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Aufbruch nach Osten – Eine Reise ohne Wiederkehr

Im Frühjahr 334 v. Chr. versammelte sich in der makedonischen Residenzstadt Pella ein großes Heer aus Makedonen und Griechen, aus Bundesgenossen und Söldnern, aus Bauern und Bürgern, Fußsoldaten und Reitern. Insgesamt wurden rund 35 000 gezählt. Die Zahlen differieren schon in der Antike. Der Kern des Heeres erreichte acht Jahre später den Fluss Hyphasis am Rand des Pandschab und damit den östlichsten Punkt des Zuges, an dem Alexander wider Willen die niemals vollendete Heimkehr antrat. Von Indien und seinen Flüssen besaß niemand in Griechenland etwas anderes denn nebulöse Vorstellungen. Es war ein Sagenland. Aristoteles vermutete dort allenfalls den Rand der Erde.

Die erste große Frage, die der Ostzug Alexanders aufwirft, ist damit die nach seinen Zielen. Sicher ist nur, dass sie wechselten. Als Alexander 334 aufbrach, wusste er noch nicht, dass ihn sein Weg zum Indus und darüber hinaus führen würde. Er war zunächst noch ein schwacher König, selbst wenn er nach der Thronbesteigung Stärke bewiesen und Härte gezeigt hatte. Mögliche Thronkonkurrenten waren beseitigt, rebellische Balkanstämme befriedet, Aufstandsversuche in Griechenland erstickt worden. Mit der Zerstörung Thebens hatte Alexander ein Exempel statuiert, das den meisten Griechen jegliche Lust am Widerstand vergällte. Doch im Innern waren viele makedonische Adlige nicht bereit, ihn als König zu akzeptieren. Er überstand die schwierigen Anfänge nur, weil ihn Philipps Generäle schützten, denn sie wollten Thronwirren vermeiden. Gegen ihren Widerstand konnte Alexander keine größere Unternehmung planen. Alles, was ihm an hochfliegenden Plänen bereits für diese Zeit unterstellt wird, sind spätere Erfindungen.

Alexander und Diogenes

Die Griechen versammelten sich auf dem Isthmos von Korinth und fassten den Beschluss, mit Alexander den Feldzug gegen die Perser zu unternehmen, und wählten ihn zum obersten Befehlshaber. Daraufhin kamen viele Politiker und Philosophen zu ihm und gratulierten ihm, und Alexander nahm an, auch Diogenes von Sinope, der in Korinth lebte, werde das Gleiche tun. Da dieser aber […] keine Notiz von Alexander nahm […], ging er selber zu ihm. Als er kam, lag Diogenes gerade in der Sonne. […] Alexander […] begrüßte ihn und fragte, ob er eine Bitte an ihn habe. Darauf entgegnete Diogenes: ‚Geh mir nur ein wenig aus der Sonne.‘ Alexander soll davon sehr beeindruckt gewesen sein und den Stolz und die Grö8e des Mannes, der ihn mit solcher Nichtachtung behandelt hatte, so sehr bewundert haben, dass er, während seine Begleiter beim Weggehen lachten und spotteten, sagte: ‚ Wahrhaftig, wenn ich nicht Alexander wäre, dann möchte ich wohl Diogenes sein!‘“

(PLUTARCH, Alexander 14.)

Ob Alexander den damals berühmten Diogenes und seine Tonne in Korinth tatsächlich gesehen hat, lässt sich nicht entscheiden. Der Wortwechsel ist auf jeden Fall eine Erfindung der alexanderkritischen Philosophenschulen, die wenigstens einmal den Sieg der Weisheit über die Macht feiern wollten.

Die angebliche Antwort Alexanders dürfte ein schwacher Zusatz der Bewunderer des Königs sein, mit der ein Ausgleich nicht zu erzielen ist. Die ganze Anekdote krankt etwas daran, dass im heißen Griechenland selbst der Schatten eines Esels teuer bezahlt werden musste.

