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2. Kapitel: Der Beginn eines Abenteuers

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»Steigt ein, meine Lieben. Heute Abend habe ich was ganz Besonderes für uns Extremgeniesserinnen vorbereitet«, begrüsste Elisabeth ihre besten Freundinnen an diesem freien Tag. Jutta und Kirsten nahmen auf der Rückbank Platz und lächelten sich vielsagend an. Dieses Strahlen in Elisabeths Augen verhiess bestimmt eine wunderbare Überraschung. Trotz des aufziehenden Gewitters und des stockenden Feierabendverkehrs war die Stimmung unter ihnen gut und wurde noch besser, als klar wurde, dass die Überraschungsfahrt aufs Land geht. Fünfviertelstunden später standen sie vor dem Bauernhaus, das mehr einer Hexenvilla glich und das sie doch erst kürzlich auf Facebookfotos gesehen hatten. Elisabeth strahlte übers ganze Gesicht, als sie die Bleischwere Eingangstür aufschloss und ihre Gäste durch die leergeräumten besenreinen Räume führte. »Ist das deine Ferienwohnung oder dein neues Zuhause?«, wollte Jutta wissen, als sie den kleinen runden gedeckten Tisch mitten im leeren Wohnzimmer entdeckte. Obwohl es überhaupt nicht kalt war, begann es wie vorhergesagt zu regnen. »Nein, das wird was viel besseres, wenn es fertig ist: Das wird nämlich eine langfristige Flüchtlingsunterkunft!«, strahlte Elisabeth. »Jetzt wo meine Eltern im Altersheim sind, kann hier etwas neues, grossartiges entstehen. Es war absehbar, dass unsere ehemalige Abschlussballlocation, wie ich es hier gerne nenne, zu gross wird für die beiden.« Kirsten wunderte sich. Das hast du uns vorletzten Sonntag, als wir uns die schönen Bilder von hier angeguckt haben, ja noch gar nicht erzählt?« Mathea legte fürsorglich den Arm um sie: »Lis hat ihr Leben seit unserem Wellnesstrip ziemlich auf den Kopf gestellt. Das wollen wir heute Abend mit Euch feiern!« Das Strahlen kehrte in ihr müdes Gesicht zurück: »Ganz genau. Und weil ich euch unbedingt als allererstes zeigen wollte, wie meine eigene Flüchtlingsunterkunft vorankommt und ich dem uralten Kochherd hier im Haus nicht traue, habe ich unser Nachtessen gleich im Kofferraum mitgenommen: Lasst uns dies ausladen, ihr habt bestimmt auch Hunger!«

»Also meine Lieben«, begann sie ihre tiefgreifenden Veränderungen zu schildern, als sich alle von den Leckereien aufs Teller geladen hatten. »Ich will Euch nicht länger auf die Folter spannen....« - »Dass du jetzt ins Cateringbusiness eingestiegen bist, haben wir allerspätestens jetzt mitgekriegt«, scherzte Jutta. »Ich muss schon sagen, diese Gurkensuppe, das wäre auch etwas gewesen für meinen fünfzigsten, letzten Monat«, schwärmte Kirsten. »Vielleicht werde ich eines Tages tatsächlich noch ins Cateringbusiness einsteigen. Aber zuerst nehme ich mir eine einjährige Auszeit, in der ich jede Menge Gutes tun und Spass haben werde. Diese Epoche will ich heute Abend mit Euch einläuten!« Die vier Frauen hoben jubelnd ihre Gläser und stiessen darauf an. Während Elisabeth schilderte, wie sie ihren Job gekündigt hatte und aufgrund der zahlreichen Überstunden, die Kündigungsfrist zu Hause absitzen konnte, schlemmten sie weiter: »Ihr habt vielleicht gemerkt, dass ich plötzlich total geistesabwesend war, als wir von unserem diesjährigen Wellnesstrip nach Hause gekommen sind«, räusperte sie sich plötzlich. Ihr schossen die Tränen in die Augen. Mathea, die bis jetzt als einzige wusste, was es mit diesem Nachtessen auf sich hatte, klopfte ihr fürsorglich auf die Schulter. »Tut mir leid, ich kann das nicht!«, stürzte Elisabeth in den strömenden Regen hinaus. Mathea rannte ihr hinterher, um einen Regenschirm über ihr aufzuspannen. »Hör mal, du kannst doch nicht bei diesem Mistwetter draussen rumrennen, du wirst doch klitschnass. Du musst dies nicht machen, wenn du nicht willst. Das ist zweifellos das Mutigste, was ein Mensch tun kann. Aber ich habe dir von Anfang an geraten, dich nicht selbst unter Druck zu setzen. Soll ich den anderen erzählen, was los ist?« - »Ich schäme mich so. Ausgerechnet ich bin völlig therapieresistent und verliere deshalb heute Abend noch meine besten Freunde.« Die beiden standen unter dem Vordach neben dem Vordereingang. Weil es ein warmer Sommerregen war, hatten sie die Tür vorhin offen gelassen. Mittlerweile blickten auch Kirsten und Jutta um die Ecke. »Feiern sieht aber anders aus, ihr Lieben«, meinte Jutta. »Sagst du es, oder soll ich es erzählen?«, versuchte Mathea ihr in die Augen zu sehen. Elisabeth die immer noch weinte, sah Mathea dankbar an und nickte. Die vier gingen wieder ins zukünftige geräumige Wohnzimmer und setzten ihr leckeres Picknickdinner fort. »Ich habe Euch vorletzten Sonntag angelogen und es tut mir leid», stiess Elisabeth hervor. »Ich war überfordert und hätte nie und nimmer damit gerechnet, dass meine Vergangenheit, die ich längst bewältigt zu haben glaubte, mich so unvermittelt einholt.« Alle sahen sie liebevoll an. »Es ist leider so, dass ich seit Jahren, ja seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr habe zu meiner Familie. Warum das so ist, weiss ich nicht und über die letzten Begegnungen und Interaktionen möchte ich auch gar nicht reden.« Kirsten unterdrückte den Wunsch, sich für die Lästerei über Elisabeths Schwester zu entschuldigen. »Gestern vor einer Woche, erfuhr ich von den Sozialbehörden, dass meine Eltern ins Pflegeheim gezogen. Schliesslich ist das Ganze ja nicht gratis und ich werde jetzt im Rahmen des sogenannten Elternunterhalts zur Kasse gebeten, wie viele andere auch. Wie ihr wisst, bin ich einen Tag später im Treppenhaus umgekippt und wurde für die restliche Woche krankgeschrieben. An diesem Tag bekam ich dann Besuch von zwei Damen vom Sozialamt, die mir unter anderem mitteilten, dass meine Schwester, die Ruth und ihr Mann vor anderthalb Jahren bei einem Verkehrsunfall in Russland gestorben seien. Wenn also keine Neffen und Nichten auftauchen, dann bin ich die Alleinerbin dieses wunderbaren Grundstücks. Trotzdem muss ich mich wohl noch einigen schmerzhaften Erinnerung aus meiner Vergangenheit stellen und diese erneut bewältigen.« Sie machte eine Pause und trank ihr Wasserglas leer. »Ich hoffe, dass ihr mir diese Lügen irgendwann verzeihen könnt.« Die Frauen versicherten ihr, dass sie sich darüber keine Gedanken machen müsse und das nichts selbstverständlicher sei. »Ich und die Kirsten plaudern manchmal einfach zu viel«, entschuldigte sich Jutta als erste und initiierte damit eine Gruppenumarmung.

