Читать книгу Ich möchte freundlich behandelt werden - Wilfried Kochhäuser - Страница 4

Оглавление

Wie wende ich dieses Buch an?

„Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“

Immanuel Kant

Vieles von dem, womit ich den Leser in Kontakt bringe, mag zunächst entfernt von unserer Alltagserfahrung erscheinen. Ich werde in diesem Buch Gefühle als fest verankerte Steuerungsimpulse innerhalb "unserer Gruppe" einordnen. Unsere Gefühle sind vielfach mit Handlungsimpulsen verschmolzen, die uns einen möglichst sicheren Platz in unserer sozialen Gruppe sichern sollen.

Denn außerhalb der Gruppe lauert für das „Beutetier Mensch“, zumindest sozial und emotional, der Tod. Innerhalb der Gruppe sind die Spielregeln vorgegeben. Ich muss innerhalb der Gruppe kämpfen, wenn ich aufsteigen und somit weniger durch andere dominiert werden will. Und ich muss mich unterwerfen, wenn ich einen Kampf verliere oder befürchte zu verlieren, denn sonst bin ich draußen. Für Zwischentöne gibt es, so wie die Evolution unser emotionales Gehirn über Jahrtausende entwickelt hat, keinen Platz. Entsprechend machtvoll sind die zugehörigen emotionalen Handlungsaufforderungen. Rasch überwältigend wird die Hilflosigkeit, wenn ich versuche, diesen Gefühlen entgegenzuhandeln oder sogar nur innezuhalten und nicht sofort auf meine Umwelt zu reagieren. Zu allem Überfluss halten wir wir uns heute zudem in sehr vielen unterschiedlichen Gruppen parallel auf. Da sind unsere Partner und vielleicht Kinder, der Freundeskreis, die Herkunftsfamilie, die Fahrgemeinschaft, der Straßenverkehr, die Arbeitsstelle – die dann mit Konferenzen, Meetings, Außendienst usw. wieder verschiedene Gruppen beinhaltet. Jeder kann das für sich individuell fortsetzen mit Sportvereinen, Elternabenden und Nachbarn. Für diese Komplexität an ständig wechselnden sozialen Gruppenbeziehungen wurde dieses „System zur sozialen Sicherung“ nicht entwickelt. Das Gehirn unserer Vorfahren kannte innerhalb seiner Gruppe in aller Regel vielleicht einige Dutzend Menschen persönlich und alle nicht bekannten Gesichter lösten, als potentielle Feinde, rasch Bedrohungsgefühle aus. Ich werde erlernbare Techniken vermitteln, um öfter aus Machtkämpfen auszusteigen, die in unserer heutigen Lebensumwelt keinen Sinn machen und unnötig Kraft kosten. Die Beschäftigung mit solchen Techniken wird meistens jedoch erst dann in Gang kommen, nachdem wir überhaupt bemerkt haben, dass etwas nicht oder nicht mehr richtig funktioniert.

Wie kann ich bemerken, dass ich gerade etwas mache, was nicht gut funktioniert?

