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Das politische System

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Erste Erschütterungen waren lange vor dem großen Beben spürbar. Im Frühjahr 1402 notiert der reiche Kaufmann und einflussreiche Politiker Buonaccorso Pitti in seiner für den Hausgebrauch geführten Chronik:

Und so scheint mir, dass wir in so große Selbstsucht und in eine so heillose Unordnung abgesunken sind, dass wir uns gegen einen Angriff des Kaisers oder eines anderen mächtigen Herrn nicht behaupten könnten – so tief ist die Spaltung unter den Reichen und Mächtigen unseres Regiments. Ihrem Parteigeist und heimlichen Hass aufeinander opfern sie das Wohl und die Ehre der Kommune.2

Ideal und Realität klafften auseinander. Wie das Gemeinwesen beschaffen sein sollte, steht seit je her unverrückbar fest. Gemeinsinn soll vor Eigennutz rangieren. Doch das war ein Thema für Sonntagsreden. Wenn der Vater dem Sohn Ratschläge fürs Leben erteilte, hörte es sich anders an.

Dies vor allem möchte ich denjenigen, die meine Aufzeichnungen lesen, ans Herz legen und einschärfen: Trennt euch nie, sei es aus Furcht, sei es als Folge von Schmeichelei, von eurem Besitz und eurem Rang und ebenso wenig von euren Verwandten und euren Freunden; denn auf diese und ihre Hilfe vertrauen alle anderen.3

Und die anderen haben damit Erfolg. Im Gegensatz zu uns. Daher müssen wir werden wie die anderen: schlau, zielstrebig und eigennützig. So Giovanni di Pagolo Morelli in seinen ebenfalls nur für die Familie bestimmten Notizen. Darin stimmt er mit dem viel reicheren und vornehmeren Neri Capponi voll und ganz überein.

Verbündet euch vor allem mit euren Nachbarn und Verwandten. Und helft euren Freunden innerhalb wie außerhalb der Stadt.4

So sah die tatsächliche Ausbildung zum Politiker in Florenz aus. Dagegen ließ sich trefflich predigen; auszurichten war dagegen nichts. Nieder mit den Netzwerken, die die Republik zersetzen – es leben die nützlichen Freunde, die allein Beistand in der Not garantieren. Das ganze Dilemma der Republik Florenz liegt in diesem Gegensatz.

Ab 1425 machte sich ein noch viel tieferes Unbehagen am Zustand des Gemeinwesens breit. Und wieder wurden die üblichen Klagen laut: Eigennutz herrscht vor, das Gemeinwohl wird mit Füßen getreten; Rückbesinnung auf die gemeinsamen Verpflichtungen zum Schutz des Freistaats, zu Solidarität und Brüderlichkeit ist daher vonnöten. Doch die Rufe verhallten ungehört. Es führte kein Weg zurück.

Wahr ist, dass die einen Rivalitäten der Republik schaden und die anderen ihr nützen. Zerstörerisch sind diejenigen, die mit Interessengruppen und Netzwerken zu tun haben, heilsam die, die davon frei sind. […] Die Feindschaften in Florenz waren stets von klientelären Spaltungen geprägt und daher unheilvoll; nie blieb eine solche Partei in sich geschlossen, es sei denn, sie hatte eine bedrohliche Gegenpartei. […] In Florenz waren, wie mehrfach erwähnt, zwei herausragende Bürger, Cosimo de’ Medici und Neri Capponi. Neri hatte sein Ansehen auf öffentlichen Wegen erworben, deshalb hatte er viele Bewunderer, aber wenig Gefolgsleute. Cosimo hingegen, der durch öffentliche wie heimliche Methoden aufgestiegen war, hatte nicht weniger Bewunderer als Anhänger.5

