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Prolog: Die Kontrolle

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Der Schnee schwebte in großen Flocken durch die nächtliche Luft. Eigentlich schneite es nur wenig, doch der starke Wind erzeugte das Gefühl, gerade durch einen Blizzard zu fahren. Nur das Licht einsamer Straßenlaternen, gelegentliche Leuchtwerbung sowie das gleichmäßige Brummen des Motors erinnerten an die Geborgenheit einer Zivilisation, die da irgendwo hinter dem Schneechaos lag.

Es war also eindeutig nicht die beste Nacht, die Jean je am Steuer erlebt hatte. Er ahnte jedoch nicht, dass diese Samstagnacht sogar die wahrscheinlich schlimmste Nacht seines Lebens werden sollte. Im nur begrenzt wirksamen Scheinwerferlicht tanzten die weißen Flocken mit irrsinniger Geschwindigkeit auf die Frontscheibe zu und zerplatzten an ihr, um gleich darauf vom emsigen Scheibenwischer beseitigt zu werden. Das Fernlicht einzuschalten hatte wenig Sinn. Es ermöglichte lediglich die Sicht auf noch mehr rasante Schneeflocken. Man konnte davon wahnsinnig werden.

Nur die Nebelscheinwerfer brachten etwas Erleichterung. Sie leuchteten die Fahrbahn ein wenig aus und ließen so den weiteren Straßenverlauf erahnen.


Jean wurde langsam müde. Es strengte seine Augen zu sehr an, beständig durch das Schneechaos auf die Straße zu starren. Der 20Jährige kannte die Anzeichen: Erst schmerzten die Augen, dann wurde er nervös, schließlich machte er Fehler. So war es immer, denn als Informatikstudent mutete Jean seinen Augen oft mehr zu, als für sie gesund war. Einen Bildschirm konnte man aber immerhin ausschalten. Mit dem Schneegestöber rings um sein Auto ging das leider nicht.


200 Meter voraus durchdrang das beleuchtete Logo einer Supermarktkette die schneegeschwängerte Dunkelheit. Jean seufzte erleichtert. Gleich würde er zu Hause sein. Nur noch ein paar von Laternen gesäumte Straßen, zweimal abbiegen, dann…

In diesem Moment durchdrang ein fremdes Licht den Dunst ringsum. Genauer gesagt, waren es mehrere fremde Lichter. Zunächst einmal ein Paar Autoscheinwerfer, gefolgt von einem blauen Blinken. Jean blickte in den Rückspiegel und entzifferte eine rote Laufschrift: „…te anhalten. Polizei. Bit…“, las Jean, ehe er den Blick wieder abwandte. Im Schein des Supermarktlogos kam Jean am Straßenrand zum Stehen. Er schaltete die Innenbeleuchtung ein und ließ die Hände sichtbar am Lenkrad. Den Motor stellte er nicht ab, und auch die Scheibe öffnete Jean nur einen winzigen Spalt. Zwei vorwitzige Schneeflocken und jede Menge kalte Luft drangen augenblicklich ins Wageninnere.


Knirschende, schwere Schritte verrieten die Ankunft des Polizisten. „Guten Abend! POM… (der Name ging in einem zufälligen Räuspern unter). Wir führen hier eine Allgemeine Verkehrskontrolle durch. Stellen Sie bitte den Motor ab. Die Fahrzeugpapiere und den Führerschein möchte ich gern sehen!“

Trotz der vorschriftsmäßigen Ansprache war von echter Höflichkeit hier nichts zu spüren. Jean registrierte eine unangenehme, geradezu gefährliche Stimme. Sehr selbstsicher. Sehr beherrscht. Jederzeit zur Explosion bereit.

