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Die Medici

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Wie so viele der führenden Familien von Florenz waren die Medici im 12. Jahrhundert vom Land in die Stadt eingewandert, um sich dort kommerziellen Aktivitäten zu widmen. Ihre Ursprungsregion war das Mugello nördlich von Florenz; Bindungen an diese Gegend blieben bis ins 15. Jahrhundert hinein erhalten. Zum einen legten die Medici die Gewinne der Bank dort in Grund und Boden an, zum anderen fungierten sie für die Bewohner der Region als Anlaufstation in der Stadt. Nach der Neuordnung der Republik zugunsten der Kaufmanns- und Bankierselite im Jahre 1282 kam die Familie auch politisch zum Zuge – ihre Ämterlisten weisen sie als solide in den weiteren Führungskreis des Patriziats integriert aus.

Von einer wie auch immer gearteten Spitzen- oder gar Führungsposition aber konnte keine Rede sein. Im Gegenteil: Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts traten Symptome des Niedergangs immer krasser hervor. Von den neun Hauptlinien des Familienverbands war nur noch eine einzige im Handels- und Banksektor tätig, die übrigen hatten sich aus diesen dynamischen Geschäftsbereichen zurückgezogen und damit die Voraussetzungen für politischen Einfluss eingebüßt. Vollends diskreditiert war ihr Name durch Salvestro de’ Medici, der auf dem Höhepunkt der Ciompi-Krise mit den Aufständischen paktiert hatte und unter seinesgleichen als Verräter gebrandmarkt war. Sein Scheitern war spektakulär, doch kein Einzelfall. Die Familie Medici insgesamt galt als streitsüchtig und unzuverlässig, nicht nur gegenüber anderen, sondern auch untereinander. In einer Republik, in der Geschäfte und Politik auf Vertrauensbasis gemacht wurden, kam dieser Ruf einem sozialen Todesurteil gleich. Die wenigen Medici, die in dieser dunklen Zeit Aufzeichnungen hinterließen, schlugen dementsprechend melancholische Töne an: Wenn kein Wunder geschieht, ist unser Absinken in Vergessenheit und Obskurität absehbar.12

Doch hatte die Krise offenbar auch ein Gutes: Sie setzte Energien frei, die dem Wiederaufstieg zugute kommen sollten. Zudem ließen sich aus den Ursachen des Zerfalls Lehren ziehen. In den um 1360 geborenen Mitgliedern zweier Familienzweige trat dieser Wille, die Fehler der jüngeren Vergangenheit zu vermeiden, ausgeprägt hervor. So führten die Söhne Vieri de’ Medicis dessen Bankhaus bis 1391 erfolgreich fort, und zwar mit tatkräftiger Unterstützung der Brüder Francesco und Giovanni de’ Medici, die nach ihrem Vater „di Bicci“ genannt wurden. Auf diese beiden Linien sollte sich die Erfolgsgeschichte des Hauses von jetzt an beschränken; alle anderen Verwandten spielten nur noch Nebenrollen. Die wenigen Protagonisten aber hatten ihre Lektion gründlich gelernt. Ein Jahrhundert lang bildeten sie geschäftlich wie politisch eine geschlossene Solidargemeinschaft, die sich auch unter dem stärksten Druck von außen als unerschütterlich und handlungsfähig zugleich erwies. Dieser Zusammenhalt wurde auch dadurch nicht infrage gestellt, dass zu jedem Zeitpunkt die Führungsposition unmissverständlich markiert war. Sie fiel seit den 1390er-Jahren Giovanni di Bicci zu, bis dieser sie um 1420 an seinen ältesten Sohn Cosimo weitergab. Dieses System des primus inter semipares funktionierte reibungslos, weil die übrigen Mitglieder der Leitungsgruppe zwar nicht gleichrangig, doch keineswegs ohne wichtige Zuständigkeiten waren.

