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Kapitel 2 Das Felsenreich

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Kapitel 2

Das Felsenreich

eara wachte auf, als ihr die Sonne warm ins Gesicht schien. Fio´rah stand am Feuer und kochte Tee.

»Ich habe Kleider für euch besorgt. Probier sie an.«

Ceara streckte sich und stand vorsichtig auf, um Daron nicht zu wecken, der etwas im Schlaf murmelte und sich wieder umdrehte. Anschließend probierte sie die Lederhose und das Leinenhemd an, das Fio´rah ihr gebracht hatte. Es passte beinahe perfekt.

»Danke, Fio´rah und vor allem, dass du mir geholfen hast zu fliehen.«.

»Es war mir eine Ehre, aber ich weiß auch, dass du das Gleiche für mich getan hättest.«

Ceara nickte, dann überzog ein spitzbübisches Grinsen ihr Gesicht. »Na ja, der Platz als Königin ist ja jetzt wieder frei, also, wenn du willst …«

Fröhlich lachend schüttelte Fio´rah den Kopf und hunderte silberblonder Zöpfe wirbelten um sie herum. »Nein danke, selbst wenn wir Fiiljas uns mit Menschen einlassen würden, dann wäre Adamath der Letzte, der mir in den Sinn käme.«

»Ich habe dich ja noch nie gefragt, aber hast du eigentlich einen Freund?«, fragte Ceara.

»Natürlich habe ich Freunde«, erwiderte Fio´rah verständnislos. »Daron, du, Alan ...«

Ceara unterbrach sie lächelnd. »Ich meinte, eben etwas mehr, als nur Freundschaft. Einen Mann, mit dem du zusammen sein willst.«

Nun schien Fio´rah zu verstehen, aber dann seufzte sie und schüttelte den Kopf. »Wie gesagt, wir verbinden uns nicht mit Menschen. Wir Fiiljas sind nur noch eine sehr kleine Gruppe von Frauen. Es gab früher auch männliche Fiiljas, aber an die kann ich mich nicht mehr erinnern. Es war lange vor meiner Geburt, da wurde unser Volk von Trollen und Menschen beinahe ausgerottet. Nur einige wenige Frauen blieben übrig und als der letzte Mann getötet wurde, bildeten sie die Schwesternschaft und erlernten das Kämpfen. Ich bin eine der Letzten, die geboren wurde.«

»Das ist traurig«, sagte Ceara. »Aber hast du denn nie versucht, mit einem menschlichen Mann zusammenzusein?«

»Nein, das würde nicht funktionieren. Aber es ist auch nicht so schlimm. Wir glauben, dass die Männer in der nächsten Welt auf uns warten.«

»Ja aber«, plötzlich kam Ceara ein erschreckender Gedanke, »dann wird es ja irgendwann keine Fiiljas mehr geben!«

»Da hast du leider Recht.« Sie legte Ceara eine Hand auf den Arm. »Aber wir können sehr alt werden, falls wir nicht ermordet werden.« Ceara war sehr betrübt, aber Fio´rah meinte aufmunternd: »Sei nicht traurig. Wir haben uns vor langer Zeit damit abgefunden.«

Etwas später wachte Daron auf, blinzelte verschlafen, und streckte sich, wobei er das Gesicht verzog. Ihm tat immer noch alles weh.

»Es ist schon spät, ihr hättet mich wecken sollen«, sagte er anklagend, stand etwas steif auf und setzte sich ans Feuer.

»Wir wollten dir noch etwas Schlaf gönnen.« Fio´rah gab ihm eine Schale mit Tee.

»Aber wir müssen weiter.« Er blickte sorgenvoll auf die Sonne, die durch die Bäume schien.

»Und du müsstest dich eigentlich noch ein paar Tage ausruhen«. Fio´rah betrachtete ihn kritisch.

Dem konnte Ceara nur zustimmen, doch Daron schüttelte entschieden den Kopf. »Wir müssen weiterreiten. So lange wir in Huellyn sind, ist es zu gefährlich.«

Das konnten seine Freunde leider nicht bestreiten. So packten sie ihre Sachen zusammen, verwischten die Spuren, und ritten im Schutz des Waldes in Richtung Norden. Immer wieder hörten sie das Geheul von Schattenwölfen und einmal konnten sie sich gerade noch rechtzeitig vor einer Gruppe Soldaten verstecken. Daron erholte sich relativ schnell wieder, er war heilfroh, dem Kerker entkommen zu sein. Am Rande des Nyrmensees umgingen sie die Dörfer, die im Norden Huellyns lagen, ritten das kurze Stück ins Grasland, und erreichten bald das Felsenreich.

»Wir werden die Pferde bald zurücklassen müssen. Je weiter man nördlich kommt, umso felsiger wird es«, sagte Daron eines Tages bedauernd. »Wir können es nicht wagen, über die Straße zu reisen.«

»Wir wissen ja nicht einmal, wo wir hin müssen«, knurrte Alan missmutig.

Nachdem er sich damit abgefunden hatte, dass Ceara und Daron nun ein Paar waren, wollte er unbedingt zurück nach Drago´llaman, um das Höhlenmädchen Nara zu besuchen. Aber das würde, wie es aussah, noch dauern.

»Ich denke, es handelt sich bei der Rune, die in dem Gedicht genannt wird, um einen Platz in den unterirdischen Höhlen, die den gesamten Norden durchziehen. Dort wird Eisen und Silber abgebaut. Wir können es wohl nur versuchen.« Daron blickte nach Norden. »Das Gedicht war ja leider nicht ganz eindeutig.«

Auch Fio´rah hatte sich bereits ihre Gedanken gemacht, wo sie die nächste Rune finden sollten. Wieder einmal wurde ihnen der Verlust von Myrthan schmerzlich bewusst. Vielleicht hätte er ihnen helfen können.

Am Abend lagerten sie im südlichen Teil des Felsenreichs und entzündeten ein rauchloses Feuer. Es war ziemlich warm und blieb lange hell. Ceara und Daron saßen auf einem der hohen Felsen, die das Land bedeckten und hielten gemeinsam Wache. Unter ihnen zupften die Pferde friedlich das spärliche Gras.

»Weißt du noch, das erste Mal, als du hier warst, haben wir nicht weit von hier gelagert.« Daron schlang von hinten seine Arme um sie.

Ceara lehnte den Kopf an ihn. Im Westen ging die Sonne gerade blutrot unter und die Monde begannen langsam aufzugehen. »Es ist ziemlich viel passiert seitdem.«

Daron lachte leise auf. »Ich habe dich wirklich für einen Mann gehalten. Ich weiß gar nicht mehr, wie mir das passieren konnte.« Liebevoll fuhr er ihr durch die langen Haare, welche die Farbe von dunklem Bernstein hatten.

Verträumt drehte Ceara den Kopf zu ihm. »Tja, ich hätte mir damals auch nicht vorstellen können, so mit dir hier zu sitzen.«

Sie schauten beide dem Sonnenuntergang zu und Ceara seufzte irgendwann: »Ich könnte für immer hier sitzen bleiben.«

Stumm drückte Daron ihr einen Kuss auf die Stirn und war einfach nur glücklich, mit ihr hier zu sein.

»Was machen wir eigentlich, wenn wir alle Runen haben und Adamath besiegt ist?«, fragte Ceara plötzlich.

Daron zuckte leicht zusammen. »Darüber sollten wir uns erst Gedanken machen, wenn es soweit ist.«

»Hmm.« Ceara wirkte nicht sehr zufrieden. »Wo würdest du denn gerne leben, wenn es keinen Adamath mehr geben würde?«

»Ich weiß nicht«, murmelte er und blickte zu Boden. Daron wusste nicht, wie viel Zeit ihm noch mit Ceara blieb, bis Norn sein Leben einforderte.

»Also in Drago´llaman hat es mir schon ganz gut gefallen, obwohl es dort wohl auf Dauer ziemlich kalt ist. Myth´allan ist auch wunderschön. Oder die Westküste in Monalyth …«, fuhr sie unbekümmert fort.

»Dann werden dir die nördlichen Hügel von Fearánn gefallen.« Darons Stimme klang ein wenig belegt. »Dort ist es nicht so düster wie im südlichen Teil und es gibt viele Wasserfälle und Seen. Im Nordwesten liegen sehr schöne Buchten mit weißem Sand.«

»Na, dann könnten wir vielleicht dorthin gehen«, erwiderte Ceara gut gelaunt und blickte sich dann mit einer hochgezogenen Augenbraue zu ihm um. »Oder willst du nirgends mit mir zusammen leben?«

Mit einem traurigen Lächeln schüttelte er den Kopf. »Es gibt niemanden, mit dem ich lieber irgendwo leben würde, wo auch immer. Ich weiß nur nicht …«, begann er, brach dann aber ab.

»Was ist denn?«

»Nichts.« Daron nahm sie fest in den Arm. »Lass uns einfach abwarten was kommt und die Zeit genießen, die wir zusammen haben.«

Ein wenig verwundert war Ceara schon. Sie wusste nicht, was er mit seinen Worten ausdrücken wollte, doch sie fragte nicht weiter nach. Daron machte sich oft zu viele Sorgen. Die Nacht war mild und sternenklar. Es herrschte eine so friedliche und magische Stimmung, dass man gar nicht glauben mochte, dass es überhaupt etwas Böses in dieser Welt geben konnte.

Irgendwann kam Bran zu ihnen hinauf. »Ich wollte euch ablösen. Aber so wie ich das sehe, möchtet ihr gar nicht abgelöst werden«, sagte er lächelnd.

Ceara lächelte glücklich zurück. »Eigentlich bin ich schon ein wenig müde, aber diese Nacht ist so wunderschön, dass man sie eigentlich gar nicht mit Schlafen vergeuden möchte.«

Bran setzte sich auf den Felsen. »Auf jeden Fall werde ich jetzt aufpassen. Ihr könnt ja tun, was immer ihr wollt.«

Ceara und Daron nickten, dann standen sie auf. Hand in Hand schlenderten sie über die Felsen und blickten hinauf in den Sternenhimmel. Der Mond im Osten leuchtete silbern auf sie herab, während der im Westen ein eher rötliches Licht abstrahlte.

Plötzlich drückte Daron Ceara ganz fest an sich. »Ich möchte, dass du dich für immer an diesen Moment erinnerst, egal was passiert. Jetzt bin ich glücklich.«

»Natürlich«, sagte sie und blickte ihn verwirrt an. »Was ist denn mit dir?«

»Nichts, aber falls wir einmal getrennt werden, dann sollten wir diese Nacht in uns bewahren.«

»Aber wir lassen uns nicht mehr trennen!«

»Das weiß man nie.« Daron seufzte.

Ceara pikste ihn in die Seite und sagte betont fröhlich: »Du sollst nicht immer alles so negativ sehen.«

Mit bedrücktem Gesichtsausdruck nickte er und gab ihr einen langen Kuss.

Am nächsten Tag kamen sie noch recht gut mit ihren Pferden voran. Doch dann wurde es derart felsig, dass sie absteigen mussten. Alle nahmen ihren Pferden Zaumzeug und Sattel ab und ließen sie frei. Dann kletterten sie über die glatten Felsen und durch tiefe Schluchten. Das ganze Felsenreich wirkte wie ein gigantisches Labyrinth.

»Haben hier früher wirklich Zwerge gelebt?«, fragte Bran schnaufend, als sie mal wieder eine hohe Felswand überwunden hatten.

»Das erzählt man sich zumindest«, bestätigte Fio´rah. »Die vielen Höhlen und Stollen, die den gesamten Norden durchziehen, können fast nur Zwerge gebaut haben. Die Gänge sind sehr niedrig und um an das Silber und Eisen zu kommen, haben Adamaths Leute sie sehr viel höher machen müssen.«

»Und wo sind die Zwerge jetzt hin?« Alan wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es wurde jeden Tag wärmer, doch zum Glück wehte hin und wieder eine erfrischende Brise.

»Ich denke, sie sind durch das Weltentor verschwunden, ebenso wie die Elfen«, vermutete Fio´rah und Alan nickte halbwegs befriedigt.

Es war ein mühseliger Weg durch das felsige Land und es schien ihnen, als kämen sie ihrem Ziel kaum näher. Das Schloss, von dem die Felsengänge abzweigen sollten, ragte zwar hoch über dem Land empor, doch irgendwie schien sich die Distanz einfach nicht merklich zu verringern.

An einem warmen Sommerabend saßen alle gemeinsam am Feuer, als plötzlich eine unnatürliche Stille eintrat. Ihnen stellte sich die Gänsehaut auf.

Fio´rah, die sich als Erstes gefangen hatte, löschte rasch das Feuer und schrie: »Versteckt euch!«

Alle hasteten in den Schutz einiger Felsen und schon erschien ein unheilverkündender Schatten am Himmel, kreiste über ihnen, und stieß einen entsetzlichen, lautlosen Schrei aus, der allen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Kurz darauf waren jedoch zum Glück wieder die normalen Geräusche der Abenddämmerung zu hören.

Ceara kauerte kalkweiß unter einem Felsen und zuckte zusammen, als Daron sie in den Arm nahm.

»Der Krăădan ist weg, keine Angst.«

Ceara stand zittrig auf. Die schrecklichen Gefühle, die diese Kreatur schon einmal bei ihr hervorgerufen hatte, waren plötzlich wieder da. Der geflügelte Dämon hatte sie damals in den Schwarzen Bergen verletzt und Ceara war nur knapp mit dem Leben davongekommen. Sie hatte schon lang keine Albträume mehr gehabt, doch in dieser Nacht schoss sie schweißgebadet und mit einem leisen Schrei auf. Sie bemerkte gar nicht, wie Tränen ihre Wangen herunter liefen.

Bran, der neben ihr geschlafen hatte, nahm sie in den Arm.

»Das war nur ein Traum, Ceara.«

Sie nickte, konnte aber nicht aufhören, zu zittern. Auch Daron hatte ihren Schrei gehört und kam von seinem Wachposten heruntergerannt.