So gut wie das Wochenende war, so gut fing die neue Woche an: Die Handwerker trafen pünktlich auf dem Brandnerhof ein, verlegten neue Böden, strichen neue Wände und montierten brandneue wunderschöne Apparate, wie sie es nannten. Damit waren der moderne Kochherd, die Duschen, die Badewanne und natürlich die Toiletten gemeint. Elisabeth liess es sich nicht nehmen, jeden Mittag kurz vorbeizuschauen und ihnen allen einen selbstgebackenen Kuchen als Nachtisch zu bringen. Sie liebte es festzustellen, wie ihre eigene Flüchtlingsunterkunft mehr und mehr Gestalt annahm. Die Nachmittage verbrachte sie dann damit, bei der Caritas zu helfen, indem sie mithalf, die angekommenen Flüchtlinge medizinisch zu versorgen. Weil sie sich innert kürzester Zeit als sehr einfühlsame Charakterperle erwies und sich dementsprechend weiterbildete, durfte sie sich auch um besonders traumatisierte Menschen kümmern. Trotz des ganzen Elends, das sie mitbekam, hätte ihr Leben nicht erfüllter sein können!

Schliesslich war es soweit: Die Handwerker hatten innert kürzester Zeit grossartige Umbau- und Renovierungsarbeit geleistet und verabschiedeten sich bei der rauschenden Dankeschönparty, die Elisabeth und ihre Freundinnen für sie schmissen. »So ein tolles Richtfest nach getarnter Arbeit hatten wir noch nie«, hatte sich der eine gutgebaute Hüne bedankt. Am nächsten Tag richtete sie dieses herrliche Haus gemeinsam mit ihren neuen Helferinnen ein. Kirsten war ganz baff, als sie das Endergebnis am darauffolgenden Montag als erste bewunderte: »Einfach genial, was du innert kürzester Zeit auf die Beine gestellt hast, Lis!« - »Oh, das war ich nicht alleine! Ich hatte die weltbesten und weltschnellsten Handwerker und noch meine beiden neuen Helferinnen, von denen ich dir erzählt habe. Die sind auch zur kreativen Hochform aufgelaufen!«, sprudelte es aus Elisabeth heraus. »Freut mich, dass es dir gefällt! Diese beiden Helferinnen werden uns bei dieser Mission auch begleiten. Es ist halt gar früh, für zwei so junge Mädels. Drum können wir uns jetzt noch einen Drink genehmigen.« Die Morgendämmerung brach über die idyllische Landschaft herein und malte ein kräftiges Morgenrot an den Horizont. Kirsten und Elisabeth gingen nach draussen und genossen diese himmlische Morgenruhe mit einem Glas Minze-Ingwer-Wasser. »Heute wird es bestimmt wieder brandheiss«, meinte Elisabeth, als sie der verwunderten Kirsten ein Wasserglas statt eine Kaffeetasse in die Hand drückte. »Das tut uns besser als Kaffee, der ohnehin nur ausschwemmt.« Schliesslich stiessen auch Elisabeths Helferinnen dazu und stellten sich der Kirsten vor. »Guten Tag, ich bin die Tati Krapp und das ist meine beste Freundin Tina Kunz. Zusammen sind wir TnT, wirkungsvoll wie Dynamit, wenn es um eine gute Sache geht«, übernahm die Schwarzhaarige Tatiana Krapp diesen Part. Alle lachten vergnügt und konnten es kaum erwarten, ihre Mission anzutreten. Elisabeth und Kirsten setzten sich in Elisabeths grauen Audi und vertrauten Tati und Tina Kirstens schwarzen BMW an, mit dem sie hinter ihrer neuen Chefin hinterherfuhren. Dieses TnT-Duo war niemand anderes als die beiden Mädels, die noch vor rund zweieinhalb Wochen einen Rachefeldzug gegen den mobilen Pflegedienst führen wollten und sich deshalb auf Elisabeths Balkon abgeseilt hatten. Diese war von ihrem Gerechtigkeitssinn und ihrem Tatendrang so beeindruckt, dass sie die beiden als absolut zuverlässige Charakterperlen kennenlernte, die in ihrem bisherigen Leben jede Menge Pech gehabt hatten. Darum weihte sie dieses TnT-Duo in ihre geheimsten Pläne ein und war ihnen seither eine manchmal strenge, aber immer gerechte Chefin.

