ist das Ziel des Stoikers die Freiheit von den Affekten, die Apathie (), die allein dem Weisen eignet86. Für den Vernünftigen ist nur die Tugend () ein Gut, nur in ihr besteht die Glückseligkeit. Zu den Haupttugenden zählen („Einsicht“), („Besonnenheit“), („Beharrlichkeit“) und („Gerechtigkeit“). Um die Affekte zu vermeiden, die Tugend zu realisieren und damit die („Selbstgenügsamkeit/innere Unabhängigkeit“) zu erreichen, ist es nach Epiktet87 notwendig, das, worüber man nicht verfügen kann, von dem zu unterscheiden, worüber man Macht besitzt. Es geht um die Unterscheidung des Fremden vom Eigenen. Dies leistet die („freie Selbstbestimmung/freier Wille“); sie beschreibt die grundlegende und wesentliche Eignung, welche die menschliche Natur zum sittlichen Handein befähigt. Die Prohairesis umfasst die Anwendung von Elementen der Vernunft, zeigt eine Nähe zur Vorstellung von der Willensfreiheit und bleibt nie theoretisch, sondern ist immer auf das konkrete sittliche Handeln bezogen. Unsere Selbstbestimmung ist frei, sie kann von niemandem, nicht einmal von Gott beeinträchtigt werden88, denn sie stellt das eigentliche Selbst des Menschen dar. Gelebt und gefordert wird eine Selbstverwirklichung des Einzelnen durch den Gebrauch der Vernunft, die die wahre Natur des Menschen ist. Es geht darum, sich an jedem Ort und in jeder Situation als („edel und gut“) zu bewähren. Für den Stoiker (wie auch für den Kyniker) trägt der Mensch die wahren Lebenswerte in seinem Inneren und er braucht kein äußeres Geschick zu fürchten, wenn er diese ihm innewohnenden Kräfte bei jeder äußeren Lebenslage richtig anwendet. Deshalb bezeichnet Epiktet das berühmte Sokrateswort ausdrücklich als Merkspruch: „Anytos und Meletos können mich zwar töten, aber schaden können sie mir nicht.“89 Wenn die Selbstbestimmung/Vernunft erkennt, dass die äußeren Dinge, das Fremde, gleichgültig sind und Wert allein dem Eigenen, den sachgemäßen Vorstellungen von den Dingen zukommt, dann entstehen keine Affekte und gelingt Glückseligkeit. Der Bereich des Eigenen ist das Innere der Person, der allein in voller Verfügbarkeit steht. Ziel der Ethik ist es somit, das in unserer Verfügung stehende Wesen des Guten zu erkennen, zu realisieren und so wirklich frei zu sein. Für Epiktet ist Freiheit identisch mit innerer Unabhängigkeit: „Du musst alles fahren lassen, den Leib und den Besitz, den guten Ruf und deine Bücher, die Gesellschaft, das Amt und dein Privatleben. Denn wohin dich deine Neigung zieht, dort bist du zum Sklaven geworden, zum Untergebenen, bist gefesselt, gezwungen, kurz: bist du ganz von anderen abhängig“ (Dissertationes IV 4,33; vgl. Enchiridion 11). Wie dem Stoiker niemand etwas wirklich geben kann, so kann ihm auch nichts genommen werden90. Es ist sein Ziel, in Übereinstimmung mit sich selbst zu leben und sich gerade dadurch in die Harmonie des Kosmos einzufügen. Der Verzicht auf eine Sache und damit die innere Unabhängigkeit von ihr ist höher zu bewerten als ihr Besitz91. Epiktet, Enchiridion 11: „Sag nie von einer Sache: ‚Ich habe sie verloren‘, sondern: ‚Ich habe sie zurückgegeben‘ Dein Kind ist gestorben? Es wurde zurückgegeben. Deine Frau ist gestorben? Sie wurde zurückgegeben. ‚Man hat mir mein Grundstück gestohlen.‘ Nun, auch das wurde zurückgegeben.“ All diese Einsichten gewährt die Philosophie und wenn man ihr folgt, gewährt sie wahres Leben: „Gemütsruhe, Unerschrockenheit, Freiheit“ ()92.

Epikur

Epikur als Therapeut

Abwesende Götter

Eine eigenständige und sehr wirkmächtige Form antiker Philosophie schuf Epikur (341–270 v.Chr.)93. Er vertritt ein therapeutisches Denken, das darauf abzielt, den Menschen die Angst vor den Göttern, vor dem Tod und ihrem Unwissen über das Wesen von Lust und Unlust zu nehmen, um sie so zur Seelenruhe () und Glückseligkeit () zu führen: „Leer ist die Rede jenes Philosophen, von der nicht irgendeine Leidenschaft des Menschen geheilt wird.“94 Ausgangspunkt des epikureischen Denkens ist die Einsicht, dass Wissen nur aus sinnlicher Erfahrung gewonnen werden kann. Solange die Sinne sich rein rezeptiv verhalten und die Vernunft innerhalb ihrer Möglichkeiten verbleibt, kann kein Irrtum eintreten. Dies gilt einmal für die Kosmologie, die darauf abzielt, das Naturgeschehen ganz aus sich selbst zu erklären. Weder Erdbeben noch Himmelserscheinungen gehen auf die Götter zurück und müssen deshalb auch nicht als Strafe des Schicksals/der Götter verstanden werden95. Damit wendet sich Epikur gegen die weit verbreitete Meinung, die Götter würden die Welt regieren und in ihren Ablauf belohnend oder strafend eingreifen. Es gibt weder eine göttliche Vorsehung () noch ein von Mächten bestimmtes Schicksal (), sondern alles entsteht von selbst. Nach Epikur führen die Götter ein glückseliges, zeitenthobenes Leben, ohne sich um die Menschen zu kümmern. „Denn ein Gott tut nichts, ist in keine Geschäfte verwickelt, plagt sich mit keiner Arbeit, sondern freut sich seiner Weisheit und Tugend und verlässt sich darauf, stets in höchsten und vor allem in ewigen Wonnen zu leben.“96 Die Götter können als Unsterbliche weder leiden noch sich in Liebe der Welt zuwenden97. Sie sind den Niederungen des Lebens entrückt und haben mit den Menschen nichts gemein98. Damit widerspricht Epikur den geläufigen griechisch-hellenistischen Gottesbildern, er vertritt aber keineswegs einen atheistischen Standpunkt, sondern will ausdrücklich den Gottesbegriff in seiner Reinheit und Unverfälschtheit bewahren.

Mit der Furcht vor den Göttern, deren strafendes Handeln fälschlicherweise vorab in den Himmelserscheinungen gesehen wird, verbindet sich die Furcht vor dem Tod. Epikur vertritt eine eigenständige und bis heute faszinierende Theorie des Todes als Nicht-Zeit: „Der Tod hat keine Bedeutung für uns; denn was aufgelöst ist, ist ohne Empfindung; was aber ohne Empfindung ist, das hat keine Bedeutung für uns“ (Diogenes Laertius 10,139 = Epikur, Sententiae 2). Mit dem Tod stirbt also auch die Seele, was Epikur in seiner Naturlehre nachzuweisen versucht. Der Tod erscheint den Menschen so schrecklich, weil er Schmerzen verursacht, die Mythen von den Schrecken nach dem Tod erzählen und damit bereits in der Gegenwart lähmende Angst und eine Beeinträchtigung des möglichen Glücks erzeugen. Demgegenüber kennzeichnet den Weisen eine Haltung der Gelassenheit gegenüber dem Tod; er weist weder das Leben zurück, „noch fürchtet er das Nicht-Leben, denn weder ist ihm das Leben zuwider, noch vermutet er, das Nicht-Leben sei ein Übel. …, weil das Einüben des vollkommenen Lebens und des vollkommenen Sterbens ein und dasselbe ist“ (Epikur, Menoikeus 126).

Hedonismus als natürliches Verhalten

Auch die Ethik Epikurs basiert auf einer sensualistischen Erkenntnistheorie. Ausgangspunkt ist die einfache Beobachtung, dass der Mensch sich zu Lustempfindungen hingezogen fühlt, während er Schmerzempfindungen meidet. „Denn nur dann haben wir das Bedürfnis nach Lust, wenn wir deswegen, weil uns die Lust fehlt, Schmerz empfinden; (wenn wir aber keinen Schmerz empfinden), bedürfen wir auch der Lust nicht mehr. Gerade deshalb ist die Lust, wie wir sagen, Ursprung und Ziel des glückseligen Lebens“ (Epikur, Menoikeus 128). Mit ‚Lust‘ () meint Epikur nicht die Maximierung angenehmer, aber zugleich flüchtiger Gefühle/Zustände99, sondern eine natürliche Grundverfasstheit des Lebens, die als Freiheit von der Unruhe durch Furcht, Begierde und Schmerz und damit als Eudaimonie (Glück, Freude, Zuversicht) bezeichnet werden kann. Das Streben nach Glück entspricht der menschlichen Natur; Ziel des Einzelnen muss es daher sein, ein möglichst dem Wechsel von Lust und Unlust entzogenes Leben zu führen. Bestimmend ist dabei die Einsicht, dass uns die Bedürfnislosigkeit unbekümmerter und unabhängiger macht als ein Leben im Überfluss. Der Realisierung dieser letztlich individualistischen und auch unpolitischen Ethik dienen die ‚Lehrsätze‘ ( ) Epikurs100, die als praktische Anleitungen des glücklichen Lebens zu verstehen sind. Epikur betrieb eine bewusste Schulbildung und die Weitergabe seiner Lehrsätze sicherte über Jahrhunderte den Einfluss seiner Schule.

Skeptizismus

Zu den einflussreichen Strömungen antiker Philosophie gehörte auch der Skeptizismus101. Als sein Begründer gilt Pyrrhon von Elis (ca. 365–275 v.Chr.), von dem nichts Schriftliches erhalten ist. Der Skeptizimus steht in der Tradition der Akademie und machte im Verlauf seiner Geschichte starke Anleihen bei der Stoa und Epikur. Zugleich zeichnet ihn aber ein unverkennbares Profil aus, denn die Grundlage des pyrrhonischen Denkens ist die Unlösbarkeit des Erkenntnisproblems, die Unerkennbarkeit der Dinge und die daraus folgende Enthaltung im Urteil. „Denn er lehrte, nichts sei schön oder hässlich, gerecht oder ungerecht usw., also nichts sei in Wirklichkeit so, sondern nur durch Konvention und Sitte werde der Menschen Tun bestimmt“ (Diogenes Laertius 9,61). Nach Pyrrhon erlebte der Skeptizismus einen Niedergang und gewann erst im 1./2. Jh. n.Chr. wieder an Bedeutung; als sein bedeutendster Vertreter gilt Sextus Empiricus, der in der zweiten Hälfte des 2. Jh. n.Chr. in Alexandria lebte.

Nichts ist begründbar und sicher

Weil jedem Argument ein gleichwertiges entgegengesetzt werden kann, sind die Dinge nicht wirklich unterscheidbar und gibt es auch keine Wertunterschiede zwischen ihnen (Adiaphora = ). Für den Skeptiker kann der Mensch das Glück nicht wirklich anstreben, weil er nicht weiß, worin es besteht und wo es zu finden ist. Dennoch muss selbst der Skeptiker leben und handeln: „Wir halten uns also an die Erscheinungen und leben undogmatisch nach der alltäglichen Lebenserfahrung, da wir gänzlich untätig nicht sein können.“102 Die Glückseligkeit ergibt sich nicht aus der bewussten Suche nach Wahrheit, denn die nicht entscheidbare Frage nach Gut oder Übel versetzt den Menschen nur in eine fortwährende Unruhe. Der Skeptiker dagegen hält inne: „Die Skepsis ist die Kunst, auf alle mögliche Weise erscheinende und gedachte Dinge einander entgegenzusetzen, von der aus wir wegen der Gleichwertigkeit der entgegen gesetzten Sachen und Argumente zuerst zur Zurückhaltung, danach zur Seelenruhe gelangen.“103 Man kann zwar bestimmte Sitten und Verhaltensweisen erklären und auch praktizieren, aber die Frage nach Richtig und Falsch ist nicht lösbar, so dass sich aus der Gleichwertigkeit der Dinge eine Zurückhaltung im Urteil ergibt. Eine vollkommene Ataraxia ( = „Gemütsruhe“) ist deshalb nicht möglich, sondern immer nur die unter den gegebenen Umständen erreichbare Glückseligkeit. Der Skeptiker führt deshalb stets ein Leben in ‚Anführungszeichen‘104; er hat es sich nicht ausgesucht und stimmt ihm auch nicht zu, sondern ist ihm unterworfen. Ein Zustand, den er wegen mangelnder Erkenntnis weder rückgängig machen noch wirklich ändern kann. Selbst der Zweifel an der Möglichkeit gesicherter Erkenntnis ist nicht sicher: „Wir wissen nichts; wir wissen noch nicht einmal dies, dass wir nichts wissen“105. Zugleich bewahrt aber diese Einsicht vor fortwährender Unruhe und deshalb ist auch der Skeptizismus eine Form therapeutischer Philosophie.

Mittelplatonismus

Philosophiegeschichtlich106 ist der Mittelplatonismus des 1. Jh. v.Chr. – 2./3. Jh. n.Chr. eher eine Randerscheinung107, für die intellektuelle Stimmung und das Bildungsideal der neutestamentlichen Zeit sowie für das Ineinanderfließen von Denktraditionen aber von großer Bedeutung. Zwei Grundvorstellungen prägen den Mittelplatonismus: 1) Die Existenz und absolute Transzendenz Gottes sowie 2) die Unsterblichkeit der Seele. Damit verbanden sich zahlreiche weitere platonische Gedanken, zugleich konnten aber Mittelplatoniker wie Philo von Alexandrien (ca. 20 v.Chr. – 45 n.Chr.), Plutarch (ca. 45–120 n.Chr.), Apuleius (ca. 125–175 n.Chr.) und Maximus von Tyros (ca. 125–185 n.Chr.) auch stoische, epikureische und neupythagoreische Traditionen aufnehmen und mit ihren Grundannahmen verbinden.

Die platonische Gottesvorstellung

Leib-Seele-Dualismus und Jenseitsvorstellungen

Das eigentliche Sein ist nach Plato das geistig-ideelle Sein ( ), die Welt der Ideen. Sie liegen als eigentliche Wirklichkeit allen sinnlichen Wahrnehmungen zugrunde, während die Welt der Wahrnehmungen dem Wandel, der Täuschung, dem Vergehen, dem ‚Schein‘ () unterworfen ist. Folglich werden Gott/die Götter allein der ideellen, geistigen, jenseitigen, unkörperlichen und zugleich einzig wirklichen Ebene zugewiesen: der Welt der Ideen. Die höchste Gottheit ist identisch mit der höchsten Idee: dem Guten („Das Göttliche nämlich ist das Schöne, Weise, Gute und was ihm ähnlich ist“, Phaidros 246d)108. Weil Gott in jeder Hinsicht der Vollkommene ist (Politeia 381b), kann er sich nicht wandeln und den Menschen nahe kommen109, sondern muss bei sich selbst bleiben: „Also ist es auch für Gott unmöglich, dass er sich wandelt“ (Politeia 381c). Im Gegensatz zu den unwandelbaren Göttern gilt für die Welt und den Himmel: „Er ist geworden; denn er ist sichtbar und betastbar und im Besitz eines Körpers“ (Timaios 28b). Aus diesem Grundansatz, der jenseitigen Welt einen höheren Wirklichkeitsstatus als der Welt der Erscheinungen zuzuschreiben, ergibt sich der platonische Leib-Seele-Dualismus. Sokrates definiert den Tod ausdrücklich als eine Absonderung der Seele vom Leib; ein Vorgang, der bereits im Leben einsetzt, „dass man die Seele möglichst vom Leibe absondere und sie gewöhne, sich von allen Seiten her aus dem Leibe für sich zu sammeln und zusammenzuziehen und soweit wie möglich, sowohl gegenwärtig als hernach, für sich allein zu bestehen, befreit, wie von Banden, von dem Leibe“ (Plato, Phaidon 67c). Die Seele gleicht dem Göttlichen, der Leib hingegen dem Sterblichen (vgl. Plato, Phaidon 80a)110. Die Seele begibt sich nach dem Tod und damit nach dem Auflösen des Leibes an einen von Gott gewiesenen edlen Ort. Dies gelingt, „wenn sie sich rein losmacht und nichts von dem Leibe mit sich zieht, weil sie mit gutem Willen nichts mit ihm gemein hatte im Leben, sondern ihn floh und in sich selbst gesammelt blieb“ (Phaidon 80e). Plato sammelte und systematisierte die griechischen Jenseitsvorstellungen und gab ihnen jene Gestalt, die dann ab dem 4. Jh. v.Chr. prägend wirkte111.

Jüdischer Platonismus

Ein bedeutender Vertreter des Mittelplatonismus war Philo von Alexandrien. Er entstammte einer reichen Familie Alexandriens und unternahm entschiedener als seine Vorgänger (z.B. Demetrios, Aristobul) den Versuch, die jüdische Überlieferung und die griechische Philosophie miteinander zu verbinden. Er wandte die von der Stoa entwickelte allegorische Auslegungsmethode auf die jüdische Bibel an, um so vor allem die anstößigen Anthropomorphismen zu bewältigen. Er ruft dazu auf, den einen und wahren Gott zu verehren und nach einem Leben in Frömmigkeit und Tugend zu streben. Dabei erscheint vor allem die Tora als der wahre Weg zur Tugend und Glückseligkeit und Mose als großer Philosoph und Lehrer112 eines gottgefälligen Lebens. Gottes Werke sind wohl in der Schöpfung und in der Lenkung des Kosmos zu erkennen, aber Gott selbst wird als rein geistiges Sein gedacht. So kommentiert Philo das Verbot, Götter aus Silber oder Gold zu machen, folgendermaßen: „denn wer meint, dass Gott Beschaffenheit habe, oder wer Gottes Einheit leugnet oder bestreitet, dass er ungeworden, unvergänglich und unwandelbar sei, der begeht Unrecht gegen sich selbst, nicht gegen Gott, wie es heißt: ‚machet euch nicht‘. Denn man muss an seine Gestaltlosigkeit, Einheit, Unvergänglichkeit und Unwandelbarkeit glauben; wer nicht also gesinnt ist, erfüllt seine Seele mit lügnerischem und gottlosem Wahn“ (Legum Allegoriarum I 51). Philo versteht sich bei seiner Aufnahme (vor allem) der Stoa und des „hochheiligen Plato“113 als ein legitimer Interpret der jüdischen Überlieferung für seine Zeit.

Der bedeutendste Mittelplatoniker war zweifellos Plutarch von Chaironeia114. Plutarch vereinigt in seiner Person alle bedeutenden Bildungstraditionen seiner Zeit. Er betrieb in seinem griechischen Heimatort eine philosophische Schule, hatte Kontakt zu namhaften Philosophen seiner Zeit, unternahm Reisen (z.B. nach Rom und Ägypten) und war ca. 20 Jahre lang einer der beiden Hauptpriester von Delphi. Er versuchte die griechische Religion wieder neu zu beleben, hatte weitgestreute kulturgeschichtliche Interessen und vollzog in seinen Doppelbiographien die Synthese von griechischem Geist und römischer Macht.

Paganer Monotheismus

Die starke Betonung der absoluten Transzendenz und Andersartigkeit Gottes, sein kategoriales Geschiedensein von allem Menschlichen und damit sein Entschwinden in eine unnahbare Ferne sind charakteristisch für die negative Theologie des Mittelplatonismus, speziell für sein Gottesbild115, das bei Plutarch so formuliert wird: „Was ist nun wirklich seiend? Das Ewige und Ungewordene und Unvergängliche, dem auch keine Zeit Veränderung bewirkt“ (Delphi 19). Für Plutarch sind Gott/die Götter die einzige der Zeit und dem Werden entnommene Wirklichkeit, sie stehen jenseits der Bewegung, des Werdens und Vergehens. Mit der Transzendenz Gottes verbindet sich deutlich eine Tendenz zum Monotheismus bei Plutarch116: Die Gottheit wird zwar bei den verschiedenen Völkern jeweils anders genannt, dennoch ist sie für alle Menschen dieselbe: „So gibt es einen Logos ( ), der den Kosmos ordnet, und eine Vorsehung, die dies leitet, und helfende Kräfte, die für alles eingeteilt sind.“117

Mittlergestalten

Das Konzept der einen, absolut transzendenten Gottheit musste die Frage aufwerfen, wie eine Kommunikation zwischen Gott und Mensch überhaupt möglich ist. Plutarch bestimmt Mittlerwesen, die den Kontakt zu den wahren Gottheiten halten und eine für die Menschen unabdingbare Funktion wahrnehmen. Er verdeutlicht es am Isis-Osiris-Mythos: „Aus diesem Grunde tut man wohl am besten, wenn man alles, was von Typhon, Osiris und Isis erzählt wird, nicht für Begebenheiten einiger Götter oder Menschen, sondern gewisser großer Geister ( ) hält, welche, wie auch Plato, Pythagoras, Xenokrates und Chrysipp mit den alten Theologen übereinstimmend behaupten, zwar stärker sind als Menschen und von Natur aus eine größere Macht besitzen als wir, aber auf der anderen Seite auch nicht eine ganz reine und unvermischte Gottheit, sondern so wie wir eine Seele und einen Körper haben, die Vergnügen und Schmerz empfinden können … Und Plato nennt diese Art von Dämonen Dolmetscher und Mittelpersonen zwischen den Göttern und Menschen, die die Wünsche und Gebete der Sterblichen vor die Gottheit tragen und von da Prophezeiungen und gute Gaben zurückbringen“ (De Iside et Osiride 360.361). Das Konzept göttlicher Mittlerwesen und die Tendenz zum Monotheismus bei Plutarch lassen erkennen, wie es auch für Menschen aus dem genuin griechisch-römischen Kulturbereich möglich war, einen Zugang zu der neuen Religion der Christen zu finden.

Innerhalb der Ethik zeigt sich Plutarch als Philanthrop; er möchte die Menschen zur Überwindung der Begierden und zur tätigen Übung der Tugenden führen, um sie so von allen falschen Vorstellungen zu befreien. Deshalb gibt er Ratschläge auf fast allen Gebieten der Ethik, vom Fürstenspiegel bis hin zur Kindererziehung. Wahre Gottesfreunde sind nach Plutarch die Menschen dann, „wenn ihr geläuterter Sinn in Gott den Urquell alles Guten, den Vater alles Schönen erkennt, ihn, der Böses weder tun noch leiden kann. Er ist gut, und er weiß nichts von Missgunst, Furcht, Zorn und Hass“118. Gott gibt in der Vernunft/dem Logos Anteil an seiner Gerechtigkeit, Wahrheit und Milde und befähigt so die Menschen, sich dem Guten zuzuwenden.

