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Die beiden, die zurückblieben, waren eine Weile still. Daß er immer wie aus Holz geschnitzt dasitzt, dachte Rutenberg, der seitwärts auf den regungslosen Schilcher blickte; manchmal ist’s doch unerträglich. – »Hm!« machte er selber endlich, um die Stille zu unterbrechen. »Ferdinand Waldecks Sohn. – Auch ein Schicksal. – Armer Junge . . .«

Schilcher brummte etwas, aber nach seiner unausstehlichen Art so leise, daß man’s nicht verstand.

»Was sagst du?« fragte Rutenberg. »Nichts,« antwortete Schilcher und erhob sich von seinem Stuhl.

»Hab’ ich ihm unrecht gethan, Schilcher? – Hab’ ich etwas gesagt, das dir nicht gefällt? Ging es wieder mit mir durch? – Aber um des Himmels willen, konnt’ ich denn schweigen, Schilcher? Oder sollt’ ich sagen er war unschuldig, ja, ja, Sie versichern es, also glaub’ ich es —?«

»Nein,« warf Schilcher hin, der auf seinen Weg zur Thür sah und seine Halsbinde rückte. – »Ich muß mich nun also auch verschönern. Eh’ zur Polonaise geblasen wird, bin ich wieder hier.«

Es mißfiel Rutenberg, daß der andere in diesem Augenblick die Polonaise erwähnte. »Ich bitte,« sagte er verstimmt. »Ja, ja. – — Die ganze Festtagslaune, die ist hin, Schilcher!«

»Wird wiederkommen. Das geht fix bei dir.« Schilcher hustete und machte die Salonthür auf, um in seine Junggesellenwohnung im oberen Stock zu gehen.

»Na ja!« brummte Rutenberg. Er wollte aber den »Heimtücker« nicht so stumm hinauslassen, darum fing er noch einmal an: »Ferdinand Waldecks Sohn . . .«

Richtig, jetzt drehte sich der kleine Schilcher herum und sah dem alten Freund ins Gesicht. »Der wird einmal ein Mann,« sagte er in äußerer Ruhe. »Ein richtiger.« Dann schob er sich aus der Thür.

Rutenberg lächelte einen Augenblick, nickte nach einer Weile, versank in immer tieferes Nachdenken und ging in sein Wohn- und Arbeitszimmer zurück. In diesem behaglich geschmückten Raum – nicht reich, denn er war bei einfachen Gewohnheiten geblieben – vertrug er sich mit seinen Gedanken am besten und dachte sie am leichtesten bis zu Ende durch. In den alten bequemen Lehnstuhl gesunken, den er vom Vater geerbt hatte – sonst war fast alles eigene Erwerbung – fühlte er sich ganz eigen zurückgeworfen in die Jugendzeit, da er sich mit Ferdinand Waldeck befreundet hatte . . . Das war die Aehnlichkeit, dachte er; dieser Fritz erinnerte mich im ersten Augenblick an den Vater. Aber wie sie doch verschieden sind! der Sohn sieht interessanter aus, ein merkwürdiger Knochenbau. Und ein ganz anderes Feuer in den Augen – in dem Jungen ist mehr, viel mehr. Der alte Heimtücker, der Schilcher hat recht: »Der wird einmal ein Mann!« – Rutenberg sann nach – zehn Jahre war es jetzt her, daß er den Fritz Waldeck hier in seiner Vaterstadt gesehen hatte, da gab ihn der Vater von Berlin hierher aufs Gymnasium, damit der etwas zarte Junge in einer kleineren Stadt recht gesund heranwüchse. Damals war er zwölf Jahre alt, also jetzt zweiundzwanzig . . . Na ja, dachte Rutenberg, dann sah ich ihn bald nicht mehr wieder, weil ich meine Fabrik in Warnowrande gegründet hatte. Und als ich die hierher verlegte und größer machte, da war ich mit Waldecks weltweit auseinander . . .

