Читать книгу Eine dänische Geschichte - Adele Schopenhauer - Страница 4

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In einem nicht eben uneleganten, nur etwas schwerfälligen Pavillon in chinesischem Geschmack, der sich neben dem alten gothischen Schloßbau drollig genug ausnahm, und recht wie zum Spott unserer schwächlichen Modernität mit dessen vier, fünf Ellen dicken Mauern contrastirte, saßen am Abend desselben Tages drei junge Mädchen, zwei von ihnen mit Nähen und Spitzen-Klöppeln emsig beschäftigt; – Laaland bewahrt noch seine primitive Fabriken- und Lädenscheu, und Nysteds 800 Einwohner gehen alle, von der Mode unberührt und unbelästigt, im großväterlichen und großmütterlichen Schnitt einher. Die Damen mußten also nothgedrungen zu ihrer eigenen Modernisirung Hand anlegen. Den beiden fleißigen Schwestern gegenüber saß Helene, mit dem Rücken nach dem Fenster gekehrt, und schaute verstohlen über die Schultern hinweg, der Lindenallee entlang, welche Schloß und Städtchen verbindet. Sie beachtete keines der Copenhager Gesellschaftsbilder, welche jene Beiden mit unerschöpflicher Phantasie ihr entwarfen; wie aus einer weitentlegenen Welt schaute sie sichtlich, ohne alles Verständniß des ihr Vorgetragenen, über den kleinen schmalen Theetisch zu den lustigen Schwätzerinnen hin, die, glücklicherweise viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, ihre Zerstreutheit nicht bemerkten. –

»Bruder Joachim und Elisabeth kommen auch zum Pferderennen nach Copenhagen,« sagte Amalie, »Christian will nur ein halb Dutzend Ackerpferde zum Verkauf hinüberschicken – wird sie nicht Staat machen, die Gnädige. Nun, da bekommen wir wenigstens neue Muster.«

»Nach Wallöe? o ja! aber schwerlich bis hieher nach Laaland! Und alles können wir doch nicht selbst machen, oder gedenkst Du in Nysted eine Putzmacherin zu suchen? Danke Gott, wenn Du einen Schuster findest!«

»Wie Du nun wieder übertreibst, Annette, Dir ist der Aufenthalt hier zuwider, und doch ist er so friedlich, so recht gleichförmig und ruhig, wie ich immer leben möchte; ich habe diese grünen fetten Weiden gern.«

»Gern? ist's etwa angenehm zwischen Ochsen und Kühen, durch Dick und Dünn in schweren Holzschuhen dem Sonnenuntergange entgegen zu waten, im Moor stecken zu bleiben und dann allenfalls vom alten Niels gerettet, wie ein nasser Sack in irgend einem Bauernhofe als »Gräfliches Eigenthum« abgeliefert zu werden?«

»Uebt man doch kein Morast-Strandrecht an uns aus! Ich bin lieber hier als in Wallöe; das Stift wird mir nicht zum Vaterhause. Hätte Christian mein Herz für Aalholm, es sollte bald hier anders werden. Es war auch anders zu der Mutter Zeit, sogar noch in des Vaters Witwen-Jahren, ehe all die Modernisirungsversuche den Bauernstand uns fern stellten; es war etwas patriarchalisches in der Abhängigkeit.«

»Ich meine, der Bauernstand sei unserer Gegenwart etwas näher getreten, als für unser Aller Glück nothwendig,« erwiederte Annette; das hübsche Milch- und Rosen-Gesichtchen überflog ein Zug seltsam spöttischer Bitterkeit.

Am gegenüberliegenden Ende des Gartens erschien jetzt eine bleiche noch jugendliche Frau; sie trat aus dem Schlosse und schritt mühsam die hohe Steintreppe hinab in den Gang, der zum Pavillon führte; ihr etwas trüber Blick überflog die Kieswege und die steifgeschnittenen Taxuswände, als suche er etwas; ein leises, fast unmerkliches Kopfschütteln sprach aus, daß sie es nicht gefunden; – so näherte sie sich langsam den Schwestern. Helene, ihren wogenden Träumen hingegeben, bemerkte es nicht; die andern Beiden blieben in plötzlich veränderter Haltung sitzen, etwas Gliederpuppenartiges und angestrengt Eckiges legte sich über dieselben und es breitete sich eine feine, doch keineswegs grelle Affectation über den ganzen Ausdruck ihres eben noch so ganz natürlichen Wesens aus.

Eva, so hieß die Neuhinzugetretene, grüßte freundlich ihre Schwägerinnen und setzte sich zu ihnen; sie athmete beklommen. In Laaland geboren, hatten ihr dennoch der feuchte Moorboden und dessen ungesunde Ausdünstungen geschadet; ihre Gesundheit war zerstört. Sie hatte mit ihrem Gemahl, dem Grafen Christian, fünfzehn Jahre in Jütland zugebracht, bis das ihm nach seines Vaters Tode zufallende Majorat sie veranlaßte, nach Aalholm zu ziehen. Jütland aber ist der romantische Theil Dänemarks; es hat weder Fühnens überreiche Vegetation, noch Seelands städtischen Reiz, aber es vereinigt den Wechsel wilder, rauher und fruchtbarer Gegenden; es hat die höchsten Berge, Waldungen und Seen, anmuthige Buchten und Flüsse – und sein kaltes Klima ist nicht schädlich wie das des kaum sich über den Meeresspiegel erhebenden Laaland.

Eva legte leise ihre schmale abgemagerte Hand auf Helenens Schulter, um sie aus ihren wachen Träumen zu erwecken; »es ist schön heute Abend,« sagte sie, »seit dem Mittag hat sich der Horizont entwölkt, wolltest Du nicht ausgehen oder ausfahren?« »Meinst Du, daß es schön bleiben wird, bis Sonntag und wir Alle nach Nysted in die Kirche gehen können?« fragte, gleich in ihre Gedanken ganz zurücksinkend, das Mädchen. Sie schüttelte die lichtbraunen Locken aus dem Gesicht und hob das von Johannen beschriebene Antlitz zu der vor ihr Stehenden empor; man fühlte die Wärme und Innigkeit des strahlenden Blickes, die vertrauende Liebe, die sie der Schwägerin verband. »Ich glaube,« fuhr sie leicht erröthend fort, »das Altarblatt wird fertig sein, es könnte wohl zur Feier des Johannistages aufgestellt werden.« –

»Freilich haben wir lange genug darauf gehofft, aber Du vergißt, liebes Kind, daß unsere Herren nach Copenhagen wollten.« –

»Bewahre! Christian schickt nur seine Pferde hin und Joachim und Friedrich gehen von ihren Gütern aus direct, ohne mit uns zusammen zu treffen; sie gedenken zum Erntefest hier auf Aalholm uns zu besuchen,« sagte Annette. Die arme Gräfin wurde noch ein wenig bleicher als sie gewesen, Christian hatte ihr von all diesen Veränderungen seiner Pläne nichts gesagt!

Helene sah sie sorglich an, »Christian,« sagte sie, »hat erst gestern Abend die Briefe erhalten, er ist mit dem Inspector nach Engholm; Du weißt, heute Morgen hat er eine Kiste Bücher bekommen, und vermuthlich über die Geistesverwandten die Brüder vergessen!« – Schmeichelnd streichelte sie die zitternde Hand, welche von der Schulter herabgeglitten jetzt in der ihren lag. »Oder mich!« – seufzte Eva, unhörbar leise.