Nach den langen Feldzügen Philipps war die makedonische Kasse leer. Alexander übernahm von seinem Vater nicht nur die Herrschaft, sondern auch runde 500 Talente Schulden, die er alsbald auf 1300 erhöhte. Nach zwei weiteren Jahren Herrschaftskonsolidierung mit ständigen Rüstungen stand Makedonien vor dem Staatsbankrott. Massenversklavungen wie die der Einwohner von Theben hatten den Staatsschatz nur kurzfristig saniert, 334 betrug das Minus noch immer 200 Talente. Nun war das Heer, das in Pella zusammenkam, auszurüsten und zu verköstigen. Die Söldner forderten Geld, und den griechischen Verbündeten war vertraglich Entlohnung zugesagt. Mit den kümmerlichen 70 Talenten, die die Kriegskasse aufwies, und einer Verpflegung, die gerade für 30 Tage reichte, kam Alexander nicht viel weiter als bis zum Hellespont.6 Er konnte den Feldzug überhaupt nur wagen, da er bereits seit Längerem vorbereitet worden war. Schon Philipp hatte ein Vorauskommando nach Kleinasien entsandt, und trotz persischer Gegenwehr hielten die Makedonen noch zwei Brückenköpfe auf der asiatischen Seite des Bosporos. Das Unternehmen war logistisch und auch propagandistisch schon weit gediehen. Philipp hatte den Plan bereits im Frühjahr 337 offiziell verkündet, und Alexander konnte davon nicht zurücktreten, selbst wenn ihn der Zwang, die Kassen zu füllen, nicht zusätzlich zum Handeln gezwungen hätte. Der Weg nach Osten war also vorgezeichnet, der Feldzug nach Asien, das heißt nicht weiter als bis nach Kleinasien, ist Philipps Erbe. Alexander plante zunächst keinen Zug über den Halys hinaus, den Fluss, der im 6. Jahrhundert das Lyder- vom Perserreich abgrenzte und bis zu dem der Gebietsanspruch der Griechen traditionell reichte. Genau genommen plante Alexander – von logistischen Maßnahmen abgesehen – gar nicht. Unübertroffen knapp hat der Alexanderbiograph W. W. Tarn die Motive für Alexanders Aufbruch nach Osten formuliert: Er tat es, weil er nicht daran dachte, es nicht zu tun.7

Die Begründung, die Alexander seiner Expedition gab, war ohne Originalität und zudem keine Begründung. Sie geht auf die Zeit der ersten persischen Angriffspläne Philipps zurück, das heißt bis in die Vierzigerjahre, als dieser ein Abkommen mit dem Regenten von Atarneus, einer kleinasiatischen Polis, schloss. Alexander wollte wie sein Vater Rache nehmen für die Zerstörung griechischer Heiligtümer durch den Großkönig Xerxes. Dazu propagierte er die Befreiung der kleinasiatischen Griechenstädte vom Joch persischer Tyrannei. Wann immer, wenn Makedonen, Athener oder Spartaner von Befreiung sprachen, meinten sie aber Herrschaftswechsel. Und so musste auch Alexander später die Städte, denen er die Freiheit schenken wollte, erst erobern.

Am Hellespont

Drei Wochen nach seinem Aufbruch aus Pella erreichte Alexander etwa Mitte April die Dardanellen, die Meerenge, die Asien und Europa trennt. Der Hellespont war, seit Herodots Historien Anfang der Zwanzigerjahre des 5. Jahrhunderts erschienen waren, als Grenze zwischen Asien und Europa (nicht zwischen Hellenen und Persern) im Bewusstsein der Griechen verankert. So klingt es plausibel, wenn der Historiker Pompeius Trogus später erzählt, Alexander sei von ungeheurer Begeisterung erfüllt gewesen, als er von Sestos aus, gelegen an der engsten Stelle des Hellespont, zum ersten Mal asiatisches Land erblickt habe.8 Es ist nicht der Moment, in dem Alexander die Eroberung des großen Perserreiches, dessen Dimensionen er gar nicht kannte, in den Sinn kommt, aber es ist der Moment, in dem er sich sichtbar aus dem Schatten des Vaters löst.

Schon Philipp verstand es, sich werbewirksam der Vergangenheit zu bedienen, nun aber trug die Propaganda eine neue Handschrift, die des Historikers Kallisthenes. Sie zielte auf die griechische Öffentlichkeit, denn was Alexander nun tat, gab er vor, im Auftrag und zum Nutzen der Griechen zu tun. Die Konflikte zwischen Griechen und Barbaren, angefangen vom Kampf um Troja, waren lebendig. Die drei damals meistgelesenen Schriftsteller, Homer, Herodot und Xenophon, berichteten von ihnen, und die Griechen lasen es gern, denn es war eine Geschichte der Erfolge. Sie kannten Protesilaos, den Mann aus der Streitmacht des Agamemnon, der als erster in Asien an Land gegangen war, sie kannten Achill und seinen Freund Patroklos. So opferte Alexander den homerischen Helden und besuchte ihre Gräber. Er steuerte auf seinem Flaggschiff den alten Achaierhafen an der gegenüberliegenden Küste an, Zeus, Athena und Herakles weihte er Altäre. Mit einem Speerwurf vom Schiff aus signalisierte er schließlich seinen Anspruch auf asiatisches Land, das er in voller Rüstung betrat.