Die antike Philosophie war immer auch eine Form paganer Theologie; die Götter galten als die Garanten und Begleiter menschlichen Lebens. Um die Zeitenwende herum dominierte eine therapeutische Philosophie/Theologie, die darauf abzielte, den Menschen die Meisterung des Schicksals zu ermöglichen. Als Lebensform und Technik des Glücklichseins, als Wissenschaft vom Leben119 kommt es der Philosophie darauf an, die im Menschen vorhandenen Tugenden zu wecken bzw. die Einsicht des Menschen zu fördern, sich an diesen Tugenden zu orientieren.

3.3 Das Judentum

Emil Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi I–III, Leipzig 41901– 1911 (Nachdrucke). Engl. Neubearbeitung hg. v. Geza Vermes/Fergus Millar/Matthew Black, Edinburgh I–III 1973–1987. – Leo Baeck, Das Wesen des Judentums, Gütersloh 1998 (= 1905). – George F. Moore, Judaism in the first Centuries of the Christian Era I–III, Cambridge 1927–1930. – Martin Hengel, Judentum und Hellenismus, WUNT 10, Tübingen 21969. – Arye Ben-David, Talmudische Ökonomie, Hildesheim 1974. – Günter Stemberger, Geschichte der jüdischen Literatur, München 1977. – Ders., Das klassische Judentum, München 1979. – Haim Hillel Ben-Sasson (Hg.), Geschichte des jüdischen Volkes I, München 21981. – Jacob Neusner, Judentum in frühchristlicher Zeit, Stuttgart 1988.– Johann Maier, Zwischen den Testamenten, NEB.AT EB 3, Würzburg 1990. – Günter Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, SBS 144, Stuttgart 1991. – Hartmut Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, Freiburg 102007. – Werner Eck, Rom und Judäa, Tübingen 2007. – Martin Hengel/Anna Maria Schwemer, Jesus und das Judentum, 39–168. – Kenneth C. Hanson/Douglas E. Oakman, Palestine in the Time of Jesus. Social Structures and Social Conflicts, Minneapolis 22008. – Peter Schäfer, Geschichte der Juden in der Antike, Tübingen 22010. – Richard A. Horsley, Revolt of the Scribes, Minneapolis 2010.

Der Begriff ‚Judentum‘

Monotheismus, Erwählung, Tora und Tempel

Als Oberbegriff benennt ‚Judentum‘120 die mit der Eroberung Babylons durch die Perser (539 v.Chr.) beginnende Geschichte Judas (zugleich idealtypisch: Israel) und der jüdischen Diaspora unter den militärisch-kulturellen Fremdmächten der Perser, Griechen und Römer121. Unter Darius I. wurden um 520 v.Chr. in der persischen Provinz Jehud neue Verwaltungs- und Wirtschaftsformen geschaffen, in deren Rahmen in mehreren Etappen eine Rückkehr von Exilanten aus dem Exil erfolgte. Der Tempel wurde wieder aufgebaut (ca. 520–515 v.Chr.) sowie Sozial- und Kultreformen unter Esra (458 v.Chr.?) und Nehemia (445–433 v.Chr.) durchgeführt. In dieser Zeit konstituierte sich die maßgebliche Form des Judentums. Im Zentrum der Bemühungen stand die Hochschätzung und Durchsetzung des Gesetzes des Mose (vgl. Esr 7/Neh 8;10)122, wobei der Einsetzung der Feste (Passa: Esr 6,19–22; Laubhüttenfest: Neh 8,13–18; Sabbat: Neh 13,15– 22) und dem Verbot der Mischehen offenbar eine besondere Bedeutung zukam (vgl. Esr 9f/Neh 13,1–3.23–31). Das Deuteronomium lieferte dafür das im Hintergrund stehende theologische Programm und spiegelt in seinen Fortschreibungen diesen Prozess. Der Wiederaufbau Jerusalems wird als göttliche Führungsund Bundesgeschichte interpretiert; Jahwe gibt seinem Volk seine alte/neue Identität zurück. Der Jahwe-Monotheismus, die Erwählung, die Tora des Mose, der Tempel, der Sabbat, der Bund und das Land ‚Israel‘ standen von nun an im Zentrum des religiösen Denkens und formten die Religion des Judentums (s.u. 3.3.1).

Auch im Anschluss an die Eroberungszüge Alexanders des Großen im Nahen und Mittleren Osten (zwischen 336 und 323 v.Chr.) blieb Juda eine größtenteils autonome Provinz, die neben einem Statthalter von den jeweiligen Hohepriestern nach den Vorschriften der Tora geführt wurde. Unter den Ptolemäern (ca. 301–200 v.Chr.) und den Seleukiden (ca. 200–63 v.Chr.) geriet Juda angesichts des massiven Hellenisierungsdruckes in eine anhaltende Identitätskrise (s.u. 3.3.1), die zur Aktivierung jener Bewegungen (Apokalyptik, Weisheit) und zur Bildung jener Gruppen (Pharisäer, Essener, Zeloten) führte, die für die Welt des Neuen Testaments von großer Bedeutung sind. Auch nach der Eroberung Palästinas durch die Römer (Pompeius 63 v.Chr.) erfolgte keine direkte Unterstellung unter römische Herrschaft, sondern Vasallenfürsten (vor allem Herodes der Große 37–4 v.Chr.) regierten das Land unter Anerkennung seiner überlieferten religiös-politischen Strukturen.

Die Diaspora

Die Entstehung der jüdischen Diaspora ( = „Zerstreuung“) ist im 6. Jh. v.Chr. mit dem babylonischen Exil und Deportationen verbunden123. Im 5. Jh. existierte nicht nur in Babylonien eine blühende jüdische Kultur, sondern auch für die ägyptische Nilinsel Elephantine ist eine Diaspora-Gemeinschaft belegt. In Kleinasien expandierte die jüdische Diaspora besonders unter den Seleukiden (ab 200 v.Chr.), in Ägypten wurde Alexandria zum kulturell höchst bedeutsamen Zentrum des Diaspora-Judentums. Weitere Zentren der Diaspora waren Syrien (Antiochia, Damaskus), Zypern, Griechenland mit Kreta, Rom und die Kyrenaika124. Insgesamt lebten in der Diaspora weitaus mehr Juden als in Palästina, im 1. Jh. n.Chr. ca. 5–6 Millionen Menschen125. Die meisten Juden außerhalb Palästinas lebten in Ägypten, deren Zahl Philo mit rund einer Million angibt126. Die jüdischen Diaspora-Gemeinden hatten eine weitgehende interne Selbstverwaltung, dennoch hing ihr Wohlergehen immer auch vom Wohlwollen der Herrscher und der jeweiligen nichtjüdischen Bevölkerung ab. Grundsätzlich galt auch für die Diaspora das Ziel, nach den ‚Gesetzen der Väter‘ und den jüdischen Sitten zu leben, d.h. speziell die Ehe- und Speisegesetze sowie den Sabbat einzuhalten. Obwohl die Pilgerreisen nach Jerusalem ein wichtiges Band zwischen Palästina und der Diaspora waren, förderte die Entfernung zum Jerusalemer Tempel die Entstehung der Synagoge ( = „Versammlung“) als neuem kulturellen und religiösen Zentrum der jüdischen Gemeinden. Erste Spuren finden sich ab dem 3. Jh. v.Chr. in Ägypten, seit dem 1. Jh. v.Chr. setzte sich die Synagoge auch langsam in Palästina durch127. Die Dominanz der griechischen Sprache und der kulturelle Einfluss des Hellenismus erforderten nicht nur eine Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische (Septuaginta), sondern es entstand mit den jüdisch-hellenistischen Schriften der Diaspora ein eigener Literaturzweig, der sich griechischem Denken teilweise stark öffnete.

Die politische Situation des Judentums um die Zeitenwende

Die Geschichte des Judentums im 1. Jh. vor und im 1. Jh. nach der Zeitenwende lässt sich nur unter Einbeziehung der Auseinandersetzungen um die Hellenisierung im 2. Jh. v.Chr. verstehen. Der Seleukide Antiochius IV. Epiphanes (175–164 v.Chr.) betrieb eine aggressive Hellenisierungspolitik. Er plünderte 169 v.Chr. den Tempel und betrat das Allerheiligste (vgl. 1Makk 1,21–23; 2Makk 5,15f.21); 168 v.Chr. erließ er Religionsedikte, die faktisch ein Verbot der Ausübung der jüdischen Religion darstellten (vgl. 1Makk 1,44–50). Darüber hinaus führte er 167 v.Chr. den Kult des Gottes Zeus Olympos im Jerusalemer Tempel ein (vgl. Dan 9,27; 11,31: ‚Greuel der Verwüstung‘) und ließ auf dem Land überall Altäre aufstellen, an denen jeder der fremden Religion opfern konnte. Ziel des Seleukiden war eine vollständige Hellenisierung und damit Integration Judas in das seleukidische Weltreich.

Makkabäeraufstand und Gruppenbildung

Makkabäer

Gegen diese gewaltsamen Assimilationsbestrebungen bildete sich innerhalb des Judentums eine Opposition. Die Befürworter der Zwangshellenisierung innerhalb des Judentums dürften eine Minderheit gewesen sein, die vor allem in Jerusalem lebte und von der Entwicklung persönlich profitierte128. Die meisten Juden hingegen – insbesondere auf dem Land – standen diesen Hellenisierungsbestrebungen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Von dem Beginn des offenen Widerstandes gegen Antiochius IV berichtet 1Makk 2,15–28, wonach ein jüdischer Priester namens Mattatias aus Eifer für das Gesetz einen anderen Juden erschlug, der ein Opfer vor einem heidnischen Altar darbringen wollte. Zusammen mit ihm erschlug er auch den königlichen Beamten, der sie zum Opfer zwingen wollte und riss den Altar nieder. Danach floh er mit seinen Söhnen in die Berge und organisierte den Widerstand. Bald nach dem Beginn der Erhebung im Jahre 167 v.Chr. starb Mattatias und sein Sohn Judas trat an die Spitze der Bewegung; er wird in 2Makk 5,27 allein als Heerführer erwähnt und erhielt den Beinamen ‚der Makkabäer‘ ()129, nach dem die ganze Bewegung genannt wurde.

Schon bald verbanden sich mit der makkabäischen Bewegung die gesetzestreuen ‚Frommen‘ (gr.: ), von denen es in 1Makk 2,42 heißt: „Damals schloss sich ihnen auch die Gemeinschaft der Hasidäer an, das waren tapfere Männer aus Israel, die alle dem Gesetz treu ergeben waren“ (vgl. 1Makk 7,13; 2Makk 14,6). Die Wendung („Gemeinschaft der Hasidäer“) weist darauf hin, dass diese Gruppe bereits längere Zeit existierte und sich schon vor den Makkabäern gebildet hatte. Ihr dürften Priester und maßgeblich Schreiber/Schriftgelehrte (gr.: ) angehört haben (vgl. 1Makk 7,12f), die vor allem seit der Perserzeit als Überlieferungsträger für die jüdische Identität eintraten und apokalyptische Schriften verfassten, in denen der politische und theologische Protest gegen den Assimilationsdruck durch Großmächte unübersehbar ist (s.u. 3.3.1).

Im Umfeld dieser Bewegung wird zumeist auch der gemeinsame Ursprung von Pharisäern und Essenern vermutet130, denn wie diese zeichneten sich die Hasidäer offenbar durch einen besonderen Toragehorsam und eine entschiedene Abwehr von Überfremdungserscheinungen des jüdischen Glaubens aus131. Josephus scheint diese Interpretation zu bestätigen, denn er erwähnt für die Zeit des in den Kreisen der Toratreuen sehr umstrittenen nicht-zadokidischen Hohepriesters Jonathan (152–143 v.Chr.) die Existenz der drei jüdischen Schulrichtungen der Pharisäer, Sadduzäer und Essener (vgl. Josephus, Antiquitates 13,171–173).

Pharisäer

Konturen gewinnen die Pharisäer132 zur Zeit des Johannes Hyrkan (135/134–104 v.Chr.), wo sie als eine gegen den König eingestellte festgefügte Gruppe erscheinen, die über ein großes Ansehen beim Volk verfügt (vgl. Josephus, Antiquitates 13,288–292). Die Pharisäer verlangten von Hyrkan die Aufgabe des Hohepriesteramtes, möglicherweise weil seine Mutter einmal in Kriegsgefangenschaft geraten war. Hier zeigen sich Übereinstimmungen mit den ursprünglichen Idealen der makkabäischen Bewegung, die zuallererst an einem legitimen Tempelkult und der korrekten Einhaltung der Tora interessiert war. Eine dominierende Stellung nahmen die Pharisäer z. Zt. von Salome Alexandra ein (76–67 v.Chr.), Josephus betont ihren stets wachsenden Einfluss auf die Königin (vgl. Bell 1,110–112). Unter Herodes d. Gr. (40–4 v.Chr.) dürfte der Einfluss der Pharisäer eher geringer gewesen sein133. Josephus gibt ihre Zahl für diese Zeit mit 6000 an (Antiquitates 17,42)134, sie stellten eine einflussreiche Minderheit innerhalb der jüdischen Bevölkerung dar. Gegen Ende der Herodeszeit wandelten sich die Pharisäer von einer politischen Gruppe zu einer Frömmigkeitsbewegung135.

Zeloten

Bedeutsam war die Abspaltung einer radikalen Richtung innerhalb der Pharisäer, die sich selbst im Anschluss an Pinhas (Num 25) und Elia (1Kön 19,9f) Zeloten ( = „die Eiferer“) nannten. Diese Gruppe bildete sich 6 n.Chr. unter Führung des Galiläers Judas von Gamala und des Pharisäers Zadduk (vgl. auch Apg 5,37)136. Die Zeloten zeichneten sich durch eine Verschärfung des ersten Dekaloggebotes, strenge Sabbatpraxis und eine rigorose Einhaltung der Reinheitsgebote aus. Sie strebten eine radikale Theokratie an und lehnten die römische Herrschaft über das jüdische Volk aus religiösen Gründen ab137.

Eine eher entgegengesetzte politische Haltung nahmen die Sadduzäer ein (s.u. 5.4), die vornehmlich aus den aristokratischen Familien Jerusalems stammten und ihre herrschende Stellung im politischen und religiösen System des Judentums (vor allem im Synedrium) durch die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Großmächten zu sichern suchten.

Essener

Wie in der Anfangszeit der Pharisäer spielte auch bei den Essenern die Legitimität des Hohepriesteramtes und damit die Reinheit des Tempelkultes eine entscheidende Rolle. Die Übernahme des Hohepriesteramtes durch den Nichtzadokiden Jonathan im Jahr 152 führte wahrscheinlich zum Eintritt des Lehrers der Gerechtigkeit (als bisherigen Hohepriester) in die schon seit ca. 20 Jahren bestehende Bewegung des ‚Neuen Bundes‘ (vgl. CD I 5–11)138. Diese chassidische Gruppe bildete nun zusammen mit dem Leher der Gerechtigkeit und seinen priesterlichen Anhängern die Essener ( = die Frommen). Diese Entstehungsgeschichte erklärt die für die Essener charakteristische andauernde starke Polemik gegen den aktuellen Tempelkult in Jerusalem. Nach Philo gab es 4000 Essener139, die in Dörfern lebten und die Städte mieden. Andererseits bezeugt Josephus ein Essener-Tor in Jerusalem (Bellum 5,145), das auf einen vornehmlich von Essenern bewohnten Stadtteil hinweist140. Er spricht außerdem davon, dass sich die Essener hinsichtlich der Ehe unterschieden; eine Richtung erlaubte die Heirat, eine andere hingegen lehnte sie ab (vgl. Bellum 2,160). Schließlich weisen die Schriftfunde bei Qumran darauf hin, dass hier in unmittelbarer Nähe zum Toten Meer von ca. 100 v.Chr. – 68 n.Chr. ein geistiges Zentrum der Essener existierte141. Die Essener dürften also keine uniforme Bewegung gewesen sein; auffällig bleibt schließlich, dass sie im Neuen Testament nicht erwähnt werden. Nach den Qumran-Texten vertraten die Essener einen radikalen Toragehorsam (vgl. CD 20,19– 21), der sich mit einem vertieften Sündenverständnis (vgl. 1QH 4,30; 1QS 11,9f) und mit einem elitären Erwählungsbewusstsein verband142. Sie sahen sich als Gegenüber zum (kultisch entweihten) Jerusalemer Tempel, wo der ‚Frevel-Priester‘ regiert (vgl. pHab 8,8–13 u.ö.). Demgegenüber praktizierten die Qumran-Essener den idealen Kultus und widerstanden so als ‚Söhne des Lichtes‘ den über Israel hereingebrochenen endzeitlichen Versuchungen. Dem gnädigen Wirken Gottes in der Endzeit durch die Offenbarung seines Willens bei den Vorherbestimmten, der Gemeinschaft der Qumran-Frommen, entspricht deren vollkommene Ausrichtung an der Tora und ihre Buße für rituelle und ethische Vergehen. Dennoch bedürfen auch die Frommen des Erbarmens Gottes, die Gerechtigkeit Gottes ist seine Bundes- und Gemeinschaftstreue, aus der die Gerechtigkeit des Menschen erwächst (vgl. 1QH 12,35–37).

Hohepriester

Vom Makkabäeraufstand bis hin zum jüdischen Krieg war das Hohepriesteramt ein zentraler Streitpunkt zwischen den Juden und den herrschenden Großmächten, aber auch innerhalb des Judentums. Der Hohepriester war das Oberhaupt der Jerusalemer Priesterschaft (vgl. 1Kön 4,2), er salbte den König (vgl. 2Kön 11,12) und trug die Verantwortung für den Tempelkult. Nach dem Exil verband sich mit der kultischen Stellung ein zunehmender politischer Einfluss als Vorsitzender des Synedriums. Der Hohepriester entsühnte das Volk am Versöhnungstag (Lev 16), er trug ein besonderes Gewand (Ex 28,1–39) und vollzog die Opfer am Räucheraltar (Ex 30,7.10). Die Heiligkeit des Hohepriesteramtes erforderte bestimmte Verhaltensregeln (vgl. Lev 21,10–15), das Amt war erblich (Lev 6,15; Num 20,26ff) und der Inhaber musste Zadokide sein (vgl. 1Chr 5,27–41). Mit Menelaos (vgl. 2Makk 4,23–29; Josephus, Antiquitates 12,237–241) und Alkimos (2Makk 14,3–14; Josephus, Antiquitates 12,382–388) übernahmen während des Makkabäeraufstandes erstmals zwei Nichtzadokiden das zudem auch noch käuflich erworbene Hohepriesteramt. Unter den Hasmonäern lag das Hohepriesteramt ausschließlich in der Hand der Herrscher und wurde aus der Perspektive der Frommen unrechtmäßig ausgeübt. In AssMos 6,1 heißt es über diese Zeit: „Dann werden sich Könige als Herrscher über sie erheben, und man wird sie zu Hohepriestern Gottes berufen; doch sie werden Gottlosigkeit verüben vom Allerheiligsten aus.“ Unter den Römern schließlich wurden das Prinzip der Erblichkeit und der Lebenslänglichkeit des Hohepriesteramtes gänzlich aufgehoben und die Hohepriester allein nach dem Willen der Herrscher (oftmals nur für kurze Zeit) eingesetzt143. Die Diskrepanz zwischen der Idealkonstruktion des Hohepriesteramtes (vgl. Sir 50) und der Wirklichkeit konnte nicht größer sein. Das höchste Amt des Judentums war immer mehr zum Spielball politischer und finanzieller Interessen geworden. Aus der Sicht der toratreuen Juden stellte diese Situation eine andauernde schwere Provokation dar, denn mit unrechtmäßigen Hohepriestern war auch der Jerusalemer Tempelkult illegitim und keine wirkliche Sühne für das Volk möglich.

Messianische Gestalten und Bewegungen

Segmentierung des Judentums

Religiöse und politische Erneuerer und Aufwiegler

Die mit dem Makkabäeraufstand voll einsetzende Segmentierung des Judentums in theologisch wie politisch differente Bewegungen prägt die Geschichte des 1. Jh. n.Chr. und ist auch für die Geschichte des frühen Christentums von großer Bedeutung. Nach den Erfolgen der Makkabäerzeit und der relativen Eigenständigkeit unter der Herrschaft der Hasmonäer (ca. 142–63 v.Chr.) geriet der jüdische Staat ab 63. v.Chr. unter römische Tributpflicht. Während vor allem die Herrschaft Herodes d. Gr. (40–4 v.Chr.) Israel noch einmal relative Unabhängigkeit schenkte, führte die Reichsaufteilung unter den Herodessöhnen 4 v.Chr. zu einer Entwicklung, die keineswegs zufällig in den ersten jüdischen Krieg mündete. Im Kontext der Schreckensherrschaft des Archelaos (4 v.Chr. – 6 n.Chr.) und der sich anschließenden Umwandlung Judäas in einen (wichtigen) Teilbereich der römische Provinz Syrien144 kam es nicht nur zur Bildung der zelotischen Bewegung, sondern schon zuvor brachen an vielen Orten Aufstände aus, die vom römischen Befehlshaber Varus145 brutal niedergeschlagen wurden (vgl. Josephus, Bellum 2,55–79). ‚Messianische Propheten‘ wie Simon, Athronges und Judas, der Sohn des Hezekias traten auf146, d.h. lokale Anführer, Erneuerer und Aufrührer, die mit politischen, sozialen und theologischen Begründungen gegen die römische Macht147 aufbegehrten und die Herrschaft anstrebten. Josephus charakterisiert die angespannte Situation zusammenfassend: „So war Judäa voll von Banden, und wer einige antraf, die mit ihm revoltieren wollten, der stellte sich als König an ihre Spitze und beschleunigte so den Untergang des Staates“ (Antiquitates 17,285). Hinter den von Josephus als ‚Räuberbande‘ bezeichneten Gruppen standen messianische und soziale Hoffnungen, die sich auf eine Befreiung von der Römerherrschaft und eine gerechtere Ordnung richteten. Nach PsSal 17,21ff wird der von Gott dem auserwählten Volk gesandte König und Gesalbte nicht nur die Heiden vertreiben, sondern auch über sein Volk in Gerechtigkeit herrschen. Judäa, aber auch Galiläa blieben Unruhegebiete, in denen es immer wieder zu kleinen Aufständen kam. So berichtet Josephus148 von einem samaritanischen Propheten (um 36 n.Chr.) und von dem auch in Apg 5,36 erwähnten Theudas (um 45 n.Chr.).

