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Adolf von Tutschek - Von Thor Goote

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„. . . Inmitten des ganzen Geschehens steht unser Hauptmann als leuchtendes Beispiel. Waren wir noch so verzagt und wussten wir gar nicht mehr, was nun, dann blickten wir aus zu unserem großen Führer, und immer wieder schlugen wir uns durch …“, schreibt der treue Bursche Martin Fellner.

Adolf v. Tutschek war immer Soldat, einfach immer nur Soldat. . .

Seine ersten Worte waren: ,,Papa“ und „Mars“ (Marsch), und sobald er einigermaßen aufrecht stehen konnte, übte er Parademarsch. Später schlug er unermüdlich mit seinen Bleisoldaten Schlachten oder hielt große Paraden ab. — Mutter Tutschek hatte es wirklich nicht immer leicht dabei, denn selbst in Adolfs Bett stießen Patrouillen vor, und hinter Schrank- und Kommodenfüßen fanden sich immer wieder Offiziere bei ,,ernsten Besprechungen“ oder auf ,,gefährlichen Patrouillenritten“.

Vater Tutschek tat rührend mit. Seine schöne blaue Uniform genügte bald nicht mehr für seine Stellung eines „Oberstkommandierenden“. In den phantastischsten Uniformen musste er auf dem „Feldherrnhügel“ stehen. Einmal erschien er sogar als türkischer General zur Besichtigung. Die musste klappen, sonst gab es eine Minute Arrest im Schilderhaus, und das war eine Bestrafung, die der kleine Soldat sehr ernst nahm.

Ganz einfach war das nicht für die Eltern, denn wenn ,,Krieg“ war, verloren Schularbeiten für den kleinen Adolf natürlich völlig an Wichtigkeit. Und Vater Tutschek hatte manche Mühe, alle kleinen Läden Münchens nach bunten Schlachtenbildern zu durchstöbern. Diese Bilder wurden dann nicht nur mit leuchtenden Augen bis ins Kleinste betrachtet, sondern mit staunenswerter Begabung nachgezeichnet. Auch was Vater vorlas, wurde mit Phantasie und Talent gemalt. Und später kam noch die Beherrschung der Geige hinzu, auch ein Erbgut des Vaters, und die Freude am Schreiben, wie Mutter Tutschek sie hatte.

1899, als Adolf acht Jahre alt war, starb sein Vater, der zuletzt Oberstabsarzt und Chefarzt der Kgl. Bayerischen Militär-Bildungs-Anstalten war. Der Junge verlor damit keinen strengen Vorgesetzten, sondern einen lieben Kameraden, der immer froh und verständnisvoll auf all sein Denken und Fühlen eingegangen war, der ihm unentwegte Liebe zum Vaterland, seinen persönlichen Mut und die klare Sauberkeit all seiner Handlungen mit auf den Lebensweg gegeben hatte.

Frau Julie Tutschek zog nun von München nach Augsburg. Hier war ihr Vater, Hauptmann Schmidbauer, 24 Jahre zuvor an den Wunden gestorben, die ihm französische Kugeln im Dezember 1870 bei Loigny-Poupry gerissen.

. . . Soldatentochter . . . Soldatenfrau . . . Soldatenmutter . . .

Nun lebte sie nur noch für ihren Jungen. Die Gymnasialzeit war keine frohe Felddienstübung. Mathematik war trocken. Und was waren schon Latein und Griechisch gegenüber einer anständigen Parade? Aber Mutter Tutschek verbot die Soldatengedanken nicht, beaufsichtigte auch nicht einfach streng die Schularbeiten — nein, sie lernte tapfer Latein und Griechisch mit, und für Fehler musste sie Strafe zahlen. Neue Sprachen gingen am besten, für Geschichte aber hatte der Junge die größte Vorliebe. Onkel Ludwig Tutschek, später Generalleutnant und Führer des Alpenkorps, immer verehrter und bereiteter Kamerad, schenkte dem Jungen kriegsgeschichtliche Bücher, die mit leuchtenden Augen gelesen wurden und so beeindruckten, dass aus den nächtlichen Träumen des Tertianers oft scharfe Kommandos schallten.