Die vier Abenteurerinnen genossen die Sonne, die vielen verschiedenen Gegenden und die herrlichen Landschaften, die an ihnen vorbeizogen. Sie nutzten die Zeit, wenigstens mit einer von Ihnen über alles Mögliche zu plaudern. »Sag mal, hast du eigentlich schon einen Namen für deine eigene Flüchtlingsunterkunft?«, wollte Kirsten nach langem wissen. »Das wird die Zufluchtsoase!«, antwortete Elisabeth wie aus der Pistole geschossen. Das freudige Funkeln in ihren Augen, vertrieb jede Müdigkeit in ihrem Gesicht. »Bist du sicher, dass ich dich nicht doch noch Ablösen soll?«, sah Kirsten sie prüfend von der Seite an. »Wozu? In knapp zwei Stunden sind wir am Ziel und dann geht's erst richtig los.« Mit einem Schlag war sie wieder hellwach: »Da ist etwas, was ich dir nebst allem anderen noch ganz vergessen habe zu erzählen: Die geheimnisvollen A4-grossen Briefumschläge, die ich in meinem Picknickkorb mitgebracht habe, sind nichts anderes als sogenannte Wettbewerbsumschläge, das Ergebnis meines selbstentwickelten Auswahlkonzeptes.« - »Willst du das Selektionieren nicht lieber den Rechtspopulisten überlassen? Ich dachte du möchtest dich um diejenigen kümmern, die dir das Schicksal zuspielt?«, war Kirsten irritiert. Elisabeth schwieg für einen Augenblick und dachte nach. Sie meinte es mit diesen Flüchtlingen doch genauso gut wie alle anderen. Dass ihr eine ihrer besten Freundinnen Rechtspopulismus vorwirft, nur weil sie implizierte, dass Europa nicht ganz Afrika aufnehmen kann, verletzte sie doch sehr. Und das ohne sie vorher anzuhören! Schliesslich rang sie sich zum Erklären durch. »Ich bin die Allerletzte, die Nazimethoden anwendet. Drum habe ich mir folgendes überlegt, um auf sie zuzugehen: Wir bauen ein Vertrauensverhältnis zu ihnen auf, indem wir sie einerseits auf das verhältnismässig harte Erwerbsleben in der westlichen Hemisphäre vorbereiten und gleichzeitig zu einer warmen, typisch europäischen Mahlzeit einladen. Dazu habe ich folgenden Wettbewerb entworfen. In jedem dieser Briefumschläge befindet sich ein Getreideriegel, ein Kugelschreiber, ein A4-Beilagekarton als Schreibunterlage sowie ein A4 Blatt, das auf der Vorder- und der Rückseite beschriftet ist. Dieses A4 Blatt ist nichts anderes als mein ganz persönlicher Auswahlwettbewerb und trägt deshalb auch die Überschrift ˃Wie ich meiner neuen Heimat diene˂, wo man seine Zukunftspläne und Absichten aufschreiben kann- auf Arabisch, versteht sich. Zuunterst auf dieser Vorderseite ist ein Feld in das man den Vor- und Nachnamen in europäischer Blockschrift reinschreiben kann und ein Feld, in das man einen Identifizierungscode setzt, den man bei der Rangverkündigung am Abend des darauffolgenden Tages nochmals auswendig aufschreiben muss, um sich zu identifizieren. Auf der Rückseite steht, dass es einen Deutsch- und einen Bewerbungskurs zu gewinnen gibt und weshalb ein solcher Bewerbungskurs in der westlichen Hemisphäre sinnvoll ist. Zusätzlich zu diesen Kursen gewinnen die Glücklichen einen Schlafplatz in meiner frischrenovierten Zufluchtsoase. Das ist gewissermassen der Hauptgewinn, von dem sie erst bei der Rangverkündigung erfahren werden.« - »Okay, okay«, meinte Kirsten versöhnlich »ich sehe wie du's gut meinst: Aber wie willst du das ganze logistisch hinkriegen? Wie willst du dafür sorgen, dass die ausgefüllten Wettbewerbe wieder zu dir zurückkommen?«, gähnte sie. »Das steht auf der Rückseite dieses A4Blattes«, fuhr Elisabeth unbeirrt fort »in deren oberen Hälfte sind die Zusatzgewinne, also der Deutsch- und der Bewerbungskurs beschrieben und in der unteren Hälfte gibt es zwei Terminabschnitte, die wir noch handschriftlich ergänzen müssen. Dazu komme ich noch. Also: Der erste Terminabschnitt trägt die Überschrift ˃Abgabetermin˂ und beinhaltet zwei leere Linien, die ich noch situationsgemäss ausfüllen werde. In die erste leere Linie werde ich den Abgabeort aufschreiben und in die nachfolgende zweite Linie den Abgabezeitrahmen. Der Abgabeort wird höchstwahrscheinlich unter einer öffentlichen Uhr in einem Hauptbahnhofgebäude sein und eine Stunde dauern.« Kirsten war vor nervöser Müdigkeit richtig blass um die Nase. Doch Elisabeth war voll in ihrem Element, ihren Auswahlwettbewerb zu erklären. »Analog zum Terminabschnitt ˃Abgabetermin˂ ist dann der letzte Abschnitt namens ˃Rangverkündigungstermin˂ gestaltet. Sobald wir einen Wirt gefunden haben, der uns am Abend des darauffolgenden Tages einen Tisch für vierzehn Personen zur Verfügung stellt, uns ein schlichtes Menu kocht und unser Vorhaben unterstützt, werde ich dessen Adresse in die erste Ortszeile schreiben. Nach der Zeitangabe folgt der Vermerk, dass es bei dieser Rangverkündigung für jede und jeden ein Abendessen gibt: Dies kann eine Riesenpfanne voll Risotto, Ravioli, Spaghetti oder was auch immer am unkompliziertesten zum Zubereiten ist, sein.« Kirsten war gnadenlos ehrlich und schüttelte den Kopf: »Also die auserkorenen Flüchtlinge werden mit Massenunterkunftsnahrung in einem à la carte-Ambiente beglückt. Das ist ziemlich frustrierend, anderen bei der Essensauslese zuzusehen. Mal ganz abgesehen von der Weinauslese.« Elisabeth dachte nach, ob sie noch sonst irgendeine positive Besonderheit an ihrem Auswahlwettbewerb hervorheben konnte. »Nun, vielleicht hast du Recht und wir können den glücklich auserkorenen auch einfach Pizza bestellen und die Rangverkündigung unter freiem Himmel durchführen. Bevor ich es vergesse: In der oberen Hälfte der zweiten Seite steht ganz explizit, dass nur zehn solche Umschläge verteilt wurden und von diesen die drei besten Aufsätze von Frauen und die drei besten Aufsätze von Männern ausgesucht werden.« Zu Elisabeths Erstaunen hörte Kirsten immer noch aufmerksam zu und schlief noch nicht auf dem kuschligen Beifahrersitz. Sie nickte und schien stattdessen nachzudenken. »Ich wusste gar nicht, dass du Arabisch kannst!«, nahm sie den Gesprächsfaden nach einer ganzen Weile wieder auf. »Den Wunsch jemanden zuerst kennen zu lernen, bevor man ihn in sein frischrenoviertes Haus einziehen lässt, kann ich ja bestens nachvollziehen«, versuchte sie, dieses nervige Rekrutierungsverfahren zu verhindern. »Aber findest du dies nicht grundsätzlich eine Menge Arbeit, die wir uns sparen können? Ich meine, ein Vertrauensverhältnis kann man doch auch nur bei einem von den Flüchtlingen selbst ausgesuchten Nachtessen in einem gemütlichen Restaurant aufbauen. Ich bin sicher, dass zwei Dreigangmenus mehr bringen als zehn trostlose ˃Eingänger˂. Das wird sie an die aktuelle Flüchtlingsunterkunft erinnern, wodurch sie sich vielleicht sogar verarscht fühlen könnten.« Sie machte eine Pause und überlegte fieberhaft, wie sie ihrer Freundin diese Schnapsidee ausreden konnte. »Ausserdem bietet das den frisch Angekommenen doch eine angenehme Englisch- oder je nachdem sogar eine angenehme Deutschübung.« - »Ich weiss, dass sich das vielleicht brutal und etwas verrückt anhört:«, erklärte sich Elisabeth weiter. »Aber ich möchte den bildungsfernen Kriegsflüchtlingen, den Vorzug geben; denn diese hatten aufgrund des plötzlichen Bürgerkriegs wahrscheinlich noch nicht die Gelegenheit, sich aus der Armut zu befreien, um Fremdsprachen zu lernen. Wenn ich meinen Wettbewerb auf Spanisch, Englisch oder gar auf Deutsch durchführe riskiere ich, hauptsächlich Wirtschaftsflüchtlinge mitzunehmen, die vielleicht gar keine Kriegsflüchtlinge sind.« Kirsten schüttelte entnervt den Kopf: »Als ob das eine Rolle spielt! Halt sofort an! Wir haben einiges zu klären!« Mit betonter Gelassenheit parkte Elisabeth ihren Audi am Strassenrand. »Um auf deine Frage zurückzukommen«, fuhr Elisabeth fort. »Ich selbst kann kein Arabisch. Ich kenne jedoch jemanden, der Inhaber einer Übersetzungsagentur ist und dies für mich erledigt- das Übersetzten und Auswerten dieses Wettbewerbes, meine ich.« - »Ist alles in Ordnung bei Euch? Ist doch noch jemandem übel geworden?«, meinte Tina besorgt, als sich mit Tati dazugesellte. »Wir haben nur Gesprächsbedarf, das ist alles. Ich und Lis müssen überprüfen, ob wir dieselbe Philosophie in dieser Mission haben: Sie will ihren Wohnraum lieber verlosen und das Geld unter anderem für einen Übersetzer ausgeben, anstatt einfach diejenigen aufzunehmen, die uns das Schicksal zuspielt«, schnaubte Kirsten. Tati und Tina tauschten einen ratlosen Blick. »Ganz ehrlich, Leute: Ich bin so ziemlich irritiert: Wusstet ihr von ihrem Selektionswettbewerb?« Die beiden nickten und sahen hilflos zu ihrer lächelnden Chefin rüber. »Ein Wettbewerb zu veranstalten, um sie auf den Leistungsdruck im Westen vorzubereiten, kann ich an sich nachvollziehen. Aber müsste der Gewinn eines solchen Wettbewerbes nicht das ganze frisch renovierte Haus sein?« - »Nein«, begann Tati zu erklären. »Ein frischrenoviertes Haus, ist mittlerweile ein Luxus geworden, den sich längst nicht mehr jede Familie leisten kann.« - »Wir sind der Meinung, dass sich jeder seinen Luxus, wie Häuser, Autos und sowas, selber erarbeiten muss und dass es ein Riesenglück ist, einen Schlafplatz inkl. Bewerbungskurs und Essen in unserer Zufluchtsoase zu kriegen«, warf Tina ein. »Ausserdem zeigt dieser Auswahlwettbewerb auch, welche Chancen jemand auf dem Arbeitsmarkt hat.« Kirsten liess nicht locker und hinterfragte weiter: »Vielleicht habe mich falsch oder zu kompliziert ausgedrückt: Ich meine es kann ja wohl nicht sein, dass man den Flüchtlingen anstelle eines eigenen Zimmers einen Schlafplatz anbietet und dies zusammen mit einem Bewerbungskurs, einem Deutschkurs und drei täglichen Mahlzeiten als Gewinn verkauft! Ich will damit sagen, dass ein Wettbewerbspreis eine Sache ist, die sich von unserem Lebensstandard positiv abheben muss. Dass wir uns heute offenbar nicht mehr einig werden, tut mir echt leid.« - »Hast du jetzt ausgeredet, Kirsten?«, baute sich Tina vor ihr auf. Diese verschränkte die Arme vor der Brust und nickte entnervt. Elisabeth stand einfach nur lächelnd daneben und sagte nichts. »Dieser Selektionswettbewerb war die Idee von mir und Tati. Du musst wissen, wir beide hatten zu Hause nie ein eigenes Zimmer! Der Zufall wollte es so, dass wir beide mit je einer Schwester und unseren teilweise hart schuftenden Eltern grossgeworden sind. Wir hätten als Jugendliche alles gegeben für einen Schlafplatz inkl. Bewerbungs- und Fremdsprachenkurs und drei ausgewogene Mahlzeiten am Tag in einem völlig fremden Land! Stattdessen mussten wir unter anderem unser Essen selber zusammenklauen, als unsere Eltern zu saufen begannen und den Drogen verfielen.« Tati schaute ihre Freundin verblüfft an: Mit dieser Ansage hatte sie ihre beiden Schicksale treffend auf den Punkt gebracht. »Wie geht's nun weiter? Falls wir hinschmeissen und nach Hause fahren will ich einfach zuerst ein paar Stunden schlafen, irgendwo tanken und was essen«, blickte Tina fragend in die Runde. Diesmal versuchte ausgerechnet die sonst so forsche Tati, die Wogen zu glätten: »Ich mache Euch folgenden Vorschlag, Ladies: Wir fahren jetzt zu unserem Hotel, checken dort ein, gönnen uns ein typisches mailändisches Nachtessen und gehen schlafen.« Sie fuhr sich dabei mit der Zunge so witzig über den Mund, dass alle auflachten und sich die aggressive Spannung in Luft auflöste. Wortlos stieg Kirsten wieder in den Audi ein und fing an zu weinen, als sich Elisabeth ans Steuer setzte und das Abenteuer weiterging.