Der Seeräuber-Papst

Er soll als Pirat ein Vermögen gemacht haben, der neapolitanische Aristokrat Baldassare Cossa (ca. 1370–1419). Als einer von drei Päpsten stach er ab 1410 durch seine skrupellose Machtpolitik und seine rücksichtslose Besteuerung der Kirche hervor. Nach seinem Tod setzte ihm der dankbare Cosimo de’ Medici ein prächtiges Grabmal im Baptisterium in Florenz, auf dem der Verstorbene als „Johannes, einstmals Papst“ (und nicht, wie offiziell gezählt, als Gegenpapst) bezeichnet wird. Proteste dagegen wies Cosimo mit der legendären Antwort „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben“ zurück.

Eine solche Teilung der wichtigsten Aufgaben war schon deshalb unverzichtbar, weil die Aktivitäten der bei weitem einträglichsten Familienfirma, des von Giovanni di Bicci geführten Bankhauses, auf verschiedene Orte verteilt waren. Dabei erwies sich schon bald die römische Filiale als Haupteinnahmequelle; zwischen 1397 und 1435 machten die am Tiber erwirtschafteten Erträge mehr als die Hälfte der gesamten Gewinne aus. Der Erfolg spiegelt das sichere Gespür dafür wider, welche Kandidaten sich in den verworrenen Zeiten der (seit 1378 anhaltenden) Kirchenspaltung durchsetzen würden. Um der Rivalität der in Rom und Avignon residierenden Päpste ein Ende zu bereiten, hatten 24 Kardinäle in Pisa 1409 mit Alexander V. ein neues Oberhaupt der Kirche gewählt. Dieser setzte sich zwar auch nicht in der gesamten Christenheit durch, konnte jedoch, so schien es, von allen drei Konkurrenten die größte Legitimität für sich beanspruchen. Als Alexanders Nachfolger aber kam schon im Jahr darauf mit Baldassare Cossa, der sich Johannes XXIII. nannte, ein Kandidat zum Zuge, der dem Hause Medici finanziell und politisch aufs engste verbunden war. Als Gegenleistung für die guten Dienste, die ihm Giovanni di Bicci und Cosimo erwiesen hatten, betraute er diese als Generaldepositare mit der Führung seiner Konten. Als päpstliche Hausbankiers strichen die Medici nicht nur hohe Gebühren auf alle eingehenden und ausbezahlten Summen ein, sie verdienten auch an den vielen Krediten, die der umtriebige Pontifex in großer Zahl benötigte, nicht schlecht – von den vielen nützlichen Beziehungen, die sich zu einflussreichen Kirchenfürsten knüpfen lassen, ganz zu schweigen. Die gewinnträchtige Symbiose mit der Kurie ging denn auch mit der Absetzung Johannes’ XXIII. auf dem Konzil von Konstanz 1415 keineswegs zu Ende. Ein weiteres halbes Jahrhundert lang führte die Medici-Bank die Konten der Päpste.