Wie kann ich produktiv mit der entstehenden Hilflosigkeit umgehen, wenn ich aus einem Machtkampf aussteige? Denn mein uraltes Gehirn wird mir zuschreien: „So hast Du auf jeden Fall verloren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren!“ Für die notwendigen Veränderungen zeige ich Techniken, die jeder lernen kann. Dafür wird kein Hochschulabschluß benötigt - jedoch Mut - was aus meiner Sicht schwieriger zu erlangen ist. Aber auch Mut kann ich mit diesem Buch „üben“. Erst nachdem wir Techniken erlernt haben, um nicht sofort zu handeln, können wir die Strategien aus den nächsten Kapiteln zunehmend sicherer anwenden. Wenn ich in einem Konflikt lerne, intensiv auf mich und meinen Körper mitsamt seinen emotionalen Reaktionen zu schauen, dann werde ich zunächst „Angst“ in mir feststellen. Es wird aber im Laufe des Buches durchaus nicht nur um die reine Verteidigung gehen, sondern auch um die neu gewonnenen Freiheiten zur Umsetzen eigener Wünsche und Ziele. Verteidigung ist somit nicht alles - aber ohne funktionierende Verteidigung ist alles nichts. Deshalb geht es darum, die Verteidigung funktionieren zu lassen. Wenn ich weiß, dass meine Verteidigung funktioniert und ich gleichzeitig akzeptieren kann, was für mein Gehirn weiterhin paradox bzw. "gefährlich" erscheint, habe ich neue Freiheiten gewonnen. Mich so deutlich zu machen, dass ich mehr von dem bekomme, was ich mir wünsche. Ein wichtiges Ziel ist Leichtigkeit, die mich hinter der Freiheit erwartet. Freiheit strengt nicht an, sondern Unfreiheit macht müde. Nicht mutiges Handeln brennt mich aus, sondern wenn ich in meiner Angst stecken bleibe.Dieses Buch beschäftigt sich mit Verhaltensabläufen, die uns oft nicht bewusst sind, dies macht einen durchgängigen "technischen Aufbau" schwierig. Weil jeder Mensch unterschiedliche Gewohnheiten und Fähigkeiten aufweist, sich neuen Herausforderungen anzunähern, ist dieses Buch auch für unterschiedliche Lerngewohnheiten konzipiert. Es hat somit keinen rein logischen Aufbau und ist eher vergleichbar mit einem Kochbuch. Zum Beispiel mit einer Einführung in grundlegende Küchentechniken, gefolgt von der Vorstellung landestypischer Zutaten und einem gewissen kulturellen Hintergrund. Vielleicht macht ein einzelnes Rezept dann Appetit und Sie beginnen mit dem Experimentieren. Manche Menschen mögen aber keine Rezepte und lassen sich durch ein Kochbuch ausschließlich inspirieren. Sie arbeiten dann „nach Fehler und Irrtum“ - auch das ist mit diesem Buch machbar.

Wäre es mir möglich gewesen, dieses Buch logisch zu schreiben, dann hätte ich nicht den Vergleich mit einem Kochbuch herangezogen, sondern eher etwas wie eine „Aufbauanleitung“ für das Leben, ähnlich einer Gebrauchsanweisung für Ikea-Regale. Das wäre meiner Ansicht nach ein absurder Versuch, aber so sind Ratgeberbücher häufig aufgebaut. Mit der Illusionen: Wenn ich bestimmte Techniken oder Einzelbausteine nutze, dann wird sich auf einen Schlag mein ganzes Leben zum Guten ändern. Insofern hoffe ich auf Neugierde und die Wirkung von Appetithäppchen, die Lust auf mehr machen, aber nicht immer leicht verdaulich sind. Im letzten Kapitel findet sich eine komprimierte Zusammenfassung in Form eines „Arbeitsbuches“ im Buch. Vieles ist zum Teil ohne die vorher gelieferten Hintergrundinformationen nicht oder nicht vollständig verständlich. Und trotzdem bietet dieses Kapitel denjenigen eine Einstiegsmöglichkeit, die lieber sofort praktisch anfangen. Insofern kann jeder „Lerntyp“ dieses Buch unterschiedlich nutzen. Für viele Menschen wird die Theorie erst verständlich, wenn sie "greifbar“ Anschluss an das eigene Erleben gefunden hat. Ich habe viele Geschichten auch meinem eigenen Leben und dem meiner Patienten entnommen. Mir ist aufgefallen, dass sich vieles davon universell in unser aller Leben zuträgt. So sind aus Geschichten "Prototypen" geworden, die ich auch zum Schutz der Persönlichkeit vieler verschiedener Menschen verfremdet und daher in der "Ich-Perspektive" geschrieben habe. Es wäre also falsch zu behaupten, dass diese Geschichten frei erfunden sind und an keiner Stelle mit der Realität zu tun hätten. Im Gegenteil, ich hätte sie ohne meine Einblicke in das Leben vieler Menschen nicht schreiben können. Sie bilden ab, was die Realität in unserem Leben ist:

Die Hilflosigkeit in kleinen und großen Machtkämpfen - ob wir diese nun selbst angezettelt haben oder sogar (selten genug) ganz ohne unser Zutun hineingezogen wurden.

Ich möchte freundlich behandelt werden

Подняться наверх