Читать книгу Schmetterlinge im Kopf - A. Wolkenbruch - Страница 5
Herzen
ОглавлениеNora überlegte lange, was sie anziehen sollte. Um zehn Uhr war sie fertig und ärgerlich, daß es noch eine Stunde dauern würde, bis Adrian käme. Sie plante immer zu viel Zeit ein, wenn es um Adrian ging.
Mit nervös wippenden Beinen saß sie vor dem Fernseher. Das alte Frettchen hatte sich in seinen Tüchern eingerollt und schlief vermutlich. Dieses Tier war der Grund, warum Nora oft zögerte, jemanden in ihre Wohnung zu lassen. Es war ein Rüde und er stank, was mit zunehmendem Alter nicht besser geworden war. Nora war im Internet auf ihn aufmerksam geworden. Sie hatte in einem mittelalterlichen Roman etwas über „Frettieren“ gelesen. Dabei setzte man Frettchen zur Kaninchenjagd ein. Um sich die Tiere anzuschauen, war sie dann ins Internet gegangen. In der Bücherei. Dort war sie über eine Seite gestolpert, über die bedürftige Frettchen vermittelt werden sollten. Scheinbar sollten sie nie allein sein, so wurden sie meist auch als Duo oder Trio vermittelt. Ein Tier allerdings wurde als „unverträglich mit Artgenossen“ angepriesen. Das war Nora Grund genug, ihn aufzunehmen. Nun lebte Falko schon seit ein paar Jahren bei ihr. Manchmal ging sie zu Wiesen und ließ ihn dort frei herumlaufen. Er grub gern in der Erde, wenn auch nie um eine Maus oder ähnliches zu erbeuten. Wenn sie Halsschmerzen hatte, trug sie ihn innerhalb ihrer Wohnung um ihren Hals. Wenn sie traurig war, lachte sie über seine Hartnäckigkeit, ihre Socken aus der Schublade zu fischen und hinter das Bett zu zerren. Und manchmal nervte sie der Geruch, der von ihm ausging. Besonders wenn sie schön und attraktiv sein wollte. So wie jetzt. Gottlob schlief er tief und fest und kam nicht an, um an ihrem Bein zu kratzen oder in ihr Hosenbein zu kriechen.
Die Türklingel ertönte. Noras Herz machte einen Hopser und polterte dann unruhig weiter. Sie machte den Fernseher aus und ging, um zu öffnen. Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss. „Sollen wir direkt los?“
„Okay“, sagte Adrian. Nora ging nochmal zu Falkos Käfig. „Tschüß, Herz.“, flüsterte sie. Adrian schmunzelte. „Dein Herz bleibt hier?“
„Ja, es schläft schon“, murmelte sie.
Sie hatte in der Zeitung von einer Ausstellung mit Wanderteppichen gelesen, die in einem dreißig Kilometer entferntem Schloß statt fand. Wie so oft fragte Adrian „Willst du fahren?“ und wie so oft sagte sie „Ja“. Adrian schien die Autofahrt zu genießen und ließ die Landschaft entspannt an seinen Augen vorüber gleiten. Nora parkte den alten Golf am Straßenrand. Sie überquerten die Staße und vor ihnen führte eine Brücke über den Graben, der mit einer Mauer eingefaßt war. Dahinter zog sich der mit weißem Kies bedeckte Innenhof bis zum Schloß. Das stach in frischem gelb in den hellblauen Himmel. Adrian war überrascht, mit welcher Sicherheit Nora den Weg gefunden hatte. „Warst du hier schon mal?“ „Ja, wir haben hier mal Pflanzen hin ausgeliefert. So riesige Buchsbäume....von der Gärtnerei aus.“ Nora atmete tief durch. „Schön hier, oder? Laß uns mal sehen, wo die Ausstellung ist!“ Sie gingen über die Steinbrücke. Der Graben war nicht mit Wasser gefüllt. Auf dem erdigen Grund befanden sich unzählige kleine Abdrücke. Nora fand, daß sie aussahen wie kleine Herzen, die an den Stellen , die rund sein sollten ,spitz zuliefen. „Die haben hier Rehe im Graben laufen“, bemerkte Adrian trocken. Nora lachte. Adrian zeigte hinunter. Dort blickten jetzt zwei neugierige Augen um die Rundung des Grabens. Langsam stapften sie heran. Immer mehr Rehe gingen um die Rundung mit erhobenen Köpfen auf die Steinbrücke zu. „Wie schön sie sind“ ,sagte Nora . „Die bekommen bestimmt öfter was zu Fressen von hier oben.“, vermutete Adrian. Er nahm ihre Hand und sie gingen weiter auf das Schloß zu. Sie folgten einem Pappschild, daß die Aufschrift „Ausstellung“ trug und sie am Schloß vorbei zu einem großen Betongebäude führte. Im Eingangsbereich stand ein kleiner Tisch mit einer Metalldose. Dahinter lächelte ihnen eine mollige ältere Dame zu. „Wir sind doch hier richtig bei der Wandteppich- Ausstellung?