Читать книгу Schulausflug des Grauens - A. Kaiden - Страница 6

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„Oh, Fuck!“

Gülcan drehte sich entsetzt und angeekelt um. Sie standen gedrängt im Badezimmer und starrten auf den ausgeweideten Leichnam, der sich immer noch zu einer stummen Melodie langsam hin und her wiegte.

„Wo … wo ist der Rest?“

Jessica merkte, wie eine immer größer werdende Übelkeit in ihr hochstieg, je länger sie die Tote anstarrte, deshalb wandte auch sie sich hastig ab. Auf ihre Frage bekam sie keine Antwort.

„Was machen wir jetzt?“, flüsterte Sandra atemlos.

„Wir müssen die Polizei rufen, doch hier gibt es kein Telefon und die Lehrer haben unsere Handys eingesackt“, bemerkte Alexander mit einem bitteren Unterton.

„Könnten … könnten wir das bitte unten besprechen und zwar ohne sie?“, stotterte Natascha und zeigte auf Frau Mann.

„Da gibt es nix zu besprechen. Wir müssen Herrn Fasler im Nachbarhaus Bescheid geben“, antwortete Jessica trocken.

„Aber das Freizeithaus der anderen ist mindestens eine halbe Stunde zu Fuß entfernt!“, empörte sich Sandra, worauf Mario nur mit den Schultern zuckte.

„Na und? Wir haben keine andere Möglichkeit. Also lasst uns gehen.“

Die anderen nickten zustimmend, niemand von ihnen wollte länger als nötig mit der Leiche im Badezimmer verweilen. In stillem Einverständnis rannten sie die Treppe wieder nach unten. Der Klassenausflug war hiermit wohl beendet.

*

„Die Tür ist abgeschlossen!“

Christoph rüttelte energisch an der großen Eingangstür. Alexander kam langsam aus der Küche geschlichen. Auch er war inzwischen aschfahl. Die grausame Wirklichkeit schien bei ihm anzukommen, wobei er die Situation lieber für einen Traum gehalten hätte.

„Der Hinterausgang ist auch verschlossen. Was jetzt?“

Sie sahen einander fragend an. Die Jugendlichen spürten, wie die Panik in ihrem Innern zu erwachen begann, wie ein hungriger Drache.

„Die Tür zum Garten im Speisezimmer“, meldete sich Nicole leise, die sich langsam wieder beruhigte. Mario und Christoph sprangen sofort auf, um nachzusehen.

„Ich glaub’s nicht.“

„Was – was glaubst du nicht?“, fragte Sandra und sah ihre Freundin Jesse an.

„Dass offen ist! Was denn sonst? Stell dich doch nicht blöder, als du bist!“, fuhr diese sie gereizt an. Böse schauten sich die zwei Mädchen an.

„Alter, habt ihr jetzt nichts Besseres zu tun?“, unterbrach Alexander die Freundinnen und seufzte genervt auf. Inzwischen kamen Mario und Christoph wieder zurück.

„Wir sind in diesem verfluchten Haus gefangen!“

„Eingeschlossen mit einer Leiche, na toll!“, murmelte Sandra leise vor sich hin. Dass der Ausflug nicht der Knüller werden konnte, war von Anfang an jedem hier klar gewesen: Mitten im Nirgendwo in zwei getrennten Häusern eingepfercht, aber das jetzt überstieg alles.

„Wir müssen sie entsorgen“, bemerkte Jessica nebenbei, vielleicht etwas zu gleichgültig.

„Was?“

Die anderen blickten sie entsetzt an, doch sie schien es vollkommen ernst zu meinen.

„Wie denn? Willst du sie etwa zerstückeln, du Psycho? Das kannst du allein machen! Ohne mich!“

Gülcan schüttelte entschieden den Kopf. Mit welchen Leuten war sie hier eingesperrt? Hätte sie doch die andere Gruppe gewählt, dann wäre sie nun nicht in dieser Lage.

„Wollt ihr sie da etwa hängen lassen? Ist echt ein schöner Anblick beim Duschen!“

„Ich geh da nicht mehr rein!“, jammerte Nicole. In Gedanken sah sie wieder die baumelnde Leiche vor sich. Ein Schauer lief ihr über den Rücken und erneut stiegen ihr Tränen in die Augen.

„Viel Spaß dann beim Stinken!“, konterte Sandra gereizt und stieß Nicole unsanft zur Seite. Stephanie warf ihr vorwurfsvoll einen ermahnenden Blick zu. Sandra verdrehte die Augen und seufzte gereizt auf. Sie wollte hier raus und zwar schnellstens.

„Ich finde, Jessica hat recht. Wir können sie da nicht so hängen lassen“, überlegte Mario laut.

Alexander nickte zustimmend und sah auffordernd in die Runde.