Schule wurde heruntergeschluckt. Adolf Tutschek hatte das Zeug zum Künstler, aber über allem stand für ihn das Soldatentum. Und doch saß Mutter Tutschek manchmal mit klopfendem Herzen am Bett des Einzigen. Viermal Lungenentzündung, einmal Pleuritis, machten seinem zarten Körper schwer zu schaffen. Aber aus eigener Willenskraft arbeitete er sich immer wieder heraus, durch folgerichtige Abhärtung und unentwegte Ablehnung jeder Verhätschelung. Denn unverwüstlicher Humor und glücklicher Optimismus ließen ihn schon damals nicht verzagen. Er führte schon als Junge alles durch, was er sich einmal wirklich in den Kopf gesetzt hatte. Und diese Ziele waren nicht immer Mutters Ziele oder die der Schule. Aber der gewinnende Zauber seiner Art machte damals schon, wie später auch, schnell alles wieder gut. Was tat er nicht für seine Mutter — und was tat seine Mutter nicht für ihn? Sie nahm drei Vettern ins Haus, damit er nicht so einsam aufwüchse, sie gab für den Primaner Tanzkränzchen und half ihm dann, in das gleiche Regiment aufgenommen zu werden, unter dessen Fahnen ihr Vater die tödliche Kugel empfangen hatte. Ohne Zögern gab sie auch den Sohn dem Vaterland.

Am 23. Juli 1910 trat Adolf Tutschek in das Kgl. Bayer. 3. Infanterie-Regiment „Prinz Karl von Bayern“ in Augsburg ein. Unter Major Doehla und Leutnant Hauer, beide gefallen, wurde der Fahnenjunker streng, aber gerecht zum Offizier erzogen. Kein Dienst machte ihn müde. Immer wieder berichtete er seiner Mutter begeistert über den Eindruck, den ihm das wunderbare Ineinanderfügen der Disziplin machte. Auch jetzt, im langersehnten bunten Rock, blieb ihm die Mutter innigster Kamerad und ist es geblieben bis zu dem Tage, an dem sie ihn in die frühlingswarme Erde betteten.

Er schrieb ihr fast jeden Tag im Kriege — und wenn ihm vor Müdigkeit die Augen zufielen — bei tropfender Kerze im faulenden galizischen Stroh — unter dem Pauken der Einschläge in den Trichtern vor Verdun — und er schrieb ihr zwischen aufreibenden Luftkämpfen und Dienstreisen. Nur manchmal ging es nicht, mitten im Großkampf, denn wer hätte dann seine Karten und Briefe durch das Sperrfeuer nach hinten tragen sollen? Aber damit Mutter sich nicht ängstige, hatte er im Voraus für diese Fälle schon ein Päckchen Karten geschrieben, die der Feldwebel täglich pünktlich abschicken musste.

Und diese Kriegsbriefe des jungen Soldaten an seine Mutter sind die Grundlagen dieses Buches. „Mein liebes Mamachen!“ heißt es da immer wieder — und dann ermahnt er sie, sich gut zu pflegen — an Heizmaterial nicht zu sparen — sich nicht aufzuregen. Jedes Mal berichtet er auch, wie es seinem Burschen geht. Und schreibt in Stichworten alles, was ihn bewegt. Schreibt, wie wir alle wohl damals schrieben: Müde und doch erregt — ohne Abstand — und nichts vor Augen, als neue Schlachten — und in uns den Drang, alles zu sagen . . . Denn wer sollte es verstehen, wenn sie es nicht verstand? Und doch dabei das Bild vor Augen, wie sie daheim sich bangte und wie sie zitterte von Brief zu Brief Da konnte man doch nicht alles schreiben —da schwieg man über manches. Wozu auch darüber reden? Und man schrieb wie er; schnell und leicht: ,,Kuss! Dein dankbarer Filius!“

Nein — diese Briefe sind nicht für eine Veröffentlichung geschrieben worden. Der Maßstab des in ihnen enthaltenen Geschehens ist nicht immer richtig. Wenn da steht, dass dieser oder jener fiel und gleich daraus, dass Quartier und Essen gut seien, dann lese man nicht Herzlosigkeit heraus. Es waren Briefe an eine sorgende Mutter! Und wer von uns hätte ihr schreiben mögen, wie es wirklich war, als der Kamerad neben uns zerrissen wurde? Dem Tagebuch hätten wir es vielleicht anvertraut, aber sein Tagebuch wurde im Wald von Avocourt von einer französischen Steilfeuergranate zerstampft.