“ Die Dame bestätigte Noras Frage herzlich. „Ja, sie sind hier richtig! Für Sie beide?“ „Ja, bitte.“ „Vier Euro dann bitte.“ Nora bezahlte beide Karten. Die Ausstellung führte durch Gänge, von denen man in großzügige Räume gelangte. Überall hingen indianische, norwegische, australische und mexikanische Behänge. Nach vielen Behängen und Treppenstufen kamen sie in einen Raum, in dessen Mitte eine Holzbank stand. Sie hatte keine Lehne und war aus hellem Holz. Sie setzten sich. Nora legte ihren Kopf auf Adrians Schulter. „Es ist schön mit dir.“ Er antwortete zärtlich. „Mit dir auch.“ Zwei Meter vor ihnen hingen zwei riesige grün- gelblich- bräunliche Teppiche. Filigran waren dort getrocknete Pflanzenteile eingearbeitet. Nora wollte sie erkennen und stand auf, um sie aus der Nähe zu betrachten. Mit leicht zur Seite geneigtem Kopf stand sie vor den riesigen Teppichen und betrachtete eine Stelle genau. „Zittergras...nein! Hirtentäschel!“, sagte sie zu sich selbst. „Hmmm. Und hier Korn.“ Adrian war aufgestanden und von hinten an sie heran getreten. „Was sagst du?“ „Ach nichts. Ich schaue nur, was das ist.“ „Und, was ist es?“ Sie wies an die Stelle, die sie beobachtet hatte. „Das ist auf jeden Fall Hirtentäschel. Siehst du die winzigen Herzen an den dünnen Seitentrieben?“ Sie pustete auf die kleinen Herzen und sie bewegten sich leicht. Adrian berührte den Teppich. Nora sah ihn entsetzt an. Unbeeindruckt hob Adrian das Gehänge an, so daß die Rückseite nicht mehr die Wand berührte. „Du kannst das doch nicht einfach anfassen...“ „Guck mal..“ Die Rückseite war eine Bastmatte. Er ließ den Teppich zurück an die Wand gleiten. „Und was ist das hier?“ Er deutete auf eine andere mit Pflanzen ausgekleidete Stelle. Sie grinste: „Gerste, das weißt du doch!“ Er schmunzelte.
Die Dame, die ihnen die Eintrittskarten verkauft hatte, lächelte wieder, als sie auf sie zu kamen. „Und? Hat es ihnen gefallen?“ „Ja, es war sehr schön. Das ist ja wirklich eine sehr umfangreiche Ausstellung!“ „Sie bekommen noch zwei Gutscheine! Für einen Kaffee im Schloß!“ „Oh, wie schön!“ Menschen wie diese Dame wärmen einen innerlich, dachte Nora und nahm die beiden Gutscheine entgegen. Sie näherten sich dem Schloß von hinten, auf einem Sandweg, der durch den kleinen Schloßgarten führte. Links und rechts wurde der Weg durch niedrige Buchsbaumhecken begrenzt. Beete, die von großen Rasenflächen umgeben waren, enthielten verschieden zurechtgestutzte Buchsbäume. Eine Steintreppe führte zu einer großen Tür, über der ein Schild hing. In geschwungenen Lettern stand dort „Schloßcafe´“. Nora ging voran. Die Stufen eigneten sich herrlich, um etwas deutlicher als gewöhnlich mit dem Hintern zu wackeln. Oben angekommen drehte sie sich, die eine Hand auf die Hüfte gestützt, schwungvoll um. „Herrlich! Ein herrliches Ambiente!“ Adrian kam ihr lächelnd entgegen. Als er neben ihr stand bemerkte sie, wie schwer sein Atem ging. Sie dachte daran, daß die Luft im Schweinestall extrem ungesund für die Atemwege war. Schnell schob sie diesen Gedanken wieder zur Seite. Das Cafe´ war in dem alten Rittersaal untergebracht. Nostalgische Ölgemälde zierten die Wände und ein riesiger Karmin stach schwarz und kalt in den Raum. Nora und Adrian waren die einzigen Besucher. Sie setzten sich an einen Tisch, der durch das große Fenster einen Blick auf den Schloßgarten gewährte. Als die Bedienung kam, reichte Nora ihr die beiden kleinen Karten, „Zwei Kaffee bitte“. Nora betrachtete die Bilder. „Früher haben die Maler auf ihren Bildern dargestellt, wie es war. Oder wie es hätte sein können oder wie sie etwas sahen oder sich wünschten. Heute malen Künstler komplizierte Gedanken.“
Adrian sah sie versunken an. Seine Augen wirkten verträumt und dennoch neugierig. „Du bist schön“, sagte er.