„Wir können sie eventuell essen, wenn die Nahrung knapp wird. Genug ist ja dran!“, warf Jesse ein und grinste boshaft und amüsiert zugleich.

„Igitt, bist du krank!“

Sandra legte ihre rechte Hand auf die Stirn, dann lächelte sie etwas schräg, doch die anderen bekamen das nicht mit.

„Wir könnten sie in den Keller werfen“, schlug Christoph vor. „Dort stört sie niemanden, oder?“

Unsicher blickte er von einem zum anderen und wartete eine Antwort ab.

„Das ist gut“, stimmte Alexander schnell zu.

„Und wer soll sie runterbringen?“, fragte Stephanie angeekelt mit hochgezogener Augenbraue. „Ich fasse sie nicht freiwillig an!“

Die Blicke der Mädchen richteten sich automatisch auf die Jungen, welche genervt und geräuschvoll ausatmeten.

„Warum wir? Ich dachte, ihr seid alle Emanzen?“, nörgelte Christoph und verschränkte protestierend die Arme vor der Brust.

„Von wegen! Wann haben wir denn so was behauptet?“, entgegnete Sandra angriffslustig.

„Immer die gleiche Leier von wegen Gleichberechtigung - und jetzt plötzlich sollen wir wieder herhalten?“

„Kannst du mir mal sagen, wie wir das schaffen sollen? Ihr habt einfach mehr Kraft!“

„Schluss! Das hält ja kein Mensch aus“, meldete sich wieder Mario zu Wort. „Alexander, Christoph und ich werden das Problem lösen.“

*

„Nur noch ein Stück! Jetzt!“

Polternd fiel der braune Sack mit der Leiche die Treppen hinunter. Lange starrten die drei Jungen in das dunkle, alles verschlingen wollende Nichts des Kellers, aus dem ein kalter, etwas feucht modriger Geruch kam.

„Das wär’s dann. Und jetzt?“

„Wie ‚was jetzt? Warten, bis die andere Gruppe wieder zurückkommt. Was denn sonst? Willst du dich durch die Gitter der Fenster quetschen? Viel Glück!“, beantwortete Mario bissig Alexanders Frage. Schweigend durchquerten sie die Küche und den Speisesaal, um in den Aufenthaltsraum zu gelangen, wo der Rest ihrer Gruppe vor dem knisternden Kamin saß und ruhig vor sich hin starrte – jeder seinen Gedanken nachgehend.

„Hört zu, spätestens morgen sind wir hier wieder raus.“

Alle sahen Mario an, der die angespannte Stimmung unterbrochen hatte.

„Morgen wollte unsere gesamte Klasse in die Stadt. Habt ihr das etwa vergessen?“

„Er hat recht“, stimmte Stephanie ihm nach einer kurzen Pause zu. „Wir wollten uns vor dem steinernen Tor treffen. Wenn sie merken, dass wir nicht dort sind, werden sie bestimmt hierherkommen, um nach dem Rechten zu sehen.“

Alle nickten zustimmend, außer Nicole, die noch immer am ganzen Körper zitterte. Der Anblick der toten Lehrerin ließ sie nicht los.

„Und was, wenn nicht? Was ist, wenn keiner kommt und man uns hier vergisst?“

Gereizt verdrehten ihre Klassenkameraden die Augen. Doch es kam kein herausfordernder Kommentar zurück. Stattdessen beschlossen sie, sich schlafen zu legen, denn morgen würde dieser ganze Albtraum vorbei sein – glaubten sie zumindest.

*

Schweißgebadet wachte Nicole auf. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, Tränen standen ihr in den Augen. Ihre Hände umklammerten zitternd die Bettdecke. Ihr Mund und ihre Kehle waren wie ausgetrocknet. Wackelig setzte sie einen Fuß nach dem anderen aus dem Bett und taumelte in Richtung Zimmertür.

Auf dem Flur herrschte Totenstille, die anderen schienen alle tief und fest zu schlafen. Nicole schlich mit zittrigen Beinen und auf Zehenspitzen die Wendeltreppe hinunter, durch den Wohnraum in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Der Mond schien hell durch das Küchenfenster und tauchte den Raum in ein mattes Licht. Irgendwo draußen in der Dunkelheit schrie ein Vogel, und die Äste der kahlen Bäume knarrten bedrohlich im kalten Wind.

In großen Schlucken leerte Nicole ihr Glas. Sie wollte so schnell wie möglich in ihr warmes Bett zurück, obwohl sie sich sicher war, keinen erholsamen Schlaf finden zu können. Immer wieder ging ihr das Bild der Leiche ihrer Lehrerin durch den Kopf. Sie drehte sich um, wollte gerade gehen, als sie bemerkte, dass die Tür zur Speisekammer weit offen stand. Die Schultern zuckend wollte sie die Tür schließen. Christoph und die anderen mussten es in der Eile vergessen haben. Als sie den Türknopf in die Hand nahm, bemerkte sie eine offene Falltür, welche in den Keller führte. Als sie beunruhigt näher trat, erspähte sie ein sich bewegendes Licht, klein und unscheinbar wie ein Glühwürmchen in der tiefsten Nacht.