Er rückte jetzt mißmutig in dem alten Lehnstuhl; es gefiel ihm nicht, daß Schilcher so gegangen war, offenbar mehr auf Fritz Waldecks Seite, offenbar nicht zufrieden mit den rücksichtslos empörten Worten des alten »Durchgängers« Rutenberg. Und dieser Durchgänger hatte sich so sehr gewöhnt, auf den alten Nußknacker zu hören, wie wenn es sein ganz persönlicher nur für ihn angestellter »Oberappellationsrat« wäre – nicht eher mit sich einig zu sein, als bis er auch mit dem kleinen holzgeschnitzten Mann sich einig wußte. Er vertiefte sich in die Frage: hab’ ich wieder unrecht? – Dann mußte er doch auch gegen den Vater Waldeck unrecht haben und das hatte er nicht! Gegen diesen Vater, den er einst mit seiner ganzen überschwenglichen Herzlichkeit geliebt hatte, der in diesem Augenblick lebendig, leibhaftig vor ihm stand wie in alten Zeiten, als der so gerngläubige Rutenberg noch geschworen hätte: der ist echtes Gold . . .

Er lächelte auf einmal, aber unruhig, beklommen und jetzt verliebt sein Sohn sich in meine Gertrud. – Das ist denn doch wirklich eine närrische und verrückte Welt!

So mochte er wohl lange dagesessen haben er erwachte wie aus einer Art von Traum, als durch die Thür zum Bücherzimmer, die er offen gelassen hatte, seine Gertrud eintrat. Sie kam in ihrem leichten, schwebenden Gang, den er mit so viel Vaterstolz liebte und in dem sie ihre einst so anmutige Mutter doch noch übertraf. Das schlichte rosafarbene Ballkleid, das auf der schlanken Gestalt wie ein zarter Duft lag, stand ihr wirklich gut, auch die frischen Blumen im seidigen dunkelblonden Haar, das sich auf der leuchtenden Stirn so angenehm natürlich kräuselte, obwohl er wußte, daß es gebrannt war. Sie kam mit Wyttenbachs Bouquet in der Hand, mit dem strahlenden Rutenbergschen Lächeln.

»Da bin ich!« sagte sie, wie ein Lieutenant vor dem Oberst salutierend.

»Bravo!« sagte der Vater, sogleich wieder vergnügt »Rosig wie der junge Tag!« – — In die ist Fritz Waldeck verliebt, fuhr ihm aber auf einmal wieder durch den Kopf. Ihm ward unbehaglich. »Komm einmal her, mein Kind,« sagte er so harmlos wie nur irgend möglich.

Sie trat vor ihn hin. »Du solltest der erste sein, der mich so sieht! —Hab’ nur vorher noch die Anstalten für den Ball revidiert. Alles in Ordnung. – Na? Aber was hast du denn? Ich glaub’ gar, du machst ein sorgenvolles Gesicht?«

»Nein, nein —«

»Gefall’ ich dir nicht?«

»Närrin! – Sehr. – Sehr gelungen, Gertrud. – Nun sag’ aber ’mal: du kennst einen Herrn Waldeck, nicht wahr? Einen jungen Mann —«

»Ja, ein wenig, ja!« warf sie so natürlich gleichgültig hin, daß es ihm Freude machte. Darauf fing sie an zu lächeln. »Du, der hat mich vorhin schön verlegen gemacht; ich hab’ ihn verwechselt. Mir war so, als müßte er Herr von Hiller heißen. – Mein Gott,« setzte sie übermütig lustig hinzu, »wenn man so viele junge Männer kennt!«

»Freilich,« sagte Rutenberg ebenso lustig, dabei atmete er beruhigt auf. »So viel merk’ ich, Trudel, einen sehr lebhaften Eindruck hat er dir nicht gemacht.«

Sie schüttelte die schönen Löckchen: »Er? – Nein, O nein!«

»,Er‹ nicht!« wiederholte der Vater, noch ganz arglos lächelnd. »O nein! das könnt’ ja so klingen, wie wenn —«

Bei diesem ›wenn‹ brach er aber ab. Lieber gar nicht von der Möglichkeit reden, dachte er, man male nur nie den Teufel an die Wand! . . .

Das Mädel blickte ihn etwas unsicher an »Wie wenn was —?« fragte sie.