Auch das Auftreten Johannes des Täufers und Jesu von Nazareth muss in diesem Kontext gesehen werden149. Ihre Erneuerungsbewegungen wurden offensichtlich als politisch gefährlich wahrgenommen. Die Bußpredigt des Täufers (Mk 1,2–8; Mt 3,7– 12par) veranlasste seinen Landesherrn Herodes Antipas (4 v.Chr. – 39 n.Chr.), ihn um 28 n.Chr. aus dem Weg zu schaffen150. Herodes Antipas stellte auch Jesus von Nazareth nach (vgl. Lk 9,7–9; 13,31–33), konnte sich seiner aber nicht bemächtigen. Die Ereignisse in Jerusalem im Jahr 30 zeigen deutlich, dass Jesu Auftreten sowohl von den jüdischen Autoritäten als auch von den Römern als politisch gefährlich eingestuft wurde. Die messianischen Ovationen beim Einzug in Jerusalem (vgl. Mk 11,8–10), die Tempelreinigung und vor allem die Kreuzesinschrift weisen darauf hin, dass Jesus messianische Erwartungen und damit auch Unruhen auslöste. Die Kreuzesinschrift („Der König der Juden“) dürfte weder von Juden noch von Christen stammen und belegen, dass die Römer Jesus von Nazareth als (politischen) Messiasprätendenten hinrichteten151.

Caligula-Krise

Zu einer schweren Krise im Verhältnis zwischen Rom und Jerusalem kam es am Ende der Regierungszeit Caligulas (39/40 n.Chr.). Caligula intensivierte den Herrscherkult und war offenbar nicht mehr bereit, die Sonderstellung der Juden gegenüber dem Kaiserkult zu akzeptieren152. In Alexandria kam es 38/39 n.Chr. zu antijüdischen Pogromen, weil die Juden sich u. a. weigerten, am Kaiserkult teilzunehmen. Daraufhin befahl Caligula dem syrischen Statthalter Petronius, im Tempel von Jerusalem eine goldene Statue des Kaisers als ‚Zeus Epiphanes Neos Gaius‘ aufzustellen (vgl. Josephus, Bellum 2,184–203; Antiquitates 18,261–288; Philo, Legatio ad Gaium 200–207). Philo interpretiert dieses Vorgehen als einen bewussten Krieg gegen das Judentum und lässt keinen Zweifel: „Was Gaius aber veränderte, war keine Kleinigkeit, sondern die größte Ungeheuerlichkeit, der Versuch nämlich, das geschaffene, vergängliche Wesen eines Menschen zum ungeschaffenen, unvergänglichen eines Gottes nach eigenem Belieben umzuformen“ (Legatio ad Gaium 118). Das Vorgehen des Caligula rief den erbitterten Widerstand der Juden hervor, die Petronius mit Erfolg baten, die Durchführung dieses Auftrags zu verzögern (vgl. Philo, Legatio ad Gaium 222–253). Die Ermordung Caligulas führte schließlich dazu, dass seine Statue nicht aufgestellt wurde und so ein offener Krieg zwischen Juden und Römern (vorerst) verhindert werden konnte.

Anhaltende Spannungen

Die kurze Herrschaft des mit Claudius befreundeten Agrippa I. (41–44 n.Chr.) über fast das gesamte Gebiet seines Großvaters Herodes d. Gr. war nur ein kurzes Zwischenspiel, denn nach seinem plötzlichen Tod kam der größte Teil Palästinas wieder unter direkte römische Verwaltung. Die Provokationen der Juden durch die römischen Soldaten und Prokuratoren hielten an, ebenso wuchs die anti-römische Grundstimmung im Vorfeld des jüdischen Krieges153. Das politisch-religiöse Konzept der Heiligkeit und Reinheit Israels war auf Dauer nicht mehr vereinbar mit einer Besatzungsmacht, die ihrerseits politisch-religiöse Ansprüche in Form einer gemäßigten Präsenz des Kaiserkultes erhob154. Unter dem Prokurator Tiberius Alexander (46–48 n.Chr.)155 kam es in Palästina zu einer großen Hungersnot, die für die verarmte Landbevölkerung einer Katastrophe gleichkam. Ausgelöst durch einen Zwischenfall während eines Passa-Festes z. Zt. des Prokurators Ventidus Cumanus (48–52 n.Chr.), ereigneten sich blutige Zusammenstöße in Jerusalem, die den Zeloten viel Zulauf brachten. Josephus berichtet: „Viele verlegten sich aber auf das Räuberhandwerk, weil es ziemlich ungefährlich erschien; über das ganze Land hin ereigneten sich Raubüberfälle und die Wagemutigsten unternahmen sogar offene Empörungsversuche“ (Bellum 2,238f). Unter dem Prokurator Felix (52–60 n.Chr.) verschärfte sich die Situation; unter ihm zerfiel die römische Herrschaft in Palästina, gleichzeitig wuchs der Einfluss der Zeloten weiter. Es kam zu Aufständen, so berichtet Apg 21,38, dass Paulus gefragt wurde: „Bist du nicht der Ägypter, der vor diesen Tagen einen Aufruhr gemacht und 4000 von den Aufrührern in die Wüste hinausgeführt hat?“ Von dem Auftreten eines Ägypters samt seiner großen Anhängerschar berichtet auch Josephus156; Felix schlug diesen Aufstand mit Waffengewalt nieder. Von der antirömischen Stimmung innerhalb des Judentums wurde auch die Jerusalemer Gemeinde betroffen. Die Hinrichtung des Herrenbruders Jakobus um 62 n.Chr. (s.u. 9.1) durch konservative sadduzäische Kreise dürfte damit zu tun haben, dass die Jerusalemer Gemeinde wegen ihrer Verbindung mit den Christen aus griechisch-römischer Tradition nicht mehr als Bestandteil des Judentums angesehen wurde. Unmittelbar vor Ausbruch des Krieges traten Propheten auf, die über Jerusalem Klage anstimmten; so Jesus ben Ananias (zwischen 62–64 n.Chr.), der den Untergang der Stadt ankündigte157.

Der jüdische Krieg

Soziale und kulturelle Konflikte

Unmittelbarer Auslöser für den jüdischen Krieg war das Verhalten des letzten römischen Prokurator Gessius Florus (64–66 n.Chr.), der sich am Tempelschatz vergriff158, was im April/Mai 66 n.Chr. in Jerusalem und in anderen jüdischen Gebieten zu einem offenen Volksaufstand führte. Im Jerusalemer Tempel wurde das tägliche Opfer für den Kaiser eingestellt, was einem offenen Bruch mit Rom gleichkam. Zugleich kam es innerhalb des Judentums zu erbitterten Auseinandersetzungen. Die Hohepriester, die Pharisäer und die Herodianer wollten eine weitere Eskalation des Konfliktes mit den Römern vermeiden, während vor allem die Zeloten für die Auseinandersetzung mit Rom waren und sich letztlich mit brutaler Gewalt durchsetzten. Sie vertraten eine radikalisierte politische Theologie, die in der Durchsetzung der kultischen ‚Reinheit‘ des Tempels und ganz Israels die Erfüllung des Willens Gottes sahen159. Deshalb mussten die ‚Unreinen‘ und d.h. zuallererst die Römer aus dem Land vertrieben werden. Die Zeloten standen zunächst unter der Führung von Menahem, einem Sohn des Zelotengründers Judas Galilaios, der sich in Jerusalem als König verehren ließ und wahrscheinlich messianische Ansprüche erhob160. Die Kriegspartei unter der Führung der Zeloten steckte den Palast des Hohepriesters an und verbrannte auch das Stadtarchiv, wofür Josephus als Grund angibt: „Danach legten sie Feuer an das Archiv und beeilten sich, die Schuldverschreibungen der Gläubiger zu vernichten, um so die Eintreibung der Schulden unmöglich zu machen und die Menge der Schuldner auf ihre Seite zu ziehen, sowie die Armen, ohne dass diese noch etwas zu fürchten brauchen, gegen die Reichen aufzuwiegeln“ (Bellum 2,724). Hier zeigt sich deutlich, dass ein Motiv des Aufstandes auch die soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit in Judäa war. Offensichtlich wollten Teile der Zeloten eine Neuverteilung des Grundbesitzes erreichen, der hauptsächlich in der Hand der Oberschicht lag. Hinzu kamen ethnisch bedingte Konflikte, denn in vielen Gebieten Palästinas kam es nun zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen zwischen jüdischen und griechischen Bevölkerungsteilen, die einen Kampf gegen Rom befürworteten bzw. ablehnten. Auch ein Stadt-Land-Konflikt ist unübersehbar, denn während griechisch beeinflusste Städte wie Sepphoris und Tiberias mehrheitlich gegen den Krieg waren, wurde er von der zumeist armen Landbevölkerung unterstützt. Der weitere Verlauf der Auseinandersetzungen ist vielschichtig161. Nach anfänglichen Erfolgen der Aufständischen beauftragte Kaiser Nero seinen General Vespasian mit der Niederwerfung des Aufstandes in Judäa. Dieser begann seinen Feldzug im Frühjahr 67 mit seinem Sohn Titus, ihnen standen ca. 60 000 gut ausgebildete Männer zur Verfügung. Vespasian näherte sich immer mehr Jerusalem, musste aber wegen des Todes von Kaiser Nero (68 n.Chr.) und der damit verbundenen unsicheren Lage in Rom zunächst einmal alle Aktivitäten ruhen lassen. Am 1. Juli 69 wurde Vespasian von den ägyptischen Legionen zum Kaiser ausgerufen und innerhalb sehr kurzer Zeit vom ganzen Ostteil des Reiches als Kaiser anerkannt. Vespasian selbst konzentrierte sich nun auf die Ereignisse in Rom und beauftragte seinen Sohn Titus mit der Fortsetzung des Krieges. Im Frühjahr 70 begannen die Römer mit der Belagerung Jerusalems, schließlich wurde im August 70 n.Chr. der Tempel erobert und niedergebrannt, zudem auch die ganze Stadt fast völlig zerstört. Der Krieg war damit entschieden, obwohl die Zeloten noch bis 73 n.Chr. auf der Festung Massada anhaltenden Widerstand leisteten. Für den erbitterten Widerstand der Juden in Jerusalem macht Josephus vor allem das Auftreten von Propheten verantwortlich, die um den Tempel herum das Auftreten einer messianischen Rettergestalt verkündeten und so das Volk anstachelten (vgl. Bellum 6,285.311f).

Die Folgen der Niederlage waren für die Juden verheerend. Es änderte sich der politische Status, denn Judäa wurde eine selbständige römische Provinz, für die der syrische Legat nicht mehr zuständig war, und dort wurde eine ständige Legion stationiert. Ganze Siedlungen waren zerstört und entvölkert. Viele Menschen fanden bei den Kämpfen oder infolge der Kämpfe den Tod, andere wurden in die Sklaverei verkauft. Insgesamt kam ca. ein Drittel der Bevölkerung um. Der Grundbesitz fiel an den Kaiser, wobei unklar ist, ob es sich um den gesamten Grundbesitz handelte oder um den sogenannten Kronbesitz. Die ohnehin durch den Krieg schon stark benachteiligte Landbevölkerung verarmte noch mehr. Fast alle jüdischen Bauern wurden zu Pächtern, die das Land gegen Pachtzins bearbeiteten. Das bisherige religiöse Leben, das seit Jahrhunderten auf den Jerusalemer Tempelkult ausgerichtet war, konnte nicht mehr weitergeführt werden. Die Juden mussten nicht nur ohne Staat, sondern auch ohne Tempel leben. Damit war auch das Ende des Hohepriesteramtes gekommen. Von den Religionsparteien vor 70 n.Chr. gingen die Zeloten, Sadduzäer und Essener unter; nur die gemäßigten Pharisäer/Schriftgelehrten blieben übrig, die dann als Rabbinen in die jüdische Geschichte eingingen. Das frühe Christentum wurde durch die Ereignisse des Jahres 70 ebenfalls schwer getroffen, denn die Jerusalemer Gemeinde ging in den Wirren des Krieges unter (s.u. 9.2). Damit hatte die Bewegung ihren Ausgangspunkt und bleibenden Orientierungspunkt verloren. Zugleich bewahrte aber die vor allem von Paulus betriebene Verlagerung der Missionsaktivitäten nach Kleinasien, Griechenland und Rom das Christentum vor dem Untergang.

Für die Römer zählte der Sieg über die Juden keineswegs nur als einer unter vielen. Titus kehrte nach Rom zurück und feierte im Jahr 71 zusammen mit seinem Vater Vespasian einen Triumphzug. Schon dies war außergewöhnlich, denn normalerweise wurde ein solcher Siegeszug nur bei der Eroberung einer neuen Provinz abgehalten, hier gelang aber lediglich die Befriedung eines Teils der bestehenden Provinz Syrien162. Zudem wurden im ganzen Reich Münzen geprägt mit der Aufschrift: „Judaea capta“ („Judäa besiegt“). Der Sieg Jupiters über Jahwe dokumentiert sich auch in der Einführung des ‚fiscus Judaicus‘, einer Steuer (s.u. 9.2), die von jedem Juden (auch in der Diaspora) erbracht werden musste und die faktisch an die Stelle der Tempelsteuer trat163. Der nach dem Tod des Titus (81 n.Chr.) errichtete Titusbogen in Rom zeigt schließlich, wie stark die Flavier den Sieg über die Juden propagandistisch nutzten.


Titusbogen in Rom (heute Forum Romanum); nach dem Sieg wird Kriegsbeute aus dem Tempel abtransportiert: Schaubrottisch, siebenarmiger Leuchter/Menora, zwei silberne Trompeten (Foto: Udo Schnelle).

Bar-Kochba-Aufstand

Das Judentum lebte nach 70 in Palästina unter erschwerten Bedingungen weiter. Von den jüdischen Gruppen überlebten nur die Pharisäer und Schriftgelehrten, die nun die Transformation des allein an der Tora orientierten rabbinischen Judentums herbeiführten (s.u. 11.5). Die Diaspora blieb ein Zentrum des Judentums, wurde aber auch durch den Ausgang des Krieges in Mitleidenschaft gezogen. Vor allem in Syrien, Ägypten und der Kyrenaika schlug der Hass gegen die Juden in offene Freindschaft um, der durch dorthin geflohene radikale Zeloten noch gesteigert wurde. In Kyrene inszenierte um 73/74 n.Chr. Jonathan der Weber einen messianischen Aufstand, der von den Römern blutig niedergeschlagen wurde164. Zwischen 115–117 n.Chr. kam es unter der Herrschaft Trajans zu Aufständen auf Zypern, in Ägypten und der Kyrenaika, die wiederum allesamt blutig beendet wurden165. Das endgültige Ende jeder jüdischen Eigenstaatlichkeit bedeutete schließlich der Bar-Kochba-Aufstand (132–135 n.Chr.)166. Wahrscheinlich befahl Kaiser Hadrian um 130 n.Chr. die Umformung Jerusalems in eine hellenistische Stadt mit dem Namen Aelia Capitolina167; er verschärfte das Beschneidungsverbot und errichtete in Jerusalem ein Jupiter-Heiligtum auf den Ruinen des alten Tempels. Daraufhin brach unter Führung eines Simon bar Kochba ein Aufstand aus, der von Rabbi Aquiba mit dem messianischen Prädikat aus Num 24,17 ‚Sternensohn‘ (= Bar Kochba) versehen wurde168. In einem Guerilla-Krieg (z.B. mit Überraschungsangriffen aus unterirdischen Höhlenkomplexen heraus) vornehmlich im Süden Judas hatten die Aufständischen zunächst große Erfolge, wurden dann aber von den Römern in verlustreichen Kämpfen aufgerieben und vernichtet. Danach verfügte der Kaiser in einem Erlass, dass kein Jude mehr Jerusalem und die benachbarten Gebiete betreten durfte. Der Provinzname wurde in Syria Palästina umgewandelt, so dass es kein Land der Juden mehr gab.

3.3.1 Die jüdische Religion

Wilhelm Bousset, Die Religion des Judentums, hg. v. Hugo Gressmann, HNT 21, Tübingen 41966 (= 1925). – Otto Plöger, Theokratie und Eschatologie, WMANT 2, Neukirchen 31968. – Meinrad Limbeck, Die Ordnung des Heils, Düsseldorf 1971.–Johann Maier/Josef Schreiner, Literatur und Religion des Frühjudentums, Würzburg/Gütersloh 1973. – Andreas Nissen, Gott und der Nächste im antiken Judentum, WUNT 15, Tübingen 1974. – Max Küchler, Frühjüdische Weisheitstraditionen, Freiburg(H)/Göttingen 1979. – David Hellholm (Hg.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East, Tübingen 1983. – John J. Collins, The Apocalyptik Imagination, New York 1984. – Rudolf Meyer, Zur Geschichte und Theologie des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Berlin 1989. – Karlheinz Müller, Studien zur frühjüdischen Apokalyptik, SBAB 11, Stuttgart 1991. – Meinrad Limbeck, Das Gesetz im Alten und Neuen Testament, Darmstadt 1997. – John J. Collins, Jewish Wisdom in the Hellenistic Age, Louisville 1997. – George W. E. Nickelsburg, Jewish Literature between the Bible and the Mishna, Minneapolis 22005. – Ulrike Mittmann-Richert, Einführung zu den historischen und legendarischen Erzählungen, JSHRZ VI, Gütersloh 2000. – Gerbern S. Oegema, Apokalypsen, JSHRZ VI, Gütersloh 2001. – Hermann Lichtenberger/Gerbern S. Oegema (Hg.), Jüdische Schriften in ihrem antik-jüdischen und urchristlichen Kontext, Gütersloh 2001. – Gerbern S. Oegema, Unterweisung in erzählender Form, JSHRZ VI, Gütersloh 2005.

Das theologische Denken des Judentums ist von einer tiefgreifenden Transformation im Gefolge des babylonischen Exils (598/587–537 v.Chr.) geprägt, denn das Zusammenbrechen der vorexilischen Ordnungen musste theologisch bewältigt werden. In das Zentrum der Religion treten der exklusive Monotheismus, das Erwählungsbewusstsein, die Tora und das Land als Heilsgaben Gottes sowie der Tempel als Ort der Gegenwart Gottes. Man hofft auf Gottes anhaltende Treue trotz der Bedrängnisse der Gegenwart und unternimmt den Versuch, sich durch rituelle Abgrenzung von den anderen Völkern neu zu definieren169.

Monotheismus

Die Einzigkeit und Einzigartigkeit Gottes ist die Basis des jüdischen Glaubens170; es gibt nur einen Gott, außer dem kein Gott ist (Dtn 6,4b: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist einer!“; vgl. ferner Jes 44,6; Jer 10,10; 2Kön 5,15; 19,19 u.ö.). In Arist 132 beginnt eine Belehrung über das Wesen Gottes mit der Feststellung, „dass nur ein Gott ist und seine Kraft durch alle Dinge offenbar wird, da jeder Platz voll seiner Macht ist“. In scharfem Kontrast zur antiken Vielgötterei betont Philo: „So wollen wir denn das erste und heiligste Gebot in uns befestigen; Einen für den höchsten Gott zu halten und zu verehren; die Lehre der Vielgötterei darf nicht einmal das Ohr des in Reinheit und ohne Falsch die Wahrheit suchenden Mannes berühren.“171 Der Monotheismus begründete die Besonderheit, aber auch Faszination des Judentums in der Antike172.

Erwählung

Mit dem einen wahren Gott verbindet sich die Erwählungsvorstellung. In Dtn 7,6–8 („… Dich hat der Herr, dein Gott, aus allen Völkern der Erde für sich erwählt als sein Volk …“) und Dtn 14,2 („Denn du bist das Volk, das dem Herrn, deinem Gott, geweiht ist, und dich hat der Herr aus allen Völkern auf der Erde für sich erwählt als sein eigenes Volk“) wird der Grundgedanke der Erwählungslehre klassisch formuliert: Gott erwählte Israel aus freier Entscheidung und grundloser Zuneigung aus allen Völkern und begründet damit dessen Sonderstellung. Dabei wird der Exodus aus Ägypten als bleibende Verpflichtung und als Grundmodell des rettenden Handelns Gottes angesehen (vgl. Dtn 7,8: „Weil der Herr euch liebte und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen hatte, darum führte euch der Herr heraus mit starker Hand und befreite dich aus dem Sklavenhaus, aus der Hand des Pharaos, des Königs von Ägypten“). Diese frühexilische Erwählungsvorstellung wurde vor allem in der deuteronomisch-deuteronomistischen Theologie mit der Bundesvorstellung kombiniert (vgl. Ex 19,4–8) und bestimmte das Denken des gesamten Judentums. Vor allem in Qumran dominiert die Erwählungsvorstellung, so heißt es z.B. in 1QS 4,22 über die ‚Söhne des Lichts‘: „Denn sie hat Gott erwählt zum ewigen Bund.“ Ebenso ist die jüdische Apokalyptik von einem Erwählungsbewusstsein geprägt (vgl. z.B. 4Esra 5,27: „Aus all den vielen Völkern hast du dir das eine Volk erwählt, und das von allen als gut anerkannte Gesetz hast du diesem Volk gegeben, das du geliebt hast“).

Gesetzes/Tora

Die Selbstbindung Gottes an sein Volk findet in der Gabe des Gesetzes/der Tora ihren Ausdruck173. Die Tora ist zuallererst Lebensgabe und Lebensordnung (vgl. Dtn 30,15f: „Siehe, ich habe dir heute das Leben vorgelegt … Ich gebiete dir heute, den Herrn, deinen Gott zu lieben, auf seinen Wegen zu gehen und seine Gebote und Satzungen und Rechte zu halten“)174. Die Tora wird als Gnadengabe Gottes und als Urkunde seines Bundes verstanden (vgl. z.B. Sir 24; Jub 1,16–18), ihre Beachtung bedeutet, in Gottes Herrschaft einzutreten, sie anzuerkennen und durchzusetzen. Toratreue als Beachtung und Respektierung des Willens Gottes ist deshalb die von Israel erwartete Antwort auf die Erwählung Gottes. Die Tora vermittelt nicht die Gottesbeziehung, vielmehr ist sie Wegweiserin in der von Gott gewährten Ordnung der Schöpfung. Innerhalb dieses Gesamtkonzeptes ist Gerechtigkeit nicht das Resultat menschlicher Leistung, sondern Gottes Verheißung für die Menschen (vgl. Jub 22,15: „Und er erneuere seinen Bund mit dir, dass du ihm ein Volk bist zu seinem Erbteil in allen Ewigkeiten. Und er sei dir und deinem Samen Gott in Wahrheit und in Gerechtigkeit in allen Tagen der Erde“). Maßstab der Gerechtigkeit Gottes und der Gerechtigkeit des Menschen ist das Gesetz. Mose gab das Gesetz „um der Gerechtigkeit willen zur frommen Beachtung und zur Bildung des Charakters“ (Arist 144), „alles ist zum Zwecke der Gerechtigkeit gesetzlich geregelt“ (Arist 168; vgl. 147). Die Treue zur Tora gewährt Gerechtigkeit und Leben. Allerdings ist die Tora über lange Zeit keine wortwörtlich feste Größe, sondern was Tora jeweils ist, kann in einzelnen Schriften (z.B. die vorqumranische Tempelrolle, Jubiläenbuch, Qumranschriften, Philo) durchaus unterschiedlich entfaltet werden.