„Die Papiere sind im Handschuhfach. Ich hole sie jetzt da raus“, kündigte Jean mit dünner Stimme an. Leicht zitternd setzte er seine Worte in die Tat um. Der Polizist nahm die Papiere wortlos entgegen und reichte sie gleich weiter. Jean schielte in den Rückspiegel und sah einen weiteren Polizisten zu dem im Reklamelicht schemenhaft erkennbaren Polizeiauto gehen. Der Mann kehrte fast augenblicklich zurück. Er postierte sich, gut sichtbar, schräg vor dem Wagen. Die linke Hand hielt nachlässig Jeans Papiere. Die rechte Hand lag unruhig auf dem Pistolenholster am Gürtel.

Jean kannte sich mit Polizeiarbeit nicht aus. Sein Fachgebiet war die Logik. Er wusste, was Algorithmen sind, und wie man mit ihnen arbeitete. Deshalb war ihm klar, dass der zweite Polizist seine Papiere niemals ernsthaft überprüft hatte. Ein solcher Prüfalgorithmus wäre so aufgebaut, dass gestohlene Autos und die Namen flüchtiger Verbrecher zuerst abgeglichen würden. Umso länger es dauerte, desto harmloser war also das Ergebnis. Ein gesetzestreuer Bürger wie Jean müsste demnach erst nach ungefähr einer Minute im Suchlauf auftauchen. Auch Jeans zweite Beobachtung war eine Sache der Logik: Beide Polizisten waren so postiert, dass ein Verbrecher sie selbst ohne Waffen nahezu gleichzeitig ausschalten konnte. Der am Wagenfenster hatte eh keine Chance. Der Andere schien geradezu darum zu betteln, überfahren zu werden. Professionell war so etwas nicht.

Jeans dritter Gedankengang ergab sich daher von selbst: Hier stimmte etwas nicht. Die Polizisten schienen sorglos zu sein. Trotzdem fummelte Nummer zwei ständig am Pistolengriff herum. Was war hier los? In welche Situation war er hier, wenige Meter von seiner Haustür entfernt, geraten?

„Jean“, knarrte die verächtliche Stimme des ersten Polizisten plötzlich los. „Franzose, was?!“

Jeans Trotz erwachte.

„Nö! Und selbst?“, brachte er mit zittriger Stimme hervor.

Die Stimme des Polizisten wurde jetzt wieder ganz geschäftsmäßig:

„Steigen Sie bitte aus! Warndreieck, Verbandskasten, Warnweste!“

Jean verließ den Wagen mit weichen Knien, öffnete den Kofferraum und kramte die gewünschten Dinge hervor. Alles war in Ordnung. Der junge Mann spürte, wie Enttäuschung und Wut in dem Polizisten stiegen.


„Wann haben wir denn das letzte Mal Alkohol getrunken?“, wollte Nummer zwei plötzlich wissen. Das war untypisch. Jean hatte schon einige Verkehrskontrollen erlebt. Immer hatte dabei einer kontrolliert und mindestens ein anderer gesichert. Hier aber agierten beide.

Jean konnte die Frage nicht beantworten. Er trank nie Alkohol. Es gab also kein letztes Mal.

„Wann Sie das letzte Mal getrunk…“, setzte Jean vorlaut an.

„Vorsicht, Bürschchen!“, knurrte Nummer eins. Die Waffe von Nummer zwei schien auch schon ein Stück aus dem Holster geklettert zu sein.

Jetzt bekam Jean wirklich Angst. Das war keine normale Kontrolle. Er stand allein im Halbdunkel zwei bewaffneten Irren gegenüber. Ob er aus Angst oder vor Kälte zitterte, wusste Jean in diesem Augenblick nicht.

„Ich trinke nie Alkohol“, sagte er kleinlaut. Der erste Polizist schaute ihn wortlos an. Nach einer gefühlten Ewigkeit schien er Jean aber zu glauben.


Allerdings war das kein Grund zur Erleichterung, denn die Uniformträger wurden nun erst recht zornig. Jean registrierte schlagartig, dass die Beiden ein Opfer suchten. Doch bislang hatten sie an Jeans Wagen keinen Fehler gefunden, der Fahrer war nüchtern, und eine Geschwindigkeitsüberschreitung ließ sich bei dem Wetter auch nicht behaupten.