Was wir nachstehend bringen, sind daher nur Auszüge aus Briefen Adolf von Tutscheks an seine Mutter, vermehrt um wenige hinterlassene Papiere. An Hand dieser Aufzeichnungen sind im Herbst 1917 in den Wochen der Genesung nach schwerer Verwundung bis wenige Tage vor seinem Tod ausführlichere Schilderungen einiger Begebenheiten entstanden, um in einem kleinen Kriegsbuch zusammengefasst zu werden. Auch diese Schilderungen sind hier aufgenommen. Wie Adolf v. Tutschek sie gewertet haben wollte, hat er selbst gesagt: ,,Im Kreise lieber Kameraden kramte ich in alten Erinnerungen, erzählte von Stürmen, die ich an der Spitze meiner Kompanie, von Luftkämpfen, die ich als Führer meiner Jagdstaffel mitgemacht. Auf vielfaches Drängen entschloss ich mich, meine Erinnerungen, soweit sie nicht schon in Briefen und Tagebuchblättern schriftlich niedergelegt waren, aufzuschreiben und weiteren Kreisen zugänglich zu machen. — Die Blätter bieten keine vollständige und fortlaufende Schilderung meiner Kriegserlebnisse als Adjutant und Kompanieführer. Sie geben auch keine lückenlose Darstellung meiner Flüge und Kämpfe als Feld- und Jagdflieger. Sie wollen nicht mehr sein als Augenblicksbilder, aber ungefärbte und mir aus irgendwelchen Gründen besonders unvergessliche Augenblicksbilder aus einem Kriegsleben, wie es ähnlich zahllose andere durchkämpft, durchjubelt und durchlitten haben.“

Über dreieinhalb Jahre umfassen diese Briefe. Zweiundvierzig Monate voll unerhörter Strapazen und fast ununterbrochener Lebensgefahr. Grund genug, auch nur ein einziges Mal zu klagen! Aber Adolf v. Tutschek hat nie geklagt. Er hat, wenn‘s sein musste, die Zähne zusammengebissen und gehandelt. Und was er tat, war jedes Mal deshalb ein ganzer Erfolg, weil er nicht einmal — nicht ein einziges Mal — vom kleinsten seiner Leute mehr verlangte als von sich selbst. Er brauchte seine Mutter nicht mit Zweifeln zu belasten, denn er hatte in sich keine Zweifel, sondern nur Zuversicht. Nicht die Zuversicht, dass er gefeit wäre, wie Kameraden es oft meinten! Nicht das Gefühl, dass Schmerz und Tod ihm gleichgültig wären! Der Soldat ohne Angst ist ja nur eine Phantasiefigur von Nichtkämpfern—nein —, was ihn zu allem befähigte, war die tiefe innere Gewissheit, dass es nichts gäbe, das ihn abhalten könnte, seine Pflicht zu tun. Und er wusste, dass Pflichttun nicht nur heißt Befehle auszuführen, sondern sie ganz und gar und ohne Bedingung innerlich freudig zu erfüllen, einerlei, ob man zu den Überlebenden gehören wird oder nicht. —

Seit zwei Jahren Leutnant, rückte der Dreiundzwanzigjährige am ersten Mobilmachungstage, dem 2.August 1914, abends, aus, da das 3. Inf.-Regt. als Teil der verstärkten 3. bayer. Infanterie-Brigade zum Grenzschutz bestimmt war. Am 10.August 1914 hatte das Regiment den ersten Toten im Gefecht bei Badonvillers. 5320 Kreuze stehen bei Kriegsende in der 16256 Namen umfassenden Verlustliste des Regiments. Vom ersten Mobilmachungstag an machte er bis zum 2. Mai 1915 alle Gefechte des Regiments im Westen und Osten mit. Im November 1914 erhielt er das Eiserne Kreuz und den Militär-Verdienstorden mit Schwertern. Seine Verwundung am 2. Mai 1915 hielt ihn bis zum 16. Juli 1915 von der Front fern. Neun Tage nach seiner Rückkehr erhielt er das Eiserne Kreuz 1.Klasse. Wie wohlverdient dieses war, geht aus dem Brief seines Brigadekommandeurs an seinen Onkel hervor: „In meiner Herzensfreude muss ich Dir schnell mitteilen, dass Adolf gestern früh 4 Uhr ohne Befehl und allein ein befestigtes Dorf stürmte und hielt. Noch am Abend durfte ich ihm das reich verdiente Eiserne Kreuz 1. Klasse übersenden. Ich gratuliere Dir zu solchem Neffen. Hätt‘ ich nur mehr solche Kerle!“