Ein Männertritt erklang über den Kies der Gartenwege; während des kurzen Gesprächs war nun, doch von Helene nicht unbemerkt, Thorald am Pavillon vorbei und durch die kleine Gartenpforte hereingekommen; er trat, sich entschuldigend, daß er nicht angemeldet, zu den Damen. –

Er mochte Helenen früher auf diese Weise allein angetroffen haben, denn Beide waren sichtlich verlegen, und die andern Schwestern flüsterten sich etwas zu: Annette zuckte lächelnd die Achseln. Die Gräfin blieb verstimmt und wurde mit jedem Augenblicke trauriger. Das Gespräch drehte sich um die Politik des Auslandes und die damals noch wie elektrisch auf die Gemüther rückwirkenden Nachrichten aus Frankreich. Thoralds Aufenthalt als Künstler in Italien, auf dem so vielfach erschütterten Boden, in der von tausend Freiheitsträumen und Kriegsereignissen bewegten Zeit, hatte für die Frauen etwas Fabelhaftes, das ihn wie mit einer Aureola umwob.

Endlich kam auch Graf Christian; eine edle Erscheinung. Er ging ein wenig vorn übergebogen aus übler Angewöhnung; richtete er in irgend einer Geistes- oder Gemüthsanregung sich auf, so gewann seine Gestalt etwas Ritterliches, das an Majestät grenzte. Seine Züge hatten eine formelle Strenge angenommen, die nicht mit physischer Kraft gepaart, fast unnatürlich erschien; die schmale kleine Hand und die dünnen Knöchel derselben verriethen sogar eine körperliche Schwäche, die jedoch nicht ohne Anmuth hervortrat. Ohne unbeholfen sich zu zeigen, war der Graf leicht, selbst im engsten Familienkreise verlegen, seine etwas ungelenke Vornehmigkeit und der seinen Tagen anhangende Mangel einer vollendeten Erziehung, welche überall Sicherheit gewährt, trugen Schuld daran. Unendlich schön waren seine dunkelgrauen Augen; sie hatten einen wunderbaren Reiz, den man sich nicht zu erklären vermochte, denn sie belebten sich selten; eine Art schwermüthiger Düsterheit war in ihm allmälig zu der stillen Beschaulichkeit geworden, die ihn fast zum Gelehrten stempelte. Fünfzehn Jahre hindurch hatte er in einem jütländischen Dorfe gelebt, und war auch dort ein Träumer geblieben, den nur momentane Noth zum Handeln zwang, den selbst die Beschränkung der Armuth nicht zum praktischen Menschen auszubilden vermochte. Er war zeitgemäß elegant gekleidet, hatte feine Wäsche und ungepudertes Haar, überhaupt aber eine gewisse Zierlichkeit, welche gegen die Derbheit seiner Gutsnachbarn abstach.

Im Eintreten fiel sein Blick auf den Maler, seine Stirn umwölkte sich.

Thorald unterhielt die Damen voller Laune und Gewandtheit, kaum unterbrach des Hausherrn Ankunft das Gespräch, denn die Mädchen dürsteten in ihrer Abgeschiedenheit nach überseeischen Neuigkeiten; Besuche waren bei der Unfahrbarkeit der Wege selten.

Als Thorald endlich neben Helenen einen unbemerkten Augenblick gewann, flüsterte er ihr die Bitte zu, wo möglich sein nun aufgestelltes morgen zu vollendendes Bild vor dem Sonntagsgottesdienste in der Kirche zu sehen. Glühend vor innerer Lust und in gegenseitig sie überwältigender Leidenschaft ganz versunken standen Beide vor einander, ihn steigerte ein stolzes Selbstgefühl, sie berauschte der Gedanke an seinen künftigen Ruhm; denn selten nur kamen Künstler auf die stille Insel. Der nur von Ackerbau lebende Laaländer vermag sie nicht herzulocken! Seit Menschengedenken hatte man keinen Maler in Nysted gesehen, und die beiden schönen Gemälde der alten Kirche dankten ihr Entstehen katholischen Donatoren, und gehörten weit früheren Jahrhunderten an.

»Graf Brahe Trollenburg« meldete ein vierschrötiger Diener, welcher trotz seiner Livrée einem deutschen Großknecht nicht unähnlich sah – Fräulein Annette erröthete zur Rose! – Der reiche Gutsbesitzer aus Seeland war ihr nicht fremd! Während ihres Winteraufenthaltes in der Residenz, so kurz er gewesen, hatte sich in dem jungen Manne eine dauerndere Empfänglichkeit für des Laaländer Fräuleins Reize erzeugt, als den Copenhager Damen billig schien. Der Graf war reich und eine vortreffliche Partie. Er war nach Aalholm gekommen, um das Herzensterrain seiner Schönen zu sondiren und im Ehestandshafen zu ankern.

An der Art, mit welcher Graf Christian ihn bewillkommnete, erst seiner Gemahlin vorstellte und ihn dann seinen Schwestern zuführte, errieth Thorald sogleich den künftigen Schwager, – eine unaussprechliche Beklommenheit bemächtigte sich seiner, die eben noch so fließenden Erzählungen aus Italien stockten, des Hofmanns Gegenwart drückte ihn zurück in den Schatten. Es war bei dem sehr abgeglätteten Tone des Trollenburg nicht leicht zu durchschauen, welcher der drei Damen die Bewerbung des vor kurzem Majoratsherr Gewordnen gelte – es drückte dem Maler fast das Herz ab; in verzweifelnder Stimmung verließ er die Gesellschaft, man machte keinen Versuch ihn zurück zu halten; trostlos kehrte er zu dem Städtchen zurück.

Unweit des Thores begegnete ihm Johanna, sie hatte den Leuten auf dem Felde ihr Vesperbrot gebracht, und trug eine Menge Geräthschaften und einen großen schweren Wasserkrug heim. Sie näherte sich Thorald, um ihn zu fragen, ob er in die Kirche verlange, der Vater sei auf der Feldarbeit mit dem Knecht; sie hätten's eilig, denn morgen sei an ihnen die Frohnfuhre, der Acker aber erst halb bestellt.

»Frohndienst? Ihr als Bürger? unmöglich!«

»Doch, lieber Herr, wir haben von Alters her Land in Pacht vom Herrn Grafen; obschon wir eines Theils losgekaufte Bauern sind, stehen wir ihm noch in Frohn und Zehnten. Der Herr aber ist glimpflich, allein der Vogt! Erbarme sich Gott! Ehmals, da wir Leibeigne waren, mag es noch schlimmer hergegangen sein; Großvater hat uns oft geklagt, wie die Verwalter zu seiner Zeit den Bauern geschunden! Wie er in der Kornschatzung nicht nur gehäuftes Maß, sondern noch eine Zugabe für's Schwinden oder Senken habe liefern müssen – wie nicht nur bloß die armen Gäule ihm zur Ackerfrohne eingespannt wurden, o nein, wie sie zum eignen Dienste jedes Knechtes, jeder Magd des Herrnhofes bereit sein mußten; konnte doch damals nicht einmal der Hundejunge zu Fuße durch das Moor, stand gleich der Bauer bis zum Knöchel d'rin, und watete selbst schwerbelastet neben seinem Vieh, um das Getreide zur Mühle zu fahren, den Sand vom Strande zu holen für den Vogt – o lieber Herr! es war eine harte, schwere Zeit! Selbst unsre liebe Gräfin weiß ein Lied von ihr zu singen; helf' ihr Gott! und sie ist doch uns Allen eine so gnädige Herrschaft!«

So unbequem Thorald die Anrede der Dirne empfunden, so ganz verloren ihr frischer Reiz dem Jüngling gegenüber blieb, so blitzstrahlartig traf ihn dieses Wort. »Was meinst Du, Mädchen?« fragte er harsch ihren Arm ergreifend, »was soll das heißen?«