So lautet die achtzig Jahre nach den Ereignissen gestellte Diagnose des Staatstheoretikers und Historikers Niccolò Machiavelli. Sie beschreibt einen politischen Krankheitszustand: Florenz, die von Cliquen beherrschte Republik. So war es, und so wird es bleiben. Die Medici bilden in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Denn sie haben zwar gewisse Verdienste um das Gemeinwohl, im Wesentlichen aber sind sie mit ihrer Klientel aufgestiegen. Deshalb werden sie über kurz oder lang auch von einer neu emporgekommenen Interessengruppe gestürzt werden. Das ist der Fluch von Florenz: Die wenigen Uneigennützigen wie Neri Capponi werden von der Masse der Egoistischen überwältigt. Mit dieser Analyse täuschte Machiavelli sich gleich doppelt. Was Capponis Überparteilichkeit betrifft: siehe das vorletzte Zitat. Und auch, was die Medici-Partei betraf, lag der geniale Querdenker falsch. Sie war anders als die vielen anderen Interessengruppen. Vor allem hatte sie andere, ehrgeizigere Ziele.

So war der Konflikt, der sich seit etwa 1400 unaufhaltsam zuspitzte, von anderer Art als die unzähligen Auseinandersetzungen, welche die Republik Florenz seit ihrer Neuordnung im Jahr 1282 zwar erschüttert, doch nicht zerstört hatten. Streit zwischen den führenden Familienverbänden um Ämter und Einfluss stand von Beginn an auf der Tagesordnung; und wenn es hart auf hart ging, wurde er auch blutig ausgetragen. Die politische Ordnung der Republik aber wurde dadurch in der Regel nicht angetastet. Ein einziges Mal, beim Aufstand der Ciompi im Jahr 1378, stand auch sie auf dem Spiel. Politisch und wirtschaftlich rechtlos, ja ihren Arbeitgebern, den großen Textilunternehmern, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, forderten die Wollarbeiter ihren Anteil am Wohlstand sowie an den Ämtern und Würden der Republik. Und da die Führungsschicht zu dieser Zeit tief gespalten war, konnten sie diese Revolution einige Monate lang zum Erfolg führen, bis die alte Elite zum Gegenschlag ausholte und bald darauf fester denn je im Sattel saß.

Von der – durch gezielte Repression und polizeiliche Observierung in Schach gehaltenen – Unterschicht hatten die Reichen und Mächtigen ab 1425 nichts mehr zu befürchten. Die Störung der sozialen und politischen Formation kam nicht von außen, sondern von innen. Ein Machtkampf kündigte sich an, von dem dauerhafte Verwerfungen der öffentlichen Ordnung zu befürchten waren – oder zu erhoffen, je nach Parteinahme. Beunruhigend an der sich abzeichnenden Konfrontation war, dass sich ihr kaum jemand entziehen konnte. Dieses „Entweder – Oder“, „Freund oder Feind“ war neu. Bislang hatten diejenigen, die nicht durch die Bande der Verwandtschaft, Verschwägerung oder anderer, auf beiderseitigem Nutzen beruhender Partnerschaften involviert waren, in den Kämpfen der großen Clans und ihrer Netzwerke neutral bleiben oder sogar vermitteln können. Jetzt aber hieß es, Partei zu nehmen. Dessen ungeachtet behaupteten die beiden Interessengruppen, die sich von nun an immer heftiger befehdeten, die Republik vor heimtückischer Unterwanderung zu schützen und Schaden von ihr abzuwenden.

Der verbannte Nationaldichter: Dante Alighieri

Im Jahr 1265 in Florenz geboren, wurde der theologisch und philosophisch hochgebildete Dichter in Parteikämpfe verwickelt und 1302 aus seiner Heimatstadt verbannt. In seiner Göttlichen Komödie, einer durch Hölle, Purgatorium und Paradies führenden Jenseits-Wanderung, hält der exil immeritus, der zu Unrecht Verbannte (so seine Selbstbezeichnung), denn auch Gericht über viele frisch verstorbene Zeitgenossen. Zwischen 1310 und 1313 machte er sich für die Herrschaftsansprüche Kaiser Heinrichs VII. in Italien stark. Seit seinem Tod literarisches Vorbild, wurde er im 19. Jahrhundert als Vordenker der nationalen Einigung Italiens gefeiert.

