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II. Tier-Mythen- und Legenden aus alten und neueren Zeiten

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Menschen und Tiere waren Freunde, schon im Paradies;

doch die Schlange hatte sich vom Bösen benützen lassen,

um Adam und Eva zu überlisten.

Noah wurde von Gott gebeten,

je ein Pärchen aller Arten mit in die Arche zu nehmen,

um sie zu retten vor der Großen Flut.

Wie kam der Kreuzschnabel zu seinem Namen?

Nach alter, volkstümlicher Deutung war der Kreuzschnabel einst darum bemüht, die Nägel aus den Gliedern des gekreuzigten Herrn auf Golgatha zu entfernen; er wollte ihn von den Schmerzen befreien. Das war sehr anstrengend für den Vogel; er verbog sich dabei den Schnabel. Da segnete ihn der Herr vom Kreuz herab.

Weil nun aber dieser Vogel nicht in allen Regionen zuhause ist, dichtete man diese Deutung in anderen Gegenden auf das Rotkehlchen um: Beim Versuch, den Heiland am Kreuz zu befreien, fiel dem Vogel ein Blutstropfen auf die Kehle; diesen Namen trägt er seitdem als Ehrenzeichen. (ALB)

Der Paradiesvogel hoch über den Dächern

Eine Legende, deren Herkunftsland man nicht mehr genau nachweisen kann, besagt: Das Paradies käme dann wieder samt all seinen Freuden und Wonnen, wenn ein ganz seltener Vogel mit sehr bunten Federn am Himmel erscheine. Erst schwebe er über den Dächern, um sich schließlich auf einem hohen Baum niederzulassen.

Genauso kam es denn auch. Erst schwebte er über den Dächern der Stadt, dann ließ er sich in der Krone eines hohen Baumes nieder. Die Männer der Stadt rannten zusammen und berieten, was zu tun sei. Sie freuten sich über das Erscheinen des Vogels. Einer von ihnen machte den Vorschlag, mittels einer Menschen-Leiter den Glück und Freude bringenden Vogel zu ergreifen und ein für alle Mal festzuhalten. So kletterte denn einer über den anderen nach oben, doch kaum hatte der letzte und jüngste sich nach oben gearbeitet, da versagten dem untersten die Kräfte; er konnte nicht länger die schwere Last aushalten. Und so purzelten alle anderen, einer nach dem anderen, wieder nach unten. Der bunte Vogel aber, den sie seitdem den Paradiesvogel nannten, flog davon und ward nie mehr gesehen. (ALB)

Bravo, du kleine, clevere Ameise!

In Ostafrika erzählen die jungen Mütter gerne ihren Kindern folgende Parabel: Da saß eines Tages ein Vogel hoch oben auf einem Baum in seinem Nest und brütete seine Eier aus. Doch plötzlich, o Schreck!, tauchte unter ihm eine riesige Boa auf; sie kroch langsam auf sein Nest zu. Was sollte er bloß tun? Gewiss, er könnte noch rechtzeitig davonfliegen, aber dann wären die Eier mit ihren Küken dahin; denn die Schlange hätte sie in Sekundenschnelle verzehrt.

Da kam ein Pavian vorbei, erkannte die Gefahr für den Vogel und riet ihm: »Nur keine Bange! Das kriegen wir schon hin! Ich werfe, ganz einfach, ein paar spitze Steine nach diesem hässlichen Kriechtier…« – »Nein, bitte nicht«, schrie der Vogel; »du könntest am Ende gar noch meine Eier treffen. Das würde ebenfalls den Tod meiner Küken bedeuten.«

In diesem Moment streckte ein gigantischer Elefant seinen Rüssel zum Baum hinauf, erkannte die prekäre Lage des Vogels und versuchte, ihn zu trösten: »Weine nicht, kleiner Vogel, ich werde den Baum entwurzeln und so die Boa vertreiben.« – »Um Himmels willen; halt ein!« kreischte der Vogel von oben herab, und dachte bei sich: Wirklich, der benimmt sich wie ein Elefant im Porzellanladen! – Unterdessen kam die Boa immer näher, und der Vogel war schon willens, sein Nest dem gierigen Räuber zu überlassen. Da kam ihm eine fixe Idee: Er bat eine der vorbeihuschenden Ameisen, ihm beizustehen. Das winzige Tierchen rief sofort tausend und mehr Kolleginnen herbei – und gemeinsam attackierten sie die Boa, sodass schon nach wenigen Minuten von der mächtigen Schlange nicht mehr viel übrig blieb…

Und was wollten die schwarzen Mütter ihren Kleinen damit sagen: Manchmal sei die List der Kleinen erfolgreicher als die Kraft der Mächtigen. (ALB)

Ein Dankeschön an die Gänse

»Fuchs, du hast die Gans gestohlen; gib sie wieder her; sonst wird dich der Jäger holen mit dem Schießgewehr.« – So haben wir Kinder gesungen. Füchse waren für uns eine Realität. Im Winter, wenn hoher Schnee lag, wagten sie sich bis ans Dorf, manchmal bis in die Hühnerhöfe und Gänseställe.

