Читать книгу der freche Papagei Muppel und die Reise zum Zauberbaum - Yule Dackelpfötchen - Страница 3

Peter, Muppel und das Gelage

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Bernie hatte sich, kaum daheim angekommen, sogleich auf sein Bett geschmissen, um ein wenig nachzudenken und seine innere Ruhe wenigstens teilweise wiederzugewinnen. Während einer Yogaübung, die er zu diesem Zwecke ausführte,- es war die, bei der man einfach nur daliegen und die Erdanziehungskraft auf seine sämtlichen Gliedmassen solange einwirken lassen mußte, bis Arme und Beine ganz schwer wurden, seine Lieblingsübung, schlief er ein.

Darauf hatte sein Unterbewußtsein nur gelauert. Schon wenig später fand sich Bernie mitten in einem obskuren Horrorszenario eines Traumes wieder, gefangen, nicht nur in seiner Traumwelt, sondern auch in den klebrigen, fesselnden Fäden eines gigantischen Spinnennetzes. Sein erster Gedanke „wo ist die Spinne?“ beantwortete sich ihm schneller, als ihm lieb war. Ein Zucken ging durch das Netzwerk und als Bernie seinen Kopf zu dessen Ausgangspunkt richtete, sah er sie. Was für ein garstiges Vieh! Und wie groß erst mal. Er hatte sich schon vor Spinnen geekelt, wenn er eine Ausgabe in normaler Größe in einer Ecke seines Klos entdeckt hatte. Nur hatte er da nicht die Abmessungen einer Stubenfliege gehabt, so wie jetzt gerade. Er blickte sich weiter um. Tja, wie es aussah, war er das einzige Delikatesshäppchen auf dieser klebrigen Spielwiese. Das achtbeinige Monster kam, wahrscheinlich seinen Nährwert mit den verwirrend zahlreichen Augen abtaxierend, näher gehangelt. Bernie zappelte und strampelte, doch der natürliche Superkleber der Fäden hielt seinen Befreiungsversuchen problemlos stand. Die Spinne hatte nun schon die Hälfte ihres Weges bis zu ihm zurückgelegt.

Doch als das Insekt ihn fast erreicht hatte, hörte Bernie ein Quieken und Jaulen und Gröhlen aus vielen rauhen Kehlen und er blickte nach vorne. Dort kam eine ganze Armee winziger Zwerge, ihre Äxte, Hämmer und Spitzhacken über ihren behelmten Köpfen schwingend, angerannt. Ihr Anführer war der kleinste der drei Zwerge, die Bernie vielleicht (selbst in seinem Traum zweifelte er noch daran) in der Nacht zuvor im Märchenwald gesehen hatte.

Wild fluchend und auf die Spinne schimpfend, erreichte die Zwergenmeute die unteren Enden des Netzes und die Zwerge begannen, einer nach dem anderen, wild hin und her schaukelnd, daran empor zu klettern. Bernie freute sich und wollte seinen Kopf in Richtung Spinne drehen, um sie zu verhöhnen und zu verspotten, doch in diesem Moment hörte er ein vertrautes Geräusch aus der entgegengesetzten Richtung. Ein leises Klingeln. Kleine, aber wichtige Glocken läuteten.

Ring. Ring. Ring. Bernie wurde wach, ehe die ersten wütenden Zwerge die verdutzte Spinne erreicht hatten. Das Telefon in seinem Büro klingelte Sturm. Noch halb vor sich hin dösend und phantasierend sprang er aus dem Bett und rannte auf den Gang. Unterwegs kollidierte er, wie so oft gerade dann, wenn er keine Schuhe anhatte, mit einer der Getränkekisten im Flur. Vor Schmerz auf einem Bein hüpfend und wild vor sich hin fluchend und trotzdem froh, der seinem Traum entronnen zu sein, kam er schließlich beim Telefon an. RING – RING – RI... „B U R G U S!“ brüllte er, leicht verärgert über die Hartnäckigkeit des Anrufers in den Hörer.

„Schrei mich bitte nicht an...“, sagte, oder besser, lallte die männliche Stimme am anderen Ende, es war Peter.

„Hallo Peter, was rufst Du denn in meinem Büro an, schon wieder meine Privatnummer verloren?“ fragte Bernie.

