Читать книгу Angst in Nastätten - Ute Dombrowski - Страница 10

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Nach dem Grillen, bei dem weder über den alten Fall noch über die Briefe geredet worden war, saßen Reiner und Undine allein vor der Remise. Es war immer noch sehr warm. Lene war heimgegangen und Jasmin hatte sich in ihre Wohnung zurückgezogen. Es war dunkel, der Mond schaute hinter dem Nachbarhaus hervor.

„Komm, wir laufen noch ein bisschen an der Bach entlang. Dort ist es nachts kühler.“

Reiner lief hinter Undine her, die leichtfüßig den Weg durch den dunklen Garten fand. Zorro erhob sich und folgte den beiden. Der große Hund hatte begriffen, dass Reiner kein Feind war und hatte sich am Abend ein paarmal streicheln lassen. Jetzt überholte er die Menschen und rannte voraus. Weit und breit war niemand zu sehen und das Schweigen zwischen Undine und Reiner störte gar nicht. Im Gegenteil, sie fanden es sehr angenehm. Sie gingen bis Buch und wieder zurück.

Kurz vor Undines Grundstück fragte sie: „Darf ich dir etwas erzählen, ohne dass du sauer wirst?“

Sie waren stehengeblieben und Reiner ahnte, was kommen würde.

„Ob ich sauer werde, kann ich vorher nicht sagen, aber ich verspreche mal, mich nicht aufzuregen. Was habt ihr angestellt?“

Nun berichtete Undine sachlich von ihren „Ermittlungen“ am Vormittag und schon beim ersten Satz spürte sie, dass es Reiner alles andere als stolz machte. Als sie geendet hatte, zog sie den Kopf ein.

„Und? Bist du jetzt sauer?“

Reiner schniefte und ging einen Schritt rückwärts. Er war nicht so ärgerlich wie er dachte, aber wo sollte das denn hinführen, wenn jeder Detektiv spielte und ihm in den Job fuschte?

Mit ernstem Blick sagte er: „Das ist nicht richtig, Undine. Es ist meine Entscheidung festzulegen, ob es einen Fall gibt und wenn ja, dann bin ich die Polizei, die die Leute befragt. Und woher zum Teufel weißt du, dass ich auch so einen Brief bekommen habe?“

Jetzt wurde Undine klar, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Sie hatte Jennifer in Schwierigkeiten gebracht. Wie sollte sie das wiedergutmachen? Reiner würde seiner Kollegin am Montag den Kopf abreißen.

„Ich habe Jennifer damit unter Druck gesetzt. Aber sei nicht böse mit ihr, ich nehme das alles auf meine Kappe.“

„Und du denkst, das ist so einfach? Mann! Was soll der Mist?“

Reiner war nun wirklich wütend, denn er merkte, dass hier alle unter einer Decke steckten und gegen ihn arbeiteten. Wahrscheinlich hatten ihn die Frauen nur zum Grillen eingeladen, um ihn auszuhorchen. Enttäuscht lief er los. Zorro bellte kurz, denn er fühlte wohl, dass Ärger in der Luft lag.

„Warum müsst ihr Weiber euch immer einmischen?“, knurrte er, als er sich noch einmal umdrehte. „Es gibt keinen Fall. Diese Briefe kommen von einem Scherzkeks, der miese Stimmung verbreiten will. Ich hasse es, wenn man mir ins Handwerk fuscht!“

„Wie kannst du dir nur so sicher sein, dass wir keine Angst haben müssen? Und warum haben ausgerechnet diese sechs Leute einen Brief bekommen? Interessiert es dich denn gar nicht?“

„Nein, es interessiert mich nicht. Ich fahre jetzt nach Hause. Wenn ich gewusst hätte, worauf dieser Abend hinausläuft, wäre ich nicht gekommen. Und ihr lasst die Finger von dem Fall!“

Undine konnte sich nicht verkneifen, was sie jetzt sagte: „Ich denke, es gibt keinen Fall?“

Aber das war ein Satz zu viel gewesen. Reiner lief mit Riesenschritten zu seinem Auto und fuhr los, ohne sich zu verabschieden. Traurig ging Undine ins Haus. Hatte er recht? Nein, so eine Drohung musste man ernstnehmen, wenn einem die Menschen in Nastätten am Herzen lagen. Was, wenn wirklich etwas passierte?

Sie nahm sich vor, Jennifer morgen anzurufen und Bescheid zu sagen, dass ihre Woche ungemütlich anfangen würde. Undine machte alle Türen zu, trank noch ein Glas Rotwein und ging dann schlafen.