Am 9. August 1915 verdiente er sich das Ritterkreuz des Bayerischen Militär-Max-Josef-Ordens, der höchsten bayerischen Kriegsauszeichnung, mit welcher der persönliche Adel verbunden ist. Sein Regimentskommandeur, Generalmajor a. D. Frhr. v. Stengel, sagt hierzu:

„Wir Kriegsdreier sind ganz besonders stolz darauf, dass der Held des Luftkampfes, Hauptmann Adolf Ritter v. Tutschek, aus unseren Reihen hervorgegangen ist. Nicht weniger heldenhaft als seine Fliegerlaufbahn war schon sein Soldatentum als Infanterist. Die höchste bayer. Kriegsauszeichnung, den Militär-Max-Josef-Orden, hat er sich im k. b. 3. Inf.-Rgt. erworben.

Unser unvergesslicher Tutschek war ein frischer, schmucker junger Offizier, dem alle Herzen zuflogen. Sein großer Optimismus und Ehrgeiz haben viel zu seinem Heldentum beigetragen, da aber trotz seinem stürmischen Temperament auf Pflichttreue und Selbstachtung begründet und mit klarem Blick für den günstigen Augenblick verbunden war. Der Stellungskampf entsprach weniger seiner Natur. Aber als das bay. 3. I.-R. am 2. 5. 1915 zum Durchbruch bei Gorlice angesetzt, den Zamerzysko stürmte und die Russen in frischem Vorwärts von Stellung zu Stellung durch Galizien, Polen und Wolhynien jagte, da war Tutschek in seinem Element. Es waren außer dem Heldenmut, das der pflichttreue Infanterie-Kompanieführer in jedem Gefecht an den Tag legen muss, besonders zwei Einbrüche in feindliche Stellungen, die Tutschek den Max-Josef-Orden brachten. Tutscheks letzter Sturm als Infanterist war der Sturm durch den Wald von Avocourt am 20.März 1916 in der fürchterlichen Hölle vor Verdun.

Am Tage darauf musste er für den gefallenen Bat-Kommandeur das Bataillon übernehmen, das er aber nur einen Tag führen konnte, da eine schwere Gasvergiftung seine Überführung in ein Lazarett erforderte. Leider verloren wir Dreier unseren Helden dann aus unseren Reihen, da nach seiner Wiederherstellung seine neue Siegeslaufbahn als Flieger begann.

Mit Stolz verfolgten wir seine Erfolge. Tief ergriffen trauerte daher das ganze Regiment, als es kurz vor seinem Einsatz in die Schlacht bei Armenfiéres und am Kemmel 1918 erfuhr, dass Tutschek nach seiner Wiedergenesung von einer schweren Verwundung und weiteren Luftsiegen als Jagdgeschwaderführer gefallen war.“

„Am 22. 7. 19 war die Division etwa 40 km südöstlich Cholm vor einer neuen, lange vorbereiteten, stark ausgebauten und stark besetzten Stellung angelangt. Das III./3. I.-R. hatte am 24. 7. die Brennerei südlich Stepankowice weggenommen.

Die russische Stellung war aber stark nach der Tiefe gestaffelt, und als die Kompanie Tutschek in der Nacht zum 25.7. in die vordere Linie vorgeschoben worden war, nützte Tutschek gleich im Morgengrauen einen Augenblick der Sorglosigkeit der Russen aus und eroberte das befestigte Dorf und Stellungsteile hinter diesem.

In der schweren Aufgabe, die eroberten Stellungsteile gegen die sofort einsetzenden Gegenangriffe festzuhalten, wurde die Kompanie dann durch das selbständige Vorgehen der Nebenkompanie (3./3.I.-R.: Leo Mayr) kräftig unterstützt.“



Vater und Sohn Tutschek, August 1893


Mutter und Sohn, 1916


Mit Onkel Ludwig (General von Tutschek, Führer des Alpenkorps), 1917


Im Schützengraben vor Verdun, März 1916

Tutscheks zweite Heldentat mit seiner 1. Kompanie war die Wegnahme des Werkes VII b) bei Petrylow (etwa 20 Kilometer nördlich Cholm) am 9. 8. 15, in der sogenannten Schlacht an der Ucherka.