Das Metier des Bankiers

Der Aufstieg der Medici-Bank schlug sich am eindrucksvollsten in ihrer Ausbreitung nieder. Schon 1402 kam nach Rom und Florenz Venedig als dritter Firmensitz hinzu; weitere Zweigstellen in Neapel, Genf, Ancona, Brügge, Pisa, London, Avignon und Mailand folgten bald darauf; in weiteren Geschäftszentren von europäischem Rang zwischen Sevilla und Lübeck war die Firma durch ihre Agenten vertreten. Ihr Führungspersonal rekrutierte sich ganz überwiegend aus Mitgliedern des Hauses Medici; bei außergewöhnlicher Bewährung vermochten Außenstehende wie Giovanni Benci in diesen erlauchten Zirkel Aufnahme zu finden, gleichsam als „Medici ehrenhalber“. Wer darüber hinaus die interne Karriereleiter emporsteigen wollte, musste aus der richtigen Familie stammen, das heißt als zuverlässiger Parteigänger des Hauses Medici ausgewiesen sein. Danach aber kam es nur noch auf individuelle Tüchtigkeit an. Am höchsten geschätzt wurde eine ausgewogene Mischung von Eigeninitiative und Rückversicherung; diese bestand darin, Rat und Zustimmung des Firmenoberhaupts einzuholen, der das Schalten und Walten jedes leitenden Angestellten sorgsam im Auge behielt. So war der perfekte Bankmanager zugleich der ideale Klient: dynamisch durch Ideen und Energie, verlässlich durch Loyalität und Transparenz. Und der erfolgreiche Chef des Bankhauses war zugleich der ideale Politiker; in beiden Metiers kam es auf taktische Finessen, profunde Menschenkenntnis und die Fähigkeit zum unauffälligen Fädenziehen an. Darüber hinaus waren gesunde Skepsis und Mut zum kalkulierten Risiko gefragt, gepaart mit gehöriger Skrupellosigkeit und Abgeklärtheit, mit langem Atem und Entschlossenheit und nicht zuletzt mit der Fähigkeit, abwarten und gezielt zuschlagen zu können. Ausschlaggebend in Bank und Politik aber war letztlich die Kunst, sich so viele nützliche Freunde wie möglich und so wenig Feinde wie nötig zu machen. Anders ausgedrückt: Es kam in Bank- und Staatsgeschäften gleichermaßen darauf an, die richtigen Anträge zu bewilligen und die ungeeigneten abzulehnen. Das galt für Kredite wie für Ämter. Wenn zehn Anhänger um einen einzigen politischen Posten konkurrierten, musste der Patron denjenigen auswählen, der den meisten Vorteil versprach – für die von ihm geführte Interessengruppe und die Republik, im Idealfall für beide. Die übrigen neun aber mussten abschlägig beschieden werden, ohne dass sie in ihrer Treue wankelmütig wurden; zumindest den Einflussreicheren von ihnen musste man Ersatz oder Erfolg bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit bieten.

Bei Geldgeschäften lautete dieselbe Regel: Hände weg von politischen Risiko-Krediten! Höchste Gefahr war immer dann geboten, wenn gekrönte Häupter waghalsige Kriege zu führen planten oder sich so hoch verschuldeten, dass sie sich nur durch einen regelrechten Staatsbankrott, das heißt durch Einstellung aller Schulden- und Zinsendienste, würden sanieren können. Etwas anders sah es mit Investitionen in vielversprechende Kandidaten für höchste Herrscherämter aus. Gewiss, auch hier war besonderes Augenmerk gefordert. Einem Kardinal Cossa die kirchliche Karriere oder dem Mailänder Söldnerführer Francesco Sforza seine Feldzüge zu finanzieren, war und blieb eine unsichere Geldanlage. Doch konnte sie, setzte man auf die richtige Karte, ungeahnte Rendite einbringen – im Falle Johannes XXIII. viel Geld, nach dem Aufstieg Sforzas zum Herzog von Mailand im Jahre 1450 überlebenswichtige politische und militärische Unterstützung. Einsicht in Eigennutz und Gier des Menschen, Nachsicht gegenüber lässlichen Vergehen und Unnachsichtigkeit bei unverzeihlichen Verfehlungen, Großzügigkeit, wo sie angebracht, Härte, wo sie unabdingbar war, höchste Zielstrebigkeit gepaart mit der Gelassenheit, den günstigsten Augenblick zum Handeln abwarten zu können; alle diese Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten vereinigten Vater und Sohn, Giovanni di Bicci und Cosimo de’ Medici, lebenslang in sich. Darüber hinaus beherrschten sie in höchster Vollendung die Künste der Verstellung und der Propaganda. Meister darin, die Rolle zu spielen, die das Publikum ihnen übertragen hatte, verstanden sie es virtuos, dessen Erwartungen und Reaktionen für sich nutzbar zu machen und auf diese Weise das Stück, das auf der politischen Bühne gespielt wurde, ihren Interessen gemäß zu inszenieren. Dessen Titel lautete

„Die Medici: gute Bürger und freigebige Mäzene“.

