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Prolog

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Die blinde Passagierin

Adrian Klahn


1954

Hätte sie gewusst, dass sie für einen Tag nicht nur bedeutsam, sondern sogar der wichtigste Mensch der Welt sein würde, nie hätte sie an sich gezweifelt.

Erst als ihre Nasenspitze auf den Beckenboden tippte, konnte sie das kalte Wasser an den Wangen, sowie den Augenlidern spüren und einen Moment lang wollte sie für immer hierbleiben und nie mehr nicht wissen was zu tun wäre. Und als sie den Kopf aus dem Waschbecken hob und sich im Spiegel sah, wusste sie, was sie mit ihm anstellen würde…

Im selben Moment fuhr ein Polizeiwagen über die Wiese, der direkt vor der Tür des Mietshauses hielt. Es ist so weit.

Als Credo öffnete blickte sie in das Gesicht eines breitschultrigen Wachtmeisters.

Ohne ein Wort legte der schnauzbärtige Mann der jungen Frau Handfesseln an und führte sie zum Wagen.

„Fräulein hat uns schon erwartet“.

Sein Kollege musterte die junge Frau.

„Fräulein? Haste nachjesehen? Mit dem Bubikopf könntet och ´n Bengel sein.“

Worauf hin der andere ein müheloses Lachen ausstieß.

Credo unternahm keinen Fluchtversuch und wirkte gefasst, doch unter ihrer Maske waren die Nerven gestrafft.

Blitzschnell zog der Schnauzbärtige der Frau einen Sack über den Kopf bevor er sie auf die Rückbank stieß.

„Mach los, wir essen zeiteh.“

Während ein wolkenfreier Himmel Sonnenstrahlen auf der Stadt ausbreitete, raste der schwarze Mercedes 170D über die Frankfurter Allee. Nur an den Schlammstreifen der Radkästen ließ sich erahnen, dass hier kürzlich ein Unwetter tobte.

Da man sich keine Mühe gemacht hatte die Gefangene am Sitz zu fixieren, wurde Credo bei jeder Kurve über die Bank geschleudert, sodass sich ihr Kopf am Fenster abfing. Der Wachtmeister auf dem Beifahrersitz ließ Credo nicht aus den Augen, da er wusste, dies war keine gewöhnliche Festnahme. Er beobachtete sie durch den Rückspiegel als könne sie jede Sekunde aufspringen und den Polizisten von hinten eine Schlinge um den Hals legen.

Doch daran konnte sie nicht mal denken. Credo kämpfte schon jetzt mit den ersten Stirntropfen, die die Hitzewallungen unter dem muffigen Sack verursachten, denn für Mitte April war es ungewöhnlich warm in Berlin. Außerdem trug sie eine Jacke.

Zum Glück dauerte die Fahrt nicht lang und so trafen die Drei schon sechzehn Minuten später am Parkplatz der vermeintlichen Polizeiwache ein. Es schien so, als sei sie nicht der einzige Gast mit dem man ruppig umsprang, denn kaum öffnete sich die schwere Tür des Mercedes, hörte sie wirre Rufe und sowas wie Tiergeräusche aus dem Inneren des Gebäudes dringen.

Als die junge Frau vom schnauzbärtigen Hauptmann übergeben wurde, packte sie ein nach Schweiß riechender Kerl am Arm, um sie über einen gebohnerten Gang im Gebäude zu führen. Durch den Sack drangen nur vereinzelte Lichtfetzen. Während sein beleibter Körper bei jedem Schritt mitschwang und ungewollt an ihrem Arm rieb, hörte Credo aus einem der hinteren Räume, den Song Peggy Sue.

Vermutlich führte der Dicke das Mädchen in einen Verhörraum. Schroff befahl er Platz zu nehmen als er Credo mit den Handschellen hinter dem Rücken am Stuhl fest machte.

„Der Kommissar kümmert sich gleich um Sie.“

„Kann ich was trinken, bitte?“

fragte sie vorsichtig, woraufhin der Dicke sie ironisch ansah.