Hier nun war der Erfolg neben seinem Draufgängertum besonders auch der klugen Ausnützung einer durch seine Beobachtung mit herbeigeführten Wirkung unserer Mörser zuzuschreiben. Tutschek ließ sich nicht mehr halten, als die Granaten gut lagen, und stürmte das Werk noch vor der befohlenen Zeit. Der Divisionskommandeur, Generalleutnant Ritter v. Kneußl, schrieb dazu: ,,Soweit der Division bekannt, gelang es keinem der anderen, gegen die Stellung angesetzten Truppenteile, entscheidend an irgendeiner Stelle in die feindliche Hauptstellung einzudringen.

Der Erfolg von Leutnant Tutschek ist umso höher einzuschätzen, als er bei Petrylow die feindliche Stellung in der Flanke traf und damit wohl wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Russen die gesamte Stellung aufgaben.“

General der Artillerie v. Leeb, Oberbefehlshaber der Gruppe 2, Kassel, zu dieser Zeit Generalstabsoffizier der 11. b. Inf.-Division, sagt zu diesen Leistungen Tutscheks:

„Es gibt im Rahmen einer Division nur wenige Auserlesene von den vielen Tausenden der tapfersten Männer, die über ihren engeren Truppenteil hinaus in der ganzen Division bekannt und genannt werden. Es können nur solche sein, die dauernd weit aus ihrer Umgebung hervorragen und sich durch ihre Taten und ihre Leistungen besonders auszeichnen.

Und zu diesen wenigen gehört im 3. bayr. Inf.-Regt. neben dem Ltn. Kardel und dem Ltn. d. R. Steiner der jugendliche Führer der 1. Komp. dieses Regimentes, der Ltn. Adolf Tutschek. Seine Tapferkeit, seine Unerschrockenheit, sein Draufgängertum sind fast sprichwörtlich in der ganzen Division geworden. Der inzwischen verstorbene General v. Kneußl war stets von der besten Zuversicht erfüllt, mochten die Kämpfe noch so schwer und der Ausgang noch so ungewiss und zweifelhaft sein; er wusste, dass, solange solche Soldatennaturen, wie Tutschek sie war, die Truppe führten und mit sich fortrissen, auch das Schwerste gelingen musste. Angeführt sei hier nur der Sturm auf Werk 7b bei Petrylow am 9.8.1915, das von den besten russischen Truppen, den Garderegimentern Preobraschenski und Semenowski verteidigt wurde. Es war kaum mehr zu hoffen, hier vorwärts zu kommen. Aber der 24jährige Kompanieführer Tutschek machte mit seiner 1. Kompanie und der 4. Kompanie das unmöglich Scheinende möglich.“ Ende Januar 1916 wurde er zum Oberleutnant befördert, Ende März 1916 Bataillonsadjutant.

Am 23. März 1916 schied er durch schwere Gasvergiftung wieder vom Regiment. Nach schweren inneren Kämpfen fasste er den Entschluss, Flieger zu werden, was er schon 1913 vorgehabt hatte. Am 24. Juli 19I6 wurde er zur Flieger-Ersatz-Abteilung Schleißheim kommandiert und nach Ausbildung zum Flugzeugführer am 28. Oktober 1916 zur Feld-Flieger-Abteilung 6b versetzt. Januar 1917 gelang es ihm, zur Jagdstaffel Boelcke zu kommen. Nach zahlreichen Luftsiegen wurde er bereits im April 1917 zum Führer der Jagdstaffel 12 ernannt, an deren Spitze er sich am 8. August 1917 den höchsten preußischen Kriegsorden „Pour le mérite“ verdiente. Drei Tage später wurde er im Luftkampf durch ein Phosgen-Explosivgeschoß schwer verwundet.

Sein Kommandeur der Flieger, Hauptmann Sorg, legte es ihm, dringend ans Herz, im Interesse der Jagdstaffel 12 die Heilung der Wunde in Ruhe abzuwarten und nicht mit Übertraining sofort wieder zu beginnen“. Und fügte hinzu: „Ich werde Sie für die nächsthöhere Klasse des Militär-Max-Josef-Ordens in Vorschlag bringen.“

Niemand hätte es Adolf v. Tutschek übelgenommen, wenn er nach 30 Stürmen, 24 Luftsiegen und drei Verwundungen sich nun etwas auf den Dienst in der Heimat beschränkt hätte. Niemand hätte es Mutter Tutschek übelgenommen, wenn sie die amtlichen Stellen daran erinnert hätte, dass dies ihr einziges Kind sei. Auszeichnungen waren nicht mehr zu erwarten, denn er besaß die höchsten Orden. Aber Adolf v. Tutschek gehörte trotzdem nach vorn. Er wusste es, und seine Mutter wusste es.