Zur Ruhe gekommen war sie nie. Ihr berühmtester Bürger Dante Alighieri verglich sie mit einer kranken Frau, die sich ruhelos im Bett hin und her wälzt, doch die richtige Lage zur Gesundung nicht findet.6 Dante wusste, wovon er sprach. In einer der zahlreichen inneren Auseinandersetzungen, in der es um den Einfluss von Familien und Geschäftsinteressen ging, war er 1302 verbannt worden. Zu solchen Turbulenzen bot die politische Ordnung reichlich Anlass. Was für die Wortführer des Regimes die perfekte, freie und gerechte Republik war, lässt sich im heutigen Politikjargon am ehesten als eine relativ offene Oligarchie klassifizieren.

Ämter und Kandidaten

1425 hatte, grob gerechnet, ein Fünftel der volljährigen männlichen Florentiner politische Basisrechte; sie durften wählen und sich wählen lassen. Wählen: das hieß, sie wurden ungefähr alle fünf Jahre dazu aufgerufen, in einem sogenannten squittinio diejenigen zu benennen, die zur politischen Klasse dazu gehören sollten. Wer hier bestätigt wurde, dessen Name durfte in die Lederbeutel gesteckt werden, aus denen alle zwei Monate die Prioren, die neun Mitglieder der signoria, der Stadtregierung, und der mit ihr beratenden und kooperierenden Sechzehner- und Zwölfergremien gezogen wurden. Voraussetzung dafür war die Mitgliedschaft in einer Zunft (arte), vorzugsweise in einer der großen, die drei Viertel der signoria besetzten; unter diesen arti maggiori waren die Korporationen der Großkaufleute, Textilproduzenten und Bankiers die bei weitem mächtigsten. Das übrige Viertel wurde den angeseheneren arti der Handwerker zugestanden, doch waren deren Prioren wenig mehr als Juniorpartner ihrer patrizischen Amtskollegen. Den Unterbau dieser Führungsgremien bildeten die Räte der Kommune und des Volkes, in denen die Mittelschicht stark vertreten war. Dementsprechend hatten diese beiden Gremien wenig unmittelbare Kompetenzen, wohl aber das Recht, neue Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der Tradition der Republik zu überprüfen. Zudem ließen sich bei passender Gelegenheit durch entsprechende Agitation „Volkszorn“ und „Druck der Straße“ schüren.

Als Patriziat, das heißt als „Väter“ der Republik, verstanden sich die ca. zweitausend Florentiner, die aus dem Kreis der großen Zünfte für die genannten drei führenden Ämterkollegien, die tre maggiori, wählbar waren. Doch wirklich einflussreich waren sie dadurch noch nicht. Im Gegenteil: Die Mehrzahl derjenigen, die die Hürde des squittinio überwunden hatten, konnte zwar darauf hoffen, ein- oder zweimal im Leben für acht Wochen als Prior im Palazzo della Signoria zu amtieren (und zu wohnen), doch war ihre faktische Teilhabe an den Staatsgeschäften damit auch schon erschöpft. Die maßgeblichen Persönlichkeiten der Republik aber hatten andere Mittel und Wege, ihren Willen im Gemeinwesen geltend zu machen. Sie wurden von den tre maggiori in die sogenannten pratiche berufen, die hinter den Kulissen die wichtigen Geschäfte diskutierten, vorberieten und damit Weichen stellten. Zu dieser „Schattenregierung“ zählten durchgehend etwa siebzig Patrizier aus den führenden Geschlechtern. Klein, wie dieser Zirkel der primi (wörtlich: der Ersten) war, kannten sich seine Mitglieder sehr genau; man koalierte miteinander, heiratete untereinander oder betrachtete sich als Konkurrenten, im schlimmsten Fall als Feind.

