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Freiheit, Sicherheit und der Wert der Wahrheit

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Ich werde mich in diesem und im nächsten Kapitel an die schwierige Aufgabe wagen, einige Wahrheiten weiterzugeben, nicht, wie ich eilends hinzufüge, um einen Gegensatz zu allen anderen Teilen des Buches zu schaffen, sondern im Zusammenhang mit bestimmten Bereichen, in denen wir in der Gemeinde Jesu ein großes Geschick entwickelt haben, uns selbst in die Tasche zu lügen. Freilich kann es sein, dass meine Wahrheit nicht dieselbe ist wie Ihre, aber nachdem ich zwanzig Jahre lang mit Christen auf der ganzen Welt gesprochen habe, wäre ich doch ziemlich überrascht, wenn die Kluft dazwischen durchgehend sehr groß wäre.

Bevor wir jedoch zu den konkreten Themen kommen -was hat eigentlich Wahrheit mit Sicherheit zu tun und warum ist sie so wichtig? Ganz einfach gesagt: Wenn wir wirklich im tiefsten Sinne sicher sein wollen, haben wir keine andere Wahl, als in der Wahrheit zu wohnen, wie schwierig das auch sein mag. Wenn wir uns oder unseren Glauben, unsere Art zu leben oder das Leben unserer Gemeinde mit etwas anderem als mit der Wahrheit zu verteidigen versuchen, dann haben sich unsere Wege von denen des Geistes der Wahrheit getrennt. Unter solchen Umständen sind wir auf uns allein gestellt und allen möglichen Gefahren schutzlos ausgeliefert.

Die wichtigsten Veränderungen in meinem Leben begannen immer mit dem Wunsch, die Haufen von Blödsinn aus dem Weg zu räumen, die sich in meinem Leben als Christ angesammelt hatten, und geistliche Sicherheit zu finden, indem ich die Wahrheit über mich selbst und meinen Glauben so klar in den Blick nahm, wie Gott sie mir vor meine verschleierten Augen führen konnte. Seit den allerersten Tagen meiner Lebensphase als Schriftsteller und Redner gibt es einen Vers, der meine Bemühungen mehr untermauert und inspiriert hat als jeder andere. Es ist ein Wort Jesu, zu finden im achten Kapitel des Johannesevangeliums. Ich bin sicher, es ist Ihnen sehr vertraut:

Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.

Die letzten fünf Wörter dieser Passage haben mir schon immer viel bedeutet, aber wie jeder weiß, der sich je vorgenommen hat, die volle Wahrheit zu sagen, ist das keineswegs immer angenehm. Manchmal tut es weh. Manchmal bringt es mich zum Lachen. Manchmal komme ich mir ziemlich blöd dabei vor. Manchmal bringt es mich zum Weinen. Manchmal wird deutlich, dass wie bei Adam und Eva die nackte Wahrheit nicht das Gebot der Stunde ist. Es gibt Momente, wo sie peinlich ist und sittsam bekleidet werden muss.

Die Wahrheit über uns – die Wahrheit über Gott

Eine Sache wird mir immer klarer. Es gibt zwei wesentliche Bereiche der Wahrheit, mit denen wir uns befassen müssen, wenn wir anderen Mut machen wollen, nach Hause zum Vater zu gehen. Der eine ist die Wahrheit über uns, über Sie und mich, wie wir wirklich sind, und der andere ist die ungeschminkte Wahrheit über Gott. Wenn wir in unserem Bestreben, die frohe Botschaft weiterzugeben, versuchen, einen dieser Bereiche mitzuteilen, während wir den anderen ignorieren, vergeuden wir wahrscheinlich bestenfalls unsere Zeit; schlimmstenfalls erzeugen wir eine möglicherweise sehr schädliche Form der Verwirrung.

Die meisten von uns sind noch unvollendete Werke, ob uns das gefällt oder nicht. Gott jedenfalls weiß das. Wir wissen es auch, wenn wir ehrlich sind. Was für einen Sinn hat es, anderen oder uns selbst einreden zu wollen, das wäre nicht so? Am Ende durchschauen die Leute unsere religiösen oder moralischen Fassaden ja doch. Bei mir haben die Leute meine Vortäuschungsmanöver schon oft durchschaut. Ich frage mich, wie viele von Gottes verirrten und geliebten Kindern den Gedanken, Jesus nachzufolgen, enttäuscht aufgegeben haben, weil sie Christen bei Heuchelei ertappten – Leute, von denen sie am Anfang ihrer Beziehung persönlich sehr beeindruckt waren, die dann aber einfach nicht einlösen konnten, was sie vorgaben.

Manchmal wird dieser Gegensatz zwischen dem, was wir sind, und dem, was wir glauben, geradezu grafisch sichtbar. Es gibt eine Übung, die Bridget und ich bei Gruppen von dreißig bis vierzig Leuten sehr nützlich finden. Probieren Sie sie selbst einmal aus. Die Ergebnisse sind oft interessant. Das Ziel dieser Übung ist zweifach. Das unmittelbare Ziel besteht darin, ein Gruppengedicht zu schreiben. Das macht meistens viel Spaß und ist interessant, aber der wichtigere Aspekt dabei ist, allen Teilnehmern zu zeigen, dass die Wahrheit über den Leib Christi viel rauer, vielfältiger und, wenn ich das sagen darf, nützlicher ist, als wir vielleicht erwarten. Das geht folgendermaßen vor sich.

Erstens ist es ratsam, sich vor Augen zu führen, dass viele Leute zu Eis erstarren, wenn sie meinen, irgendein schüchtern grinsender christlicher Sadist wollte sie dazu zwingen, ein Gedicht zu schreiben, und dabei unterschwellig andeuten, dass auf alle, die nicht mitmachen, die Hölle wartet. Deshalb machen wir immer deutlich, dass niemand tatsächlich Verse schmieden muss, sondern dass eine Sammlung kurzer, wahrheitsgemäßer, anonymer Aussagen von Natur aus einen poetischen Klang gewinnt, wenn sie von einer Person im Zusammenhang laut vorgelesen wird. Dann verteilen wir schmale Papierstreifen an jedes Mitglied der Gruppe und kündigen an, dass das erste Gedicht den Titel „Unser Gott ist vielerlei“ tragen wird.