Land, Tempel und Sabbat

Mit der Erwählung und der Gabe der Tora verbindet sich die Gabe des Landes (Dtn 7,1: „Wenn der Herr, dein Gott, dich in das Land bringt, in das du ziehst, um es in Besitz zu nehmen …“). Die Landverheißung und die Landnahme sind der zentrale Inhalt des geschichtlichen Handelns Gottes (vgl. Dtn 11,29; 15,4; 18,9; 26,1; 30,5; Jos 21,43; Ps 25,13 u.ö.). Das Land Israel ist Jahwes Eigentum (vgl. Lev 25), in dem die Tora uneingeschränkt gilt und es keinen Götzendienst gibt. Deshalb ist das Bleiben im Land an das Halten der Tora gebunden (vgl. Dtn 4,1.26). Mit dem Land untrennbar verbunden sind Jerusalem als heilige Stadt und der Tempel als Wohnort Gottes. Der Tempel in Jerusalem ist der Thron Gottes, hier nimmt Gottes Königtum Wohnung (vgl. Jes 8,18; 1Kön 8,12ff; Ps 9,12; 74,2; 76,3; 132,13), hier erscheint er und lässt sich begegnen (vgl. Ex 29,43–45). Ebenso ist der Tempelberg der ‚heilige Berg‘ (vgl. Ps 2,6; 48,3) und Jerusalem die ‚heilige Stadt‘ (vgl. Jes 48,2; 52,1; Neh 11,1.18) und die ‚Stadt Gottes‘ (vgl. Ps 46,5; 48,2.9; 87,3). Seit der persischen Zeit wird der Sabbat zunehmend zum zentralen Zeichen jüdischer Identität175. Die relativ kurzen Ausgangstexte Ex 23,10; 34,18–23;35,1–3 (vgl. ferner Ex 16,23–30; Lev 25,1–7) wurden im Rahmen einer vornehmlich priesterlich-rigoristischen Interpretation immer mehr ausgeweitet, wie exemplarisch ein Vergleich von Jub 50; CD 10,14–11,18 und dem Mischnatraktat Schabbat zeigt. Aus der von Gott gebotenen Ruhepflicht am 7. Tag entwickelte sich nach und nach ein umfangreiches Regelsystem; so wurden in Schabbat VII 2 ‚vierzig weniger eins‘ verbotene Hauptarbeiten aufgelistet.

Mit der am Monotheismus, der Erwählung und der Tora orientierten theologischen Grundkonstruktion verbinden sich im Judentum zwei wirkmächtige geistige Strömungen, die auch das frühe Christentum beeinflussten: Apokalyptik und Weisheit.

Apokalyptik

Apokalyptisches Denken

Die Apokalyptik ist gleichermaßen ein geistiges und literarisches Phänomen, das vor allem zwischen 200 v.Chr. und 100 n.Chr. das jüdische, aber dann auch das frühchristliche Denken stark prägte176. Apokalyptik ( = „Offenbarung/Enthüllung“) ist eine bestimmte Art und Weise, mit Hilfe jenseitiger Erkenntnis Geschichte zu interpretieren, die in Apokalypsen ihren literarischen Niederschlag findet177. Die Grundannahme ist die Vorstellung, dass Idealgestalten der jüdischen Geschichte eine außerordentliche Einsicht/Erleuchtung/Offenbarung erhielten, die Gottes Plan für die Zukunft enthüllen und in Schriften für die Orientierung späterer Generationen niedergelegt wurden. Man wähnt sich am Ende der Tage und erhofft Gottes baldiges Eingreifen, um die Dinge grundlegend zum Guten zu wenden. Zur Matrix des apokalyptischen Denkens zählen: 1) Pseudepigraphie als Inanspruchnahme legendärer Gestalten der Vergangenheit (z.B. Henoch, Baruch, Mose, Esra), um so das neue Wissen zu legitimieren; 2) Visionen mit Offenbarungen über die Geschichte (vornehmlich des jüdischen Volkes); 3) Himmelsreisen und Jenseitsschilderungen, die dem Apokalyptiker gewährt werden; 4) Geschichtsüberblicke, die häufig auf einem weisheitlich-periodischen Geschichtsdenken basieren, wonach die Bedrängnisse der Gegenwart von den Freuden der Zukunft abgelöst werden; 5) die Hoffnung auf eine Wende in der Geschichte hin zu einem Endzustand, der dem Urzustand entspricht; 6) eine lebhafte und bunte Bildersprache, die teilweise verschlüsselt ist und nur von der eigenen Gruppe verstanden werden soll; 7) Paränese und Paraklese, die vor allem darauf zielen, den Versuchungen der Gegenwart zu widerstehen; 8) Gebete um Hilfe und Rettung aus der gegenwärtigen Situation, die als Endzeit/letzte Zeit verstanden wird; 9) Zuschreibungen der eigenen Erwählung und der Verwerfung anderer, die sich häufig mit deterministischen und dualistischen Aussagen verbinden; 10) die Erwartung zukünftiger Heilsgestalten, die oft in einer Art Endkampf widergöttliche Mächte/eschatologische Gegenspieler überwinden und von Gott in eine Herrscherposition (z.B. Menschensohn; Messias) eingesetzt werden. Apokalyptik ist gleichermaßen ein literarisches und theologisches Phänomen, das Geschichte deutet, indem wechselseitig die kommende Geschichte und die gegenwärtige Situation interpretiert werden. So entsteht ein umfassendes, teilweise verschlüsseltes Bild von Weltlauf und Weltende in Gestalt einer von Gott heraufgeführten Katastrophe.

Haupttexte der jüdischen Apokalyptik sind: äthHenoch (= 1Hen: umfangreiche Sammlung der Henochliteratur, deren älteste Teile in die vormakkabäische Zeit zurückreichen); Daniel; Jesajaapokalypse (Jes 24–27); Jubiläenbuch; Himmelfahrt Moses; Sibyllinen, 4Esra; s1Henoch (= 2Hen), syrBaruch; Apokalypse Abrahams; Teile der Qumranschriften; grBaruch178. Zahlreiche Texte der Apokalyptik wurden im Laufe ihrer Tradierung weitergeschrieben und umgestaltet179. Motiv- und traditionsgeschichtlich fließen in der jüdischen Apokalyptik vor allem mit der Gestalt des Henoch verbundene und aus Ezechiel gespeiste Traditionen der Himmelsreisenden und Offenbarungsmittler sowie die vor allem mit Mose verbundene Sinaitradition ineinander.

Schreiber als Traditionsgaranten

Maßgebliche Träger der jüdischen Apokalyptik dürften die ‚Schreiber/Schriftgelehrten‘ gewesen sein, torakundige Gelehrte, zu deren Aufgaben die Auslegung der Tora, die Ausbildung von Schülern in der Tora und die Rechtssprechung nach der Tora zählten. Wahrscheinlich ab dem 4. Jh. v.Chr. bildete sich aus der Priesterschaft der Stand der ‚Schreiber/Schriftgelehrten‘, der in Esra seine idealtypischen Ursprünge sah (Esr 7,6.11: Esra als Schriftgelehrter und Priester). Jesus Sirach zeichnet um 180 v.Chr. ein Idealbild des weisen Schreibers/Schriftgelehrten (Sir 38,24–39,11), dessen Weisheit und Einsicht vor Gott und der Welt gelobt wird und der sich uneingeschränkt auf die Tora konzentriert. Die ‚Schreiber/Schriftgelehrten‘ gehörten in der Anfangszeit mehrheitlich zur niederen Priesterschaft, sie dienten der Tempelaristokratie (vgl. Sir 39,4), waren aber zugleich Träger der jüdischen Tradition und Wahrer der jüdischen Identität. Während sich die Tempelaristokratie – vor allem die Hohepriester und die ihm nahe stehenden Kreise der höheren Priesterschaft – der hellenistischen Assimilation öffneten oder sogar selbst Hellenisierung betrieben, distanzierte sich die Mehrheit der Schreiber/Schriftgelehrten davon180. Ihren Protest gegen die hellenistische Assimilierung formulierten Schreiber/Schriftgelehrte auch in Apokalypsen. So spricht Hen 12,4 („Henoch der Schreiber“) dafür, dass hinter der umfänglichen und über Jahrhunderte weiterentwickelten Henochliteratur Schreiber/Schriftgelehrten-Kreise standen (vgl. auch Jub 4,16.17). Auch Dan 1,4; 11,33; 12,3.10 weisen auf Schreiber/Schriftgelehrte als Trägerkreise hin. Sie gerieten wahrscheinlich vor allem seit dem Makkabäeraufstand in einen tiefgreifenden Konflikt, denn die Einzigartigkeit und Reinheit des erwählten Gottesvolkes stand nun auf dem Spiel und musste geschützt werden. Immer mehr Schreiber/Schriftgelehrte lösten sich vom Tempel und leiteten so die Öffnung für Nichtpriester ein. Apokalypsen sind deshalb in vielen Fällen auch Ausdruck und Mittel politischer Agitation, zunächst vor allem gegen die Seleukiden, später gegen die Römer (vgl. z.B. PsSal 2; 17; AssMos 7; 10,7–10).

Die jüdische Apokalyptik ist ein bildungsmäßig anspruchsvolles Phänomen und wurzelt sowohl im prophetischen (Ansage und Enthüllung zukünftiger Geschehnisse) als auch im weisheitlichen (Pseudonymität, Naturbeobachtung, Auslegung von Traumgesichten, Berichte von Himmelsreisen, periodische Geschichtsschau) und priesterlichen Denken (Bewahrung des Erbes der Väter, Hochschätzung der Tora, idealer Tempel, kultische Reinheit, Kalenderfragen)181.

Weisheit

Weisheit als Lebensklugheit

Die jüdische Weisheitsliteratur182 gehört in den großen Bereich der altorientalischen Weisheitsliteratur, die vor allem in Ägypten und in Mesopotamien verbreitet war. Die Weisheit ist ein Bildungsphänomen, das Einsicht in alle wesentlichen Erfahrungszusammenhänge vermittelt und darauf zielt, sich positiv in die Gesetzmäßigkeiten des individuellen und sozialen Lebens einzuordnen. Die kluge Lebensführung ist eine Gabe Gottes (Sir 1,1–10) und zugleich eine menschliche Fähigkeit, die jedem offen steht (Sir 51,31–34). Grundthemen der Weisheit sind: Die Erkenntnis Gottes als Garant und Stifter der Weltordnung, das Verhältnis Weiser und Tor, Gerechter und Frevler in ihrem Tun und Ergehen; Armut und Reichtum; die rechte Zeit für ein glückliches Leben. Der Anfang der Weisheit ist nach Prov 9,10 „die Furcht des Herrn“, Quelle der Weisheit vor allem die Tora, die z.B. in Sir 24,23 und Bar 3,9–4,4 mit der Weisheit identifiziert wird (vgl. Ps 19,8; 119,98). Als literarische Gattung liegt die Weisheitsliteratur vorwiegend als Weisheitsspruch und den daraus entstandenen Spruchsammlungen vor. Diese wurden in Schreiberschulen gepflegt bzw. überliefert und richteten sich vor allem in den didaktischen Formen der Mahn- und Lehrworte auf den gesamten Bereich der Erkenntnis, Erziehung, Lebenseinstellung und Lebensführung. Wie die Apokalyptik ist auch die Weisheit nicht sauber von anderen Bereichen zu trennen, sondern weisheitliche Gedanken haben in fast alle Denk- und Überlieferungsformen jüdischen Denkens Einzug gehalten.

Krise der Weisheit

Eine Krise des weisheitlichen Denkens dokumentiert sich in der Rahmenerzählung (Hi 1–2; 42,7–14) des Hiobbuches (5./4. Jh. v.Chr.), wo sich der Fromme unvermutet, unverschuldet und unverstanden der Feindschaft Gottes ausgesetzt sieht und die Logik des Tun-Ergehen-Zusammenhanges nicht mehr greift183. Die Glaubwürdigkeit Gottes und der von ihm gesetzten Ordnung steht auf dem Spiel: Warum ist der Frevler glücklich und weshalb leidet der fromme Gerechte, obwohl er sich nicht verfehlt hat? Während bei Hiob das Vertrauen in Gottes Macht und Walten wiederhergestellt wird (vgl. Hi 38–42,6), findet sich im Predigerbuch (Kohelet) um 200 v.Chr. eine andere Position184. Auch hier wird der Zusammenbruch des Tun-Ergehen-Zusammenhanges konstatiert (vgl. Pred 7,15f; 8,12–14), aber die Schlussfolgerung ist eine andere als bei Hiob: Gott ist unberechenbar, seine gerechte Ordnung ist nicht erkennbar und deshalb gilt: ‚alles ist nichtig/absurd‘ (vgl. Pred 1,2; 8,14; 12,8 u.ö.). Es herrscht ein religiös-philosophischer Pessimismus vor, der eine deutliche Nähe zum griechischen Skeptizismus, aber auch zu Epikur zeigt. Es gilt, die wenigen Momente der Lebensfreude und des Glücks zu ergreifen (vgl. Pred 5,17– 19; 9,7–10; 11,9), die einem zufällig vergönnt sind. Dieses ‚carpe diem‘ vertraut nicht mehr der unerschütterlichen Ordnung Gottes, sondern weiß sich in einer von Nichtigkeit geprägten Welt auf sich selbst gestellt.

Das Judentum in den beiden Jahrhunderten um die Zeitenwende herum war durch eine innere Differenzierung und Pluralisierung gekennzeichnet, die sich vor allem in den Gruppenbildungen zeigte. Mit diesem Prozess verbanden sich massive innere und äußere Machtkonflikte: Einzelne Gruppen kämpften um die Deutungshoheit jüdischer Existenz, was vor allem durch die römische Präsenz in Palästina verstärkt wurde. Das Auftreten Johannes d. Täufers und Jesu von Nazareth müssen als ein Teil dieser Entwicklung verstanden werden.

Tafel 2: Chronologie der jüdischen Literatur

400–300 v.Chr.Bildung des hebräischen Kanons in Hauptzügen abgeschlossen
3. Jh. v.Chr.äthHenoch 1–36 (1Hen: Wächterbuch)
3. Jh. v.Chr.äthHenoch 72–82 (1Hen: astronomisches Buch)
3. Jh. v.Chr.Tempelrolle (11QT)
~ 250 v.Chr.Beginn der Septuaginta-Übersetzung
~ 200 v.Chr.Prediger Salomos
200–150 v.Chr.Jubiläenbuch
~ 190 v.Chr.Testament der zwölf Patriarchen
~ 180 v.Chr.Jesus Sirach
~ 170 v.Chr.Kriegsrolle (1QM)/Sprüche Salomos
165/164 v.Chr.Endredaktion des Daniel-Buches
~ 100 v.Chr.Gemeinschaftsregel (1QS)/Damaskusschrift (CD)/1Makkabäerbuch
~ 50 v.Chr.Psalmen Salomos
~ 0–30 n.Chr.Himmelfahrt Mosis
~ 15–45 n.Chr.Schriften Philos
~ 50–70 n.Chr.slawisches Henochbuch (2Hen)
~ 100 n.Chr.4Esra
~ 120 n.Chr.syrBaruch

3.4 Die politische und wirtschaftliche Situation im Imperium Romanum des 1./2. Jh. n.Chr.

Das römische Kaiserreich als globaler Politik-, Wirtschafts- und Kulturraum ist eine entscheidende geschichtliche Voraussetzung für die Entstehung des frühen Christentums. In diesem relativ einheitlichen Bereich fand das frühe Christentum innerhalb des politisch und wirtschaftlich stabilen 1./2. Jh. n.Chr. beste Voraussetzungen für seine Verbreitung.

Theodor Mommsen, Römische Kaisergeschichte, hg. v. Barbara u. Alexander Demandt, München 2005 (= 1882/86). – Jochen Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des römischen Kaiserreiches I–II, Paderborn 31989–1994. – Karl Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit, München 42002. – Heinz Bellen, Grundzüge der römischen Geschichte II: Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian, Darmstadt 1998. – Heinrich Schlange-Schöningen, Augustus, Darmstadt 2005; Ralf von den Hoff/Wilfried Stroh/Martin Zimmermann, Divus Augustus, München 2014.

Die römische Republik185 befand sich seit dem ausgehenden 2. Jh. v.Chr. in einer schweren Dauerkrise, die ab 52 v.Chr. eskalierte. Aus dem Bürgerkrieg 49 v.Chr. ging Julius Gaius Caesar als Sieger hervor, 48 v.Chr. starb sein hartnäckiger Rivale Pompeius. In dem Augenblick, als Caesar die Hand nach der Alleinherrschaft ausstreckte, wurde er ermordet (15.3.44 v.Chr.)186. Die Mörder Caesars konnten sich jedoch nur für kurze Zeit behaupten. Dann machten Octavian und Antonius, die sich zum Kampf gegen die Caesarenmörder verbündet hatten, ihrem Regiment ein Ende (42 v.Chr.). Die Sieger teilten sich das Reich: Antonius übernahm die Herrschaft im Osten, lebte in Alexandria und bestimmte von dort auch die Geschicke Syriens und Palästinas; Octavian regierte in Rom über Italien und den Westen des Reiches. Doch diese Regelung sollte nicht von Dauer sein, da es bald zum Zerwürfnis zwischen den beiden Herrschern kam. Nach dem Sieg in der Seeschlacht bei Actium (31 v.Chr.) war Octavian alleiniger Herrscher über das Römische Reich.

Augustus

Die Stellung des Octavian wurde gefestigt187, indem sein Adoptivvater Caesar auf Beschluss des Senats unter die Götter erhoben wurde; Octavian nannte sich fortan Sohn des göttlichen Caesar. Obwohl die alte römische Verfassung wieder in Kraft gesetzt worden war, lag die tatsächliche Regierungsgewalt allein bei Octavian. Als er im Jahr 27 v.Chr. in einem öffentlichen Staatsakt alle ihm übertragenen Sondervollmachten niederlegte und sie dem Senat zurückgab, damit die alte Ordnung wiederhergestellt werde, ersuchte ihn der Senat, seine Stellung zu behalten, damit er den Frieden schütze und weiterhin für die Wohlfahrt des Staates sorge. Daraufhin nahm Octavian die Vollmachten, die er soeben abgelegt hatte, wieder vom Senat entgegen. Damit entstand eine neue Regierungsform. Zwar blieb der Senat oberste Behörde Roms, aber Octavian war der erste Bürger des Staates, der als der Princeps seine Geschicke lenkte. Zugleich wurde ihm der Name ‚Augustus‘ (= „der Erhabene“) verliehen, der seiner Herrschaft eine sakrale Aura verlieh. Zwar hütete sich Octavian mit der römischen Tradition zu brechen, die streng zwischen Göttern und Menschen unterschied, aber indem er sich Augustus nennen ließ, brachte er unmissverständlich die unvergleichliche Hoheit seiner Machtstellung zum Ausdruck. Zugleich gelang es Augustus aber, diese Machtfülle als ein unentwegtes Dienen für Rom erscheinen zu lassen. Es setzte ein umfassendes Programm der Sakralisierung ein, das sich in Bauten (in Rom und überall im Reich), auf Münzen und nicht zuletzt in Literaturwerken zeigte (Ovid, Vergil, Horaz)188. Nachdem im Jahre 12 v.Chr. Augustus auf Grund einer Volksabstimmung das höchste priesterliche Amt des pontifex maximus übertragen worden war, wurde schließlich die Reihe der Ehrennamen nochmals vermehrt, als ihn 2 v.Chr. der Senat als pater patriae (= „Vater des Vaterlandes“) bezeichnete. Die kluge und maßvolle Politik, mit der Augustus das Reich regierte, fand nahezu allgemeine Zustimmung189. Nach den lange währenden Schrecken der Kriege war endlich Friede eingekehrt und im ganzen Reich wurde Augustus als Friedensherrscher gefeiert190. Überall im Reich wurden neue Städte gegründet, Bauten von Tempeln, Theatern, Wasserleitungen und anderen öffentlichen Einrichtungen durchgeführt und vor allem Verkehrswege angelegt. Wirtschaft und Handel blühten auf und weiteten sich auch über die Grenzen des Reiches bis an den Atlantik, die Ostsee und nach Afrika aus. Das römische Bürgerrecht wurde über Italien hinaus auch auf verdiente Einwohner in den Provinzen ausgedehnt. Jeder Bürger des Reiches durfte frei umherreisen, nur an den Provinzgrenzen wurde ein geringer Zoll erhoben. Die Bevölkerung des ganzen Reiches erlebte ein zuvor nicht gekanntes Gefühl von Sicherheit, endlich war man frei von Bedrohung an Leib und Leben. Die Neuordnung des Reiches, die während der langen friedlichen Regierungszeit des Augustus getroffen wurde, war am Ende seines Lebens so gefestigt, dass sie über seinen Tod hinaus Bestand hatte.


Das römische Reich in ntl. Zeit

Tiberius

Caligula

Als Augustus 14 n.Chr. im Alter von 76 Jahren starb, übernahm sein Adoptivsohn Tiberius (14–37 n.Chr.) die Regierung, ein erfahrener Feldherr und besonnener Politiker, der schon im Alter von 55 Jahren stand191. Die Einrichtung des Prinzipats hatte sich so bewährt, dass Tiberius die Nachfolge ohne Widerspruch des Senats antreten konnte. Zwar ersah ihn Augustus eigentlich nicht als seinen Nachfolger aus, nachdem sich aber andere Möglichkeiten zerschlugen, bestimmte er ihn schließlich doch dazu. Seine Pflichten nahm Tiberius streng und gewissenhaft wahr, indem er als kluger Verwalter des ihm zugefallenen Erbes planmäßig und zielstrebig die Politik seines Vorgängers fortsetzte. Auf Tiberius folgte Gaius Caligula, der bei Übernahme der Regierung (37–41 n.Chr.) erst 24 Jahre alt war. Im Unterschied zu seinem Vorgänger gebärdete er sich wie ein hellenistischer Herrscher und umgab sich mit einem Kreis junger hellenistischer Fürsten, unter denen sich auch Herodes Agrippa befand, der durch die Gunst des Caligula zu Einfluss und Herrschaft in Palästina gelangte. Als erster Kaiser ließ sich Caligula von der römischen Aristokratie als Gott verehren (Sueton, Cal 22,3)192. Ihm kam es offenbar darauf an, die senatorische Führungsschicht Roms zu erniedrigen und seine absolutistischen Tendenzen durchzusetzen. Sein ausschweifendes Leben und sein übersteigertes Streben nach göttergleicher Überhöhung der herrscherlichen Stellung hinderten Caligula an der Erfüllung der Aufgaben seines Amtes. Er schreckte auch nicht davor zurück, von den Juden zu fordern, sein Standbild im Tempel von Jerusalem aufzustellen (s. o. 3.3). In den wenigen Jahren seiner Herrschaft hatte er sich so viele Feinde gemacht, dass eine Palastrevolution sein Regiment beseitigte (41 n.Chr.).