Aufnahme in diese Spitzengruppe fanden die primi nicht als Einzelperson, sondern als Mitglied einer Familie. Dieser Begriff konnte den gesamten Sippenverband oder auch nur einen einzelnen Haushalt bezeichnen.

Größere Clans konnten fünfzig und mehr von diesen umfassen, mit beträchtlichen Unterschieden hinsichtlich Rang und Vermögen. Im 15. Jahrhundert stieg zwar die Bedeutung der Kernfamilie und der unmittelbaren Abstammungslinie unaufhaltsam an, doch blieb, ungeachtet aller Differenzen des Reichtums und des Einflusses, ein gewisser Zusammenhalt innerhalb der Großfamilie bestehen. Vor allem in Krisen, speziell bei bewaffneten Auseinandersetzungen, bildete der Clan traditionell eine Verteidigungsgemeinschaft; aus diesem Grunde wohnten die verschiedenen Haushalte meist in enger Nachbarschaft, wenn irgend möglich aber im selben gonfalone (die vier Stadtviertel von Florenz zerfielen in jeweils vier solcher Quartiere).

Familien-Ranking

Nach welchen Kriterien ein Geschlechterverband bzw. ein Haushalt welchen Rang innerhalb der Elite einnahm, diese Frage hat schon die politischen Autoren der Zeit selbst intensiv beschäftigt und zu regelrechten Familien-Rankings angeregt. Der konservativen Grundeinstellung der Zeit entsprechend wurde dabei überwiegend nach dem Maßstab der Anciennität, des Alters von Stammbaum und Ansässigkeit, und damit der Vornehmheit sowie, aufs engste damit verknüpft, nach der Frequenz der Führungsämter verfahren. Diesem Merkmal der genealogischen Exklusivität gemäß rangierten die Sippen an der Spitze, die wie die Rossi, Bardi, Contiguidi oder Ridolfi unbestreitbar feudaladelige Ursprünge nachweisen konnten; ihre Vorfahren waren zu einem frühen Zeitpunkt, meistens im 11. oder 12. Jahrhundert, als Burgen und Lehen besitzende Aristokraten in die Stadt eingewandert und hatten dort die Geschicke der ältesten Kommune bestimmt.

Auf Platz zwei folgten die städtischen Geschlechter, die wie die Guicciardini, Strozzi, Soderini oder Valori bei der Begründung der Zunft-Republik am Ende des 13.Jahrhunderts an führender Stelle mitgewirkt und von Anfang an Mitglieder der Stadtregierung gestellt hatten, sich also auch in dieser Hinsicht als „Stadt-Väter“ fühlen durften. Die äußeren Kreise des Patriziats bildeten die Sippen, die im Laufe des 14.Jahrhunderts – z.B. nach der großen Pest von 1348, der so viele alte Geschlechter zum Opfer gefallen waren – ins Patriziat aufrückten, bis hin zu den absoluten Neuankömmlingen, die erst unmittelbar zuvor in die obersten Gremien der Republik aufgestiegen waren. Doch waren diese Newcomer nicht allzu zahlreich; die bereits Etablierten achteten mit Argusaugen darauf, dass die Zahl der Parvenüs begrenzt blieb.

Und ich finde, dass durch Unachtsamkeit der führenden Kreise zwei Typen von Bürgern ins Regiment der Stadt eingezogen sind, zum einen neue Familien, zum anderen junge Männer; beide zusammen aber sind durch die Uneinigkeit der Alteingesessenen derartig frech geworden, dass in diesem Staat binnen kurzem gravierende Umwälzungen zu befürchten sind.7

So lautete die bewegte Klage der gesetzten älteren Herren, und zwar seit jeher. Dante formuliert hundert Jahre zuvor genau dasselbe Unbehagen.8 Neue Leute, gente nuova, war ein Schimpfwort, das keine Familie auf sich sitzen lassen konnte; notfalls mussten illustre Stammbäume daher gefälscht werden.