„Bitte schreiben Sie auf Ihr Stück Papier”, sagt dann Bridget oder ich, „was Gott heute, genau in diesem Moment, für Sie ist. Versuchen Sie nicht, bewusst lyrisch zu sein. Machen Sie sich keine Gedanken darum, die richtige Antwort hinzuschreiben. Es gibt keine richtige Antwort außer Ihrer eigenen privaten Wahrheit. Versuchen Sie auch, nicht erst Ihren zweiten, dritten oder vierten Gedanken aufzuschreiben. Versuchen Sie, den ersten zu erwischen, bevor er missbilligt oder zensiert wird oder einfach davonfliegt. Setzen Sie nicht Ihren Namen auf den Zettel. Es spielt eigentlich keine Rolle, was Sie sagen, ob es positiv oder negativ ist, denn niemand außer Gott wird wissen, wer welche Zeile geschrieben hat, wenn wir das Ganze vorlesen. Bitte schreiben Sie deutlich und kurz in Großbuchstaben; und dann falten Sie Ihren Zettel zusammen und geben ihn einem von uns, wenn wir die Zettel einsammeln.”

Manche Leute fühlen sich bei alledem etwas unbehaglich, aber meist hilft es, dass wir ihnen volle Anonymität zusichern. Am Ende haben wir dann einen kleinen Haufen von dreißig oder vierzig Aussagen und Bridget ist sehr geschickt darin, diese sofort vorzulesen, wobei sie wörtliche Wiederholungen vermeidet und den Titel und das Thema des „Gedichts“ hinzufügt, während sie es vorträgt. Die Ergebnisse, zusammengesetzt in nahezu der zufälligen Reihenfolge, in der sie eingesammelt wurden, sind sehr packend und manchmal äußerst bewegend.

Hier ein Beispiel aus einer Gruppe:

Unser Gott ist vielerlei

Er ist ein guter Vater, liebevoll und immer gegenwärtig

Er ist mein Fels

Er ist nie bei mir, wenn ich ihn am meisten brauche

Ein ferner Gott auf der Suche nach Gründen zum Strafen

Mein bester Freund

Das Licht, das meine Finsternis erträglich macht

Unser Gott ist vielerlei

Die Sonne im Winter, die den kommenden Frühling verheißt

Er ist irgendwo im Urlaub

Der Vater, den ich nie hatte

Es ist unmöglich, ihn zu kennen

Das innerste Wesen der Liebe

Er ist ein Rätsel, das der Tod lösen wird

Unser Gott ist vielerlei

Er ist wie das Meer, tief und still

Voller Vergebung

Er liebt jeden – nur nicht mich

Er lebt in uns

Er muss doch meine Qualen sehen,

aber er tut nichts dagegen

Seine Liebe hält die Welt in Gang

Unser Gott ist vielerlei

Furchtbar und gewaltig

Die Rose von Scharon

Unser Gott ist der, der den Regenbogen gemalt hat

Er ist kalt und schweigsam, voller Verheißungen,

die er nie zu erfüllen scheint

Unser Gott ist der Gott der Juden

Er hört und sieht alles, was wir tun

Unser Gott ist vielerlei

Der, den ich mein Leben lang gesucht habe

Ein Fremder hinter einer Maske

Er hilft dem Himmel, das Meer zu küssen

Herrlicher, als sich mit Worten sagen lässt

Der Vater unseres Herrn Jesus Christus

Nicht groß der Rede wert

Unser Gott ist vielerlei

Alles, was ich jemals wollen oder brauchen werde

Ich weiß nicht, was aus mir werden soll,

wenn es nicht bald anders wird

Unser Gott ist derselbe gestern, heute und morgen

Gott ist Liebe

Ich rede mit ihm, aber hört er auch zu?

Unser Gott ist vielerlei

Nicht gerade geeignet für die Aufnahme in Ihr Gemeindeliederbuch, stimmt's? Die Gruppen, die solche Reaktionen hervorbringen, sind oft ganz erschrocken über die Dinge, die zutage treten, wenn ein kleiner Ausschnitt des Leibes Christi die Erlaubnis bekommt, innere Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, ohne gleich mit einem jener schrecklichen Zwillingslümmel namens Verurteilung und Seelsorge bedroht zu werden. In diesem Beispiel eines Aufschreis aus dem Herzen des Leibes steckt so ziemlich alles drin, nicht wahr? Da sind Freude und Traurigkeit, Zweifel und Gleichgültigkeit, Furcht und Schmerz, Lobpreis und Liebe und tiefe Wertschätzung und die bohrenden Fragen, die sich allzu oft auf der dunklen Seite des Herzens verbergen.

Bei den vielen Gelegenheiten, bei denen wir diese Übung durchgeführt haben, ist uns nicht ein einziges Mal ein Ergebnis untergekommen, in dem sich die Gruppe als einmütig positiv und im Frieden gezeigt hat. So ist es nun einmal im Leib Jesu auf Erden, und mir schwant, es wäre gut, wenn wir dieser Tatsache ins Gesicht sehen würden. Wir können der Sache auch nicht ausweichen, indem wir sagen, dass manche der negativeren Aussagen in einem solchen Gedicht von Leuten stammen müssten, die eigentlich keine Christen seien. Das stimmt nicht. Ich weiß, dass es nicht stimmt. Und Sie wissen es auch. Die meisten von uns gehen im Laufe ihres Lebens als Christen durch viele verschiedene Phasen. Der Charakter dieser Phasen schwankt, wenn es Ihnen so ähnlich geht wie mir, zwischen Verzweiflung und Ekstase, aber egal, wo wir zu einem gegebenen Zeitpunkt gerade stehen, wir bleiben immer Glieder am Leib, wenn nicht etwas einzigartig Drastisches und Schreckliches geschehen ist.

Die Herausforderung, vor der jeder Einzelne von uns steht, ist ganz einfach, wenn auch manchmal erschreckend. Einmal abgesehen von einem bewussten Beharren in Ungehorsam und Sünde, werden wir uns zu all den guten und schlechten Dingen bekennen, die in unseren Brüdern und Schwestern vor sich gehen, als gingen sie in uns selbst vor sich und wären tatsächlich ein Teil von uns? Wenn Sie so wollen, ist das die andere Seite der Medaille, die Jesus uns zeigte, als er im siebten Kapitel des Matthäusevangeliums davon sprach, wie gefährlich und unerwünscht es ist, andere zu richten:

Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden.

Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen?, und siehe, ein Balken ist in deinem Auge. Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst.

Ganz ähnlich äußert sich Paulus im vierzehnten Kapitel des Römerbriefes:

Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden.

Denn es steht geschrieben (Jesaja 45,23): „So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.”

So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben.

Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.