Die Luft war frisch und klar und die Vögel sangen mit verschwenderischem Übermut ihre Frühlingslieder. Die gute Laune übertrug sich auf Adrian. Lässig hielt seine linke Hand das Lenkrad. In der rechten Hand hielt er sein Handy. Er wußte, daß Nora ihm bald etwas schreiben würde. Es war eine stille Abmachung zwischen ihnen, daß sie sich mit dem schreiben von sms- Nachrichten abwechselten. Wer zuletzt etwas geschrieben hatte, wartete auf eine Antwort. So liefen die kurzen Handy-Dialoge in gleichmäßigem und ausgeglichenem Tempo zwischen ihnen hin und her. Sie handelten von Zeitpunkten und Orten zu und an denen sie sich treffen wollten. Sie handelten von Verabredungen zu Telefonaten und gewissenhaften Gute- Nacht- Wünschen. Diese Nachrichten stützten und ergänzten sich gegenseitig. Adrian schmunzelte. Die Sonnenstrahlen lachten ihm entgegen. Ihm, der hin- und her geschüttelt wurde, auf seinem elastischen Sitz. Der Motor knatterte fröhlich. Hinter seinem Traktor war der Pflug befestigt. Er war hoch geklappt und ragte hinter dem Dach des Schleppers in den blauen Himmel. Adrian fuhr gerne Traktor. Eine Bahnschranke, die er oft überqueren mußte, um zu einigen seiner Feldern zu gelangen, kurbelte oft seinen Ehrgeiz an. Er haßte es, auf den Zug zu warten, während ihm die kleine Ampel hämisch in leuchtendem Rot zu blinkte. So fuhr er meist schon mit erhöhtem Tempo auf sie zu. Diesmal würde es besonders knapp werden. Da die Straße nicht in gutem Zustand war und viele Risse und Hügel hatte, hüpfte Adrian auf seinem gefederten Sitz hinter dem Lenkrad des Traktors extrem hoch und runter. Die Ampel hatte bereits begonnen, ihm rot entgegen zu blinken und die Schranke senkte sich langsam. Adrian drückte auf das Gaspedal. Er würde es schaffen, wie immer. Diesmal hatte er aber nicht einkalkuliert, daß sein Pflug hinter dem Schlepper hoch geklappt war und höher als sein Traktorendach in die Luft ragte. Die Schnauze des Schleppers befand sich auf den Schienen, als er ein Ruck verspürte und ein lautes Ächzen wahrnahm. Dann zog der Traktor wieder an. Adrian drehte sich verwundert um. Er rollte jetzt von den Bahnschienen und mit ihm, an dem aufgestellten Pflug hängend, die Bahnschranke. Er fluchte und fuhr an den Straßenrand, um seinen Vater über das Handy zu benachrichtigen. Willhelm würde dann die Polizei benachrichtigen. Ein Nachbar, der nah an den Bahnschienen wohnte, hatte bestimmt alles gesehen. Adrian würde viele blöde Kommentare von verschiedenen Menschen zu hören bekommen. Adrian seufzte. So war es eben. Alles, was geschah wurde in der Kommunikation miteinander ausgeschlachtet. Denn es geschah nicht sehr oft etwas Außergewöhnliches in dieser von einzelnen Höfen dünn besiedelten Region.
„Das mußt du wissen, ob du sie dabei haben willst.“ Mehr sagte seine Mutter nicht. Mit Judith könnte Nora sich anfreunden, überlegte Adrian. Ja oder nein. Alles oder nichts. Er war nicht gerade der Unterhaltsamste. Und Nora wäre vielleicht enttäuscht, wenn es nicht so schön wäre, wie sie es sich vielleicht vorstellte. Das Telefon klingelte. Das war sie. Im Verlauf des Gespräches warf Adrian wie zufällig ein, daß in der Nachbarschaft ein Richtfest stattfände.
„Und du bist eingeladen?“
„Ja.“
Stille. „Und?“
„Und du. Du bist auch eingeladen.“
Judith betrachtete das neue Haus zufrieden. Gut, daß sie Paul überzeugt hatte, sich nicht im Haus seiner Eltern eine Wohnung auszubauen. Das hier war ihr eigenes Reich. Hier konnte niemand sagen was wie und wann geschehen sollte. Alle Einladungen waren verschickt. Die Suppen und alles, was dazu gehörte würde die Fleischerei liefern. Und den Nachtisch wollte ihre Schwiegermutter machen, das hatte sie sich nicht nehmen lassen. Das Besorgen der Getränke hatten die Männer übernommen. Das Haus würde voll werden. Nach oben würde keiner können. Die Treppe fehlte noch und die Leiter war vorsichtshalber entfernt worden. Gerade wenn Alkohol im Spiel war, mußte der Rohbau sicher sein. Im Eingangsbereich hing eine große Pappe, auf der Schnappschüsse von der Bauphase aufgeklebt waren. Teilweise hatte Judith Kommentare daneben geschrieben. Dies gab Anlaß zu Bemerkungen und es wurde Geschmunzelt oder Gelacht. Außerdem gab es Begrüßungsschnäpse. Eichhof- Dinkers und Nora standen noch vor den Fots, als Judith auf sie zu kam. Sie nickte Eichhof- Dinkers freundlich zu und reichte Nora dann die Hand. „Hallo, ich bin Judith!“
„Ich bin Nora, Adrians Freundin.“
„Schön, daß ihr da seid!“, sie zwinkerte Adrian zu, „Bedient euch gleich selbst bei den Getränken und dem Essen!“
Die Klappbänke vor den Tischen waren nun fast voll besetzt. Die meisten der Besucher waren Nachbarn oder Freunde von Judith und Paul. Nora saß neben einer älteren Dame. Sie war sehr geschmackvoll gekleidet und ihre hellen Augen strahlten Nora freundlich an. „Sie sind bestimmt die Freundin von Adrian.“
„Mhmmm“, Nora kaute gerade an einem Brötchen und nickte, um ihr Gemurmel zu unterstützen.