„Hört an, der Knabe hat Durst. Klar doch, bei uns ist der Kunde König. Sonst noch wat?“

„Pass auf was Du sagst“, zischte sie in den Raum hinein, da sie ihr Gegenüber immer noch nicht sehen konnte und nur ein kleines Licht der Tischlampe durch den Jutesack schimmerte. Mit gespielt besorgter Miene, die sie nicht sehen konnte, drehte er eine Runde um den Tisch und griff nach einem Gegenstand. Als der beleibte Wachtmeister auf Credos Höhe angekommen war, holte er aus und schlug ihr eine Akte an den Kopf, sodass Credo mit dem Stuhl zu Boden platschte, wie ein Sack Kartoffeln. Der Mund schmeckte nach Rost. Dann richtete er sie wieder auf, zog Credo den Sack vom Kopf und verließ den Raum.

Gläsern sah sie rüber zum Spiegel, hinter dem sich wohl ein weiteres Zimmer befand. Von diesem Zimmer wiederum sah der kahlköpfige Kommissar zurück durch die Scheibe in den Verhörraum, in dem eine schlanke Frau mit kastanienbraunem, kurzem Haar in einer Flieger-Lederjacke saß.

Credo hatte viel gelitten und beinahe wäre sie ein düsterer Mensch geworden, doch ab jetzt wusste sie, dass alles so kam wie es musste.

„Ich habe weder Zeit für Ihr Schauspiel noch für Gefühlsausbrüche, Fräulein Credolan“, raunte Charlie Montag als er das Zimmer betrat. „Credolan, Fenia, das ist doch Ihr Name? Ungewöhnlich für eine Deutsche. Woher stammen Ihre Eltern?“

Fantasielos starrte sie auf ihre verschmierte Hose und fühlte das warme Blut, welches immer noch aus der Nase ran.

Nicht auf eine Antwort hoffend redete der Kommissar weiter:

„Sie haben zwei Möglichkeiten, Fenia. Entweder Sie erzählen mir, was Sie mit Herrn Alasker gemacht haben, wo sich die Leiche befindet und wer ihre Komplizen sind oder sie sitzen die nächsten Jahre ein, ohne den Hauch einer Chance auf Freigang. So wie ich das sehe, steh´n Sie mit dem Rücken zur Wand, …ein alleinstehendes Fräulein, das Bluejeans trägt, ohne Familie, mit eigenen Erwerbsquellen. Sie werden bei Gericht keine Glaubwürdigkeit beziehen. Dr. Alasker ist ein anerkannter Mediziner mit besten Kontakten, glauben Sie ja nicht, dass so ein Fall geradewegs zu den Akten kommt. Also sparen Sie sich die Ausflüchte und kommen mir bei den Ermittlungen entgegen.“

Der Kommissar nahm ihr die Handschellen ab, zog ein Stofftaschentuch aus seiner Weste und ließ es in ihren Schoß fallen.

Credo bemühte sich nicht ihre Nase abzutupfen, sondern ließ die Arme unter dem Tisch, blickte auf und sagte mit zitternden Händen: „…wo er ist kann ich Ihnen sagen. Und auch was ich mit ihm gemacht habe. Allerdings ist die Wahrheit an eine Bedingung geknüpft.“

Auf die Faust des Kommissars, die gerade auf dem Tisch gelandet war, reagierte sie mit einem Zucken. Tief Luft holend zückte er dann eine Schachtel Zuban aus der anderen Westentasche. Einen Moment lang sah er hinüber zum Spiegel als würde er darin noch etwas anderes sehen, als nur sich selbst. Dann entnahm er dem Softpack eine Filterzigarette und zündete sie an.

„Glauben Sie nicht, dass Sie in der Position sind Forderungen zu stellen. Der Richter ist nicht zimperlich mit Leuten, die nach den Luxusgütern rechtschaffener Menschen schielen.“

„Das denken Sie? Dass es um materielle Dinge geht?“ erwiderte Credo wütend.