Während Alexander von Pella zum Hellespont gezogen war, hatten in der Troas im nördlichen Kleinasien die persischen Satrapen ihre Truppen gesammelt. Alexander ignorierte sie zuerst und wandte sich nach Troja. Er stieg den berühmten Burgberg hinauf, opferte dem Priamos und tauschte im Tempel der Athena von Ilion seine Waffen gegen diejenigen, die dort aus der Zeit des trojanischen Krieges aufbewahrt wurden. Zum Kampf waren sie nicht mehr geeignet, doch angeblich mussten sie seine Hypaspisten (Schildknappen) vor ihm her tragen, wenn er in die Schlacht ging.

Das waren Reminiszensen an den mythischen Kampf zwischen Barbaren und Griechen, im Vordergrund standen aber die an den historischen Sieg über Xerxes. Seinetwegen war ja das ganze Unternehmen auch begonnen worden. So setzte die Masse des makedonischen Heeres genau auf der Route über, die Xerxes damals in umgekehrter Richtung genommen hatte. Der Besuch der Akropolis von Troja und das dortige Opfer an Athena waren eine Wiederholung dessen, was der Perserkönig getan hatte. Und wie dieser hielt auch Alexander in der Troas seine große Heerschau, die den eigentlichen Kämpfen präludierte. Der Hybris des Großkönigs aber setzte Alexander seine Frömmigkeit entgegen. Er ehrte das Heiligtum des Protesilaos, das von Vasallen des Xerxes geplündert worden war, und er opferte während der Überfahrt den Göttern des Meeres, das der Großkönig hatte auspeitschen lassen.

Die Rache des Xerxes

Die Strecke zwischen Abydos und dem anderen Ufer ist sieben Stadien lang (ca. 1350 Meter). Als die Brücken fertig waren, kam ein gewaltiger Sturm, der das ganze Werk zerstörte und zunichte machte. Als Xerxes das hörte, ergrimmte er und befahl, den Hellespont durch 300 Geißelhiebe zu züchtigen, auch ein Paar Fußfesseln im Meer zu versenken. Ja, man berichtet, dass er auch Henkersknechte geschickt habe, um dem Hellespont Brandmale aufzudrücken. Sicher ist nur so viel, dass er den Auftrag gegeben hat, den Hellespont mit Ruten zu peitschen und die rohen, gottlosen Worte zu sprechen: ‚Du bitteres Wasser! So züchtigt dich der Gebieter, weil du ihn gekränkt, der dich doch nie gekränkt hat. König Xerxes wird über dich hinweggehen, ob du nun willst oder nicht.‘ So ließ er das Meer züchtigen, und den Aufsehern des Brückenbaus wurde der Kopf abgeschlagen.“

HERODOT 7.34–35 (Übersetzung A. Horneffer)

Das war ein Programm, für das Herodot die Vorgabe lieferte.9 Alexander war ein erfolgreicher und gottesfürchtiger Xerxes. Wie dieser ausgezogen war, die Griechen zu unterdrücken, so tat Alexander dies, um sie, soweit sie seit der Zeit des Peloponnesischen Krieges in persische Abhängigkeit geraten waren, von dieser zu befreien. In diesem Plan war das erste Ziel die Eroberung der kleinasiatischen Küste und das nächste der Vormarsch bis zum Halys. Weitere Ziele gab es zumindest offiziell nicht, denn noch brauchte der junge König den Konsens mit seinen Generälen. Seine makedonische Armee bestand hauptsächlich aus Bauern, die ihr Land nicht beliebig lange verlassen konnten.

Alexander präsentierte sich am Hellespont noch nicht als neuer Achill. Das ist eine späte Legende,10 die den König vom politischen Programm der Anfangsjahre löst, ihn zum romantischen Abenteurer macht und suggeriert, der Zug bis ins Herz des Perserreiches und darüber hinaus sei bereits ein Plan der ersten Stunde gewesen. Alexander alias Achill ist ein Held ohne Heer, sein Metier der Zweikampf, seine Aufgabe, es den Heroen der Vorzeit gleichzutun. So kam der Mythos in die Welt; die Realität des Frühjahrs 334 v. Chr. sah anders aus. Auf Alexander wartete nicht ein glanzvoll zu bestehendes Duell, sondern das Heer der Satrapen. Der Feldzug konnte enden, bevor er eigentlich begonnen hatte.

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