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Holland: Verruchtes Amsterdam

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Von Simone Gorosics, nach-holland.de

Wir fuhren im Sommer nie nach Holland an die Nordsee. Auch die obligatorische Klassenfahrt nach Amsterdam gab es bei mir nicht. Ich bin in Süddeutschland aufgewachsen, da fuhr man in den 80ern mit der Schule nach Prag oder Budapest. Zum einen standen die Länder des Ostblocks damals auf dem Lehrplan und zum anderen war es dort für uns natürlich unschlagbar günstig. Bei Bierpreisen von umgerechnet zehn Pfennig mussten wir mit 17 Jahren nicht lange nachdenken, wohin unsere Klassenfahrt gehen sollte. Bei meinem ersten Mal Holland war ich schon Mitte 20. Es war nur ein kurzer Stopp in Amsterdam, ein erstes Eintauchen in diese etwas verrufene Stadt. Ein bisschen schmuddelig war Amsterdam damals, noch schmuddeliger als heute. Wir schliefen in einem dieser Mehrbettzimmer mit metallenen Stockbetten und den metallenen Spinden mit quietschenden Türen fürs Gepäck. Seine Wertsachen ließ man dort nicht, die nahm man besser immer mit. Wie viele Betten es im Zimmer waren, kann ich nicht mehr sagen, aber es war ein ständiges Kommen und Gehen bei Nacht. Schrecken konnte uns das aber keinesfalls. Wir kamen gerade aus Mittelamerika zurück, Amsterdam war nur ein Zwischenstopp auf der Heimreise. Nach sechs Wochen Rucksack-Tour durch Honduras war diese Unterkunft schon beinahe Luxus. Es gab sogar eine heiße Dusche, was wollte man mehr.

Alles dort war cool. Coole Graffitis an der Wand. Coole Musik in der coolen Bar. Coole Typen mit Rastas, die sich einen Joint nach dem anderen anzündeten. Offiziell war das Kiffen im Hostel auch damals schon verboten. Trotzdem schlug einem dieser typische, etwas süßliche Geruch entgegen, wenn man die Eingangstür öffnete. Wahre Nebelbänke musste man durchkreuzen, bevor man in seinem Zimmer war. Mein Vater hatte mich gewarnt vor dieser Stadt. Überall Junkies gäbe es dort, die einen in eine Gracht werfen würden, nachdem sie einem das Geld gestohlen hätten. Junkies, die sich in dunklen Ecken einen Schuss setzten, gab es tatsächlich. Die große Säuberung der Innenstadt hatte noch nicht stattgefunden. Der Rest aber war maßlos übertrieben. Niemand wollte mich ausrauben und auch dem Wasser der Grachten kam ich nicht unfreiwillig zu nahe. Vermutlich war auch schon damals der Handel mit gestohlenen Fahrrädern die erste Wahl zur Finanzierung der Drogensucht. Viel ungefährlicher und auf Dauer vermutlich sogar lukrativer. Fahrräder gab es ja mehr als genug.

Es war kalt und neblig. Ich fror. Sowohl mein Körper als auch meine Garderobe waren noch auf Tropen eingestellt. Wir liefen durch die Gassen Amsterdams. Über unzählige Brücken, an den vielen Grachten in der Altstadt entlang. An jeder Ecke gab es einen Tattoo-Shop. Jede Menge Motivbücher blätterten wir dort durch. Rankende Armbänder, chinesische Schriftzeichen, flatternde Schmetterlinge. Heute bin ich sehr froh, dass ich mich damals für kein Motiv entscheiden konnte und untätowiert nach Hause fuhr. Im Haus gleich nebenan befand sich ein Piercingstudio. Vermutlich das erste seiner Art, das ich überhaupt sah. Ich Landei stand sprachlos vor den großen Farbfotos im Schaufenster und wunderte mich, was man wo überall durchstechen konnte. Phantomschmerzen machten sich bei diesem Anblick in meinem Körper breit, ich erinnere mich genau. Eine große Neigung zum Übertreten der Türschwelle verspürte ich nicht.

Auch sonst gab es für mich Wunderliches an jeder Ecke. Große Schaufenster in der Fußgängerzone mit Pornoheftchen und allerlei Spielzeug, die es in Deutschland nur unter dem Ladentisch gab und die mich etwas verlegen zurückließen. Die holländischen Mütter mit ihren Kindern, die daran vorbeiliefen, waren da schon abgebrühter. Dazu ein Sexmuseum, in dem sich Gruppen von kichernden Mädchen vor den Fotos drängten. Ein sich wiederholendes, lautstarkes, schon etwas hysterisch klingendes «Oh My God!» einer Amerikanerin hallte durch den Raum. Ganze Stadtviertel mit großen Fenstern, in denen Damen in Unterwäsche probierten, es sich auf einem Hocker bequem zu machen und dabei noch sexy auszusehen. Horden von meist männlichen Touristen drängten sich durch die engen Gassen und besichtigten das Angebot. Die eine oder andere Tür hatte sich bereits geöffnet und das Preis-Leistungsangebot wurde diskutiert.

Erinnerungen an das holländische Klischee, an Tulpen, Käse und Windmühlen, die es zweifelsohne auch damals zuhauf gab, sind in meinem Kopf nicht zu finden. Wohl zu normal, zu gewöhnlich, um sich über Jahrzehnte in meinem Gehirn festzusetzen. Bei diesem ersten Besuch in Amsterdam stand wohl die unbekannte, die verruchte Welt in meinem Fokus. Sex, Drugs and Rock‘n Roll – auch so ein holländisches Klischee.


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