Claudius

Nero

Die Prätorianergarde rief Claudius zum neuen Caesar aus (41–54 n.Chr.). Im Gegensatz zu Caligula war er zurückhaltend gegenüber der göttlichen Verehrung seiner Person (vgl. Suet, Claud 12). Er wollte die römische Religion neu beleben und war ein Verehrer des Griechentums193. Seine Stellung gegenüber dem Judentum scheint schwankend gewesen zu sein; einerseits sicherte er zu Beginn seiner Herrschaft die Rechte der Juden in Alexandria194, andererseits vertrieb er 49 n.Chr. die Juden aus Rom (vgl. Apg 18,2). Das Claudius-Edikt (s.u. 6.5) war für das frühe Christentum von großer Bedeutung, denn die damit verbundene Vertreibung von Judenchristen aus Rom (vor allem nach Kleinasien) veränderte die Zusammensetzung der römischen Gemeinde und hatte Einfluss auf die paulinische Mission. Claudius wurde 54 n.Chr. durch seine Gemahlin Agrippina vergiftet, die so Nero (54–68 n.Chr.) den Weg auf den Thron bahnte195, ihrem Sohn aus erster Ehe. Der neue Herrscher war erst 17 Jahre alt, so dass die Amtsgeschäfte zunächst vom Prätorianerpräfekten und dem Philosophen Seneca geführt wurden, einem der wohlhabendsten und einflussreichsten Männer in Rom196. Die Jahre ihrer Regentschaft verliefen glücklich. Als Nero selbst die Regierung übernahm, entwickelte er sich zum unberechenbaren Despoten und Selbstdarsteller. Er liebte es, öffentlich als Künstler aufzutreten, gebärdete sich als Freund und Förderer griechischer Kultur197 und suchte seine herrscherliche Stellung mit göttlichem Glanz zu umkleiden. Dabei überschritt er bewusst moralische und politische Grenzen und ließ ohne Bedenken Menschen aus dem Wege schaffen, die ihm hinderlich sein konnten. Im Jahr 68 n.Chr. kam es zu einer Verschwörung gegen ihn und er nahm sich das Leben. Bedeutsam für das frühe Christentum wurde Nero durch den Brand Roms (64 n.Chr.) und die sich daran anschließende erste größere Christenverfolgung (s.u. 12.2). Neros plötzliches Ende wurde von vielen Menschen bejubelt; andere aber waren fassungslos und vermuteten, sein Tod könne nicht sein und er lebe an einem verborgenen Ort weiter. So entstand die Erwartung, er werde aus dem Osten an der Spitze der Partherheere wiederkehren. Auf diese im Volk verbreiteten Vorstellungen vom ‚Nero redivivus‘ (vgl. Sib 4f; Tacitus, Historien II 8f) könnte in Offb 13,1–18; 17,11–17 angespielt werden, wo das Tier aus dem Abgrund als Schreckenskaiser der letzten Zeit gezeichnet wird.

Die Flavier

Trajan und Hadrian

Mit dem Tode Neros ging die Herrschaft des julisch-claudischen Hauses zu Ende, es begann die Zeit der Flavier (s.u. 9.3). Im Jahr 69 n.Chr. gelang es Vespasian, die Herrschaft an sich zu bringen und, gestützt auf das Heer, Ruhe und Ordnung zu schaffen. Vespasian setzte die Erneuerung des von Augustus geschaffenen Prinzipats durch und sicherte die Erbfolge seiner Söhne. Als er 79 n.Chr. starb, wurde sein Sohn Titus Kaiser, der Jerusalem erobert hatte; 81 n.Chr. folgte ihm sein Bruder Domitian (81–96 n.Chr.). Er scheint im Verlauf seiner Herrschaft immer mehr zum Tyrannen geworden zu sein (s.u. 12.3), der die Macht und Heiligkeit seiner Person öffentlich demonstrierte. Mit Nerva (96–98 n.Chr.) beginnt die Reihe der Caesaren, die sich den Lehren der Philosophen verpflichtet wussten und sie zum Wohl des Gemeinwesens zu verwirklichen suchten. Das stoische Herrscherideal setzte sich durch, nach dem der Beste regieren und sein Amt als Diener der Allgemeinheit führen sollte. Nerva adoptierte den General Trajan, der dann als sein Nachfolger 98 n.Chr. die Regierung übernahm und sie bis 117 n.Chr. ausübte. Durch das Adoptionsverfahren wurde gesichert, dass man aus dem Kreis der in Betracht kommenden Kandidaten den tüchtigsten auswählen und ihn zum Herrscher bestimmen konnte. Auf Trajan folgte Hadrian (117–138 n.Chr.), der sich als kosmopolitischer Herrscher verstand198. Er reiste viel im Reich umher, weilte gern in Griechenland, ließ überall prachtvolle Bauten errichten und war um die Wohlfahrt der Provinzen bemüht. In die Regierungszeit Hadrians fällt der Bar Kochba Aufstand (132–135 n.Chr.), der den endgültigen Untergang des Judentums bewirkte (s. o. 3.3).

3.4.1 Grundzüge der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der frühen Kaiserzeit

Ludwig Friedländer, Sittengeschichte Roms I, Leipzig 91919. – Géza Alföldy, Römische Sozialgeschichte, Stuttgart 42011. – Peter Garnsey/Richard Saller, The Roman Empire: Economy, Society, and Culture, Berkeley 1987. – Andrea Giardina (Hg.), Der Mensch der römischen Antike, Frankfurt 1991. – Ekkehard Stegemann/Wolfgang Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte, 17–94. – Frank Kolb, Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike, München 22002. – Leonhard Schumacher, Sklaverei in der Antike, München 2001. – Hans-Joachim Drexhage/Heinrich Konen/Kai Ruffing, Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.–3. Jahrhundert), Berlin 2002. – Elisabeth Herrmann-Otto, Soziale Schichten und Gruppen, in: Kurt Erlemann u. a. (Hg.), Neues Testament und antike Kultur II, 86–99. – Ulrich Fellmeth, Pecunia non olet. Die Wirtschaft der antiken Welt, Darmstadt 2008. – Elisabeth Hermann-Otto, Sklaverei und Freilassung in der griechisch-römischen Welt, Hildesheim 2009. – Kai Ruffing, Wirtschaft in der griechisch-römischen Antike, Darmstadt 2012. – Josef Fischer, Sklaverei, Darmstadt 2014.

Aufgrund der Größe des Römischen Reiches, der zumeist dürftigen Quellenlage und der sehr unterschiedlichen Verhältnisse in Stadt und Land sowie zwischen den einzelnen Provinzen ist es nur sehr eingeschränkt möglich, exakte Aussagen (im neuzeitlichen Sinn) über die Sozial- und Wirtschaftsstruktur des frühen Kaiserreiches zu ermitteln199. Dennoch lassen sich Grundstrukturen erkennen.

Die Gesellschaftsstruktur

Führungsschicht

Die Gesellschaft des Imperium Romanum war durch eine relativ starre vertikale Struktur gekennzeichnet200. An der Spitze stand die imperiale Führungsschicht, deren Leitungsfunktionen das gesamte Imperium umfassten. In ihren Händen lagen alle entscheidenden Kompetenzen in Politik, Kriegführung, Administration und Rechtsprechung, lediglich in den Bereich der Wirtschaft wurde nur selten direkt eingegriffen. Zur imperialen Führungsschicht zählten nicht nur der Kaiser und seine Familie, sondern auch jene Senatoren, die mindestens einmal das Konsulat bekleidet hatten. Führende Militärs, Verwaltungsbeamte, Juristen und Freunde, die zumeist dem Adel angehörten und den Kaiser kontinuierlich berieten, sind ebenfalls der imperialen Führungsschicht zuzurechnen. Unter einzelnen Herrschern (z.B. Claudius, Nero, Domitian) konnten schließlich Sklaven bzw. Freigelassene, die das besondere Vertrauen des Kaisers besaßen, zentrale Verwaltungsämter innehaben201.

Oberschicht

Im Unterschied zur imperialen Führungsschicht verfügte die imperiale Oberschicht nicht über aktive reichsweite Leitungsfunktionen. Sie war durch Herkunft, Besitz und Vermögen202 privilegiert. Zu dieser Schicht zählten neben den Vasallenkönigen bzw. -fürsten vor allem Angehörige des Senatoren- und Ritterstandes (‚Stand‘ = ordo)203. Die Senatsmitglieder mussten seit Augustus aus alten Familien (Roms) stammen und für ihre Bewerbung um dieses Amt ein beträchtliches Vermögen vorweisen204. Nach den Senatoren (ordo senatorius) bildeten die Ritter (ordo equester) den zweiten Stand; es handelt sich dabei um – vom Kaiser geförderte – vermögende und erfolgreiche Personen aus allen Provinzen, die insbesondere in der provinzialen Reichsverwaltung, der Justiz und im Militär eine führende Rolle spielten. Auch die führenden Priesterfamilien Roms gehörten zur imperialen Oberschicht. Die regionale und lokale Oberschicht (ordo decurionum) übte als dritter Stand lediglich örtliche Leitungsfunktionen aus, zum Beispiel in den Stadträten oder in den Versammlungen der einzelnen Provinzen205. Sie war vor allem durch eine lokale Verankerung, Besitz und Vermögen privilegiert. Dazu zählten die führenden Verwaltungsbeamten größerer und mittelgroßer Städte, dort stationierte Militärs, aber auch reiche Bürger, Großgrundbesitzer und Fernhändler sowie einzelne Wissenschaftler und Intellektuelle206.

Mittelschicht

Als maßgebliches Kriterium für die Zugehörigkeit zur Mittelschicht des Imperiums207 muss die Fähigkeit gelten, sich selbst und seine Familie durch selbständige Arbeit zu ernähren und dabei gleichzeitig einen gewissen Überschuss zu erzielen. Nicht die Herkunft, sondern Fleiß, Erfolg, Vermögen und Einfluss qualifizieren die Angehörigen der Mittelschicht. Zu ihr gehörte zunächst der Großteil der freien Bürger Roms, sofern diese nicht verarmt waren; ebenso die unabhängigen freien Bürger der Städte im Reich, die über ein gewisses Vermögen verfügten. Sodann zählten erfolgreiche Grundbesitzer, Händler, Bankiers sowie selbständige qualifizierte Handwerker und Dienstleister dazu, ferner Beamte in den mittleren und größeren Städten des Reiches. Auch Angehörige des Militärs wie Centurionen und Unteroffiziere sind der Mittelschicht zuzurechnen, ebenso Angehörigen der römischen Sonderformationen und auch die privilegierten Veteranen. Schließlich jene Freigelassenen, die im Dienste des Kaisers standen, über großen Einfluss verfügten und sich ein gewisses Vermögen erwirtschaftet hatten. Sogar einzelne Sklaven der familia Caesaris gehörten zur Mittelschicht. Insgesamt war diese Schicht sehr inhomogen, was aber zugleich in der aufstrebenden Wirtschaft des 1./2. Jh. n.Chr. für viele Menschen die Chance bot, innerhalb der Gesellschaft aufzusteigen. Insbesondere durch (neu erworbenen) Reichtum war es möglich, Herkunftsschranken zu überspringen sowie Einfluss und gesellschaftliches Prestige zu gewinnen208.

Unterschicht

Wie die Mittelschicht war auch die breite Unterschicht sehr heterogen. Als entscheidendes Kriterium für die Zugehörigkeit zur Unterschicht müssen die vielfältigen Abhängigkeiten gelten, die es den Menschen verwehrten, selbständig ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften209. Hinzu kommen die gravierenden Unterschiede zwischen Stadt und Land sowie zwischen den einzelnen Regionen des Riesenreiches, die zu Landflucht210 und damit zu schleichender Verelendung der Städte211 führten. In den Städten212 zählten vor allem unselbständige Arbeiter und Dienstleister dazu, z.B. kleine Handwerker wie Schuhmacher, Töpfer, Schmiede, Textilverarbeiter, Hafenarbeiter, Bäcker, Maurer, Schlosser und Stellmacher. Auch kleine Kaufleute, Lehrer, Musiker, Friseure, Seeleute, die Empfänger staatlicher Sozialleistungen, von den Gaben ihrer Patrone Abhängige, Alte, Witwen sowie Tagelöhner, Bettler und chronisch Kranke müssen zur Unterschicht gerechnet werden. Große Teile der Bevölkerung Roms waren von den öffentlichen Getreidelieferungen abhängig213, ebenso gab es neben dem plebs urbana den plebs rustica. Auf dem Land dominierten die (freien oder abhängigen) Kleinbauern, die Kleinpächter und vor allem die abhängigen Lohnarbeiter bzw. Tagelöhner. Daneben gab es ebenso wie in den Städten kleine Handwerker und Dienstleister, Hirten, Alte, Bettler und Kranke.

Sklaven

Ganz überwiegend zur Unterschicht zählten die Sklaven, die einen wesentlichen Bestandteil aller antiken Gesellschaften und Wirtschaftsformen bildeten214. Die antike Sklaverei ist ein sehr komplexes Phänomen, das weder praktisch noch theoretisch infrage gestellt wurde215. Um die Zeitenwende machten die Sklaven ca. 15–20% der Gesamtbevölkerung des Imperium Romanum aus (ca. 50 Millionen)216; in absoluten Zahlen wären dies ca. 10 Millionen Menschen217. Ursachen für Sklaverei waren vor allem Kriegsgefangenschaft, Geburt in Sklaverei, Menschenraub, Menschenhandel, Kindesaussetzungen und Verkauf aufgrund von Schuldverhältnissen. Sklaven wurden vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt, harte körperliche Arbeit musste auch beim Militär, in Mühlen, Bädern und Bergwerken von Sklaven geleistet werden218. Sklaven konnten aber auch – je nach ihren Fähigkeiten und den Bedürfnissen ihrer Herren – für gelernte Berufe wie Lehrer, Koch, Amme, Hebamme, Arzt/Ärztin, Schreiber, Verwalter oder für den normalen Dienst im Haushalt eingesetzt werden. Schließlich waren in allen Bereichen des Handwerks und des Handels Sklaven tätig219. Die Herren besaßen die uneingeschränkte Gewalt über ihre Sklaven, die keine Besitz- und Ehefähigkeit hatten. Sie standen ihren Besitzern stets zur Verfügung, entweder zur persönlichen Verwendung oder zum Verleih an Vertragspartner, sie konnten vererbt, verpfändet oder verschenkt werden. Andererseits mussten sie untergebracht und ernährt werden, auch wenn kein Bedarf an ihrer Arbeitskraft bestand.

Es gab auch privilegierte Sklaven, so hatten vor allem die Sklaven der großstädtischen Oberschichten gute Lebensverhältnisse. Gehörten sie zum kaiserlichen Haushalt (familia Caesaris), d.h. zur kaiserlichen Verwaltung, konnten sie sogar sehr einflussreich und wohlhabend sein220. Sehr häufig blieben Sklaven nicht zeitlebens unfrei, vor allem in den gehobenen römischen Haushalten, aber auch, wenn sie als Handwerker oder Dienstleister gearbeitet hatten. Da die Freilassung von Sklaven gesetzlich geregelt war, gehörten Freigelassene dann fast ohne Einschränkungen zur römischen Gesellschaft221.

Die antike Wirtschaft

Die Basis der antiken Wirtschaft bildete die Landwirtschaft. Hinzu kamen als weitere zentrale Bereiche das Handwerk, der Handel sowie verschiedenste Dienstleistungen.

Landwirtschaft

Wie alle vorindustriellen Gesellschaften war auch das Römische Reich eine Agrargesellschaft222. Ca. 90% der Gesamtbevölkerung lebten auf dem Land223. Angebaut wurde überwiegend Getreide, das für die Grundversorgung der Bevölkerung, insbesondere der städtischen und militärischen Konsumzentren, eine Schlüsselstellung einnahm. Vor allem Nordafrika (mit Ägypten als Zentrum) galt als Kornkammer des Reiches. Missernten und Transportprobleme trafen vor allem die städtische Bevölkerung und führten immer wieder zu reichsweiten Hungersnöten224. Je nach Ernte konnte es einen Überschuss an Korn geben, der in den Scheunen gesammelt wurde (vgl. Lk 12,16–21), manchmal ging es aber auch um das nackte Überleben. Bäckereien mahlten das Korn und lieferten gebackenes Brot in die römischen Städte. Der Wein- und Olivenanbau war ein zweiter Schwerpunkt der Landwirtschaft, hinzu kamen Viehzucht, Weidewirtschaft, Obstanbau und Fischfang. Bienen lieferten Honig, Vögel Fleisch und Eier, Schafe, Ziegen und Vieh sorgten für Milch, Wolle, Fleisch und Häute. Die überschüssigen Erzeugnisse kleiner Bauernhöfe wurden gewöhnlich von den Landwirten selbst auf den Markt gebracht. Einige von ihnen dürften eigene Esel, Maultiere und Wagen besessen haben. Auf den Märkten, die auf den Plätzen der Städte sowie außerhalb der Stadttore abgehalten wurden, kamen am Ort produziertes Getreide, Früchte, Wein, Öl, Fleisch und Wolle zum Verkauf.

Die Verteilung des Landbesitzes fiel sehr unterschiedlich aus; ein Großteil des Landes war im Besitz der römischen Eliten, ererbt oder von insolventen Nachbarn, Schuldnern oder als Kriegsbeute erworben. Offenbar dehnte sich auch im 1. Jh. n.Chr. der Großgrundbesitz von mehreren 1000 Hektar auf Kosten der freien Kleinbauern weiter aus225. Große Güter wurden in der Regel von Verwaltern geleitet und von Sklaven bearbeitet, große Flächen konnten aber auch in kleine Parzellen aufgeteilt und an Pächter vergeben werden (vgl. Mt 21,33–42). Waren die Pachtzinsen hoch und kam es zu Missernten, gerieten diese Pächter sehr schnell in noch größere Abhängigkeit zu ihren Herren (bis hin zur Sklaverei). Die freien Mittel- und Kleinbauern mit wenigen Hektar Land garantierten mit Feldanbau, Tierhaltung und Gemüsegarten die Selbstversorgung großer Teile der Landbevölkerung und trugen mit ihren Überschüssen auch zur Versorgung der kleineren Städte bei. Die Härte des Landlebens und die ständige Gefahr, durch Missernten und Schulden sozial und rechtlich vollständig abzusteigen, führten ab dem 2. Jh. v.Chr. zu einer andauernden Landflucht226.

Handel, Handwerk und Dienstleistungen

Handwerk, Handel und Dienstgewerbe nahmen in der frühen Kaiserzeit einen Aufschwung227. In diesem Wirtschaftssektor dominierten Kleinbetriebe, die von freien Bürgern, von Freigelassenen aber auch von Sklaven im Auftrag ihrer Herren betrieben wurden. In Städten waren die Betriebe zumeist in die Mietshäuser integriert, in den Großstädten gab es ganze Viertel, die nach einzelnen Gewerben benannt wurden. In den Betrieben fertigten Töpfer Schüsseln und Vasen für den täglichen Gebrauch, Walker und Weber produzierten Kleidung, Lederarbeiter nähten Schuhe und Planen, Schmiede stellten landwirtschaftliche Geräte und die Werkzeuge von Handwerkern her, Zimmerleute fertigten Möbel und Wagen, Bildhauer Statuen und dekorative Reliefs. Weiter sind als Gewerbe zu nennen: Korbmacher, Schuster, Bäcker, Dachdecker, Bauarbeiter, Metallverarbeiter, Kupfer- und Goldschmiede. Sie nutzten normalerweise Rohmaterial, das in der Nähe gewonnen wurde, und verkauften ihre fertigen Waren in eigenen Läden oder auf Märkten. Neben den Kleinbetrieben gab es auch Massenproduktion, vor allem bei Ziegeln, Terrakotta-Lampen, Geschirr und Glaswaren. Diese Produkte wurden häufig überregional oder sogar international abgesetzt.

Ein intensiver Handel herrschte in und zwischen allen Gebieten des Römischen Reiches228. Der örtliche Handel im Nah- und Mittelbereich zwischen Dörfern und Städten drehte sich hauptsächlich um landwirtschaftliche und handwerkliche Produkte (Getreide, Öl, Fleisch, Vieh, Gebrauchsgegenstände des Alltags), die auf Märkten angeboten wurden. Im interregionalen Handel zwischen größeren Städten und den einzelnen Provinzen wurden Lebensmittel in Amphoren (Olivenöl, Wein, Fischsaucen) und gewerbliche Produkte (Keramik, Öllampen, Baumaterialien, Textilien) transportiert. Zu Land konnte der Transport von Menschen als Lastenträgern, von Eseln, Maultieren und Kamelen oder von Wagen mit Zugtieren durchgeführt werden. Der Fluss- und Seetransport hatte für den interregionalen, vor allem aber für den Fernhandel eine große Bedeutung. Flüsse wie der Nil, der Rhein oder die Donau waren wichtig, ebenso die küstennahe Schiffahrt im Mittelmeer und angrenzenden Gebieten (z.B. dem Schwarzen Meer). Im Fernhandel (z.B. Indien, China und Arabien) wurden vor allem Öl und Wein in Amphoren, wertvolle Kleidungsstücke, Metalle, Waffen und Luxusgegenstände gehandelt, aus Germanien war bei den Römern der Bernstein besonders begehrt. Zwar brachte der Seehandel viele Gefahren durch Schiffbruch und Piraterie mit sich, aber Personen mit Investitionsmitteln und Wagemut konnten großen Reichtum erwerben229.