Auch dünkte es Cosimo, Gelder zu besitzen, die aus nicht ganz sauberen Geschäften stammten; woher sie kamen, weiß ich nicht. Weil er sich nun diese Last von den Schultern nehmen wollte, beriet er sich – da Papst Eugen damals in Florenz weilte – mit seiner Heiligkeit über die Dinge, von denen er glaubte, dass sie sein Gewissen belasteten.13

Der Papst aber riet zum Klosterbau. Das war ein guter Grund. Ein anderer war der Neid, den der plötzliche Reichtum der Medici erzeugen musste. Ihn konnte man nur durch ostentative Freigebigkeit eindämmen. Nichts machte Reichtum für andere akzeptabler, als wenn sie selbst daran teilzuhaben glaubten. Das war der Fall, wenn der Reiche durch aufwendige Bauten und Schauspiele den Ruhm der Stadt und damit das Selbstbewusstsein ihrer Bewohner mehrte, Kirche und Kommune von diesen Auf- bzw. Ausgaben freistellte und sein Vermögen ostentativ in den Dienst des Gemeinwohls stellte. Imagebildung wurde so zu einer der zentralen und kostenintensivsten Strategien der Politik. Reichtum sozialverträglich, ja sozialfürsorglich vorzuweisen war die eine, die richtigen Personen unmittelbar an den Segnungen der Bank teilhaben zu lassen, die andere Seite der Politik – der Geschäftspolitik und der „Politikpolitik“, beide unauflöslich ineinander verwoben. So viele Zweige patrizischer Clans waren nach dem Zusammenbruch der großen Handelskompanien in den 1340er-Jahren, durch die unaufhörlichen Pestepidemien und das generelle Schrumpfen der Märkte als Folge des Massensterbens ökonomisch abgesunken oder sogar am Rande der Verarmung. Nicht wenige von ihnen hatten nicht einmal mehr die Mittel, ihre Steuern zu bezahlen, und standen daher im sogenannten specchio, dem Verzeichnis der Schuldner, die die Kommune ihrer Rückstände wegen für amtsunfähig erklärt hatte. Sie durch zinsgünstige oder gar zinslose Darlehen wieder solvent zu machen, hieß, Stimmen im squittinio, in den Räten und Regierungsorganen zu gewinnen. Dasselbe galt für Geldgeschenke in Form von Mitgiften oder Ausbildungsbeihilfen – der zielgerichteten Verwendung des Medici-Reichtums waren schlechthin keine Grenzen gesetzt – überall lag soziales Kapital, das es nur abzurufen galt. Und das nicht nur in Florenz, sondern in großen Teilen Italiens. Cosimos legendäre Großzügigkeit in Geldsachen war alles andere als sinnlose Verschwendung, sondern eine politische Strategie von einzigartigem Augenmaß.

Lukrative Aufträge für Maler, Bildhauer und Steinmetzen taten ein Übriges. Sie gewannen den Medici eine breite Anhängerschaft in der handwerklichen Mittelschicht.

Und weil es der Zunft der Bildhauer zu seiner Zeit widerfuhr, dass ihre Meister wenig beschäftigt wurden, beauftragte Cosimo den Donatello, damit er nicht ohne Arbeit bliebe, mit Bronzekanzeln für S. Lorenzo. Auch ließ er ihn bestimmte Portale fertigen, die nun in der Sakristei sind. Seine Bank wies er jede Woche an, ihm eine gewisse Summe Geldes zu überantworten, und zwar so viel, dass es für Donatello und die vier Gesellen, die er sich hielt, ausreichte.14

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für ein Genie – auch das gehörte zum Werbeprogramm des großen Bankiers. Ja, er ließ den Bildhauer sogar ganz neu einkleiden, allerdings gegen dessen Willen. Die vornehmen Gewänder trug Donatello nicht, weil er sich darin lächerlich vorkam. Dafür ließ er sich als Cosimos treuer Klient zu dessen Füßen in der Alten Sakristei von S. Lorenzo bestatten.

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