„Privathummer geschoren? Bist Du betrunken oder was, ... hicks?“ antwortete Peter mit einer Stimme, die Bernie sofort verriet was los war.

Offensichtlich hatte Peter doch Probleme gehabt, die Erlebnisse der letzten Stunden zu verkraften und hatte zu seinem favorisierten Allheilmittel gegriffen.

„Oh Peter, hast Du schon wieder Deinen Weinvorrat dezimiert?“ fragte Bernie.

Betretenes Schweigen am anderen Leitungsende.

„Hast du wieder etwas angestellt?“

„Ich? Nie! Du kennst mich doch Bernie, Du kennst mich doch ...“, kam es Glaubwürdigkeit heischend aus dem Hörer.

„Eben deshalb. Was ist passiert? Ich wollte eigentlich erst in einer Stunde bei Dir drüben sein, soll ich lieber gleich vorbeikommen?“

„Besser wär’s vielleicht. Mir ist da was Dummes passiert..., hicks“. Peters Stimme klang beschämt. „Okay, ich bin in zehn Minuten bei Dir drüben, mach bis dahin keine weiteren Dummheiten!“ schwörte Bernie seinen Freund ein. Doch der regte sich auf: „Dummheiten? Ich? Ich bin doch kein kleines Kind! Ich mach niemals Dummheiten. Nie!“ – „Bis gleich Peter“, lachte Bernie und legte den Hörer auf.

Nach den üblichen Fehlzündungen sprang sein liebevoll gepflegter Oldtimer an und Bernie bog auf die Landstraße die zu dem Ort führte, in dem Peter wohnte.

Unterwegs erinnerte er sich an das letzte Mißgeschick seines Freundes. Peter hatte von irgend einem Verwandten, der ihn anscheinend entweder nicht besonders gut kannte, oder vielleicht auch nicht besonders gut leiden konnte, ein ferngesteuertes Flugzeug geschenkt bekommen. Das Flugzeug, eigentlich eher klein und harmlos, war erst durch den am Bug angebrachten, Kerosin getriebenen Motor zur potentiellen Gefahr in Peters ungeschickten Händen geworden. Irgendwie jedenfalls, vielleicht lag es daran, das er nicht ganz nüchtern gewesen war, hatte dieser es geschafft, damit einen friedlich vorbei schwebenden Fesselballon anzubohren und zur Notlandung zu zwingen.

Natürlich war der Fahrer des Ballons ganz schön angefressen gewesen. Bernie, der kurz nach der Polizei am Ort des Geschehens eingetroffen war, hatte damals alles für seinen erschrockenen Freund geregelt, was diesem im Nachhinein gar nicht so sonderlich gepaßt hatte, da er es seiner Vorstellung nach war, der umgekehrt dem armen Bernie in väterlicher Manier durchs Leben helfen mußte. Er ließ den gutmütigen Dicken gerne in diesem Glauben.

Aber heute war Peter daheim, das beruhigte Bernie. „Das heißt, es hat diesmal wenigstens seine eigenen Sachen erwischt.“

Als er seinen Oldtimer auf dem Parkplatz vor Peters antikem Haus abgestellt hatte, fiel ihm ein, dass er seinen Freund schon lange mal fragen wollte, in welchem Jahr das Haus überhaupt erbaut war. Dem Aussehen der massigen Mauern, mit den unregelmäßig geformten, hier und dort teilweise daraus herausragenden dunklen Steinblöcken zu schließen, war es jedenfalls uralt. Bernie ging an Peters verbeultem Auto vorbei die schmale Holztreppe hoch und klingelte. Immerhin, Elektrizität gab es in dem alten Gemäuer. „Komm rein, Tür ist auf“, hörte er seinen Freund von drinnen mit etwas jämmerlich klingender Stimme rufen. Während er in die Wohnung trat, hoffte Bernie, das sein Freund trotz dessen offensichtlichen Alkoholkonsums, wenigstens noch ansprechbar genug war, um mit ihm über ihre gemeinsamen Märchenwaldbegegnungen zu sprechen.

Doch als er die Küchentür öffnete, bot sich ihm ein altbekanntes Bild, eine Dreierkonstellation der Art: kaputter Gegenstand / Arsenal leerer Weinflaschen / verdatterter Peter.