So schwer es auch sein und so sehr es auch unser Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit herausfordern mag, es ist Gott sehr wichtig, dass wir fest zu unseren Mitchristen stehen, was immer sie auch gerade durchmachen. Sollten wir uns nicht darin abwechseln, füreinander Jesus zu sein, und zulassen, dass die Wahrheit gesagt wird, ohne dass wir mit Ablehnung oder Aggression reagieren oder bühnenreif in Ohnmacht fallen wie einer unserer modernen schauspielbegabten Fußballspieler oder wie eine viktorianische Romanheldin, die gerade herausgefunden hat, dass nicht alle Männer vollkommen sind? Jesus ist in der wirklichen Welt mitten unter uns, und es ist sein Gebot, dass wir die Wahrheit über uns selbst und über ihn sagen. So jedenfalls hat Paulus es gemacht, als er im ersten Kapitel seines ersten Briefes an Timotheus offen über sein Leben vor der Bekehrung sprach.

Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist.

Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der Erste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als Erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben. Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.

Darüber hinaus macht er in dem folgenden Auszug aus dem ersten Korintherbrief deutlich, dass er immer noch unter Schwächen leidet, obwohl wir frustrierenderweise in diesem Leben nie genau herausfinden werden, was sein berühmter „Pfahl im Fleisch“ eigentlich war.

Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.

Die Wahrheit wird uns frei machen – fürchte ich. Aber wo soll ich anfangen? Worüber soll ich die Wahrheit sagen? Die Liste der Kandidaten ist lang, aber auf Anhieb fallen mir vier Bereiche ein, von denen ich zwei in diesem Kapitel betrachten möchte und zwei im nächsten. Fangen wir mit einem besonders ergiebigen Thema an.

Zweifel

Verzeihen Sie, wenn sich das jetzt eingebildet anhört, aber ich habe die Goldmedaille in drei aufeinander folgenden Zweifelsolympiaden gewonnen und in weiteren vier Silber und Gold errungen. Ich bin vielseitig. Die Mühe, mich zu spezialisieren, habe ich mir nie gemacht. Sprint oder Marathon, das ist mir ganz egal. Ich liege bei den meisten Wettkämpfen vorn.

Der Zweifel war ein ständiger Begleiter in meinem Leben als Christ, seit ich vor vierzig Jahren zu Jesus sagte, ich wolle ihn „ja“ zu mir sagen hören, so wie er es zu dem Verbrecher am Kreuz auf Golgatha gesagt hatte. Besonders in Phasen, in denen alles, was ich tue, höre und sage, eine zermürbende, trostlose Gewöhnlichkeit an sich hat, hat es Zeiten gegeben, in denen ich die Achseln gezuckt und mir gesagt habe: „Warum in aller Welt glaube ich diesen Blödsinn überhaupt noch? Wir werden geboren, wir leben, wir sterben, und damit hat es sich. Sonst nichts. Kein Himmel, keine Hölle, kein Garnichts. Sei doch nicht blöd. Hör auf zu träumen und fülle endlich die Lebensjahre, die dir noch bleiben, mit Dingen, die dir Spaß machen.”

Als ich noch viel jünger im Glauben war als jetzt, las ich Abschnitte wie den folgenden aus dem ersten Kapitel des Jakobusbriefes und sie versetzten mich in Furcht und Zittern:

Wenn es aber jemandem unter euch an Weisheit mangelt, so bitte er Gott, der jedermann gern gibt und niemanden schilt; so wird sie ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht; denn wer zweifelt, der gleicht einer Meereswoge, die vom Winde getrieben und bewegt wird. Ein solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde. Ein Zweifler ist unbeständig auf allen seinen Wegen.

Das hat mich ziemlich deprimiert. Es war eine unbestreitbare Tatsache, dass ich häufig an Gottes Fähigkeit oder Bereitschaft zweifelte, auf meine Gebete zu antworten. Da hatte ich es also. Das traf genau auf mich zu. Hoffnungslos. Ich war wie eine Meereswoge, jemand, der nicht denken durfte, er werde etwas vom Herrn empfangen, ein Zweifler, unbeständig auf allen meinen Wegen. Welche Hoffnung gab es da noch für mich?

Um die Sache noch schlimmer zu machen, las ich auch, wie Petrus aus dem Boot auf das Wasser stieg und dann beim zweiten Schritt versank, weil sein Glaube plötzlich abtauchte. Plötzlich abtauchte? Ich wusste genau, dass ich nie in der Lage sein würde, auch nur jenen ersten Schritt zu tun, ohne die gelbe selbstaufblasende Rettungsweste unter meinem Sitz im Boot anzuhaben, mit einem Licht, das anging, sobald es nass wurde, und einer Pfeife, mit der ich auf mich aufmerksam machen könnte.

Ich dachte an die Jünger, die bei einer anderen Bootsfahrt mit Jesus die Nerven verloren, als ein Sturm aufkam und er fest schlief. Wenn ich dabei gewesen wäre, hätte ich mich dann wohl gelassen im Heck des Bootes zurückgelehnt und etwas Glaubensstarkes und Optimistisches gesagt wie dies:

„Also, um ehrlich zu sein, ich weiß gar nicht, wieso ihr euch so aufregt. Ich habe mir überhaupt keine Gedanken gemacht, und offen gesagt, ich bin überrascht und schockiert, dass ihr Burschen so einen albernen Aufruhr veranstaltet, wo ihr doch wisst, dass der Herr hier ist und alles bestens im Griff hat. Habt ihr denn aus der Sache mit den Broten und den Fischen gar nichts gelernt? Ich schon. Der arme Kerl ist völlig übermüdet. Ihr hättet ihn wirklich schlafen lassen sollen.”

Wohl kaum, fürchte ich. Im Gegenteil, ich wusste, ich wäre einer der Ersten gewesen, die panisch an seinem Ärmel gezerrt und im Boot herumgeschrien und ihn angefleht hätten, doch endlich aufzuwachen und etwas zu tun.

Es mag Sie überraschen oder auch nicht, dass es Momente am Ende von Veranstaltungen gegeben hat – Veranstaltungen, bei denen ich leidenschaftlich über den allgegenwärtigen, lebendigen Gott gesprochen hatte -, in denen mein Glaube mich komplett verließ und ich mich fühlte wie eine leere Hülle, eine Schale, und nichts hörte außer den schwachen Echos meiner eigenen faselnden Stimme in der dumpfen inneren Stille, die sich so plötzlich und unerwartet auf mich gesenkt hatte. Solche Momente sind kalt und finster und verwirrend. Ich hoffe, Sie haben solche Momente noch nie erlebt. Ich hoffe, Sie werden sie nie erleben. Sie sind der Abgrund und sie kommen aus dem Abgrund.