»O nichts für ungut, lieber Herr, verzeiht! Ihr wißt ja selber wohl, daß unsre Gräfin die Tochter des Peter Owens ist, der den großen Hof zu Engbolle in Pacht hat; es ist freilich nicht gut davon reden, die gnädige Herrschaft hört's nicht gern; aber Ihr, was geht es Euch an! da droben zu Aalholm, ja, das ist etwas anders, ein Jeder sagt, es sei ein Nagel zum Sarg des Hochseeligen gewesen und geblieben!« Sie hob den Krug, den sie neben sich auf einen Stein gestellt, mühsam auf, um weiter zu gehen, Thorald stand ihr freundlich bei – »was hast Du denn da?« fragte er zerstreut, all seine Gedanken waren noch bei ihrer Erzählung. –

»Wasser vom Bärenborn für Fräulein Helene.«

»Seit wann thust denn Du Schloßdienste?«

»Ei im Schloß bin ich wohl selten genug! Aber das Fräulein wäscht sich nur mit dem Bärenborn, und wir Töchter der Frohn- und Festebauern müssen ihr Reihe herum das Wasser holen. Es ist freilich ein wenig weit,« setzte sie hinzu, indem sie mit dem Schürzenzipfel die Stirne trocknete, »es sind wohl anderthalb Stunden Wegs von uns aus dorthin, darum hat mir's warm gemacht!« –

»Aber wer hat Euch denn befohlen das Wasser zu holen?«

»Wer anders als der Vogt? die Herrschaft weiß wohl kaum davon! Er ist es noch von Alters her gewohnt, die Bauern zu Paaren zu treiben! Die Alten sind alle so; macht es doch unserer Gräfin Vater nicht besser! Der nimmt das Joch aus Gewohnheit selbst über den Nacken! Nun, kommt's nicht arg, fügt man sich schon.«

Lustig schritt sie mit ihrem Kruge weiter.

Die Gräfin eines Pachters – Peter Owens Kind? Das also ist die unsichtbare dunkle Last, an welcher das arme Weib so schwer trägt? ihr Großvater Leibeigener, der Vater Frohnpflichtiger, wenn auch wohl längst abgekaufter Bauer – und sie die Gutsherrschaft – die Gräfin! Also da sind wir noch? seufzte der junge Mann. O wahr, trotz den Bestrebungen der Edelsten unseres Volks, trotz Moltke, Reventlov und Colbiornsen noch nicht weiter? Wie unsäglich langsam reift die Saat des Guten – bedarf sie denn wirklich des blutgetränkten Bodens? –

In Italien und Frankreich, die er durchreis't, standen damals Bildung und Volksgesinnung auf einem so andern Höhepunkte. Napoleon hatte eben Italien unterjocht, indem er es republikanisirte; es war ein Lichtblick seines gewaltigen Lebens, – die vorangegangenen Uebertreibungen der Schreckenszeit hoben die Gegenwart glänzender hervor; Jeder wollte dort wenigstens einen Theil der ihr entströmenden Freiheit für seine oder seiner Kinder Existenz, während im Norden die Meisten vor dem Gedanken an die ihr gefallenen Opfer zurückbebten, und deren Vollgewinn in seiner damaligen Form kaum angenommen haben würden, hätte er sich ihnen geboten.

Anders freilich dachte und fühlte die Jugend, ihr war der Blutsaum des Gewandes der Freiheit Morgenröthe geblieben. Der gestörte Zustand der aus ihren Angeln gerissenen Maschine, die wir Bürgerlichkeit nennen, erschien ihr minder grell und qualvoll, als den Alten, welche der verarmten Familienväter, der kinderlos gewordnen Mütter, der Gattinnen, die ihr Theuerstes auf der Guillotine verloren, gedachten. – Frankreichs glänzende Redner hatten auch in Dänemark den heißen Durst nach einer nie empfundenen Gleichheit der Stände erweckt, versprach er doch dem edlern Individuum den unermeßlichen Reichthum einer vollständigen Entfaltung, den der innerlich Hochbegabte am schmerzlichsten entbehrt, und heißer ersehnt, als der Bettler das materielle Gut des Vornehmen.

Dem rohen Rausch vernichtender, zerstörender Bestialität des französischen Pöbels lag eigentlich das nämliche Gefühl zu Grunde, das hier und da den Schwärmer verleitete: eine Ueberschätzung seiner selbst. Umsonst haben tausendjährige Erfahrungen uns die Lehre wiederholt, daß dem wirklich bedeutenden Menschen, dem Genie, der vollständigen Geisteskraft weder äußere Verhältnisse, noch irgend eine andre Zeitgewalt hemmende Fesseln anzulegen vermögen; für die Meisten sind der obscure Mönch Luther, der Schiffsjunge Peter von Rußland, und der uns viel näher stehende Napoleon Bonaparte keine Beispiele.

Ist nun dem Menschenherzen so natürlich, im angeborenen Streben nach Glück den größten Maßstab für die eigenen Forderungen zu wählen, ohne sie mit den eigenen Leistungen irgend in ein Gleichgewicht zu bringen, um wie viel edler erscheinen jene seltenen Naturen, die ohne persönliches Bedürfen, unter günstigen Verhältnissen, nur für die Menge fordern und, ihre Nation vertretend, sich selbst aufopfern für ein allgemeines Wohl! Fast alle wahren Wohlthäter der Menschheit haben jedoch nicht bloß gewaltig, sondern eben so mild als besonnen gehandelt. Sie sind Sterne gewesen, welche nicht nur das Dunkel des Augenblicks durchleuchteten, sondern in jeder Nacht von neuem auftauchten und hinter den sie bergenden Wolken fortschimmerten, bis ihr Strahl sie zu durchbrechen vermochte.

Die Namen der hochherzigen Männer, welche unter Friedrich V. und Christian VII. es unternahmen, Dänemarks Bauern allmälig Freiheit und Wohlstand zu bereiten, werden nie in seiner Geschichte verklingen, so langsam auch ihr oft unterbrochenes Werk vorwärts schritt, ihre Beharrlichkeit brachte sie an das Ziel. –

Wie aber die Natur den festen Eichenwald gern mit Vögeln und Schmetterlingen durchjauchzt und belebt, so stehen immer zwischen solchen ernsten, tiefen Charakteren, aus deren Reichthum Tausende ihren kurzen Lebensfaden spinnen, leichte harmlose Wesen, welche gern überall das Schönste und Beste fördern möchten, es auch manchmal zu erfassen, in der Regel aber nie es festzuhalten vermögen.

