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Auf Spurensuche

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Der Gang durch den Wald war höchst unangenehm gewesen. Zum Glück hatte er es geschafft, auf dem Waldweg zu bleiben, dank des vorsichtigen Vortastens mit den nackten Füßen. Es war schrecklich gewesen, denn der Waldweg war voller spitzer Steine. Unglaublich, dachte er, was soll all dieser Schotter im Wald. Wenn er vom Weg abkam, hatten die Dornen der Büsche am Wegrand seine Haut aufgekratzt, ihm aber auch den richtigen Weg gewiesen. Von Zeit zu Zeit schlug ihm ein Ast in das Gesicht und dazu kam die Hitze, die ihm selbst in dem schattigen Wald zusetzte und das, obwohl er splitternackt war. Neben den Verletzungen und der Hitze plagte ihn zunehmend großer Durst. Nach schier endlos langer Zeit, nach vielen Metern auf dem Schotter, nach vielen Irrungen und Wirrungen, verbunden mit unzähligen Flüchen, war ihm wenigstens eine gute Idee gekommen. Als ihn wieder einmal ein kräftiger Ast an der Wange streifte, drängte er sich in die Nähe des zugehörigen Baums. Er suchte, tastete, forschte mit den Schultern und dem Gesicht und auch mit der Zunge und fand endlich einen geeigneten Aststumpf, der fest genug und in der richtigen Höhe, geeignet war, die verdammte Krawatte einzuhängen und abzustreifen. Das gelang ihm schließlich nach einigen vergeblichen Versuchen und er fragte sich, warum er nicht schon früher auf diese Idee gekommen war. Er sah wieder. Sah, wo er war, sah seine Füße voller Wunden und Abschürfungen, sah auch, dass die Sonne sich schon dem Horizont näherte und schloss, dass es vermutlich schon deutlich nach acht Uhr sein musste. Aber die Nacht müsste er nicht im Wald verbringen, denn nun war das Vorankommen einfacher. Er ging zügig auf dem Waldweg, die peinigenden Schmerzen an den Fußsohlen ignorierend, bis dieser in eine Landstraße mündete.

An deren Rand stellte er sich hin und dort hatte er sogar Glück, das erste Mal an diesem verdammten Tag, denn schon das erste Auto, das vorbei kam, hielt tatsächlich an. Die Fahrerin, eine unerschrockene, ältere Lehrerin, ließ den nackten Irren mit den auf dem Rücken gefesselten Händen in ihr Auto, sie besaß kein geeignetes Werkzeug, um den Kabelbinder durchzuschneiden, wickelte ihm aber eine Decke um die Hüfte. Sie wollte ihn natürlich sofort zur nächsten Polizeiwache bringen, hätte sicher auch bei der Polizei angerufen, hatte jedoch ihr Handy nicht dabei. Aber auf sein inständiges Bitten, ob es nicht doch noch eine andere Möglichkeit gäbe, ihm zu helfen, nahm sie ihn mit, zu sich nach Hause. Dort durchschnitt sie endlich die Fessel und schenkte ihm dann eine kühle Apfelschorle ein, das beste Getränk, das der Gepeinigte in seinem ganzen Leben je bekommen hatte. Danach zeigte ihm die Unerschrockene die Dusche und trug, während er das kühle Wasser auf seiner Haut ebenfalls im höchsten Maße genoss, ein paar alte Kleidungsstücke ihres Mannes zusammen, der gerade nicht zu Hause war, und suchte auch alles auf, was sie an Pflastern und Binden besaß. Als der seltsame Mensch gesäubert, versorgt und angezogen war, bestellte sie ein Taxi und versicherte ihm mehrfach, bevor er einstieg, dass sie die Kleider nicht mehr brauche, und wünschte ihm alles Gute.

