Читать книгу Umgelegt vom Killer: Krimi Koffer 9 Romane - A. F. Morland, Pete Hackett - Страница 73
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Durch den Halleffekt klang Milos Stimme sehr verfremdet. Ich erkannte sie dennoch sofort wieder.
Milo klang so gewaltig, als hätte er durch ein Megafon gesprochen.
Die Lichtkegel der Maskierten wanderten suchend an den Betonwänden entlang. Einen Augenblick lang herrschte komplette Verwirrung. Und zweifellos war das Milos Absicht gewesen.
Zwei Kerle hielten mich an den Armen.
Ich befreite den linken Arm mit einem Ruck und ließ die Faust zur Seite schnellen. Sie landete einen Sekundenbruchteil später mitten in einem Gesicht. Ich hörte den schmerzerfüllten Aufschrei, während ich gleichzeitig mit dem zweiten Bewacher niederstürzte. Ich versetzte ihm dabei einen schnellen Hieb.
Wir fielen zusammen in die schlammige, stinkende Brühe.
Über uns hinweg pfiffen die Kugeln durch die Dunkelheit.
Immer wieder blitzte es auf. Die Maskierten waren von Panik erfüllt. Sie schossen wild umher. Irgendwo in der Ferne, von der anderen Seite des Kanals her, blitzte eine einzelne Waffe mehrfach auf. Eine schwache Antwort auf die gebündelte Feuerkraft der Maskierten. Aber immerhin reichte es, um sie durcheinanderzubringen. Und außerdem wurden sie so dazu gezwungen, sich in Deckung zu begeben.
Mein Gegner und ich stürzten in die schlammige Brühe und wälzten uns darin. Ich versuchte, ihm die Waffe zu entreißen, eine kurzläufige Maschinenpistole. Er trug sie an einem Riemen um die Schulter. Seine Rechte hielt den Griff umklammert.
Er war stark. Er packte mich am Hals, hielt mich unter Wasser, bis ich glaubte, nicht mehr Atmen zu können. Dann gelang es mir, mich aus seiner Umklammerung zu befreien.
Ich drückte ihn zur Seite, schnellte empor und vollführte einen Hechtsprung, der mich wieder im Wasser landen ließ.
Mein Bewacher riss die Waffe hoch, richtete sie dorthin, wo ich im dunklen Wasser untergetaucht war.
Er drückte ab.
Eigentlich hätte im nächsten Moment eine ganze Bleisalve in das Wasser über mir einschlagen müssen... Aber das geschah nicht. Die MPi blockierte. Vielleicht, weil zuviel Wasser eingedrungen war. Dann erwischte es den Kerl an der Schulter. Er schrie auf, taumelte zurück.
Ich blieb unter Wasser, bewegte mich kriechend vorwärts.
Das Wasser wurde jetzt tiefer. Für mich bedeutete das zusätzlichen Schutz. Kurz tauchte ich an die Oberfläche. Die Schüsse blitzten noch immer durch den Kanaltunnel. Die Situation war verworren. An mehreren Stellen zuckten die Mündungsfeuer blutrot aus den Läufen heraus. Ich tauchte erneut und als ich dann wieder an die Oberfläche kam, war es stockdunkel. Selbst die Hand vor Augen war nicht zu sehen.
Kein Lichtkegel irgendeiner Lampe mehr. Nicht einmal die Kontrollleuchte einer Digitaluhr.
Ich lauschte.
Das Wasser plätscherte.
Aber ansonsten war sekundenlang nichts zu hören. Kein Schritt, kein Laut, kein Atmen.
Ich bewegte mich vorsichtig weiter. Wenn die Maskierten sich noch hier im Tunnel befanden, dann waren sie genau so blind wie ich. Denn ihre Nachtsichtgeräte funktionierten wie die Augen einer Katze. Das Restlicht wird gebündelt. Aber hier gab es kein Restlicht.
Wie blind ging ich weiter. Irgendwann würde ich die Betonwand erreichen und an der konnte ich mich dann orientieren. Das Wasser reichte mir nur noch bis zu den Knien. Das bedeutete, dass es bald soweit war. Die Vertiefung in der Mitte des Kanals hatte ich hinter mir.
Ich erreichte die Wand. Meine Hände glitten über den kalten, glitschigen Beton.
Ein Geräusch ließ mich erstarren.
Ratsch!
Ein Laut, so als ob jemand ein Magazin in eine Waffe hineinschob.
Ich hielt den Atem an.
In absoluter Dunkelheit kann man selbst auf eine Distanz von wenigen Metern seine Orientierung verlieren, wenn man nicht als Blinder daran gewöhnt ist, nichts zu sehen. Ich hatte geglaubt, mich von den Maskierten wegbewegt zu haben.
Dorthin, wo ich Milo vermutete.
Aber es war auch möglich, dass ich mich irrte...
