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Kapitel 3
ОглавлениеWeiß und Grau und Blau
Sie spürte ein Kitzeln und zuckte zusammen. Die Schnurrbarthaare des kleinen Hundes streiften über ihre Wangen und ihren Hals. Mit einer einzigen ruckhaften Bewegung warf sie sich herum. Der Hund, der sich kurz zuvor noch auf- beziehungsweise über ihr befunden hatte- die kleinen Pfoten fest auf ihre Schultern gedrückt-, purzelte nun neben sie, hinter sie. Während sie auf der Seite lag und die ersten Gedanken dieses Tages sich grimmig in ihrem Kopf sammelten, rappelte der kleine Hund sich auf und rollte sich an ihren Kniekehlen zu einer kleinen Kugel ein. Er seufzte auffällig laut und ließ seine kleinen, pelzigen Augenlider langsam sinken. Sie musste schmunzeln über ihn und die grimmigen Gedanken verschwammen kurz. Dann verdeutlichten sie sich wieder. Sie würde nicht mehr einschlafen, was bedeutete, dass der Tag länger sein würde. Sie seufzte. Kurz darauf berührte etwas nasses ihre Wange. Der Hund war hinter ihr zaghaft mit dem Schwanz wedelnd aufgestanden und als sie den Kopf in seine Richtung drehte, sahen sie seine Knopfaugen durchdringend an. „Jaja“, murmelte sie und beschloss aufzustehen. Schließlich warteten die Grauen, die Tauben. Seit dem Tod des alten Mannes lebten sie ganz allein in dem alten Haus. Sie waren es gewohnt, tagsüber draußen zu sein und abends, wenn sie wieder drinnen waren, musste man das Haus abschließen. Sie schlurfte in die Küche und setzte Kaffee auf, nahm sich einen Apfel und legte dem Hund sein Geschirr an. Damit man nicht sehen konnte, wie zerzaust ihr Haar war, setzte sie sich die Wollmütze auf. Als sie, den ersten Bissen des Apfels kauend, vor die Haustür trat, bemerkte sie mit betretener Miene, dass heute Altpapier abgeholt wurde. Oder worden war. Um wenigstens den Anschein zu wahren, sie hätte es nicht vergessen, zerrte sie ihre halbvolle Tonne in Richtung Straße. Der kleine Hund kläffte.
Die Tauben saßen bereits gurrend vor den Fenstern, als sie das Haus erreichte. Der kleine Hund regte sich fürchterlich über einen größeren Hund auf, der ihn seinerseits ignorierte. Das Ende der Leine quetschte ihre Hand und sie spürte, wie viel Kraft der kleine Hund hatte. Sie warf den abgenagten Rest des Apfels in hohem Bogen in das Gebüsch. Der Besitzer des großen Hundes schüttelte den Kopf und sie fühlte sich sofort sehr schlecht. War sie das, was sie dachte, was alle von ihr dachten? Und nicht nur das .Noch dazu arbeitslos und vielleichtwürde das Amt sie bald zwingen einen ganz schlimmen Job anzunehmen. Der sie in die Knie zwingen würde. Sie hatte doch wirklich genug zu tun: der kleine Hund, die Tauben, ihr Haushalt. Und das alles bekam sie nur so gerade hin. Ihre Fenster sahen furchtbar aus und vor ihrem Kühlschrank ekelte sie sich fast schon. Ihr war nicht bewusst, dass es nicht ihre Schuld war. Sie war halbwegs gesund zur Welt gekommen und dann war eine Katastrophe nach der anderen über sie gerollt, bis sie so geplättet gewesen war, dass sie schon zitterte, bevor auch nur Irgendetwas passierte, passieren konnte. Bis sie in die Psychiatrie gekommen war und es mit Tabletten etwas besser geworden war. Sie wieder schlafen konnte. Und musste. Oft auch tagsüber.
Und jetzt, jetzt lief es eigentlich alles ganz gut. Sie lächelte, oft das einzige Lächeln des Tages, während die Tauben sich, eine nach der anderen, scheinbar in Zeitlupe, in die Luft hoben, dann an Geschwindigkeit gewannen und die grauen Gefieder als unregelmäßige Punkte das Blau und Weiß des Himmels eroberten. Der Aufbruch in den Tag. Heute Abend würde sie wieder hier sein und sie kämen zurück, würden durch die Haustür fliegen und das Futter picken, was sie ihnen hingestreut hätte.