»Vielleicht sollten wir den Auswahlwettbewerb einfach in den fahrenden Zügen durchführen«, überlegte Tina am nächsten Morgen beim Frühstück. »Hast du 'nen Knall? Da rafft doch jeder, dass wir eine illegale Aktion durchziehen.«, Elisabeth und Kirsten tauschten einen amüsierten Blick. Inzwischen kannten sie den liebevollen schwesterlichen Umgangston, den Tati und Tina miteinander hatten. »Und überhaupt: Wenn wir ständig die Strategie ändern, bringt mich das total aus dem Konzept. Lasst es uns doch so versuchen, wie wir es gestern zuletzt besprochen haben und erst dann das nächste ausprobieren«, schloss Tati. So machten sich die vier auf zum Hauptbahnhof. Trotz der Sommerhitze an diesem strahlenden Sommertag, spielten tatsächlich einige junge Typen Fussball vor der Stazione Centrale! Anstatt sich jegliche Hoffnung nehmen zu lassen, hatten sie ein Stück Asphaltfläche in Beschlag genommen und zu ihrem eigenen pflasternen Fussballfeld umfunktioniert. »Na? Ich glaube wir haben eine Open-Air-Location gefunden, in der wir unseren Auswahlwettbewerb von der Verteilung der Umschläge bis zur Rangverkündigung durchführen können, was?«, strahlte Tati. Die Lebensfreude, die diese fussballspielenden Typen in dieses asphaltierte Niemandsland brachten, mutete beim Anblick des ganzen Flüchtlingselends, geradezu mystisch an. Die vier hatten sich am Abend zuvor entschlossen, sich diese Stazione Centrale zuerst anzuschauen, um dann die Vorgehensweise gegebenenfalls anzupassen. »Du hattest Recht, mit dem was du gestern sagtest«, wandte sich Elisabeth an Kirsten. Das Elend dieser gestrandeten Menschen, liess sie ernsthaft an ihrem Auswahlwettbewerb zweifeln. »Bleibt mal bitte kurz alle stehen.« Etwas überrascht wandten sich die drei ihrer Chefin zu. »Lasst uns diese Umschläge einfach aufreissen, die Getreideriegel verteilen und wieder gehen«, meinte sie mit Tränen in den Augen. »Kirsten hatte Recht, mit dem was sie sagte. Bestimmte Leute auszusuchen und alle anderen zurückzulassen war eine gutgemeinte, aber strohdumme Idee von mir.« Sie drückte die Einkaufstasche mit den Umschlägen drin Tati in die Hand und rannte davon. Die anderen drei blickten sich sprachlos an und folgten ihr mit langsamen Schritten. Unzählige Menschen waren angekommen und warteten, bis ihre Reise in ein besseres Leben weiterging: Wer nicht gerade mit Fussballspielen abgelenkt war, sass einfach nur da und starrte ins Leere. Sie sahen Menschen, die ihre wenigen Kleidungsstücke am Brunnen wuschen, wo andere ihre Zähne putzten. Andere wiederum legten sich in den Schatten der Bäume und schienen ihre Zukunft regelrecht zu visualisieren. »Was haltet ihr davon, wenn wir die Getreideriegel schon mal verteilen?« unterbrach Tati die Stille unter ihnen. »Eines nach dem anderen«, bremste Kirsten. »Zuerst müssen wir rausfinden, was mit unserer Chefin los ist: Entweder hat sie sich etwas eingefangen und sitzt auf dem Klo, oder sie ist mit diesem Elend hier völlig überfordert«, klärte sie auf. »Ich kenne sie schon seit über zwanzig Jahren und weiss, wie nah ihr das Leid von anderen geht- manchmal eben zu nah.« Die drei setzten sich unter einen der Bäume zu einer jungen Mutter mit einem Baby auf dem Arm, das sie offenbar zu stillen versuchte. Sein älterer Bruder war allerhöchstens zwei Jahre alt und spielte mit einer leeren Chipstüte. Irgendwann wurde ihm das zu langweilig und er blickte in ihre Richtung. Entzückt stellte Tina fest, dass sie noch ein Bonbon in ihrer Hosentasche hatte und reichte es dem kleinen Strahlemann, der sich dieses gleich mitsamt dem Papier ins Mäulchen stopfte. Seine aufmerksame Mama bedankte sich lächelnd, nahm es ihm aus dem Mund und bevor er zu weinen beginnen konnte, hatte sie es ihm ausgepackt und wieder gegeben. Das Baby auf ihrem Arm schien währenddessen friedlich zu schlummern. Dies war nebst den Fussballspielern, die sich vielleicht eine Zukunft als Profifussballer ausmalten, bis dahin das einzig tröstliche, hoffnungsvolle Szenario. »Das wäre jetzt die optimale Auflockerung für unsere Elisabethchefin gewesen«, schoss es Tina durch den Kopf. Sie genoss die herrliche Aussicht aufs Fussballspiel, während die drei auf ihre Chefin warteten. Endlich klingelte Kirstens Handy, das sie sofort auf laut stellte. »Hallo du, ich bin's. Es ist nicht so, wie es aussieht«, hörte man Elisabeth am anderen Ende. »Mir ist vorhin speiübel geworden und ich musste deshalb ganz schnell aufs nächste Bahnhofsklo rennen. Ich bin bereits wieder auf dem Weg zu Euch: Mit jeder Menge Eisportionen und Wasserflaschen. Das kommt zusammen mit den Getreideriegeln bestimmt ganz gut an.« Sie ging ihrem Zufluchtsoasenteam entgegen und legte im selben Moment auf, als sie wieder dazu stiess. »Bevor wir weitermachen, hätte ich noch einen Vorschlag«, alle sechs Augen waren auf Tina gerichtet. »Lasst uns unsere Mission Stück für Stück durchziehen: Ich meine, lasst uns doch zuerst die Wasserflaschen und die Eisportionen verteilen und erst in einem zweiten Schritt, die Zufluchtsoasen-WG zusammenstellen. Wie, werde ich euch noch verraten.« Dagegen hatte niemand was einzuwenden. Sie teilten sich in alle vier Himmelsrichtungen auf, ohne einander aus ihrer Sichtweite zu verlieren und strömten aus. Es dauerte nicht lange, bis sich um jede von ihnen eine Menschentraube bildete und sie mit leeren Händen dastanden. Tina, Elisabeth und Kirsten liessen es sich natürlich nicht nehmen, ein paar Worte mit den Beschenkten zu plaudern und deren Zukunftspläne heraus zu spüren. Tati gelang es sich mit Händen und Füssen zu verständigen. Insgeheim war sie erstaunt, dass die herbeigeeilten Fussballer gelassen reagierten, weil sie nichts von der verteilten Ware abbekamen. Tina beobachtete währenddessen als einzige, wie sich eine weitere Gruppe neben das pflasterne Fussballfeld stellte und darauf wartete, auch mal spielen zu dürfen. Sie war so von der herrlichen Aussicht eingenommen, dass sie ihrer plaudernden Freundin gar nicht zuhörte. Dabei kam ihr es so vor, als hätten sich der Anführer der dominierenden Spielmannschaft und der Anführer der wartenden Gruppe einen hasserfüllten, vernichtenden Blick zugeworfen. »Dies angehenden Fussballprofis rechnen damit, dass sie bei der nächsten Verteilrunde berücksichtigt werden«, meinte Tina, die ihre eigenen Worte vor lauter Herzklopfen kaum hörte. »Du bist ganz schön blass, Kleine. Komm, wir gehen in den Schatten mit dir.« - »Wäre es nicht besser, wenn du und Tina für heute Feierabend macht und zurück ins Hotelzimmer geht?«, meinte Kirsten, als sie mit Elisabeth dazukam. Diese lächelte: »Nehmt es mir nicht übel. Aber ich habe panische Angst, dass die Fussballer, die bis jetzt nichts abgekriegt haben, sauer werden. Sie sehen uns schliesslich nicht an, ob wir im Auftrag einer unfähigen Regierung da sind oder als Privathelferinnen, die es ehrlich und gut mit ihnen meinen.« Ihre ursprüngliche Gesichtsfarbe kehrte wieder in Tinas Gesicht zurück, nachdem sie ihren Durst mit einer halben Flasche Wasser runtergespült hatte. »Es ist schon tragisch, wie hilflos man diesem Elend trotz tagelanger Vorbereitung gegenübersteht«, dachte sie bei sich, während sie weiterdiskutierten, wie ihre Mission nun weitergehen sollte. Deshalb war sie umso erstaunter, dass sie sich mit ihrem Vorschlag durchsetzte. Und so besorgten die vier eine weitere Ladung Wasserflaschen und Eisportionen und gingen diesmal damit direkt zu ihrem pflasternen Fussballfeld. Tati rief aus, dass diese Ware ˃our hard practicing football pros˂ vorbehalten sei und war überglücklich, dass ihre allererste englische Ansage gut ankam. Sie teilten die Ware unter den beiden Mannschaften gerecht auf und waren froh, dass es diesmal auf Anhieb für alle reichte. Die Sonne brannte weiterhin unbarmherzig auf ihr pflasternes Fussballfeld und sie kamen mit den Fussballspielern ins Gespräch. Einer von ihnen, der von seinen Mannschaftskollegen nur Captain genannt wurde, stellte sich als Halim Hemidi aus Damaskus vor. Während er seine Flucht nach Europa schilderte, war es Tati, die seine Mannschaftskollegen und die Spieler der gegnerischen Mannschaft beobachtete. Bis jetzt hatte ihr Tina übersetzt, dass Halim Hemidi und seine Freunde gegen eine zusammengewürfelte Truppe von Syrern, die hauptsächlich aus Aleppo stammten, spielten. Ihr kam es vor, dass dieser Halim von einem seiner Gegner mit einem hasserfüllten, vernichtenden Blick traktiert wurde und sich dabei hundeelend fühlte. Dass es sich dabei um genau dasselbe Szenario handelte, wie es Tina an diesem Tag bereits gesehen hatte, wusste sie natürlich nicht. Elisabeth schaffte es sogar, den Anführer der Mannschaft aus Aleppo ausfindig zu machen und ihm aufzutragen, die ersten fünf Wettbewerbsumschlägen unter seinen Mannschaftskollegen zu verteilen. Halim Hemidi verteilte die zweiten fünf davon im Auftrag von Kirsten. Die Syrer überliessen den Platz wieder den Äthiopiern, Eritreern und den Somalis, um ihre Wettbewerbsaufsätze zu schreiben. Um die ausgefüllten A4-Blätter gleich wieder einzusammeln, einzuscannen und dem Übersetzungsbüro mailen zu können, warteten die vier gleich vor Ort. Kirsten wies sie nochmals darauf hin, dass die sechs besten Aufsätze von ihnen mit einem Bewerbungs- und Deutschkurs belohnt werden: Der Hinweis, wonach die drei besten Aufsätze von Frauen und die drei besten Aufsätze von Männern belohnt würden, also beide Geschlechter berücksichtigt würden, sei aufgrund der hiesigen Situation hinfällig: Bevor sich Tina mit ihrem Vorschlag, sich auf die Fussballspieler zu beschränken, durchsetzte, hatten sie, Elisabeth und Kirsten unabhängig voneinander festgestellt, dass die Frauen in erster Linie an die Betreuung ihrer Kinder und nicht an den nächsten Karrieresprung auf Deutsch dachten. »Wenn das unsere Freundinnen erfahren, reissen sie uns die Köpfe ab«, seufzte Elisabeth. »Wenn mir gestern jemand gesagt hätte, dass ich mich jemals zu einer solchen Diskriminierung hinreissen lasse, hätte ich ihn geohrfeigt!« - »Das ist eben genau der Punkt, über den wir gestern Abend noch stundenlang diskutiert haben«, versuchte Tati zu trösten. »Wir können hier nicht allen edlen Auswahlprinzipien gleichzeitig gerecht werden- sonst sind die ersten hier verhungert oder verdurstet, bis wir die gerechteste Auswahl unter ihnen getroffen haben. Was wir hier machen, ist ein riesiger Tropfen auf den heissen Stein, auf den wir stolz sein können, finde ich.« Die Wartezeit war äusserst aufschlussreich fürs Zufluchtsoasenteam: Die vier stellten fest, dass sich nicht jeder dieser auserkorenen fussballbegeisterten Glücksritter dazu motivieren konnte, einen solchen Aufsatz zu schreiben: Dass sich die zehn untereinander ausmachten, welche sechs erfolgreich beim Wettbewerb teilnehmen und welche vier es bereits zum vornherein bleiben lassen sollen, konnten sie nachvollziehen. Aber dass gleich zwei von ihnen den Umschlag dankend aufrissen und in die nächste Mülltonne schmissen, nachdem sie den Getreideriegel rausgeholt hatten, frustrierte sie schon. »Wenn ich mich so aufgeführt hätte, hätte man mir wohlmöglich eine geknallt«, flüsterte Tati, worauf Tina verständnisvoll kicherte. Elisabeth und Kirsten waren dieses Mal gerade fürs Team einkaufen gegangen und die beiden anderen waren heilfroh, dass sie dieses nicht mit ansehen mussten. Ein anderer fing zwar mit schreiben an, stellte dann aber fest, dass sein Kumpel dieselbe Idee hatte und viel schneller fertig war als er. Und so entsorgte auch er den ganzen Umschlaginhalt bis auf den Getreideriegel, den er jedoch für später aufbewahrte. »Das wäre bei uns damals in der Schule im Kampf um Stipendien oder im Turnverein nicht anders gewesen«, meinte Elisabeth, als sie dieses zwei weitere Male beobachtete. »Unter Gleichgesinnten gibt es eben auch viele ähnliche, bis identische Zukunftspläne.« Tina und Tati tauschten einen verzweifelten, fragenden Blick, als nur noch die beiden Fussballmannschaftsanführer, Captain Halim Hemidi und Captain Jussuf Al Zeno, ihre Wettbewerbsaufsätze abgaben. Die vier waren sich einig, dass der Abgabe- und der Rangverkündigungstermin hinfällig geworden waren. Um die Selfmadesieger noch etwas besser kennen zu lernen, luden sie die beiden zu einer Sightseeing-Touritour und zum anschliessenden Pizzaessen ins Restaurant in ihrem Hotel ein. Über die Tatsache, dass dies dieselben potenziellen Streithähne waren, die sich am selben Tag auf dem Spielfeld die wütendsten Blicke zuwarfen, schwiegen sich Tati und Tina jedoch aus. Dafür schilderten Halim und Jussuf umso lebhafter ihre Flucht übers Mittelmeer: Halim wurde von der deutschen Marine aufgegriffen, nachdem das Schlepperboot gekentert und er schätzungsweise vierundzwanzig Stunden lang im Meer herumgetrieben war. Seine Schwimmweste habe er zuvor einem Kind gegeben, das trotzdem von einer besonders starken Strömung weggetrieben und wie die meisten anderen Passagiere ertrunken war. Um Kräfte zu sparen, habe er sich in den ersten Stunden darauf konzentriert, ganz flach und ruhig mit dem Rücken auf dem Meer zu liegen und den Himmel zu beobachten. Irgendwann habe er einfach begonnen, in Richtung Europa zu schwimmen und dabei gebetet, dass ihn ein Rettungsboot der europäischen Küstenwache finden und retten würde. Er danke Allah, seinem Gott noch heute dafür, dass er seine Gebete erhörte und er zusammen mit ein paar anderen, gerettet und ins Krankenhaus gebracht wurde. »Woher kennt ihr beide euch? Seid ihr schon zusammen in die Schule gegangen?«, wollte Tati wissen und liess sich diese Frage von Tina auf Englisch übersetzen. Die beiden schienen sich auf Arabisch zu beraten, wobei Jussuf in einer Tour grinste und Halims Gesicht immer ernster wurde. Kirsten meinte, dass es absolut okay ist, wenn sie nicht alles erzählen wollten und wechselte gekonnt das Thema.

