Читать книгу Was als Spiel begann - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell - Страница 17

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Das weiße Laken reichte bis zu ihren Knöcheln. Axel Blad starrte seine tote Frau an. Er wusste nicht so recht, mit welchen Augen er sie sehen sollte. Sollte er sich über sie beugen und sie hassen? Sollte er an das erste Mal denken, als er mit ihr nach Hause gegangen war? Sollte er Luft holen und die Atemzüge in seiner Brust ruhen lassen? Er sah zu der Polizistin hinüber. Sie erwiderte seinen Blick. Er hätte weinen mögen, wenn er nur genug Kraft hätte aufbringen können. Der Tod war nicht umsonst.

Das weiße Laken war bis zu ihrem Hals hochgezogen. Ihr Gesicht, oder das, was ihr Gesicht gewesen war, war maskenhaft erstarrt. Ihre leere Schönheit strahlte nichts aus. Er dachte daran, wie lebendig sie gewesen war. Viel zu lebendig. Jetzt war sie wächsern weiß und sah aus wie eine Puppe.

In der letzten Zeit, bevor er gegangen war, hatte er sie wirklich gehasst. Er hatte sie gehasst, weil er sich ihr gegenüber nicht anständig hatte verhalten können. Er verstand, warum Folterknechte ihre Opfer hassen können.

Einmal hatte er die Puppe geliebt, die jetzt auf der Bahre vor ihm lag. Aber dann war alles ganz von selbst passiert. Etwas, das er sich eigentlich nicht gewünscht hatte. Es hatte mit einem braunen Keim der Unzufriedenheit angefangen, mit der Tatsache nämlich, dass sie lieber oben im Schlafzimmer saß und Klavier spielte. Oder Bratsche.

Wie damals, als sie sich einen Diamantring gekauft hatte. Zwar keinen kostbaren Ring, aber es wäre doch seine Aufgabe gewesen, ihr Ringe zu kaufen.

Um ihren Hals lag ein weißes Stück Stoff. Es war fast wie ein Schal arrangiert. Er wusste, dass sie zusammengeflickt und zurechtgemacht worden war, dass die Pathologen ihm den Anblick ersparen wollten. Er konnte gerade noch den oberen Rand eines blauroten, überschminkten Fleckens sehen. Um ihr Kinn und ihren Kopf war ein Verband gewickelt worden, um ihren Mund geschlossen zu halten. Er sah die perlenhaften Zähne an, die zwischen den grauen Lippen hervorlugten. Aber das Traurigste waren ihre Hände. Die eine Hand schaute neben dem Laken hervor. Seine Tochter war im Bauch dieser Frau herangewachsen. Ein leises Schluchzen presste sich in seinem Hals nach oben. Die Polizistin, die neben ihm stand, legte ihm die Hand auf den Arm. Axel Blad konnte sich plötzlich nicht mehr an Siv Ellens Stimme erinnern. Wie hatte ihr Lachen eigentlich geklungen? Und ihr Weinen?

Im September hatte sie behauptet, ihn zu hassen.

Randi Johansen bewegte sich vorsichtig. »Lassen Sie sich ruhig Zeit«, sagte sie leise.

Etwas am Wesen dieser Polizistin sorgte dafür, dass ihn eine Unruhe durchströmte. Was wussten sie eigentlich? Was glaubten sie? Wann hatte eigentlich alles angefangen schiefzulaufen? Er zählte rückwärts. Machte Stunden zu Tagen. Monate zu Jahren.

Randi Johansen versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf den Mann neben ihr. Und den toten Menschen auf der Bahre. Sie dachte an den Tag, an dem sie beschlossen hatte, zur Polizei zu gehen. Es war in dem Sommer gewesen, in dem ihre Brüder ihr im Wald weggelaufen waren und sie allein und ohne Spielkameraden dastand. Und sie hatte Angst gehabt, weil sie allein gewesen war. Ihre Entscheidung hatte etwas mit Angst und Einsamkeit zu tun gehabt. Und mit Rache. Sie hatte dort gestanden und gesehen, wie ihre Brüder zwischen den grünblättrigen Bäumen verschwanden, und sie hatte gewusst, dass sie sie auf hohen Absätzen nicht einholen könnte. Wenn sie erwachsen war, wollte sie hochhackige Schuhe haben. Aber das war nicht der richtige Weg. Es war ihnen fast gelungen, sie unsichtbar werden zu lassen. Aber nur fast. Sie würden schon sehen. Und sie hatten es gesehen.

Als Axel Blad sich endlich zum Gehen anschickte, hing das mit dem Licht des kleinen Fensters zusammen. Die Jalousien waren fast dicht, aber das Licht presste sich in linealgeraden Strichen durch die länglichen Stahlplatten und zeichnete auf die Wand hinter ihnen ein Strichmuster. Diese Striche markierten die Gleichung des Lebens auf scharfe und klare Weise. Die Lösung war: der Tod. Makaber, dachte Axel Blad, dass ich hier stehen und sie auf diese Weise betrachten muss. Sie mit meinen anderen Augen ansehen muss.

Wenn sie es doch geschafft hätte, nicht alles, was er getan hatte, zu kommentieren. Jetzt spürte er das schmerzhafte Gefühl in der Halsgrube. Die Polizistin legte ihm die Hand auf den Arm. Er nickte kurz. Für einen Moment schienen seine Augen von einer feuchten Haut bedeckt zu sein, aber er schaffte es nicht. Er schaffte es nicht zu weinen. Dann sagte er: »Ja, sie ist es.«

Was als Spiel begann - Ein Norwegen-Krimi

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