„Da hat Adrian aber Glück, so hübsch und nett wie sie sind.“
Nora hatte ihren Bissen herunter geschluckt. „Entschuldigung. ...Und danke...“ Das klang schüchtern.
„Ich bin Pauls Mutter. Sagen sie ruhig Annegreth zu mir.“
„Nora.“
Sie gaben sich die Hände.
In Anegreths Gesellschaft überkam Nora ein Gefühl von Geborgenheit. Sie betrachtete die Blumengestecke. Auf jedem der Tische stand eines. Nora musterte jenes, das vor ihr stand genauer. Die Steckmasse war geschickt mit Frauenmantelblättern abgedeckt. Darüber schoben sich locker Margariten und Ringelblumen.
„Diese Blumengestecke sind sehr schön.“
„Gefallen sie ihen? Das ist alles aus meinem Garten. Ich habe auch Rosen, Zinnien, Nelken...Im Laufe der Jahre sammelt sich so einiges an. Judith hat da leider nicht so viel für übrig. Aber jeder ist halt anders“,sie zwinkerte Nora zu.
„Hallo Adrian, was machen die Bullen?“
„Alle gesund.“
„Nettes Mädel hast du da. Wird Zeit, daß ich wieder nach ünster gehe, hier bin ich ja bald der einzige Junggeselle“, Lars tat, als ob er schluchzte und tat, als wische er sich rnen aus einem Auge.
„Du bist ja auch ein paar Jährchen jünger als Paul und ich“, sagte Adrian ungerührt zu Pauls kleinem Bruder. Aus den Augenwinkeln sah er, daß sein Vater bereits das siebte Schnapsglas geleert hatte. Er sah auch, wie seine Mutter sich zu seinem Vater herüber beugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
Eine sehr groß gewachsene, üppige alte Dame, eine entfernte Nachbarin, hatte sich zum vierten mal an dem Buffet bedient. Sie hatte keine Stelle des Tellers ausgespart und in der Mitte türmte sich das Fleisch auffällig hoch. Sie walzte auf ihren Platz zu, der sich neben Maria Eichhof- Dinker befand. Prustend setzte sie sich. Maria meinte die Bank knatschen zu hören. Der Teller wurde abgestellt und das volle Gesicht wandte sich Maria zu und raunte: „Was sacht man so schön? Jeder Gang macht schlank!“ Die Schweinsaugen der Fremden leuchteten und senkten sich dann gierig zum Teller hinab. „Nein, was habenwir damals gehungert“, schmatzte sie. „Ich kenne die Zeit“, antwortete Maria. Die Fremde schien die Pause lediglich zum Schlucken genutzt zu haben und lehnte sich nun vor, um in das Blickfeld Willhelms einzufallen. „Wissen sie noch“, schallte ihre Stimme über den schmalen Tisch, „Was wir damals gegessen haben?! Das kennt man heute gar nicht mehr!“ „Wollen wir die Plätze tauschen?“, bot Maria ihr an. Sie hoffte, daß ihr Mann durch die Frau etwas vom Alkohol abgelenkt würde. Die Gäste, die Kinder mitgebracht hatten, verabschiedeten sich allmählich. Judith und Paul saßen bei einem Päarchen, das zu der Gruppe gehörte, mit der sie sich regelmäßig zum Kegeln trafen. „Warum trinkst du eigentlich nur Wasser, Judith?“ „Ach, Markus... ich wollte dir schon den ganzen Abend sagen, du sollst deine Männlichkeit mal etwas effektiver einsetzen ! Dann könnten Britta und ich zusammen zur Schwangerschaftsgymnastik gehen!“ Paul zuckte deutlich zusammen. „.....Judith...“ Man konnte deutlich merken, wie schockiert er war. „Ach Paul, ich hätte es dir sowieso heute gesagt.“ Paul griff nach seiner Bierflasche und nahm einen großen Schluck. Markus stieß mit seiner Bierflasche an Pauls und nahm ebenfalls einen Schluck. „Auf uns Männer, die es mit Fassung tragen, wenn sie mal wieder etwas zuletzt erfahren.“ Judith lachte und gab Paul einen Kuss auf die Wange. Dann prostete sie Britta zu. „Auf uns Frauen, die so bezaubernd sind, daß ihnen immer wieder verziehen wird!“
Adrian war aufgestanden um das gemietete Toilettenhäuschen aufzusuchen. Lars war aufgerückt und saß nun neben Nora. „Endlich lerne ich die Freundin von Adrian kennen! Ich bin Pauls Bruder Lars.“
„Ich bin Nora.“
„Hat meine Mutter sie direkt unter ihre Fittiche genommen? Das sieht ihr ähnlich“, lachte er.
„Sieht das so aus?“ Nora lächelte und nahm noch einen Schluck Rotwein. Ihr war wohlig und heiter zumute.
„Nein, dann hätte sie so gemacht..“, Lars nahm Nora in seine Arme und sie lachte. Adrian stand hinter ihnen. „Ihr amüsiert euch ja bestens ohne mich“, brummte er beleidigt.