Dieser höchst nothwendigen Mehrzahl der Menschen, welche das eigentliche Element gesellschaftlicher Verbindungen ausmachen, werden allerdings nur die ihnen durch Geburt, Reichthum oder Zufall gegebenen Verhältnisse zum äußern Halt, daher die vielen Klagen über verfehlte Existenz und gehemmtes Talent. Ich glaube aber, daß wir kein einziges Beispiel haben, daß die ganze Gesellschaftswelt, in Bausch und Bogen genommen, je im Stande gewesen ist, den Außerordentlichen zu hemmen, das gesunde Genie zu zerstören! –

Thorald fand den Gang der Umstände zu langsam; ihn drängte eine innere Unruhe zum Handeln; in Napoleon sah er den Retter der Welt. »Der Schneckenlauf der Bildung meines Vaterlandes,« sagte er, »beut mir nur Kränkung und Lähmung meines Talents. Die Schwere veralteter Vorurtheile legt sich auf jede Hoffnung! Auch in Copenhagen schreitet die Kunst nur unter dem Schutz des Fabrikwesens vorwärts. In Frankreich, in Italien entfaltet eine kräftigere Hand das Panier der Freiheit! Die ihr gefallenen Opfer schlummern unter der grünen Rasenhülle, lebt noch irgend etwas von ihnen weiter in jener unendlichen Himmelsbläue voll unbekannter Welten, so ist dort das hienieden Unvermeidliche längst verziehen. Uns bleibt die Sorge, es nicht unnütz erscheinen zu lassen, den mit Feuer und Schwert bearbeiteten Acker zu besäen! Der Verlust, den Tausende beweinen, muß zum Glücke Tausender erblühen. Auch ich kann nur dort mir ein Loos erschaffen, das Helenen anzubieten würdig.«

Wenn sie aber mit Dir entflöhe! so dachte er in andern Momenten; allein wie sie erhalten, durch welche Mittel, – ob sie reich ist? – Ihm war die Frage nie eingefallen, er war zu sorglos dazu. Auch galten in Dänemark damals noch die Majorate und fast alle Töchter hochadliger Familien standen in dieser Hinsicht einander gleich. So schob er gern den Gedanken zurück, von Helenens Gelde zu leben, alles Andere wollte er ihr danken. Wenn er aber an Heirath dachte, – und seit drei Wochen that er es stündlich, – so schwebte ihm allemal ein Verhältniß vor, als Hofmaler, als bevorzugter Künstler in einer königlichen Residenz. – Dann durfte sein Ruhm neben der Geliebten Adel sich stellen; auf die aller natürlichste Weise vergaß Thorald seine republikanischen Gesinnungen und daß er eben in der Nysteder Kirche sein erstes historisches Gemälde aufstellte!

Seine Arbeit vergaß er indessen doch nicht; kaum war der erste Sonnenstrahl erwacht, so saß er auf seinem Gerüste vor dem Altarblatte; was ihm überhaupt zu thun möglich, war bald gethan. Er saß noch oben, als die angelehnte Thür leise in ihren Angeln sich drehte, und Helene von ihrer Kammerjungfer begleitet in die Kirche trat; sie hatte Commissionen im Städtchen gemacht, die offene Thür bemerkt, und so war ihr plötzlich eingefallen, einen Augenblick einzutreten. – Der überglückliche Künstler sprang zu ihr hinab, das Gerüst ward mit zitternden Händen zur Seite geschoben, – großer Gott! auf dem Altar stand ihr Bild! Daß er sie als eine der Frauen dargestellt, welche die zusammensinkende Mutter unseres Herrn unterstützen, hatte an sich nichts den ernsten protestantischen Sinn Verletzendes – und wie ein Strom stürzte der Jubel ihr in's Herz!

Thorald dagegen stand mit gesenktem Blicke bebend ihr zur Seite, eine tödtliche Blässe hatte seine Züge überdeckt – er wagte nicht sie anzusehen. Endlich war der Zustand nicht mehr zu ertragen: er schlug die Augen auf – Gott sei Dank, daß es eine Zeit im Menschenleben giebt, in welcher man keiner Worte bedarf, sich alles Nöthige zu sagen! »Aber,« fuhr sie fort, nachdem er in ihrem Antlitz gelesen, was er zur Beseligung des Augenblickes bedurfte, »was wird mein Bruder, was werden Bürger und Bauern sagen? ich bin es freilich nicht, denn die Maria Jacoba ist ja viel tausendmal schöner als ich, dennoch –«

»Helene! kann ich für die unbewußte Schuld? Des alten Küsters Tochter Johanna war die erste, welche mir es aussprach; ich wollte sogar diese mir aus dem Tiefsten meines Innern entquollene Aehnlichkeit zerstören, aber mir bebte die Hand, wie bei einer verruchten That, ich vermochte es nicht.« Heißer erröthete das Mädchen, heftiger schlugen des Künstlers Pulse: vor dem Altar sprachen sich Beider Herzen aus. Dem voltairisirenden Jüngling, der eben noch mit den Jacobinern zur »Göttin der Vernunft« geschworen hätte, trat die Liebe sanft, voll religiöser Empfindungen, wie ein ihn heiligender Glaube in die unruhige Seele, und schuf sie um zum Tempel des innigsten, frömmsten Gefühls.

Noch schwelgten die Liebenden im Anschauen ihres gegenseitigen Glücks, ohne im mindesten der Erde und ihrer conventionellen Bedingungen zu gedenken, als wiederum die Kirchenthür in ihren schweren Angeln dröhnte, diesmal aber heftig aufgerissen ward. »Der Herr Graf,« sagte das im Hintergrund vergessene Kammermädchen, »der Herr Graf.« Zum Glück war sie eine Copenhagerin!

Graf Christian prallte zurück, als er das erglühte, bebende Paar in traulichem Beisammensein vor dem Altar erblickte; aber sein Gesicht nahm den Ausdruck des wüthensten Zornes an, als er die Aehnlichkeit mit seiner Schwester gewahrte, die momentan noch auffallender erschien, weil Helene zufällig mit aufwärts gewandtem Haupte zu Thorald in die Höhe sah, wie auf dem Bilde die Maria Jacoba zur Mutter Gottes.

»Herr! was soll das?« polterte der kaum seiner selbst Mächtige und dennoch innerlich Verlegene. Mit jedem Wort steigerte er sich mehr und mehr, um seiner Stimme Herr zu werden, »Sie haben sich erlaubt, die Ihnen von mir und meiner Familie aufgetragene Arbeit zu mißbrauchen, die Züge eines Fräulein von Gejern, wie die eines Modells zu einer Figur Ihres Gemäldes zu benutzen! Sind Sie von Sinnen, auf diese Weise einen im ganzen Reich geachteten Namen zu prostituiren? Das Gemälde muß fort von hier, oder die Züge dieser Martha – oder wie sie heißt, müssen verändert werden.«

»Herr Graf, diese Aehnlichkeit ist weder einem der mir aufgetragenen Familienportraits gestohlen, – mein Altarblatt ist weit früher gemalt als jene, – noch habe ich die Comtesse wie ein Modell zu behandeln gewagt. Wenngleich eine zufällige Aehnlichkeit die Züge meiner Jacoba verschönt, so liegt darin nichts Entwürdigendes. Meine Kunst ist heiligend, nicht befleckend! Rafael, Domenichino, del Sarto haben alle Großen ihrer Zeit, den Papst, die Fürsten, die edlen Frauen aus königlichen Geschlechtern auf ihren Gemälden verewigt. Wenn aus ihren Worten eine gewisse Unkenntniß dieser Umstände hervortritt, so muß ich dennoch anerkennen, daß Sie in andern gelehrten Fächern so Bedeutendes leisten, daß Ihnen für die Kunstgeschichte keine Zeit blieb – gewiß würden Sie in Frankreich oder Italien –«