Ich hielt inne, rührte mich nicht.
Meine Taschenlampe funktionierte vermutlich nicht mehr, weil sie zu feucht geworden war. Und selbst wenn doch, dann hätten mich vermutlich eine Sekunde, nach dem Aufleuchten ihres Lichtkegels ein Dutzend Projektile zersiebt.
Ich wusste nicht, ob Milo überhaupt noch lebte.
Und es gab auch keine Möglichkeit, das zu erfahren.
Keine Möglichkeit, ohne ihn dabei in Gefahr zu bringen.
Denn wenn ich einfach seinen Namen rief, konnte das bedeuten, dass die Jagd auf ihn eröffnet wurde. Und nebenbei hatten die Maskierten dann auch einen akustischen Anhaltspunkt, wo ich mich befand.
Toter Mann spielen, durchfuhr es mich. Das war im Moment alles, was ich tun konnte.
Milo schien das genauso zu sehen.
Und unsere Gegner ebenso.
Wer sich als erster bewegte, einen Laut von sich gab oder für Licht sorgte, war geliefert.
Jemand bewegte sich auf mich zu... Ich hörte ganz leise die Bewegungen. Der andere orientierte sich genau wie ich an der Betonwand. Sehr vorsichtig schritt er durch das knietiefe Wasser. Ich spürte die kleinen Wellen, die das verursachte.
Der andere hatte sich bis auf wenige Meter genähert...
In meinem Hirn arbeitete es fieberhaft.
Die meisten Menschen sind Rechtshänder. Also nahm ich das auch von meinem Gegenüber an. Wenn der Kerl mich erreicht, musste ich seinen Waffenarm zu fassen kriegen - und zwar sehr schnell. Sonst war es vorbei. Ich verhielt mich absolut ruhig. Die Wellen, die gegen meine Knie schlugen wurden heftiger.
Ich hörte ein Atmen.
Und dann schnellte ich vor.
Ich spürte eine menschliche Gestalt, etwa ebenso groß wie ich selbst. Ich drückte mein Gegenüber gegen die Wand und bekam tatsächlich den rechten Arm zu fassen. Ich bog ihn zur Seite. Grell blitzte es auf, als sich ein Schuss löste.
Eine Sekunde später brach die Hölle los.
Aus mindestens einem Dutzend Rohren wurde geschossen.
Mündungsfeuer zuckten gelbrot aus den Mündungen heraus. Der Mann, mit dem ich gerungen hatte, duckte sich genau wie ich selbst. Und mir war plötzlich klar, wen ich vor mir hatte.
"Runter, Jesse!", brüllte Milo.
Er feuerte nicht.
Stattdessen schob er mich vor sich her, die glitschige Wand entlang.
Unsere Gegner ballerten einfach drauflos, in der Hoffnung, dass irgendeine ihrer zahlreichen Kugeln uns schon erwischen würde. Sie waren zwar in der Überzahl und hatten eine überlegene Ausrüstung. Trotzdem hatten sie Angst. Sie wussten nicht, mit wie vielen Gegnern sie es zu tun hatten. Und diese Ungewissheit war unser Verbündeter.
Milo hatte die Maskierten erfolgreich geblufft.
Blieb nur die Frage, wann ihnen das auffiel...
Wir pressten uns in eine Nische hinein. Auf der anderen Seite wurde das Feuer eingestellt. Hier und da waren Stimmen zu hören. Ärgerliche Stimmen. Taschenlampen wurden eingeschaltet. Die Lichtkegel suchten die Kanalwände systematisch ab. Wir verhielten uns ruhig, atmeten kaum.
"Noch ein paar Meter, Jesse", flüsterte Milo. "Da muss ein Aufgang sein..."
Die Stimmen der Maskierten wurden lauter.
Ihre Angst war gewichen.
Wir bewegten uns vorsichtig weiter.
Ein Lichtkegel erfasste uns. Für den Bruchteil einer Sekunde waren wir deutlich zu sehen. Eine Maschinenpistole knatterte los, eine zweite folgte kurz darauf. Die Kugeln schlugen rechts und links von uns in den Beton, rissen kleine Löcher hinein und brachen hier und da ein ganzes Stück aus dem Mauerwerk.
Geduckt und halb im Schlammwasser kriechend schnellten wir voran. Milo schoss ein paar Mal in Richtung der Lichter. Dann erreichte ich eine rostige Metallsprosse und umfasste sie.
Darüber waren weitere Sprossen, an denen Mann hinaufsteigen konnte.
"Hier ist es!", rief ich heiser.
"Los, rauf, Jesse!", erwiderte Milo und feuerte.
Ich zählte in Gedanken immer mit...
Sein Magazin musste bald leer sein...