Reiner war heimgefahren, aber er wollte nicht in seine Wohnung gehen, denn da war es zu warm. So lief er zum Fähranleger und setzte sich dort auf eine Bank. Er war immer noch wütend. Hatte Undine recht? Musste er den Brief ernstnehmen? Hatte er jemandem etwas getan, dass ausgerechnet er so eine Drohung bekommen hatte? Unzufrieden starrte er auf den Rhein, der behäbig dahinfloss. Er ließ alle alten Fälle Revue passieren und überlegte, ob einer der Menschen, die er verhaftet und hinter Gitter gebracht hatte, ein Motiv für den Brief hätte. Aber, dachte er, und das ist noch unlogischer, ich wohne ja gar nicht in Nastätten und fast alle anderen Briefe waren an Personen aus dem Ort gegangen.

„Ich habe früher mal in Nastätten gewohnt. Ich bin dort aufgewachsen. Hat es etwas mit der Vergangenheit zu tun?“

So sehr er auch nachdachte, die Zeit damals sah er nur verschwommen vor sich. Er wusste noch ein paar Einzelheiten, aber das meiste lag in Dunkelheit. Er erinnerte sich, dass seine Kindheit und Jugend un­beschwert waren. Mit seinem Freund Johannes war er immer draußen gewesen. Streit hatte er so gut wie nie gehabt. Er hatte nicht viel mit Mädchen zu tun gehabt, denn seine Interessen lagen woanders. Und er wollte schon immer Polizist werden, allerdings stellte er es sich als Kind noch eher vor wie bei den amerikanischen Cops, die er im Fernsehen gesehen hatte: rasante Autofahrten, Pistolen und Faustkämpfe, dazu eine gehörige Portion Action und am Ende die Welt retten.

Nicht, dass er mit seinem Job unzufrieden war, aber es war doch alles sehr anders als im Fernsehen. Jetzt fiel ihm die alte englische Lady ein, die immer auf eigene Faust ermittelte und schon war er wieder sauer auf Undine.

„Typisch, sie muss ihren Kopf durchsetzen. Ich hatte ihr gesagt, sie sollen die Briefe wegwerfen und nun rennt sie rum und bringt die Leute durcheinander. Und Jennifer kann was erleben.“

Jetzt stand er auf und ging heim in sein Bett, aber er wälzte sich bloß herum. Nicht nur die Hitze, sondern auch die Sache mit dem Brief machte ihm zu schaffen. Um fünf Uhr war er schon wieder auf den Beinen, obwohl Sonntag war, und fuhr ins Büro. Dort gab es wenigstens einen Ventilator, den er nun einschaltete und bald fror er im Luftstrom des sum­menden Gerätes. Er kochte sich eine Tasse Kaffee und setzte sich auf Jennifers Platz.

Als er die Schublade aufgezogen hatte, lag dort der Brief, sauber in einer Plastiktüte verpackt, und starrte ihn weiß und unschuldig an. Er nahm ihn heraus. Irgendwie hatte er gewusst, dass er dort gelegen hatte, denn im Papierkorb, wo er eigentlich sein sollte, hatte er ihn nicht mehr gefunden.

„Wusste ich es doch! Warum sind Frauen immer so dickköpfig?“

Reiner streifte sich Handschuhe über und zog den Brief vorsichtig zuerst aus der Tüte und dann aus dem Umschlag. Nachdem er ihn zehnmal gelesen hatte, wartete er auf eine Idee, aber außer einem Magenknurren kam gar nicht aus ihm heraus.

„Das hört sich alles so sonderbar und unecht an, es kann nur ein Scherz sein! Wer schreibt denn so einen Scheiß, außer er will Chaos und Verwirrung verbreiten? Nastätten … warum will er die Leute dort in Angst sehen?“

Plötzlich wusste er, dass es dem Schreiber nicht darum ging, wirklich irgendwen zu vergiften, das war einfach zu dick aufgetragen und erinnerte ihn an seine geliebten Actionfilme. Nein, hier wollte jemand gezielt Unmut verbreiten und das Vertrauen einer ganzen Stadt zerstören. Und er wusste auch etwas an­deres ganz genau: Man durfte sich nicht von so einer Drohung unter Druck setzen lassen.

„Was hat dieser Mensch in Nastätten erlebt, dass er sich auf diese Weise an den Leuten dort rächen will?“

Entschlossen sprang Reiner auf und fuhr nach Na­stätten.


Angst in Nastätten

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