»Unsinn! Unsinn! Wir sind Protestanten, Herr Eynerssen, verstehen Sie das? ganze Protestanten, keine Halbkatholiken, keine Deïsten, sondern Lutheraner! – schon das ändert unsere Verhältnisse! Wir sind Dänen! das ändert unsere Ansichten des Schicklichen; was in diesem Augenblicke in Frankreich und Italien, als die mit dem Blute des Adels gedüngte Frucht höherer Bildung gilt, vergeben Sie – kann ich als dänischer Graf weder ehren noch anerkennen! Da ich mir aber erlaube, über meine vaterländischen Zustände und die bei uns längst festgestellten gesellschaftlichen Formen selbständig zu urtheilen, so bitte ich Dich,« – fuhr er gegen das Fräulein gewandt fort – »um Deinen Arm, um Dich zur Kutsche zu geleiten. Läßt Du mir da die neuen Mecklenburger Rappen zwei Stunden an der Sonnengluth stehen, daß sie die Hufe sich zerschlagen! Ich werde mir das Weitere in Bezug auf Sie, Herr Eynerssen, und auf die Maria Jacoba vorbehalten. Für jetzt ersuche ich Sie nur auf das Bestimmteste und Höflichste, es zu machen, wie Ihre Kunstvorfahren mehr als einmal gethan: durch einige wohlberechnete Pinselstriche, die, wie sie mich versichern, Comtesse Gejer ganz wider Ihren Willen zur Jacoba stempelnde Aehnlichkeit zu vernichten, und werde ich ferner stehenden Fußes mir erlauben, den Herrn Magistrat zu benachrichtigen, daß einige nöthige Retouchen die Enthüllung Ihres Altarblattes am Johannisfeste unmöglich machen und selbige um ein paar Tage hinausschieben; es sei denn, daß Sie mit diesen Aenderungen sogleich –«

»Ich könnte mir vor Allem erlauben Ihnen zu bemerken, Herr Graf, daß ich vollkommen mündig und erfahren genug bin, dem Magistrat selbst vorzutragen, was ich für nöthig erachte« – –

In Todesangst blickte Helene, hinter dem Grafen halb verborgen, zum Geliebten hinüber, noch ein Wort und der Bruch war unvermeidlich, unheilbar! –

»Ich erlaube mir aber nur als Künstler zu antworten, daß es zu dieser Aenderung zu spät ist,« fuhr Thorald fort, »mein Bild ist seit mehreren Tagen vollendet, ich habe sogar eben einen ersten leichten Firniß darüber gezogen; Ew. Gnaden Kunstsinn und Geschmack werden Ihnen die Ueberzeugung davon geben, wenn Sie es einer nähern Betrachtung würdigen.«

Aber Geschmack und Kunstsinn des Grafen reichten keineswegs an die strenge Ansicht desselben in Betreff der Frauen-Ehre, deren Zartheit in seinen Augen jeder Hauch zu trüben vermochte; sie reichten eben so wenig an das beleidigte Gefühl seines Adelstolzes. Auf's schmerzlichste erregt, war jetzt Graf Christian jeder Verlegenheit, aber auch jeder Schonung bloß, – Wort um Wort flogen in immer verletzenderer Schnelle hin und wider, Christian vergaß sich endlich so weit, den Maler daran zu erinnern, daß er, außer der Verwendung des Bischofs zu Roeskilde, seiner eigenen Vermittlung die Bestellung des Altarblattes zu danken habe.

An dieser unseligen Mahnung brachen des Jünglings Fassung und alle Vorsätze seiner Liebe. Seine Künstlereitelkeit war zu peinlich verletzt. Mit mehr Hochmuth als Stolz erklärte er die ganze Arbeit in Nysted für eine bloße Probe, die er mit seinem eigenen Talent gemacht, welche aber von dem kleinen Städtchen einer unbedeutenden dänischen Insel aus, keineswegs ihm als Kunstwerk großen Ruf zu erwerben geeignet sei. Von Copenhagen her könne es allein ihm gelingen, sich in der Welt Bahn zu brechen; nur vom Königshofe stehe zu erwarten, daß etwas wirklich Förderndes für seine Kunst geschähe. Unglücklicher Weise setzte er dabei den ganzen langsamen Bildungsgang Dänemarks in ein höchst ungünstiges Licht, und vergaß der ungeheuren Opfer, welche gerade jene Zeit dem höhern Adel auferlegte; denn der junge Maler kannte die blutige Geschichte Frankreichs in ihrer grellen Buntheit besser, als die des eigenen Vaterlandes.

Graf Christian dagegen war mit dem tiefaufgewühlten Boden vertraut, dem er Schätze der Erkenntniß entrungen, in welchem er zahllose Leichen seiner Jugendhoffnungen und manch' schmerzliches Verleugnen seines Familienstolzes geborgen. Die Wahrheiten, die er auf demselben angebaut, hatten längst Frucht getragen. Unpraktisch im kleinen Thun des täglichen Lebens, ungeschickt wie ein Kind in Handhabung des Zufalls und seiner flüchtigen Gunst, wenn es seine eigne Persönlichkeit galt, war er in Bezug auf Staatsverhältnisse fest und klar. Als Theoretiker schloß er sich den bedeutendsten Reformatoren der Bauernsache an, als Individuum hatte er in Ausübung des einmal Angenommenen nie das Billige verweigert. Ordnung und Freiheit waren ihm gleichbedeutend, er selbst hatte auf Laaland die ersten Schritte zu Lösung des Leibzwangs und des Gemeinbesitzes gethan, ja, zuerst Erbpacht auf seiner Herrschaft gewährt, aber daß er es gethan, verlangte er anerkannt zu sehen. Nie war ihm eingefallen, seinem Range dabei etwas vergeben zu können, oder die gewährten Menschenrechte als Aufhebung der seines Adels anzusehen. So empfand er auch Thoralds Nichtbeachten des für ihn Geschehenen als schwarzen Undank, ja als Gemeinheit und Frechheit.

Sehr trocken fragte er den Maler, ob er von seiner Stelle aus, ohne Unterstützung des Adels, am Hofe Zutritt zu erlangen erwarte? Ob ihm das verwandtschaftliche Verhältniß zwischen seiner und des Bischofs Familie unbekannt sei, daß er auf die ihm in Bezug auf Comtesse Gejer eben mitgetheilten Bemerkungen so gar nicht achte, als müßten dieselben nicht in jenem Hause ihr Echo finden?

Es legte sich eine Art Geringschätzung in Ton und Haltung des Grafen, die für Thorald unerträglich war. Als Christian seine durchaus verletzende Rede mit dem übermüthigen Rathe schloß, lieber bei dem macht- und geldlosen Adel der französischen Emigranten, oder bei den Jacobinern die rasche Erfüllung seiner hochfahrenden Pläne zu suchen, brach Helene in Thränen aus; alle Rücksicht gegen den Bruder vergessend stürzte sie auf den Künstler zu, und beschwor ihn auf's zärtlichste, sogleich die Kirche zu verlassen, diese Unwürdigkeiten nicht länger anzuhören, das Unstatthafte in Christians Betragen um ihretwillen zu verzeihen.

Erschreckt starrte der Graf die Schwester an, das Unpassende des ganzen Auftritts fiel mit Zentnerschwere auf ihn und lähmte ihm die Gedanken; in peinlicher Verlegenheit riß er den Arm des Mädchens an sich und führte sie fast gewaltsam zum Wagen. Er war zu tief verletzt, um sich weiter auszusprechen, – als das Zöfchen aber Miene machte, zu Fuß zu gehen, winkte er ihr peremptorisch zu, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen.

Zu Haus angelangt, geleitete er Helenen bis in ihr Zimmer, an der Thür desselben ergriff er heftig des Kammermädchens Arm. »Ein anständiger Dienstbote mischt sich nicht in seiner Herrschaft Angelegenheiten, und wo ihm der Zufall etwas offenbart, daß ihn nichts angeht, hält er das Maul! Verstanden Jungfer?«

Marie küßte schweigend dem Grafen die Hand, verbeugte sich demuthsvoll und folgte ihrem Fräulein, und so groß war des Gebietenden Gewalt, daß sie auch draußen bloß durch Seufzer dem sie drückenden Geheimniß Luft gab. Graf Christian aber zog sich stumm in seine eigenen Gemächer zurück und erschien erst Mittags, um dem Brahe Trollenburg bei Tische die Honneurs zu machen.