Abstammung und Ämterhäufigkeit waren für Rang und Einfluss in höchstem Maße bedeutsam, doch nicht alleine ausschlaggebend. Von Anfang an war auch wirtschaftliche Potenz ein eminent wichtiges Kriterium. Das lag zum einen daran, dass die Spitzenpositionen der Republik zwar ehrenvoll, doch nicht lukrativ waren; Verdienstausfälle während der Amtszeit wurden nicht ersetzt. Vor allem aber war Vermögen die Voraussetzung dafür, sich mit anderen Patriziern auf nutzbringende Weise zu vernetzen. Do ut des, ich gebe, damit du gibst – dieses Grundgesetz des politischen Lebens begünstigte naturgemäß diejenigen, die nicht nur einen Stammbaum, sondern auch harte Währung in die Waagschale zu werfen hatten. Umgekehrt musste, wer reich bleiben wollte, in der Politik aktiv werden. Wer sich von ihr fernhielt, hatte damit zu rechnen, über kurz oder lang mehr Steuern zu bezahlen als diejenigen, die die Geschäfte der Republik bestimmten, keine öffentlichen Aufträge mehr zu erhalten und am Ende zahlungsunfähig zu werden. Obwohl sie sich zur Rechtfertigung ihres furor politicus, der Leidenschaft für die Staatsgeschäfte, stets aufs Gemeinwohl beriefen, betrachteten die führenden Patrizier die res publica, die „öffentliche Sache“, als cosa nostra, als „unsere Angelegenheit“. Damit soll ihnen keine Mafia-Mentalität, wohl aber eine Sicht der Politik unterstellt werden, in der das öffentliche Wohl und ihr privates Wohlergehen zu einer Einheit verschmolzen.

„Unsere Republik“, das hieß aber auch: nicht der Staat eines Einzelnen, sondern Wettbewerb, ja Freiheit. Am Ende des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts hatten die großen Humanisten im Dienst der Republik, Coluccio Salutati und Leonardo Bruni, dem Gedanken, dass der Mensch nur in einem freien Staat seine Anlagen frei und damit zu höchster Vollkommenheit entfalten konnte, einen ebenso wortmächtigen wie ideologisch einseitigen Ausdruck verliehen. Denn die Republik, die in so hohen Tönen gepriesen wurde, existierte nur als Ideal, nicht in der nüchternen Wirklichkeit von Staat und Gesellschaft.

Die Freiheit ist für alle dieselbe, allein durch das Gesetz begrenzt und ohne Furcht vor den Menschen. Die Aussicht, Ämter zu erlangen, ist für alle dieselbe, unter der Bedingung, dass man Fleiß und Begabung besitzt und ein ehrbares, würdiges Leben führt. Unsere Stadt fordert nämlich Tugend und Tatkraft, gepaart mit Rechtschaffenheit von ihren Bürgern.9

Aufstiegschancen

Nicht vergessen werden sollte dabei, dass die Freiheit der Teilhabe und der Selbstentfaltung auf die ca. 300 Familien beschränkt blieb, denen diese Privilegien aufgrund von Alter und Reichtum zukamen. Wer diese Voraussetzungen nicht mitbrachte, konnte sein Glück auf viererlei Art versuchen. Der traditionellste Weg nach oben verlief durch die Kirche. Mittellose, aber begabte Knaben konnten in den Orden oder als Weltpriester Karriere machen, und zwar, wie sich bald zeigen sollte, bis ganz nach oben. 1447 bestieg mit NikolausV. der Sohn eines bescheiden begüterten Arztes, 1474 mit Sixtus IV. sogar der Sprössling ligurischer Kleinbürger den Papstthron. In ebenso seltenen wie spektakulären Fällen konnte auch humanistische Bildung den Weg nach oben bahnen. So beschloss der aus kleinen Verhältnissen stammende Leonardo Bruni seine Tage nicht nur als gefeierter Großmeister der lateinischen Sprachkunst, der florentinischen Geschichte und der praktischen Moralphilosophie, sondern auch als reicher Mann. Aufstiegsmethode drei verdeutlicht Giovanni Benci, der Chefprokurist der Medici-Bank. Was er anfasste, wurde sprichwörtlich zu Geld; solange er die Geschäfte der Bank führte, war diese eine Goldgrube. Dass Benci höchste Staatsämter bekleidete, war die logische Folge seiner geschäftlichen Unentbehrlichkeit.