Da wären wir also. Das ist es, was ich über den Zweifel erfahren habe, oder zumindest so viel, wie ich für nötig halte, Ihnen zu erzählen. Auf den ersten Blick, denke ich, scheint es da gute Argumente dafür zu geben, mich mit Trommelschlag aus der christlichen Gemeinde zu verbannen. Ich soll doch ein Gläubiger sein, meine Güte, nicht jemand, der sich von einem zerbrechlichen Fleckchen Glauben zum nächsten schleppt und sich mit den Fingerspitzen an die Realität Jesu klammert. Doch die Wahrheit ist, dass die meisten von uns, wenn nicht sogar wir alle, schon durch das dunkle Tal des Zweifels gewandert sind. Was wir brauchen, ist ein bisschen Ehrlichkeit und Ermutigung. Was können wir also Nützliches über diesen ganzen Bereich sagen?

Wahre Hingabe

Als Erstes sollte ich sagen, dass es mir nie gelungen ist, meinen eigenen Ratschlag zu befolgen, was die Notwendigkeit angeht, den albernen Traum aufzugeben, von dem ich gerade gesprochen habe – den von Gott und der Nachfolge Jesu und dem ganzen Unsinn -, damit ich den Rest meines Lebens mit Dingen verbringen kann, die mir Spaß machen. Ich weiß, dass das meine tiefsten Bedürfnisse nicht befriedigen würde. An anderer Stelle habe ich gesagt, dass die Vorstellung einer Auslöschung, der Gedanke, am Ende der komplexen, mit Emotionen angefüllten Lebensreise auf eine stumme, finstere Wand zu treffen, in mir ein überwältigendes Gefühl der Klaustrophobie auslöst. Ich würde lieber glauben und mich dabei irren, als in einer Welt ohne Gott zu leben. Das ist einer der fundamentalen Gründe, warum Phasen des Zweifels bei mir immer damit enden, dass ich mich wieder in die Arme Gottes werfe wie ein kleiner Junge, der sich selbst mit einem Spiel erschreckt hat, das für ihn plötzlich so real wurde, dass er es mit der Angst zu tun bekam.

Das hört sich für Sie möglicherweise nicht besonders rational an, aber ich kann Ihnen sagen, dass es ein gutes Gefühl ist und dass es mich wieder auf die Spur setzt. Außerdem dürfte es wenig geben, was theologisch korrekter wäre als der Gedanke, sich Gott hinzugeben.

Wahre Barmherzigkeit

Zweitens gibt es eine Aufforderung im Brief des Judas (wahrscheinlich ein Bruder Jesu), von der wir annehmen können, dass sie wiedergibt, wie Gott zu diesen Dingen steht:

Und erbarmt euch derer, die zweifeln …

Und Jesus selbst gebietet im sechsten Kapitel des Lukasevangeliums:

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.

Ja, was für eine gute Idee. Seid barmherzig gegenüber anderen, wenn ihr auf Wolke neun schwebt und euch fühlt wie Billy Graham hoch drei und sie sich elend durch die graue Wüste der Erde schleppen und sich fragen, warum sie überhaupt je an Gott geglaubt haben. Nächste Woche, nächsten Monat oder nächstes Jahr seid ihr an der Reihe damit, dass ihr Ermutigung braucht. Seid barmherzig gegenüber Gott, der ständig verletzt wird durch die Härte, mit der seine Kinder manchmal sich selbst und andere verurteilen. Los, seid barmherzig.

Seid barmherzig gegenüber euch selbst, wenn der Zweifel sich bei euch einschleicht und ihr das nicht wollt, er es aber trotzdem tut. Wissen Sie, in einem gewissen Sinne ist es besser, diese negativen Gefühle anzunehmen, als gegen sie zu kämpfen. In den letzten Jahren habe mich mir eine Art und Weise des Umgangs mit diesem Problem angewöhnt, die für mich sehr wirkungsvoll ist. Versuchen Sie es einmal, vielleicht hilft es Ihnen auch. Es funktioniert so:

Wenn der Zweifel an Ihre Tür klopft, lassen Sie ihn herein. Bieten Sie ihm einen Platz in der Ecke an, aber unterhalten Sie sich nicht mit ihm und vor allem füttern Sie ihn nicht. Lassen Sie ihn bleiben, solange er möchte. Irgendwann wird er, gelangweilt und hungrig, von selbst verschwinden, wahrscheinlich dann, wenn Sie ihm den Rücken zuwenden und gerade mit etwas anderem beschäftigt sind. Im besten Fall werden Sie vergessen, dass er je da war; im schlimmsten Fall werden Sie erleichtert aufatmen, wenn Sie merken, dass Sie den Platz wieder zur Verfügung haben, den er eingenommen hat.

Natürlich weiß ich, dass das nur Worte sind, aber sie basieren auf etwas, was viel substanzieller und wichtiger ist. Der Zweifel wohnt nämlich nicht wirklich in Ihrem Haus, auch wenn er Sie beharrlich von Zeit zu Zeit besucht. Wenn wir einmal Nachfolger Jesu geworden sind, gibt uns Gott den Glauben ins Zentrum unseres Wesens hinein. Erinnern Sie sich an die folgenden Verse aus dem zweiten Kapitel des Epheserbriefes?

Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

Das ist deutlich, oder? Der Glaube ist eine Gabe Gottes, keine Laune, die wir uns selbst ausgedacht haben; und deshalb können wir davon ausgehen, dass der Glaube für uns der Normalzustand ist, so wie für Gott Barmherzigkeit der Normalzustand ist. Mit anderen Worten: Der Zweifel mag der schwarze Drachen sein, den wir manchmal in der Nacht steigen lassen, aber der Glaube ist der feste Boden unter unseren Füßen, selbst wenn unser Blick auf etwas anderes gerichtet ist und wir die Natur des festen Bodens, der uns trägt, vergessen haben. Wenn Gott mir die Gabe des Glaubens geschenkt und durch qualifizierte Engelschirurgen hat einpflanzen lassen, dann ist die Annahme, mein Glaube wäre wirklich verschwunden, ungefähr ebenso sinnvoll wie die Einbildung, eines meiner Beine wäre plötzlich weg.

Ja, wir wissen, dass der Glaube verloren gehen kann. Die Bibel macht deutlich, dass gläubige Menschen von der Wahrheit weggezogen werden und dass wir unseres Glaubens beraubt werden können, aber in der wunderbar gewöhnlichen, alltäglichen Welt von Christen wie Ihnen und mir, so glaube ich, dürfen wir gelassen und zuversichtlich sein, dass der Zweifel die Illusion ist (und was für eine lästige Illusion), der Glaube hingegen die Wirklichkeit.