Aufschreiend in wildem Schmerz, warf sich der allein in der Kirche zurückgebliebene Thorald auf die Stufen des Altars nieder. Was er selbst zuerst als nothwendig und schicklich empfunden, erschien ihm nun maßlose Tyrannei. War ihm früher Helene theuer gewesen, so hatte jetzt ihr Selbstvergessen um seines, des armen Künstlers willen, dem hochmüthigen Bruder gegenüber, seine Neigung zur heftigsten Leidenschaft erhöht. – Mit anbetender Inbrunst blickte er auf das Bild, das ihr Antlitz ihm vergegenwärtigte – etwas an demselben zu ändern war zum Sacrilegium geworden, aber nun wollte er es gar nicht mehr der Kirche lassen, er wollte es mit sich fortnehmen, nach Deutschland oder Frankreich. – In wüsten, undeutlichen Träumen verging ihm der Tag. –

Es war gegen Abend; die Sonnenstrahlen durchbohrten mit langen gelben Streiflichtern die schmalen Bogenfenster, und streiften die mit grauem Sandstein umränderten Gewölbbogen; an den hohen Pfeilerbündeln, an den Seitenchören hin, am Metall des Altarkreuzes, an den messingenen Leuchtern spielten hell aufblitzende Lichtpunkte – draußen wurde es allmälig still; die Leute kehrten von der Landarbeit heim. Langsam verstummend sank die gelbrothe Sonnenscheibe zurück in ihr von Nebeln umflortes Meeresbett.

Noch immer lag Thorald regungslos, mit sich selber uneins an derselben Stelle. Eine kleine weiche Hand faßte, ihn aufrüttelnd, seine Schulter. »Lieber Herr! Ihr seid gewiß erkrankt! Hättet ihr nur laut gerufen, ich habe vor der Hausthüre mein Garn geweift, ich hätte Euch sicher vernommen. Es hat sich keiner hieher in die dunkle Kirche getraut. Als aber der Vater heimkam zum Abendbrot und die offne Thüre gewahrte, Herr Je! hat er mich gescholten! Ich glaubte Euch nun fort und des Zuschließens vergessen. – Kommt, steht auf, ich stütze Euch, kommt mit nach Hause! dann koche ich Euch Lindenblüthenthee, das wärmt; die alte Halle ist so eisig kalt! Könnt Ihr Euch aufrichten? O mein Gott! bald hätt' ich's vergessen: auch einen Brief habe ich an Euch, von Schloß Aalholm; der Gänsebub' hat ihn gebracht – aber was ist Euch? Wo wollt Ihr denn hin? Herr Eynerssen! Herr Thorald! Wartet doch!« – Johanna hatte gut rufen und schelten: Thorald, der Helenens Handschrift erkannt, stürzte plötzlich wie von Feuersgluth durchströmt fort, ohne auf sie zu hören, um in abgeschlossener Stille, fern von jedem störenden Menschenblick, das verhängnißvolle Blatt zu lesen.

Erst nachdem die Gesellschaft auseinandergegangen und Jeder auf sein Zimmer sich zurückgezogen, trat Graf Christian bei Helenen ein. – Finster, mit umwölkter Stirn und zusammengezogenen Brauen, näherte er sich dem Mädchen und setzte sich in der Mauervertiefung des Fensters ihr gegenüber, in einen altvätrisch geschnitzten Sessel, den er vorzüglich gern bei allen Familienmittheilungen einzunehmen pflegte.

Helene war innerlich entschlossen, all sein Thun lächerlich zu finden, sie hatte sich mit Uebermuth und Unverletzbarkeit gerüstet, und bot ihm ruhig die heitre Stirn.

Ehe aber noch der etwas Verlegene den Anfang seiner beabsichtigten Rede gefunden, begann sie selbst: »Erlaube mir, lieber Christian, uns beiden ein Wort Verschwendung zu sparen. Deine Absicht ist, mir mein Betragen in der Kirche, Herrn Eynerssen gegenüber vorzuhalten und mich zu fragen: ob ich um die Dich so scharf verletzende Aehnlichkeit meiner Züge mit denen einer seiner heiligen Frauen gewußt – oder gar sie gebilligt. Beides kann ich verneinen; ich hatte keine Ahnung davon, ehe ich die Kirche betrat. Das Uebrige aber läßt sich mit einem einzigen Worte abthun: ich liebe Thorald Eynerssen!«

Christian ward bleich; auch er hatte in seiner Jugend empfunden, wie jetzt Helene! er fühlte, daß sie festen Willens auf den Ereignissen seines früheren Lebens fuße; ein schneidendes Weh trat ihm an's Herz, und riß gespenstisch all die Leichen längst abgestorbener Schmerzen an's Licht. Seine frühe Heirath mit der Tochter eines Feste-Bauers, dem sein Vater, Graf Thugge, die Freiheit geschenkt, hatte ihn elend gemacht; sie hatte ihn fünfzehn Jahre lang dem väterlichen Hause entfremdet! Der alte Graf hatte den Feste-Bauer zum Pachter eines seiner Höfe angenommen – so hatte die unglückselige Neigung der jungen Leute sich entsponnen. Fünfzehn lange Jahre hatte Christian in Jütland in tiefster Abgeschlossenheit und drückender Armuth verlebt, unerbittlich vom Vater verstoßen – verflucht! – Und dieser Vaterfluch war seiner liebebedürfenden Seele zu einer sein ganzes Dasein überschattenden Wolke geworden, und blieb es, selbst als er endlich des Vaters Vergebung gewann! –

In der öden Einsamkeit der rauhen Haide, in Mariager, einem elenden, kleinen Städtchen, das dem tief einschneidenden Fiörd durch einen kleinen Seehafen seinen Unterhalt abgewinnt, ohne alle gewohnten Bequemlichkeiten, ohne irgend eine Lebensgier, sah der Arme seine ganze Jugend verstreichen![1] Mit täglichen Geldverlegenheiten um's tägliche Brot kämpfend, saß er freund- und freudelos der Gattin allein gegenüber: unter Standesgenossen ein Bauer, – unter Bauern ein Bettelgraf! Von Menschen umgeben, deren ganze Industrie sich auf den Hausfleiß grober Webereien und Fertigung schwerer Holzschuhe erstreckt, blieb er allem Umgang fern. Stolz und verschüchtert zugleich, fand seine ohnedies scheue Natur überall Widersprüche, die ihn schmerzten. Seine Leidenschaft hatte der Besitz abgekühlt, was an ihr durch äußern Widerstand zu phantastisch-schöner Uebertreibung aufgeschossen, wie eine Wunderblüthe – war fruchtlos abgewelkt: seine Ehe war kinderlos geblieben. Er liebte seine sanfte treue Gattin, allein in der immergleichen unpoetischen Stille ihres Zusammenlebens, traten oft Pausen des Verstehens, schmerzliche Lücken ein; der Tag ward lang, riesig gedehnt überwuchs ihn der frühbeginnende nordische Abend, das Bedürfniß die Zeit auszufüllen machte sich geltend.

Der junge Mann fing an zu lesen, aus Holstein, Schleswig und Copenhagen Bücher sich zu verschreiben, eifrig zu studiren, über mühsam errungener Kenntniß zu brüten.

Nun vergaß er die Kränkungen der Welt, verschmerzte die Trennung von den Seinen – allein er vergaß auch seine Frau; er versank in tiefsinniges Forschen, vergrub sich in Geschichte und Philosophie. – Eva erschrak als sie plötzlich entdeckte, daß sie eifersüchtig sei. Eifersüchtig! und nicht mehr wie ehemals auf eine schöne Dirne, deren Augen Christian gelobt, deren schlanken Leib er im »Fangtanz« fester umschlossen – sondern auf seine von ihr abgewandte Seele, auf seine Bücher und Plancharten, um seiner nun ganz von der ihren abgelös'ten Existenz willen. O wie lange Tage weinte die arme Eva – er merkte es nicht einmal! wie weinte sie, daß sie nicht klug, nicht unterrichtet genug sei für ihren Christian!