Weil wir Füchse aber immer schon als kluge Tiere kannten, und weil dies auch in zahlreichen Märchen und Fabeln vermittelt wurde, haben wir sie auch bewundert, wenngleich wir ihre Jagdschläue nicht immer guthießen, vor allem dann nicht, wenn es um unser Geflügel ging.

Das war auch ein Grund, warum wir bisweilen in den schneereichen Wintermonaten Fuchsfallen aufstellten. Dabei ging es uns natürlich um ihre schönen und warmen Winterpelze. Damals, vor bzw. während und kurz nach dem 2.Weltkrieg, trugen die Frauen noch gerne Fuchs- und Iltispelze …

Nun aber las ich vor kurzem in einer Agenturmeldung von einem münsterländischen Fuchs, der sich durch einen Kaninchenbau in ein Gänsegehege gegraben hatte. Er suchte eine saftige Beute, vielleicht für seine Jungen. Aber da hatte Meister Reineke seinen Plan ohne die Gänse gemacht: Die brütenden Großvögel stürzten sich voller Rage auf den Eindringling, und in der so entstandenen Aufregung fand der Fuchs das Loch nicht mehr rechtzeitig und erlitt einen Herzinfarkt, wie ein herbeigerufener Tierarzt später diagnostizierte.

Landwirt Ludger, Eigentümer des Gänsestalls, versicherte den herbei geeilten Journalisten, ausnahmsweise käme in diesem Jahr keine seiner Gänse als Braten auf den Tisch; er schenke allen ein Gnadenjahr – aus Dankbarkeit für ihren Mut und ihren Einsatz … (ALB)

Schopenhauers Stachelschweine

Kein Geringerer als der Philosoph Arthur Schopenhauer hat die folgende Fabel aufgeschrieben und kommentiert. Sie handelt von einer kleinen Herde Stachelschweinen, die an einem eisigen Wintermorgen schrecklich froren. Da meinte eines der älteren Tiere: »Lasst uns doch enger aneinander schmiegen! Dann können wir uns doch gegenseitig wärmen!« – Gesagt, getan. Doch sehr schnell spürten sie, wie sie sich gegenseitig ihre spitzen Stachel in den Leib rammten. Das tat ihnen sehr weh. Also rannten sie eiligst wieder auseinander. Das Bedürfnis

jedoch, sich vor der Kälte zu schützen, brachte sie schon bald erneut zusammen. Und abermals rannten sie auseinander, weil sie ihre gegenseitigen Stacheln spürten … – Das wiederholten sie noch einige Male. Dann hatten sie, von zwei Übeln hin- und hergerissen, herausgefunden, dass sie sich im mittleren Abstand voneinander sehr wohl wärmten, ohne sich mit ihren Stacheln zu verletzen.

Schopenhauer zog daraus die Lehre: Unter solchen Umständen bedeutet Höflichkeit den jeweils richtigen Abstand voneinander herauszufinden!

Der Bauer, der in den Weihnachtstagen heimlich seine Stalltiere belauschte

Mir war’s, als ob ich aus bergumschlossener dunkler Tiefe in weite Höhen gehoben würde. Nicht nur eine neue Welt sah ich, fast dürfte gesagt werden, dass mir auch eine andere Sonne aufging, welche mir die ganze Umgebung in einem anderen Licht erscheinen ließ. Die Tiere, die Flüsse, die Berge, der Wald belebten sich und sprachen mit dem Knaben, der überall Wesen seiner wunderbaren Märchen sah, als deren Held er sich so gerne dachte.