Den vierten Weg ins Patriziat wies Puccio Pucci. Obwohl nur Mitglied einer kleinen Zunft, genoss er die höchste Gunst Cosimo de’ Medicis, der die eine der beiden verfeindeten Parteien in Florenz anführte. Puccio sei einer der Besten und Klügsten – so freigebig er in Geldsachen auch war, mit solchem Lob war Cosimo sparsam. Anders ausgedrückt: Puccio hatte sich für die Medici-Partei unentbehrlich gemacht. Selbst Handwerker, wirkte er, der perfekte Klient, unermüdlich in der Mittelschicht für die Sache Cosimos, seines Patrons – und wurde dadurch selbst für andere zum Protektor. Damit war der Königsweg zum Aufstieg markiert: einem mächtigen Gönner so gute Dienste zu leisten, dass dieser als Gegenleistung für so viel Loyalität seinem treuen Anhänger zu Geld, Ämtern und nützlichen Beziehungen verhalf. In der von Cosimo de’ Medici angeführten Interessengruppe wartete etwa ein Dutzend solcher Familien auf diese Chance.

Chancen zum Aufstieg waren die eine, Gefahren des Abstiegs die andere Seite des Systems. Bank und Handel waren risikoträchtige Gewerbe. Ein König, der seine Schulden nicht bezahlte oder die Ausfuhr von Wolle verbot, ein Papst, der aus politischen Gründen die Republik mit dem Interdikt, dem Ausschluss von Gottesdienst und Sakramenten, belegte – und schon drohte der Bankrott. Dies und manche Widrigkeiten mehr hatten die Florentiner Großkaufleute im 14. Jahrhundert am eigenen Leibe erfahren; umso wichtiger war für sie die Kontrolle der Republik – wer über die Finanzen des Staates bestimmte, hatte mancherlei legale und weniger erlaubte Möglichkeiten sich zu sanieren. Diejenigen aber, die nicht zum innersten Kreis zählten, mussten mit dem Gespenst des sozialen und politischen Niedergangs durch Verarmung leben. Zwei der berühmtesten Florentiner überhaupt, Michelangelo Buonarroti und Niccolò Machiavelli, stammten aus Familien, die diese Erfahrung gemacht hatten.

Ähnlich, doch weniger schlimm war es den sogenannten Magnaten ergangen. Darunter verstand man notorische Friedensbrecher, die die Regeln des bürgerlichen Zusammenlebens systematisch missachteten und daher keine Ämter bekleiden durften. Dieses Verhalten wurde nicht als individueller Defekt, sondern als Manko der ganzen Familie aufgefasst; nicht einzelne Übeltäter, sondern ganze Sippenzweige wurden daher für politikunfähig erklärt. 1425 stand die „Magnatenfrage“, das heißt, wie es mit diesen aus den Spitzenpositionen verbannten Geschlechtern politisch weitergehen sollte, weit oben auf der Tagesordnung. Die meisten der Ausgeschlossenen setzten ihre Hoffnungen nicht auf die Interessengruppe der Medici, obwohl deren Chef Cosimo mit Contessina de’ Bardi aus einer Familie mit vielen schwarzen Schafen verheiratet war, sondern auf deren Gegner, die von der alten und vornehmen Familie der Albizzi und dem angesehensten florentinischen Staatsmann der Zeit, Niccolò da Uzzano, angeführt wurde.