Neben der Landwirtschaft als Primärbereich, dem Handwerk und Handel als Sekundärbereich, standen die Dienstleistungen als Tertiärbereich. Hier nahmen die Bank- und Geldgeschäfte einen bedeutenden Platz ein. Dazu gehörten vor allem Geldwechsel, Münzprüfung und das Kreditwesen. Bankgeschäfte waren oft Bestandteil gesellschaftlicher Beziehungen. Innerhalb der höheren Schichten lieh man sich bei Bedarf Geld von Freunden oder verlieh es an Freunde, wenn diese es benötigten. Mitglieder höherer Schichten wurden auch von ihren Untergebenen und Klienten oft um Darlehen gebeten, und zwar als Bestandteil des zwischen ihnen bestehenden Treueverhältnisses. Zu den wichtigen Dienstleistungen gehörte auch der Bildungssektor, der nicht vorrangig vom Staat wahrgenommen wurde. Lehrer/Lehrerinnen, Erzieher/Erzieherinnen, Ammen und Schreiber arbeiteten hier. Weitere Dienstleister waren Ärzte und Juristen. Zu den großen Dienstleistungsbereichen zählten auch die Gastronomie und das Unterhaltungsgewerbe einschließlich der Prostitution.

Für das Imperium Romanum des 1. Jh. n.Chr. ist die Unterscheidung zwischen Herrschern und Beherrschten grundlegend. Die Statik dieses Prinzips wurde aber durch eine wirtschaftliche und kulturelle Dynamik flankiert, die es Mitgliedern aller Schichten ermöglichte, ihre Welt zu erweitern.

Das frühe Christentum in seinen Kontexten

Der Überblick zur Geschichte, Philosophie, Religion/Theologie und Wirtschaft der hellenistischen Zeit ist für die nun folgende Darstellung der Geschichte des frühen Christentums in dreifacher Hinsicht grundlegend:

Es gab in der Antike keine ‚Heiden’

1) Das frühe Christentum hatte umfassend teil an der sozialen Wirklichkeit des Römischen Reiches des 1./2. Jh. n.Chr. und war in ein sehr komplexes und attraktives religiös-philosophisches Umfeld eingebettet. Religiöse Vorstellungen und Vollzüge bestimmten in allen Bereichen das Leben des antiken Menschen. Somit entwickelte sich das frühe Christentum in einer multi-religiösen Gesellschaft und stieß keineswegs in einen religionslosen Raum vor. Daraus folgt, dass es die mit der jüdisch/christlichen Unterscheidung ‚Jude/Christ/Heide‘ heute suggerierte religionsfreie Gesellschaft der Antike nie gegeben hat. Im Gegenteil, keine Gesellschaft war so religiös bestimmt wie der Hellenismus und dies gilt auch für das römische Kaiserreich im 1. Jh. n.Chr. Deshalb ist es unangemessen, im Hinblick auf Nicht-Juden und Nicht-Christen von ‚Heiden‘ zu sprechen230, sondern es handelt es sich in der Regel um Menschen aus griechischrömischer Religiosität, um Christen aus den Völkern, die sich den frühen Gemeinden anschlossen231.

Anschlussfähigkeil: durch Teilnahme

2) Damit verbindet sich ein weiterer zentraler Sachverhalt: Die frühen Gemeinden mit ihren Mitgliedern aus verschiedenen kulturellen Kontexten (palästinisches/hellenistisches Judentum/griechisch-römische Religiosität/lokale Kulte und Vereine) waren von Anfang an sowohl durch ihre Mitglieder als auch durch die konkrete Umwelt in die politischen und kulturell-religiösen Debatten der Zeit verwickelt. Die Erfolge der frühchristlichen Mission lassen sich nur unter der Voraussetzung erklären, dass eine hohe Anschlussfähigkeit in Bezug auf die jüdischen und griechisch-römischen Traditionsströme bestand232. Diese Anschlussfähigkeit ließ sich nicht durch Verweigerung, sondern nur durch eine bewusste Teilnahme an den Debatten erreichen, die im Umfeld der Gemeinden geführt wurden. Will man die Geschichte des frühen Christentums verstehen, müssen diese Kommunikationsfelder identifiziert werden und es gilt herauszuarbeiten, welche Antworten auf diese Fragen gegeben wurden und weshalb die Antworten in Theorie und Praxis offenbar von vielen Menschen als plausibel empfunden wurden. Ein neues kulturelles System wie das frühe Christentum konnte nur entstehen, weil es in der Lage war, sich mit bestehenden kulturellen Strömungen zu vernetzen und Neuorganisationen von Vorstellungen und Überlieferungen vorzunehmen. Bewusste Kommunikation und gewollte Überzeugung stehen hier am Anfang!

Geschichte ist immer Teil von anderer Geschichte

3) Schließlich hat das frühe Christentum nicht nur seine eigene Geschichte, sondern ist immer auch in die Geschichte der anderen verwickelt. Als Bewegung im Judentum gerieten die Christusgläubigen (speziell in Jerusalem) immer wieder in Konflikt mit den anderen jüdischen Gruppen; vor allem mit den Sadduzäern, aber auch mit den Pharisäern. Als Bewegung aus dem Judentum haben die Christen teil an der spannungsreichen Geschichte der Juden im römischen Reich (s.u. 6.5: Das Claudius-Edikt). Zugleich wurde sie aber auch nach und nach in massive Konflikte mit dem römischen Staat hineingezogen, insbesondere was die Teilnahme am Kaiserkult betrifft. Deshalb hat die Geschichte des frühen Christentums immer auch eine religiös-politische Dimension.

Tafel 3: Chronologie Weltgeschichte/Palästina

356–323 v.Chr. Alexander der Große
WeltgeschichtePalästina
~ 301–200 ptolemäische Herrschaft~ 301–200 ptolemäische Herrschaft
~ 200–63 seleukidische Herrschaft~ 200–63 seleukidische Herrschaft
197 Sieg Roms über Philipp V. von Makedonien
175–164 Antiochius IV. Epiphanes~ 175–172 Jason
~ 172–163 Menelaos
167 Beginn der makkabäischen Erhebung
166–161 Judas d. Makkabäer
161–142 Jonathan
~ 150 Lehrer der Gerechtigkeit
142–135/34 Simon
Die Hasmonäer
135/34–104 Johannes Hyrkan
104–103 Aristobul I
103–76 Alexander Jannai
76–67 Salome Alexandra
64 Pompejus besiegt die Seleukiden67–63 Aristobul II
63 Eroberung Jerusalems durch die Römer
40 Parthereinfall63–40 Hyrkan II
31 v. – 14 n.Chr Augustus40–4 Herodes
~ 4 v. Geburt Jesu
4 v. – 33/34 n.Chr. Philippus
4 v. – 39 n.Chr. Herodes Antipas
4 v. – 6 n.Chr. Archelaos
14–37 Tiberius6–41 Judäa unter röm. Verwaltung
6/7 Census
26–36 Pontius Pilatus
27/28 Auftreten Johannes d. T./
Jesus v. Nazareth
30 Tod Jesu
37–41 Caligula41–44 Agrippa I
41–54 Claudius50–92/93 Agrippa II
54–68 Nero66–73 (74) jüdischer Krieg
70 Fall Jerusalems
69–79 Vespasian73/74 Fall Massadas
79–81 Titus74–132 Periode von Jabne
81–96 Domitian
98–117 Trajan
117–138 Hadrian132–135 Bar-Kochba-Aufstand

1Zu den hier nicht zu behandelnden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten des Hellenismus vgl. Hans-Joachim Gehrke, Geschichte des Hellenismus, 165ff; Burkhard Meissner, Hellenismus, 97ff.

2Vgl. dazu Frank Kolb, Die Stadt im Altertum, München 1984, 121–140.

3Die zeitliche Abgrenzung des ‚Hellenismus‘ fällt unterschiedlich aus. Während ein relativer Konsens darüber besteht, dass mit Alexanders Eroberungszügen eine neue Epoche begann (zumeist gilt das Todesjahr 323 als Beginn des Hellenismus), wird das Ende des Hellenismus unterschiedlich bestimmt: Mit der Eingliederung Ägyptens in das Römische Reich (30 v.Chr.) oder mit dem Ende der römischen Kaiserzeit bzw. der Antike überhaupt; vgl. dazu Dieter Timpe, Art. Hellenismus, RGG4, Bd. 3, Tübingen 2000, 1609.

4Einen Austausch zwischen Hellas und dem Orient gab es natürlich auch schon vorher; vgl. dazu Albrecht Dihle, Hellas und der Orient. Phasen wechselseitiger Rezeption, Berlin 2009.

5Vgl. Haiim B. Rosén, Die Sprachsituation im Römischen Palästina, in: Günter Neumann/Jürgen Untermann (Hg.), Die Sprachen im Römischen Reich der Kaiserzeit, Köln/Bonn 1980, 215–239; Alan R. Millard, Pergament und Papyrus, Tafeln und Ton, 81–114.

6Vgl. Haiim B. Rosén, Die Sprachsituation im Römischen Palästina, a.a.O., 236f.

7Vgl. Rüdiger Schmitt, Die Ostgrenze von Armenien über Mesopotamien, Syrien bis Arabien, in: Günter Neumann/Jürgen Untermann (Hg.), Die Sprachen im Römischen Reich der Kaiserzeit, Köln/Bonn 1980, 198–205.

8Vgl. Günter Neumann, Kleinasien, in: Günter Neumann/Jürgen Untermann (Hg.), Die Sprachen im Römischen Reich der Kaiserzeit, 167–185.

9Vgl. Iiro Kajanto, Minderheiten und ihre Sprachen in Rom, in: Günter Neumann/Jürgen Untermann (Hg.), Die Sprachen im Römischen Reich der Kaiserzeit, 84ff. Zur Bedeutung des Griechischen als internationaler Sprache im römischen Kaiserreich, a.a.O., 121–145. Ein instruktives Beispiel bietet Cicero, Pro Archia 23: „Wenn nämlich jemand meint, griechische Verse brächten einen geringeren Zoll des Ruhmes ein als lateinische, so irrt er sich sehr; denn griechische Bücher werden in fast allen Ländern gelesen, lateinische hingegen sind auf ihr Sprachgebiet, das ziemlich klein ist, beschränkt.“

10Vgl. Philo, De Congressu, 44.

11Vgl. Josephus, Bellum 1,3.

12Einen Überblick vermittelt George W. E. Nickelsburg, Jewish Literature (s.u. 3.3.1), 191–221.

13Sie wird so genannt, weil nach der Überlieferung des Aristeasbriefes dieses Werk durch 72 Gelehrte in 72 Tagen entstanden sein soll; zur Septuaginta vgl. Michael Tilly, Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005.

14Vgl. Aryeh Kasher, Jews and Hellenistic Cities in Eretz-Israel, TSAJ 21, Tübingen 1990.

15Vgl. Tor Vegge, Paulus und das antike Schulwesen, BZNW 134, Berlin 2006, 423: „Die Erstellung eines abgeschlossenen und hinsichtlich Disposition und Stil durchgearbeiteten Textes setzte eine gründliche Ausbildung in Grammatik- und Rhetorikschule voraus. Die Qualität der paulinischen Texte belegt folglich die solide allgemeine literarische Ausbildung, die Vertrautheit mit Form und Inhalt der rhetorischen und philosophischen Rede ihres Autors.“ Auch Thomas J. Bauer, Paulus und die kaiserzeitliche Epistolographie, 404–418, geht von einer höheren Schulbildung und rhetorischen Ausbildung des Paulus aus. Peter Arzt-Grabner, Gott als verlässlicher Käufer, 412, folgert aus dem auffallenden Gebrauch von Geschäftstermini in den Paulusbriefen: „Als gelernter Handwerker, der vermutlich sogar mehrmals in leitender Funktion von Handwerksbetrieben tätig war, waren Paulus Kauf- und Arbeitsverträge wohl bekannt.“

16Gegen Martin Hengel, Das früheste Christentum als eine jüdische messianische und universalistische Bewegung, ThBeitr 28 (1997), (197–210) 198: „Was an ‚paganen Einflüssen‘ im Urchristentum vermutet wurde, kann durchweg auf jüdische Vermittlung zurückgehen. Nirgendwo lässt sich eine direkte bleibende Beeinflussung durch heidnische Kulte oder nichtjüdisches Denken nachweisen. Was man im Neuen Testament gemeinhin als ‚hellenistisch‘ bezeichnet, stammt in der Regel aus jüdischen Quellen, die sich freilich der ‚religiösen Koine‘ der hellenistischen Zeit weder entziehen wollten noch konnten.“

17Vgl. Roland Baumgarten, Heiliges Wort und Heilige Schrift bei den Griechen, Tübingen 1998, 223: „Es ist kein umfassendes Bemühen der Griechen erkennbar, tatsächlich altes religiöses Traditionsgut systematisch zu verschriften.“

18Die Gründungslegende der griechischen Religion überliefert Herodot (ca. 484–425 v.Chr.): „Hesiod und Homer haben den Stammbaum der Götter in Griechenland geschaffen und ihnen ihre Beinamen gegeben, die Ämter und Ehren unter sie verteilt und ihre Gestalt geprägt“ (Historien II 53,2). Zugleich findet sich aber in der Kritik der Anthropomorphismen der homerischen Götterwelt schon früh der Gedanke, dass es eigentlich nur ‚einen‘ Gott unter den Göttern geben könne; vgl. Xenophanes (ca. 570–475 v.Chr.) Fr. B 23 (Mansfeld I, 224): „Ein einziger Gott ist unter den Göttern und Menschen der Größte“ ( ).

19Vgl. dazu Walter F. Otto, Die Götter Griechenlands, Frankfurt 92002; zu den Unterschieden zwischen dem griechischen und dem römischen Polytheismus vgl. Martin Ebner, Die Stadt als Lebensraum der ersten Christen, 120–122.

20Vgl. Walter Burkert, Art. Griechische Religion, 238ff.

21Homer, Odyssee 17,485f vgl. ferner Homer, Ilias 2,167–172; 5.121–132; 15.236–238; Homer, Odyssee 7,199–210; Euripides, Bacchae 1–4.43–54; Plato, Sophista 216a–b; Diodorus Siculus I 12,9–10); Dio Chrysostomus, Orationes 30,27: „Solange nun das Leben noch neu gegründet war, besuchten uns die Götter in eigener Person und sandten aus eigener Mitte Führer, eine Art Statthalter, die sich um uns kümmern sollten, zum Beispiel Herakles, Dionysos, Perseus und all die anderen, die, wie man erzählt, als Söhne oder Nachfahren von Göttern unter uns weilten.“

22Vgl. Plato, Protagoras 322c–d.

23Vgl. Plato, Cratylus 398c.d, wo Sokrates sagt: „Weißt du nicht, dass die Heroen Halbgötter sind ( )? Also sind sie alle entstanden dadurch, dass Eros entweder einen Gott einer Sterblichen oder eine Göttin einem Sterblichen zuführte“; zur Sache vgl. Walter Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, 311–329.

24Vgl. Isokrates, Orationes 1,50; Epiktet, Dissertationes II 16,44; Enchiridion 15 (Diogenes und Herakles sind wegen ihres vorbildhaften Charakters Mitregenten der Götter „und heißen darum mit Recht göttlieh“).

25Ovid, Fasti II 35–37.

26Vgl. Plato, Leges IV 716d: „…dass für einen guten Menschen das Opfern und der ständige Verkehr mit den Göttern durch Gebete, Weihgeschenke und alle Formen der Gottesverehrung das schönste und beste und wirksamste Mittel zu einem glücklichen Leben und ihm daher auch ganz besonders angemessen ist.“

27Vgl. dazu Walter Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, 93–107.

28Vgl. a.a.O., 108–121.

29Zum architektonischen Programm vgl. Gottfried Gruben, Griechische Tempel und Heiligtümer, Darmstadt 52001; zu den theologischen Dimensionen vgl. Walter Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, 135–150.

30Zur fundamentalen Funktion der öffentlichen religiösen Feste und Prozessionen vgl. Walter Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, 157–187; Jean-Marie André, Griechische Feste, Römische Spiele, Leipzig 2002.

31Plutarch, Moralia 116C.D gruppiert seine Philosophie um die zwei zentralen Inschriften von Delphi: „‚Erkenne dich selbst‘ und ‚übertreibe Nichts‘ () … In der Erkenntnis seiner selbst liegt es, Nichts zu übertreiben, und darin eben liegt wiederum die Selbsterkenntnis.“

32Vgl. hier Martin Ebner, Die Stadt als Lebensraum der Christen, 306–328.

33Vgl. dazu Frank Kolb, Rom (s.u. 3.4.1), 27–114.

34Vgl. Cicero, De Legibus II 27: „Außerdem ist das heilige Brauchtum der Familie und der Vorfahren zu erhalten.“

35Vgl. Cicero, De Natura Deorum 2,72: „Die hingegen, welche alles, was zur Götterverehrung gehörte, sorgfältig bedachten und gewissermaßen immer wieder durchgingen (relegerent), wurden, von relegere abgeleitet, als religiös bezeichnet“. Außerdem spricht er von ‚religiösen Normen und Vorschriften‘ und von religiösen Opfern, Gebräuchen und Zeremonien (De Natura Deorum 2,8; 3,5: Opfer, Interpretation des Vogelfluges und Weissagen als Grundlagen der römischen Religion).

36Cicero, De imperio Cn. Pompei 60; vgl. ferner Cicero, De Legibus II 25.26.

37Vgl. Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia I 1, wo als Kennzeichen der römischen Religion aufgezählt werden: „Ebenfalls nach altem Brauch bedient man sich bei der Religionsausübung folgender Formen: des Gebets … des Gelübdes … der Danksagung … der Bitte um günstige Vorzeichen … des Opfers …“

38Einführungen bzw. Überblicke vermitteln: Franz Cumont, Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum, Darmstadt 71975 (= 31931); Walter Burkert, Antike Mysterien, München 21991; Dieter Zeller, Art. Mysterien/Mysterienreligionen, TRE 23, Berlin/New York 1994, 504–526; Hans-Josef Klauck, Umwelt des Urchristentums I, 77–128; Hans Kloft, Mysterienkulte der Antike, München 1999; Marion Giebel, Das Geheimnis der Mysterien, Düsseldorf 32003; Martin Ebner, Die Stadt als Lebensraum der ersten Christen, 236–273. Bilder zu den Heiligtümern der Mysterienkulte und ihren Riten finden sich bei Dietrich-Alex Koch, Bilder aus der Welt des Urchristentums, 224–249.

39Eine Ausnahme bildet lediglich der Roman Metamorphosen von Apuleius (verfasst gegen Ende des 2. Jh. n.Chr., allerdings ältere Stoffe variierend), wo in Buch XI eine Isis-Weihe in Korinth geschildert wird. Den schlechten Ruf der Mysterienkulte dokumentiert Philo, De Specialibus Legibus I 319f, der sie der Finsternis zuordnet und den Juden die Teilnahme an Weihen verbietet, denn „beides, das Lehren wie das Erlernen von Mysterien, ist keine geringe Sünde.“

40Ich folge hier weitgehend Carsten Colpe, Mithra-Verehrung, Mithras-Kult und die Existenz iranischer Mysterien, in: John R. Hinnels (Hg.), Mithraic Studies II, Manchester 1975, 378–405.

41Vgl. hierzu Marion Giebel, Das Geheimnis der Mysterien, 17–53.

42Vgl. Walter Burkert, Griechische Religion, 249–257.

43Vgl. dazu Renate Schlesier/Agnes Schwarzmaier (Hg.), Dionysos – Verwandlung und Ekstase, Regensburg 2008; ferner Reinhold Merkelbach, Die Hirten des Dionysos. Die Dionysos-Mysterien der römischen Kaiserzeit und der bukolische Roman des Longus, Stuttgart 1988, der die umfangreichen Dionysos-Feste und Mysterien der Kaiserzeit darstellt. Texte zu Dionysos und seinem Kult finden sich in: Neuer Wettstein I/2, 112–118.

44Vgl. zwei thessalische Goldlamellen zu Röm 6,3f in: Neuer Wettstein II/1, 122f; ferner Fritz Graf/Sarah Iles Johnston, Ritual Texts for the Afterlife. Orpheus and the Bacchic Gold Tablets, New York 2007. Plutarch berichtet z.B. in Moralia 611D–F über Jenseitshoffnungen des Dionysos-Kultes, in den er eingeweiht war.

45Vgl. hier Reinhold Merkelbach, Isis regina – Zeus Sarapis, Stuttgart/Leipzig 1995.

46Die Bedeutung des Isis-Kultes im öffentlichen Leben von Pompeii zeigt sich z.B. darin, dass nach dem Erdbeben 62 n.Chr. der Isis-Tempel schneller als alle anderen Tempel der Stadt wiedererrichtet wurde; vgl. Arno Hüttemann (Hg.), Pompejanische Inschriften, Stuttgart 2010, 78–80.

47Der wichtigste Text ist Plutarch, Über Isis und Osiris (= Drei religionsphilosophische Schriften, 135–273).

48Apuleius, Metamorphosen XI 23,8. Bei Firmicus Maternus, De Errore Profanorum Religionum 22, findet sich der Ausspruch eines Isispriesters: „Seid guten Mutes, ihr Mysten; da der Gott gerettet ist, wird auch euch Rettung von den Mühen zuteil werden“ ( ).

49So die Gebetsanrede in Apuleius, Metamorphoses II 1.

50Vgl. Apuleius, Metamorphoses XI 6,6: „Doch ein Leben voll Glück, ein Leben voll Ruhm wartet auf dich unter meiner Obhut. Und ist einst die Frist deiner Zeitlichkeit abgelaufen und bist du zur Unterwelt hinabgestiegen: auch dort in der unteren Halbkugel werde ich, wie du mich siehst, der Höllenfinsternis leuchten und dem Totenpalast gebieten … .“

51Vgl. Apuleius, Metamorphoses XI 24.

52Davon handelt z.B. die Isis-Aretalogie von Kyme 1–65, entstanden im 1. oder 2. Jh. n.Chr. (= Neuer Wettstein I/2, 370f).

53Plutarch, De Iside et Osiride 76.

54Vgl. grundlegend: Maarten J. Vermaseren, Cybele and Attis: The Myth and the Cult, London 1977.

55Zur Geschichte und den Wandlungen des Kultes vgl. Reinhold Merkelbach, Mithras, Meisenheim 1984; Manfred Clauss, Mithras, Kult und Mysterium, Darmstadt 2012.

56Vgl. Manfred Clauss, Mithras, 14–18, der eine direkte Kontinuität zwischen den iranischen Vorstellungen und dem römischen Mithras-Kult bestreitet.

57Vgl. dazu Manfred Clauss, Mithras, 139–147.

58Vgl. Seneca, Epistulae 20,2: „handeln lehrt die Philosophie, nicht reden“; ferner Musonius, Dissertationes 3, wonach nicht nur die Männer danach suchen sollen, „wie sie ein sittliches Leben führen, was gleichbedeutend mit Philosophie ist“.

59Vgl. dazu Pierre Hadot, Philosophie als Lebensform, Frankfurt 22005; Heinrich Niehues-Pröbsting, Die antike Philosophie, 142–219.