Und wenn ich darüber nachdenke, bestätigt sich das ganz und gar in meiner täglichen Erfahrung als Christ. Wissen Sie, mitten in jenen dunklen und schweren Zweifelserfahrungen habe ich mich oft dabei ertappt, dass ich mit Jesus über diese Gefühle sprach, fast so, als hätten Glaube und Zweifel nur wenig miteinander zu tun. Nun, ich glaube tatsächlich nicht, dass sie viel miteinander zu tun haben. Ein solches Gespräch mag sich etwas neurotisch anhören, aber ich vermute, dass es in Wirklichkeit äußerst vernünftig ist. Die Jahre vergehen und ich leide immer noch an Zweifeln, aber was ihre Realität angeht, bin ich ein Agnostiker, ja fast ein Atheist.

Wahre Individualität

Mein dritter Punkt betrifft individuelle Unterschiede, und dies ist natürlich ein Bereich, der viel mehr umfasst als nur den Zweifel. Wir alle stecken in gewissem Maße in dem Dickicht aus all den Dingen fest, zu denen wir geworden sind, und auch wenn Gott uns erlöst, bleibt die völlige Beseitigung dieses Dickichts eine Aufgabe, mit der der Heilige Geist (mit unserer Mitarbeit) unser ganzes Leben lang beschäftigt sein wird. Bitte machen wir uns da nichts vor. Ich weiß, es gibt Leute, die den Gedanken nicht ertragen, dass das Leben als Christ ausgefranst und unbeholfen und manchmal zäh sein kann. Sie wollen Verklärung in Herrlichkeit oder gar nichts. Das ist der Grund, weshalb die Mehrzahl ihrer Mitglieder einer Täuschung erliegt, wenn man solche Leute eine Gemeinde leiten lässt, es ist auch der Grund dafür, dass die Gemeinde großes Geschick im Vorspiegeln falscher Tatsachen entwickelt oder verwirrt und nervös über ihre mangelnden Fortschritte im Vergleich mit dem „triumphalen“ Leben der anderen wird. Die Wahrheit, die in „Unser Gott ist vielerlei“ dramatisch zum Vorschein kommt, ist, dass wir Christen nicht nur sehr unterschiedliche Leute sind, sondern dass wir auch in unserem Verständnis, was Leben mit Jesus eigentlich bedeutet, auf völlig unterschiedlicher Stufe stehen.

Zum Beispiel hatten Bridget und ich einen Freund – inzwischen ist er bei Jesus -, der nach seiner katastrophalen Kindheit ein solches psychisches Wrack war, dass unsere Beziehung, was uns betraf, hauptsächlich dem Zweck diente, ihm gerade so das emotionale, manchmal auch das physische Überleben zu ermöglichen. Vielleicht gab es noch etwas anderes, was wir hätten tun können. Ich bezweifle es. Ich glaube, unsere Aufgabe war es, für diesen zerbrochenen Menschen Jesus zu sein, bis seine leidvolle Zeit auf der Erde zu Ende war und er durch einen einzigen Atemzug in der heilsamen Luft des Himmels und eine einzige Berührung durch die Hand des Vaters vollkommen geheilt werden konnte. Wir beten und wir arbeiten, und die Wunder überlassen wir Gott.

Was können wir auch sonst tun, so, wie wir nun einmal sind? Das ist die vernünftige Frage, die wir stellen müssen. Weil Gott Gott ist, wissen wir, dass es manchmal eine übernatürliche Antwort auf diese Frage gibt, aber in der Mehrzahl der Fälle und bis es so weit ist, müssen wir mit dem arbeiten, was wir haben und was wir sind. Das gilt für den Zweifel ebenso wie für alles andere. Das folgende Beispiel veranschaulicht dieses Prinzip.

Ich habe einen Freund, der seit fünfzig Jahren oder noch länger Christ ist, genauer gesagt seit seiner Jugendzeit. Beinahe vom Moment seiner Bekehrung an hatte er ein Herz fürs Predigen. Was meine ich damit? Ich meine, er ist innerlich getrieben, die frohe Botschaft von Jesus jedem zu predigen, der ihm zuhört, was er auch viele Jahre lang als Evangelist getan hat und in letzter Zeit als Ältester einer Gemeinde in unserem Ort tut. Es muss überall in Großbritannien Leute geben, die ihren Glaubensweg zu einem Nachmittag oder Abend zurückverfolgen können, an dem die Worte meines Freundes und die Kraft des Heiligen Geistes sie zu Jesus hinzogen. Dazu kommt, dass dieser Mann im persönlichen Kontakt eine Barmherzigkeit und eine Aufnahmefähigkeit ausstrahlt, die unzählige halsstarrige Geister aufgeweicht und vielen, vielen furchtsamen Herzen Erleichterung verschafft haben. Mein Freund ist alles andere als vollkommen, aber er hat sein Leben lang Gott gedient und jene ursprüngliche Motivation aus seiner Jugend hat nur selten nachgelassen.

Und dennoch.

Eben dieser Mann sagte neulich zu mir: „Ich versuche gerade, eine Predigt für Ostersonntag vorzubereiten. Gestern habe ich mich an den Schreibtisch gesetzt und zu Gott gesagt:, Wenn du existierst, hilf mir bitte, etwas Brauchbares zusammenzukriegen.`”

Das war kein Witz. Er meinte es genau so, wie er es sagte. Das ist einfach die Art meines Freundes. Wenn ich mehr Zeit hätte, könnte ich Ihnen erklären, wie verschiedene negative Aspekte seiner Kindheit es ihm sehr schwer gemacht haben, sich zuversichtlich an seiner Gotteskindschaft zu erfreuen. Andere Leute, die ich kenne, haben in solchen Bereichen Heilung erfahren. Dieser Mann nicht. Im Tun seiner Arbeit für Gott erwächst die Gabe des Glaubens in ihm und nistet sich in jenen Worten ein, die imstande sind, Menschenleben zu verändern.

Zwischen den Zeiten, in denen er sich im Normalzustand des Glaubens befindet und andere mit dem Evangelium erreicht, ist er fähig, in einem Sumpf der Verzweiflung zu versinken, in dem es keinen Gott gibt, und selbst wenn es einen gäbe, würde diese strenge Gottheit für eine so unwürdige und unentschlossene Pflaume von einem Diener niemals die Himmelspforten auftun.