Nützliche Freundschaften

Mit der rasanten Rotation von zwei Monaten Amtszeit, dem divieto, das Sperrfristen für die Wiederwahl setzte und dem Verbot, dass Mitglieder desselben Sippenverbands gleichzeitig Führungspositionen bekleideten, versuchte die Republik die Tyrannis, die schlechteste aller Herrschaftsformen, zu verhindern und zugleich eine möglichst enge Bindung breiter Kreise an den Staat herbeizuführen; zu diesem Zweck wurden die vielen kleineren der ca. dreitausend Ämter, die die Republik zu vergeben hatte, besoldet. Für die ärmeren und unbedeutenderen Ausschnitte des Patriziats und den Mittelstand attraktiv waren vor allem die Regierungs- und Verwaltungsposten im Untertanengebiet (contado). Dieses umfasste den Großteil der nördlichen und mittleren Toskana – Gebiete, die Florenz während des 14. und frühen 15. Jahrhunderts erobert und ihrer Unabhängigkeit beraubt hatte. Auf den weiterhin tief verwurzelten Lokalpatriotismus mussten die Statthalter der Republik bei der Ausübung ihrer hochtrabend podestà (von lateinisch potestas, Macht) genannten Ämter gleichwohl ständig Rücksicht nehmen. De facto beschränkte sich die im Stadtpalast von Florenz pompös zelebrierte Oberhoheit der Metropole darauf, die lokale Politik in den Untertanenstädten zu kontrollieren, im Konfliktfall zu schlichten, Einfluss auf die Ernennung der kommunalen Spitzenbeamten zu nehmen und Steuern einzuziehen. Mehr „Staatsgewalt“ war nicht vorhanden.

Und doch war in dieser vielfach eingeschränkten Territorialherrschaft ein beträchtliches politisches und ökonomisches Potenzial beschlossen. Wer in der Hauptstadt dominierte, konnte seine Anhänger, sorgsam auf deren Rang und Reichtum abgestimmt, in ebenso lukrative wie prestigeträchtige Positionen im contado platzieren und damit seine Macht festigen bzw. ausbauen. Dieser Einfluss hing seit jeher davon ab, in welchem Maße eine Familie aufgrund ihres sozialen und wirtschaftlichen Kapitals mit anderen, sei es mächtigeren, gleich starken oder auch weniger einflussreichen Geschlechtern und deren Gefolgschaft verbündet und damit zum Zweck wechselseitigen Gebens und Nehmens vernetzt war. Eine solche Verflechtung bedeutete, auf soziale, politische und gegebenenfalls auch wirtschaftliche Unterstützung durch amici, nützliche Freunde, Anspruch zu haben; natürlich war man dafür seinerseits Leistungen schuldig. Welche Form diese im Einzelnen annahmen, hing von der Position im Netzwerk ab. An dessen Spitze wusste sich der oberste Patron zu umfassender Förderung seiner Gefolgsleute, in der Sprache der Zeit „Kreaturen“, verpflichtet; sie reichte von der ausschlaggebenden Empfehlung bei der Auswahl von Amtsträgern bis hin zu Krediten und zur Vermittlung nützlicher Heiraten. Der Klient wiederum hatte seinem Herrn bei dessen politischen wie geschäftlichen Aktivitäten gleichermaßen unverbrüchlich zur Seite zu stehen, und zwar real wie symbolisch, zur Mehrung von dessen Macht und Ansehen.

Dass die Leistungen beider Seiten, sollte die klienteläre Beziehung Bestand haben, in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen mussten, gehörte zu den ehernen Grundregeln der sozialen Ordnung. Gerieten sie ins Ungleichgewicht, dann war diese Gefolgschaft kündbar; zumindest vertraten moderner denkende Kreise im 15. Jahrhundert diese Auffassung. Sie stand der älteren und konservativeren Theorie entgegen, dass solche Patronage- bzw. Protektionsverhältnisse ererbt, von Generation zu Generation weiter geführt und daher dauerhaft sein sollten. Konnten sie bei ungenügendem Ertrag für die eine wie die andere Seite aufgelöst werden, dann wurde das Gefüge der Eliten wie die Gesellschaft insgesamt offener, ja zumindest partiell mobiler. Zudem wurden die Patrone dadurch unter starken Druck gesetzt; sie konnten sich keine gravierenden Misserfolge, sei es geschäftlicher, sei es politischer Art, mehr erlauben, wollten sie ihre Kreaturen nicht in effizientere Netzwerke abwandern sehen. Doch auch diese hatten sich jetzt in einem vorher nie gekannten Ausmaß zu bewähren.

