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Vorwort

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Die nachstehende Erzählung ist im ersten Monate des Jahres 1828 in meiner Zeitschrift Mitternachtblatt stückweise erschienen, und in einigen anderen Tageblättern, die von der Plünderung leben, auch stückweise nachgedruckt worden. Verächtlicher, ehrloser als der gewöhnliche Nachdruck beliebter und gesuchter Bücher, ist solch’ ein Taschendiebstahl, den gleichsam ein Wanderer an dem Mitwanderer verübt. Er weiß noch nicht einmal, ob die Waare in dem Felleisen des Mitwanderers Beifall auf dem Lesemarkte finden wird; aber er stiehlt sie demselben Stück vor Stück, und trägt sie in seinem Bettel- und Diebessacke hausiren, gleich als ob er unmittelbar vom Verfertiger sie zu diesem Behuf empfangen hätte. Durch den Namen des Letzteren sucht er sich den Anschein einer literarischen Verbindung mit demselben zu geben, und ladet ihm außer den Schaden auch noch die Schande auf, bei einem Theile des Publikums für den Socius eines Lumpensammlers zu gelten. So ehrlos handelt der Bücher-Nachdrucker nicht. Er bestiehlt den Autor, er bestiehlt den rechtmäßigen Verleger; aber er giebt sich nicht für den letzteren, nicht für den Geschäfts-Genossen des Ersteren aus. Er stiehlt, aber er betrügt das Publikum nicht mit dem gestohlenen Gut; er nöthiget seinen Nachdruck denjenigen nicht auf, die schon den Originaldruck besitzen. Das thut nur der journalistische Druckdieb: das Abonnement in der Tasche, liefert er denjenigen seiner Kunden, welche zugleich Abonnenten der von ihm bestohlenen Zeitschriften sind, neue literarische Producte, welche sie schon gelesen haben.

In Hinsicht der Ausbildung des Rechtsbegriffes vom literarischen Eigenthum stehet bekanntlich Deutschland noch auf der untersten Stufe der Europäischen Civilisation, und es würde lächerlich seyn, mitten unter Zigeunern klagen zu wollen, daß man bemauset worden sei. Auch thut das erwähnte tageblätterige Stehlen in der Regel den Dieben mehr Schaden als den Bestohlenen. Allein es setzt eine solche Schamlosigkeit, ein solches Hinausseyn über alles Ehrgefühl, eine solche Behaglichkeit in der Schande voraus, daß nur noch ein kleiner Schritt von dieser Infamie zu einer weit nachtheiligeren zu thun seyn möchte. Wer stückweise stiehlt, der sammelt auch wohl am Ende die gestohlenen Stücken, nähet sie zusammen so gut er kann, und macht aus seinem Nachdrucke des stückweise erschienenen Productes einen Vordruck desjenigen, welches der Verfasser im Ganzen, im unzertrennten Zusammenhange, als für sich bestehendes Buch, herauszugeben berechtiget ist.

Solch’ einem Vordrucke hab’ ich zuvorkommen wollen, und da die Zeitschrift, in welcher die Novelle stückweise (man könnte in Bezug auf Tausend und Eine Nacht sagen: in Scheherazaden-Form) bekannt gemacht worden, meine eigene ist; so kann mir kein Vorwurf daraus erwachsen, daß ich schon nach Verlauf eines Jahres das Erzeugniß als Büchlein herausgebe.

Die typographische Form, in welcher dies geschieht, ist hauptsächlich durch den Umstand bestimmt worden, daß der Kaliber das unerwartete Glück gehabt hat, den deutschen Frauen zu gefallen. Die Tageblätter in ihrer Quartantenbreite kommen in der Regel nicht weiter, als auf die Sopha’s der ausruhenden Leserinnen; was auf ihren Fenstertischchen und auf ihren Geheimschrank’s- (Secretär-) Gesimsen Raum finden soll, muß von kleinerem Kaliber seyn.

Ich nenne den Beifall des schönen Geschlechts ein unerwartetes Glück, weil ich gefürchtet hatte, daß die rechtswissenschaftlichen Spitzfindigkeiten, auf welchen sowohl die Verwickelung als der Ausgang der Geschichte beruhen, für Frauen etwas Störendes haben möchten. Aber dem Kaliber ist dafür auch ein eben so unerwartetes Unglück begegnet: er hat ganz wider seine Absicht einen geschätzten Rechtsgelehrten meines Adoptiv-Vaterlandes allarmirt.