Endlich begann sie Unterricht zu suchen, sich eifrig mit Stundennehmen abzuquälen, um ihm nachzustreben, ihn wieder verstehen zu lernen. Es vergingen viele Monate ehe sie nothdürftig Schreiben und Lesen sich angeeignet, – er aber hatte schon wieder andere Interessen gewonnen, trieb jetzt Physik und Astronomie, machte Experimente – und Schulden, um sich vermittelst der Schiffsgelegenheit des kleinen Hafens ausländische Schriften und astronomische Instrumente kommen zu lassen. Wieder war er ihr in endloser Weite voran! Sie litt sehr! Endlich bemerkte er es.

– Das Alles und weit mehr noch glitt mit grausenhafter Geschwindigkeit Christians innerem Auge vorüber; als er das leibliche aufschlug, saß seine Schwester, den einen Fuß hochgestellt und auf das Knie den Arm gestützt, in dessen Hand das rothgeweinte Antlitz ruhte, mit dem eigenwillig kecken Ausdruck in den Zügen, den er an sich selber kannte! An dem nämlichen Fenster hatte er tausend Mal so gesessen und in der nämlichen Stellung starr auf das mondlichte, hochaufwogende Meer geschaut, – wie eben jetzt Helene! –

Denn die kaum minutenlange Pause zwischen ihrer kecken Anrede und des Bruders zögernder Antwort, hatte auch ihr das Herz wach gerüttelt; die angenommene Heiterkeit war ausgelöscht, der nackte, bittere Trotz an deren Stelle getreten. Fest entschlossen für ihr Glück zu kämpfen, fühlte sie darum nicht minder den Druck lastender Erinnerung. Auch des ihr drohenden harten Widerstandes war sie mit tiefstem Grauen sich bewußt – sah sie doch täglich dem stillen Vergehen ihrer Schwägerin, der immer zunehmenden Kälte zwischen den Eheleuten zu, sie mußte es sich eingestehen, daß aus Christians eigenen Erfahrungen der furchtbarste Feind ihr erwachse.

Auch war der schon bei ihrer Geburt halb Verwais'ten ein entsetzliches Bild von des Vaters Zorn gegen Christian geblieben, das mit dem seltsamen Lebenswandel des seit ihrer Mutter Tode ganz Vereinsamten in Verbindung stand, – das Urtheil der ganzen Familie betrachtete damals den verbannten Sohn wie etwa einen Pestkranken; niemand von den Geschwistern, den Vettern und Basen hatte ihn wiedergesehen, niemand nannte ohne besondere Nöthigung Christians Namen! die andern Brüder, jetzt beide an reiche, wenngleich bürgerliche Frauen vermählt, waren damals noch zu jung zum heirathen. Der bloße Gedanke an eine Verbindung mit einer kaum dem Leibzwang entrissenen Bauerndirne, war ihnen empörend und lächerlich zugleich; mit ausgelassenem Hohn erzählten sie einander von einem Vetter des Mädchens, den der Vogt mit Peitschenhieben zum zwölfjährigen Soldatendienste gezwungen, eines leichten Vergehens halber ihn vom Hof gejagt und unter die Miliz gesteckt – dem Kinde war die Geschichte immer peinlich gewesen. Die bösen Buben hatten es dann erst recht geneckt, »wärst Du es, Püppchen, und nicht unser Aeltester, wir drehten Dir lieber den Hals um, eh' wir die Schande noch einmal erlebten!« »Ja«, sagte lachend der Andere, »das wäre auch noch schlimmer, unser Blut adelt das Weib an unserer Seite und läßt unsern Söhnen den Namen des Vaters, aber so ein Bürgerlümmel machte sie zu seines Gleichen.« Helenchen hatte nicht verstanden was sie meinten, aber die Angst hatte ihr Thränen erpreßt.

So saß auch sie sinnend jetzt dem Bruder gegenüber, die dunkle Gedankenspindel drehend und abwindend, ohn' Ende – –

»Helene!« sagte sehr trübe, aber auf edle Weise der Graf, »Du hast Elend genug, zu aufgehäuften Massen an einander gedrängt, unter uns erlebt; hast Dich groß gesogen daran und stark. Seit ich denken kann, geschah das Ungehörige in unserm Hause, zerrieben sich die besten Kräfte unseres Stamms umsonst an ihren eigenen Auswüchsen. Ich frage Dich also nicht, willst Du den alten, kaum entschlummerten Unfrieden in seiner dämonischen, Dir wohlbekannten Gestalt von neuem erwecken – ich warne Dich auch nicht, das Alles wäre umsonst! Denn Du bist eine Gejer! Aber sieh in mir Deinen Widersacher. Was ich gegen diesen Zuwachs unseres Familienelends zu thun vermag, das erwarte von mir. Kannst Du Dich selbst überwinden, so traue mir Liebe, Ausdauer und jedes Opfer für Dein Wohl zu. – Kannst Du es nicht, mußt Du Deinem wilden Sinn genügen, nun – vergieb! so beachte wenigstens Deine Frauenehre, wenn die Ehre Deines Namens Dir nichts gilt; wirf Dich nicht weg, auch nicht an den Besten! Laufe diesem Abenteurer nicht nach, hänge Dich der sich frisch entwickelnden Kraft des Jünglings nicht an, wie eine ihn hemmende, sein Talent zerdrückende Last – hüte Dich, daß der zu seiner Qual Vergötterte, Dich nicht mit Füßen trete! Oh! man hat Beispiele davon.« – Mit einem tiefen Seufzer, ohne Helenen weiter anzusehen, stand Graf Christian auf und schritt schweigend zur Thür hinaus.

»Er mich nicht lieben? o nein, nein, dann wäre ja gar nichts mehr wahr auf der Welt!« Helene barg aufjammernd vor Schmerz das Gesicht in beide Hände und schluchzte convulsivisch. – Endlich sprang sie auf, ihr ganzes Wesen trug wieder den Stempel der kühnen Entschlossenheit, mit welcher sie vorhin den Bruder empfangen. Sie trat an den Tisch und schrieb, obwohl mit zitterndem Herzen, dennoch mit fester Hand an Thorald Eynerssen.

»Sie haben Unwürdiges für mich ertragen, Thorald, aber gerade dies Ertragen gilt in meinen Augen mehr als eine Heldenthat, denn Sie haben Kraft sich zu vertheidigen, und nur um meinetwillen haben Sie geduldig die Last auf sich genommen, die Sie hinwerfen konnten; allein sie hätte sich zur unübersteiglichen Mauer zwischen uns erhoben, hätten Sie meinen Bruder behandelt, wie er es verdiente! Ich danke Ihnen, Thorald, mit jedem Hauch meines Daseins. – Und doch weil ich nun in der That, nicht mehr im bloßen Wort den Rückstrahl Ihrer Liebe gesehen, muß ich eben um dieser mich beglückenden Liebe willen, ein neues, noch schwereres Opfer von Ihnen verlangen. Vielleicht sollte ich in mädchenhafter Scheu Sie Schritt vor Schritt errathen lassen, was ich so offen Ihnen gestehe, allein wir leben in einer so bewegten Zeit, daß auch eines Mädchens Herz von dem sie durchglühenden Muth erfaßt und fortgerissen wird aus seinem eigenen heimathlichen Rückhalt! Die aufgegangene Freiheitssonne ruft alle Lebenskeime an's Licht – sogar in unsern kalten Norden dringt ihr Strahl. Drückt im Allgemeinen unser Volk noch die Kette in der Welt längst als lächerlich abgeschaffter Vorurtheile, so ist es gewiß um so mehr an jedem einzelnen Freigesinnten, das Band zu brechen, das ihn hemmt, denn Millionen einzelner Ringe bilden ja die Fessel, in welcher Dänemark bis zu diesem Augenblicke schmachtet. –

