Читать книгу Eine dänische Geschichte - Adele Schopenhauer - Страница 3

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Auf der süd-östlichen Küste der Insel Laaland erhebt sich das alte Städtchen Nysted, welches sich zu den frühesten Dänemarks zählt, da es schon im Jahr 1409 durch Erich von Pommern Stadtrechte erhielt. Wie aus einem dicken Laubkranze schaut es von seinem grünenden Hügel aus weit hinein in das Land – über Laaland und Falster hin, ja dem Meer entlang bis nach Femern und Rostock, und seine berühmten Lindengänge erzählen sich im Abendwind ganz wundersame Geschichten: der träumerische Nachthauch streicht über heidnische Grabhügel, über verfallene Gerichts- und Opferstätten hin, und hilft dem kundigen Greis die in seinem Kopf zerstreuten, halbverlorenen Klänge der alten Saga zusammensuchen, die ihm vom Ur-Ahn auf Großvater und Vater vererbt sind. Denn der Nordländer, besonders aber der Landbewohner hört gar gern erzählen von lang vergangenen Tagen, wenn der strenge Winter ihm Thor und Fensterladen schließt und ihn zurückdrängt in die engen Kammern.

Auf dem höchsten Steine der ehemaligen Schanze, an der Mündung des Hafens, saß ein junger Mann, nachdenklich beide Arme auf ein Mauerstück gelehnt und schauete bald zum bewölkten Himmel auf, bald in die frische Landschaft hinein, sah aber dabei aus, als gedenke er gar anderer Ruinen, gar anderer Hügel und Meere; ihm war das Herz sichtlich schwer. Auch er war ein beliebter Erzähler des Städtchens; er hatte oft und gern seinen staunenden Zuhörern den bunten Schleier seiner südlichen Anschauungen über dies stille Grau der Nebel hingebreitet, in denen der Frühling, wie ein Kind in seinen Windeln, tief in's Jahr hinein schläft, und dann mit einem Male aufspringt, da ist in voller Schöne und Kraft und wie ein junger Herkules die alte Winterschlange zerdrückt. Das hat der höhere Norden mit dem Süden gemein, daß dort wie hier der ganze Lenz, wie seine einzelne Blüthe, in der geschwellten Knospe steckt; und ihn der heiße Sonnenstrahl plötzlich erweckt zum üppigsten Leben, während man in Mittel-Deutschland ihn lange kommen sieht, und heute die Primel, morgen die Kirschenblüthe findet, eine Woche lang das Maienglöckchen erwartet, und so allmälig Blume um Blume willkommen heißt und begrüßt.

Drei Monate schon war der Reisende in Nysted; seit drei Wochen liebte er; seit drei Wochen war ihm, außer dem kleinen Fleck Erde Laaland, die übrige Welt dunkler geworden als der bewölkte Himmel, den er anstarrte. – Darum also war er in Italien gewesen, hatte Rom gesehen, dort und in Florenz Jahre lang studirt, um hier hoffnungslos einem bleichen Mädchenantlitz gegenüber festzuwurzeln? – Wo waren dann seine Wünsche und Träume geblieben, und all die weitausgreifenden Pläne der Seinen? – Wie welke Blätter im Sturm kreisten und wirbelten Erinnerungen und Vorstellungen durch seine Seele: – er gedachte seiner Mutter in Plön, wohin sie von Copenhagen gezogen, um wohlfeil zu leben, einsam mit einer alten Magd, jeden Pfennig zu sparen und mitten in den Unruhen des Kriegs ihn zum Künstler zu bilden; er gedachte seines Ohms, des Rathsverwandten Hagemeister, der als solcher eine kleine Anstellung in Roeskilde erhalten, und mit unsäglicher Mühe durch des Bischofs Gnade den Auftrag ihm verschafft hatte, der zuerst ihn nach Nysted geführt. – Eben durchbrach die Sonne, mit hellem blassen Strahl sie durchschneidend, die schwere Wolkenhülle; aufblitzte der goldne Thurmknopf der das ganze Städtchen hoch überragenden Kirche; die Arbeitsstunde war gekommen, und die Möglichkeit im alterthümlichen Bau des Gotteshauses die Farben zu sehen und scharf zu unterscheiden; – der Maler warf alle Gedanken zur Seite und eilte der Bucht entlang den Weg zurück in die Stadt, die steile Gasse hinauf zur Kirche; sie war geschlossen am Werkestag; das Frühgebet war längst vorüber. Thorald mußte herumgehen bis an des Küsters Haus; er klopfte leise an die runden Scheiben des kleinen Fensters, es öffnete sich sogleich und ein feiner Mädchenkopf beugte sich hervor.

