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Auf der lauten Straße

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Tief in Gedanken versunken flog die kleine Elfe Samra auf eine breite, laute Straße zu. Eine schier endlos lange Karawane blecherner Vehikel mit vier dick bereiften Rädern brummte vor sich hin. Hinter den stark spiegelnden, halbtransparenten Flächen erkannte man nur mit Mühe gelangweilte, genervte oder gar grimmige Gesichter. Der ohrenbetäubende Lärm wurde von einem ebenso unangenehmen Gestank begleitet, der wohl aus den qualmenden Rohren am Hinterteil der Vehikel stammte und Samra fast die Luft zum Atmen nahm. Verblüfft stellte die kleine Elfe fest, wie viel Raum so ein blechernes rollendes Ding einnahm, dass jedoch in den meisten dieser Fortbewegungsmittel nur eine einzige Person saß. Das musste sie sich genauer ansehen.

„Hallo“, brüllte die Elfe und winkte einer Frau durch eine der seitlichen Flächen ihres Vehikels zu. Die Frau hörte sie erst, als Samra zusätzlich zu ihren Rufen gegen die Scheibe klopfte. Die Tür, so hatte die kleine Elfe festgestellt, lies sich auch durch festes Ziehen an dem Hebel unterhalb des Sichtfensters nicht öffnen. Die Fensterscheibe rückte nun um ein Stück nach unten. Durch den Spalt konnte Samra eine rothaarige Frau mittleren Alters sehen, deren grüne Augen sie verblüfft ansahen.

„Ja bitte? Was möchtest du?“, sagte sie, zwischendurch nach vorne blickend, prüfend, ob sich das Auto vor ihr bereits weiterbewegt hatte.

„Ich heiße Samra. Darf ich ein wenig mit dir sprechen?“

Die Frau blickte genervt, zögerte, machte dann eine einladende Handbewegung, die die kleine Elfe aufforderte, einzusteigen. Plötzlich ließ sich die Tür öffnen und Samra setzte sich neben die Frau.

„Warum ließ sich die Tür vorhin nicht öffnen?“

„Weil ich sie versperrt hatte.“

„Warum?“

„Damit mich niemand beraubt oder mir sonst etwas zustößt, während ich im Stau oder an der Ampel warte.“

„Was meinst du damit?“

Die Kolonne bewegte sich und die Frau fuhr ein Stück weiter.

„Naja, eine Frau abends alleine im unversperrten Auto, da kann Gott weiß was passieren! Ein fremder Mann kann blitzschnell die Tür aufreißen und mir meine Tasche mit allen Wertsachen stehlen. Oder jemand entführt und vergewaltigt mich!“

Samra verstand zwar nicht genau, was die Frau damit meinte, aber es musste sich um furchtbare Ereignisse handeln, da die Augen der Frau ängstlich geweitet waren.

„Ist dir das denn schon einmal passiert?“

„Ja fast! An einer Kreuzung riss plötzlich ein Mann die Fahrertür auf!“ Wieder fuhr sie ein Stück weiter.

„Und was ist dann passiert?!“

„Mich hat fast der Schlag getroffen!“

„Und was wollte der Mann?“

„Er hat nur nach dem Weg gefragt – aber es hätte auch ganz anders kommen können!“

Die kleine Elfe Samra nickte verständnisvoll.

„Ich heiße übrigens Bea. Nett dich kennenzulernen!“

Wildes Hupen erschreckte Samra. Auch Bea hupte einmal und fuhr wieder ein Stück weiter.

„Danke, dass du mich bei dir mitfahren lässt!“, sagte die Elfe, als sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte.

„Keine Ursache. Mit Begleitung ist es sowieso viel unterhaltsamer!“

„Wieso fährst du dann alleine?“

„Weil ich derzeit keine Beziehung habe und allein lebe.“

Samra blickte sie fragend an.

„Naja, ich hab halt keine Kinder und derzeit keinen Lebensgefährten. Deshalb bin ich oft allein unterwegs.“

„Ist das nicht ein großes Gefährt für eine Person?“

„Das ist ein Spitzenauto! Genug PS zum schnellen Überholen, beleuchtete Armatur für nächtliche Fahrten, reichlich Platz für Gepäck und super zu fahren!“

„Triffst du dich auch manchmal mit Freunden?“

„Ja, wir treffen uns öfter die Woche.“

Nun ging es zügiger voran, Bea stieg auf das Gaspedal.