In diesem Sinne, Thorald, betrachten Sie mein Thun, ich will und werde frei sein, die Banden abstreifen, die mich an diese Scholle binden so gut wie den Leibeigenen, dem wir die Freiheit geben, mir aber wird Ihre Liebe sie gewähren! Aber um dieses Augenblickes willen, welcher unwiderruflich kommen muß, ist jetzt ruhige Besonnenheit nöthig, bringen Sie ihr das Opfer des gegenwärtigen Moments: Niemand darf ahnen, was wir einander sind, ehe wir beide Laaland hinter uns haben, und in Copenhagen (Kjöbenhavn) uns wieder finden! Vernichten Sie die mich beseligende Aehnlichkeit auf Ihrem Gemälde, sie verräth uns. Wie mein Bruder, denken all meine Verwandte, denken alle Männer im Städtchen, ja auf unserer ganzen Insel. Was in Frankreich Ihnen und mir zur höchsten Ehre gereichte, erscheint hier als Beleidigung einer achtbaren Familie, ja als Beleidigung meiner selbst. Vernichten Sie die allzu sehr in's Auge fallende Aehnlichkeit und ist dies geschehen, dann bleiben Sie ruhig hier, vollenden Sie die begonnenen Arbeiten, welche in der Residenz Ihnen leicht die Bahn brechen werden, die Ihr Talent sucht – und überlassen Sie Ihrer Helene das Uebrige. Christian soll nicht in Zweifel bleiben, um wessentwillen Sie das Bild geändert, und zu seinem Schrecken nur zu bald einsehen, wie wenig Sie seiner elenden Hülfe bedürfen!«

Helene.

»Für den Augenblick ist es genug,« sagte sie, das Blatt faltend, »Christians mich erniedrigende Ansicht soll keinen Einfluß ausüben auf mich. Du hast ganz Recht, Bruder, ich bin eine Gejer, und wir haben harte Köpfe, mögen sie grau sein oder blond!«

Allein trotz dieser heldenmäßigen Aeußerung wußte Helene doch nicht, wie das Billet in des Geliebten Hände bringen; ihrer Kammerjungfer traute sie nicht mehr, des Grafen Worte hatten das Mädchen verschüchtert. Den Brief verbergend, eilte sie selbst die große Treppe hinab, um einen Boten sich zu suchen; auf dem Corridor hörte sie Stimmen, die Thüre des gemeinschaftlichen Wohnzimmers der Schwestern, an welchem sie vorüberschritt, war nur angelehnt; drinnen unterhielten sich Beide mit Mademoiselle Nordermule, einer bucklichen, kleinen Gouvernante, welche alle Drei von der Wiege an auferzogen.

Mademoiselle Nordermule erhob in diesem Augenblick die Stimme, so hoch es die Schwäche ihrer kleinen, sehr untersetzten Gestalt irgend gestattete, und fuhr in ernstem Pathos fort: »wenn wir lieben! aber Kinder, wie selten geräth eine Ehe ohne wahre Zuneigung! wie selten werden die dissonirenden Lebensmelodien auch nur leidlich tacktfest zusammen durchgespielt bis zu Ende, ohne zerrissene Herzen und zerrissene Saiten der armen Weiberseele, die zuletzt ganz dumpf und klanglos, gar keinen Lebenston mehr wiederhallt! O, Ihr Lieben, wie viele Frauen verdummen gänzlich in einer sogenannten »guten« häuslichen Ehe, in der sie eigentlich eben – bloß keine Prügel bekommen! Darum kann ich Helenen, deren Charakter nun einmal durchaus in keine solche sich finden würde, nur bemitleiden, daß sie auf diesen Abweg gerieth, keineswegs sie verdammen; sie wird, wie es auch sich füge, Thränen genug zu vergießen haben!« – »Aha, mein Regenvögelchen!« sagte gerührt und heimlich lächelnd Helene; »es prophezeit wie immer schlecht Wetter!« Leise schlich sie hinab in die Küche.

In dem hochgewölbten, weiten Raume, den ein ungeheuer großer, aber niedriger Herd mit spitz in Dachform sich erhebendem Kamin erwärmte, saßen alle Knechte und Mägde des Herrnhofes auf Holz-Schemeln und Stühlen um das Feuer her; eine rothbäckige Dirne stand neben dem an einer Zackenstange hängenden eisernen Kessel und rührte mit langgestieltem Holzlöffel »Manna« in die saure, kochende Milch zum Brei, welcher eine Hauptschüssel der laaländer Kost ausmacht. Von der Küche führten beiden Hauptwänden entlang eine Menge Thüren zu den Schlafstätten des Dienstvolks; in den Zwischenräumen, welche sie freiließen, dem Herd gegenüber, standen an der Mauer hochrückige Bänke, vor diesen der mit einem weißen Tuch überdeckte lange Tisch, der broddelnden Abendmahlzeit harrend; Brot, Käse, Butter und gedörrte Fische waren schon auf demselben bereit gestellt. Blankes Kupfer- und Zinngeräth schmückte den vorspringenden Rand des Schornsteines, auch in den schön gemalten Eckschränken glänzten durch die Glasscheiben eine Menge blinkender Dinge, Glasgeschirr und Porzellan flimmerten im letzten Abendroth der immer noch am weiten Horizont zögernden Sonne. Man gewahrte sie durch eine nach dem innern Hof weit offenstehende Thüre. Die kleinen Bogenfenster der Küche hätten durch ihre bleigefaßten runden Scheiben, ohne diese Hülfe die Dämmerung längst zur Nacht werden lassen; vorsorglich waren auch die Messinglampen am Herd bereits angezündet.

Die Männer, welche er um sich versammelte, strickten Netze oder schnitzten Quirl und Löffel, andre machten Holzschuh und die langen, nur im Norden bekannten Schlittschuhschiffchen, auf welchen der Bote über das Eis hinfliegt; sogar die Livréebedienten halfen; die Weiber spannen und strickten wollene Strümpfe, ein paar webten auf kleinen tragbaren Webstühlen grobes Linnenzeug. In der geöffneten Pforte stand halb drinnen halb draußen der Gänsebub, um Theil an der schönen Geschichte zu nehmen, die ein alter Jütländer abwechselnd sprechend und singend vortrug; – auf den Gänsebuben aber hatte es Helene abgesehen, er sollte ihr Liebesbote sein, denn er konnte weder lesen noch schreiben.

Der alte Jütländer, der als Torfbauer im Lande umherzog, trug etwas aus dem Bauernaufruhr (1441) in Nord-Jütland vor, wie in der Hangarde auf dem St. Jürgens-Berge, nicht weit von Aagaard, zwischen ihnen und dem Grundherrn eine blutige Schlacht geliefert, in welcher Eske Brock von ihnen erschlagen und in Stücken gehauen worden. Da rüstete sich der erzürnte König selber, und die Sache nahm eine andre Wendung: die Bauern hatten auf dem hohen Berge eine Wagenburg um sich geschlagen, so daß die Reiterei ihnen nichts anhaben konnte, – die Grundherren aber gewannen etliche unter ihnen mit goldnem Versprechen, und klein und immer kleiner ward der tapfere Haufe. Der Alte sang:

Eine dänische Geschichte

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