Er hatte der Lehrerin während der Fahrt erzählt, dass er überfallen worden war, als er mitten im Wald auf einem einsamen Wanderparkplatz pinkeln musste. Er sei ein paar Meter von seinem Auto weg gewesen, als plötzlich ein Mann aus dem Gebüsch aufgetaucht sei und ihn mit einem starken Knüppel niedergeschlagen habe. Ihm sei schwarz vor den Augen geworden, und als er wieder zu sich kam, habe er sich allein und völlig nackt, mit gefesselten Händen, mit einer Binde vor den Augen und einem Knebel im Mund mitten im Wald gefunden. Er habe keine Ahnung, was das für ein Typ war, er habe ihn kaum gesehen und außerdem sei er vermummt gewesen. Er habe eine Riesenwut, weil nun sein Auto, seine Kleidung, seine Papiere, seine Wertsachen, sogar sein Ehering und diverse Schlüssel weg seien, alles, was er bei sich hatte, sei weg, einschließlich seines schönen Autos und dass das eine Riesensauerei sei und er jetzt viel Zeit und Geld investieren müsse, um den Schaden zu reparieren. Auf ihre Frage, warum er den Überfall denn nicht anzeigen und die Polizei zum Tatort führe, um eventuelle Spuren zu sichern, sie schien durch häufige Kriminalromane auf diesem Gebiet gut bewandert zu sein, erklärte er, dass er das so rasch wie möglich tun werde, aber erst müsse er seine Frau beruhigen, die sicher vor Angst umkäme. Sie habe es mit dem Herzen und deswegen wolle er sie nicht anrufen, sondern ihr das Desaster schonend beibringen und dann mit ihr das weitere Vorgehen besprechen und dann würde er selbstverständlich zur Polizei gehen, aber der verdammte Täter sei ja längst über alle Berge und deswegen, würde das nicht so eilen, Spuren könne man im Wald sowieso nicht finden. Im Moment sei er viel zu aufgeregt und zu erledigt, um vernünftige Entscheidungen zu treffen und außerdem würde er sich maßlos schämen und müsse erst sein inneres Gleichgewicht finden, auf jeden Fall sei er aber ihr, seiner Retterin, seiner Samariterin, außerordentlich dankbar, dass sie ihm geholfen habe und ihn mitgenommen habe, obwohl er ja alles andere als vertrauenswürdig ausgesehen habe, eher wie einer, der aus einer Nervenklinik geflüchtet sei, ein gefährlicher Verbrecher, vielleicht ein masochistischer Exhibitionist. Die Lehrerin meinte nur lakonisch, Hilfe in so einer Situation sei doch selbstverständlich, außerdem sei er ja gefesselt gewesen und daher weniger gefährlich, selbst wenn er ein gefährlicher Verbrecher oder gar Mörder wäre. In diesem Zustand wäre sie sicher mit ihm fertig geworden, wenn er frech geworden wäre, das hätte sie schon ihr Beruf gelehrt und als Biologielehrerin könne sie auch ein nackter Mann nicht irritieren und so masochistisch könne ja wohl keiner sein, dass er freiwillig, ohne triftigen Grund gefesselt und nackt im Wald umherirren würde und das bei dieser Hitze. Ihre berufliche Erfahrung war wohl auch der Grund, warum ihn die Lehrerin höchst skeptisch ansah, als er seine Geschichte los geworden war und die Erklärungen seiner misslichen Lage abgegeben hatte. Sie hatte genügend Erfahrung mit Lügen, drang aber nicht weiter in ihn. Dafür war er ihr sehr dankbar und beschloss, sich bei Gelegenheit großzügig bei seiner Retterin zu bedanken.

Die Geschichte, die er der Lehrerin aufgetischt hatte, erzählte er auch in leichten Abwandlungen seiner Frau und auch diese glaubte ihm kein Wort. Warum war er überhaupt in einem Wald unterwegs gewesen, statt zum Bahnhof zu kommen und sie abzuholen? Überhaupt das Auto, es war doch absolut unlogisch, dass es immer noch auf dem Parkplatz in der Nähe des Hauptbahnhofs stehen soll, wie er denn in diesen Wald gekommen sei. Er sei nicht mit seinem eigenen Auto gefahren, erklärte er, sondern mit einem Mietwagen. Er habe schon seit Längerem mit dem Gedanken gespielt, ein neues Auto zu kaufen, ein anderes Modell und das habe er ausprobieren wollen, um sich ein Bild zu machen, bevor er viel Geld ausgibt. Er habe an diesem Nachmittag überraschend etwas Zeit gehabt und kurzerhand ein Auto für ein paar Stunden gemietet, um eine kleine Spritztour zu machen, zum Ausprobieren, wie gesagt und dann diese Kacke. Das einzig Gute sei, dass nun die Autovermietung sich mit dem Verlust herumärgern müsse, er habe ja Kasko gehabt und die schließe Diebstahl zum Glück mit ein. Seine Frau schaute ihn weiter voller Zweifel an. Von einem neuen Auto sei doch noch nie die Rede gewesen, das alte sei doch noch gar nicht so alt. Eben, meinte er, es sollte ja eine Überraschung sein, deswegen habe er die Testfahrt gemacht, als sie weg war.