Ich kletterte hinauf, Milo folgte mir und schoss dabei. Um Haaresbreite verfehlten uns die Kugeln. Immer höher ging es hinauf, bis wir in einen röhrenartigen Aufgang gelangt, der von dem großen Kanal, den wir gerade verlassen hatten, senkrecht nach oben abzweigte. Das rostige Metall schnitt in die Hände. Die Luft war stickig.
Ich blickte hinauf und sah...
...Licht!
Nur ein paar kleine Punkte. Ich zögerte.
"Weiter!", drängte Milo.
"Hast du eine Ahnung, wo wir da rauskommen?"
"Ich weiß, wo wir herkommen", erwiderte Milo.
Augenblicke später hob ich einen schweren Gullideckel aus Beton zur Seite, in dem sich kleine Abflusslöcher befanden.
Wir kletterten an die Oberfläche und befanden uns an einem unterirdischen Subway-Bahnhof an der 23. Straße, wie die Anzeigen verrieten. Hunderte von Passanten drängte sich auf dem Bahnsteig, zwängten sich in die Triebwagen oder strebten aus den Zügen heraus.
Nachdem Milo auch herausgestiegen war, schloss ich den Gulli wieder.
"Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich über diesen Anblick freue", meinte Milo.
"Das da unten war ganz schön knapp", sagte ich. "Die wollten mich umbringen. Du hast mir in letzter Sekunde das Leben gerettet. Sid und Brett hatten leider nicht so viel Glück..."
"Was ist mit ihnen?"
"Die Maskierten haben sie einfach über den Haufen geschossen."
"Verdammt..." Milo ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. "Die beiden waren vielleicht - gemessen an der großen Masse der New Yorker - so etwas wie abgedrehte Freaks, aber sie waren auch nette Kerle. Ich will, das wir diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die so etwas tun. Die in den Menschen da unten nichts anderes als Tiere sehen. Ein Ersatzteillager für menschliche Organe bestenfalls."
Ich nickte. "Das werden wir", sagte ich. Wir sahen uns kurz an. Wir wussten beide, dass das nicht einfach so dahingesagt war. Es war ein Versprechen.
"Heh, verschwindet hier!", fuhr uns ein breitschultriger Beamter der City Police an, der zusammen mit einem Kollegen gerade hier unten auf Streife war. "Wollt ihr die Fahrgäste erschrecken?"
Milo und ich sahen wirklich nicht besonders gut aus. Unsere Sachen waren ohnehin abgetragen. Jetzt troffen sie von stinkendem Abwasser. Meine Haare klebten mir im Kopf, und ich starrte vor Dreck.
"Ich bin FBI Special Agent Jesse Trevellian, dies ist mein Kollege Agent Tucker", sagte ich meinen Spruch auf und wollte schon reflexartig unter meinen Parker greifen, als mir einfiel, dass ich meinen Dienstausweis ja ausnahmsweise mal nicht dabei hatte.
Die beiden Cops waren sehr nervös.
Sie griffen zu den Dienstpistolen.
Nur eine Sekunde später blickten Milo und ich in die blanken Mündungen ihrer SIGs.
"Schön ruhig ihr beiden, ja?", meinte der Breitschultrige.
Sein Kollege war etwas schmächtiger und mindestens zehn Jahre jünger. Er musste noch ziemlich neu beim NYPD sein.
Jedenfalls wirkte er sehr nervös.
"Hören Sie, das ist ein Missverständnis", sagte ich. "Bitte benachrichtigen Sie umgehend das Hauptquartier des FBI Districts New York. Eine Etage unter uns befindet sich eine Meute gefährlicher und schwerbewaffneter Killer... Das Gebiet muss weiträumig abgeriegelt werden und..."
"Zeigen Sie erstmal Ihren Ausweis!", zischte der Dürre.
"Haben wir im Moment nicht dabei", erwiderte ich kleinlaut.
Die folgende Prozedur konnte ich mir gut genug ausmalen, um zu wissen, wie zeitraubend das Ganze werden würde. Bis dahin waren die Maskierten längst verschwunden. Es blieb ein schwacher Trost, dass sie uns bis hier her nicht verfolgen konnten, geschweige denn an einem belebten U-Bahnhof über den Haufen schießen. Die Polizeibewachung, die wir jetzt genossen, trug dazu natürlich ein übriges bei.
"An die Wand stellen, Beine auseinander..."
"Sprechen Sie mit Mister McKee, dem District-Chef", meinte ich. "Sie gefährden eine Undercover-Mission..."
"Ja, und der letzte Freak, der hier den Bahnhof unsicher machte, war Napoleon oder Jesus Christus."
Es war nichts zu machen.
Milo und ich waren so überzeugend in unseren Undercover-Rollen, dass die beiden Cops uns für Mole People hielten. Und als einer der beiden wenig später noch die SIG Sauer P226 aus Milos Kleidern herausholte, war die Sache sowieso gelaufen.