»Was hat sie denn?« Erschrocken zog sie zu sich herüber.

»Sie hat nur schlecht geträumt«, meinte Bran und legte sich wieder hin.

Daron streichelte sie und Ceara drückte ihr Gesicht schluchzend an seine Schulter.

»Ist doch nicht so schlimm, alle ist gut.« Immer wieder streichelte er beruhigend über den Kopf. »Was hast du denn geträumt?«

Verzweifelt umarmte sie ihn und sagte unter Tränen: »Ich habe geträumt, dass Adamath dich umbringt. Ich will nicht, dass dir etwas passiert!«

Er runzelte die Stirn. »Es war nur ein Traum. Das kam wahrscheinlich von dem Krăădan. Du weißt doch, dass er Albträume verursacht.«

Endlich beruhigte sich Ceara ein wenig, schauderte aber noch immer beim Gedanken an ihren Traum.

»Ich bin sowieso gleich mit der Wache dran«, sagte sie seufzend. »Einschlafen kann ich ohnehin nicht mehr.« Ceara erhob sich zittrig.

»Warte, ich komme mit!«

Dankbar nahm sie sein Angebot an sie, denn allein wollte sie jetzt nicht sein. Daron blieb den Rest der Nacht bei ihr und nach und nach verblassten die Schrecken des Krăădan.

»Geht´s wieder?«, fragte Daron und streichelte ihr über die Wange.

Ceara nickte und lehnte sich an seine Schulter. »Daron, ich habe damals, als ich das erste Mal bei euch war, Fio´rah etwas von meinem Freund erzählt, der mich betrogen hat.«

»Ja?!« Daron nickte mit gerunzelter Stirn und Ceara fuhr fort.

»Sie fragte mich, ob er mein Seelengefährte gewesen wäre.«

»Ja, bei den Fiiljas heißt es«, erinnerte sich Daron, »dass jeder Menschen eines Tages seinen Seelengefährten treffen kann, den er auch dann nicht verliert, wenn er stirbt und in die nächste Welt geht. Ich finde diesen Gedanken sehr schön.« Nun betrachtete er sie eindringlich und seine unergründlichen dunklen Augen wirkten ein wenig sorgenvoll. »Und, war dieser Mann dein Seelengefährte?«

Ceara schüttelte den Kopf, dann lächelte sie ihn verliebt an. »Nein, ich denke nicht.«

»Das ist gut, denn ich glaube, dass du meine Seelengefährtin bist.« Erleichtert drückte Daron sie an sich.

Mit vor Glück strahlenden Augen, die im Abendlicht weich funkelten, nickte Ceara und war einfach nur froh, dass er wieder bei ihr war.

Nacheinander gingen die Monde unter und der blutrote Aufgang der Sonne versprach einen heißen und schwülen Tag. Nach einem Frühstück aus Beeren und frischem Quellwasser ging es weiter. Der Tag wurde immer drückender und dunkle Gewitterwolken hingen am Himmel. Daron und Fio´rah liefen nebeneinander her und unterhielten sich leise.

»Wenn wir nur wüssten, wo genau die Rune versteckt ist«, meinte Fio´rah seufzend.

Daron wischte sich den Schweiß von der Stirn. » ›Das alte Reich der Zwerge‹, von dem in dem Gedicht die Rede ist, das können doch nur die Zwergenminen sein, oder?«, fragte er hoffnungsvoll.

»Sicher, aber soweit ich weiß, kann man sie nur vom Schloss aus betreten. Die anderen Eingänge wurden wohlweißlich verschlossen«, warf Fio´rah ein.

»Ich weiß, König Assan ist Adamath treu ergeben, aber sein Sohn soll angeblich gegen ihn sein. Ich habe ihn flüchtig kennen gelernt, als ich mich im Felsenreich versteckt habe. Er wäre beinahe von einem Ork getötet worden, doch den habe ich mit dem Bogen erschossen. Also schuldet Prinz Trian mir noch etwas.«

Fio´rah runzelte die Stirn. »Können wir uns wirklich darauf verlassen?«

Daron wirkte unsicher. »Das ist schon einige Sommer her, aber er hat mir damals versprochen, wenn ich Hilfe benötige, würde er sich erkenntlich zeigen.«

»Wo wir gerade von Orks sprechen, je weiter wir nördlich kommen, umso mehr Orks werden unseren Weg kreuzen«, befürchtete die Fiilja.

»Ja, leider.« Durstig nahm Daron einen Schluck aus seinem Trinkschlauch.

Hochkönig Adamath saß mit wütendem Gesicht in seinem Schloss in Huellyn. Sein neues goldenes Schloss hatte er verlassen. Die düsteren Mauern der alten Festung entsprachen eher seiner Stimmung. Noch immer war keine Spur von seiner Verlobten zu finden gewesen. Krethmor war mittlerweile vollkommen wiederhergestellt, bis auf die Brandnarben, die seine linke Gesichtshälfte verunstalteten. Adamath hatte den Zauberer schon vor zwei Tagen zu sich zitiert und wartete nun ungeduldig auf dessen Ankunft.

Die Tür zum Thronsaal schwang auf und ein Wachsoldat kündigte das Erscheinen des Schattenmagiers an. Mit einem donnernden Geräusch sprang Adamath von seinem Thron und eilte mit großen Schritten auf den Zauberer zu.

»Na endlich!«

Krethmor verbeugte sich und fragte mit leicht gereiztem Unterton: »Was wünscht Ihr von mir, Eure Majestät?«

»Meine Verlobte ist noch immer nicht aufgefunden worden.«

Adamath blickte den Zauberer auffordernd an.

»Ich hoffe, Ihr habt bessere Neuigkeiten, was diese Aufrührer betrifft!?«

Krethmors Miene verfinsterte sich noch mehr. »Nein, ich habe Schattenwölfe gesandt und auch der Krăădan fliegt immer wieder über das Land, um sie ausfindig zu machen. Ich weiß nicht, wo sie sich herumtreiben.«

Der König trat mit dem Fuß gegen einen der Stühle, sodass dieser gegen die Wand krachte.

»Wir müssen sie finden«, rief er fiebrig. »Wo können sie sein?«

Ungerührt setzte sich Krethmor auf einen der Stühle. Er hatte nachgedacht. Seitdem er sicher war, dass Myrthan nicht mehr lebte, glaubte er nicht, dass der Rest der Gruppe große Aussicht auf Erfolg hatte, Zepter hin oder her. »Ich denke, sie sind nach Norden aufgebrochen. Myth´allan, Fearánn oder das Felsenreich. Ich habe Schattenwölfe ausgesandt.«

»Das reicht nicht!«, polterte der König los. »Wir werden Dämonenreiter ausschicken. Was glaubt Ihr, wo sie am ehesten sind?«

Betont gleichgültig zuckte der Schattenmagier die Achseln und strich sich bedächtig über den weißen Spitzbart. »In Myth´allan werden wir nicht allzu viel ausrichten können. Ob sich eine Rune in Fearánn befindet, das weiß auch ich nicht. Ich denke, wir sollten im Felsenreich beginnen.«

Adamaths verbitterte Miene hellte sich ein wenig auf. »Die Dämonenreiter können Orks zusammentreiben und für unsere Sache einsetzen. Außerdem werde ich Harakoel nach Wyrrd schicken. Er sitzt ohnehin nur noch selbstgefällig in seiner Residenz herum. Er kennt diese verfluchten Rebellen.«

»Macht das, mein König. Ich werde eine Weile hier bleiben, wenn es Euch recht ist, dann kann ich alles besser überwachen.«

Adamath stimmte zu. Am nächsten Tag sandten der König und der Zauberer den Hauptmann als Boten zu Harakoel. Hauptmann Sigurd war etwa in der Mitte seines Lebens angelangt und obwohl er sich stets sehr bemühte, war er noch nicht so weit in der Gunst des Königs aufgestiegen, wie es ihm gefallen hätte. Er wollte in den Adel erhoben werden und es gierte ihm nach einem Landsitz in Huellyn.

Der Hauptmann fuhr in einer der schnellsten und teuersten Kutschen des Landes, die von vielen Pferden gezogen wurde, hinauf zum Schlossberg, um Harakoel in seinem großen und fürstlich ausgestatteten Haus aufzusuchen. Ein verschreckter Page öffnete die Tür.

»Ich begehre, Harakoel zu sprechen«, verlangte Hauptmann Sigurd in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.

Der Page machte eine tiefe Verbeugung und beeilte sich, seinen Herrn zu holen.

Harakoel erschien. Obwohl er mittlerweile ein beträchtliches Vermögen angehäuft hatte, schien es ihm noch immer zu belieben, seine alte ausgewaschene Hose und das fleckige Hemd zu tragen, welches er bereits im Turm von Keradann angehabt hatte. Damals, als Krethmor Myrthan gefangengehalten hatte, war Harakoel der Turmwächter gewesen.

»Guten Tag, Hauptmann«, sagte Harakoel mit einem falschen Lächeln. »Ich hätte Euch gern zu einem Mahl eingeladen, doch leider sind wir gerade fertig.«

Hauptmann Sigurd winkte ab und Harakoel grinste hinterhältig. Selbstverständlich hatte er nicht beabsichtigt, dem Hauptmann etwas zu essen zu geben, dafür war er viel zu geizig. Harakoel führte den Soldaten in einen pompösen Salon. Eine Dienerin war gerade mit Staubwischen beschäftigt.

»Du dummes Geschöpf«, fuhr Harakoel sie an. »Ich sagte doch, du sollst von der rechten Seite anfangen zu wischen!«

Die Dienerin zuckte zusammen und machte sich daran, von der anderen Seite den Staub von den Holzregalen abzuwischen.

»Doch nicht jetzt! Lass uns allein!«

Mit einer verängstigten Verbeugung verschwand die Dienerin. Nun wandte sich Harakoel mit falschem Lächeln dem Hauptmann zu. »Das Personal heutzutage«, sagte er kopfschüttelnd, »die nehmen sich wirklich Sachen heraus!«

Der Hauptmann hob nur die Augenbrauen und sagte mit befehlsgewohnter Stimme: »Hochkönig Adamath befiehlt, dass Ihr ins Felsenreich reist, um die Aufrührer, die unser aller Wohlstand gefährden, zu überführen.«

Harakoel begann zu zucken und rang nach Worten. »Ich … nein … ich kann nicht«, stammelte er mit verzogenem Gesicht, dann hellten sich seine Züge auf.

»Nehmt meinen Leibdiener, er kann für mich gehen.« Harakoel schrie nach einem Pagen. Dieser kam hereingehuscht, nur um sofort wieder zu verschwinden und einen gelangweilt dreinblickenden Mann zu holen. Der Mann stellte sich neben Harakoel und machte ein finsteres Gesicht, während sich der Page in eine Ecke drückte. Er wusste nicht, ob er noch bleiben sollte.

»Er kann ins Felsenreich reisen«, sagte Harakoel erleichtert. Nun begann Harakoel seinen Diener in den Hintern zu treten, was dieser merkwürdigerweise gar nicht zur Kenntnis nahm und nur vor sich hin starrte.

Skeptisch betrachtete Hauptmann Sigurd den großen, hageren Mann. »Der Hochkönig sagte ausdrücklich: Harakoel!«

Harakoel wand sich und begann nun, den kleinen Pagen zu treten. »Nein, nein, nein … er soll gehen! Ich kann hier nicht weg … Ich werde gebraucht!«

Mit einem Achselzucken packte Sigurd Harakoels Diener am Arm. »Gut, ich werde ihn mitnehmen.«

Erleichtert seufzend verbeugte sich Harakoel. »Meine hochachtungsvollsten Grüße an den werten König.« Dann ließ er sich auf einen der mit Samt überzogenen Sessel sinken und nahm eine Schriftrolle in die Hand. Seine Miene verfinsterte sich.

»Page!«, schrie er und der noch immer am Boden liegende Junge erhob sich mühsam. »Hol sofort den Schreiber! Er hat einen Fehler gemacht. Die Ausgaben für das Mehl stehen auf der falschen Seite der Schriftrolle.« Harakoels Züge wurden immer angespannter. »Das darf nicht passieren!«

Der Tag verging und Harakoel war am nächsten Morgen gerade dabei, seinem Schreiber einen Vortrag zu halten, als es an der Tür klopfte. Der Page führte den wutschnaubenden Hochkönig herein.

Harakoel verbeugte sich tief. »Eure Majestät, was für eine Ehre …«

Adamath baute sich in seiner ganzen Größe von zwei Metern auf und blickte den buckligen kleinen Mann mit vor Wut glitzernden Augen an. »Sagte man Euch nicht, ich verlange, dass Ihr ins Felsenreich reist?«

»Ja, ja aber …« In letzter Zeit war er immer damit durchgekommen, all seine Aufgaben und Pflichten an seine Untergebenen weiterzuverteilen. Er saß nur noch faul in seinem Herrenhaus. » ... ich dachte nur, für einen Mann in meiner Stellung geziemt es sich nicht, in ein Land zu reisen, in dem es vor Orks wimmelt!«

»Die Orks unterstehen mir, du Narr, wie alles andere auch!«, schrie der König und Harakoel wurde immer kleiner und buckliger.

»Ähm, aber … ich habe hier wichtige Aufgaben zu erfüllen«, versuchte Harakoel es weiter. »Natürlich würde ich mich gerne dieser ehrenwerten Aufgabe annehmen, doch ich dachte, ich könnte Euch hier besser dienen.« Unterwürfig verbeugte er sich.

Adamath packte Harakoel am Kragen. Der hing nun mit den Füßen zappelnd in der Luft. »Wenn du deinen Hintern weiter in diesem prächtigen Haus wissen willst, dann reise ins Felsenreich – und zwar sofort!« Plötzlich war die Stimme des Königs gefährlich ruhig.