„Wenn Sie so denken, sind Sie dümmer als ich dachte! Der einzige Mensch, der in dieser Geschichte ein rechtschaffener Mensch ist, bin ich, Herr Kommissar. Und jetzt lassen Sie mich laufen oder Sie werden nie erfahren, was mit ihrem Dr. Saubermann passiert ist.“

„Wollen Sie Ihr Spielchen wirklich fortsetzen, Fräulein?“

„Für Sie FRAU Credolan.“

„Sieh an, sind wir jetzt verheiratet?“ gab Kommissar Montag zynisch von sich.

„Ich brauche keinen Mann um als Frau anerkannt zu werden.“

Charlie Montag nahm seinen Bleistift zur Hand als er ihr gegenüber Platz genommen hatte und machte Notizen auf seinen Unterlagen. Credo beugte sich aufmerksam vor, um mitlesen zu können.

Alter des Tatverdächtigen: 27

Burschikoser Typ.

Mögliches Motiv: Ausgeprägter Hass auf das männliche Geschlecht.

„Machen Sie sich nicht lächerlich, Herr Kommissar. Oder soll ich Sie Charlie nennen? Charlie, ist das eigentlich ein gängiger deutscher Name?“

Charlie Montag lief um den Tisch des Verhörzimmers herum und krallte sich mit seiner rechten Hand in ihr kurz geschnittenes Haar, sodass er ihre Schweißperlen ganz deutlich auf der Nase sehen konnte. Dann flüsterte er:

„Meinen Sie etwa eine Pferde-Lederjacke und Ihr rotziger Ton genügen, um in der Männerwelt bestehen zu können?! Glauben Sie das?“

Lange blickte ihr Kommissar Montag in die Augen. Beinahe etwas zu lang oder wenigstens von solcher Dauer, dass Credo irritiert war. Dennoch wich sie nicht zurück.

„Was ich glaube, wollen Sie gar nicht wissen, was ich weiß ist was Sie interessiert. Und das werde ich Ihnen sagen. Am kommenden Sonntag, zwölf Uhr. Dreifaltigkeitsfriedhof. Ich weiß, dass der Senat Dr. Alasker etwas schuldig ist nachdem was er für diese Stadt getan hat. Aber glauben Sie mir, Sie wissen nicht mit was für einem Menschen Sie es zu tun gehabt haben. Ich führ´ Sie zu den Forschungsunterlagen, auf die Sie in Wirklichkeit ein Auge geworfen haben. Und auch zu den prekären Dokumenten mit all den wichtigen Namen. Am Sonntag dann werden Sie auch ihn kriegen, oder was von ihm übrig ist, sollte er Ihnen dann überhaupt noch nützlich sein.“

„Verstehe, Sie machen also ein Geheimnis draus. Vielleicht wollen wir mit einem leichteren Thema einsteigen und Sie sagen mir was Sie mit dem alten Schlitzauge zu tun haben, das wir halbtot geprügelt gestern auf der Müllkippe gefunden haben und der nichts außer ihrem ungewöhnlichen Namen von sich gab, bevor er abtransportiert wurde?“

Credo spürte einen dumpfen Schlag in ihrer Magengrube, wobei sie niemand berührt hatte und sie musste sich anstrengen sich nicht auf dem Verhörtisch zu übergeben.

„Wenn ich rauskriege, dass Sie was damit zu tun haben…“ zischte sie, „...mach ich Sie fertig! Ich wusste, dass man Euch nicht trauen kann. Sobald ich wieder aus dieser Wache raus bin…“ unterbrach sie sich selbst als sie das Lächeln des Kommissars bemerkte.

„Aber gnädiges Fräulein, wie kommen Sie denn darauf, dass Sie sich auf einem Polizeirevier befinden? Sie sind in der geschlossenen Abteilung der Nervenheilanstalt Lichtenberg, die Sie, in den nächsten zwanzig Jahren, mit Sicherheit nicht verlassen werden.“

Nur ihr Glaube verlieh Credo nun die Kraft durchzuhalten, weil sie etwas wusste, an dass die Meisten nicht einmal zu glauben wagten. Antworten, die eine Wahrheit enthielten, die sie vielleicht mit ins Grab nehmen würde.

Die blinde Passagierin

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