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III | Intermezzo: Das Mittelmeer der Dunklen Jahrhunderte

Mit dem Einbrechen des Dunklen Zeitalters zerfielen die großräumigen Netzwerke, die in der Bronzezeit das östliche Mittelmeer zusammengehalten und mit entlegenen Regionen Europas verbunden hatten. Regionale Austauschsysteme blieben hingegen meist intakt oder bildeten sich sogar neu. Und nicht überall verfielen die urbanen Zentren der Bronzezeit: An der Küste Syriens und Palästinas, besonders in ihrem mittleren und südlichen Abschnitt, verschonte der allgemeine Niedergang viele Städte, manche blühten sogar kurz im 12. Jh. v. Chr. erst richtig auf. Städte wie Gaza, Ekron und Aschdod, die das Alte Testament den Erzfeinden der Hebräer, den „Philistern“, zuschreibt, waren bereits im 11. Jh. über ihre eisenzeitlichen Mauerringe hinausgewachsen. Und in Nordsyrien taten lokale Machthaber so, als sei das Hethiterreich gar nicht untergegangen: Sie sonnten sich weiter im Glanz des anatolischen Imperiums und führten in ihrer Metropole Karkamisch eine aufwändige, hethitische Traditionen fortsetzende Hofhaltung.

Doch das waren Ausnahmen. Im Großen und Ganzen verzeichnet die Archäologie im gesamten östlichen Mittelmeerraum dramatische Einbrüche: Große, bereits quasi-städtische Zentralorte um die Palastzentren machten kleinen, dörflichen Streusiedlungen ohne nennenswerte soziale Differenzierung Platz; Importwaren verschwanden aus der materiellen Kultur; Schriftsysteme – wie die mykenische Linear-B-Schrift – gerieten in Vergessenheit. Die auf die Katastrophe von 1200 v. Chr. folgenden Jahrhunderte sind nicht nur für uns kaum durch textliche oder materielle Zeugnisse zu erhellen – und daher vermeintlich „dunkel“ –, sie dürften auch für die überwiegende Mehrheit der Zeitgenossen einigermaßen finster gewesen sein.

Doch wie jede Krise bot auch der allgemeine Niedergang der frühen Eisenzeit Chancen. Als sich nach und nach die Hethiter, Ägypten und Assyrien von der Bühne der Weltpolitik verabschiedet hatten, schlug die Stunde der Kleinen. In der späten Bronzezeit hatten die großen Zentren den Güteraustausch dirigiert: Zu welchen Konditionen Prestigegüter, Rohstoffe, Nahrungsmittel oder Sklaven den Besitzer wechselten, legten Bürokraten in den Großhaushaltungen der Paläste fest. So waren die Pharaonen seit Jahrhunderten daran gewöhnt, Zedernholz aus Byblos an der Küste des Libanon zu beziehen. Womit bezahlt wurde, lag im Ermessen der ägyptischen Seite; nicht selten speiste man die libanesischen Tauschpartner mit ideellen Werten – Protektion und der Gunst „der Sonne“, des Pharao – ab.

Ein ägyptischer Text aus dem 11. Jh. v. Chr. berichtet, wie ein Handlungsreisender aus dem Nilland um 1075 nach Byblos aufbricht, um Zedernholz zu beschaffen. Der dortige Herrscher konfrontiert ihn schonungslos mit den neuen Realitäten: Statt die begehrten Stämme einfach frei Haus nach Ägypten zu expedieren, fordert er Vorkasse in Form von Gold, Silber und Fertigwaren. Der sogenannte „Bericht des Wenamun“, wirklich wohl ein fiktiver Text, der aber die tatsächlichen Verhältnisse akkurat wiedergeben dürfte, demonstriert, wie sich die Machtverhältnisse im früheisenzeitlichen Mittelmeerraum gewandelt hatten.

Der Zusammenbruch des bronzezeitlichen Systems hatte den Weg geebnet für neue politische Faktoren: Städte und kleine Territorialreiche auf ethnischer Basis, wie das Königreich Israel in Palästina. Unterhalb dieser gewissermaßen „staatlichen“ Ebene traten aber erstmals auch Akteure in Erscheinung, die unabhängig von den königlichen Großhaushaltungen operierten, „Privatunternehmer“ gleichsam, die sich auf eigene Rechnung in Seehandel und Seeraub einschalteten. Einen Einblick in diese neue Welt der Möglichkeiten, in der abenteuerlustige Männer auf kleinen Schiffen ständig weiter gesteckte Ziele anpeilten, gewähren uns die Epen Homers, insbesondere die ›Odyssee‹. Hier begegnen wir maritimen Unternehmern, die mit bunt zusammengewürfelten Crews entfernte Gestade des Mittelmeers ansteuerten, dort Waren verkauften, kauften, auch vor Menschenraub und Piraterie nicht zurückschreckten – und das alles in einer Wirtschaft, die noch kein Geld kannte.

Allmählich schälte sich auch in der Ägäis und noch weiter westlich im Mittelmeer, in Italien und auf den großen Inseln, wieder eine Elite heraus: Männer, die mehr besaßen als andere, das Wort in der Gemeinschaft und im Krieg das Schwert führten. Bei Homer heißen die Vertreter dieser Aristokratie in statu nascendi basileis: Sie sind die Vorstände der namhaften Häuser, Großgrundbesitzer und im besten Fall Warlords, deren Autorität auf Sieg und Beutemachen im Krieg beruht. Durch Güteraustausch mit entfernten Regionen versorgten sie sich mit Prestigegütern, die ihrer Prominenz in der eigenen Gesellschaft Nachdruck verliehen.