„Nimmst du sie dann mit deinem Auto mit?“

„Nein, nein, die haben alle ihr eigenes Auto. Wir gehen meist essen, tanzen oder ins Kino.“

„Heute Abend auch?“

„Nein“, Bea blickte in den Rückspiegel und wieder auf die Fahrbahn. Eine tiefe Falte hatte sich zwischen ihren Augen gebildet. „Heute treffe ich meinen Exmann. Ich bin geschieden.“

„Was heißt das?“

„Ich habe vor vier Jahren einen Mann geheiratet und vor einigen Monaten die Beziehung beendet.“

„Warum?“

„Das ist eine Frage, die weder mein Exmann noch ich so schnell beantworten können. Wir konnten einander einfach nicht das geben, was wir gebraucht hätten. Am Ende hat er mich mit einer anderen Frau betrogen und ich war nur mehr damit beschäftigt, hinter ihm her zu räumen und mich über ihn zu ärgern.“

„Und wie war es, als ihr geheiratet habt?“

„Anders, aber im Nachhinein betrachtet, eine Illusion, ein Wunschtraum. Ich dachte, ich hätte die Person gefunden, die mich glücklich machen und alles zum Guten wenden könnte. Ich habe ihn so sehr gebraucht. Ich verstehe bis jetzt nicht, was eigentlich schief gelaufen ist.“

Sie bogen nun von der großen, lauten Straße in eine kleinere, weniger laute ein. Rechts und links waren leicht beleuchtete Lokale und viele viele Menschen zu sehen.

„Du sagst, du dachtest, dein Mann könne dich glücklich machen.“

„Ja“, sagte Bea mit einem Seufzer.

„Warst du denn ohne ihn unglücklich?“

Bea dachte nach. „Ich weiß nicht. Naja, so ist es eben – wir Menschen brauchen unsere bessere Hälfte um wirklich glücklich zu sein.“

Samra verstand nicht. „Heißt das, du bist die weniger gute Hälfte?“

Bea musste lachen. „Das sagt man doch nur so! Ich mein' halt, wir alle brauchen jemand, der uns vervollständigt. Doch den Richtigen scheine ich noch nicht gefunden zu haben. Mein Happy End lässt noch auf sich warten!“

Das Auto wurde langsamer und kam an der rechten Gehsteigkante zum Stehen.

„Hier habe ich meinen Mann damals kennengelernt. Er hat mich zum Tanzen aufgefordert und mir einen Cocktail spendiert… Ach, die guten alten Zeiten – da war noch alles in Ordnung!“

„Was ist das hier?“ Samra zeigte auf das Lokal, vor dem Bea geparkt hatte.

„Ein Tanzlokal. Hier kann man etwas trinken, Kleinigkeiten essen und zu Musik tanzen. – Und natürlich Leute kennenlernen“, fügte Bea hinzu.

„Ich habe dich in deinem Auto kennengelernt“, sagte Samra.

Bea lächelte. „Ja, aber wenn du einen Freund finden willst, dann gehst du in ein Lokal – da kannst du sicher sein, dass es viele Singles gibt.“

Sie hatte ihren Exmann erblickt und schnallte ihren Gurt ab. „Ich muss jetzt gehen. Hat mich sehr gefreut, Kleine! Vielleicht sieht man sich mal wieder!“ Bea blickte Samra erwartungsvoll an, bis diese verstand, dass es Zeit war, ihr Auto wieder zu verlassen.

„Ich hoffe, du findest, was dich glücklich macht! Danke für deine Gesellschaft und einen schönen Abend!“

„Gerne, ebenfalls!“

Aus ein paar Flügelschlägen Entfernung beobachtete Samra, wie Bea ihren Exmann begrüßte. Die beiden hatten recht ernste, fast traurige Gesichter und tauschten flüchtige Küsse auf beide Wangen aus. Dann verschwanden sie in dem Tanzlokal und setzten sich an einen der wenigen freien Tische.

Die kleine Elfe Samra

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