Vielleicht finden Sie, dass mein Freund das alles inzwischen eigentlich überwunden haben müsste. Vielleicht ist da etwas dran. Ich bitte Gott schon seit vielen Jahren, ihm dabei zu helfen, und wenn Sie meinen, dass Ihre Gebete helfen können, bitte beten Sie, aber wann immer ich diesen Mann erwähne, bemerke ich aus dem Augenwinkel einen rätselhaften Ausdruck auf dem Gesicht Jesu.

Der Herr kennt meinen Freund und er kennt mich. Meinem Freund fehlt es an Gewissheit. Ich kann in anderer Hinsicht furchtbar unbeständig sein. Beide zusammen ergeben wir einen Christen, der an die Vaterschaft Gottes glaubt und zuverlässig und konsequent in seinem Umgang mit anderen Menschen ist. Wir sind der Leib Christi. Kann man ein Teil von etwas Besserem sein, wenn man weiß, dass man in vielen Bereichen unzulänglich ist und allein nicht zurechtkommt? Ich bezweifle es.

Heilung

Gehen wir weiter zu dem zweiten Bereich, in den wir etwas Licht zu bringen und über den wir einige Wahrheiten zu sagen versuchen wollen. Soweit ich sehe, werden nicht viele Leute von Gott geheilt. Ich höre zwar viel über Heilung, wenn ich durchs Land und durch die Welt reise, und habe schon eine Menge über so genannte ganzheitliche Heilung gelesen – worunter offenbar zu verstehen ist, dass zwar niemand geheilt, aber viel mit ernster Miene vor sich hin genickt wird. Vor ein paar Jahren besuchte ich einmal ein christliches Heilungszentrum und erkundigte mich, ob dort schon einmal jemand tatsächlich geheilt worden sei. Die Person, mit der ich sprach, lächelte geheimnisvoll und erwiderte: „Nun, das kommt darauf an, was Sie unter Heilung verstehen.”

„Ach so”, sagte ich ein wenig verdattert. „Ich schätze, darunter verstehe ich, dass jemand krank oder verletzt ist und im nächsten Moment nicht mehr, oder jedenfalls wenig später. So wie bei Jesus, als er hier war. Aussätzige und Blinde. So etwas eben.”

„Nun, Sie müssen wissen”, erklärte mir der Mann, „dass unser Anliegen hier darin besteht, auf die Heilung des ganzen Menschen an Leib, Seele und Geist abzuzielen.”

„Verstehe. Würde das dann auch den Ellbogen des Menschen einschließen, wenn der nicht richtig funktioniert?”

Er überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf.

„Ich glaube, regelrechte körperliche Heilungen von dieser Art haben wir hier noch nicht gehabt, aber es gab einmal eine Frau, deren Genesungszeit erheblich verkürzt wurde …”

Untersuchungen über dramatische Heilungsdienste sind allzu oft zu ausgesprochen niederschmetternden Ergebnissen gelangt. Mich packen Zorn und Traurigkeit, wenn ich an verletzliche Menschen denke, die in Scharen in riesige Stadien strömen, in der verzweifelten Hoffnung, irgend so ein unverschämt selbstbewusster Showstar, der für die meisten von ihnen nur ein Punkt in weiter Ferne ist, werde eine göttliche Heilungskraft in ihr Leben ausgießen. Ich wünsche jedem, der einen echten Heilungsdienst hat, reichen Segen, aber ich bete, dass Gott all die überführen möge, die in ihrem innersten Herzen wissen, dass sie Betrüger sind, die sich eben jene Menschenmassen zunutze machen, die in Jesus solch zupackende Barmherzigkeit entfachten. Eine schlimmere, teuflischere Grausamkeit, als Leidenden die Gewissheit der Heilung anzubieten, wenn dieses Versprechen nichts als eine Lüge und eine Illusion ist, lässt sich kaum vorstellen.

Die Wahrheit über Heilung ist so leicht zu verschleiern. Ich habe oft zu dieser Vernebelung beigetragen und hätte mir jedes Mal hinterher am liebsten in den Hintern getreten. Eine Frau erzählt mir, die Kusine eines Freundes ihres Bruders sei von einer unheilbaren Krankheit geheilt worden, und ich lächle und nicke unverbindlich, weil es mir unfreundlich und mühsam erscheint, das Gesagte in Frage zu stellen oder zu widersprechen, obwohl ich mir völlig sicher bin, dass hier keine übernatürliche Heilung im Spiel war.

Und was ist so furchtbar falsch an dieser unverbindlichen Zustimmung, fragen Sie? Gott bekommt doch die Ehre und wir fühlen uns alle ein bisschen besser. Warum nicht? Nun, es ist doch blendend offensichtlich, dass Gott keine Ehre für ein Wunder einheimsen will, das er gar nicht getan hat. Danken Sie ihm von ganzem Herzen für Ihre Genesung oder alles Gute, was Ihnen passiert, sicher, denn alles Gute kommt sowieso von ihm, aber lassen Sie uns keine Spielchen mit der übernatürlichen Macht Gottes treiben, und seien sie noch so gut gemeint. Erbärmliche Reaktionen wie die eben geschilderte haben den Effekt, den echten Heilungsdienst des Heiligen Geistes zu verwässern und davon abzulenken, und das wollen wir doch nicht, oder?

Wenn mein Bein wehtut

In vielen Teilen der Gemeinde Jesu geht man irgendwie davon aus, nur mangelhafte Technik und Methode seien daran schuld, dass wir nicht die Art von Heilungen erleben, von denen in den Evangelien die Rede ist. Vielleicht muss man nur ein bisschen an den Reglern drehen. Auf der persönlichen Ebene ist es leicht, in diese Falle zu tappen. Als ich anfing, diesen Abschnitt zu schreiben, wurde mir klar, dass ich es selbst in letzter Zeit nicht anders gemacht habe, weil mir mein Bein ziemlich wehtat. Auf die absurde Spitze getrieben, läuft das Spielchen so:

Phase eins: Mein Bein tut weh; also frage ich Gott, ob er so nett ist, es zu heilen. Er tut es nicht. (Es sei denn nach der Definition unserer ganzheitlichen Freunde, deren Anliegen es wäre, darauf hinzuweisen, dass meine Seele und mein Geist doch in Ordnung seien, und wäre ich nicht auch der Meinung, dass zwei von drei gar nicht übel sei? Worauf ich mit einiger Schärfe erwidern würde, ich hätte mir ja auch bei meinem Sturz im Bad nicht die Seele oder den Geist verletzt.)