Wer vom Fach ist, kennt den Meinungszwist über die sogenannte öffentliche und die geheime Criminaljustiz, welche letztere schicklicher die Acten-Justiz genannt wird, während die erstere in gewisser Beziehung auch wohl die theatralische heißen könnte. Dort richten, nach Anhörung öffentlicher und mündlicher Verhandlungen, Geschworene aus dem gebildeten Theile des Volkes. Hier thun es, nach Lesung der geschriebenen Acten, die Rechtsgelehrten, welche der Staat als Urthelsverfasser angestellt hat. Beide Arten von Justiz haben, wie alle menschlichen Einrichtungen, ihre Vorzüge und ihre Gebrechen. Der Criminalrichter, welcher die vorliegende Geschichte erzählt, ist zwar ein Beamter der Actenjustiz, berührt aber im Abschnitte XXII. mit wenig Worten einen Vorzug der öffentlichen Justiz, welcher darinne besteht, daß dieselbe die Umstände des Vergehens unter dem Publikum des Thäters, d. h. unter den Leuten, mit denen er leben muß, schneller, vollständiger, überzeugender und also wirksamer bekannt macht, als es durch veröffentlichte Urthelsabschriften geschehen kann. Dieser Vorzug ist, wie man leicht einsehen wird, so gering, daß er bei der Hauptfrage, ob die öffentliche oder die Actenjustiz der Gerechtigkeit am meisten förderlich sei? kaum in Betrachtung kommen kann. Allein der Umstand, daß er der Actenjustiz mangelt, war für den Novellisten von einiger Bedeutung, weil er die Situation verschlimmert, in welcher in dem angezogenen Abschnitte der Held der Geschichte sich befindet. Darum unfehlbar berührte ihn der Erzähler, und wer hätte denken sollen, daß diese Berührung einen Rechtsgelehrten, der über die Vorzüglichkeit der Actenjustiz mit sich einig ist, zu einem öffentlichen Widerspruche aufregen würde?

Gleichwohl ist es geschehen. Der Criminalrath Hitzig in Berlin, in der literarischen Republik eben so rühmlich als in seinem staatsbürgerlichen Wirkungskreise bekannt, hat in seiner allgemein geschätzten Zeitschrift für die Criminal-Rechts-Pflege Bd. 8. Heft 2. S. 421. gegen diese Stelle des Kalibers die Feder ergriffen, und mich für die Aeußerung des erzählenden Criminalrichters verantwortlich gemacht. Er hat es »schmerzlich empfunden, einen Mann wie Müllner, den Deutschland auch zu seinen ausgezeichneten Juristen zählt, die Menge der Sachunkundigen, welche die Actenjustiz eine geheime nennen, in ihrem Mißurtheil bestärken zu sehen.« Er hat meine Stimme für zu »einflußreich« gehalten, als daß sie nicht »Gegenrede nöthig machen sollte, wo sie zu Mißurtheilen führen kann.«

Was ich dem verehrten Manne sowohl auf diese, von der einen Seite für mich nur allzu schmeichelhaften Aeußerungen, als auf die Hauptfrage geantwortet habe, das mag, wer Lust hat, im Mitternachtblatte 1828. Nr. 85 und 86. nachlesen. Hieher gehört nur so viel davon, als nöthig ist, um andere Leser dieser Novelle nicht in Hitzigs Irrthum verfallen zu lassen. Der Criminalrichter in der Novelle, welchem ich mein Bischen belletristischer Darstellungsgabe geliehen habe, ist zwar ein sehr verständiger und menschenfreundlicher Mann, aber seine Gemüths-Neigung für die öffentliche oder theatralische Justiz, die sich auch noch an einer anderen Stelle (XIV.) ausspricht, ist nichts weniger, als meine eigene Neigung. Es giebt nur eine einzige Gattung von Fällen, in welchen ich ein Schwurgericht aus dem Volk lieber richten sehen möchte, als ein Gericht von rechtsgelehrten Staatsbeamten. Es sind die sogenannten politischen Vergehungen. Dieser Begriff ist von so schwankender, beweglicher und dehnbarer Natur, daß weder die Gesetzgebung noch die Doctrin ihn auf eine, den inneren Rechtssinn des Menschen völlig befriedigende Weise fest zu stellen und zu begränzen vermögen. Man möchte daher wünschen, daß in den Fällen dieser Art der betheiligte Staat und seine Beamten lediglich den gesunden Menschenverstand und den Rechtssinn gebildeter Männer des Volkes zur Entscheidung über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten beriefen. Aber eben jenes Schwanken des Begriffes politischer Vergehungen macht die Einführung eines Schwurgerichtes für dieselben, als eines besonderen fori causae (eines Fallgerichtes) so schwierig, daß sie dem Practiker füglich für ein Ding der Unmöglichkeit gelten kann. Daher steht der menschenfreundliche Wunsch mit seinem Hauptmotiv gewissermaßen in einem logischen Widerspruche, welcher den Verstand nöthiget, auf den Anspruch des Gefühls zu verzichten.

Es ist hier natürlich nicht der Ort, in diese Materie tiefer einzugehen. Genug wenn die gegenwärtige Skizze meines Glaubensbekenntnisses über die beiden Justiz-Arten meinen freundlichen Gegner und die Leser meines Kalibers überzeugt, daß die Actenjustiz von mir eben so wenig ernstliche Anfechtung zu besorgen hat, als von meinem Criminalrichter, welcher a. a. O. (XIV.) durch die Vorstellung sich hinreißen läßt, wie die reizende Mariane sich ausnehmen würde, wenn sie ihren unglücklichen Verlobten vor den Schranken eines Schwurgerichtes vertheidigen dürfte. Wenn er ernstlich die öffentliche Justiz der Actenjustiz vorzöge, würde er da wohl einen Rechtsfall erzählen, der gerade nur auf dem langsamen Wege der Letzteren zu einem, das Gemüth befriedigenden Ausgange gelangen konnte?

Weißenfels im Februar 1829.

Der Verfasser.

Der Kaliber

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