Beide wussten, wie wenig Aussicht bestand, dass er lebend heimkehren würde. Aber er wählte als Deutscher, und sie wählte als deutsche Frau. Ohne Erholungsurlaub, die Wunde noch offen, der Arm noch steif, tut der junge Hauptmann im Dezember 1917 schon wieder im Stab des Kommandierenden Generals der Luftstreitkräfte im Großen .Hauptquartier Dienst, der sich nicht nur hinter dem Schreibtisch, sondern nur zu oft auch in der Luft abspielte. Die wenigen freien Minuten benutzt er zur Niederschrift seiner Kriegserlebnisse. Er soll ganz im Stab bleiben, aber Anfang Februar 1918 ist er bereits als Kommandeur des Jagdgeschwaders 2 wieder an der Westfront. Wieder nennt der Heeresbericht Sieg um Sieg. Die Mutter hält die Zeitung in zitternden Händen. Mal um Mal.

Am 15. März 1918 schreibt der Telefonist Wiedow mit Tintenstift auf das blaue Formular: „Funkspruch aus dem Felde. Dringend. An Generalmajor v. Tutschek, Alpenkorps. Hauptmann Ritter v. Tutschek im Luftkampf gefallen. Bitte Mutter benachrichtigen. Soll Leiche übergeführt werden? Drahtantwort hierher. Jagdgeschwader 2. Krapfenbauer, Deutsche Feldpost 81.“ Die Mutter hat es längst gewusst — wie er . . . “Am I4. März Abend nach dem Flugdienst kam Herr Hauptmann heim. Er kleidete sich um und ging dann ins Kasino um zu speisen. Als er später wieder zurückkam, half ich meinem Herrn auskleiden. Herr Hauptmann gab mir dann den Befehl ihn um 6 Uhr zu wecken. Am anderen Morgen bereitete ich den Kaffee. Dann begleitete ich mit Hektor, Herrn Hauptmann auf den Flugplatz. Seine Maschine stand schon startbereit. Ich half noch beim Anziehen des Kombinationsanzug und band meinem guten Herrn das Taschentuch in das oberste Knopfloch das Anzugs.

Dann schmeichelte er noch seinen Hektor. Die beiden Monteure und ich winkten H. Hauptmann nach und fort war er. Leider war es der Abschied. Ich ging wieder zurück nach Toulis ins Quartier und machte mich an die Arbeit. Gegen Vormittag 10 Uhr erfuhr ich, dass mein Herr gefallen sei, was ich aber nicht glauben wollte. Ich ging hierauf in das Zimmer meines lb. Herrn. Um 2 Uhr kam Herr Oberleutnant Kraftenbauer und bestätigte mir den Tod meines Herrn. Nun musste ich es glauben. Wie es mir damals war, kann man sich vorstellen, da es mein Rekrutenoffizier war und ich seit 1913 bei ihm war. Ich erfuhr, dass an ein zurückbringen des Herrn Hauptmann vor nachts nicht zu denken sei, da er sehr nahe an der feindlichen Linie abgestürzt ist. Es war bei Laon. Infanteristen bargen den Leichnam. Herr H. wurde in der Kirche in Marle aufgebahrt. Von dort aus begleitete ich den Leichnam nach München.

Johann Hefele Maurer.“

„Adolf stieg mit 4 Kameraden am 16. 3. 18 im Flughafen Marle bei Laon in der Frühe um ¾ 9 Uhr auf mit seinem Dreidecker. Er flog mit Becker zusammen, in 300 Meter etwas nachhängend folgten die anderen drei.