»Ei guten Morgen, Herr Eynerssen! Der Vater ist nicht mehr daheim, er ist auf Schloß Aalholm zum Grafen, und ich soll Euch führen; die Schlüssel hat er mir gelassen, ich komme gleich hinab!«

Im Augenblicke stand sie, in ein bescheiden Mäntelchen gehüllt, neben ihm, – »aber laßt Ihr mich nun auch das Gemälde sehen, lieber Herr? ich habe mich so lange darauf gefreut, allein der Vater ist so streng; der hält am gegebenen Wort wie eine Eisenklammer. Ihn kümmert es gar nicht, daß mich die Christine und Elisabeth und Sophie verspotten, weil ich, gleichsam ein Kirchenkind, das Bild noch nicht gesehen, da Ihr es doch schon vor drei Tagen hingebracht.« –

»Wenn es fertig ist, Gianina, sollst Du es zuerst sehen, früher als alle Anderen; heute aber kann ich Dir den Gefallen nicht thun, ich muß den Eindruck, den es macht, an Ort und Stelle selbst betrachten, ihn wohl berechnen, manches ändern und hineinmalen.« –

»Da verwälscht Ihr mir wieder meinen ehrlichen Christennamen und thut mir dennoch nicht das kleinste zu Liebe! Johanna heiß ich, hundertmal habe ich's Euch schon gesagt! Würde das klingen ›Gianina Kaalund‹? hört doch selbst, wie das acht und kracht! Es paßt zusammen wie die Faust auf's Auge.«

Während dem Sprechen hatte das Mädchen die schweren Schlösser geöffnet; sie traten durch die Sacristei, welche der Kirche anhing wie ein unförmliches Schwalbennest, in die dämmernde Stille des Seitenschiffs. Die weißgetünchten Räume gehörten dem normannisch-romanischen Styl an, der edle Bau war frei und nicht durch schwerfällige Mittelchöre verunstaltet; ein frommes, freudiges Dankgefühl schlug an des Malers Herz – rasch schritt er vor nach der Mitte des Altars und überflog mit flammendem Auge die seiner Tafel bestimmte Stelle; hinter derselben stand das wohl verhangene Bild. Daneben lehnten eine Leiter und eine staffeleiartige Vorrichtung, um das Gemälde in die ihm bestimmte Höhe zu bringen und ihm das passende Licht zu geben. Der Maler hatte die Absicht, an Ort und Stelle das Gemälde zu vollenden, und dann erst dem Magistrat, welcher es für die Stadtgemeine bestellt, zu überantworten.

Unterdessen war Carlson, ein langer blonder Knabe, welcher dem Maler aufwartete, mit dem Malergeräth angelangt. Thorald und er gaben sich sogleich daran die Tafel aufzustellen. Das Mädchen hatte der Künstler längst vergessen.

Die Kleine war scheinbar hinausgegangen, dann umgekehrt und hinter einen der großen Pfeiler geschlüpft; sie schaute von dort sachte hervor auf Beider Treiben, in der Hoffnung, wenigstens von weitem ihre Neugier befriedigen zu können.