„Warum sind Sie mit Nebelscheinwerfern gefahren?“, setzte Nummer eins die Fragerunde fort.

„Na, na, wegen der schlechten Sicht“, stotterte Jean unsicher. Hatten sie jetzt doch etwas gefunden? „Bei starkem Regen oder Schneefall darf man das“, setzte er schließlich noch hinzu.

„Wann schlechte Sicht ist, entscheiden wir“, grinste Nummer zwei selbstsicher. „Das kostet jetzt erst mal zehn Euro! Sie können sofort zahlen, oder Sie erhalten einen Bußgeldbescheid.“

Seufzend fischte Jean in seiner Hosentasche nach etwas Geld, natürlich nicht, ohne vorher anzukündigen, was er vorhatte. Er wollte schließlich nicht von diesen Irren erschossen werden. Das Geld wechselte den Besitzer. Nach einer Quittung zu fragen, wagte Jean nicht.

Kaum war der Geldschein in der Jackentasche von Nummer zwei verschwunden, knirschte es unangenehm. Jean blickte entsetzt auf: Der linke Außenspiegel hing zerstört an ein paar Drähten herab. Nummer eins hatte sich offenbar dort angelehnt, besser gesagt, hatte er sich wohl mit ziemlichem Nachdruck gegen den Spiegel fallen lassen. Jean wollte instinktiv einen Schritt auf den beschädigten Wagen zu machen. Aber im diffusen Licht des Supermarktlogos blinkte plötzlich die Waffe von Nummer zwei auf. Der Polizist steckte sie sofort wieder ein. Doch die Drohung wirkte.

Nummer eins knarrte ganz ruhig: „Sie fahren mit einem defekten Außenspiegel herum. Das kostet nochmal zehn Euro. Sie können sofort zahlen, oder Sie erhalten…“

Jeans Verstand schaltete sich wieder ein. „Hab kein Bargeld mehr! Per Bescheid, bitte“, sagte er mit erzwungener Ruhe.

Den Polizisten kam diese Antwort wohl verdächtig schnell vor. Sie hatten Protest erwartet und kamen nun zu dem gleichen Schluss wie Jean: Ein Bescheid enthielt immer einen Anhörungsbogen sowie die Namen der Polizisten. Der Junge wollte sich tatsächlich beschweren! Als ob ihm das einer glauben würde!


„Wir wollen mal nicht so sein“, sagte Nummer zwei plötzlich mit gespielter Jovialität. „Wir haben allerdings den Eindruck, dass Sie selbst nicht fahrtüchtig sind. Ein bisschen schwach auf den Beinen, was? Den Führerschein behalten wir daher erst einmal, das ist Vorschrift. Sie können ihn sich nächste Woche auf der hiesigen Dienststelle abholen…“

Die Zulassung hingegen drückte er Jean in die zittrige Hand. Dann zog er die Pistole noch einmal aus dem Holster, richtete sie spielerisch auf Jean und ergänzte:

„Wir kennen jetzt Ihre Adresse und können Sie natürlich auch gern besuchen kommen! Auf Wiedersehen!“

Die Polizisten lachten rau und gemein. Nummer zwei steckte die Waffe wieder weg. Dann eilten beide, immer noch feixend, zu ihrem Wagen und fuhren davon. Jean konnte nicht einmal das Kennzeichen entziffern, weil dessen Beleuchtung offenbar defekt war. Die Nebelscheinwerfer dagegen waren eindeutig angeschaltet.

Nach ein paar Sekunden sackte der junge Mann zusammen. Zorn, Empörung, unsägliche Angst und ein Gefühl der Hilflosigkeit erfassten ihn. Irgendwann raffte er sich wieder auf und wankte die wenigen Schritte bis zu seiner Haustür. Den beschädigten Wagen ließ er einfach stehen - nicht nur, weil er ja jetzt keinen Führerschein mehr hatte.

„Auf Wiedersehen“, murmelte er immer wieder. „Auf Wiedersehen!“



















Dreieinhalb Jahre später…









Eins, zwei, Polizei

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