„Schatzi, eine richtig schöne Überraschung sollte das werden, glaub mir.“

Sie blickte ihn mit noch mehr Zweifeln an, soviel Überraschung war sie schon seit Jahren nicht mehr gewohnt und das es den Ausdruck „Schatzi“, ein Wort, das sie früher oft gehört hatte, überhaupt noch gab, irritierte sie zusätzlich. Sie blieb skeptisch und kam gleich zur nächsten Ungereimtheit. Warum er sich um alles in der Welt weigere, zur Polizei zu gehen, das verstehe sie absolut nicht. Das sei doch ein blödsinniges Verhalten. Eine Anzeige bei der Polizei sei doch das einzig Logische und Sinnvolle, schon wegen der Versicherungen, denen er ja etwas vorlegen müsse. Was die Versicherung betreffe, sagte er resigniert, könne man gar nichts erwarten, die würden erstens sowieso nie zahlen und zweitens bei einem solchen Überfall schon gar nicht, von denen bekäme er keinen Pfennig, das sei völlig klar, die bräuchte er erst gar nicht anzusprechen, außerdem, sei das Auto ja gar nicht sein Problem, das sei das Problem des Händlers, den er im Übrigen bereits informiert habe. Diese Sache sei schon weitgehend ausgestanden. Wozu gäbe es denn Versicherungen. Und was die Polizei beträfe, die sei doch schlicht unfähig, die würden sich doch keine Mühe geben, um solche Banalitäten aufzuklären, die würden schlichtweg in der Bürokratie versanden. Es käme erfahrungsgemäß bei solchen Sachen nichts heraus. Auf ihre berechtigte Frage, wie viel Erfahrung er denn mit „solchen Sachen“ schon habe, zog er es vor, keine Antwort zu geben, statt dessen wiederholte er, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen, sei genauso überflüssig, wie mit der Versicherung zu verhandeln. Er müsse die Sache in die eigenen Hände nehmen, nur dann hätte er eine Chance dieses Miststück zu finden, das ihn überfallen habe. Er sagte seiner Frau jedoch nicht, was er unter Miststück verstand und ließ sie in dem Glauben, es handele sich um den Unbekannten mit dem Knüppel.