„Willst du Nora wieder ganz für dich allein haben? Schade sie war gerade so gut gelaunt.“
„Ach, mach doch, was du willst.“ Adrians Augen funkelten wütend. Lars hob seine Hände, als wolle er beteuern, nichts Falsches getan zu haben. Da wurde Adrian von einem Nachbarn begrüßt. Es entwickelte sich ein Gespräch über Saatgut.
Die korpulente Fremde hatte sich auf die Tanzfläche gewalzt und Willhelm hinter sich her gezogen. Der hatte einen hochroten Kopf und schwankte leicht bei jedem seiner Schritte. Seine Gespielin hielt ihn nun aber fest umklammert, so daß es- während sie ihn langsam über die Tanzfläche schob- genügte hin und wieder einen Fuß zu heben oder abzusetzen.
Lars fragte Nora, ob sie auch tanzen wolle. Sie überlegte, ob dies eine Anspielung auf das seltsame Paar war, das dies bereits tat, oder , ober es ernst meinte. „Ich kann nicht so gut tanzen“, sagte sie mit einem Nicken in Wilhelms Richtung. Der Wein zeigt seine Wirkung, dachte sie und mußte lachen.
„Sollen wir mal an die frische Luft gehen. Es ist bestimmt schön draußen, mild und sternenklar..“
Nora nickte und begleitete Lars nach draußen. Lars hatte recht. Man hörte die Grillen zirpen und der Mond leuchtete klar und war fast ganz rund.
„Es ist schön hier“, sagte sie.
„Findest du? Ziemlich wenig los. Aber für Landwirte und Jäger ideal. Bist du Landwirt oder Jäger?“
„Joa,...das könnte man fast sagen. Immerhin habe ich ein Frettchen und könnte damit Kaninchen jagen.“
Lars schüttelte den Kopf „Echt?“
„Nein, das ist zu faul dafür.“ Sie gluckste vergnügt.
Er lachte. Nora torkelte ein wenig und Lars hakte seinen Arm um ihren Arm. „So besser? Jetzt hast du mehr Halt.“ Nora nickte und kicherte. Adrian stand plötzlich neben ihr. Seine Augen blitzten Lars wütend an. „Kannst du das nicht lassen?!“
„Dieser netten Dame war nach einem Gespräch zumute.“ Lars war sich keiner Schuld an irgend etwas bewußt.
So plötzlich, daß es für alle Beteiligten unwirklich und wie die Szene aus einem Drama oder Krimi wirkte, passierte das nun folgende. Adrians Faust schnellte hervor und traf Lars hart am Kinn. Der taumelte, so daß Nora, die immer noch bei ihm eingeharkt war, ihn nun zu festzuhalten versuchte. Lars hielt sich aber auf den Beinen und als ihr das bewußt wurde, zog Nora ihren Arm von dem seinigen weg. Etwas gebeugt stand Lars nun da und seinen Unterkiefer mit der einen Hand. „Bist du bescheuert?!“
Adrian war ,selbst erschrocken über seine Tat, einen Schritt zurück getreten. „Scheiße!....Das.. das wollte ich nicht.“
„Du bist doch sonst nicht so schlagfertig“, nuschelte Lars.
„Mußt du ins Krankenhaus“, erkundigte sich Nora mit etwas schwerer Zunge bei ihm.
„Das wollte ich nicht. Es tut mir leid.“ Adrian ging einen Schritt vor und streckte Lars die Hand hin. Lars nickte noch etwas benommen. „Blöde Situation.“
„Entschuldigung, Lars.“
Dann richtete sich Lars auf.„Ihr seid mir welche, ihr Eichhof- Dinkers. Dem einen reicht eine Frau nicht und der andere kann sich nicht mal vernünftig um eine kümmern. Naja, ist ja auch deine erste Freundin...“
Adrians Augen blitzten trotzig. „ Ich gehe jetzt besser.“ Er streckte seinen Arm aus und tastete mit seiner Hand vorsichtig nach Noras Hand. „Kommst du ?“
„Wir können doch Lars jetzt nicht einfach allein lassen!“
Lars winkte ab. „Ach, das wird nur ein Bluterguß und zum Arzt kann ich morgen auch noch gehen.“
„Ist das wirklich in Ordnung, wenn wir jetzt gehen?“
„Eure männliche Hälfte auf jeden Fall,“ lächelte Lars leicht gequält.
Adrian senkte den Kopf und ging ein paar Schritte.
„Entschuldigung, im Moment ist alles nicht so einfach..“, Nora blickte verzweifelt zu Adrian, der sich ein paar Meter entfernt von ihnen ins Gras gesetzt hatte.
„Er hat selbst zu oft was abbekommen.....“, murmelte Lars. „Und er hat eine panische Angst dich zu verlieren“, dachte er, aber behielt es lieber für sich.
Salz
Nora stand neben Adrian, der noch immer bewegungslos im Gras saß. „Sollen wir gehen?“, fragte er vorsichtig ohne sie dabei anzusehen. „Ja..“ „Gut.“ Er stand auf und schaute zu ihr. Der Blick war flüchtig, etwas verschämt und unsicher, als ob er nicht wußte, ob es in Ordnung wäre, sie anzusehen. Ihre Augen zu sehen, die etwas verträumt wirkten, wahrscheinlich auch durch den Rotwein. Sie gingen schweigend nebeneinander her, über die Wiese. Das Gras war schon etwas feucht durch die Kühle der Nacht. Sie näherten sich einem Waldstück. Nora folgte Adrian auf einem Pfad in den Wald hinein. Das Rauschen der Bäume wirkte unheimlich. Dünne Äste knackten immer wieder unter ihre Füßen. Sie hörten gegenseitig ihr Atmen.