»Natürlich, natürlich, mein Herr«, stammelte er kriecherisch. Als der König ihn wieder auf den Boden ließ, wagte er jedoch zu fragen: »Wäre es wohl möglich, eine Kutsche zu bekommen? Meine sind, äh, momentan nicht verfügbar.«

Missbilligend zog Adamath die Augenbrauen zusammen, nickte dann jedoch. »Nehmt die Kutsche eines der Lords und sagt, ich hätte es befohlen.« Mit donnernden Schritten verließ der Hochkönig den Saal und Harakoel begann auf seinen Schreiber einzutreten.

»Ich muss in das verfluchte Felsenreich – und du bist schuld!«, schrie er.

Der Schreiber machte sich ganz klein und wagte zu fragen: »Warum denn ich?«

»Weil du alles falsch aufschreibst! Ihr seid alle unfähig!«, tobte Harakoel und sein Gesicht verzerrte sich bei jedem Wort.

So reiste Harakoel in einer geliehenen Kutsche und das obwohl er drei eigene besaß am nächsten Tag in Richtung des Schlosses von Wyrrd im Felsenreich. Er wurde von drei Dämonenreitern eskortiert, welche die Orks sammeln sollten.

Der König von Wyrrd, ein weißhaariger, dicklicher Mann im sechzigsten Lebensjahr, empfing Harakoel in seinem Thronsaal. Dieser war sehr viel weniger pompös ausgestattet als der in Huellyn.

»Hattet Ihr eine angenehme Reise?«, fragte König Assan.

Harakoel verzog das Gesicht. »Diese Kutsche war nicht sehr bequem, aber was tut man nicht alles für seinen König. Er hat natürlich mich gesandt, da er nur mir die verantwortungsvolle Aufgabe übertragen kann, die Rebellen zu überführen, die sich wohl hier herumtreiben.«

König Assan winkte einem Diener. »Bringt reichlich Speisen.«

Sofort begannen Harakoels Augen zu glänzen und als das Festmahl aufgetragen wurde, verschlang er alles so gierig, als hätte er mehrere Tage gehungert. König Assans Sohn, Prinz Trian, dessen Gattin Seora, eine hübsche blonde Frau, und ihr kleiner Sohn Ergon waren ebenfalls anwesend.

»Wer sind denn diese Rebellen?«, fragte Prinz Trian interessiert. Er war Anfang dreißig, hochgewachsen und schlank, mit kurzgeschnittenen, dunkelblonden Haaren.

»Oh, widerliche Geschöpfe. Sie haben den Zauberer Myrthan aus dem Turm von Keradann befreit und nun, nun wollen sie wohl irgendwelche Runen an sich bringen und unseren werten Hochkönig stürzen.«

Für einen Augenblick überzog Prinz Trians Gesicht ein Anflug von Begeisterung, den er jedoch rasch wieder verbarg. Im Gegensatz zu seinem Vater, der um ihren Wohlstand zu sichern, stets König Adamath die Treue gehalten hatte, war Prinz Trian mit den Machenschaften des Hochkönigs alles andere als einverstanden. Doch er hatte bisher nie gewusst, wie er sich gegen Adamath stellen sollte, ohne seine Familie zu gefährden.

»Und was sollen sie ausgerechnet hier wollen?«, fragte der Prinz.

Harakoel trank gierig einen Becher Rotwein und die Reste liefen ihm über das Kinn. »Es könnte sein, dass im Felsenreich eine dieser Runen versteckt ist, die sie suchen. Ich weiß es nicht genau. Mein Diener ist schuld, er hat mich nicht ausreichend informiert.« Harakoels Gesicht zuckte nervös. »Auf jeden Fall sammeln Hochkönig Adamaths Dämonenreiter nun Orks und suchen nach diesen Weltenwanderern und den anderen Aufrührern.«

»Was ist ein Weltenwanderer, Vater?« Der kleine Prinz Ergon blickte seinen Vater mit großen blauen Augen an.

Bevor Prinz Trian jedoch antworten konnte, beugte Harakoel sich zu dem Kleinen hinunter. »Sie sind Abschaum, sie gehören nicht hierher.« Mit seiner feuchten Aussprache befeuchtete er das Gesicht des kleinen Prinzen, der angeekelt den Mund verzog.

König Assan unterhielt sich noch eine Weile mit Harakoel, der immer wieder nervös seine Nase putzte und kurz darauf das Taschentuch ausschüttelte und es zum Trocknen über seinen Stuhl hängte. Seora zog ein angeekeltes Gesicht und wandte den Blick ab.

Als Harakoel mit seiner dritten Portion Wildschweinbraten beschäftigt war, flüsterte Ergon seinem Vater zu: »Ich mag diesen Harakoel nicht, er sondert Schleim ab.«

Nur mühsam konnte sich Prinz Trian das Lachen verbeißen und nickte Ergon grinsend zu.

Später, in seinem Privatgemach, sagte Trian zu seiner hübschen jungen Frau: »Ich werde diese Weltenwanderer suchen und ihnen helfen.«

Seora stieß einen erstickten Schrei aus. »Das ist gefährlich. Wenn das herauskommt, wird König Adamath uns vernichten«, flüsterte sie.

»Aber sonst bleibt alles, wie es ist. Natürlich, uns geht es einigermaßen gut. Denk nur an die vielen unterdrückten Sklaven, die in unseren Minen arbeiten, die Landbevölkerung in Huellyn, und die Orks, gegen die wir uns nicht zur Wehr setzen dürfen, weil sie Adamath unterstehen ― das sind doch alles keine Zustände!« Der Prinz hatte sich richtig in Rage geredet.

Seine Frau legte ihm beruhigend eine schlanke blasse Hand auf den Arm. »Das weiß ich alles. Nur müssen wir auch an unsere Kinder denken!« Seora war wieder schwanger und würde im Winter ihr Kind bekommen.

»Natürlich«, antwortete Trian, nun etwas besonnener. »Aber sie sollen nicht zu Kriechern heranwachsen, wie mein Vater. Er versucht Ergon ohnehin schon viel zu sehr zu beeinflussen.«

»Aber bitte sei vorsichtig und handle nicht unüberlegt«, bat Seora eindringlich.

Prinz Trian versprach es und wanderte in den folgenden Tagen häufig im Schutze der Nacht durchs Felsenreich, um eine Spur der angeblichen Rebellen zu finden.

Die Gesuchten liefen etwa zur selben Zeit, als Harakoel in Wyrrd eintraf, in der Hitze des Tages durch die Felsenlandschaft. Jetzt schien das Schloss zumindest ein wenig näher zu sein. An einem breiten Bach, der sich in ein natürliches Becken ergoss, machten sie Rast und genossen abwechselnd ein Bad in dem kalten, frischen Wasser. In dieser Schwüle war das eine wahre Wohltat. Als sich der Tag langsam dem Ende zuneigte, begannen in der Ferne Blitze vom düsteren Himmel zu zucken.

Alan und Daron hielten gerade gemeinsam Wache. Alan zupfte gelangweilt an einem Busch herum, kniff dann die Augen zusammen, und blickte angestrengt nach Nord-Osten. Er sah einige merkwürdige Bewegungen und lief rasch zu Daron hinüber, der die Umgebung von der anderen Seite aus beobachtete.

»Schau mal bitte. Ich glaube, ich habe etwas gesehen«, rief Alan schon von weitem. Daron beeilte sich aufzustehen, kniff ebenfalls die Augen zusammen und fluchte dann. »Orks – schnell, wir müssen zu den anderen.«

Alan rannte hinter Daron her. Alle packten so schnell es ging ihre Sachen zusammen und beeilten sich, auf ein Felsplateau zu gelangen, das sie einigermaßen gut verteidigen konnten.

Bald tauchten die ersten Orks auf. Es waren grobschlächtige Kreaturen mit derben Gesichtern, in schmutzige Lederpanzer gekleidet und mit riesigen, schartigen Schwertern bewaffnet.

»So schlecht haben sie die Orks in den Filmen gar nicht getroffen«, murmelte Alan Bran zu, der halbherzig grinste und mit seinem Bogen einige der Kreaturen erlegte. Schon in den Schattenbergen hatten sie gegen sie gekämpft, doch damals war es finster gewesen.

Nach und nach wurden sie eingekreist und immer mehr Orks versuchten, auf das Felsplateau zu gelangen. Erst jetzt sahen sie, dass im Hintergrund ein Dämonenreiter wartete, der bewegungslos und düster auf seinem Pferd saß. Alle kämpften gut und tapfer, doch es waren so viele Orks, dass die schiere Übermacht wohl bald das Ende der Gefährten bedeuten würde. Bisher hatte zwar noch niemand eine ernsthafte Verletzung, aber der Strom der finsteren Wesen wollte nicht abreißen.

Ceara schwang ihr Schwert nach allen Seiten. Die starken, wenn auch teilweise etwas unbeholfenen Schläge der Orks machten ihr schwer zu schaffen. Nun war sie um die vielen Stunden Schwertkampftraining mit Fio´rah und Daron froh. Daron versuchte ihr so gut es ging den Rücken freizuhalten, aber auch er wurde hart bedrängt. Aus dem Augenwinkel sah Alan bewundernd, wie gut Bran trotz seines Alters kämpfte. Er selbst kam immer wieder in arge Not und plötzlich stürzte er vom Felsen, als er einem Ork auswich. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen und nur einen Augenblick später stand ein Ork mit erhobener Klinge über ihm. Alan hörte nur noch, wie Ceara entsetzt seinen Namen schrie.

Er dachte schon, seine letzte Stunde hätte geschlagen, aber urplötzlich legte sich ein Schatten über den Kampfplatz. Sowohl die Orks, als auch die Gefährten, erstarrten und einen schrecklichen Augenblick lang glaubten sie, der Krăădan wäre zurückgekehrt. Aber das lähmende Gefühl blieb aus.

Doch auch so stockte ihnen der Atem. Ein gewaltiger Drache erschien am Himmel und spie Feuer. Daron riss Ceara zu Boden und versuchte sie mit seinem Körper zu schützen, als der Drache, einen gewaltigen Feuerstrahl ausstoßend, über das Plateau hinwegfegte. Aber der Drache schien es gar nicht auf die Gefährten abgesehen zu haben. Zunächst vernichtete er den Ork, welcher Alan beinahe getötet hätte, dann wandte er sich den anderen Kreaturen zu und verbrannte sie zu Dutzenden mit einem einzigen Atemstoß. Die Orks und auch der Dämonenreiter begannen zu fliehen, wobei sie einige ihrer Kumpane zu Tode trampelten. Der Drache verfolgte sie eine Weile, kehrte dann um und ließ sich nicht weit von den staunenden Gefährten auf einem Felsen nieder.

Alan war bereits wieder mit zitternden Beinen zu seinen Freunden hinaufgeklettert. Ihm steckte der Schrecken noch gehörig in den Knochen.

Der mächtige rote Drache klappte seine ledrigen Flügel ein und blickte herüber. Bran stand mit dem Bogen in der Hand unschlüssig vor den anderen. Seine Hände zitterten.

»Was soll ich denn jetzt tun?«, flüsterte er und Ceara sagte mit zittriger Stimme: »Sch… schieß ihn ab.«

»Nein!«, rief Fio´rah bestimmt und betrachtete den Drachen eingehend. Kurz hatte sie das Gefühl gehabt, sein Umriss würde flackern.

Zum Entsetzen aller sprang die Fiilja leichtfüßig in die Nähe des Drachen und blickte ihm direkt in die Augen.

»Was macht sie denn?«, flüsterte Ceara ängstlich, aber niemand wusste eine Antwort darauf.

Dann – ganz plötzlich – verzerrte sich die Gestalt des Drachen, flackerte kurz, und ein großer Mann mit langen eisengrauen Haaren und einem ebensolchen Bart stand vor Fio´rah. Erleichtert lachend umarmte sie Myrthan. Die anderen konnten es nicht glauben, aber Fio´rah und der Zauberer kamen auf sie zu.

Myrthan schüttelte sich und wirkte selbst ein wenig ungläubig. »Diese Rückverwandlung ist noch etwas mühsam, aber langsam bekomme ich Übung.«

Bran, Alan, Daron und Ceara sahen ausnahmslos aus, als ob sie gleich in Ohnmacht fallen würden. Sie starrten den Zauberer ungläubig an und brachten keinen Ton heraus.

»Myrthan?«, fragte Bran schließlich etwas krächzig.

Der Zauberer nickte, kam mit wehendem Gewand auf ihn zu, und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich bin euch wohl eine Erklärung schuldig.«

»Das kannst du laut sagen«, meinte Alan aus tiefstem Herzen.

Sie setzten sich auf den von der Sonne gewärmten Stein, während in der Ferne Blitze zuckten.

Myrthan begann zu erzählen. »Ich nehme an, das Letzte, das ihr gesehen habt, war, wie Krethmor und ich in die Feuerquelle gestürzt sind?« Bran bestätigte dies und Myrthan fuhr fort. »Nun gut. Zuerst war das natürlich ein Schock, aber dann konnte ich mich an einen Zauber erinnern, den ich gelernt hatte, als ich noch sehr jung war. Ich wusste nicht, ob er mir gelingen würde, aber es war meine einzige Chance – ich war im Feuer, also musste ich mich in eine Kreatur des Feuers verwandeln – ich wurde ein Drache.«

Alle bis auf Fio´rah blickten ihn fassungslos an.

»Es ist etwas schwierig, wenn man das Gestaltwandeln nicht gewohnt ist. Zunächst verlor ich mich in der Gestalt des Drachen und wusste nicht mehr, wer ich eigentlich war. Es sind ziemlich verwirrende Gedanken und Gefühle, die man als Drache hat. Aber nach und nach fand ich wieder zu mir. Ich konnte mich in meine wahre Gestalt zurückverwandeln und so begann ich, nach euch zu suchen. Ich bin sehr froh, dass es euch allen gut geht«, sagte er ernst.