»O nichts. Gar nichts von Bedeutung. – Siehst poetisch aus, Kind.«

»Also ich gefall’ dir doch?«

»Ganz entschieden gefällst du mir,« sagte er mit dem sachlichen Vatergesicht und streichelte ihr vorsichtig über das blumengeschmückte Haar. »Kein Geflitter und kein Geprunk, einfach, simpel, siebzehnjährig. So lieb’ ich’s.« – Er steigerte sich drollig, in seiner inneren Heiterkeit. »Ja, ja, ja, so lieb’ ich’s!« Und sich so recht zufrieden über sie neigend, küßte er sie auf die Stirn.

»Ach,« dachte Gertrud in ihrer jungen, selig schmachtenden Seele, wie gern möcht’ ich’s ihm jetzt sagen! Könnt’ ich’s ihm jetzt sagen! – Sie fühlte, ihr kam der Mut, und das Geheimnis drückte sie, so süß es zuerst gewesen war, es drückte sie jetzt. Auf einmal begann sie mit seiner Hand zu spielen, sie versuchte, seine großen goldenen Ringe hin und her zu schieben; dann streichelte sie über die Finger hin.

»Du! Vater!« fing sie an. »Wie wenn was —?«

Er verstand sie noch nicht »Was meinst du, Kind?« fragte er.

»Ach, du sagtest vorhin ›das könnt’ ja so klingen, wie wenn‹ – — .«

Sie sah ihm mit einem raschen Blick ins Gesicht, dann wieder auf seine Hand.

Zuerst nur verwundert, dann betroffen, starrte er sie an. Erst nach einer Weile brachte er heraus: »Warum fragst du noch einmal? So neugierig?« – Wie? Jetzt wird sie rot! – Er nahm ihre Hand, die noch auf der seinen lag, und sah ihr fest in die Augen. Alle Teufel! dachte er. Wenn dieses Kind einen Andern —

Nein, sagte er sich geschwind, um diesen Schreck wieder abzuschütteln, und ließ ihre Finger los, – nein, das ist unmöglich. Das thut mir das Kind nicht an. – Nur nichts merken lassen . . .

Er schaute umher, er wollte sich etwas zu schaffen machen, sein Blick fiel auf die offene Thür und auf die Spieltische im Bücherzimmer. »Mir war doch so,« warf er hin, »als hätte Brink auf den Rauchtischchen die Aschenbecher vergessen. Will doch mal sehn —!«

Damit ging er schon durch die Thür. Im Bücherzimmer sah er nun freilich, daß er den alten Pedanten, den Brink, falsch verdächtigt hatte: an Aschenbechern fehlte es nicht. Dagegen überfiel ihn jetzt ein zweiter Schreck. Gertrud kam ihm nach, trat zu ihm, als er still stand, und legte mit einer plötzlichen Bewegung ihr Gesicht stumm an seine Brust.

»Um Gottes willen!« entfuhr ihm, indem er zusammenzuckte. »Was hast du?«

»O, nichts Trauriges,« sagte sie leise. »Süßer alter Vater du. Du bist so gut gegen mich, und machst mich heut’ so glücklich . . .«

Er atmete etwas erleichtert auf. »Dankbarkeit?« fragte er. »Ja, Dankbarkeit und – —« Sie brachte eine Art von Lächeln zustande, das ihm aber nicht gefiel, und sagte wieder leise: »Er nicht! O nein!«

»Gertrud!« stieß Rutenberg hervor. »Was heißt das?« Jetzt flüsterte sie nur noch: »Kannst du’s nicht erraten?«

Unwillkürlich, und ohne es zu wissen, drückte er das Mädel langsam von seiner Brust hinweg, sah sie nicht mehr an und ging durchs Zimmer. Hinter einem der Tische blieb er dann wieder stehn, hob in seiner Ohnmacht den Arm ein wenig; fortlaufen konnte er dem Schicksal ja doch nicht – »Trudel!« sagte er. »Du bist toll!«

Sie schüttelte den Kopf.