An der Front selbst war Ruhe. Es war ein frischer, kalter Märzmorgen in prachtvollem Sonnenschein. Während sie so dahinflogen, bemerkte Becker in weiter Entfernung gegen die Sonne sehend in der Sonne 2 kleine Punkte, welche er als Flieger erkannte. Im nächsten Moment trudelte Adolf ab. Kurz darauf fing er wieder die Maschine, drehte ein paar Spiralen nach abwärts, um von neuem abzutrudeln. Nochmals fing er die Maschine und vollführte eine glatte Landung zwischen den Linien bei Brancourt. Becker war zu seinem Schutze ihm gefolgt bis 10 Meter über den Boden und sah auch noch, wie er die Maschine korrekt und ruhig bediente. Die drei anderen hatten die beiden feindlichen Flieger bemerkt und auch das Abtrudeln von Adolf, und nahmen sofort deren Verfolgung auf.

Sie konnten noch die Abzeichen erkennen. Lt. Becker, aus dem Mannschaftsstande hervorgegangen mit 12 Abschüssen, ein feiner Mensch, ein aufopfernder, sicherer Kamerad, konnte vor Schluchzen kaum die Hiobsbotschaft sagen, die meisten Offiziere und Mannschaften konnten die Tränen nicht mehr unterdrücken.

Er hatte die wahre Kameradschaft, den Schwung und die Begeisterung in das Geschwader hineingetragen . . .“, schreibt Dr. Heinz Krapfenbauer. „Er fiel an der Spitze aller Helden Deutschlands!“ schrieb sein alter Kompaniechef, Major Doehla, wenige Tage bevor er selbst fiel.

Vizefeldwebel Dobberhan: „Jedes Mal, wenn ich das Bild von unserem vorbildlichen, hervorragenden Geschwader- und Staffelführer betrachte, überkommt es mich mit einer großen Wehmut, und ich sage mir immer, warum bist Du es nicht gewesen, der da fiel? Wie habe ich mich so wohl gefühlt und wie stolz war ich darauf, ihn, unseren Tüchtigsten, begleiten und schützen zu können, fast bei jedem Flug in der Zeit, in der Herr Hauptmann bei uns war. Durch ihn lernten wir erst den rechten Angriff und hatten dann den Erfolg. Und wie hielten wir zusammen! Wie ein paar Freunde, die sich schon lange kannten. Gar nie war der Hauptmann strenger Vorgesetzter, — nein, nur der liebe, fürsorgende Kamerad, obwohl ich nur Unteroffizier war. Gerade deshalb werde ich Herrn Hauptmann v. Tutschek nie vergessen.

Geweint habe ich wie ein Kind, als er in Marle übergeführt wurde. Soviel Unglück habe ich schon im Leben erlitten, und immer wieder sagte ich mir: ‚Warum warst Du nicht derjenige?' — Aber es sollte nicht sein. — Acht Tage später stürzte auch ich . . .“

Der Kommandierende General der Luftstreitkräfte, Generalleutnant v. Hoeppner: „Bewährt und ausgezeichnet als Infanterist, siegreich und berühmt als Flieger kämpfte und fiel der Hauptmann Ritter v. Tutschek.

Hart trifft der Verlust die Luftstreitkräfte. — Die Einfachheit, mit der er so oft leuchtenden Auges versicherte, dass ihm die Mutter stets die vertrauteste Freundin gewesen, vor der es für ihn kein Geheimnis gab, stand ganz im Einklang zu seinem sonstigen liebenswürdigen, offenen Charakter.“

Der Sieger in 30 Stürmen und 29 Luftgefechten durfte über siegreicher deutscher Front sterben.

Als die Glocken über deutsches Land zum letzten Mal “Sieg“ riefen, am 21. März 1918, dem Tag, an dem noch einmal der Feind ins Wanken kam, betteten sie den jungen Kämpfer auf dem Waldfriedhof in München zur letzten Ruhe. — Der Kampf ging weiter. Tausend und tausend Kameraden fielen noch . . . Und die Zeit verrann. —

Wir lernten die Güte eines Schicksals verstehen, das unseren toten Kameraden Schmach und Schande des Zusammenbruches ersparte. Es wurde zeitgemäß, zu vergessen. Aber wir vergaßen nicht. Und so wurde uns deutlich, dass keiner tot ist, den wir gaben — es sei denn, wir würden ihn vergessen. —

Und jetzt ist Deutschland wieder da!

Jetzt ist deutsche Jugend wieder da mit opferbereiten Herzen! Zu ihr besonders sollen die Worte dieses Mannes sprechen, die bisher nur im Herzen einer Mutter klangen, die still und selbstverständlich alles gab, was eine Mutter geben kann.


Adolf Ritter von Tutscheks Wappen

In Trichtern und Wolken

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