Noch immer waren alle durcheinander, doch allmählich wagten sie es wirklich, sich zu freuen. Mittlerweile war das Gewitter näher gekommen und es begann zu regnen. So suchten sie sich einen Unterschlupf und erzählten Myrthan von ihren Erlebnissen, während draußen der Regen prasselte.

»Krethmor lebt auch noch«, berichtete Ceara, »allerdings hat er hässliche Brandnarben.«

Myrthan seufzte. »Das dachte ich mir beinahe. Wahrscheinlich war er zu Anfang auch schockiert von dem Sturz ins Feuer, aber dann hat ihn wohl sein widerwärtiger Krăădan gerettet.« Der Zauberer sah Ceara ernst an. »Adamath wird sehr wütend sein, dass du fort bist, Ceara. Er wird dich zurückhaben wollen.«

»Das werden wir aber nicht zulassen.« Besitzergreifend legte Daron Ceara einen Arm um die Schultern.

Zunächst hob Myrthan überrascht die Augenbrauen, dann lächelte er jedoch zufrieden. Ceara und Daron waren nun ein Paar, das war gut.

»Jetzt sind wir wieder komplett und können die nächste Rune suchen«, sagte Myrthan zum Schluss.

Ceara nickte lächelnd und holte das Drachenzepter aus ihrem Bündel. Eine Augenblick lang erstarrte Myrthan, doch sofort zeichnete sich auf seinem Gesicht ein freudiges Lächeln ab.

»Das ist wunderbar!« Ehrfürchtig nahm er das Zepter in die Hand. »Dass wir es haben, macht vieles leichter.«

»Na, dann hat sich meine ›Verlobung‹ wohl doch gelohnt«, meinte Ceara grinsend.

Später, als Daron und Myrthan allein waren, erzählte er von seiner Auseinandersetzung mit Zuenta.

»Das tut mir sehr leid, Daron«, Myrthans Stimme war voller Mitgefühl, »aber Zuenta war keine sehr mächtige Hexe, wie ich glaube zu wissen. Vielleicht ist der Fluch doch mit ihr gestorben.«

»Darauf kann ich mich wohl nicht verlassen«¸ erwiderte Daron düster.

»Wir werden einen Weg finden«, versprach der Zauberer und lächelte. »Ich freue mich sehr, dass Ceara und du zusammengefunden habt.«

»Ich hoffe nur …«, begann Daron unsicher und schaute zu Ceara hinüber, die gerade mit Fio´rah über irgendetwas lachte.

Myrthan unterbrach ihn bestimmt. »Ihr wird nichts geschehen, zumindest nicht durch deine Schuld.«

Daron holte das Amulett unter seinem Hemd hervor. »Das wird sie hoffentlich lange genug schützen.«

Zwar wusste Myrthan nicht, was Daron damit meinte, aber er nickte und erhob sich. »Ich werde mich mal ein wenig umsehen.«

Staunend beobachtete Daron, wie sich der Zauberer in den Drachen verwandelte und lautlos durch den Regen davon schwebte.

Während der nächsten Tage herrschte Hochstimmung. Alle freuten sich sehr, dass Myrthan noch lebte. Die Orks ließen sie zwar in Ruhe, doch allen war bewusst, dass Adamath jetzt wohl gewarnt war. Myrthan war sich nicht ganz sicher, ob er den Dämonenreiter wirklich getötet hatte. Vorsichtig näherten sie sich der Burg, die am westlichen Rande des Felsenreichs auf einem hohen Felsplateau thronte. Von weitem konnte man sehen, dass die Zugänge zu den Höhlen und Minen streng bewacht wurden und dass eine Menge Orks in der Nähe herumlungerten.

Myrthan wirkte besorgt. Auch er wusste nicht, wie sie in die Höhlen gelangen sollten.

»Ich muss den Prinzen aufsuchen«, stellte Daron schließlich resigniert fest, als sie am Abend zusammensaßen. Sie hatten sich nicht getraut, ein Feuer zu entzünden. Die Gefahr entdeckt zu werden war zu groß.

»Bist du verrückt?«, rief Ceara entsetzt aus. »Du wirst doch gesucht!«

Auch die anderen sahen nicht sehr begeistert aus.

»König Assan ist ein treuer Anhänger Adamaths, es ist riskant«, stimmte Myrthan zu.

Daron machte eine ungeduldige Handbewegung. »Das ist mir schon klar, aber ohne Hilfe gelangen wir nicht in die Höhlen. Der Prinz schuldet mir noch etwas. Das ist unsere einzige Chance.«

»Du weißt doch überhaupt nicht, ob sich dieser Prinz überhaupt noch an dich erinnert.« Wut und Angst spiegelten sich in Cearas Miene wider.

Daron wollte etwas erwidern, aber Fio´rah unterbrach ihn. »Ich muss Daron zustimmen.«

»Was?«, rief Ceara entsetzt aus, doch Fio´rah schüttelte den Kopf.

»Warte!«

Die anderen blickten sie erwartungsvoll an.

»Daron hat Recht. Aber er sollte nicht alleine gehen. Ich kann mich in Adamath verwandeln, dann gelangen wir wahrscheinlich ungehindert ins Schloss von Wyrrd. Auf Daron wird dann niemand achten.«

»Das könnt ihr nicht tun«, sagte Ceara entrüstet. »Was ist, wenn sie euch fangen, oder …« Mit Schaudern dachte sie an die Zeit im Gefängnis von Huellyn.

Fio´rah unterbrach sie. »Wir werden vorsichtig sein. Sobald es uns gelingt, mit dem Prinzen unter vier Augen zu sprechen, haben wir gewonnen. Wenn er uns nicht helfen will, können wir ihn immer noch als Geisel nehmen.«

An Cearas Gesicht sah man genau, dass ihr der Vorschlag überhaupt nicht behagte. Doch auch ihr fiel nicht ein, wie sie sonst an die Rune kommen sollten.

»Ich weiß nicht, Fio´rah«, begann Daron, »du kannst die Illusion nicht unbegrenzte Zeit aufrechterhalten. Ich sollte lieber allein gehen.«

»So haben wir bessere Chancen. Und alle haben solche Angst vor Adamath, dass sie uns sicher nicht lange warten lassen werden. Ich komme auf jeden Fall mit!«

Daron wirkte sehr unglücklich, doch ihm war klar, dass sie so wohl mehr Aussicht auf Erfolg hatten.

»Gut«, meinte Myrthan, »dann solltet ihr morgen früh gehen. Wir werden euch bis zum nächsten Morgen Zeit lassen, dann werde ich mich in einen Drachen verwandeln und etwas Unruhe stiften, damit die anderen euch notfalls befreien können.«

Fio´rah und Daron nickten, lediglich Ceara sah überhaupt nicht begeistert aus. Sie ging ein Stück in die Nacht hinaus und lehnte sich schaudernd an einen Felsen. Ihr war kalt, obwohl es eigentlich eine milde Nacht war. Kurz darauf kam Daron zu ihr und umarmte sie.

»Hab keine Angst, Prinz Trian wird uns sicher helfen.«

Mühsam schluckte sie ihre Tränen hinunter. »Und wenn sie dich wieder fangen und zu den Sklaven schicken, oder Schlimmeres?«

Daron seufzte, dann zwickte er sie spielerisch in die Nase.

»Das sagt gerade jemand, der sich wegen eines Amuletts in das Schlafzimmer eines fremden Mannes schleicht!«, sagte er betont lustig.

»Das war etwas anderes«, erwiderte sie ungeduldig. »Ich wurde in Druidor nicht gesucht.«

»Ceara, wir müssen es tun, sonst kommen wir nie an die Rune.«

Resigniert nickte sie und eigentlich hätte sie gern gesagt, dass sie mitkommen wollte, doch ihr war bewusst, dass besonders sie überall gesucht wurde.

»Bitte pass auf, dass euch nichts passiert.« Ceara drehte sich um und umarmte ihn fest.

Zärtlich strich er ihr über die Haare. »Natürlich passen wir auf.«

Die Nacht verlief unruhig, niemand konnte richtig schlafen und das nicht nur wegen des Gewitters, das über dem Felsenreich tobte. Es regnete die ganze Nacht in Strömen.

Noch vor der Morgendämmerung brachen Fio´rah und Daron auf. Sie wollten das Schloss im Morgengrauen erreichen. Ihre Freunde sahen ihnen voller Sorge hinterher und Ceara war froh um den Regen, der ihre Tränen verbarg.

Prinz Trian war jetzt schon seit einigen Tagen jede Nacht unterwegs gewesen. Doch sehr zu seinem Leidwesen hatte er keine Spur von etwaigen Rebellen entdecken können. Mittlerweile war sich der junge Prinz sicher, dass die Zeit gekommen war, endlich etwas gegen Adamath zu unternehmen. Harakoel war noch immer im Schloss und ließ es sich auf Kosten von König Assan gut gehen. Trian war unzufrieden. Er konnte den schleimigen, kriecherischen Harakoel nicht ausstehen, der sich seinem Vater gegenüber extrem demütig verhielt und Leuten, die er für minderwertig hielt, ziemlich unverschämt gegenübertrat.

Prinzessin Seora trat zu ihrem Mann, der die Fenster ihres Schlafgemachs geöffnet hatte und in den Regen hinaus starrte, den das nächtliche Gewitter gebracht hatte. Das Felsenreich war ein recht karger Teil Dìonàrahs, mit wenig Weideland und kaum Wald. Aber Prinz Trian liebte dieses wilde, ungezähmte Land. Er wollte es für seine Nachkommen wieder zu einem freien Reich machen.

»Was hast du denn?« Sanft legte ihm Seora ihre zierliche Hand auf den Arm.

»Ich möchte die Rebellen finden und diese schleimige Kreatur von Harakoel endlich aus dem Schloss haben«, erklärte er mit gerunzelter Stirn.

Seora seufzte. Eigentlich hatte sie gehofft, dass ihr Mann endlich die wahnwitzige Idee aufgegeben hatte, sich gegen den Hochkönig aufzulehnen.

»Wahrscheinlich kommen diese Rebellen gar nicht hierher«, antwortete sie hoffnungsvoll. »Und Harakoel wird auch irgendwann verschwinden.«

Ungeduldig drehte sich Trian zu ihr um. »Ich habe einfach genug davon, eine Marionette von Adamath zu sein.«

»Aber uns geht es doch gut«, wandte Seora ängstlich ein.

»Natürlich! Solange wir genügend Silber und Eisen nach Huellyn liefern. Aber was ist, wenn wir es eines Tages nicht mehr können? Oder wenn es dem werten Hochkönig einfällt, dass er uns nicht mehr braucht?« Er blickte seine Frau eindringlich an. »Im Prinzip sind wir doch auch nur seine Sklaven. Nur, dass wir in einem halbwegs komfortablen Schloss wohnen.«

Angst erfasste Seora. Sie wusste schon lange, dass ihr Mann gern etwas gegen den Hochkönig unternommen hätte, doch so entschlossen wie jetzt hatte sie ihn noch nie gesehen.

»Du musst an unsere Kinder denken«, bat sie noch einmal eindringlich.

»Eben!«, rief er ungehalten. »Ich will nicht, dass sie als Adamaths Schergen aufwachsen. Sollen sie etwa lernen, dass man vor Kreaturen wie Harakoel kriecht? Sollen sie sehen, wie sich ungehindert Orks auf unseren Ländereien breit machen? Ich möchte, dass meine Kinder stolz auf mich sind!«

»Natürlich ...« Seora setzte zu einer weiteren Entgegnung an, doch Trian machte eine ungeduldige Handbewegung und stürmte zur Tür hinaus. Im Gang stolperte er beinahe über Harakoel, der eine übertriebene Verbeugung machte.

»Oh, der ehrenwerte Prinz. Wie geht …«

Trian schnaubte nur und rannte an Harakoel vorbei, der ihm verwundert nachblickte.

Fio´rah und Daron liefen so schnell sie konnten in der hereinbrechenden Dämmerung in Richtung Schloss.

»Wir werden auffallen, weil wir keine Pferde haben«, sagte Daron düster und wischte sich vergeblich den Regen aus den Augen.

»Wir sagen, von der Kutsche ist ein Rad abgebrochen«, schlug Fio´rah vor und ging entschlossen weiter.

Es war schon einige Zeit hell, als sie endlich dem Schloss ganz nahe waren. In diesen frühen Morgenstunden herrschte noch nicht sehr viel Betrieb, doch einige Orks trieben sich bereits vor den Toren des Schlosses herum.

Fio´rah blieb stehen, konzentrierte sich, und wurde urplötzlich zu einem Abbild von Adamath.

Daron zog sich die Kapuze so weit es ging ins Gesicht und murmelte: »Immer wieder beeindruckend.«

Fio´rahs Gesicht, das jetzt dem von Adamaths entsprach, verzog sich zu einem hässlichen Grinsen. Schnellen Schrittes eilten sie auf das schmucklose Haupttor zu, vor dem zwei Wachen standen. Diese erstarrten, als sie den König sahen. Sofort wichen sie zurück und Daron und Fio´rah konnten ungehindert passieren. Der Wächter vor dem Eingang zum eigentlichen Schloss wurde ebenfalls blass und rannte so schnell ihn seine Füße trugen davon, als Fio´rah ihn anherrschte, er solle sie sofort zu Prinz Trian bringen.

»Das kannst du wirklich gut«, murmelte Daron mit gesenktem Kopf.

Doch wie Fio´rah bereits vorhergesagt hatte, beachtete ihn ohnehin niemand.

»Ich bin der geborene König«, raunte Fio´rah ihm zu.

Sie standen in einer großen Halle und warteten auf die Rückkehr des Wächters.

Der erschien kurz darauf. »König Assan erwartet Euch, Hochkönig«, sagte er unter mehreren hektischen Verbeugungen.

»Sagte ich nicht – Prinz Trian?«, polterte Fio´rah ziemlich lebensecht los und Daron verbiss sich ein Grinsen.