Leider war der kaputte „Gegenstand“ blau-grün, hatte einen krummen, roten Schnabel, zerzauste Federn und ziemlich glasige Augen. Es war Muppel, Peters frecher Papagei.

Der sturzbetrunkene, gefiederte Kerl lag mit geöffneten, kleinen, vom Suff geröteten Äuglein Richtung Käfigdecke starrend, auf seinem Papageienbuckel und streckte Bernie die winzige Zunge raus. Peter sah sehr schuldbewußt drein. Seine riesigen Hände hatte er artig über seinem durch stetigen Weingenuß auf ansehnliche Größe gewachsenem Bauch verschränkt.

„Er hat mich so lieb angesehen mit seinen kleinen Äuglein Bernie, da hab ich mir gedacht,

so’ n bißchen Wein wird dem Kerlchen doch sicher gut tun und da hab ich sein Schüsselchen genommen und ...“, gestand er gesenkten Hauptes „... den armen Vogel zum Säufer gemacht!“ beendete Bernie das Geständnis streng.

„Aber Bernie, ich wollte doch nur, äh, ich meine ich konnte doch nicht, äh, der arme Kleine sollte doch nicht denken das ...“, tottelte Peter. „Denken Peter. Denken! Das ist das Stichwort.“ Bernie versuchte den Papagei auf eine Stange zu setzen. Vergebens. Der sah ihn nur delirisiert an, um sofort wieder vom Stengel herabzufallen.

Jetzt guckte Peter wirklich schuldbewußt. „Der Piepmatz verkraftet das doch, oder Bernie?“.

Bernie überlegte kurz, ob eine Anwendung der Schocktherapie vielleicht doch mal sinnvoll bei seinem Freund wäre, aber er brachte es nicht übers Herz, weil er wußte, das Peter selbst immer sehr unter dem litt, was er anrichtete, besonders wenn davon Mitmenschen oder Mitlebewesen betroffen waren.

„Mach dir keine Gedanken um den Vogel, Peter. Der schläft jetzt seinen Rausch aus und morgen Abend weis er außerdem, wie sich so ein richtiger Kater anfühlt. Besser ein Kater im Papagei als umgekehrt...“, lachte er und klopfte Peter beruhigend auf den Rücken. „Aber Du solltest ernsthaft mal erwägen, mir mal eine Zeit lang den Schlüssel zu Deinem Weinrefugium zu geben“, sagte er mit gespieltem Ernst. Er wußte, wenn es Eines gab, an dem Peter besonders hing, dann war es sein Weinkeller inklusive der darin lagernden, in buntem Glas aufbewahrten flüssigen Kostbarkeiten. „Du bist wohl mit der Muffe gepufft?“ Peter schnappte nach Luft. „Dann schenke ich sie lieber direkt unserem Pfarrer, der weis sie wenigstens zu schätzen ...“, prustete er.

Bernie hatte mittlerweile den Wein in dem kleinen Trinkschüsselchen des Papageis gegen Wasser ausgetauscht und den Käfig mit einem dezent beigen Tuch abgedeckt.

„Der fährt jetzt Papageien- Karussell“, grinste Bernie und ging zu Peters Küchentisch.

Er wollte sich gerade auf die Eckbank dahinter zwängen, als Peter auch schon angesprintet kam, einen der beiden Stühle am Tisch herauszog und ihm diesen Platz anbot.

Da war irgend etwas faul. Oberfaul! Peter war zwar hilfsbereit, manchmal bemutterte und bevaterte er Bernie gleichzeitig, aber sich so willfährig zum Lakaien zu machen, das paßte nicht zu ihm.

„Was ist los, Peter? Willst Du dich etwa auf die Eckbank zwängen?“ fragte Bernie schelmisch lächelnd, obwohl er genau wußte, dass dies, wenn es nur nach rein physikalischen Gesetzen ginge, gänzlich unmöglich war.

„Öh, nä Bernie, ich will nur grad` n bißchen für Ordnung sorgen“, antwortete dieser, kleine Schweißperlen auf der Stirn, nahm die dicke Tageszeitung vom Tisch und beugte sich, mit dieser in der Hand hinunter zur Eckbank, die Hand geschickt verdeckt durch Tisch und Zeitung. Doch Bernie war schneller. Er kannte den Trick mit der vorgehaltenen Zeitung. Dahinter konnte man ideal etwas Kleineres, einem selbst vielleicht Unangenehmes, verschwinden lassen.