Jetzt war das Bild mit dem leeren Altarraum in gleiche Höhe gebracht, es stand demselben zur Seite; Carlson ward entlassen. Zögernd blieb der Meister mit verschränkten Armen vor seinem Werke stehen, als scheue er die Enthüllung desselben. – Carlson strich dem Pfeiler vorüber, welcher Johannen barg; sie glitt geschickt um denselben herum und war nun dem Gemälde um so näher. Endlich flog der Vorhang zurück. »Mein Jesus, das Schloßfräulein!« schrie Johanna sich selbst vergessend auf. Wie von einem elektrischen Schlage getroffen taumelte der Maler zurück. »Du hier, Johanna? und Sie – Helene? das Fräulein von Gejern wollte ich sagen – aber wo, um Gotteswillen, wo ist sie? sprich doch Mädchen!«

»Was fällt Euch ein! Ihr träumt, lieber Herr. Das Fräulein außer aller Kirchenzeit hier in dem verschlossenen Gotteshause? ich meine da die heilige Martha neben unserer Herrgottsmutter auf dem Gemälde, sie ist ihr ja wie aus den Augen geschnitten! Wird sich die wundern, und der Herr Graf! – aber der Johannes sieht ihr wahrhaftig auch etwas ähnlich! – und davon sagt mir der Vater kein Sterbenswort!«

Heiß erröthete der junge Mann, ob aus Liebesentzücken oder Scham ist schwer zu sagen, denn die in's Auge fallende Aehnlichkeit war ihm unbewußt aus der Seele in die Farbe seiner Pinsel gedrungen; dann versuchte er des Mädchens Ausspruch zu widerlegen, ja, er schalt ihn sogar eine thörichte Einbildung, der des Fräuleins Ohr ja nicht berühren dürfe; er bewies ihr den Irrthum in tausend Abweichungen des Originals vom Bilde. –

»Meinetwegen, lieber Herr Eynerssen, ich gebe Euch gern zu, daß unser Fräulein weder so betrübt aussieht – Gott sei Dank! noch so fromm; aber das sind ihre schönen lichtbraunen Haare, ihre klaren Augen – das ist die schmale Unterlippe, mit der sie so drollig trotzen kann, das ist ihre freie gerade Nase; es ist ja zum Sprechen! Und so narret mich doch nicht, indem Ihr mir weiß machen wollt, es sei das Alles ganz von selbst gekommen, habt Ihr doch eben das Conterfei der drei Fräulein im Schlosse vollendet, da hattet Ihr ja die allerbeste Gelegenheit, dasselbe Gesicht hier zu wiederholen. Die Lisbeth hat die Bilder gesehen und kann gar nicht aufhören, die Aehnlichkeit derselben zu rühmen!«

»Ich bitte, Kind, jetzt laß mich arbeiten,« bat der Maler. »Geh' jetzt – thu' mir den Gefallen! Drei Stunden lang habe ich auf den hellen Tag und auf das Sonnenlicht gewartet.« – –

»Ja wohl, ich gehe schon, aber ich hätte Euch doch gern noch viel gefragt; mir ist, als müsse ich Euch danken für Labung und Gottesgabe! Die heilige Mutter am Kreuz ist gar so schön, und Christus sieht auf uns mit solcher Barmherzigkeit hernieder, daß man so recht im Gemüthe fühlt, wie er für uns gestorben ist!«

Als sie draußen war, schob Thorald die Riegel vor und kehrte dann zu seinem Bild zurück; er wollte die Aehnlichkeit wegbringen durch ein paar kühne Pinselstriche, wär's auch auf Kosten seines Bildes, aber den geliebten reinen Zügen gegenüber sanken ihm Hand und Muth. – »Haben es doch Rafael und Andrea auch gethan!« flüsterte er vor sich hin – »vielleicht gewahrt sie es nicht einmal; mir ist's wie eine Todsünde, die wunderbare Harmonie dieses Antlitzes zu zerstören! Was auch für Herzeleid und Verdruß mir daraus erwachse, ich vermag es nicht.«

Eine dänische Geschichte

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