Halim stand auf, um auf Toilette zu gehen, worauf ihm Jussuf folgte. »Ich weiss gar nicht, was die Nazis immer zu motzen haben«, witzelte Tati »sie sind über den Westen schon so gut informiert, dass sie wie zwei beste Freundinnen zu zweit aufs Klo gehen.« Während die Ladies über dieses Seitengespräch rätselten, lief es zwischen den beiden Herren weniger zivilisiert ab: Halim packte Jussuf am T-Shirt und drückte ihn gegen die Wand: »Hör zu Freundchen«, meinte er sinngemäss auf Arabisch »Nur weil du besser Fussball spielst und schöner grinsen kannst als ich, heisst das nicht, dass ich mit dir zu tun haben will, klar?« Er liess ihn selbstverständlich los, als ein anderer den Raum betrat. Man hätte die Spannung zwischen ihnen schneiden können. Jussuf verschränkte grinsend die Arme vor der Brust und setzte die Unterhaltung auf Arabisch fort: »Glaub mir, Halim. Ich freue mich genauso wenig über unsere Wiedersehen wie du. Aber was willst du dagegen machen? Hier befiehlt nicht mehr deinesgleichen. Drum werden wir uns irgendwann im Knast ganz schrecklich liebhaben müssen.« Er duckte sich vor seinem Fausthieb. Als die beiden Streithähne im Korb wieder bei ihren Ladies am Tisch Platz nahmen und weiterhin auf beste Kumpels machten, war Jussuf daran, seine Geschichte zu erzählen: Er sei mit einem alten Bekannten dermassen aneinander geraten, dass er von diesem gepackt und über Bord geworfen wurde, bei seinem ersten Fluchtversuch. Immerhin sei das Schlepperboot noch nicht allzu weit vom Startufer gewesen und er sei wieder zurückgeschwommen. Seinen zweiten Fluchtversuch habe er mit selbstgefälschtem Falschgeld bezahlt, das er in seiner früheren Unterkunft zusammen mit seinen Freunden fabriziert hatte. Seine Freunde hätten ihm erzählt, dass ihre Falschgeldfabrik einen Tag später zerbombt wurde, nachdem ihm die Flucht geglückt sei. Daher sei er wohl der einzige glückliche von ihnen, der sich den Traum vom besseren Leben in Europa erfüllen könne. Wenn nicht gerade Krieg sei, sei er ein absolut anständiger Mensch und würde niemals Geld fälschen, oder sonstige Verbrechen begehen, begann er sich zu rechtfertigen. Aber wenn plötzlich Freunde und Brüder spurlos verschwinden, nur weil dem Regime ihre Meinung nicht passe, dann sei es Zeit zu gehen. Er sei es schliesslich nicht gewesen, der diesen Bürgerkrieg angezettelt habe. Er kam aus dem breiten Grinsen nicht mehr heraus, als er diesen letzten Satz aussprach.