Der materielle Verlust, den er durch das Ereignis im Wald, wie er es nannte, erlitten hatte, war beträchtlich, aber überschaubar. Alles, was er bei sich gehabt hatte, Bargeld, Kreditkarten, Wertsachen, war natürlich weg. Die beiden Kreditkarten waren bis zum Limit belastet worden, obwohl er sie noch in der Nacht hatte sperren lassen. Die Wiederbeschaffung der wichtigsten Papiere, wie Ersatzführerschein und Personalausweis, würde dauern und natürlich kosten, aber besonders teuer würde der Austausch der Schlösser im Haus und im Büro werden. Er erklärte seiner Frau, dass dies unbedingt notwendig sei, da dieser Typ sowohl die Schlüssel als auch seine Adresse habe und sich jederzeit bedienen könne. Zum Glück hatte das Auto immer noch auf dem Parkplatz gestanden, als er es am nächsten Morgen aufsuchte und seltsamerweise klebte nicht einmal ein Strafzettel an der Windschutzscheibe, als wollte ihm das Schicksal eine weitere Streicheleinheit verpassen, zusätzlich zu der Samariterin. Nachdem er die notwendigsten Schritte bereits am folgenden Tag eingeleitet hatte, nur zu einem Arzt wollte er nicht gehen, genauso wenig wie zur Polizei, obwohl ihn seine Frau zu beidem drängte, hätte sein normaler Alltag fortgesetzt werden können. Aber es war nichts mehr normal, nichts war mehr so wie vor dem Ereignis im Wald. Seine Psyche war beschädigt, er war gedemütigt und verletzt worden, die Schmach musste getilgt werden und sein ganzes Denken war nur noch auf Rache ausgerichtet. Er brütete, sinnierte, plante, verwarf, verschob, plante erneut und konnte sich dennoch zu nichts Konkretem durchringen. Das Fatale war, dass er sich in diesem Zustand auf seine eigentliche Arbeit nicht mehr konzentrieren konnte. Das Geschäft litt, so lange ihn der Wunsch nach Aufklärung, Ermittlung der Täter, Wiedergutmachung, Rache beherrschte und alles andere übertönte und blockierte. Da er aber nicht wusste, wie er anfangen sollte, gegen wen er vorgehen konnte, wer ihn in diese peinliche, entwürdigende Lage gebracht hatte, musste er zunächst die Spurensuche ernsthaft aufnehmen, bevor er seine Rache systematisch planen konnte.

Das erste, dringendste Problem war die Identität seines Entführers und des Lockvogels. Wer waren die beiden? Gab es Hinweise auf ähnliche Ereignisse? Wenn ja, wo bekommt man solche Informationen her. Von der Polizei? Nein, auf keinen Fall. Er hat aus gutem Grund auf eine Anzeige verzichtet, nicht nur weil er die Wahrheit vor seiner Frau verschleiern wollte, irgendwie wären die Einzelheiten bei einer offiziellen Ermittlung doch ans Licht gekommen, sondern weil er die ganze Chose selbst in der Hand behalten wollte. Er wollte Rache und Genugtuung, aber nicht Gerechtigkeit und bei diesen Plänen hätte ihn die Polizei nur gestört oder sie höchstwahrscheinlich vereiteln. Wo also anfangen? Im Internet, bei den Suchmaschinen im Internet, beschloss er. Er surfte, gab alle möglichen Stichwörter ein und fand auch einige vielversprechende Webseiten und Portale, wie www.straftaten-unaufgeklaert.de oder http://www.mysterioese-vorfaelle.de. Er las Berichte von vielen haarsträubenden Ereignissen, von seltsamen Vorfällen, von Ungerechtigkeiten, von Rätseln en masse, aber nichts brachte ihn weiter, nichts war zu finden, was er mit seinem konkreten Fall in Verbindung hätte bringen können. Er merkte rasch, dass er so nicht weiter kam, dass er professionelle Hilfe brauchte und so suchte er eine Detektei auf, die ihm geeignet erschien. Ein älterer, unscheinbar wirkender Mann, der so gar nicht dem Klischeebild eines Detektivs entsprach, hörte ihm geduldig zu, als er seinen Fall ausführlich und emotionsgeladen schilderte und in diesem Fall auch bei der Wahrheit blieb. Am Ende zeigte sich der Detektiv interessiert, erklärte sich bereit, Recherchen durchzuführen und nannte die Kosten, die auf den Auftraggeber zukommen würden, eine nicht ganz unbeträchtliche Summe ohne die Spesen, die noch dazu kämen. Sie verabredeten sich für ein weiteres Treffen und bis dahin solle er sehr gründlich nachdenken, als ob das nicht schon die ganze Zeit getan hätte, und alles, aber wirklich alles, was in seiner Erinnerung hängen geblieben war, und die sei ja noch sehr frisch, aufschreiben. Dann erklärte der Detektiv, dass er versuchen werde, herauszufinden, ob, wo und wann es in letzter Zeit Fälle von Prostitution in einem Wohnwagen in Verbindung mit Entführung, Raub oder Nötigung gegeben habe. Seltsam sei, dass ihn bisher niemand erpresst habe, aber das könne noch kommen und das sei gar nicht einmal so schlecht, denn dann hätten sie einen Anhaltspunkt, einen Hinweis auf den Täter, eine Spur, die möglicherweise zu ihm führte. Aber darauf sollten sie jetzt nicht warten. Erpressung sei in jedem Fall scheußlich. Dann tröstete ihn der Detektiv noch ein bisschen, denn so etwas, die Sache, die ihm widerfahren sei, käme zum Glück selten vor und er habe ja dann auch nichts mehr machen können, als er in der Falle saß, er habe sich im Gegenteil ganz richtig verhalten, denn was hätte er davon, so die etwas ironische Schlussfolgerung, wenn er jtzt tot im Wald läge und die Ameisen würden ihn auffressen. Er, der Detektiv, würde sich bemühen, ähnliche Fälle zu prüfen. Er habe da so seine Quellen und Beziehungen, wenn auch keine praktische Erfahrung mit Entführungen, aber garantieren könne er natürlich für nichts, dafür seien die vorliegenden Hinweise auf die Täter einfach zu mickrig. Auch der Detektiv hatte ihn zum Anfang des Gesprächs gefragt, warum er partout nicht die Polizei einschalten wolle und auch er hatte ihm nicht geglaubt, als er ihm versicherte, er wolle seinen untadeligen Ruf nicht beschmutzen, das sei schlecht für das Geschäft, die Kunden dürften ihn mit so zwielichtigen Sachen wie Prostitution, Entführung und Raub nicht in Verbindung bringen, dann lieber gar keine Aufklärung als mit solch einem Makel leben. Das Immobiliengeschäft sei sensibel, da dürfe man sich keine Ausrutscher leisten.