„Hallo? Ist da jemand?“

Ängstlich ging sie einige Stufen nach unten, um erkennen zu können, wer sich in der Dunkelheit versteckt hielt.

„Hallo? Ich kann dich sehen. Wer ist da?“

Als Antwort erklang ein leises und gehässiges Lachen. Nicole wurde zusehends nervöser.

„Ich finde das gar nicht witzig!“

Das Lachen wurde lauter und klang noch amüsierter und verrückter. Totenblass ging sie Stufe für Stufe in den Keller. Welcher ihrer Klassenkameraden sich hier einen Scherz mit ihr erlaubte, das ging zu weit.

„Hallo? Jetzt antworte doch!“

In einer hinteren Ecke saß eine zusammengekauerte Gestalt mit einer kleinen, fast ganz abgebrannten Kerze in den Händen.

„Hallo, Jessica? Bist du das?“

Nicole machte einen Schritt nach vorne. Wer immer es war, gab nun kläglich wimmernde Laute von sich. Es klang fast wie die Stimme eines Kindes.

„Hey, wer bist du?“

Langsam bewegte sich Nicole auf die ihr unbekannte Person zu. Es schien sich tatsächlich um ein verängstigtes Kind zu handeln. Diese Vorstellung löste Mitleid und Mitgefühl in der Jugendlichen aus. Sie wollte dem Kind helfen, egal, wie es hierherkam und was es hier zu suchen hatte. So allein in der Dunkelheit … das war einfach nicht gut.

Plötzlich ertönte über ihr ein lautes Krachen gleich einem Donnerschlag. Sie zuckte erschrocken zusammen und sah entsetzt nach oben. Die Kellertür war zugefallen und Nicole in der Dunkelheit gefangen, welche sie nun wie eine Horde Monster zu umzingeln schien. Von Panik ergriffen stürzte Nicole die Treppenstufen hoch, schlug und rüttelte verzweifelt an der Falltür, doch die war verschlossen und weigerte sich, aufzugehen.

„Hast du Angst?“, erklang eine Stimme von draußen, die sich wie Jessicas anhörte.

Noch ehe Nicole antworten konnte, verwandelte sich das traurige Jammerklagen von unten in ein irres, schrilles Gelächter. Sie rüttelte noch fester an der Holztür, doch vergebens, dabei verlor sie den Halt und stürzte die Treppe hinunter. Sie schlug hart auf dem Boden auf und hielt sich stöhnend die rechte Seite. Am Ende des Raumes hatte sich die Gestalt nun aufgerappelt und wandte sich zu ihr um, jedoch war das Gesicht durch eine heruntergezogene Kapuze im Schein der kleinen Kerze nicht zu erkennen. Es herrschte eine eisige Stille. Da sah Nicole den großen Sack. Wer hatte ihn so weit nach hinten gezogen? Doch nicht etwa dieses Kind?

„Warte, warte nur ein Weilchen,

dann kommt Haarmann auch zu dir

mit dem kleinen Hackebeilchen

und macht Hackefleisch aus dir!“1

Die Gestalt fing nach dem Reim an, ein irres Gelächter von sich zu geben, doch das grässliche Lachen verwandelte sich augenblicklich in ein grelles Gewinsel, als der Sack anfing, sich zu bewegen. Wie versteinert stand Nicole da und beobachtete mit Entsetzen, wie sich der dunkle Sack immer weiter öffnete – immer mehr und mehr …

Dann kroch es heraus – es, das hätte tot sein müssen, kroch aus dem Sack heraus, kroch mit plumpen, gierigen Bewegungen auf die Jugendliche zu. Ihr Verstand sagte ihr zu schreien, aber ihr Körper reagierte nicht. Nur ein kleiner erstickender Laut entrann ihrer Kehle, der unter den Geräuschen der winselnden Gestalt und der auf sie zu kriechenden, stinkenden Leiche unterging. Sie starrte in die großen, weit aufgerissenen leeren Augen der Lehrerin, die sie mit blutverschmiertem Mund angrinste. Hinten in einer dunklen Ecke zusammengekauert murmelte die Gestalt immer wieder vor sich hin:

„Haarmann zu dir … Haarmann zu dir …“

Nicole musste mit ansehen, wie sich die Hand der Lehrerin wie in Zeitlupe hob und auf sie zukam. Sie sah und spürte, wie die weißen, kalten Finger spielerisch über ihre Wange streichelten, hinab zu ihrer Kehle strichen, noch weiter hinab – dann erlosch die Kerze und Nicole sah nichts mehr …

Schulausflug des Grauens

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