»Ja aber …«, stammelte der Wächter und wich zurück, als Fio´rah sich zu ihm hinunter beugte.

»Führt uns auf der Stelle zu Prinz Trian«, verlangte sie mit stechendem Blick.

Der Wächter nickte unterwürfig. »Folgt mir bitte.«

Daron atmete erleichtert aus, ebenso wie Fio´rah, die wusste, dass sie die Illusion des Königs nicht mehr sehr lange würde aufrechterhalten können.

Sie folgten dem Wächter durch hallende und zum größten Teil eher schmucklose Gänge. Hier und da hingen einige alte Bilder und Rüstungen, doch wirklich pompös wirkte dieses Schloss nicht. Vor einer hölzernen Tür blieb der Wächter stehen, klopfte an und trat ein.

»Mein Prinz, der Hochkönig möchte Euch sprechen«, verkündete er und zog sich dann rasch zurück.

Stirnrunzelnd stand Prinz Trian von dem großen Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer auf und kam näher. Fio´rah und Daron traten ein.

Daron schloss rasch die Tür und als Fio´rah sich wieder in ihre eigene Gestalt zurückverwandelte, griff Prinz Trian erschrocken nach seinem Schwert und wollte schon die Wache zurückrufen.

Doch Daron schlug seine Kapuze zurück und rief: »Wartet!«

Der Prinz zögerte kurz, machte den Mund zu, ließ aber seine Hand am Schwertgriff.

»Erinnert Ihr Euch an mich?«, fragte Daron eindringlich.

Prinz Trian kniff die Augen zusammen und dachte offensichtlich angestrengt nach. Dann zuckte er zusammen und der Anflug eines Lächelns überzog sein verwundertes Gesicht. »Natürlich, Ihr habt mich damals vor dieser Horde Orks gerettet! Daron, nicht wahr?«

Erleichtert, bestätigte Daron dies, doch Trian blickte nun Fio´rah mehr als verwundert an. »Eine Fiilja? Ich kann es nicht glauben! Was im Namen des Donnergottes tut Ihr hier?«

»Wir wollten Euch um einen Gefallen bitten«, begann Daron vorsichtig. »Ihr sagtet damals, Ihr würdet mir helfen, falls ich jemals in Not sein sollte.«

Prinz Trian nickte ernst und bot ihnen einen Stuhl und etwas zu trinken an.

»Gewöhnlich halte ich meine Versprechen.« Mit einem sympathischen Lächeln schenkte er ihnen Wein ein.

Daron blickte Fio´rah an, die ihm aufmunternd zunickte. So erzählte er Prinz Trian von ihrer Mission und ihren Schwierigkeiten, die Rune zu finden, die im Felsenreich sein sollte. Dabei war Daron die ganze Zeit über sehr angespannt und jederzeit bereit, sein Schwert zu ziehen, falls der Prinz um Hilfe schreien würde. Doch Prinz Trian bekam nur große Augen und stieß immer wieder ungläubige Laute aus.

Als Daron geendet hatte, sagte Trian erfreut: »Ich suche Euch seit vielen Tagen und war ganz verzweifelt, weil ich niemanden finden konnte. Natürlich werde ich Euch helfen!«

»Woher wusstet Ihr, dass wir hierher kommen?« Nun war Fio´rah misstrauisch.

»Dieser schleimige Harakoel wurde mit Dämonenreitern zu uns gesandt. Sie durchstreifen auf der Suche nach Euch das Reich.«

Fio´rah nickte nachdenklich.

»Die Rune ist sicher in der alten Zwergenstadt. Sie ist zwar schon lange versiegelt, aber als Kind habe ich oft in den Felsengängen gespielt. Es gibt den einen oder anderen Zugang«, berichtete Prinz Trian aufgeregt.

Bevor seine Gäste etwas erwidern konnten, klopfte es an der Tür. Darons Hand fuhr zum Schwert, doch Trian machte eine beruhigende Handbewegung.

»Könnt Ihr Euch wieder verwandeln?«, fragte er leise zu Fio´rah gewandt.

»Ja, aber nicht sehr lang.«

Trian nickte und rief: »Herein!« Er unterdrückte einen verwunderten Aufschrei, als plötzlich wieder König Adamath auf dem Stuhl saß.

Harakoel stand in der Tür. Mittlerweile war zu ihm durchgedrungen, dass sein Herr bei Prinz Trian zu Gast war. Unter mehreren Verbeugungen schlich der bucklige Mann herein.

»Was für eine Ehre, mein König. Was wünscht Ihr von mir?«

»Habe ich dich etwa gerufen?«, herrschte Fio´rah ihn an und Harakoel zuckte zusammen.

Offensichtlich wollte er etwas erwidern, doch dann blieb sein Blick auf Daron haften, der es versäumt hatte, seine Kapuze wieder über den Kopf zu ziehen.

»Oh, mein König, das ist ja wieder der Mann, der Myrthan aus dem Turm befreit hat!«, rief Harakoel aufgeregt und begann ekstatisch zu zucken.

Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte Fio´rah und ihr Bild schien etwas zu schwanken, doch dann fasste sie sich wieder. »Natürlich, du Narr! Ich habe ihn auf dem Weg hierher gefangen und wollte gerade den Prinzen bitten, ihn in den Kerker werfen zu lassen. Und nun verschwinde, du Gewürm!«

Unter mehreren Verbeugungen schlich Harakoel zur Tür. »Wenn Ihr mich braucht, dann lasst nach mir rufen«, sagte er kriecherisch und verschwand.

Fio´rah atmete erleichtert auf und nahm ihre eigene Gestalt an. »Das war anstrengend. So schnell hintereinander fällt es mir schwer.«

Mit angewidertem Gesicht blickte Trian zur Tür. »Ich hasse diesen Harakoel!«

»Nicht nur Ihr«, murmelte Daron, der erleichtert war, dass Fio´rah die Situation gerettet hatte.

»Gut«, schlug Prinz Trian vor. »Daron, ich werde Euch ein Zimmer in einem unbenutzten Teil des Schlosses geben, damit Harakoel keinen Verdacht schöpft, wenn Ihr das Schloss wieder verlasst. Und, Fio´rah, Ihr solltet so schnell es geht wieder als König Adamath verschwinden und heute Nacht Eure Freunde hierher bringen. Ich werde Euch in die Felsengänge geleiten.«

Fio´rah und Daron blickten sich unentschlossen an. Konnten sie dem jungen Prinzen wirklich vertrauen, oder würde er sie hereinlegen?

Prinz Trian schien ihre Gedanken erraten zu haben. »Ihr könnt mir trauen. Ich schwöre beim Leben meines Sohnes, dass ich nichts tun werde, das Euer Leben gefährdet. Ich hasse König Adamath ebenso wie Ihr.«

Mit den Augen signalisierten sich Fio´rah und Daron Zustimmung. Sie hatten wohl keine andere Wahl.

Die Fiilja wartete einige Zeit, dann verwandelte sie sich erneut in Adamath und stürmte in Begleitung eines Wachmannes, der ihr auf Prinz Trians Anweisung hin ein Pferd geben sollte, durch das Schloss. Trian selbst führte Daron über Geheimgänge in ein unbenutztes Zimmer im Nordturm des Schlosses.

»Macht es Euch bequem«, sagte Prinz Trian und zog ein staubiges Tuch von einem der alten Sessel. »Ich werde Euch später zu essen und zu trinken bringen.«

Daron nickte und sagte leise: »Danke.«

Prinz Trian, der bereits im Begriff gewesen war zu gehen, drehte sich noch einmal um. »Ich vergesse Menschen nicht, die mir einmal das Leben gerettet haben. Und ich glaube an eine bessere Welt. Wenn ich meinen Teil dazu beitragen kann, dann umso besser.«

Damit verschwand er und ließ Daron allein, der sich in den weichen Sessel sinken ließ. Schon damals, bei ihrer ersten Begegnung, hatte Daron den jungen Prinzen gemocht. Sie waren wohl etwa im gleichen Alter und wie es aussah, hatten sie in Prinz Trian einen wertvollen Verbündeten gewonnen.

Tatsächlich war Trian von freudiger Erregung erfüllt. Endlich konnte er etwas gegen Adamath unternehmen. Er trommelte im Geheimen einige vertrauenswürdige Soldaten zusammen, die sich bereithalten sollten. Es waren zwar nicht sehr viele, gerade einmal zehn Mann, von denen er sicher war, dass sie loyal hinter ihm standen, doch das war besser als nichts.

Guter Dinge kam er von der Unterkunft der Soldaten zurück, als ihm sein Vater über den Weg lief, der ein griesgrämiges Gesicht machte.

»Was wollte der Hochkönig von dir?«, fragte er streng.

Trian zuckte die Achseln. »Er wollte nur einen Gefangenen in unseren Kerker stecken.«

»Und warum kam er damit nicht zu mir?« Der alte König war misstrauisch. Er wusste, dass sein Sohn im Geheimen nicht sehr viel für den Hochkönig übrig hatte. Ganz im Gegensatz zu König Assans ältester Tochter, die mit einem der höheren Lords verheiratet war und unterhalb des Schlossberges in Huellyn lebte.

»Was weiß ich«, antwortete Trian ungeduldig. »Wer kann schon die Gedanken eines Königs nachvollziehen?«

»Und wo ist der Gefangene jetzt?«

»Im Kerker natürlich.« Trian wollte rasch weitergehen.

Sein Vater hielt ihn mit überraschender Kraft zurück, die seinem Alter trotzte. »Wenn du irgendetwas hinter meinem Rücken ausheckst, dann wirst du es bereuen«, drohte er und ließ seinen Sohn wieder los.

»Das werde ich nicht«, sagte Trian einfach, ließ damit allerdings offen, was er meinte.

Von einem unguten Gefühl beschlichen blickte der alte König seinem Sohn hinterher. Irgendetwas stimmte nicht, das spürte er genau. Vorsichtshalber ging der alte König zu Harakoel, doch der bestätigte die Geschichte von Trian, woraufhin er es auf sich beruhen ließ. König Assan beschloss jedoch, die Augen offen zu halten.

Fio´rah war so schnell sie konnte zu den Ställen gestürmt, hatte sich auf ein Pferd geschwungen, und war wie besessen zum Tor hinausgejagt. Zum Glück fiel das nicht sonderlich auf, denn Hochkönig Adamath war ja für seinen rücksichtslosen Reitstil bekannt. So schaffte sie es gerade noch, ihre Illusion lange genug aufrechtzuerhalten, bis sie außer Sichtweite war. Dann sattelte sie das Pferd ab und rannte so schnell sie konnte zu ihren Freunden zurück. Erst als die Sonne bereits am Sinken war, erreichte sie, ziemlich außer Atem, den Lagerplatz.

Ihre Gefährten kamen ihr aufgeregt entgegen. Als Fio´rah Cearas erschrockenes Gesicht sah, sagte sie beruhigend: »Daron geht es gut. Er ist auf dem Schloss geblieben. Prinz Trian wird uns heute Nacht hineinlassen. Wir haben einen Treffpunkt vor dem Schlosstor ausgemacht.«

»Können wir ihm wirklich trauen?«, fragte Bran kritisch.

»Ich denke schon, er wirkte sehr ehrlich.«

»Na los, worauf warten wir?«, rief Ceara und machte sich daran, in Windeseile ihre Sachen zusammenzupacken. Sie hatte trotz allem Angst, dass sich dieser Prinz als Verräter herausstellen könnte.

Auch die anderen begannen das Lager abzubrechen. Zum Glück konnte Myrthan den Weg mit magischem Licht erhellen, sodass sie auch in der Nacht recht gut voran kamen. Sie stießen auf keine Orks und erreichten bald den Treffpunkt, den Fio´rah genannt hatte. Vorsichtshalber hielten sich Myrthan und Bran versteckt. Falls Prinz Trian wider Erwarten einen Hinterhalt geplant hatte, würden sie eingreifen können. Doch der Prinz kam wie verabredet mit nur einem Soldaten und ließ sie durch ein verstecktes, kaum sichtbares Nebentor ins Schloss. Auch Bran und Myrthan gaben sich nun zu erkennen. Der junge Prinz führte sie durch das nächtliche Schloss, in dem bereits alle schliefen.

Im Nordturm angekommen nahm Daron die mehr als erleichterte Ceara in den Arm. »Siehst du, es ist alles gut gegangen«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Sie nickte glücklich und alle setzten sich an den alten Holztisch, wo der Prinz ihnen ein üppiges Essen auftischen ließ. In dieser Nacht war es zu spät, um die Rune zu suchen.

»Daran könnte ich mich gewöhnen«, sagte Alan zufrieden grinsend, nachdem er fertiggegessen hatte. Auch die anderen sahen satt und zufrieden aus.

Prinz Trian versprach, sie in der nächsten Nacht in die Felsengänge zu führen. Sie sollten sich den Tag über ausruhen.

»Von diesem Raum aus sind drei Schlafgemächer zu erreichen und ein Baderaum, falls Ihr diesen benötigt. Ich werde einem vertrauenswürdigen Diener Anweisungen geben, heißes Wasser zu bringen.«

»Vielen Dank«, sagte Myrthan, »aber ich denke, wir werden die Schlafgemächer gar nicht lange benötigen. Sobald wir die Rune haben, ziehen wir weiter.«

»Ich werde später noch einmal vorbeikommen.« Damit verschwand der junge Mann.

»Meinst du, er ist wirklich vertrauenswürdig, Myrthan?«, fragte Bran noch einmal, nachdem der junge Prinz verschwunden war.

»Ja, ich denke schon. Ich konnte keine Lüge an ihm erkennen. Was meinst du, Fio´rah?«

»Ja, ich bin mir auch sicher.« Sie sich in einen Sessel fallen. »Ach, so ein Tag voller Bequemlichkeit ist doch etwas Schönes!«

Die anderen stimmten ihr voll und ganz zu und verbrachten diesen Tag faul, mit gutem Essen und einem warmen Bad.