„Oh, ein kleiner Teich“, durchbrach Noras Stimme die Stille.
Adrian nickte.
„Ist das euer Wald?“
„Ja.“
Ein Frosch quakte. Eine große Eiche stand am Ufer. Zwischen ihren dicken Wurzeln wuchs Moos. Wie eine dicke grüne Wolke, die sich an die knorrigen Füße der Eiche schmiegte. Nora setzte sich vorsichtig darauf. Als wenn sie die Schönheit dieses Zauberwerkes der Natur mit jeder Faser ihres Körpers würdigen wollte. Sie sah kurz auf den dunkelgrünen Teppich hinab, auf dem sie nun saß. Dann blickte sie in den Himmel. Er war hell und durchsetzt von dunklen Wolken. Sie betrachtete den Mond. Die helle Kugel, die warm und mysteriös zugleich wirkte. Sie spürte, daß sich Adrians Körper ihrem näherte. Adrian setzte sich neben sie. Sie hörte seinen Atem und merkte, wie er sie ansah. Schwer und bittend lag dieser Blick auf ihr. Sie legte ihren Oberkörper in das Moos und nahm seine Hand und zog ihn näher zu sich. Er schien sehr überrascht zu sein, sein Atem setzte aus und sein Körper versteifte sich. Nora schaute in sein Gesicht. Er schaute auf den Boden. Dann öffneten sich seine Augen wieder vollständig. Sie schienen zu glühen. Entschlossenheit und Angst. Wie konnte beides in einem Blick liegen? Sein Körper ruckte und Adrian saß ganz nah neben ihr. Er schaute noch einmal hinab. Auf Noras Oberschenkel. Dieses Mal war es ein Hinabschauen, daß tiefe Bewußtheit ausdrückte. Es war die Art, wie seine Mundwinkel kurz dabei zuckten. Er hatte so etwas noch nie erlebt. Es war anders, als die Vorstellung. Anders als Bücher, Magazine. Anders als Filme. Adrian beugte sich zu ihr herunter und küßte sie. Ganz langsam und dann immer tiefer und heftiger. Sie spürte eine Hand an ihrer Jeans und bittend hielt er inne „Darf ich“, flüsterte er. Sie nickte. Langsam öffnete er ihren Reisverschluß um ihr die Hose auszuziehen. Sie hielten beide verlegen lächelnd inne, als er es nicht schaffte, ihr die Jeans über die Oberschenkel zu ziehen. Sie half ihm und er wich zur Seite, als sie ihre Hosenbeine abstreifte. Er zog sie schließlich über ihre Füße und ließ sie auf den Waldboden fallen. Dann kam er wieder näher und beugte sich über sie, um sie zu küssen. Sie tastete nach seiner Gürtelschnalle und öffnete sie. Langsam fuhr sie tiefer und dort war es hart und er zuckte kurz zusammen. Vorsichtig zog sie den Reisverschluß auf und faßte die Hose mit beiden Händen links und rechts über seinen Hüftknochen. Sie zog sie herunter und er zuckte noch einmal kurz zusammen. Er wandte sich kurz ab, um die Hose hastig ganz auszuziehen. Sie wartete, ihre Unterarme lagen auf der Moosdecke und das Gewicht ihres Oberkörpers stützte sich auf ihre Ellebogen. Ihre Augen glänzten ihm entgegen, als er sich ihr wieder näherte und sich über sie beugte, um sie zu küssen. Der Kuss war kurz und etwas atemlos. Seine Hände fuhren unter ihren Pullover und seine Finger tasteten ihren BH ab. Als er den Verschluß fand, hielt er wieder inne. Er zitterte jetzt und sie merkte, wie er langsam in sie eindrang. „Okay?“, wisperte er. „Ja ...Du bist so süß...“ Seine Hände gaben auf, den Verschluß öffnen zu wollen. Er schob sie einfach unter den BH und seine warmen, großen Hände umfaßten ihre Brüste ganz. Er schob ihren Pullover hoch und küßte langsam ihre Brust. Seine vollen Lippen nuckelte an ihrer Brustwarze. Sein Glied rutschte langsam tiefer in sie. Sie hatte ihren Kopf leicht angehoben und sah ihm dabei zu, während ihre Hände sein Haar kraulten. Nora fühlte, wie ein kleiner Orgasmus ihren Unterleib erzittern ließ. Jetzt drang er tiefer in sie. Schneller und wilder. Nora hatte das Gefühl, sie müsse sich stark konzentrieren, um nicht in ein tiefes, dunkles Loch zu fallen. Dieses Gefühl in dieser Situation war ihr bekannt. Sie versuchte, ihren Körper deutlicher zu spüren. Aber sie konnte dem Loch nur entkommen, in dem sie sich in Adrian hineinversetzte, beziehungsweise auf ihn achtete. Sie fand es erregend, daß sie ihn scheinbar sehr erregte. Sie legte ihre Hände auf seine Hüftknochen und versuchte