„Na was haben wir denn da?“ – Bernie legte das Buch, das aufgeschlagen auf der Eckbank gelegen hatte auf den Tisch und klappte es zu, so dass der Titel zu sehen war.

Es war „der kleine Muck“! Er hatte das Märchen von Wilhelm Hauff selbst auch schon gelesen. Allerdings im Alter von Sieben Jahren. Die Differenz zwischen der Figur des kleinen, gewitzten Mucks, so wie Hauff ihn beschrieben hatte und dem jetzt sehr verlegen von einem Fuß auf den anderen wechselnden Zweimetermanns Peter war so eklatant, das Bernie sich fast beeumelt hätte vor Lachen.

„Wann soll‘s denn los gehen in die weite Welt Peter? Hast du Deine Zauberpantoffeln schon klar Schiff gemacht?“ stichelte er den armen Kerl.

„Verzaubert sind Deine Pantoffeln ja, wahrscheinlich irgend eine Art von Verwesungszauber innen drin...“, setzte er noch eins drauf.

„Das ist nicht zum Spaßen, Bernie“ sagte der Gepiesackte, mit einer leichten Spur aufkeimenden Zorns in der Stimme.

Bernie aber war gerade richtig in Fahrt: „Ich könnt meine Oma fragen, ob sie Dir ein Wämschen nähen kann und ein Stöckchen hast ...“

„Bernie, hör auf damit!“ rief Peter, mit gerötetem Kopf und jetzt wirklich etwas wütend, das war dann doch ernst zu nehmen.

„Ist ja schon gut Peter, was ist denn los?“ fragte Bernie, der seinen Freund gar nicht so kannte.

„Es ist nur ...“, „ich wünschte mir ...“, druckste Peter, während er dabei verlegen mit einem Fuß hin und her wackelte, herum. Offensichtlich fiel es ihm schwer, darüber zu reden.

„Vielleicht holst Du erst mal noch` n Fläschchen Wein aus dem Keller?“ schlug Bernie vor. Mit einem guten Gläschen Wein vor sich, fiel Peter das Reden leichter, das wußte er aus mannigfacher Erfahrung.

Während Peter, der diesen Vorschlag sogleich freudig annahm, unten im Weinkeller eine geeignete Flasche in den verstaubten Regalen suchte und sich dabei viel Zeit ließ, in der Hoffnung Bernie hätte seine nervige Frage vergessen, bis er wieder in der Küche erschien, überlegte sich dieser in der Zwischenzeit, was Peter wohl haben könnte. „Vielleicht hat er Komplexe, weil er so groß ist und wünscht sich, er wäre kleiner, so klein vielleicht, wie der Muck in dem Märchen?“ dachte er sich. „Hm, ist wohl doch zu abwegig“.

Aber genau so war es! Nach dem zweiten oder dritten Glas Wein rückte Peter endlich raus mit der Sprache. „Die Menschen starren einen immer so an, wenn man so groß ist wie ich. Immer fall ich auf. Ich kann mich nicht einfach in der Menge verstecken, weißt Du“, erzählte er.

„Und das würde ich manchmal echt gern, wenn ich mal wieder so ungeschickt war!“ erklärte Peter, kleine Tränen in den großen, gutmütigen Augen.

„Aber so schlimm ist es doch wirklich nicht, was Du so anstellst, Peter“ tröstete er ihn, wobei er kurz den abstürzenden Ballon und das verdutzte Gesicht des darin befindlichen Mannes vor sich sah, „und Du machst es ja nicht mit Absicht...“, ergänzte er laut - „... nur mit Wein“, dachte er still bei sich und hätte sich zur Strafe fast verschluckt.

Es war schon später am Abend, als sich Bernie darauf zurück besann, warum er sich überhaupt mit Peter getroffen hatte. Vor lauter armer Muppel und „kleiner Muck“ - Syndrom hatten sie doch fast vergessen, das der Märchenwald und die vielleicht darin wandelnden Wesen ihr eigentliches Thema hätten sein sollen.

Peter steckte sich eine von seinen stinkenden Qualmstengeln an. Das war ein sicheres Zeichen dafür, das ihm bereits wieder der Wein zu Kopf stieg. Auch Bernie selbst merkte langsam, wie er zunehmend beschwipster wurde.