Als sie sich am übernächsten Tag wieder gegenüber saßen, eröffnete ihm der Detektiv, dass er trotz seiner Beziehungen keine Hinweise gefunden habe, die auch nur halbwegs zielführend seien, aber sie dürften sich nicht entmutigen lassen, es sei nun mal ein schwieriger Fall. Dann gingen sie gemeinsam die Aufzeichnungen durch und der Fachmann ließ sich jedes kleinste Detail bestätigen, jede noch so belanglos erscheinende Nebensächlichkeit erklären. Die Frau könne er ja gut beschreiben, die habe er sich wohl gut eingeprägt und die zu finden, sei nicht unmöglich, aber den Mann, der sei ja nur höchst diffus in seiner Erinnerung vorhanden, eigentlich nur als Phänomen, nicht als Mensch. Der Campingbus sei ein weiterer Ansatzpunkt, auf den müsse man sich konzentrieren und hier müsse er noch weiter in seiner Erinnerung kramen, noch etwas mehr Milch liefern, genau so drückte sich der Detektiv aus.

Da er nichts Konkretes geboten bekommen hatte, aber immer noch auf eine schnelle Lösung hoffte, suchte er in seiner wachsenden Ungeduld sogar eine Wahrsagerin auf, deren Inserat er im Internet gefunden hatte. Er saß dann keiner Wetterhexe mit Kristallkugel und Eule auf der Schulter gegenüber, sondern eine taffe Geschäftsfrau in einem schicken Büro, die ihm die perfekte Lösung all seiner Probleme versprach, aber als sie ihm ihre horrenden Honorarforderungen nannte, für eine Reihe von Seancen, die nun einmal erforderlich seien, denn mit einer Sitzung wäre es natürlich nicht getan, kehrte sein Verstand wieder zurück und er verzichtete auf ein detailliertes Angebot und weitere Kontakte. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als sich, wie von dem Detektiv empfohlen, auf das Auto zu konzentrieren. Schon die ganze Zeit hatte er sein Gehirn zermartert, was für ein Typ das Wohnmobil gewesen sein könnte, noch nicht einmal die Automarke hatte er erkannt. Er suchte wieder im Internet und blätterte seitenweise Kataloge durch. Die Kastenform und der Elch waren in seinem Gedächtnis hängen geblieben und die seitliche Schiebetür und das Heckfenster und dass der Wagen voller Schlamm und Dreck gewesen war und dass er deswegen nicht einmal die Farbe richtig zuordnen konnte, nur dass sie hell war, vermutlich weiß oder beige. Jedenfalls war es kein Modell, das er kannte, kein VW-Bus, kein üblicher Campingbus. Wieder und wieder versetzte er sich in die Situation, als er hinter der Schwarzen auf dem Parkplatz angekommen war, wie erstaunt er war, dass sie ihn in ein Wohnmobil mitschleppen wollte, ihn, den eleganten Geschäftsmann, der trotz der Hitze das Jackett und sogar den Schlips anbehalten hatte, ihn wollte diese Nutte in ein altmodisches, völlig verdrecktes Fahrzeug locken. Wenn diese verdammte Gier nicht gewesen wäre, dachte er nun, hätte er sich auf so etwas doch nie eingelassen. Jetzt ärgerte er sich auch, dass er genau deswegen, wegen dieser blinden Gier, nur die Frau angestarrt und sich das Auto so gut wie gar nicht eingeprägt hatte, geschweige denn das