Phase zwei: Mein Bein tut immer noch weh, aber ich habe mich an ein Buch aus den Sechzigern erinnert, geschrieben von jemandem, dessen Namen ich nicht mehr weiß, in dem es heißt, wenn wir Gott laut für seine Antwort auf unsere Gebete preisen, obwohl er noch gar nicht darauf geantwortet hat, dann werde er es tun. Ich lege einen weiten Weg zu einer abgeschiedenen Stelle zurück und preise Gott laut und lange dafür, dass er mein Bein geheilt hat. Für den Rückweg von der abgeschiedenen Stelle muss ich mir ein Taxi nehmen, weil nach dem langen Fußmarsch zu der abgeschiedenen Stelle mein Bein so wehtut.

Phase drei: Mein Bein tut immer noch weh. Mir fällt ein, dass ein Prediger einmal sagte, man müsse die Verheißungen in der Bibel „in Anspruch nehmen”. Gute Idee. Ich beschließe, die Verheißung aus der Stelle, wo es heißt, dass ein Vater einem keinen Stein gibt, wenn man um einen Fisch bittet, in Anspruch zu nehmen. Ich bitte Gott, mein Bein zu heilen, und erinnere ihn kurz an seine Verheißung, für den Fall, dass er sie vergessen hat. Er gibt mir keinen Stein, unternimmt aber auch nichts wegen meinem Bein. Einen Fisch gibt er mir auch nicht. Nicht einmal eine Ölsardine.

Phase vier: Mein Bein tut immer noch weh, aber jetzt ist mir klar, wie blöd ich war. In den Evangelien hat Jesus doch fast immer den Leuten erst ihre Sünden vergeben, bevor er sie körperlich geheilt hat. Natürlich! Auf dem Weg in die Stadt zum Einkaufen bekenne ich alle Sünden, die mir einfallen. Am Ende schleppe ich mich mühsam durch den Supermarkt, überwältigt vom Gewicht meiner offenbarten Sünden und meiner Einkäufe, was mir auch nicht erleichtert wird durch den Umstand, dass mir dauernd das Bein einknickt.

Phase fünf: Mein Bein tut immer noch weh. Auf dem Rückweg vom Einkaufen wird mir klar, was für ein geistlicher Hasenfuß ich in dieser Angelegenheit bisher gewesen bin. Menschenskind! Was ist nur los mit mir? Ich bin ein Kind des Höchsten, ein Bürger des Reiches Gottes. Also beschließe ich, dem Schmerz in meinem Leib mit aller mir zur Verfügung stehenden Vollmacht zu gebieten. Hätte auch funktionieren können, nur dass just, als ich gerade meinem Bein ein paar Kommandos zubrülle, jemand um die Ecke kommt. Alles Gestotter macht die Sache nur noch peinlicher. Humple heim.

Phase sechs: Mein Bein tut immer noch weh, aber jetzt fällt mir auf, dass Jesus den Leuten immer sagte, ihr Glaube hätte ihnen geholfen. In seiner Heimatstadt konnte er nur sehr wenige Wunder tun, weil die Bewohner keinen Glauben hatten. Ich bekenne meinen Unglauben und bete um mehr Glauben. Dann fällt mir ein, dass ich mein Bein hätte erwähnen sollen.

Ich habe beschlossen, die ganze Sache mit der Heilung auf sich beruhen zu lassen. Von jetzt an, teile ich Gott mit, werde ich einfach darauf vertrauen, dass du mir gibst, was ich brauche, ohne mich zu beklagen, dass du mir nicht gegeben hast, was ich will. Insgeheim hoffe ich, er würde sich über meine Ergebenheit in seinen Willen so freuen, dass er zur Belohnung mein Bein heilen würde. Tut er aber nicht.

Phase sieben: Mein Bein tut immer noch weh. Ich bitte Gott, alle bisherigen Eingaben meinerseits bezüglich meines Beines zu ignorieren. Lass es so sein, als hätte ich nie von meinem Bein und dem Umstand, dass es wehtut, gesprochen. Ein unbeschriebenes Blatt. Ein reiner Tisch. Zurück auf Los. Ein neuer Anfang. Ein geheiltes Bein? Offenbar nicht.

Phase acht: Jetzt tut mein Bein erst richtig weh. Na schön, allmählich stinkt es mir. Was muss man denn tun, um hier mal eine kleine Heilung zu erleben? Egal, was ich sage oder nicht sage, es scheint alles nicht zu wirken. Ich muss wohl davon ausgehen, dass Gott entweder doch nicht existiert oder dass er nicht will, dass mein Bein geheilt wird. Wenn es sich nicht bald bessert, muss ich wohl doch nachgeben und zum Arzt gehen …

Hört sich das lächerlich übertrieben und kindisch an? Ist es auch, aber ich fürchte, zumindest bei mir ist es nicht unendlich weit von der Wahrheit entfernt. Wie ist es bei Ihnen?

Wahrheit, Gehorsam und Gott

Nachdem ich all diese ziemlich negativen Dinge gesagt habe, wie stehe ich denn nun zum Thema Heilung? Zweifellos gibt es manche, die, nachdem sie das bisher Gesagte gelesen haben, am liebsten durch meinen Computerbildschirm zu mir durchbrechen würden, um mir von ihrer eigenen konkreten und dokumentierten Heilung zu erzählen. Andere werden mir von ihrem Dienst berichten wollen, in dem Hunderte von Menschen geheilt werden und sich die Kraft Gottes stündlich, täglich, wöchentlich oder monatlich manifestiert. Bitte machen Sie sich keine Mühe. Trotz allem, was ich gesagt habe, muss man mich nicht davon überzeugen, dass das der Fall ist. Ich bin dankbar und freue mich über jeden wahren Bericht über Heilungswunder, den ich höre. Obwohl mein Bein immer noch wehtut (hörst du zu, Herr?), glaube ich von ganzem Herzen, dass Gott heilen kann, dass er heilen will, dass er heilt und in den kommenden Jahren noch viel mehr durch seine Gemeinde heilen wird.

Mein Mangel an Vertrauen richtet sich nicht auf Gott, sondern auf Männer und Frauen, und diese Sicht der Dinge teilte auch Jesus selbst, wie wir aus dem zweiten Kapitel des Johannesevangeliums lernen können.

Als er aber am Passafest in Jerusalem war, glaubten viele an seinen Namen, da sie die Zeichen sahen, die er tat. Aber Jesus vertraute sich ihnen nicht an; denn er kannte sie alle und bedurfte nicht, dass ihm jemand Zeugnis gabvom Menschen; denn er wusste, was im Menschen war.

