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6 Nausikaas Waschtag

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Die Phaia­ken wurden einst immer wieder von den übermächtigen Kyklopen ausgeplündert. König Nausithoos hatte deshalb beschlossen, sie weit weg von irgendwelcher Nachbarschaft zu führen.

So fand dieses Volk in Skheria eine neue Heimat. Das Ackerland konnte hier unter den Sippen großzügig aufgeteilt werden, und bald war auch eine prächtige Stadt erbaut, zu deren Verteidigung Nausithoos von der Landseite her eine Schutzmauer hatte errichten lassen. Nach Nausithoos herrschte nun sein Sohn Alkinoos über die friedliebenden Phaia­ken.

Es war die Stunde, in der ein Traum zum Gesicht des nächsten Tages wurde. Die Flügeltüren abgeriegelt, wurde das Schlafgemach der jugendlichen Nausikaa zudem von den Lagern zweier außergewöhnlich anmutiger Mägde verstellt. Die Tochter des Alkinoos aber war an Schönheit den Unsterblichen ebenbürtig.

Einem Lufthauch gleich gelangte Athene ans Kopfende der unruhig träumenden Königstochter und begann nun in der Gestalt von Nausikaas bester Freundin auf sie einzureden: „Aber Nausikaa! Sieh deine Gewänder, wie sie verstreut und schmutzig herumliegen! Und die Wäsche deiner Brüder... – in welchen Gewändern sollen sie dich dereinst einem Bräutigam entgegenführen? Was, wenn schon morgen einer um dich wirbt? Wir sollten gleich heute einen Waschtag einlegen, damit du und deine Brautgeleiter gerüstet sind! Das wird den edlen Männern sicherlich gefallen, wenn du zeigst, dass du auf Reinlichkeit zu achten weißt. Ich helfe dir auch, damit du schneller fertig wirst.“

Alkinoos war gerade auf dem Weg zur frühmorgendlichen Beratung mit den Phaia­kischen Fürsten, als Nausikaa ihn an der Türschwelle abfing.

„Ach Papa, lässt du mir bitte den Wagen herrichten, damit ich meine schmutzige Wäsche an den Fluss fahren kann? Auch deine Gewänder und die meiner unverheirateten Brüder haben es dringend nötig, und wer kümmert sich schon darum, wenn nicht ich?“

Alkinoos konnte sich zwar ein Schmunzeln nicht verbeißen, aber er erteilte den Knechten sogleich die entsprechenden Befehle. Auch seine Gemahlin Arete unterbrach bereitwillig ihre Arbeit, um ihre Tochter für unterwegs mit einem Korb voll wohl schmeckender Verpflegung auszustatten.

Währenddessen wurden die Maultiere angespannt, Nausikaa aber trug flugs die Wäsche zusammen und lud sie auf den gesäuberten Wagen.

So dauerte es nicht lange, bis sie die Maultiere aus dem Hof treiben und Arete zurück an die Spindel konnte, an der sie kostbar in Purpur gefärbte Wollfäden zog.

An der Mündung zum Meer hin hatte man das Flusswasser zu einigen Gruben abgeleitet, in denen die Mädchen dank der starken Strömung sehr gut den gröbsten Schmutz aus der Wäsche zu lösen vermochten. Die Maultiere waren wieder ausgespannt und weideten unbeaufsichtigt auf den saftigen Wiesen. Aus der Arbeit machten die Mädchen schon bald einen lustigen Wettkampf, der alle zum Erfolg führte. Nicht lange und sie breiteten die sauberen Wäschteile auf den glatten, sonnenheißen Steinen am Meeresufer aus und vergnügten sich anschließend im Wasser. Frisch gebadet und eingeölt verzehrten sie die mitgebrachten Speisen, um am Ende die Kopftücher abzustreifen und noch ein Ballspiel zu beginnen. Dabei glich Nausikaa in ihren Bewegungen der Jagdgöttin Artemis und wäre einem zufälligen Beobachter sofort ins Auge gefallen. Odysseus aber schlief unweit dieses fröhlichen Lärms, und hätte Athene nicht etwas anderes im Sinn gehabt, wären er und Nausikaa einander nie begegnet.

Es war schon an der Zeit, wieder den Heimweg anzutreten, da warf Nausikaa ein letztes Mal den Ball nach einem Mädchen. Das aber bekam den von Athene gelenkten Ball nicht mehr zu fassen, so dass er unwiederbringlich in den Fluss kollerte.

Odysseus wurde von einem vielstimmigen Schrei der Verzweiflung geweckt. Zaghaft tastete er sich unter den Bäumen hervor. Wer weiß, was das für Wesen sind, die solch einen Lärm veranstalten?

Als Odysseus die Mädchen entdeckte, brach er sich einen belaubten Zweig ab und hielt ihn sich vor das Geschlecht, damit er nicht völlig nackt vor sie treten musste. Wie die Mädchen jedoch den von angetrocknetem Schlamm und Meerschaum entstellten Odysseus sahen, kreischten sie alle laut auf und flüchteten hinter Bäume und Felsen. Alle, bis auf Nausikaa. Ihr hatte Athene Mut eingeflößt, damit sie nicht von der Stelle wich.