Nummernschild, aber das war ja ohnehin unleserlich gewesen, voller Dreck und Staub. Nur in einem war er sich sicher, es war mit seiner Kombination aus Buchstaben und Zahlen, obwohl nicht erkennbar, ein deutsches, also war es ein in Deutschland zugelassenes Auto. Da war doch noch dieser Aufkleber gewesen, dieser Elch, den Skandinavienfahrer gerne verwendeten. Aber ein Auto an Hand eines Aufklebers zu ermitteln, war absurd. Dann fiel ihm der Begriff altmodisch wieder ein, genau das war der plumpe Kasten des Wohnteils, altmodisch. Ein altmodischer Campingbus, sinnierte er und plötzlich sah er etwas vor sich, etwas, das ihm aufgefallen war, das er aber sofort wieder vergessen hatte, weil ihn die Schwarze zum Einsteigen gedrängt hatte. Dieser altmodische Kasten bestand zum Teil aus Wellblech, jedenfalls so etwas Ähnliches wie Wellblech. Ein Material, das bei der Konstruktion von früher schon selten war und heute natürlich überhaupt keine Rolle mehr spielte. Wellblech und Auto? Ja richtig! Solche Autos hatte es tatsächlich gegeben und sie hatten in alten, französischen Krimi ein Rolle gespielt. Besonders ein Film mit Jean Gabin, ein film noir, dessen Titel er vergessen hatte, aber in dem ein Lieferwagen eine wichtige Rolle gespielt hatte, ein altmodischer, wenig eleganter Kastenwagen mit einer Wellblechkarosserie. Sofort begann er die Suche nach französischen Campingbussen im Internet. Manche dieser Wagen hatten tatsächlich solche Karosserien oder zumindest bestanden sie zum Teil aus Wellblech. Eine alte Version des berühmten Citroen Deux Cheveaux zum Beispiel, das war die reinste Wellblechschaukel gewesen, erinnerte er sich nun. Der Aufbau des Wagens auf dem Parkplatz war nicht völlig aus diesem Material gewesen, da war er sich sicher, aber zumindest ein Stück Wellblech war für die Karosserie verwendet worden. So langsam stellten sich die Erinnerung wieder ein und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Ja doch, dieser Streifen an der Seite, eine Verzierung in etwa in einem Meter Höhe, der war ihm aufgefallen, als er einsteigen wollte. Nur weil ihn die Nutte genau in diesem Moment gedrängt, ja regelrecht hochgezogen hatte, war ihm dieses Detail nicht im Gedächtnis hängen geblieben. Wie blöd von ihm. Aber jetzt war er sich absolut sicher. Das war ein wichtiges Merkmal, mit dem er etwas anfangen konnte. Er fuhr fort, das Internet fieberhaft nach französischen Campingbussen abzugrasen. Er arbeitete sich durch lange Seiten mit allen möglichen, meist hässlichen Kastenwagen. Viele Typen konnte er aussortieren, sie sahen ganz anders aus, manche Marken, wie Simca, gab es gar nicht mehr. Da die französischen Autobauer überschaubar sind, konzentrierte er sich auf Renault, Citroen und Peugeot. Ein eckiges, wenig attraktives Wohnmobil mit Wellblechteilen. Am Ende war er sich sicher, es war ein Peugeot. Genau! Das musste der Wagen gewesen sein. Wieder und wieder schloss er die Augen und strengte sein Gehirn an. Ja, das war er. Er war sich sicher.