Und noch eine Veränderung sticht zu Beginn des 15. Jahrhunderts hervor: die Personalisierung der Klientelverbände. Wurde Protektion zuvor überwiegend von Zunftausschüssen, Bruderschaften und anderen Interessengruppen gewissermaßen in kollektiver Verantwortlichkeit ausgeübt, so verlagerten sich Befugnisse und Loyalitäten jetzt zunehmend auf den obersten Patron. Diesen Zugewinn an Autorität und Prestige spiegeln Briefe von Klienten wider, und zwar am deutlichsten, wenn sie ihren Protektor um Hilfe in Streit- und Notfällen angehen. Wie einem gütigen Vater legen sie ihm dann die Förderung ihrer Interessen ans Herz; ja, wie von einem gnädigen Gott erhofft man seine Hilfe in den Wirrnissen und Widrigkeiten des irdischen Jammertals.10 Die Sprache der Anbetung zeigt an, dass die Rolle des Patrons in Analogie zur Fürbitte der Heiligen verstanden wurde; wie diese Anbetung forderten, um vor Gott und seinem Hofstaat zugunsten des ihnen Huldigenden zu intervenieren, so hatte der Führer des Netzwerks Anspruch auf seine eigenen Formen der Verehrung. Dass dieser wiederum dem Herrn des Himmels durch imposante Kirchen- und Klosterbauten seine untertänigste Reverenz anzeigte, leitete sich aus seiner Rolle als irdischer „Vizegott“ zumindest für die moderner Denkenden ab; konservativere Zeitgenossen hingegen sahen in einer solchen Selbstdarstellung, wie sie Cosimo de’ Medici nach der Machteroberung von 1434 mit beispiellosem finanziellem Aufwand zelebrierte, Akte der frevelhaften Selbstüberhebung.

Konnte man überhaupt einem Patron und zugleich der Republik und dem Gemeinwohl dienen? So sehr sich diese Frage aufdrängte, so selten wurde sie überhaupt gestellt. Die Humanisten der Zeit kleideten ihre faktische Abhängigkeit von einem Patron in den wohlklingenden Jargon der Tugend ein; so betrachtet, dienten sie nicht für Geld, sondern einem Herren, der sie um ihrer einzigartigen Leistungen und Verdienste willen förderte und damit seinem göttlichen Auftrag gerecht wurde. Allein Niccolò Machiavelli, der radikalste Gegendenker zu den Hauptströmungen der Epoche, warf die Frage nach der Legitimität des Klientelismus auf – um sie mit einem Nein von schneidender Schärfe zu beantworten.

Hinter dem Rücken des Staates gewinnt man Bekanntheit und Beliebtheit, indem man dem einen oder anderen Bürger Gunst erweist, ihn gegen die Behörden schützt, ihm Geld gibt oder zu Ämtern verhilft, die er nicht verdient hat […]11

Für ihn begünstigte das System der nützlichen Netzwerke Kriecher und Speichellecker; Patrone verlangten und erhielten Opportunismus, Unterwürfigkeit, allseitige Verwendbarkeit, Würdelosigkeit; und sie erzeugten Arroganz, Verachtung der Gesetze, Willkür und Unterdrückung. Doch das blieb die Ansicht eines Außenseiters, der bezeichnenderweise keiner der in seinen Augen verderblichen, die Republik zersetzenden „Sekten“, weder unter der Führung der Medici noch ihrer Gegner, angehörte – und daher politisch einflusslos blieb.

Geld und Freunde

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