Jetzt waren unsere Kühe nicht mehr nur Werkzeuge. Ihren ernsten großen Augen glaubte ich’s anzusehen, dass sie reden und viel Geheimnisvolles,Wichtiges offenbaren könnten, sobald sie möchten oder eine höhere Macht, die sie aus irgend einem selbstsüchtigen Grund zum Stummsein bannte, gebrochen wäre. Hatte doch mein Alter (Vater) mir erzählt, wie in der heiligen Nacht von zwölf bis ein Uhr die Kühe sich über die Zukunft zu unterhalten pflegen. Ein Bauer, der sie vom Heuboden aus belauschte, hörte statt der erwarteten Geheimnisse über die Zukunft nur Klagen über sich selbst und die Freude einiger Kühe darüber, dass der Bauer noch vor Ablauf der angebrochenen Woche unter dem Kreuz auf dem Friedhof ruhen werde. Dann hätten sie – die Tiere des Stalles – endlich Ruhe und würden nicht länger geschlagen. – Als der Lauscher auf dem Heuboden das hörte, wurde er wütend, verfehlte beim Hinabsteigen im dunklen Stadel vom Heuboden eine Sprosse der Holzleiter, brach sich das Genick und starb noch in derselben Nacht.

(Von Franz Michael Felder, Bauer in Vorarlberg (1839–1869)

Der Rabbi und die Mäusebrut

Viele Jahre lang hatte ein Rabbi schreckliche Schmerzen; kein Arzt konnte ihm Linderung verschaffen. Eines Tages beobachtete er seine Magd, die ihm schon seit Jahrzehnten gute Dienste getan hatte, wie sie sich anschickte, ein Nest mit jungen Mäusen über die Türschwelle zu tragen. Er rief ihr nach: »He, du, was hast du denn mit den Mäusen vor? Weißt du nicht, dass sie auch leben wollen?« – Die Magd schüttelte den Kopf: »Aber es sind doch Mäuse; zwar noch klein, aber wenn sie mal größer sind, werden sie uns alles wegfressen. Also muss ich sie jetzt aus dem Haus entfernen, ehe sie uns lästig werden und uns aller zernagen.« – Der Rabbi blieb anderer Meinung; in der Schrift stehe, so fuhr er fort, seine Dienstmagd aufzuklären, dass sich Gottes Erbarmen über alle Werke erstrecke und dass auch Tiere unter seiner Barmherzigkeit stünden. – Und er wies seine Dienerin an, die Mäusebrut wieder ins Haus zurückzubringen.

Im Himmel, so schließt diese Erzählung aus dem Jiddischen, sprach man jetzt ein Wort des Erbarmens: Weil der Rabbi Mitleid hatte mit den jungen Mäusen, sollte auch er Erbarmen finden – und von Stund an hatte er keine Schmerzen mehr!

Das Baby und die Haus-Unke

Es war einmal ein kleines Kind, dem gab seine Mutter jeden Mittag ein Schüsselchen mit Milch und Weckbrocken – und die Kleine setzte sich damit regelmäßig hinaus in den Hinterhof. Kaum hatte das Baby zu essen begonnen, da verließ die Hausunke ihre Mauerritze und senkte ihr Köpfchen in die Milch. Das Kind hatte seine helle Freude daran, und wenn die Unke mal nicht rechtzeitig erschien, dann begann die Kleine unruhig zu werden und zu singen:

Unke, Unke, komm geschwind,

komm herbei, du kleines Ding!

Sollst dein Bröckchen gerne haben

und an der Milch dich köstlich laben.

Da kam die Unke herbei und ließ es sich gut schmecken. Sie zeigte sich auch dankbar, denn sie brachte dem Kind aus ihrem heimlichen Schatz allerlei schöne Dinge mit: Glitzernde Edelsteine, edle Perlen und goldene Spielsachen. Die Unke trank aber immer nur Milch und ließ die Weißbrotbrocken unangetastet in der Schüssel liegen. Als die Unke das wiederholte, wurde das Kind unwillig und schlug der Unke mit dem Löffelchen auf den Kopf und sagte: »Liebe Unke, du musst auch von den Brocken essen, sonst schimpft meine Mutti. Die Mutter beobachte und hörte alles durchs Küchenfenster, ergriff ein Holzscheit, rannte schnell in den Hof und erschlug die Unke.

Von dieser Zeit an änderte sich das Verhalten des Kindes; solange die Unke mit ihm gegessen hatte, hatte es rote Backen, jetzt aber magerte es ab und wurde zusehends bleich und bleicher. Und schon bald fing nachts der Totenvogel an zu schreien, und das Rotkehlchen sammelte dürre Zweige und Blätter für den Totenkranz; wenige Tage später lag das Kind auf der Bahre…

(Nach einem Märchen der Gebrüder Grimm)

Die Blüte, die wir nicht zertreten,

wird uns beschenken mit ihrem Duft;

der Vogel, dessen Nest wir schützen,

wird uns belohnen mit seinem Gesang.