Der Detektiv, dem er die neue Erkenntnis sofort mitteilte, kannte einen Polizisten, der Zugang zu der zentralen Zulassungskartei hatte, und fand so heraus, dass es von diesem Typ nur noch wenige zugelassene Wagen in Deutschland gab. Nach ein paar Tagen faxte er ihm eine Liste mit den Kennzeichen und den Adressen der Halter. Um die Recherchekosten in Grenzen zu halten, hatte ihm der Detektiv vorgeschlagen, dass er selbst die Orte aufsuchen und herausfinden solle, ob er den Wagen irgendwo auf der Straße entdeckte. Wegen der weiteren Ermittlungen könne er, der Detektiv, dann wieder in Aktion treten. Und so eröffnete er seiner Frau, dass er an den nächsten Wochenenden einige dringende, geschäftliche Termine wahrnehmen müsse. Sie wunderte sich über diesen ungewöhnlichen beruflichen Einsatz, er habe doch noch nie am Wochenende weg müssen und jetzt gleich so oft. Sie glaubte ihm wieder kein Wort, als er wortreich erklärte, er wolle sich erweitern, seinen Geschäftsbereich über die Stadtgrenzen, ja über die Landesgrenzen ausdehnen und dazu müsse er sich selbst ein Bild von den Regionen machen, die infrage kämen.

„Du hast bestimmt eine andere in einer deiner Regionen, mit der du dich am Wochenende rumtreibst. Genauso wie du bei einer anderen warst, als du mich abholen solltest. Ihr habt Sexspielchen im Wald gemacht oder komische Wetten abgeschlossen oder euch in einem Sado-Maso-Club vergnügt und dann ist ihr Freund oder Zuhälter unerwartet aufgetaucht und hat dir eine auf den Rüssel gegeben. Oder die Spielchen sind aus dem Ruder gelaufen, du hast verloren und musstest als Strafe nackt durch die Prärie tappen, sozusagen die schlimmste aller Strafen. So war es, lüg mich nicht an und jetzt willst du neue Abenteuer suche, du Giermorchel.“

Er schwieg, sie bohrte nicht weiter nach, war sich aber ihrer Sache sicher.