sich all dem hinzugeben. Es kam ihr viel zu wild vor. Sie fühlte sich seltsam fremd. Er wurde nun langsamer und stieß ein paar mal kräftig zu. Dabei stöhnte er, was Nora erregte. Sie war von sich selbst genervt. Von diesem ständigen hin- und hergerissensein während des Aktes. Sie war erschöpft. Adrian machte laut „ahhh“. Er lag zitternd auf ihr und stützte seinen Oberkörper mit seinen Händen, die sich in den Moosboden krallten. Nora legte ihre Arme hinter sich. Sie fühlte Adrians pulsierenden Unterleib an ihrem, in dem auch das Blut pochte. Sie wäre jetzt lieber allein gewesen. „War es...war es schön für dich?“, fragte er unsicher. Sie nickte. „Ja, sehr.“ Er sah sie etwas verwundert an, als erkenne er erst jetzt, daß sie es war, mit der er das gerade erlebte Ereignis nun teilte. Vorsichtig löste er sich aus ihr und rollte dann von ihr herunter. Ihr Herz flatterte. Adrian atmete schwer und strich sich mit der Hand über die Stirn. Eine Weile lagen sie so nebeneinander. Guter, lieber Adrian, dachte sie . Süßer Adrian. Sie drehte sich zu ihm. Im Mondschein sah sie, daß seine Augen merkwürdig glänzten. Es waren Tränen, die seine Augen gefüllt hatten. Es mußten Tränen sein. Nora legte ihre Hände um seine Wangen und wollte ihn nur kurz auf die Lippen küssen, doch er hatte seine Arme um sie geschlungen und hielt sie fest und küßte sie weiter und richtete langsam seinen Oberkörper auf. Ihre Oberarme rutschten auf seine Schultern und der Rest ihrer Arme hing hinter seinem Nacken hinab. Sie winkelte ihre Unterarme an und fuhr mit ihren Händen durch sein Haar. Er ließ sie nicht los, hörte aber auf, sie zu küssen und schloß sie fester in die Arme. Seine Schultern zitterten leicht. Nora wußte, daß er jetzt weinte und sie wußte, daß er nicht wollte, daß sie es bemerkte. Sie drehte leicht ihren Kopf und küßte seine Wange. Aber auch hier, nahe am Ohr, war seine Haut feucht und schmeckte nach Salz. Vielleicht war es aber auch Schweiß. Es war komisch. Sie glaubte nicht, daß er sich einsamer als sie fühlte. Das war nicht möglich.
Als sie den Hof erreichten war es noch immer Nacht. Während er die Tür aufschloß, klingelte sein Handy. Adrian stieß die Tür auf und trat in den Flur. „Ja!?“
Nora bemerkte, wie sich angstvoll seine Augen weiteten. Er griff sich mit der Hand an die Stirn und lehnte die Stirn dann gegen die kalte Steinwand. „Nein.....Ja, wir kommen sofort.“ Er drückte sein Handy aus und ließ es in seine Hosentasche sinken.
„Was ist denn?“ Es mußte etwas Schreckliches passiert sein.
„Wir.. wir müssen sofort ins Krankenhaus. Meine Mutter...“
„Was ist denn mit ihr?“
„Es ist wieder mal ihr Herz.... Ich muß sofort ins Krankenhaus.“ Er ging nach draußen Er schob das Garagentor auf .
„Adrian!“
Er drehte sich zu ihr um, stieg dann aber in das Auto ein. Er drehte ein paar mal den Schlüssel um, aber der Wagen röchelte nur leicht. „Verdammte Scheiße!!!“ Er schlug wütend auf das Lenkrad, so daß ein Schmerz seine Hand durchfuhr. Dann stieg er wieder aus. Er ging ein paar Meter, bis zur Hauswand. Über seinem Kopf stützte er sich mit den Unterarmen an die Hauswand. Seine Stirn lehnte ebenfalls an dem kalten Sein. Sie sah, daß er zitterte. Dann sank er in eine gehockte Haltung und schlug seine Hände vor die Augen. Seine Schultern bebten. Nora hockte sich neben ihn und streichelte seine zuckenden Schultern. Sie merkte, wie er krampfhaft versuchte, sich zu beruhigen. Er wischte sich die Tränen mit seinen offenen Handflächen ab. „Der Wagen ist längst Schrott“, murmelte er.
„Versuch es noch einmal“, sagte Nora sanft. Adrian nickte, „Entschuldige.“
„Ich komme mit, wenn du möchtest.“ Er nickte wieder.
Als sie eine knappe Stunde unterwegs waren, fiel Nora ein, daß sie ein paar Dinge hätte mitnehmen sollen, die Maria im Krankenhaus brauchen könnte. „Wenn sie ein paar Dinge braucht, können wir sie ihr ja später noch vorbei bringen“, sagte sie. Sie war nicht sicher, ob Adrian ihr zugehört hatte. Er konzentrierte sich mit eiserner Miene auf den Stadtverkehr.