„Das kann nur ein Zauberer gewesen sein, den Du da gesehen hast Bernie, hicks. Ich ka.., ich kenne die aus meinem Computerspiel! Die sehn da immer so aus. Genauso wie der! Alle immer mit gaaaanz langem Bart!“.

„Und er hat mir zugewunken! Aber wenn er echt war, warum hat er dann nicht mit mir geredet?“ meinte Bernie nachdenklich, die in Falten gerunzelte Stirn knapp über seinem Weinglas balancierend.

„Vielleicht war es doch ein bißchen zu warm für deinen Kopf, Bernie, hicks, ....?“.

„Du meinst, ich hätte vielleicht doch hazulliniert, äh halluzifiert oder wie das heißt, hicks?“

„Möglich wär’s wohl ...“. So debattierten die Beiden noch eine geraume Zeit lang und kamen doch zu keinem rechten Ergebnis.

Aus dem klitzekleinen Fläschen, das sich die Beiden gerne noch gönnen wollten, wurden dann doch noch ein paar mehr und die Diskussion verlor letztlich etwas an Qualität, sodass hier nicht alles wiedergegeben werden soll. Wir blenden uns daher zu etwas späterer Stunde erneut ein, in der sich die Unterhaltung auf ein noch ein wenig tieferes Niveau hinab begeben hatte: „Hicks, Bernie, altes Warzenschwein, hicks...“, lallte Peter mit glasigen Augen „ich sag Dir was wirklich geil wäre, hicks ...“. Bernie, der sonst selten mehr als zwei, drei Gläschen trank, mit dem Wein- erprobten Peter nicht mithalten konnte, schielte seinen Freund fragend an.

„Weißt Du was man können müßte, hicks?“ meinte Peter. „Waaaas?“ brachte Bernie mühsam hervor.

„Man müßte zzzaubern können!“ sagte Peter entschlossen und erhob sich kurz von seinem Stuhl, um dieser Aussage mittels seiner puren, schwankenden Körpermasse den nötigen Nachdruck zu verleihen.

Sofort erinnerte sich Bernie an seinen größten Wunsch aus Kindheitstagen zurück. Ja, zaubern können, wer wollte das nicht gern? Er hatte es selbst oft genug versucht, aber er konnte es nicht den Gestalten gleichtun, die er aus den Büchern kannte: Aladin mit der Wunderlampe, Merlin, Gandalf, Dumbledore und wie sie alle hießen und der Phantasie von Barden, Märchenerzählern und Dichtern entsprungen waren. Aber sie lebten damals mit ihm, sie berieten ihn in schwierigen Situationen, sie lachten und weinten mit ihm, sie waren sein Trost, seine Hoffnung, seine Liebe. Doch dann, unmerklich fast, niedergezwungen, verbannt und vertrieben von den kleinen Grausamkeiten des Alltags, waren sie eines Tages verschwunden gewesen. Als er sie am meisten brauchte. Als er am einsamsten war. Da merkte er, wieviel Kraft sie ihm gegeben hatten. Er konnte nicht zaubern, aber diese Phantasiegestalten waren selbst wie ein mächtiger Zauber. Er wollte sie wiederhaben, sie zu neuem Leben erwecken. So hatte er die alten Bücher erneut hervorgeholt und gelesen und hatte sich diese Quelle wieder erschlossen. Allerdings hatten diese Bücher auch eine Art Nebenwirkung, wie sie unter Umständen auch gute, heilende Medikamente sonst manchmal haben: Er fing an zu phantasieren, auch er könne mit genügend Willenskraft zaubern, wenn er nur zu hundert Prozent davon überzeugt wäre, das ihm dies gelänge. „Ich denke, also bin ich!“. Wenn so etwas möglich ist, dieses Leben, diese Existenz als selbstverantwortliches Staubkorn in dieser riesigen Galaxie, dachte er sich, dann sollte es eigentlich auch möglich sein zu zaubern. Überrascht war er gewesen, als er gelesen hatte, dass er diese Vorstellung mit fast einem Drittel seiner Landsleute teilte. Doch so sehr er sich auch anstrengte, beispielsweise Nachts ein Licht an seine Zimmerdecke zu zaubern, oder ein Streichholz mittels geistiger Kräfte zum Schweben zu bringen, nichts geschah. Natürlich war er, zusätzlich motiviert durch die belebende Wirkung des Weines, bezüglich Peters spontaner Aussage sofort Feuer und Flamme.