»Du bist toll, Trudel.«

Sie schüttelte ihn wieder. So recht weich und sanft sagte sie dann »Warum sollt’ ich toll sein? – Ich möcht nur vor dir kein Geheimnis haben . . .«

Rutenberg horchte, was nun noch kommen werde. Sie war aber still. Die innere Unruhe fuhr ihm in die Finger, er nahm die neuen Spielkarten von dem Tisch, hinter dem er stand, zog sie aus dem Umschlag, legte sie wieder hin. Dann nahm er ein Häufchen davon ab, warf es auf den Tisch. Es war doch eine Art von Thätigkeit, drum fuhr er auch damit fort, ohne es zu wissen. Unglückliches Kind! sagte er, wieder ein Häufchen hinwerfend. »Du bist siebzehn Jahre alt!«

»Eben darum!« erwiderte sie leise.

»Ich glaube, du bildest dir ganz im Ernst ein, dich ernsthaft verliebt zu haben —«

»Ach!« seufzte sie, vor sich niederblickend. »Ich weiß es, Vater!«

»Was sagst du?«

Sie lächelte ihn nun etwas mutiger an. »Ich sagte nur, ich weiß es!«

»So! – Und wer ist dieser andre?«

»Wer? Arthur van Wyttenbach . . .«

Rutenberg ließ die Karten, die er noch in der Hand hatte, vor Schreck auf den Tisch fallen. »Heiliger Gott!« rief er aus.

»Was ist dir?« fragte sie.

»Arthur van – Arthur van – Dieser —! Der Name »Wyttenbach« blieb ihm in der Kehle stecken.

»Ja, Vater. Ja, der ist’s, lieber, guter Vater. Und wenn du mir nicht erlaubst, ihn zu heiraten – sie suchte zu lächeln, es sah aber sehr ernsthaft aus – »dann sterb’ ich!«

Rutenberg schob die Spielkarten auseinander, daß sie den ganzen Tisch bedeckten »Da haben wir’s,« sagte er. »Dann stirbt sie. – Unsre Antigone. – Schilcher! Schilcher!«

»Warum rufst du Schilcher?« fragte das Mädchen ängstlich. »Was soll der? – Lieber, süßer Vater ..«

Ihre Stimme war so rührend weich; sie ging ihm zu Herzen. »Lieber, süßer Vater« – das machte ihm wieder etwas Mut. Er faßte sich so nach und nach. Ihm half dabei, daß er die Karten langsam wieder zusammenschob.

»Komm her, Kind!« sagte er dann, nicht so weich wie sie, aber ganz ohne Strenge und ohne Härte. »Setz dich. Da an den Tisch! – Sie kam und setzte sich. Er stellte sich vor sie hin. – »So, nun laß uns mal ruhig reden. Sitz’ still. Also du liebst ihn, sagst du. Diesen – —«

Er sprach nicht weiter. Sie nickte. In ihrem Ballkleid, mit den Rosen im Haar, saß sie so unheimlich romantisch da, als gehöre die Liebe selbstverständlich dazu, als sei es ganz natürlich, daß sie jemand liebte.

»Und er liebt dich,« fragte Rutenberg weiter. »dieser –.«

Sie nickte.

»Und ihr wollt euch heiraten —« Sie nickte wieder.

»Und wenn ich es nicht erlaube, dann stirbst du.«

Sie lächelte, doch dann nickte sie, wieder mit ihrem ernsthaften siebzehnjährigen Gesicht.

»Und dieser Bund der Seelen dauert wohl schon lange —«

Nun schüttelte sie den Kopf. »Noch nicht lange, Vater. – Aber so sehr! so sehr!«

In einem Anfall von humoristischer Verzweiflung schlug Rutenberg die Augen zum Himmel auf. Einen »Hansquast« nannte ihn Schilcher! fuhr ihm durch den Sinn. Ahnungsloser Schilcher! Na, und ich? Ich nannte ihn »Ballfutter«. Ahnungsloser Vater! – Er schaute wieder seine romantische Ballnixe an.

»Wofür hältst du ihn, Gertrud?« fragte er, sich wieder fassend, so gut er konnte.

Das Kind

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