Erst wollte Odysseus einem Bittsteller gleich ihre Knie umfassen, dann aber schien es ihm doch besser, sie aus einigem Abstand anzusprechen: „Ich flehe dich an, Herrin, ob du nun eine Göttin oder ein Mensch bist. Noch nie sah ich eine schönere Frau, und ich getraue mich nicht, deine Knie zu berühren.

Mit Müh und Not bin ich dem Meer entronnen, nachdem es mich beinah getötet und nun an diesen Strand geworfen hat. Wahrscheinlich wird auch jetzt mein Leid nach dem Willen der Götter noch nicht zu Ende sein, aber ich bitte dich trotzdem: Hilf mir!

Ich bin fremd hier, darum gib mir irgendeinen Lumpen, vielleicht ein Wickeltuch von deiner Wäsche, und zeige mir den Weg zur nächsten Stadt, auf dass dir die Götter all das geben, was du dir wünschst:

Mann und Haus und dass du mit allem in Einklang leben kannst. Widersacher erblassen vor Neid, und Freunde beglückwünschen das Paar, das, in herzlicher Liebe zugetan, einträchtig sein Haus verwaltet. Mann und Frau aber werden sich selbst zur höchsten Freude!“

„Deine Worte, Fremder, lassen nicht auf einen geringen oder unverständigen Menschen schließen. Zeus teilt uns Menschen die Geschicke zu, wie er es für richtig hält. Hatte er dir bisher ein hartes Los zugedacht, so soll es dir jetzt an nichts mehr fehlen. Wir sind Phaia­ken und ich bin Nausikaa, die Tochter unseres Königs Alkinoos.“

Dann rief Nausikaa die Mädchen herbei.

Wann wären die Phaia­ken hier jemals einer Bedrohung ausgesetzt gewesen, wurden sie doch von den Göttern geliebt und beschützt? Und Zeus ist ein Freund der Notleidenden! Also sollten sie endlich hervorkommen, und diesen Mann baden und ölen und ihm danach ein frisches Gewand reichen.

Aber der unverhoffte Anblick all der hübschen Mädchen hatte Odysseus eingeschüchtert. Er wollte lieber allein baden und bat höfllich, doch nur alles Nötige an das Ufer zu stellen.

Ach, was war das für ein Genuss, sich endlich die Schmutz- und Salzkruste abzuwaschen und danach die aufgeweichte Haut mit Öl einzusalben.

Als sich Odysseus die von Nausikaa gereichten Kleider anlegte, warf Athene einen Zauber über ihn, der ihn größer und jugendlicher erscheinen ließ. Seine Haare kräuselten sich in vollen Locken, und er wurde zum Abbild eines schönen Mannes. Wie ein strahlender Gott kletterte Odysseus das Flussufer hinauf und ging das kurze Stück zum Meer. Dort setzte er sich an den Strand und wartete ab, was nun geschehen würde.

Nausikaa hatte ihn aus schicklicher Entfernung beobachtet und wies die Mädchen nun mit folgenden Worten an: „Hört zu! Dieser Mann scheint nicht von allen Göttern verlassen zu sein. Erst schien er mir hässlich, und jetzt sieht er wie ein junger Gott aus. Ach, wenn so einer doch um mich werben wollte – aber auf, gebt dem Fremden jetzt zu essen und zu trinken!“

Die Mädchen gehorchten aufs Wort, und Odysseus fiel ausgehungert über die Speisen her. Nausikaa faltete unterdessen die Wäsche zusammen, lud sie auf den Wagen und schirrte die Maultiere an. Dann stieg sie selber auf den Wagen und rief Odysseus zu: „Wir müssen in die Stadt zurück. Ich will dich gerne in das Haus meines Vaters führen, wo du die Edlen unseres Volkes kennen lernen kannst. Aber du wirst sicher verstehen, dass ich dem Klatsch keine Nahrung geben möchte. Deshalb gehe mit den Mädchen hinter dem Wagen her. Wenn wir kurz vor der Stadt an einen Hain der Athene kommen, warte dort so lange, bis du annehmen kannst, dass wir in unseren Häusern sind. Dann aber mach dich auf, und frage nach dem Palast meines Vaters, den dir jedes Kind zeigen kann. Hast du den Vorhof durchschritten, eile so schnell du kannst durch die Halle, bis du zu meiner Mutter gelangst. Sie sitzt immer an der Spindel und zieht purpurne Wollfäden. Meinen Vater, der neben ihr seinen Wein trinken wird, musst du vorerst nicht beachten. Wende dich nur gleich meiner Mutter zu und umfasse ihre Knie. Denn wenn du meine Mutter für dich gewinnen kannst, dann wird dir auch bald weitergeholfen werden.“

Odysseus gab dazu das Zeichen seines Einverständnisses.

Als er bald darauf in den Hain der Athene trat, in dem sich Alkinoos ein Landhaus gebaut und einen üppigen Garten angelegt hatte, setzte er sich nieder und sprach ein lautes Gebet: „Oh, höre mich jetzt, du Kind des blitzeschleudernden Zeus, und lass mich nicht wieder an dem Willen deines Vaters scheitern! Gib, dass sich die Phaia­ken meiner freundlich annehmen!“

Athene erhörte sein Gebet, aber sie wagte es noch nicht, vor ihm zu erscheinen und sich erkennen zu geben. Sie fürchtete den Zorn ihres Onkels Poseidon, und der würde erst verraucht sein, wenn Odysseus Ithaka erreicht hatte.

Homer: Die Odyssee

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