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Vom Wert des Zuhörens

Die Replik von Ulrich Riegel und Tobias Faix auf Gunda Werner

Gunda Werner schlägt in ihrem Beitrag vor, Dissens nicht mehr als Gefahr kirchlichen Zusammenhalts zu deuten, sondern als Weg (inner-)kirchlicher Klärungsprozesse. Hierzu zwei kurze Anmerkungen: Erstens, dass ein sachorientierter Dissens im Sinn Gunda Werners funktioniert, liegt auf der Hand. Was aber passiert, wenn dissente Positionen emotional unterlegt sind? Im Arianismus-Streit lässt sich wunderbar studieren, wie ein inhaltlicher Formelkompromiss scheitert, weil die Gegner persönlich nicht mehr miteinander klarkommen. Gerade im religiösen Bereich berühren inhaltliche Fragen oft die eigene Identität. So erweist sich der Austrittsprozess vielfach nicht als Ergebnis inhaltlicher Dissonanz, sondern als Konsequenz persönlicher Enttäuschungen und Verletzungen. In dieser Hinsicht wäre es spannend, von Gunda Werner mehr darüber zu erfahren, welche Rolle die affektive Dimension in ihrer Idee spielt, Dissens als ein Prinzip des kirchlichen Miteinanders heranzuziehen.

Zweitens: Der Dissens als Form des kirchlichen Miteinanders bedarf organisierter Plattformen. Die kirchliche Tradition kennt in der via concilii eine solche Plattform, die zudem in den verschiedenen Räten auf weltkirchlicher, diözesaner und gemeindlicher Ebene gut etabliert ist. Im Unterschied zum protestantischen Christentum mit seiner synodalen Verfasstheit ist die via concilii im römisch-katholischen Christentum sehr oft schlecht beleumundet (vgl. z. B. www.kathpedia.com/index.php/Konziliarismus). Dass eine solche via concilii in der römisch–katholischen Kirche nur in Kollegialität mit dem Papst (bzw. den jeweils vor Ort verantwortlichen kirchlichen Repräsentanten) zu denken ist, schränkt sie allerdings nicht ein, sondern spezifiziert sie in einer typischen Weise. Sie gemahnt aber auch der besonderen Verantwortung, die diesem Amt bzw. diesen Ämtern zu eigen ist, wenn es darum geht, Dissens bzw. Vielstimmigkeit zu moderieren. In dieser Hinsicht ist einschlägig, dass die Klage über die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei kirchlichen Amtsträgern zu den klassischen Austrittsmotiven gehört.

Welche Rolle können Ausgetretene in einer Kirche spielen, die ihr Miteinander am Dissens und Konflikt orientiert? Gunda Werner sieht die Chance, dass Ausgetretene in einer solchen Kirche „Subjekte aktiver theologischer und kirchlicher Gestaltung“ (S. 318) sein können. Das mag so sein, insbesondere dann, wenn mit dem Austritt noch nicht jegliches Interesse an Kirche verloren ist. Unsere Interviews zeigen, dass es solche Menschen durchaus gibt. Allerdings bringen viele Ausgetretene deutlich zum Ausdruck, dass sie mit dieser Kirche abgeschlossen haben. Diese Menschen ernst zu nehmen bedeutet auch, sie in Ruhe zu lassen und ihre Entscheidung zu akzeptieren. Weiterhin ist gerade bei den Menschen, die sich einstmals in der Kirche engagiert haben, der Austrittsprozess mit persönlichen Kränkungen verbunden, sodass es beim Austritt nicht nur um dissente kognitive Positionen geht.

In allen diesen Fällen erscheint uns eine Kirche, die Ausgetretene als Subjekt im obigen Sinn versteht, als übergriffig. (Wir vermuten, dass Gunda Werner hier sofort zustimmen würde). Umgekehrt zeigen die Essener Erfahrungen eindrücklich, dass gerade das offensive Zugehen auf die Menschen, das Zuhören einen großen positiven Effekt in der Wahrnehmung von Kirche auslöst. Sowohl die von uns Angesprochenen als auch die Menschen, die medial von der Essener Studie mitbekommen haben, haben mehrheitlich erfreut reagiert, dass Kirche offensichtlich bereit ist, von Menschen, die ihr kritisch gegenüberstehen, zu lernen.

Gerade das offensive Zugehen auf die Menschen löst einen positiven Effekt in der Wahrnehmung von Kirche aus.

Im Zuhören scheint sich mehr als ein Gesprächsangebot auszudrücken. Im Zuhören legt die Kirche eine Haltung an den Tag, die viele Interviewte in der Essener Studie bislang vermisst haben: Eine Kirche, die bereit ist, selbst Schritte auf die Menschen zuzugehen und so nahbar zu sein und verstehbar zu werden. Denn eines wurde in der Studie sehr deutlich: die Kirche als macht- und prachtvolle Institution wird mehr als kritisch gesehen. Deshalb wird gerade im Zuhören von Ausgetretenen die von Gunda Werner vorgeschlagene Gestaltung kirchlicher Realität, die sich an Dissens und Konflikt orientiert, verwirklicht

Lebendige Seelsorge 5/2018

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