Sein Vater kam ihm fremd vor. So hatte er ihn noch nie gesehen. Er schien geschrumpft zu sein. Traurig und verlassen wirkte er in der großen Eingangshalle des Krankenhauses. „Papa?“
„Ach ....ihr seid es.“
Ein Arzt kam und teilte Adrian und Nora mit, daß Maria einen schweren Herzinfarkt erlitten hätte. Sie hätten alles getan, was möglich gewesen war, aber das Herz war schon so geschwächt gewesen, daß es diesen schweren Infarkt nicht überlebt habe.
Sie fuhren zu dritt nach Hause. Es war jetzt die Zeit, zu der die Bullen ihr Futter erwarteten und Adrian ging in den Stall. Nora machte Kaffe und schmierte Brote und holte ein paar Boskop- Äpfel aus dem Keller, die sie dazu legte. Willhelm saß unbeweglich am Tisch und schaute ihr zu.
Als Adrian in die Küche kam, saßen Nora und Willhelm schweigend am Küchentisch. Nora schenkte Adrian eine Tasse Kaffee ein. „Ich muß gleich nach Hause fahren....Mein Frettchen hat seinen Vorrat an Wasser und Futter vermutlich aufgebraucht.“
Willhelm schenkte sich eine Tasse von seinem Tee ein. Schwerfällig, als zöge ihn eine tiefe Traurigkeit nach unten, hob er die Teekanne deutlich langsamer als gewohnt an. Er bemerkte zu spät, daß seine Tasse voll war und der über den Rand laufende Tee bildete einen kleinen See rund um Willhelms Tasse. Es schien ihn nicht zu stören. Vielleicht hatte er es auch gar nicht bemerkt. Adrian schaute ihn sorgenvoll an.
„Adrian, ich muß nach Hause. Mein Frettchen muß versorgt werden. Sonst gibt es noch einen Toten.“ Nora biß sich auf die Unterlippe. Was plapperte sie für einen Unsinn? Aber sie mußte nach Hause.
„Soll ich dich zum Bahnhof bringen?“
„Ja, in zwanzig Minuten fährt der Zug.“
Adrian schaute zu seinem Vater herüber. Willhelm erschien ihm so ohne Willen, ohne seine sture Zähigkeit, so ruhig und still, wie Adrian ihn noch nie erlebt hatte. Als wäre etwas in ihm erloschen. Das machte ihm Angst. Und Angst machte ihm auch, daß Nora fahren wollte. Vielleicht war das mit dem Frettchen nur vorgeschoben. Vielleicht scheute sie sich vor den Verpflichtungen, die ihre Beziehung jetzt vielleicht beinhalteten könnte.
„Willst du wirklich fahren?“
„Ich muß....Ich muß morgen auch zur Uni. Morgen ist das letzte mal vor der Prüfung.“
Willhelm stöhnte, stand auf und verließ den Raum. Durch das Küchenfenster sahen sie ihn über den Hof gehen. Sein Rücken war vorgebeugt und sein gang hatte etwas Schlurfendes. Nora stand jetzt ebenfalls auf und begann den Tisch abzuräumen. Adrian nahm die letzte Scheibe Brot, die mit Schinken belegt war, und aß sie. Nora stand jetzt mit dem Rücken zu ihm und räumte die Geschirrspülmaschine ein. Während sie den letzten Teller in der Hand hielt begann sie zu zittern. Unsicher schob sie ihn in das Gestell und klappte die Tür der Maschine zu. Immer noch blieb sie mit dem Rücken zu Adrian stehen und legte eine Hand auf ihren Mund, währen sie aus dem Fenster blickte. Tränen rannen still über ihre Wangen. Adrian stand jetzt auf und trat von hinten an sie heran. „Weinst du?“, fragte er vorsichtig. Sie schüttelte den Kopf. Ganz sanft war seine Stimme jetzt, „Hey...“. Er schlang von hinten seine starken Arme um sie. Nora seufzte. Das tat so gut. Sie schluckte die Verzweiflung herunter. Er küßte sie auf die Wange, die ganz feucht war und als er seine Lippen mit der Zunge ableckte, schmeckte er Salz. Er küßte ihr Haar und sah zur Uhr. „Nora, wir müssen uns beeilen, wenn du den Zug noch bekommen möchtest.“ Sie nickte.
An dem Tag der Beerdigung herrschte frisches Frühlingswetter. Die Sonnenstrahlen blitzten immer wieder zwischen den Wolken hervor und ein leichter Wind wehte. Nora stellte sich vor, daß Maria dieses Wetter schickte, um alle aufzumuntern.
Nach dem Gottesdienst waren alle zum Kaffeetrinken in den nahegelegenen Gasthof eingeladen. Es gab Blechkuchen: Streuselkuchen, Bienenstich und Apfelkuchen. Annegreth hatte sich neben Nora gesetzt. „Es ist schon komisch, ich kannte Maria kaum“, murmelte Nora. Annegreth nickte und berührte mit ihrer Hand Noras Unterarm. „Mein Mann ist mit ihr zur Schule gegangen“, sie wandte sich nach links, „Norbert, sag du es. Wie war Maria?“ „Ach unser Marieken. Bescheiden war sie, hat nie etwas verlangt.“ „Du mit deinen blöden Sprüchen, Norbert“, polterte Willhelm und sagte den ganzen Tag nichts mehr.