Vier Mal fuhr er vergebens zu einer der Adressen. Drei Mal Fehlalarm, obwohl er das Auto sah, aber entweder stimmte die Farbe nicht oder der kastenförmige Aufbau sah ganz anders aus. Einmal fand er das Auto nicht. Es war nach Aussage von Nachbarn, denen er Kaufinteresse vorgegaukelt hatte, vor Kurzem verschrottet oder verkauft worden, weil der Besitzer, ein alter Mann, ins Altersheim umgezogen sei. Dann endlich, am fünften Wochenende, wurde er fündig. Er war in ein kleines Dorf gekommen, ein typischer Schlafort in der Nähe einer Großstadt. Er sah den Peugeot bereits im Vorbeifahren vor einem Haus stehen und erkannte die typische Kastenform mit dem Wellblechstreifen am Rand, auf Anhieb wieder. Er war immer noch schmutzig, wenn auch nicht mehr gar so sehr wie auf dem Parkplatz damals. Das Nummernschild war jetzt deutlich zu erkennen und er notierte sich die Nummer. Als er zum zweiten Mal vorbei fuhr, sah er auch den Aufkleber mit dem Elch. Er atmete tief durch, das war es also. Warte nur Freundchen, bald habe ich dich. Dann suchte er sich einen Platz, von dem aus er das Auto und das Haus beobachten konnte, nicht zu nah, nicht zu weit weg, eine heikle Sache in einem kleinen Dorf. Aus seinem Auto heraus machte er mit seinem Handy ein paar Fotos von dem Objekt und von dem Haus, auf dessen Hof das Auto stand. Es sah ziemlich heruntergekommen aus, ein freistehendes Einfamilienhaus mit einem großem Hof und einem kleinen Vorgarten. Er konnte nicht erkennen, ob jemand zu Hause war und so beschloss er, in seinem Auto zu warten und das Haus zu beobachten. Die Zeit verging im Schneckentempo. Nichts rührt sich. Niemand kam, keiner ging. Ab und zu kamen zwar Menschen vorbei, auch ein Nachbar tauchte wiederholt auf und äugte neugierig zu ihm hin, aber ansonsten gab es so gut wie keine Veränderungen, die ganze Gegend war wie ausgestorben. Er blieb die ganze Zeit im Auto sitzen, ziemlich abgetaucht, um möglichst wenig aufzufallen, um kein Aufsehen zu erregen. Er wollte nur beobachten, nur feststellen, wie der Besitzer aussahe und ob auch eine schwarze Frau auftauchen würde. Sie wäre sozusagen der letzte Beweis. „Euch Arschlöchern werde ich auf die Spur kommen“, dachte er und gähnte. Dieser Job war unsäglich langweilig und einschläfernd. Im Auto sitzen und warten und beobachten, nein, Detektiv wäre kein Beruf für ihn. Das Autoradio ging schon längst nicht mehr, die Energiesicherung hatte es abgeschaltet. Den Motor anlassen wollte er natürlich nicht. Er hatte Hunger und Durst und gähnte wieder, kniff die Augen zusammen und blinzelte. Die Augenlider wurden immer schwer. Es wurde dunkel. Die Fahrt war lang und anstrengend gewesen. Viel Verkehr, ständig hatte er sich konzentrieren müssen und auch jetzt war nicht die Zeit zum Ausspannen und Erholen. Erst duselte er vor sich hin, dann nickte er ein, schrak noch ein paarmal hoch, doch schließlich schlief er, obwohl er sich vorgenommen hatte, genau das zu vermeiden und obwohl es unbequem ist, auf dem Vordersitz eines Autos zu schlafen, mit dem Steuer vor der Brust und den Pedalen vor den Füßen. Als er aufwachte, begann es gerade wieder hell zu werden. Er blinzelte erneut und riss dann die Augen auf. Das Wohnmobil war weg. Er fluchte, was für eine Kacke.

Zumindest wusste er jetzt, dass jemand da war, dass jemand die ganze Zeit dagewesen oder in der Nacht gekommen war und dann weggefahren ist. Obwohl immer noch kein Mensch auf der Straße war, fühlte er sich beobachtet und traute sich nicht, auszusteigen und zu pinkeln. Er öffnete die Tür gerade soweit wie nötig und pinkelte ins Freie. Der Mund war nun völlig ausgetrocknet, er hatte Hunger, aber es musste ohne Kaffee, ohne Frühstück gehen. Dummerweise hat er nicht daran gedacht, sich etwas mitzunehmen, nicht einmal eine Flasche Wasser und um diese Zeit war kein Geschäft auf. Es war Sonntag und außerdem würde er in diesem Kaff sowieso nichts finden. Er war frustriert und auf einmal hatte er von dem Warten und dem Beobachten die Nase voll, von diesem überaus lästigen und langweiligen Warten. Er war absolut kein Wartetyp. Was würde er denn noch herausfinden, wenn er weiter hier bliebe. Ja, vielleicht würde er die Frau sehen und wiedererkennen, den Mann bestimmt nicht, den hatte er ja gar nicht richtig gesehen. Dann fiel ihm ein, dass er sich den Namen auf der Haustürklingel notieren sollte, um zu prüfen, ob er mit dem auf der Liste übereinstimmte, die er von dem Detektiv erhalten hatte. Er stieg nun doch aus und ging, wie zufällig, die Straße entlang. Ein Blick auf das Schild neben der Klingel zeigte, dass der Name Joachim G. tatsächlich derselbe war. In großem Bogen ging er zurück zu seinem Auto und dann machte er sich auf den Weg nach Hause, überzeugt, dass er gefunden hatte, wonach er so dringend gesucht hatte, überzeugt, dass hier der Täter zu Hause war, auch ohne den letzten Beweis, ohne die schwarze Schöne gesehen zu haben. Drei Stunden Fahrt lagen vor ihm. Seine Frau wunderte sich, dass er so früh wieder da war, stellte aber keine Fragen.

Verirrungen

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