60Alle großen Denker im zeitlichen Umfeld des Neuen Testaments waren Theo-logen (z.B. Cicero, Philo, Seneca, Epiktet, Plutarch, Dio Chrysostomus). Dies ist nicht verwunderlich, denn jedes bedeutende System der griechisch-römischen Philosophie gipfelt in einer Theo-logie; vgl. hier Werner Jaeger, Die Theologie der frühen griechischen Denker, Darmstadt 1964; Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen I, München 21985, 39–69; Hans jürgen Verweyen, Philosophie und Theologie. Vom Mythos zum Logos zum Mythos, Darmstadt 2005, 39–127.

61Dio Chrysostomus, Orationes 12,47.

62Vgl. Klaus Döring, Exemplum Socratis, hermes.E 42, Wiesbaden 1979.

63Vgl. z.B. Xenophon, Apologia 16, wo Sokrates fragt: „Wer von den Menschen ist so frei wie ich, da ich von niemand Geld oder Lohn nehme?“

64Zu Sokrates vgl. Klaus Döring, Sokrates, in: Die Philosophie der Antike 2/1, hg. v. Hellmut Flashar, Basel 1998, 141–178.

65Vgl. zum Kynismus Donald R. Dudley, A History of Cynicism, Hildesheim 1967 (=1937); R. Bracht Branham/Marie-Odile Goulet-Cazé (Hg.), The Cynics. The Cynic Movement in Antiquity and Its Legacy, Berkeley 1996; Klaus Döring, Antisthenes, Diogenes und die Kyniker vor Christi Geburt, in: Die Philosophie der Antike 2/1, hg. v. Hellmut Flashar, Basel 1998, 267–321; Georg Luck, Die Weisheit der Hunde (Einführung und Textsammlung); Marie-Odile Goulet-Cazé, Art. Kynismus, RAC 22, Stuttgart 2008, 631–687.

66Bemerkenswert ist, dass berühmte Kyniker aus Gadara im Ostjordanland südlich des Sees Genezareth (vgl. Mk 5,1–20; Mt 8,28–34) stammen; vgl. Menippos (ca. 350–270 v.Chr.), Meleagros (Schaffenshöhepunkt um 100 v.Chr.) und Oinomaos von Gadara (2. Jh. n.Chr.).

67Vgl. exemplarisch Diogenes Laertius 6,87f (Krates verkauft seinen Besitz und verschenkt ihn).

68Diogenes Laertius 6,50: „Geldgier ist die Heimat aller Übel.“

69Ehe und Kinder hindern den Kyniker an seinem eigentlichen Auftrag, Kundschafter und Herold der Gottheit unter den Menschen zu sein (vgl. Epiktet, Dissertationes III 67–82).

70Vgl. dazu Diogenes Laertius 6,1.4. Zahlreiche Kyniker waren Sklaven (z.B. Epiktet) und kamen nicht aus den großen kulturellen Zentren (z.B. Menippos aus Gadara im Ostjordanland).

71Vgl. dazu die Darstellungen bei Dieter Nestle, Eleutheria. Studien zum Wesen der Freiheit bei den Griechen und im Neuen Testament I: Die Griechen, HUTh 6, Tübingen 1967; Ders., Art. Freiheit, RAC 8, Stuttgart 1972, 269–306; Max Pohlenz, Griechische Freiheit. Wesen und Werden eines Lebensideals, Heidelberg 1955; Maximilian Forschner, Die stoische Ethik, 104–113.

72Epiktet, Dissertationes I 9,1 überliefert diese Aussage für Sokrates.

73Vgl. auch Diogenes Laertius 6,38.72.98.

74Vgl. Dio Chrysostomus, Orationes 32,9: „Dann gibt es in der Stadt eine nicht unbedeutende Zahl von sogenannten Kynikern, und wie bei allem anderen ist auch bei ihnen der Zulauf gewaltig – ein gemeines Bastardgeschlecht von Menschen, die sozusagen nichts wissen und nichts zum Leben haben. An Kreuzungen, engen Winkeln und Tempeltüren sammeln sie Straßenjungen, Seeleute und dergleichen Volk um sich und machen ihnen etwas vor, reißen eine Posse und einen Witz nach dem anderen und tischen ihnen bekannte Antworten auf, die auf dem Markt zu haben sind.“

75Epiktet, Dissertationes III 22, ist eine Programmschrift über den wahren Kynismus (vgl. dazu Margarethe Billerbeck [Hg.], Epiktet: Vom Kynismus, Leiden 1978); vgl. auch Epiktet, Dissertationes IV 8,30f: „Denn solch ein Mann ist der echte Kyniker, den Zeus des Zepters und des Diadems gewürdigt hat; der darf sagen: Damit ihr sehet, ihr Menschen, dass ihr die Glückseligkeit und Gemütsruhe nicht suchet, wo sie ist, sondern wo sie nicht ist, siehe, so bin ich euch von Gott als Vorbild gesendet worden. Ich habe weder Haus noch Habe, weder Weib noch Kinder, nicht einmal ein Lager oder einen Rock oder eigenes Geschirr, und doch schauet, wie gesund ich bin.“

76Vgl. hierzu Walter L. Liefeld, The Wandering Preacher as a Social Figure in the Roman Empire, Ann Arbor 1967.

77Vgl. dazu Margarethe Billerbeck, Der Kyniker Demetrius. Ein Beitrag zur Geschichte der frühkaiserlichen Popularphilosophie, PhAnt 36, Leiden 1979.

78Zur Stoa vgl. Max Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung I. II, Göttingen 71992.61991; Peter Steinmetz, Die Stoa, in: Die Philosophie der Antike 4/2, hg. v. Hellmut Flashar, Basel 1994, 490–716; Malte Hossenfelder, Die Philosophie der Antike, 44–99. Textsammlungen: Malte Hossenfelder, Antike Glückslehren, 63–162; Arthur A. Long/David N. Sedley, Die hellenistischen Philosophen, 183–522; Wolfgang Weinkauf (Hg.), Die Philosophie der Stoa. Ausgewählte Texte, Stuttgart 2001; Rainer Nickel (Hg.), Stoa und Stoiker I.II, Düsseldorf 2008.

79Cicero (106–43 v.Chr.) war kein stoischer Schulphilosoph, wohl aber ein skeptischer Sympathisant und vor allem wichtiger Tradent stoischer Gedanken.

80Cicero, De Natura Deorum I 39; Chrysipp sagt nach Diogenes Laertius VII 135: „Gott ist Einheit, Vernunft, Schicksalsnotwendigkeit, Zeus und habe auch noch viele andere Namen“ ( ). Anfangs nur an sich seiend, verwandle er die gesamte Substanz über die Luft in Wasser. Und wie der Keim im Samen enthalten ist, so verbleibe auch er als produktive Vernunftskraft () des Kosmos im Feuchten und befähigt durch sich selbst die Natur zu ihren ununterbrochenen Schöpfungen.“ Aētios sagt über Gott, „auch sei er ein Atemstrom, der durch die ganze Welt hindurch zieht und je nach der Materie, durch die er durchkommt, wechselnde Bezeichnungen annimmt“ (SVF 2,1027).

81Vgl. Cicero, De finibus III 31: „Das höchste Gut besteht darin, im Leben das Wissen um die natürlichen Gegebenheiten anzuwenden, indem man sich für das entscheidet, was naturgemäß ist, und das verwirft, was ihr zuwiderläuft, das heißt in Harmonie und Übereinstimmung mit der Natur zu leben“; Seneca, De Vita beata 3: „Bei alledem – darin sind sich ja sämtliche Stoiker einig – folge ich der Natur. Von ihr nicht abzuweichen und sich von ihrem Gesetz, von ihrem Vorbild leiten zu lassen, das ist Weisheit. Glücklich ist also ein Leben, das seiner natürlichen Bestimmung entspricht.“

82Zur komplexen stoischen Affektenlehre vgl. Maximilian Forschner, Die stoische Ethik, 114–141.

83„Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Meinungen und Urteile über die Dinge. So ist zum Beispiel der Tod nichts Furchtbares – sonst hätte er auch dem Sokrates so erscheinen müssen – sondern nur die Meinung, er sei etwas Furchtbares, das ist das Furchtbare“ (Epiktet, Enchiridion 5).

84SVF 3,378 (zitiert nach: Malte Hossenfelder, Antike Glückslehren, 81; weitere Textbeispiele: a.a.O., 80–96).

85Vgl. Diogenes Laertius 7,113: „Die Begierde ist ein unvernünftiges Streben. Darunter werden subsumiert Verlangen, Haß, Ehrgeiz, Wut, Liebe, Zorn, Jähzorn.“

86Vgl. Zenon bei Diogenes Laertius 7,125: = ‚alles gehört den Weisen‘. ferner Cicero, Paradoxa Stoicorum 33 („Nur der Weise ist frei, und jeder Dummkopf ist ein Sklave“); Epiktet, Dissertationes III 22,49.63.95; Seneca, De Beneficiis VII 2,5.

87Zu Epiktet vgl. Arthur A. Long, Epictetus. A Stoic and Socratic Guide to Life, Oxford 2002; Udo Schnelle, Paulus und Epiktet – zwei ethische Modelle, in: Jenseits von Indikativ und Imperativ, hg. v. Friedrich Wilhelm Horn/Ruben Zimmermann, WUNT 238, Tübingen 2009, 137–158; Epiktet, Was ist wahre Freiheit, hg. v. Samuel Vollenweider u.a., Tübingen 2013.

88„Meine Beine kannst du in den Stock legen, aber meinen freien Willen/freie Selbstbestimmung ( ) kann selbst Zeus nicht überwinden“ (Dissertationes I 1,24)

89Enchiridion 53,4 (nach Platon, Apologie 30c–d).

90So wird der Stoiker Stilpon gefragt, was ihm nach der Zerstörung seiner Heimatstadt und dem Verlust seiner Frau und Kinder noch geblieben sei: „All das Meine ist bei mir: Gerechtigkeit, Tugend, Klugheit und eben dies: Nichts als einen Wert anzusehen, was entrissen werden kann“ (Seneca, Epistulae 9,19)

91Vgl. Epiktet, Dissertationes IV 9,1–3.

92Epiktet, Dissertationes II 1,21.

93Zu Epikur vgl. Malte Hossenfelder, Epikur, München 32006; Michael Erler, Epikur, in: Die Philosophie der Antike 4/1, hg. v. Hellmut Flashar, Basel 1994, 29–202. Textausgaben: Hans-Wolfgang Krautz (Hg.), Epikur. Briefe, Sprüche, Werkfragmente, Stuttgart 1993; Arthur A. Long/David N. Sedley, Die hellenistischen Philosophen, 29–182; Rainer Nickel, Epikur. Wege zum Glück, Düsseldorf 2003; Christof Rapp (Hg.), Epikur. Ausgewählte Schriften, Stuttgart 2010.

94Porphyrios, Ad Marcellam 31 (zitiert nach Rainer Nickel, Epikur, 69).

95Vgl. Epikur, Herodot 76: „Ferner: man darf auch bei den Himmelserscheinungen nicht annehmen, Bewegung, Richtungswechsel, Verfinsterung, Aufgang und Untergang und die ihnen zugeordneten Vorgänge würden von irgendeinem Wesen gelenkt, das sie einrichtet oder eingerichtet hat und zugleich auch noch die volle Glückseligkeit verbunden mit Unvergänglichkeit besitzen kann.“

96Cicero, De Natura Deorum I, 51.

97Vgl. Cicero, De Natura Deorum I 95.121; Diogenes Laertius 10,76.77.

98Vgl. auch Diogenes Laertius 10,123, wo Epikur seine Schüler auffordert, sich eine zutreffende Vorstellung über Gott zu machen: „Erstens halte Gott für ein unvergängliches und glückseliges Wesen, entsprechend der gemeinhin gültigen Gottesvorstellung, und dichte ihm nichts an, was entweder mit seiner Unvergänglichkeit unverträglich ist oder mit seiner Glückseligkeit nicht in Einklang steht …“

99Vgl. Epikur, Menoikeus 131f: „Wenn wir also sagen, die Lust sei das Ziel, meinen wir damit nicht die Lüste der Hemmungslosen und jene, die im Genuß bestehen, … sondern ein nüchterner Verstand, der die Gründe für jedes Wählen und Meiden aufspürt und die bloßen Vermutungen vertreibt, von denen aus die häufigste Erschütterung auf die Seelen übergreift.“

100Texte bei Hans-Wolfgang Krautz (Hg.), Epikur, 66–79.

101Zum Skeptizismus vgl. Malte Hossenfelder, Die Philosophie der Antike 3, 147–182; Woldemar Görler, Älterer Pyrrhonismus. Jüngere Akademie. Antiochos aus Askalon, in: Die Philosophie der Antike 4/2, hg. v. Hellmut Flashar, Basel 1994, 717–1168. Textsammlung: Malte Hossenfelder, Antike Glückslehren, 287–369; Arthur A. Long/David N. Sedley, Die hellenistischen Philosophen, 13–27.559–582.

102Sextus Empiricus, Pyrrhoneae Hypotyposes 23 (zitiert nach Malte Hossenfelder, Antike Glückslehren, 307f).

103Sextus Empiricus, Pyrrhoneae Hypotyposes 4 (zitiert nach Malte Hossenfelder, a.a.O., 303).

104Vgl. Malte Hossenfelder, Antike Glückslehren, 292.

105Sextus Empiricus, Adversus Mathematicos 7,87f (zitiert nach Arthur A. Long/David N. Sedley, Die hellenistischen Philosophen, 14).

106Plato (ca. 427–347 v.Chr.) gründete um 385 v.Chr. die Ältere Akademie, die bis ca. 268 v.Chr. existierte; der Mittelplatonismus umfasst den Zeitraum von ca. 80 v.Chr. – ca. 220 n.Chr.; der Neuplatonismus die Zeit von ca. 240–550 n.Chr.

107Vgl. dazu: Hans Joachim Krämer, Platonismus und hellenistische Philosophie, Berlin 1971; Clemens Zintzen (Hg.), Der Mittelplatonismus, Darmstadt 1981.

108Zum platonischen Verständnis der Götter/Gottes vgl. Michael Erler, Platon, Die Philosophie der Antike 2/2, Basel 2007, 464–473.

109Vgl. Michael Erler, Platon, 472: „Ein wesentliches Kennzeichen platonischer Theologie ist die Ablehnung einer Nähe Gottes zu den Menschen. Göttliches ist unverfügbar und entzieht sich menschlicher Erkenntnis.“

110Zur platonischen Seelenlehre vgl. Michael Erler, Platon, 375–390.

111Vgl. exemplarisch Plato, Phaidon 113d–114c, wo Sokrates und seine Gesprächspartner die alten Mythen über die Ereignisse nach dem Tod heranziehen. Nach der Trennung von Leib und Seele gelangen die Verstorbenen in den Hades, wo sie – ihren Taten entsprechend – ihr Schicksal erwartet. Über die Vorbildhaften heißt es: „Welche nun unter diesen durch Weisheitsliebe sich schon gehörig gereinigt haben, diese leben für alle künftigen Zeiten gänzlich ohne Leiber und kommen in noch schönere Wohnungen als diese, welche weder leicht wären zu beschreiben, noch würde die Zeit für diesmal ausreichen.“ Eine Übersicht zu den einzelnen Vorstellungen bietet Walter Burkert, Griechische Religion, 291–329.435–439.

112Vgl. De Opificio Mundi 8f: „Mose aber, der bis zum höchsten Gipfelpunkt der Philosophie vorgedrungen und durch göttliche Offenbarungen über die meisten und wichtigsten Dinge der Natur belehrt worden ist …“

113Quod Omnis probus Liber sit 13; vgl. ferner De Aeternitate Mundi 52: ‚der große Plato‘ ().

114Als Einführung in Leben und Werk vgl. Hans-Josef Klauck (Hg.), Plutarch. Moralphilosophische Schriften, Stuttgart 1997.

115Zu den Gottesvorstellungen bei Plutarch vgl. Rainer Hirsch-Luipold (Hg.), Gott und die Götter bei Plutarch, Berlin 2005.

116Zum paganen Monotheismus s. u. 471f.

117Plutarch, De Iside et Osiride 67.

118Plutarch, Von der Ruhe des Gemüts, übers. v. Bruno Snell, Zürich 1948, 69.

119Cicero, De Finibus III 4: „Philosophie ist ja die Wissenschaft vom Leben“.

120Das Wort = ‚Judentum‘ begegnet in 2Makk 2,21; 8,1; 14,38; 4Makk 4,26 und bezeichnet ‚die Lebensweise nach dem Gesetz‘ (so gebraucht ihn auch Paulus in Gal 1,13f). Wahrscheinlich handelt es sich um eine im 2. Jh. v.Chr. entstandene jüdische Selbstbezeichnung, die analog dem griechischen = ‚die kynische Lebensweise‘ (Diogenes Laertius 6,2.104; vgl. = ‚die stoische Lebensweise‘ Diogenes Laertius 4,67; 6,104) gebildet wurde; vgl. dazu Yehoshua Amir, Studien zum antiken Judentum, Frankfurt 1985, 101–113.

121Forschungsgeschichtlich ist bedeutsam, dass der Begriff ‚Israel‘ die vorexilisch ältere, der Begriff ‚Judentum‘ hingegen die nachexilisch jüngere Gestalt des biblischen Volkes bezeichnet. In den letzten 30 Jahren setzte sich zudem die Bezeichnung ‚Frühjudentum‘ für die nachexilische Epoche durch (als Ersatz für den als abwertend empfundenen Begriff ‚Spätjudentum‘); vgl. dazu Bernhard Lang, Art. Judentum (Frühjudentum), NBL II, Zürich 1992, 404–409.

122Vgl. Konrad Schmid, Literaturgeschichte des Alten Testaments, Darmstadt 2008, 174: „Die Formierung der Tora, also die Ausgrenzung und literarische Konstituierung von Gen–Dtn als einer eigenen Größe, ist einer der wichtigsten literaturgeschichtlichen Vorgänge der Perserzeit.“

123Vgl. als Gesamtdarstellung John M. G. Barclay, Jews in the Mediterranean Diaspora. From Alexander to Trajan (323 BCE – 117 CE), Edinburgh 1996.

124Vgl. John M. G. Barclay, Die Diaspora in der Kyrenaika, in Antiochia, in Babylon, in Kleinasien und an der Schwarzmeerküste, in Rom, in: Kurt Erlemann u. a. (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur I, 202–214.

125Zu den Zahlen vgl. Aryeh Kasher, Art. Diaspora I/2, TRE 8, Berlin/New York 1981, 711f; Hans Conzelmann, Heiden, Juden, Christen, 18; Arye Ben-David, Talmudische Ökonomie, 41–57; Günter Stemberger, Art. Juden, RAC 19, Stuttgart 1998, (160–245) 172f.

126Vgl. Philo, In Flaccum 43; zur Verbreitung vgl. Günter Stemberger, Art. Juden, 162–165.

127Vgl. dazu Günter Stemberger, a.a.O., 169f.182f.194f.211–213; Carsten Claussen, Versammlung, Gemeinde, Synagoge, 83–112; Birger Olsson/Magnus Zetterholm (Hg.), The Ancient Synagoge. From its Origin until 200 C.E., Stockholm 2003.

128Vgl. Dan 11,39, wo es über Antiochius heißt: „Wer ihn anerkennt, den überhäuft er mit Würde. Er setzt solche zu Herren über viele und verteilt an sie Land und Belohnung.“

129Mit ist wahrscheinlich der schlagkräftige Krieger gemeint (Hammer = vgl. Emil Schürer, Geschichte I, 204). In 1Makk 3,4 wird Judas so dargestellt: „Er glich dem Löwen in seinem Tun und war wie ein Löwe, der nach Beute brüllt.“

130Vgl. zur Begründung Martin Hengel, Judentum und Hellenismus, 319–330.

131Zur kritischen Diskussion der Probleme vgl. Günter Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, 91–98, der zu dem Ergebnis kommt: „Eine genaue Vorgeschichte der drei religiösen Schulen läßt sich ebensowenig rekonstruieren wie ihre direkte Herkunft aus der hasidäischen Bewegung erweisen“ (a.a.O., 98).

132Zu den Pharisäern vgl. Rudolf Meyer/Hans-Friedrich Weiss, Art. ThWNT 9, Stuttgart 1964, 11–51; Jacob Neusner, Das pharisäische und talmudische Judentum, TSAJ 4, Tübingen 1984; Günter Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, passim; Peter Schäfer, Der vorrabbinische Pharisäismus, in: Martin Hengel/Ulrich Heckel (Hg.), Paulus und das antike Judentum, 125–172; Roland Deines, Art. Pharisäer, TBLNT, 1455–1468; John P. Meier, A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus III, ABRL, New York 2001, 289–388.

133Vgl. dazu Günter Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, 107–110.

134Zu den Zahlenangaben vgl. Berndt Schaller, 4000 Essener – 6000 Pharisäer. Zum Hintergrund und Wert antiker Zahlenangaben, in: Bernd Kollmann/Wolfgang Reinbold/Annette Steudel (Hg.), Antikes Judentum und Frühes Christentum (FS H. Stegemann), BZNW 97, Berlin/New York 1999, 172–182 (runde Zahlen als verbreitetes Mittel historischer Fiktion).

135Vgl. Günter Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, 110.

136Vgl. dazu Martin Hengel, Die Zeloten, AGSU 1, Leiden 1961, 336ff.

137Vgl. Josephus, Bellum 2,117–118: „Das Gebiet des Archelaos wurde in eine Provinz umgewandelt, und als Prokurator wurde Coponius, ein Mann aus römischem Ritterstand, entsandt, er empfing vom Kaiser obrigkeitliche Gewalt einschließlich des Rechts, die Todesstrafe zu verhängen. Während seiner Amtszeit verleitete ein Mann aus Galiläa mit Namen Judas die Einwohner der soeben genannten Provinz zum Abfall, indem er es für einen Frevel erklärte, wenn sie bei der Steuerzahlung an die Römer bleiben und nach Gott irgendwelche sterbliche Gebieter auf sich nehmen würden. Es war aber dieser Mann Wanderredner einer eigenen Sekte, der den anderen Juden in nichts glich.“

138Vgl. hierzu Hartmut Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, 205ff; der Lehrer der Gerechtigkeit starb wahrscheinlich um 110 v.Chr.

139Philo, Quod Omnis Probus Liber sit, 75.

140Vgl. dazu Rainer Riesner, Essener und Urgemeinde, 14–30.