Und er war nicht die einzige Person im Raum, die Peters Wunsch gehört hatte.

„Ich kann zzaubern, hicks ...“, tottelte Bernie und erhob sich ebenfalls kurz von seinem Stuhl. Der Wunsch, als Vater des Gedankens, half ihm hoch.

„Sicher ... , Du kannst zzzzaubern, hicks. Der große Zzzzzauberer Bernie, ha ha, Ha!“ lachte Peter.

„Doch wirklich, ich kkkann zaubern, wart’s nur ab ich zeig‘ s Dir ...“ und er schwang seine langen Arme geheimnisvoll durch die Luft, wobei er Peter fast auf die Nase getroffen hätte.

„Was zzzauberst Du denn, Bernie?“ fragte Peter, jetzt doch mit leichter Unsicherheit in der Stimme.

„Ich, hicks – ich, hicks, ich laß Dich jetzt ssschweben!“ lallte Bernie. Er versuchte Peter anzufixieren wie ein Schlangenbeschwörer ein potentielles Opfer seines unbeugsamen Willens.

„Hebus Peterius!“ beschwor er mit fuchtelnden Armen, wobei er eine der leeren Weinflaschen vom Tisch fegte. Scheppernd fiel sie zu Boden, ohne dabei zu zerbrechen.

„Ha, ha, ich schwebe ja gar nicht, hicks“, freute sich Peter.

„Wwwar nur die fal..., die fal..., die verkehrte Zzzauberformel ...“, tat Bernie geheimnisvoll „wwwarte, gleich ha, hab ich’ s ...“, lallte er.

„Bist Du doooooof!“

„Aber jetzzzzztt...“. Bernie nahm einen dritten Anlauf. Die unsichtbare Person im Raum konzentrierte sich ebenfalls.

„Peterus Ballonus...........“, Bernie schwang erneut seine Arme und landete dabei mit der rechten Hand einen Treffer auf Peters geröteter Nase, der aber hatte ganz andere Sorgen. Er hatte nämlich kurz vorher beschlossen, Bernie einen Streich zu spielen, indem er sich ganz langsam von seinem Stuhl erheben wollte, um diesen Glauben zu machen, sein Zauber würde funktionieren.

Das war aber gar nicht mehr nötig, denn er flog plötzlich tatsächlich. Ja, er flog! Etwas zog ihn nach oben in Richtung Decke, seine Füße lösten sich vom Boden, wie sollte er es also sonst bezeichnen?

Bernie lag bereits auf dem Boden und lachte sich kaputt. Peter war gar nicht zum Lachen, denn er wußte, dass da wirklich etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Während er sich langsam, aber sicher der Decke näherte, kamen Bernie bereits die Tränen vor Lachen. Er raffte in seinem Suff gar nicht mehr, dass dies kein Gack von Peter sein konnte.

Dann ging alles ganz schnell. Die Schwerkraft im Raum, um Peter herum, war plötzlich wieder aktiv. Mit dumpfem Knall plumpste der schwere Kerl zu Boden. Bernie hatte sich physisch dermaßen weg gelacht, dass er vom vielen Weingenuß zusätzlich müde, an Ort und Stelle in tiefen Schlaf fiel.

Der mittlerweile total verwirrte Peter schaffte es nicht mehr, den bärentief schlafenden Freund zu wecken. Irgendwie war er auch nicht mehr in der Lage dazu, sich darauf zu konzentrieren. Er mußte sich zu sehr darauf besinnen, nicht durchzudrehen anläßlich seines kleinen Rundfluges, den er eben erlebt hatte.

Das Beste, und darauf besann sich der in dieser Beziehung erfahrene Peter auch, war in solch einer heiklen Situation, sich einen letzten Gute- Nacht- Schluck Wein zu genehmigen und nicht mehr weiter nachzudenken über das Geschehene. Am nächsten Morgen würde Bernie ihm schon erklären, wie er das gemacht hatte.

Der letzte Gedanke der Peter noch durch den Kopf ging, bevor er einschlief war: „oder kann

der Bernie am Ende wirklich zaubern?“.

der freche Papagei Muppel und die Reise zum Zauberbaum

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