REINHOLD SCHNEIDER

Der moderne Weg zur Hasen-Kommune

Eines Tages erkannten die Bewohner des Hasendorfes, dass die Arbeitsamen unter ihnen mit schweren Büscheln frischer Blätter, süßduftender Pflanzen und leckeren Früchten aus dem Busch zurückkehrten, während andere, die Faulen und Bequemen, mit leeren Händen dastanden. Das machte denen, die fair und nobel zu denken pflegten, arge Kopfschmerzen. Deshalb fassten sie auf dem nächsten Hasenkongress folgende Resolution: »Niemand soll künftig im Busch nur für sich selbst nach Nahrung suchen, sondern stets für die ganze Gemeinschaft, die Kommune aller Hasen: Was immer der Einzelne findet, trägt er nach Hause und bringt es zur vereinbarten Zeit auf den Marktplatz. Dann kommen alle Bewohner des Hasendorf zusammen und die Verteilung beginnt: Erst kommen die werdenden Mütter und die Kinder dran; dann alle andern.«

Nachdem alle Hasenfamilien zugestimmt hatten, ging man an die Arbeit. Die Esswaren wurden auf dem großen Marktplatz ausgelegt; und es klappte alles recht gut – keiner ging leer aus, keiner nahm mehr, als er unbedingt brauchte. Und alle gaben zu, dass dies ein guter und gerechter Weg sei zum allgemeinen Frieden im Dorf. Und alle waren zufrieden und glücklich, bis eines Tages ein paar städtische Snobs erschienen, abgeschleckte Vornehmtuer, die den Dörflern weismachen wollten, sie seien schrecklich altmodisch. Modern sei heute die These: Allen gehöre alles. Ihr altmodisches Denken gehöre inzwischen der Vergangenheit an. – Allmählich wurden die Dorfhasen unsicher und baten die Städter um ihren Rat.

Da ergriff der Anführer der städtischen Hasen das Wort und schrie laut und deutlich: »Freunde, Genossen, bald wird alles anders; es wird keine Armen mehr unter uns geben, denn es kommt die Zeit der Volkshasen. Alles für das Volk! Alles mit dem Volk! Und niemals ohne das Volk. Da klatschten alle Beifall – und überließen den städtischen Hasen ihre ganze Habe, auch ihre Vorräte und Früchte, die sie schon geerntet hatten. Bei ihrem Abschied versprachen die beiden Hasen-Snobs aus der Nachbarstadt, dem obersten Chef des Hasenrates in der Stadt die Treue der Dorfhasen zu übermitteln; der werde ihre Loyalität niemals vergessen. Dann riefen sie: »Hoch lebe die neue Zeit! Hoch lebe der Hasen-Rat! Hoch lebe die demokratische Republik aller Hasen weltweit!« – Bald schon fuhren die ersten schweren Laster vor, um die Nahrungsmittel der Dorfhasen zu verladen und in die Stadt zu bringen.

Es vergingen viele Wochen, und immer noch warteten die Dorfhasen auf die Nachricht, wann sie ihren Anteil an Früchten bekämen. Sie warteten umsonst. Inzwischen brach die Hungersnot im Hasendorf aus, und ein Hase nach dem andern verschwand klammheimlich im Wald, wo sie genügend Früchte, Blätter und Gräser fanden, um die Ihren zu ernähren – und schon bald vergaßen sie die Parolen der Genossen aus der Stadt, von denen sie verführt worden waren, um künftig gemeinsam den vielgepriesenen »Hasenweg« zu gehen. Sie kehrten jetzt wieder zurück zu den Sitten und Bräuchen ihrer Vorfahren, und es gab wieder solche, die viel Futter auf Vorrat hatten, und es gab auch künftig hin und wieder ein paar, die manchmal hungern mussten. Es gab, wie überall auf der Welt, wieder Arme und Reiche, aber verhungern musste niemand.

(Ein modernes Märchen aus Simbabwe.

Quelle: Adalbert Ludwig Balling »Sie standen am Ufer der Zeit«,

Verlag Mariannhill, Würzburg, 1981)

Von Kindstagen bringt man uns bei,

dass auch die Tiere – sowie Bäume, Sträucher und Blumen,

mit denen wir unseren Platz auf Erden teilen,

unsere Brüder und Schwestern sind.

CHEROKEE-INDIANER (USA)

Ein Herz für Tiere und für Menschen die Tiere mögen

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