Am Ende dieses aufregenden Tages versprachen sie den beiden, dass sie sie übermorgen in aller Früh, auf ihrem pflasternen Fussballplatz, abholen und in die Zufluchtsoase bringen würden. Halim und Jussuf konnten ihr Glück natürlich nicht fassen und bedankten sich abermals, bevor sie sich wie zwei Freunde auf den Heimweg machten. Als sie ausser Sichtweite ihrer vier rettenden Engel waren, bogen sie in eine düstere Seitengasse ein und gingen mit den Fäusten aufeinander los. Es dauerte keine fünf Minuten, bis jeder von ihnen seine Fangemeinde an seiner Seite hatte, die ihn lautstark zum weiterprügeln anspornte. Wer den Kampf der beiden zu schlichten oder zu beenden versuchte, wurde selber mit den Fäusten traktiert und so artete diese Heimkehr in eine riesige Massenschlägerei aus. Als Halim am Boden lag, setzte sich Jussuf auf ihn und schlitzte ihm mit einem Messer die Kehle durch. Das Blut spritzte in alle Himmelsrichtungen und alle stürzten sich auf den ihn. Doch Jussuf' s Freunde schafften es, ihn wegzuzerren und die prügelnde Meute solange zurückzudrängen, bis er fliehen konnte.