König Assan schritt unruhig durchs Schloss. Er war nervös, weil Hochkönig Adamath nicht bei ihm, sondern seinem Sohn gewesen war. Was hatte das zu bedeuten? Er suchte Harakoel auf, der – wie häufig – im großen Speisesaal zu finden war und sich den Wanst vollschlug.

Als er den König sah, erhob er sich eilig und verbeugte sich tief, wobei der Rest des Bratensafts über sein Kinn lief.

»Oh, edler König. Was verschafft mir die Ehre?«

»Ich habe eine Bitte an Euch«, begann der alte König und setzte sich mit finsterer Miene auf einen der Stühle. »Mein Sohn hat irgendetwas vor. Habt Ihr eine Ahnung, was der Hochkönig von ihm wollte?«

Übereifrig schüttelte Harakoel den Kopf. »Nein, nein, mein Herr. Ich habe mich selbst gewundert. Unser werter Hochkönig verhielt sich etwas, nun ja, merkwürdig. Aber das ist wohl seine Art, hahaha.« Der bucklige Mann schüttete sich vor Lachen aus, verstummte jedoch sofort, als er König Assans Gesicht sah. »Ich meine natürlich, angemessen für einen König«, beeilte sich Harakoel zu versichern und putzte sich nervös die Nase.

»Also gut, Harakoel, Ihr werdet meinen Sohn im Auge behalten. Falls er sich irgendwie merkwürdig verhält, dann berichtet es mir. Und sagt den Oberbefehlshabern, dass sie weitere Orks ausschicken sollen. Ich habe ein ungutes Gefühl.«

Nachdem er eine tiefe Verbeugung gemacht hatte, widmete sich Harakoel erneut seinem Braten.

Wenn der Kerl noch länger bei uns weilt, werden unsere Vorratskammern bald leer sein, dachte der alte König missbilligend.

Doch vielleicht würde ihm diese kriecherische Kreatur noch von Nutzen sein.

Nach einem angenehm entspannten Tag holte Prinz Trian die Gefährten bei Einbruch der Nacht ab. Er wirkte ein wenig nervös, doch er versicherte, dass die beiden Soldaten, die er bei sich hatte, absolut vertrauenswürdig wären. Die neun in Umhänge gehüllten Gestalten schlichen leise durch das schlafende Schloss. Sie liefen durch menschenleere Gänge, über geheime Treppen und durch Kellergewölbe, bis sie schließlich die unterirdischen Gänge erreichten, die Katakomben glichen.

»Wenn der Prinz uns reinlegt, sind wir verloren«, knurrte Alan, der hinter Bran herlief.

Auch Bran war nicht ganz wohl in den dunklen, verzweigten Gängen, doch da der Zauberer ruhig blieb und sie eindeutig in der Überzahl waren, ließ er es auf sich beruhen.

Immer tiefer stiegen sie hinab. Inzwischen mussten sie schon ein ganzes Stück unter der Erde sein. Von Ferne hörte man leises Hämmern und irgendwo rauschte ein unterirdischer Fluss.

»Das sind die Sklaven«, antwortete Prinz Trian sichtlich verlegen auf Darons Frage, was das für Geräusche wären. »Wenn ich eines Tages König bin, wird es das nicht mehr geben!«

Es ging noch weiter hinab und irgendwann wurden die Gänge zunehmend niedrig. Bald mussten alle die Köpfe einziehen und irgendwann hielten sie an.

»Diese Gänge sind niemals weiter ausgebaut worden«, erklärte Prinz Trian bedauernd. »Wir müssen nun auf Knien weiterkrabbeln, um zum ehemaligen Thronsaal der Zwerge zu gelangen. Wer nicht mitgehen möchte, kann warten.«

»Wir gehen gemeinsam«, bestimmte Myrthan. Und so ließen sich alle auf die Knie nieder und robbten durch die teilweise schon halb verschütteten Gänge. Endlich, als alle schon ziemlich erschöpft waren, kletterten sie durch eine Öffnung und erreichten eine riesige Halle. Das Licht der Fackeln reichte nicht aus, um sie ganz auszuleuchten, die Halle schien gigantisch sein.

»Das muss wohl einmal der Thronsaal des Zwergenkönigs gewesen sein.« Prinz Trians Stimme hallte von den Wänden der kuppelförmigen Höhle wider. »Es zweigen noch eine Menge Gänge ab, aber nicht einmal als Kind ist es mir gelungen, alle zu erforschen.«

Staunend schritten die Gefährten durch den riesigen Saal. Sie hielten ihre Fackeln hoch und blickten fasziniert auf die größtenteils sehr kunstvoll in den Stein gemeißelten Verzierungen und Ornamente, die den Thron und die Wände schmückten.

»Und wo soll die Rune sein?«, fragte Alan ungeduldig, der sich so tief unter der Erde einfach nicht wohl fühlte.

Myrthan untersuchte gerade mit seiner Fackel den Thron. »Das weiß ich leider auch nicht. Wir müssen einfach weitersuchen.«

So machten sich alle auf die Suche, welche jedoch zunächst erfolglos blieb. Die Nacht musste mittlerweile schon weit fortgeschritten sein.

»Ich glaube, ich habe etwas gefunden«, rief Myrthan irgendwann.

Die anderen kamen eilig näher. Myrthan stand vor einer Steintafel, direkt hinter dem Thron. Runen waren rund um die Tafel eingraviert. In der Mitte prangten fremde Schriftzeichen.

»Leider konnte ich die Zwergensprache nie entziffern«, meinte Prinz Trian bedauernd, doch Myrthan bedeutete ihm zu schweigen.

Er las eine Zeit lang konzentriert, schüttelte immer wieder den Kopf, und schien zu überlegen.

»Also, wenn ich die Zwergensprache richtig übersetzt habe, dann bedeutet dies:

Wenn das Licht des Sommers sich wendet in der Winter Schatten und wenn der Winter wird zum Sommer, gibt der Saal der Zwerge sein Geheimnis preis«, berichtete Myrthan schließlich. Er runzelte die Stirn. »Zumindest sinngemäß.«

»Und was bringt uns das?«, fragte Alan genervt. »Ich verstehe kein Wort.«

»Ich bin mir nicht sicher«, murmelte Myrthan. »Aber ich vermute, dass dieser Saal nur zur Sommer- oder Wintersonnenwende erleuchtet wird.« Er hielt seine Fackel in die Höhe, doch man konnte das Ende der kuppelförmigen Decke nicht erkennen.

»Aber, es sind ja noch …«, Daron rechnete angestrengt nach, doch Myrthan unterbrach ihn.

»Zwanzig Tage bis zur Sommersonnenwende.«

Ein allgemeines Aufstöhnen war zu hören und Ceara und Alan, die wohl den gleichen Gedanken gehabt hatten, suchten die Tafel noch einmal genau mit den Händen ab, jedoch ohne Erfolg.

»Ihr könnt natürlich im Schloss bleiben. In den Nordflügel kommt ohnehin niemand. Dort werdet Ihr sicherlich nicht entdeckt«, bot Prinz Trian hilfsbereit an.

»Vielen Dank, das ist sehr großzügig.« Zweifelnd fuhr sich Myrthan über den langen, eisengrauen Bart. »Aber, je länger wir hier bleiben, umso größer ist die Gefahr, dass wir entdeckt werden. Und auch für Euch ist das nicht ganz ungefährlich.«

»Ich weiß, aber ich finde es sehr wichtig, dass etwas gegen Adamath unternommen wird.«

»Das ehrt Euch, Prinz Trian«, erwiderte der Zauberer seufzend. »Ich befürchte, uns wird nichts anderes übrig bleiben, als Euer Angebot anzunehmen.«

Noch einmal sahen sich alle genau um, doch schließlich mussten sie aufgeben und krochen mühsam den Weg wieder zurück. Es dämmerte tatsächlich bereits, als sie endlich wieder im Schloss angekommen waren. Müde und unzufrieden schlichen sie zurück in den verlassenen Turm. Langsam erwachte das Schloss zum Leben und hier und da hörte man Geräusche, oder sah eine verschlafene Magd vorbeihuschen.

»Es tut mir leid«, sagte Prinz Trian unglücklich, als sie wieder in dem Raum angekommen waren.

»Ihr könnt nichts dafür«, versuchte Myrthan ihn zu beruhigen. »Wir sind Euch trotz allem sehr dankbar.«

Der junge Prinz nickte, wirkte aber dennoch unzufrieden. »Ich werde Euch Frühstück bringen lassen. Und falls Ihr Euch entschließt, hier zu bleiben, dann kann ich Euch frische Kleidung besorgen und die Eure zum Reinigen bringen.«

Der Zauberer nickte müde und Prinz Trian verließ mit seinen beiden Wachen den Saal. Alle ließen sich in einen der Sessel oder auf das große Sofa fallen und starrten düster vor sich hin.

»Ist es denn überhaupt sicher, dass es diese Tafel ist, die den Hinweis auf die Rune gibt?«, fragte Fio´rah plötzlich.

Myrthan seufzte. »Wenn sie es nicht ist, dann weiß ich überhaupt nicht, wo wir suchen sollen. Diese Zwergenstadt war riesig. Wir könnten den Rest unseres Lebens dort unten verbringen.«

Das hob die Stimmung nicht wesentlich. Irgendwann erschien ein Diener und brachte ein üppiges Frühstück, doch wirklich Appetit hatte niemand.

Der Diener blickte sich fragend um. »Kleidung für vier Männer und, äh, zwei Frauen?«

Myrthan nickte abwesend und der Diener verschwand. Kurz darauf kehrte er mit den Kleidungsstücken zurück. Nachdem alle abwechselnd gebadet, und ihre Kleider gewechselt hatten, setzten sie sich zusammen im Wohnraum ans Feuer. Obwohl es draußen ziemlich heiß sein musste, waren die Räume im Inneren so kühl, dass man ein Feuer im Kamin gut vertragen konnte.

Fio´rah stupste Ceara grinsend an. »Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals ein Kleid getragen zu haben.«

Voller Bewunderung musterte Ceara die Fiilja. Sie trug einen langen sandfarbenen Rock mit einem schwarzen Oberteil.

»Das sieht aber sehr hübsch aus«, meinte Ceara ehrlich, die selbst ein dunkelgrünes Kleid an hatte, dessen weite Ärmel mit schwarzen Mustern verziert waren.

»Du auch«, erwiderte Fio´rah augenzwinkernd. »Aber Männerkleidung finde ich trotzdem praktischer.«

Dem musste Ceara grinsend zustimmend, doch dann räusperte sich Myrthan und sie besprachen, wie sie weiter vorgehen sollten. Immer wieder wurden Vorschläge gemacht und anschließend verworfen. Alan schlug vor, dass ein Teil sich schon auf die Suche nach der Rune in Fearánn machen sollte, aber Myrthan widersprach. Er war sich sicher, dass sie alle benötigt wurden. Gemeinsam nach Fearánn aufzubrechen und zur Sommersonnenwende zurückzukehren, wäre ohnehin nicht sehr sinnvoll. Die Zeit war hierzu einfach zu knapp.

Schließlich einigten sie sich darauf zu bleiben. Myrthan wollte sich des Nachts gelegentlich in den Drachen verwandeln, um sich etwas umzusehen. Falls Gefahr drohte, könnten sie rechtzeitig verschwinden. Doch es war ein Risiko, vor allem, da Harakoel im Schloss war und Dämonenreiter und Orks die Gegend absuchten. Aber es blieb wohl keine andere Wahl. Trotz allem beschlossen sie, dass in der Nacht immer zwei von ihnen in die Zwergenstadt gehen sollten, um nach der Rune zu suchen, falls die Tafel doch nicht der richtige Hinweis wäre. Bran und Myrthan erklärten sich bereit, die erste Erkundungstour in dieser Nacht zu machen.

Prinz Trian kam am späten Nachmittag und war sehr erfreut zu hören, dass sie blieben. »Selbstverständlich werde ich Euch zwei meiner Wachen mitgeben«, bot er sofort an. Plötzlich fiel sein Blick auf Ceara. Er runzelte die Stirn und schrak zusammen. »Ihr … Ihr seid doch die Verlobte des Königs!«

Bevor Ceara den Mund aufmachen konnte, stellte sich Daron vor sie und sagte bestimmt: »Ihr irrt Euch, sie ist es nicht.«

Prinz Trian runzelte die Stirn und wollte noch etwas entgegnen. Er war sich vollkommen sicher, sie bei der Verlobungsfeier, auf der auch er und seine Familie gewesen waren, gesehen zu haben.

»Daron, wir haben doch beschlossen, ihm zu trauen!«, sagte Myrthan streng. Doch Daron setzte ein stures Gesicht auf und hielt Ceara hinter sich fest, die wieder nach vorne kommen wollte.

Prinz Trian schien sich wieder einigermaßen gefasst zu haben. »Ob sie es nun ist oder nicht ist gleichgültig. Falls ja, dann kann ich verstehen, dass sie geflohen ist.« Damit wandte er sich ab und verließ den Raum. Irgendwie wirkte er ein wenig beleidigt.

»Lass mich jetzt los!« Ceara löste sich aus Darons Griff, dann baute sie sich vor ihm auf. »Wenn er uns verraten wollte, dann hätte er es ohnehin schon getan. Meinst du, es macht einen Unterschied, ob er weiß wer ich bin oder nicht?«

Daron machte ein wütendes Gesicht. Offensichtlich wusste er darauf keine Antwort. »Ach, was weiß ich. Es ist besser, wenn es geheim bleibt.«

Ceara schüttelte den Kopf und stellte sich mit verschränkten Armen ans Fenster. Sie konnte über die felsige Landschaft blicken und im Westen sah man sogar schon die Wälder von Fearánn.

Die anderen zogen sich in ihre Zimmer zurück. Bran und Alan teilten sich eins, ebenso wie Ceara und Fio´rah. Im dritten konnten Daron und Myrthan schlafen. Daron trat hinter Ceara, die am Fenster stehen geblieben war und legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter.