Ich bin einer dieser Menschen, von denen dieser Abschnitt spricht, und deshalb weiß ich, wie leicht es ist, mir selbst etwas vorzumachen. Alles, worum ich bitten möchte, ist, dass wir versuchen, die Wahrheit zu sagen.

Hier sind ein paar Punkte, die zu bedenken sich vielleicht lohnen würde.

Erstens: Im zwölften Kapitel des ersten Korintherbriefes stellt Paulus die rhetorische Frage: „Sind alle Wundertäter?”, womit er zu verstehen gibt, dass manche diese Gabe nicht haben. Im selben Kapitel zählt er Heilung als eine konkrete Geistesgabe zusammen mit Weisheit, Zungenrede, Prophetie und anderen auf. Vielleicht sollte jeder von uns Gott fragen, ob diese eine konkrete Gabe ist, die er uns geben möchte, und wenn ja, was wir deswegen unternehmen sollten.

Zweitens: John Wimber, vor dem ich die größte Achtung hatte, wurde vom Heiligen Geist dazu veranlasst, als Gehorsamsschritt ein Jahr lang über die Wirksamkeit des Heilens zu predigen. Während dieser Zeit wurde keiner der Leute, die zu ihm kamen, um über sich beten zu lassen, geheilt; etliche von ihnen starben sogar. Erst, nachdem er zwölf Monate lang treu getan hatte, was ihm aufgetragen war, kam es zu einer dramatischen Veränderung und fünfundsiebzig Prozent der Leidenden, die zu ihm kamen, fanden Heilung. Wie wichtig ist es uns eigentlich, in unseren Gemeinden Heilung zu erleben? Es werden zwar nicht zwei Leute genau denselben Weg zurücklegen, aber es sieht doch so aus, als würde Gott uns wahrscheinlich abverlangen, dass wir diese Dinge ernst nehmen.

Drittens: Was immer wir über eine konkrete Gabe oder über Wimbers einjährige Probezeit sagen, die dramatischste und plötzlichste Heilung, von der ich weiß, ereignete sich, als eine neu bekehrte Christin hörte, wie der Heilige Geist ihr etwas ins Ohr flüsterte, während sie in einer Versammlung saß. Sie war so mutig und gehorsam, die heilenden Hände Jesu zu der Person (einer Freundin von uns) zu bringen, die gerade vorne sprach, und wurde damit belohnt, dass sie Zeugin einer bemerkenswerten körperlichen Verwandlung wurde. Wenn ich ein Nachfolger Jesu bin, kann es passieren, dass ich aufgefordert werde, ihm plötzlich und unerwartet zu einem Ort zu folgen, wo ich noch nie zuvor gewesen bin und zu dem ich, je nachdem, was Gottes Wille ist, in Zukunft wieder gelangen werde oder nicht. Auf den Gehorsam kommt es an. Schauen Sie Ihre Hände an. Los, schauen Sie sie an. Gehören sie Ihnen oder gehören sie ihm?

Viertens, vielleicht das Wichtigste: Wie mein dritter Punkt zeigt, ist Gott am Ruder. Er tut, was er will und wann er es will. Er heilt, wen er heilen will. Er heilt nicht, wen er nicht heilen will (einschließlich eines gewissen Beines). Sie können die Bibel studieren, bis Sie blau anlaufen, wie es schon manche farbenfrohe Zeitgenossen getan haben, und die am feinsten verästelte und gegliederte Theologie der Heilung ausarbeiten, die zusammenzustellen das menschliche Gehirn in der Lage ist. Doch was Sie nie schaffen werden, ist, eine Liste von Regeln und Techniken aufzustellen, die übernatürliche Heilung zu so etwas wie einer messbaren oder quantifizierbaren Wissenschaft machen. Unter Laborbedingungen findet sie einfach nicht statt. Und ich sage Gott Dank dafür. Ich wünsche mir einen weisen Vater und keinen effizienten Gesundheitsfunktionär.

Wenn wir Jesus anschauen, sehen wir im Neuen Testament, wie er im Zuge seines Wirkens Hunderte von Menschen heilte. Hier sind als Kostprobe zwei Passagen aus dem Markusevangelium, eine aus dem ersten und eine aus dem sechsten Kapitel:

Am Abend aber, als die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen. Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür. Und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Gebrechen beladen waren, und trieb viele böse Geister aus und ließ die Geister nicht reden; denn sie kannten ihn.

Und als sie hinübergefahren waren ans Land, kamen sie nach Genezareth und legten an. Und als sie aus dem Boot stiegen, erkannten ihn die Leute alsbald und liefen im ganzen Land umher und fingen an, die Kranken auf Bahren überall dorthin zu tragen, wo sie hörten, dass er war. Und wo er in Dörfer, Städte und Höfe hineinging, da legten sie die Kranken auf den Markt und baten ihn, dass diese auch nur den Saum seines Gewandes berühren dürften; und alle, die ihn berührten, wurden gesund.

Das floss nur so, nicht wahr? Weil Jesus da war, weil er Anteil nahm und weil die Kraft in ihm war, brauchten die Leute nur den Saum seines Gewandes zu berühren und es ging ihnen besser. Die Luft muss geradezu vibriert haben von der Möglichkeit und der Aussicht auf Heilung und Gesundheit. Aufregend!

Dasselbe erlebten die Jünger, nachdem er ihnen die Vollmacht gegeben habe, jeweils zu zweit loszuziehen und es ohne ihn zu versuchen. Jesus trug ihnen auf, die frohe Botschaft zu verbreiten und zu heilen. Genau das taten sie. Als sie aufgeregt zurückkamen, erzählten sie ihm, sogar die Dämonen hätten ihnen gehorcht.

Ist es das, was Jesus auch mit uns vorhat? Sollten die Heilungsströme immer noch so fließen, und wenn ja, was können wir dazu beitragen, damit das möglich wird? Wir wollen damit nicht herumpfuschen und keine Spielchen damit spielen. Wenn unser Denken falsch ist, wollen wir Jesus bitten, es zu korrigieren. Wenn wir träge geworden sind und uns nicht ernsthaft genug hinter die Sache klemmen, bitten wir Jesus, uns an die Kandare zu nehmen und unsere Hingabe zu stärken. Wenn unsere Beziehung zu ihm verarmt und lieblos geworden ist, bitten wir ihn, uns zu helfen, jene Nähe und in der Folge die Barmherzigkeit für andere zurückzugewinnen, die Heilung möglich machen könnte. Denn was immer er will, das wollen wir auch, oder zumindest wollen wir es wollen. Denn er war und ist der große Heiler.

Im Nebel auf dem Wasser gehen

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