Mitten in der Nacht klingelte Tinas Handy. Ohne der Tati etwas zu erklären, hörte sie zu, legte auf und rannte an die Hotelrezeption. Sie nahm sich nicht mal mehr Zeit, sich etwas überzuziehen und überredete die Empfangsdame, ihren Lover vor, der blutüberströmt und völlig erschöpft vor der Glastür stand, hereinzulassen. Zu ihrer Überraschung standen die anderen drei bereits angezogen und mit gepackten Koffern da, als sie mit Jussuf ins Zimmer zurückkam. Dann ging alles ganz schnell: Während sich auch Tina anzog und ihren Koffer ergriff, checkte Elisabeth ob er sich irgendwelche gefährlichen Verletzungen zugezogen hatte. Sie nickte in die Runde, die fünf stürzten zum Hotel hinaus auf den Parkplatz, setzten sich in ihre Autos und brausten los. Bis sie sich durch den nächtlichen Verkehr aus der Stadt gekämpft und auf der Autobahn angelangt waren, sagte keiner von ihnen ein Wort. Dann rief Kirsten, die sich gemeinsam mit Tati im Audi hinter ihnen dreien befand an, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Wie immer in solchen Situationen, stellte Elisabeth das Handy auf laut. Obwohl Jussuf noch kein Wort Deutsch verstand, erfasste er sofort, dass die Rede nur von Halim sein konnte. Er bat Elisabeth, auf keinen Fall anzuhalten oder umzukehren und einfach weiterzufahren. Dann deutete er Tina, ihm das Handy zu reichen, damit er alles erzählen könne. Diesem Hamid Hemidi sei er in Damaskus das erste Mal begegnet. Wie viele andere seiner Landsleute in Syrien, habe auch er sich gegen die Regierung aufgelehnt und demonstriert. Weil er nicht nur jammern und träumen, sondern auch etwas habe bewegen wollen, habe er sich gemeinsam mit seinen Freunden den oppositionellen Sunniten angeschlossen. Doch eines Nachts sei er von den regimetreuen Assad-Milizen, den sogenannten Schabiha, entführt und monatelang mit Elektroschocks gefoltert worden. Bevor er weitererzählte, liess er das Fenster runter und spuckte auf die Strasse. Diese Schabiha-Miliz hätte das Assad-Regime systematisch dabei unterstützt, den Hass auf die sunnitischen Muslime zu schüren- und dass obwohl sie die Mehrheit der Bevölkerung seien. Und dieser Hamid Hemid sei nicht nur irgendein Schabiha-Soldat, sondern auch sein ganz persönlicher Folterknecht gewesen. Er habe sich geschworen, dass er diesen eigenhändig umbringen werde, sollte er ihm jemals wieder begegnen.

Plötzlich fasste sich Elisabeth an die Brust und liess die Scheibe runter, um sich zu übergeben. Noch bevor Tina ins Steuer fassen und dieses rumreissen konnte, geriet ihr grauer Audi auf die Gegenfahrbahn und knallte mit voller Wucht in einen Lastwagen hinein. Der LKW-Fahrer sprang sofort aus der Fahrerkabine um zu helfen. Tati und Kirsten taten es ihm gleich. Doch bevor sie eine Scheibe einschlagen konnten, wurden sie von der Tankexplosion zu Boden geschleudert. So mussten sie hilflos mit miterleben, wie ihre Freunde mitsamt dem Auto bei lebendigem Leib verbrannten.

Nachdem auch Leonie von dieser Tragödie erfahren und den Breuers den ersten Trost gespendet hatte, wurde ihr erst richtig bewusst, dass das Leben mit einem Schlag zu Ende gehen kann. Diese Erkenntnis machte ihr Angst, denn bis jetzt hatte sie geglaubt, dass solche Schicksalsschläge nur diejenigen treffen, die sie verdienen. »Es gibt offenbar höhere Mächte, die einem daran erinnern, nicht das letzte Wort zu haben auf dieser Welt«, hatte sie ein paar Stunden zuvor geweint. Trotz allem wurde es Nacht und sie lag schlaflos im Bett. Sie griff nach ihrem Handy und begann über ihre derzeitigen Beschwerden zu recherchieren. Zuerst konnte sie gar nicht weinen, als ihr bewusst wurde, dass sie sowohl an einer ganz normalen, immer wiederkehrenden Grippe, als auch an Leukämie erkrankt sein könnte. Erst als sie diese Infos mehrmals durchgelesen hatte, wurde sie von Weinkrämpfen geschüttelt. Weil sie sich während der Pubertät angewohnt hatte, jeweils leise zu weinen, bekam dies bei ihr zu Hause niemand mit. Ausserdem war sie der Meinung, dass ihre Todesängste das Letzte waren, was ihre besten Freunde jetzt gebrauchen konnten. Deshalb fasste sie den Entschluss, niemanden anzurufen. Sie wollte dieser Sache so wenig Raum wie möglich geben und schwor sich, schon mal nach einem geeigneten Knochenmarkspender zu suchen.

Die lähmende Traurigkeit, die grenzenlose Ohnmacht und der ganze zusätzliche Organisations- und Administrationsaufwand, der ein Todesfall so mit sich bringt, drohte Mathea, Jutta und Kirsten aus der Bahn zu werfen: Um dies zu verhindern, bat Mathea' s Mann Marc seinen Vorgesetzten, einen Teil seiner Überstunden kompensieren zu dürfen. Wie durch ein Wunder konnte er sich während einer Woche um seine Frau und deren Freundinnen kümmern, worauf sie wieder in den Alltag zurück fanden.