»Es tut mir leid. Ich will nur nicht, dass dich jemand erkennt und am Ende nach Huellyn zurückbringt.«

Sie schnaubte. »Aber wenn du den Prinzen verärgerst, hilft es uns auch nicht. Er hat mich ohnehin erkannt.«

»Ich weiß«, gab er zu und seufzte dann. »Ich werde mich bei ihm entschuldigen.«

»Gut.« Noch immer wirkte Ceara etwas verstimmt, aber schließlich lächelte sie, irgendwie verstand sie ihn ja.

Daron betrachtete sie eine ganze Weile und Ceara wurde irgendwann nervös.

»Was starrst du mich denn so an?«

»Entschuldige, aber dieses Kleid passt perfekt zu deinen Augen«, antwortete er und lächelte sie verliebt an.

»Oh.« Verlegen zupfte sie an ihrem Kleid herum und murmelte: »Ich ziehe sonst nie Kleider an.«

»Schade! Ich gebe ja zu, dass es zum Reiten und Schwertkämpfen ein wenig unpraktisch sein kann, aber du siehst sehr hübsch aus.«

Erneut wurde Ceara rot und überlegte, was sie erwidern sollte, doch sie wurde unterbrochen, als es an der Tür klopfte. Ein Diener nannte das Losungswort und wurde mit dem Abendessen eingelassen. Nach dem sehr guten und üppigen Essen verschwanden Ceara, Alan und Fio´rah gleich in ihren Zimmern. Sie waren alle müde. Bran und Myrthan warteten auf den Soldaten, der sie in die Katakomben begleiten sollte. Daron legte noch ein wenig Holz im Kamin nach und wollte ebenfalls schlafen gehen, doch Bran hielt ihn an der Schulter zurück, als der Zauberer kurz im Baderaum verschwunden war.

»Darf ich dir einen Rat geben, Daron?«, fragte der ältere Mann lächelnd.

Daron schaute ihn verdutzt an, nickte dann jedoch.

»Nachdem wir einige Zeit hier bleiben werden, ist es doch für dich und Ceara eine gute Gelegenheit … nun … wie soll ich sagen?« Bran grinste spitzbübisch. »Ein wenig ungestört zu sein.«

Daron nickte, wusste aber scheinbar nicht, worauf Bran hinaus wollte.

»Ich habe mit Myrthan geredet. Er hätte nichts dagegen, wenn er in dem dritten Bett schläft, welches im Zimmer von mir und Alan steht.«

Einen Moment lang starrte Daron Alans Onkel an und wurde dann zu seinem Ärger rot. »Du, äh … du meinst«, stammelte er schließlich verlegen, »sie würde sich nicht in ihrer Ehre gekränkt fühlen, wenn … wenn … wir ein Zimmer teilen würden?«

Lächelnd schüttelte Bran den Kopf. »Nein, das würde sie nicht. Ich glaube eher, sie wäre beleidigt, wenn du sie nicht fragst. Sieh mal, in unserer Welt sieht man diese Sachen, nun ja, etwas lockerer, wenn du weißt, was ich meine.«

Daron wirkte überrascht. »Also, es gab in Dìonàrah durchaus einige Völker, bei denen Frauen und Männer miteinander gelebt haben, die nicht verheiratet waren. Aber die meisten Frauen heutzutage würden es wohl als unehrenhaft betrachten.«

»Ceara nicht«, sagte Bran einfach und schlug ihm auf die Schulter. »Überleg dir´s! So eine Gelegenheit habt ihr wohl nicht so schnell wieder.«

Beinahe die ganze Nacht lang dachte Daron darüber nach. Am nächsten Tag betrachtete er Ceara die ganze Zeit über, die unter seinen Blicken schon ganz nervös würde. Er brauchte jedoch noch einige Tage, bis er sich schließlich traute, sie anzusprechen.

Die Suche in den Katakomben war erfolglos geblieben, daher mussten sie weiterhin im Felsenreich bleiben. Myrthan verließ das Schloss wie geplant gelegentlich in der Nacht, doch außer einigen Ork-Patrouillen sah er nichts Beunruhigendes. An sich war es eine recht entspannte Zeit für die Gefährten. Zumindest für diejenigen, die nicht in den Katakomben herumkriechen mussten. Es gab gutes Essen, sie hatten nicht viel zu tun und konnten sich ausruhen. Prinz Trian war allen sympathisch. Er kam vorbei, wann immer er es wagen konnte. Er berichtete, was er von Adamath und Krethmor wusste, aber momentan schien es in Huellyn ruhig zu sein.

An diesem Abend aßen alle gemeinsam. Alan und Fio´rah wollten später in die Katakomben gehen. Myrthan machte sich bereit, sich in den Drachen zu verwandeln und Prinz Trian entschuldigte sich gleich nach dem Abendessen. Daron, Ceara und Bran saßen am Feuer und tranken etwas von dem guten Rotwein, den der Prinz ihnen spendiert hatte. Irgendwann gähnte Bran laut und verkündete, jetzt ins Bett zu gehen. Er zwinkerte Daron zu und verschwand.

Ceara und Daron saßen nebeneinander und starrten in die Flammen. Vorsichtig legte Daron einen Arm um sie.

»Bist du auch müde?«, fragte er und seine Stimme war vor Aufregung ein wenig heiser.

Sie schüttelte den Kopf und lehnte sich zufrieden an ihn. Eine ganze Weile saßen sie eng zusammengekuschelt und schließlich räusperte Daron sich.

»Wenn es dir nichts ausmacht, könnten wir auch ein Zimmer teilen.« Er blickte sie erwartungsvoll und auch etwas verlegen an.

Ceara lächelte. »Das würde mir überhaupt nichts ausmachen.« Dann stockte sie plötzlich und lief knallrot an. Ihr war plötzlich ein furchtbarer Gedanke gekommen.

»Was ist denn? Wenn du nicht möchtest, dann müssen wir nicht«, sagte Daron und streichelte ihr übers Gesicht.

Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Ich … ich weiß nur nicht, wie die Sitten bei euch sind. Ich meine …«, begann sie vorsichtig. Ceara wusste gar nicht, wie sie es ihm sagen sollte, doch dann fasste sie sich ein Herz. »Vielleicht findest du mich jetzt unmoralisch, oder unanständig, oder Schlimmeres, aber ich war schon mal mit einem Mann zusammen.« Jetzt blickte sie ihn ängstlich an.

Zunächst wirkte er etwas überrascht und runzelte kurz die Stirn, dann drückte er sie an sich. »Nein, das finde ich überhaupt nicht unanständig. Auch ich hatte schon ein paar Mädchen. Ich hoffe, dir macht das ebenfalls nichts aus.«

Erleichtert versicherte Ceara, dass es ihr gar nichts ausmachte. Dann stand sie grinsend auf und zog ihn an der Hand hoch. »Also, wenn es dich nicht stört, dass ich mit dem größten Idioten dieser Welt verlobt bin, dann können wir gerne in dein Zimmer gehen.«

Leise lachend hob er sie hoch. »Ich glaube, diese Verlobung war wohl doch etwas einseitig.« Dann verschwanden sie in Darons Zimmer.

Myrthan lächelte, als er in der Nacht auf dem Balkon vor dem Wohnraum landete und anschließend einen vorsichtigen Blick in Darons Zimmer warf. Bran hatte ihn bereits vorgewarnt und so legte er sich in das schmale Bett, das im Zimmer von Alan und Bran stand.

Bran wachte kurz auf und murmelte schläfrig: »Na, haben sie es endlich geschafft?«

»Es erweckt den Anschein.« Der Zauberer lächelte und schlief bald darauf ein.

Am nächsten Tag beim Frühstück machten Ceara und Daron derart glückliche Gesichter, dass selbst Alan seine noch immer leicht vorhandene Eifersucht herunterschluckte.

Myrthan nahm Ceara im Laufe des Tages beiseite und drückte ihr ein Päckchen in die Hand.

»Hier«, flüsterte er, »wenn du möchtest, kannst du diese Kräuter nehmen. Es wäre wohl momentan nicht sehr sinnvoll, wenn du schwanger werden würdest. Obwohl ich mich da nicht einmischen möchte!«

Sie wurde ein wenig rot, grinste dann aber dankbar. »Das wäre es wahrscheinlich nicht. Vielen Dank!«

»Du solltest dir am Morgen davon einen Tee aufbrühen. Notfalls kannst du die Blätter auch einfach zerkauen, dann schmecken sie allerdings etwas bitter.«

Mit einem dankbaren Lächeln und machte sich Ceara daran, einen Teekessel über das Feuer zu hängen.

Die nächsten Tage vergingen relativ ereignislos. Die nächtlichen Streifzüge brachten keine Erfolge und alle warteten auf die Sommersonnenwende. Außer Daron und Ceara, die es genossen, Zeit für sich allein zu haben, wurden alle langsam ungeduldig. Alan saß eines Nachmittags in einem der Sessel und knabberte missmutig an einem Stück Gebäck herum.

»Wir werden noch alle faul und fett in diesem Schloss«, knurrte er.

Fio´rah hatte ihre langen Beine über die Lehne eines anderen Sessels gelegt und meinte mit einem Grinsen, das ihre spitzen Zähne blitzen ließ: »Du vielleicht. Wir Fiiljas werden nie fett!« Damit nahm sie sich ein weiteres Stück Gebäck und biss herzhaft hinein.

Bran lachte, doch auch er wurde langsam ungeduldig, ebenso wie Myrthan, der zunehmend nervös wirkte. Irgendwie spürte der Zauberer, dass sie sich nicht mehr allzu lang Zeit lassen durften.

Tatsächlich schaffte es Prinz Trian, seine geheimen Gäste vor den anderen Schlossbewohnern zu verbergen – vor allen, bis auf seinen kleinen, neugierigen Sohn. Der schlich, wie schon sein Vater in seinem Alter, einfach zu gern durch das Schloss. Ergon machte sich einen Spaß daraus, sich vor den Dienern zu verstecken und sie zu erschrecken, wenn es ihm einfiel.

Eines Tages folgte er einer der Mägde und wunderte sich noch, was sie im Nordturm tat. Dorthin kam normalerweise niemand. Leise und von Nische zu Nische huschend, lief er ihr hinterher. Der kleine Ergon hörte das Losungswort mit an, nahm all seinen Mut zusammen, und klopfte an die Tür, nachdem die Magd wieder verschwunden war. Er musste wissen, was sich dahinter verbarg.

»Zepter des Drachen«, rief er so bestimmt wie möglich und hoffte, dabei möglichst erwachsen zu klingen.

Die Tür öffnete sich knarrend und Ergon wich nach hinten zurück, als ihm ein großer Mann mit dem längsten Bart entgegenkam, den er jemals gesehen hatte. Myrthans lange, eisengraue Haare und die stechenden Augen taten ihr Übriges. Ergon war kurz davor, loszuheulen.

Doch dann wurden die Augen des Zauberers weich.

»Ja, wen haben wir denn da?«, fragte er freundlich.

»Ppprinz Eeerrgon«, stotterte der Kleine mit allem Mut, den er aufbringen konnte.

Myrthan hob die Augenbrauen. »Und was willst du hier?«

Ergon straffte die Schultern und antwortete bestimmt: »Ich wollte sehen, wer hier lebt. Denn hier lebt normalerweise niemand.«

Ein Lachen unterdrückend machte der Zauberer eine einladende Handbewegung. »Mein Name ist Myrthan. Darf ich dich hereinbitten?«

Einen Augenblick zögerte Ergon, dann nickte er und trat vorsichtig in den Raum. Er starrte alle Anwesenden mit offenem Mund an. Doch als sein Blick Fio´rah traf, fing er wirklich an zu weinen und wollte zur Tür hinaus rennen. Myrthan hielt ihn fest.

»Langsam, langsam, junger Prinz. Niemand wird dir etwas tun.«

Ergon zappelte und wollte sich vergeblich aus Myrthans Griff befreien, doch der Zauberer hielt ihn eisern fest.

»Das ist eine Hexe, sie wird mich verhexen!«, schluchzte der Kleine und trommelte auf den Zauberer ein.

»Nein, das wird sie nicht«, erwiderte Myrthan bestimmt und drehte Ergon herum. »Das ist Fio´rah, sie ist eine Fiilja. Außerdem ist sie eine gute Freundin von mir. Kennst du Fiiljas?«

Ergon nickte vorsichtig. Sein Lehrer hatte von Fiiljas erzählt. Doch sein Großvater hatte immer gesagt, Frauen die kämpfen seien allesamt Hexen. Das verkündete Ergon nun mit Überzeugung.

Mit Mühe unterdrückte Myrthan ein Schmunzeln. »Siehst du das Mädchen dort drüben?« Er deutete auf Ceara und Ergon nickte. »Auch sie kann kämpfen. Und auch sie ist keine Hexe.«

Verwirrt starrte Ergon von Fio´rah zu Ceara und konnte den Mund gar nicht mehr schließen.

»Mal abgesehen davon, mein Kleiner«, fuhr der Zauberer fort, »es gibt gute und böse Hexen. So wie es gute und böse Könige gibt. Dein Vater ist ein Freund von uns, deswegen lässt er uns hier wohnen. Und deinen Vater hältst du doch nicht für böse, oder?«

Der kleine Prinz schniefte, wischte sich die Tränen ab, und schüttelte dann den Kopf. »Nein, mein Vater ist nicht böse.«

Nun war Myrthan halbwegs zufrieden. »Ergon«, sagte er mit einem Blick zur Tür, »würdest du uns die Ehre erweisen, mit uns zu essen, bis dein Vater kommt?«

Nach kurzem Zögern setzte sich Ergon an den Tisch. Immer wieder wanderte sein Blick zu Fio´rah, die ihm dann aufmunternd zulächelte, doch Ergon schien die Fiilja nicht ganz geheuer zu sein.