Der Sache nach gab es ähnliche Eliten aber bald allenthalben im Mittelmeerraum. Den nach wie vor anhaltenden ökonomischen Disparitäten zum Trotz pflegten sie überall einen ähnlichen Lebensstil: Gastmähler – griechisch symposia –, auf denen Gleichrangige bewirtet wurden, man gemeinsam trank und den Vorträgen wandernder Dichter lauschte, die das Heldenleben besangen, gehörten ebenso dazu wie die männliche Bewährung in Jagd und Krieg. Gastfreundschaft – Proxenie – hielt ein dichter werdendes Netz solch großer Männer zusammen; und da kleine Geschenke bekanntlich die Freundschaft erhalten, brachte man sich gegenseitig bei Besuchen erlesene Gastgeschenke – xeneia – mit.

Homer lässt uns in seiner ›Ilias‹ daran teilhaben, wie Achilleus bei dem anlässlich der Bestattung seines Freundes Patroklos veranstalteten Wettkampf für den Sieger einen silbernen Kratér – ein Mischgefäß für Wein, wie es bei Symposien zur Benutzung kam – als Preis aussetzt: „[…] ein Silber-Mischgefäß, kunstvolle Arbeit, konnte sechs Maß fassen, / an Schönheit aber trug’s den Sieg davon auf der gesamten Erde / bei weitem, denn Sidoner voller Kunstsinn hatten’s schön gefertigt. / Phoiniker aber hatten’s mitgebracht über das dunkle Meer hin / und hatten Halt gemacht im Hafen / und dem Thoas es als Gastgeschenk gegeben. / Doch für den Sohn des Priamos, Lykaon, hatte es als Gegenwert gegeben / dem Patroklos, dem Helden, Iasons Sohn Euneos. Und dieses setzte nun Achilleus aus / als Kampfpreis, seinem Freund zu Ehren, / für den, der schnellster werden sollt’ / mit seinen hurt’gen Füßen“ (Homer, Ilias XXIII. 741–749, Übersetzung Joachim Latacz).

Die Verse beschreiben, wie eine besonders prestigeträchtige Preziose als Gastgeschenk in aristokratischen Zirkeln die Runde macht – über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg und immer wieder als materielles Unterpfand freundschaftlicher Solidarität. Auf Spuren großräumiger aristokratischer Vernetzung stießen britische Archäologen in den 1960er Jahren nahe dem kleinen Ort Lefkandi auf der griechischen Insel Euboia. Hier, auf einer Felsterrasse, förderte der Spaten ein hallenartiges Gebäude mit Apsis zu Tage, das stattliche 45m lang war und 10m in der Breite maß. In dem Gebäude, das um 1000 v. Chr. errichtet worden war, fanden sich mehrere Bestattungen mit reichen Beigaben: die eines Mannes, einer Frau und von insgesamt vier Pferden. Das Gebäude wurde kurz nach seiner Errichtung planmäßig zerstört, aber im Umkreis entstand um 950 v. Chr. ein großes Gräberfeld mit zahlreichen Bestattungen. Vielen der Toten waren Gegenstände aus Edelmetall, besonders aus Gold, beigegeben worden: filigrane Ohrgehänge, Armreifen und Halsbänder, hergestellt von den kunstfertigen Händen levantinischer, zyprischer und ägyptischer Goldschmiede.

Die Spur von Lefkandi führt also direkt nach Osten, nach Zypern und in die Levante. Von hier ging, ab dem 11. Jh. v. Chr., die Initiative zur Vernetzung der Mittelmeerwelt aus. Besonders in Phönizien etablierte sich in den Dunklen Jahrhunderten ein auf die Produktion hochwertiger Luxusgüter spezialisiertes, hochgradig arbeitsteiliges Gewerbe, dessen Erzeugnisse bei den Eliten der Mittelmeerwelt und im Vorderen Orient höchstes Renommee genossen. Städte wie Sidon und vor allem Tyros gelangten so zu ungeheurem Wohlstand. Die Phönizier waren aber nicht nur Produzenten, sondern eben auch Spediteure von Luxusartikeln, die lokale Netzwerke verketteten und sich schließlich auch dauerhaft in Übersee niederließen, um ihrem Handel nachzugehen. Als solche verbreiteten sie Innovationen wie das Alphabet, aber auch nautisches und technologisches Know-how, in andere Randgebiete des Mittelmeers, das so allmählich zu einem dichten Interaktionsraum wurde.

Erst das allmähliche Zusammenwachsen hauptsächlich des mediterranen Ostens in den – wenigstens in ihrer Schlussphase ab ca. 1000 v. Chr. gar nicht mehr so – Dunklen Jahrhunderten schuf die Voraussetzungen für jene Prozesse, die ab dem 9. Jh. v. Chr. auch Unteritalien und Sizilien von Grund auf umkrempelten. Das neue Zeitalter eröffnete, nachdem Levantiner sich bereits kurz zuvor in Nordafrika und Spanien niedergelassen hatten, um 770 v. Chr. die Gründung eines – nach heutigen Begriffen – multikulturellen Handelspostens auf der Insel Ischia. Pithekoussai, die „Affeninsel“, wie die Griechen Ischia nannten, lag günstig, um von hier aus den Anschluss an örtliche Austauschnetze zu finden und so die reichen Erzvorkommen des italienischen Festlands zu erschließen. Neben Griechen, wiederum aus Euboia, ließen sich auf der Insel auch Menschen aus Etrurien und der Levante nieder. Damit war der Wettlauf um die günstigsten Siedlungsgebiete im westlichen Mittelmeer eröffnet.

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