141In der anhaltenden Qumran-Debatte folge ich den Grundthesen von Hartmut Stegemann, wonach Qumran als Essenersiedlung zu verstehen ist (so bereits Plinius, Naturgeschichte V 17,4) und die in den Höhlen gefundenen Texte etwas mit der Siedlung zu tun haben. Die neuere, umstrittene Entwicklung dokumentiert Yizhar Hirschfeld, Qumran – die ganze Wahrheit, Gütersloh 2006 (die Texte und die Siedlung stehen in keiner ursächlichen Beziehung; außerdem eine Neubewertung der archäologischen Befunde).

142Vgl. dazu Otto Betz, Rechtfertigung in Qumran, in: Johannes Friedrich/Wolfgang Pöhlmann/Peter Stuhlmacher (Hg.), Rechtfertigung (FS E. Käsemann), Tübingen 1976, 17–36.

143Eine Liste der rekonstruierbaren Hohepriester findet sich bei Wolfgang Zwickel, Art. Hohepriester, NBL II, Zürich 1992, 181–183.

144Bis 66 n.Chr. stand der Provinz Syria ein kaiserlicher Legat in senatorischem Rang vor, der Präfekt/Prokurator von Judäa war ihm untergeordnet und für die öffentliche Ordnung in Judäa zuständig; vgl. dazu Werner Eck, Die römischen Repräsentanten in Judäa: Provokateure oder Vertreter der römischen Macht, in: ders., Judäa – Syria Palästina, TSAJ 157, Tübingen 2014, 166–185.

145Ca. 6–4 v.Chr. Legat von Syrien; 7–9 n.Chr. in Germanien.

146Vgl. Josephus, Antiquitates 17,273f: Simon, der Sklave (nach 4 v.Chr.); Ant 17,278–280: Der Hirte Athronges (nach 4 v.Chr.); Bellum 2,55–56: Judas, der Sohn des Hezekias (nach 4 v.Chr.).

147Vgl. dazu Rudolf Meyer, Der Prophet aus Galiäa, Leipzig 1940; Kenneth C. Hanson/Douglas E. Oakman, Palestine in the Time of Jesus, 80–89; Christoph Riedo-Emmenegger, Prophetisch-messianische Provokateure, 245–275.

148Vgl. Josephus, Antiquitates 18,85f; 20,97f; ferner Antiquitates 20,102: Tod der Söhne des Judas (zwischen 46–48 n.Chr.); Josephus, Antiquitates 20,167f/Bellum 2,258f: Anonyme Propheten (zwischen 52–60 n.Chr.).

149Vgl. Christoph Riedo-Emmenegger, Prophetisch-messianische Provokateure, 276–309.

150Vgl. Josephus, Antiquitates 18,116–119: „Da nun infolge der wunderbaren Anziehungskraft solcher Reden die anderen zu Johannes strömten, fürchtete Herodes, das Ansehen des Mannes, dessen Rat allgemein befolgt zu werden schien, könnte das Volk zum Aufruhr treiben, und hielt es daher für viel besser, ihn rechtzeitig aus dem Wege zu räumen, als beim Eintritt einer Wendung der Dinge in Gefahr zu geraten und dann Reue empfinden zu müssen. Auf diesen Verdacht hin ließ also Herodes den Johannes in Ketten legen, nach der schon erwähnten Festung Machaerus bringen und dort hinrichten.“

151Vgl. Martin Hengel, Jesus der Messias Israels (s.u. 5.7), 50. Dafür spricht auch, dass nach Mt 27,15– 26/Joh 18,38b–40 der an Jesu Stelle freigelassene Barabbas ausdrücklich als „Räuber“ (), d.h. als Aufrührer/Zelot bezeichnet wird.

152Vgl. Philo, Legatio ad Gaium 115–118; zu den Abläufen im Einzelnen vgl. Monika Bernett, Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern und Römern, WUNT 203, Tübingen 2007, 264–287.

153Zur genauen Ereignisgeschichte vgl. Monika Bernett, Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern und Römern, 328–351; sie verweist vor allem auf die Massierung der Toraverletzungen unter römischer Herrschaft seit dem Tod von Agrippa I. (44 n.Chr.).

154Vgl. dazu Monika Bernett, Der Kaiserkult in Judäa, 310–327.

155Die Amtsbezeichnung (procurator oder praefectus) ist vor allem wegen des Sprachgebrauchs bei Josephus nicht in jedem Fall klar; vgl. dazu Werner Eck, Rom und Judaea, 1–51. Von 6–41 n.Chr. standen Präfekten aus dem Ritterstand Judäa vor (gesichert durch die Pilatusinschrift aus Caesarea Maritima); von 44–66 n.Chr. Prokuratoren.

156Vgl. Antiquitates 20,169ff/Bellum 2,261ff.

157Vgl. Josephus, Bellum 6,300–309; vgl. ferner die in Josephus, Bellum 6,312–315, erwähnten Weissagungen für das Jahr 66 n.Chr.

158Vgl. Josephus, Bellum 2,293.

159Die Forderung der ‚Heiligkeit‘ wurde in zahlreichen jüdischen Texten vertreten; vgl. Psalmen Salomos 17 (V. 22: „… zu reinigen Jerusalem von Heidenvölkern“; V. 28: „… und kein Fremder und Ausländer wird ferner unter ihnen wohnen“); 4Q394 Frg. 8 Col IV (Z. 9: „Jerusalem ist das Lager der Heiligkeit“).

160Vgl. Josephus, Bellum 2,433: „Zu gleicher Zeit war Menachem … mit seinen nächsten Freunden nach Massada gezogen, hatte dort das Zeughaus des Herodes aufgebrochen und außer seinen Landsleuten auch noch andere Räuber bewaffnet, um diese als Leibgarde zu verwenden. Nun kam er wie ein König nach Jerusalem zurück, wurde Führer des Aufstandes und übernahm den Oberbefehl bei der Belagerung.“

161Vgl. zu den Einzelheiten H. Schwier, Tempel und Tempelzerstörung, 4–54.

162Vgl. hierzu H. Schwier, Tempel und Tempelzerstörung, 317–330.

163Vgl. Josephus, Bellum 7,218; Dio Cassius 65 7,2.

164Vgl. Josephus, Bellum 7,437–442.

165Vgl. dazu Dio Cassius 68 32; Historia Augusta, Vita Hadrian 14,2.

166Zur Ereignisgeschichte vgl. Peter Schäfer, Geschichte der Juden, 159–175; Werner Eck, Der Bar Kochba-Aufstand der Jahre 132–136 und seine Folgen für die Provinz Syria Palaestina, in: ders., Judäa – Syria Palästina, TSAJ 157, Tübingen 2014, 229–244.

167Vgl. Dio Cassius 69 12.

168Ein indirekter Hinweis auf die messianischen Ansprüche Bar Kochbas liegt in Justin, Apologie I 32,13, vor: „Ein glänzender Stern ist wirklich aufgegangen und eine Blume ist aufgesproßt aus der Wurzel Jesse, das ist der Christus.“

169Zu diesem historischen Prozess vgl. Johann Maier, Zwischen den Testamenten (s.o. 3.3), 191–247; zu den theologischen Grundannahmen vgl. Andreas Nissen, Gott und der Nächste, 99–329.

170Zur Herausbildung des Monotheismus innerhalb der israelitischen Religionsgeschichte vgl. Matthias Albani, Der eine Gott und die himmlischen Heerscharen, ABG 1, Leipzig 2000; vgl. ferner Wolfgang Schrage, Unterwegs zur Einheit und Einzigkeit Gottes, 1–35 (zentrale Belege für den atl. und jüdischen Monotheismus).35–43 (wichtige Texte des paganen Monotheismus).

171Philo, De Decalogo 65; De Opificio Mundi 171; De Decalogo 51; De Specialibus Legibus I 30; vgl. ferner Josephus, Antiquitates 3,91; Josephus, Contra Apionem II 167.251ff. Die antike Vielgötterei mit ihren zahllosen Götterbildern war auch für den paganen Philosophen Gegenstand des Spottes; vgl. Cicero, De Natura Deorum I 81–84.

172Vgl. Tacitus, Historien V 5,4 („bei den Juden gibt es indes nur eine Erkenntnis im Geist, den Glauben an einen einzigen Gott“).

173Zur Theologie- und Sozialgeschichte der Tora vgl. Frank Crüsemann, Die Tora, Gütersloh 1992; ferner A. Nissen, Gott und der Nächste, 330ff; Reinhard Weber, Das Gesetz im hellenistischen Judentum, ARGU 10, Frankfurt 2000; Ders., Das „Gesetz“ bei Philon von Alexandrien und Flavius Josephus, ARGU 11, Frankfurt 2001.

174Zur Rettungs- und Lebensmächtigkeit der Tora vgl. z.B. Sir 17,11; 45,5; Bar 3,9; 4,1; PsSal 14,2; 4Esr 7,21ff; 9,7ff; 14,22.30; syrBar 38,2; 85,3ff.

175Vgl. dazu Lutz Doering, Schabbat, TSAJ 78, Tübingen 1999; Alexandra Grund, Die Entstehung des Sabbat, FAT 75, Tübingen 2011..

176Der Begriff ‚Apokalyptik‘ ist ein Kunstwort der Wissenschaftssprache, das zu Beginn des 19. Jh. geprägt wurde; zur Forschungsgeschichte vgl. Johann Michael Schmidt, Die jüdische Apokalyptik, Neukirchen 21976; Werner Zager, Begriff und Wertung der Apokalyptik in der neutestamentlichen Forschung, Frankfurt 1989; Florian Förg, Die Ursprünge der alttestamentlichen Apokalyptik, ABG 45, Leipzig 2013, 16–38. Eine sehr restriktive Fassung des Apokalyptik-Begriffes findet sich bei Michael Wolter, Apokalyptik als Redeform im Neuen Testament, NTS 51 (2005), 171–191.

177Apokalyptik/Apokalypsen sind kein spezifisch jüdisches Phänomen; es findet sich auch im Iran und in Griechenland; vgl. dazu die Beiträge in David Hellholm (Hg.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East.

178Florian Förg, Die Ursprünge der alttestamentlichen Apokalyptik, 47ff, sieht zwar auch in Daniel das apokalyptische Buch im Vollsinn, fragt aber zugleich nach älteren apokalyptischen Texten (Jahwe-König-Psalmen 47; 93; 96–99; Sacharja 1–6; Haggai; Ezechiel). Sein Fazit: „Die seit Beginn der Apokalyptikforschung vertretene These, die alttestamentliche Apokalyptik setze mit dem Danielbuch ein, wird angesichts der vorliegenden Untersuchung sehr unwahrscheinlich: Es sind bereits Haggai und Sacharja als Vertreter einer frühen Apokalyptik anzusehen. Mit der Einordnung bereits des Ezechielbuches als besonders frühe apokalyptische Literatur kommt Apokalyptik schon zu Zeiten des Exils vor.“

179Zu den Einzelheiten vgl. die Bände von Nickelsburg und Oegema.

180Vgl. Martin Hengel, Judentum und Hellenismus, 143ff; Richard A. Horsley, Revolt of the Scribes, 31f.

181Treffend Florian Förg, Die Ursprünge der alttestamentlichen Apokalyptik, 496: „Apokalyptik ist somit das Ergebnis des Zusammenfließens von Prophetie und Weisheit.“

182Vgl. als klassische Darstellung: Gerhard von Rad, Weisheit in Israel, Neukirchen 21982.

183Vgl. hier Jürgen van Oorschot, Gott als Grenze, BZAW 170, Berlin 1987.

184Vgl. dazu Otto Kaiser, Die Botschaft des Buches Kohelet, in: ders., Gottes und der Menschen Weisheit, BZAW 261, Berlin 1998, 126–148.

185Vgl. hier: Jochen Bleicken, Geschichte der römischen Republik, München 2004.

186Zu Caesar vgl. Wolfgang Will, Caesar, Darmstadt 2009.

187Zu Augustus vgl. auch Dietmar Kienast, Augustus, Darmstadt 42009; Klaus Bringmann, Augustus, Darmstadt 2012.

188Diesen Prozess zeichnen nach: Ralf von den Hoff/Wilfried Stroh/Martin Zimmermann, Divus Augustus, 129ff.

189Vgl. dazu die ‚Res gestae‘ ( = „Tatenbericht“) des Augustus (als größte bekannte Inschrift der Antike ein klassisches Beispiel für antike Selbstpräsentation); zur religiösen Entwicklung des Octavian/Augustus vgl. Manfred Clauss, Kaiser und Gott, 54–75; Karl Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit, 158–168.

190Vgl. die Inschrift von Priene aus dem Jahr 9 v.Chr. (= Neuer Wettstein II/1, 7–9); Sueton, Aug 22.

191Zu Tiberius vgl. Zvi Yavetz, Tiberius. Der traurige Kaiser, München 1999.

192Es ist umstritten, ob die von Caligula geforderten göttlichen Ehren einem übersteigerten Selbstbewusstsein entsprangen (vgl. Philo, Legatio ad Gaium 162: „Gaius aber blähte sich selbst auf, denn er sagte nicht nur, sondern glaubte sogar, ein Gott zu sein“) oder bewusstes politisches Kalkül waren; für das Letztere plädiert Aloys Winterling, Caligula. Eine Biographie, München 2003.

193Vgl. dazu umfassend: David Alvarez Cineira, Die Religionspolitik des Kaisers Claudius und die paulinische Mission.

194Vgl. Josephus, Antiquitates 19,280–285.

195Zu Nero vgl. Jürgen Malitz, Nero, München 1999; Gerhard H. Waldherr, Nero: Eine Biographie, Regensburg 2005.

196Vgl. dazu Manfred Fuhrmann, Seneca und Kaiser Nero, Frankfurt 1999.

197Als geradezu klassisches Zeugnis vgl. die Freiheitserklärung Neros an die Griechen im Jahr 67 n.Chr.; SIG3 814 = Neuer Wettstein I/2, 249f.

198Vgl. Thorsten Opper, Hadrian. Machtmensch und Mäzen, Darmstadt 2009.

199Vgl. dazu die methodischen Überlegungen bei Hans-Joachim Drexhage/Heinrich Konen/Kai Ruffing, Die Wirtschaft des Römischen Reiches, 19–21.

200Vgl. hierzu Karl Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit (s.o. 3.4), 350–433; Ekkehard Stegemann/Wolfgang Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte, 58–94.

201Nach Géza Alföldy, Römische Sozialgeschichte, 198, zählten zur imperialen Führungsschicht ca. 160 Personen.

202Zum Reichtum und seiner Darstellung vgl. Karl-Wilhelm Weeber, Luxus im alten Rom, Darmstadt 2003.

203Vgl. dazu grundlegend Géza Alföldy, Römische Sozialgeschichte, 138ff, der für die Kaiserzeit die politische Elite mit der sozio-ökonomischen Elite im Wesentlichen gleichsetzt (vgl. die Graphik a.a.O., 196); zur reichsweiten Oberschicht zählt er ca. 300 000 Männer (a.a.O., 198).

204Zu den Vermögen der Senatoren und Ritter vgl. Hans-Joachim Drexhage/Heinrich Konen/Kai Ruffing, Die Wirtschaft des Römischen Reiches, 163–170 (zu den reichsten Männern des Reiches zählte z. Zt. Neros der Philosoph Seneca).

205Zum ordo-Begriff vgl. Alexander Weiss, Soziale Elite und Christentum, 23–28.

206Ekkehard Stegemann/Wolfgang Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte, 78, rechnen zwischen 1 und 5 Prozent der Gesamtbevölkerung zur Oberschicht.

207Es ist umstritten, ob es innerhalb der römischen Gesellschaft überhaupt eine Mittelschicht im modernen Sinn gab; negativ votieren z.B. Géza Alföldy, Römische Sozialgeschichte, 138–217 (er spricht im Plural von Ober- und Unterschichten); Ekkehard Stegemann/Wolfgang Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte, 70ff (sie unterscheiden zwischen ‚Elite‘ = Oberschichtgruppen und ‚Nicht-Elite‘ = Unterschichtgruppen). Die Aufteilung der gesamten römischen Gesellschaft in lediglich zwei Strata (Unter- und Oberschicht) kritisieren als heuristisch unfruchtbar und historisch nivellierend z.B. Karl Christ, Grundfragen der römischen Sozialstruktur, in: ders., Römische Geschichte und Wissenschaftsgeschichte 3, Darmstadt 1983, 152–176; Friedrich Vittinghoff, Art. Gesellschaft, in: ders. (Hg.), Handbuch der Europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte I, Stuttgart 1990, 163–277.

208Vor allem in der Satire werden diese Fälle parodiert; vgl. Juvenal, Saturae l,23ff (in der Jugend war er noch Barbier, heute nimmt er es an Reichtum mit allen Aristokraten auf); Petronius, Satyr 76f (die Karriere des ehemaligen Sklaven und Emporkömmlings Trimalchio). Die Satiriker sind (trotz ihrer Übertreibungen) eine wichtige Quelle für die Lebenswirklichkeit der Menschen; vgl. vor allem: Horaz, ca. 65–8 v.Chr.; Petronius, ca. 25–66; Martial, ca. 40–102; Juvenal ca. 55–130 n.Chr.

209Ekkehard Stegemann/Wolfgang Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte, 85, wollen zwischen verschiedenen (städtischen und ländlichen) Unterschichtsgruppen unterscheiden, wobei das – vermutete – Existenzminimum als Kriterium gelten soll.

210Zu diesem Zustrom (vor allem aus dem griechischsprachigen Osten nach Rom) vgl. Frank Kolb, Rom, 457–463. Juvenal, Saturae 3,57–125, beginnt seine gehässige Parodie auf die Zustände in Rom mit der Bemerkung: „Römische Bürger, ich kann ein vergriechtes Rom nicht ertragen.“

211Dio Chrysostomus, Orationes 7,105f, sagt über die Armen: „Für diese Armen ist es gewiss nicht leicht, in den Städten Arbeit zu finden, und sie sind auf fremde Mittel angewiesen, wenn sie zur Miete wohnen und alles kaufen müssen, nicht nur Kleider und Hausgerät und Essen, sondern sogar das Brennholz für den täglichen Bedarf; und wenn sie einmal Reisig, Laub oder eine andere Kleinigkeit brauchen.“

212Zum städtischen Leben vgl. Karl-Wilhelm Weeber, Alltag im Alten Rom. Das Leben in der Stadt, Düsseldorf 72003.

213Vgl. hierzu Frank Kolb, Rom (s.o. 3.4.1), 514–539. Augustus, Res gestae 5.15.18, spricht wiederholt davon, dass er 250.000 bzw. 100.000 Römern Getreide und Geld gespendet habe.

214Zur Geschichte der Sklaverei in Griechenland und Rom vgl. Elisabeth Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung, 51–110.111–202.

215Zur antiken Theoriediskussion vgl. Elisabeth Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung, 16–34.

216Vgl. dazu Hans-Joachim Drexhage/Heinrich Konen/Kai Ruffing, Die Wirtschaft des Römischen Reiches, 24.

217So Leonhard Schumacher, Sklaverei, 42; andere Zahlen bei Elisabeth Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung, 124.

218Vgl. dazu umfassend Leonhard Schumacher, Sklaverei, 91–238.

219Eine Auflistung von Sklavenberufen findet sich bei Elisabeth Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung, 78f; vgl. ferner die Inschriften- und Textsammlung bei Werner Eck/Johannes Heinrichs, Sklaven und Freigelassene in der Gesellschaft der römischen Kaiserzeit, Darmstadt 1993.

220Vgl. dazu Elisabeth Herrmann-Otto, a.a.O., 177–190.

221Vgl. hier a.a.O., 190–202.

222Vgl. Hans-Joachim Drexhage/Heinrich Konen/Kai Ruffing, Die Wirtschaft des Römischen Reiches, 59–100.

223Zum Leben auf dem Land vgl. Karl-Wilhelm Weeber, Alltag im Alten Rom. Das Landleben, Düsseldorf 2000.

224Tacitus, Annalen 12,43, berichtet für die Zeit des Claudius (51 n.Chr.), dass nur noch für 15 Tage Lebensmittel in Rom vorhanden waren: „aber wir bearbeiten lieber den Boden in Africa und Ägypten, und den Wechselfällen der Schiffahrt ist das römische Volk anvertraut.“ Nach Sueton, Domitian 7, untersagte Domitian die Anlage neuer Weinberge, damit die Getreideproduktion in Italien verbessert wird.

225So beklagt Plinius, Naturgeschichte 18,35, das ausufernde Latifundienwesen in Italien und bemerkt, dass 6 Herren die Hälfte von Afrika besaßen, bevor Nero sie tötete; vgl. ferner Seneca, Epistulae 89,20, der die Gier römischer Großgrundbesitzer geißelt.

226Eine Interpretation des Phänomens liefert Sallust, Catilina 37,7: „Die jungen Leute aber, die auf dem Lande durch ihrer Hände Arbeit ein kümmerliches Dasein fristeten, ließen sich durch private und öffentliche Spenden locken und zogen das müßige Leben in den Städten der Landarbeit vor, die wenig lohnte.“

227Zum Handwerk vgl. Hans-Joachim Drexhage/Heinrich Konen/Kai Ruffing, Die Wirtschaft des Römischen Reiches, 101–117.

228Zum Handel und zu den Dienstleistungen vgl. Hans-Joachim Drexhage/Heinrich Konen/Kai Ruffing, a.a.O., 119–147.149–160.

229Vgl. Trimalchio bei Petronius, Satyricon 76; Jak 4,13.

230Das deutsche Wort ‚Heide‘ leitet sich wahrscheinlich von dem aus dem Gotischen herkommenden Wort ‚hethnos‘ ab, nämlich ‚der einem ausländischen Volk Zugehörige‘; vgl. Carsten Colpe, Das deutsche Wort „Judenchristen“ und ihm entsprechende historische Sachverhalte (s.u. 10.5), 40f.

231Zur Frage, ob und inwieweit Begriffe wie ‚Jude‘, ‚Judäer‘, ‚jüdisch‘, ‚Christ‘, ‚christlich‘ für das 1. Jh. n.Chr. vorauszusetzen und sinnvollerweise zu gebrauchen sind, vgl. Bengt Holmberg, Understanding the First Hundred Years of Christian Identity, in: Ders. (Hg.), Exploring Early Christian Identity, WUNT 226, Tübingen 2008, 1–32. Ich gehe davon aus, dass der quellensprachliche Befund und die Traditionen der Wissenschaftssprache gleichermaßen reflektiert benutzt werden dürfen und müssen (s.u. 8.7/10.5/13.1).

232Vgl. Udo Schnelle, Historische Anschlussfähigkeit. Zum hermeneutischen Horizont von Geschichte und Traditionsbildung, in: J. Frey/U. Schnelle (Hg.), Kontexte des Johannesevangeliums, WUNT 175, Tübingen 2004, 47–78.

Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.

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