Wenn es ihre vollen Terminkalender zugelassen hätten, wären sie mit derselben Power an die Realisierung vom Zufluchtsoasenprojekt gegangen. Glücklicherweise erhielten die drei Freundinnen prompte Unterstützung: Victor, Mathea' s Sohn hatte sich in den Kopf gesetzt, gemeinsam mit seinen Freunden, Fluchthilfe zu leisten, bevor deren Sommerferien vorbei waren und für sie der Unialltag wieder losging. Und so liehen sich Victor, Cem und Leonie je ein Auto und machten sich über die selbe Route auf, zum Stazione Centrale in Mailand und liessen sich ihren letzten gemeinsamen Abend durch den Kopf gehen:

Bevor sie losfuhren, um dieses Vorhaben mit allen Konsequenzen durchzuziehen, hatten sie sich noch zu einer ausführlichen Besprechung auf das friedliche leere Zufluchtsoasengelände zurückgezogen: Sie waren sich schnell einig, was sie aus Tante Lis' s Konzept übernehmen wollten. »Die Idee, einen Umschlag mit der Aufschrift ˃Money to pay the Checkoutbill˂ zu versehen, darin das Bargeld für die Checkoutrechnung zu verstauen und aufs Kopfkissen zu legen, wenn man überraschend abhauen muss, finde ich super«, meinte Leonie. »Der Auswahlwettbewerb finde ich dagegen von diskriminierend bis verhältnisblödsinnig«, schloss sie. »Es macht keinen Sinn, mehr als allerhöchstens sechs Personen hier unterzubringen«, warf Victor ein: »Der Kapitalismus ist schuld daran, dass wir nur sechs angenehme Schlafplätze anbieten können- nicht wir. Darum ist es einmal mehr das System, das andere diskriminiert-nicht wir», schloss er. »Jede Zivilisationsgesellschaft braucht ein System. Tragisch ist nur, dass der Menschheit noch immer nicht gelungen ist, ein solches gerechtes System zu entwickeln. Trotzdem haben wir die Pflicht, diese Menschen in unsere Zivilgesellschaft zu integrieren, und zwar möglichst schnell«, sinnierte Cem. »Wie würdet ihr beide eigentlich Zivilgesellschaft definieren?«, wollte Leonie wissen. »Unter einer Zivilgesellschaft verstehe ich eine heterogene oder homogene Menschengruppe, die sich im Bezug auf das tagtägliche Miteinander und Nebeneinander auf ein allgemein gültiges und immerwährendes Rechtsystem geeinigt hat und daraus ihre rechtsstaatlichen Organe daraus ableitet«, strahlte Cem wie aus dem Maschinengewehr geschossen. »Wow, du hast dir echt Gedanken darüber gemacht«, staunte Victor. »Ein Jusstudent hätte es nicht schöner sagen können. Dem kann man, beziehungsweise frau, sich deiner Definition ausschliesslich anschliessen.« Cems Augen leuchteten vor Begeisterung. »Ja, ich habe mir tatsächlich das Gehirn zermartert: Ich habe nämlich noch zwei Vorschläge: Erstens müssen wir immer noch dafür sorgen, dass die Nazischweine nie wieder Einfluss gewinnen....« - »Ich wüsste nicht, wie das diesen halbstarken Vollidioten jemals wieder gelingen sollte. Ich meine, ich sehe jetzt gerade überhaupt keinen Zusammenhang zu unserer Sache hier«, unterbrach ihn Victor. »Diese Gefahr kommt folgendermassen zustande«, fuhr Cem fort: »Die Menschen kommen hierher und müssen sich mit einer brandneuen wildfremden Kultur und Sprache auseinandersetzen. Weil das ganze seine Zeit braucht, werden sie auf Unterstützung angewiesen sein. Wenn sie jedoch dermassen traumatisiert sind von der Flucht, dass sie damit überfordert sind, könnten sie ausrasten und unerlaubte Dinge tun: Und jede Straftat ist Wasser auf die Mühle von Neonazis, da sind wir uns doch hoffentlich einig....« - »Wie willst du das ändern?«, lachte Victor. Cem nahm eine Münze in die Hand. »Erstens sollten wir Leute einer Religion aufnehmen. Wenn ich diese Münze aufwerfe und sie mit dem Kopf zum Himmel auf den Tisch fällt, dann nehmen wir Christen auf. Andernfalls nehmen wir Muslime auf. So haben wir die Entscheidung dem Zufall überlassen.«

Schliesslich kamen die drei an, checkten für eine Nacht im selben Hotel wie ihre »Vorgängerinnen« ein und mischten sich am nächsten Tag in aller Früh unter die Flüchtlinge. Sie redeten nicht lange um den hiessen Brei und sprachen den erstbesten jungen Typen, den sie allerhöchstens in ihrem Alter schätzten, an. Dann erteilten sie diesem Mehmet den Auftrag, zwei weitere Männer und drei weitere Frauen in seinem Alter auszusuchen, die mit ihnen weiter nach Norden flüchten sollten. »Damit ihr in eurer neuen Heimat möglichst schnell glücklich werdet, habe ich euch bereits den ersten Vertrag mitgebracht«, drückte ihm Cem einen dünnen Stapel Papier und eine Hand voll Kugelschreiber in die Hand. »Auf diesen Blättern hier sind die wichtigsten Infos für den Alltag enthalten. Unter anderem auch die absolut wichtigsten und sinnvollsten Regeln übers Zusammenleben. Wenn ihr dieses Blatt zuunterst unterschreibt, zeigt ihr, dass ihr versprecht diese Regeln einzuhalten und bekommt dadurch schneller gute Jobs«, fuhr Cem auf Arabisch fort. Obwohl diese ersten Verträge alle ebenfalls auf Arabisch abgefasst waren, erkundigte sich Mehmet lachend, was denn geschrieben stehe, was sie noch nicht über den Westen wüssten. »Das beginnt damit, dass Frauen und Männer genau dieselben Rechte und Pflichten haben...« Mehmet runzelte verwundert die Stirn während Cem weitererklärte »...das nennt man im Westen Gleichstellung. Ein weiterer riesiger Unterschied ist, dass jeder sagen, denken, und machen darf was er will- solange er andere nicht daran hindert, dasselbe zu tun. Das ist so das Wesensmerkmal einer westlichen Demokratie«, schloss er. Mehmet sah immer noch wie ein Fragezeichen aus: »Ist das nicht chaotisch, wenn alle alles dürfen?« Sie lachten alle, als Cem diesen Satz übersetzte. »Damit alles seine Ordnung behält, gibt es einige Regeln, da mach dir mal keine Sorgen«, erklärte Cem. »Weisst du was, mein Freund? Lies es doch einfach durch, denk drüber nach, verteil es deinen fünf besten Freunden und unterschreibe es, wenn es dir gefällt. Ein kleiner Tipp: Das alles sind Verhaltensregeln, die auch in der Luxusunterkunft gelten, in die wir euch bringen werden«, schloss er.

Keine Stunde später waren sie alle beisammen: Mehmet, seine Brüder Aadan und Mehdi und die drei Mädchen namens Aahoo, Nabila und Naahid. Sie hatten wesentlich mehr Glück: Ohne auch nur ein einziges Mal angehalten zu werden, kamen sie nach einer zehnstündigen Autofahrt in der Zufluchtsoase an.

Die Zufluchtsoase

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