Es dauerte einige Zeit, bis Prinz Trian endlich auftauchte. Als er seinen kleinen Sohn sah, wurde er zunächst ein wenig blass, dann schimpfte er los.

»Ergon, verdammt noch mal, was tust du denn hier?«

»Ich bin der Magd nachgelaufen«, antwortete Ergon selbstbewusst.

Prinz Trian setzte zu einem Donnerwetter an, doch dann überlegte er es sich anders. Er nahm seinen Sohn zur Seite.

»Ergon, ich muss jetzt etwas sehr Wichtiges von dir verlangen und ich hoffe, dass du schon alt genug dafür bist«, sagte er eindringlich.

Der kleine Prinz richtete sich zu seiner vollen Größe auf, streckte die Brust heraus und nickte nachdrücklich. »Ich bin schon groß!«

Sein Vater unterdrückte ein Schmunzeln. »Diese Leute hier, das sind Freunde von mir. Aber es ist ein Geheimnis!«, sagte er ernst.

»Ich mag Geheimnisse.« Ergons Augen begannen zu funkeln.

»Gut. Normalerweise möchte ich nicht, dass du Geheimnisse vor deiner Mutter hast. Aber diesmal muss es ein Geheimnis zwischen dir und mir bleiben. Ist das klar?«

Ergon nickte eifrig.

»Vor allem darf dein Großvater davon nichts erfahren. Nur du und ich, Ergon!«

Der Kleine schien vollkommen begeistert zu sein und hüpfte auf und ab. »Natürlich, Vater! Ich werde nichts verraten!«

Prinz Trian wirkte wenig zufrieden und warf Myrthan einen hilfesuchenden Blick zu, doch auch der zuckte nur die Achseln. Sie mussten sich wohl auf das Wort dieses kleinen Jungen verlassen.

»So«, sagte Prinz Trian seufzend, »jetzt gehst du zurück und kommst nicht mehr ohne mich her! Denk an das, was ich dir gesagt habe.«

Fröhlich lachend versprach es Ergon und hüpfte aus dem Zimmer.

Prinz Trian bedeckte die Augen mit den Händen und lehnte sich an die Wand. »Ich hätte wissen müssen, dass er es eines Tages herausfindet. Er schleicht genauso durchs Schloss, wie ich es in seinem Alter getan habe.«

»Denkt Ihr denn, er wird es für sich behalten?«, fragte Bran.

»Ja, ich denke schon. Zumindest eine Zeit lang. Es ist ja nicht mehr sehr lang bis zur Sommersonnenwende«, antwortete Prinz Trian, doch man sah ihm die Zweifel an.

Während der nächsten Tage waren alle sehr angespannt und zuckten bei jedem unerwarteten Geräusch zusammen. Doch der kleine Prinz schien sein Wort zu halten und schwieg. Gelegentlich kam Ergon mit seinem Vater in den Nordturm und langsam fasste der Kleine zu allen Anwesenden Vertrauen.

Immer wieder versicherte er: »Ich kann Geheimnisse gut für mich behalten!«

Und so schien es auch zu sein, denn als die Gefährten in Begleitung von Prinz Trian und drei Soldaten am Abend der Sommersonnenwende durch die Gänge schlichen, war alles ruhig. Dennoch waren alle nervös. Würden sie die Rune jetzt endlich finden? Sie verhielten sich so still wie möglich und versuchten, niemanden aufzuwecken.

Dummerweise verspürte gerade in dieser Nacht Harakoel den unwiderstehlichen Drang, noch ein nächtliches Mahl einzunehmen. In seinen Morgenmantel gekleidet wankte er gähnend durch die Gänge, als ihm verdächtige Geräusche zu Ohren kamen. Er drückte sich in eine Nische und beobachtete, wie neun verhüllte Gestalten durch die Gänge schlichen. Sie hatten keine Fackeln entzündet und allen voran lief Prinz Trian, der als Einziger keinen Umhang mit Kapuze trug. Harakoel überlegte kurz, dann hastete er zu seinem Gemach zurück, kleidete sich in Windeseile an, und lief so schnell er konnte zum Gemach des Königs. Dort veranstaltete er einen furchtbaren Wirbel, als die Wachen ihn nicht einlassen wollten.

»Ich muss sofort den König sprechen!«, verlangte er entrüstet.

»Der König benötigt seine Nachtruhe.« Der Wachmann gähnte gelangweilt.

Harakoel zappelte von einem Bein aufs andere und er begann zu zucken.

»ICH – MUSS – IHN – SPRECHEN!«, rief er mit irrem Blick und fuchtelte wie verrückt mit den Händen herum. Wahrscheinlich hielten nur die großen Lanzen der Wachen ihn davon ab, einen der Wachmänner zu treten.

Die Wachen blieben standhaft. Doch offensichtlich hatte der König Harakoels Geschrei gehört und kam nun mit wütendem Gesicht, in ein Nachtgewand gekleidet, heraus.

»Was brüllt Ihr denn so herum, Harakoel?«

Der machte ein erleichtertes Gesicht, hatte seine Zuckungen aber scheinbar noch nicht unter Kontrolle. Sein Gesicht verzerrte sich in Ekstase.

»Ich habe etwas beobachtet, mein König!«, rief er wichtigtuerisch. »Es sah sehr bedeutsam aus!«

Mit einem Seufzen winkte der alte König Harakoel in sein Gemach. »Was habt Ihr denn gesehen?«

»Ich sah Euren Sohn, wie er eine Gruppe von neun vermummten Männern anführte. Sie verhielten sich so, als ob sie nicht gesehen werden wollten!«, berichtete Harakoel triumphierend.

»Aha. Und wo gingen sie hin?«

Harakoel begann wieder zu zucken. »Ich bin mir nicht sicher, vielleicht in Richtung der Keller.«

»Ihr hättet ihnen folgen sollen!«

»Ja, aber, …«, setzte Harakoel mit verzerrtem Gesicht an, doch der König unterbrach ihn.

»Nun gut. Ich werde mich ankleiden. Sagt den Soldaten Bescheid, dass sie das Schloss durchsuchen und die Orks sollen sich ebenfalls vor den Toren versammeln.«

Harakoel nickte eifrig und stolperte beinahe über seine eigenen Füße, als er das Zimmer verließ. Er gab die Befehle des Königs weiter und wartete anschließend vor dessen Gemach. Währenddessen durchsuchten bereits über hundert Soldaten das Schloss. Sie sollten verdächtige Personen festnehmen ― tot oder lebendig. Nur das Leben des Prinzen sollte geschützt werden.

Durch den Lärm, den die bewaffneten Soldaten verursachten, wachten auch Ergon und seine Mutter auf. Der kleine Prinz kam verschlafen aus seinem Kinderzimmer.

»Mutter, was ist denn los?«, fragte er gähnend.

Diese machte ein besorgtes Gesicht, da ihr Mann mal wieder nicht in seinem Bett lag. »Sicher nichts Besonderes, geh wieder in dein Zimmer, Ergon. Ich werde nachsehen.« Prinzessin Seora versuchte, ihrer Stimme einen beruhigenden Klang zu geben, doch selbst ihr kleiner Sohn konnte sehen, wie nervös sie war.

Ergon überlegte kurz und wollte aus reinem kindlichem Trotz widersprechen, doch dann nickte er und ging in sein Zimmer. Er würde mehr herausbekommen, wenn er auf eigene Faust herum schlich. So wartete er, bis seine Mutter aus dem Zimmer verschwunden war, dann schlich er hinter ihr her. Überall rannten Soldaten durch die Gänge, doch auf den kleinen Prinzen achtete niemand.

Prinzessin Seora hastete durch das Schloss. Sie war auf dem Weg zu ihrem Schwiegervater. Diesen fand sie in seinem Arbeitszimmer, wie er mit ernstem Gesicht am Schreibtisch saß, Harakoel in einem großen Sessel neben sich.

»Schwiegervater, was geht hier vor?«, fragte Seora, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, die Tür zu schließen.

Der alte König warf einen missbilligenden Blick auf Harakoel und befahl: »Lasst mich allein und macht Euch irgendwie nützlich.«

Mit geweiteten Augen glotzte Harakoel ihn an. »Äh, nützlich, äh, wie meint Ihr das?«

König Assan verdrehte die Augen. »Helft bei der Suche, führt einen Trupp Orks an, oder was weiß ich!«

Offenbar wollte Harakoel etwas erwidern, doch König Assan unterbrach ihn. »Wartet. Ihr seht nach dem Gefangenen, den König Adamath gebracht hat und bringt ihn hierher.«

Zwar zog Harakoel ein wenig begeistertes Gesicht, doch er verbeugte sich und verließ den Raum. Draußen herrschte er einen von König Assans Soldaten an, er solle den Gefangenen aus dem Kerker holen und machte es sich selbst in einer Ecke der großen Versammlungshalle bequem, wo er einen kalten Hühnerschenkel verspeiste.

Sobald Harakoel gegangen war, bedeutete König Assan seiner Schwiegertochter, sich zu setzen. Er wirkte wütend. »Dieser Narr, der sich deinen Gemahl nennt, unterstützt irgendwelche Rebellen bei – weiß der Donnergott was!«

Seora wurde blass und fragte kaum hörbar: »Woher weißt du das?«

»Harakoel sagte, Trian würde mit einer Gruppe von vermummten Männern durch das Schloss schleichen.«

Der alte König schlug mit der Faust auf die hölzerne Lehne seines Stuhles. »Ich habe die ganze Zeit schon so etwas vermutet. Seora, weißt du davon?«

Die junge Frau schüttelte den Kopf. Sie wusste zwar, dass ihr Mann etwas gegen Adamath unternehmen wollte, und er in den letzten Nächten häufig nicht in ihrem gemeinsamen Schlafgemach gewesen war, doch in seine Pläne hatte er sie nicht eingeweiht.

Mit einer Schnelligkeit, die man in seinem Alter eigentlich nicht vermutet hätte, sprang König Assan auf und fasste seine Schwiegertochter etwas härter am Arm als nötig.

»Bist du sicher? Ich habe den Wachen zwar gesagt, sie sollen sein Leben verschonen, doch man weiß ja nie …«

Nun wurde Seora noch blässer und Tränen traten in ihre Augen. »Nein, er hat nichts gesagt. Ich weiß nur, dass er nach diesen Rebellen Ausschau halten wollte.«

König Assan fluchte und ließ seine Schwiegertochter los. Dann begann er unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen.

Was er nicht wusste war, dass sein kleiner Enkel vor der Tür stand und sein Ohr dagegen presste. Ergon hatte nicht alles verstanden, doch ihm war klar, dass er seinen Vater warnen musste. Und er wusste sehr genau, wo der sich im Moment aufhielt. Also rannte Ergon so schnell ihn seine kurzen Beine trugen durch das Schloss und kam in den engen Gängen natürlich sehr viel schneller voran als die Erwachsenen. Zum Glück suchten die Soldaten ohnehin nicht in den halb verschütteten Gängen. Doch Ergon war klar, dass er sich beeilen musste.

»Geh in dein Gemach«, befahl König Assan seiner Schwiegertochter. »Ich werde dich benachrichtigen lassen, falls mein närrischer Sohn gefunden wird.«

Seora nickte resigniert und ging mit hängenden Schultern in ihr Gemach, sie machte sich entsetzliche Sorgen. Die Prinzessin warf rasch noch einen Blick in das Zimmer ihres Sohnes, doch der schien unter seinen Decken tief und fest zu schlafen. Leise zog sie die Tür zu und setzte sich mit sorgenvoller Miene in einen der weichen Sessel.

Wieder einmal waren die Gefährten auf dem beschwerlichen, endlos scheinenden Weg durch die niedrigen Gänge zum ehemaligen Thronsaal der Zwerge. Von der Aufregung, die mittlerweile im Schloss herrschte, bekamen sie nichts mit. Endlich erreichten sie den Thronsaal und blieben überrascht stehen. Diesmal war es nicht dunkel wie sonst, sondern weiches Mondlicht fiel in die Höhle.

»Es muss etwas mit dem Stand der Monde zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende zu tun haben«, murmelte Myrthan und betrat ehrfürchtig den verlassenen Thronsaal.

Erst jetzt sah man richtig, wie wunderschön er einst gewesen sein musste. Die Säulen waren mit in den Stein gehauenen Reliefs verziert. Der steinerne Thron selbst war kunstvoll verziert. Doch nun war vieles verfallen. Myrthan trat mit gerunzelter Stirn näher. Ein Mondstrahl fiel auf einen Diamanten, der in dem Thron eingearbeitet war, und brachte ihn zum Strahlen. Dieser Strahl setzte sich fort und fiel auf ein meisterhaft gearbeitetes steinernes Bild an der rechten Wand der Höhle. Auf dem Bild waren einige Zwerge in voller Rüstung zu sehen, die Äxte schwingend gegen eine Horde Orks kämpften. Einer der Zwerge hielt etwas in der Hand. Genau darauf zeigte nun auch der Lichtstrahl. Myrthan trat näher an das Bild und hielt kurz darauf triumphierend einen kleinen Kieselstein mit einer Rune in der Hand.

»Wir hätten die Rune ohne das Mondlicht niemals gefunden«, sagte er begeistert und zeigte den anderen den kleinen Stein. Alle waren sehr erleichtert, die Rune nun doch noch gefunden zu haben.

»Vielen Dank für Eure Gastfreundschaft und Eure Hilfe, Prinz Trian.« Myrthan verbeugte sich. »Wir werden jetzt weiterziehen.«

Prinz Trian nickte und wirkte sogar ein wenig enttäuscht, als er sagte: »Es war mir eine Ehre. Meine Soldaten werden Euch sicher aus dem Felsenreich führen. Wenn Ihr erneut Hilfe benötigt, dann wendet Euch jederzeit an mich.« Der Prinz hatte sich an den Zauberer und seine Gefährten gewöhnt und er mochte sie.

Der Zauberer deutete eine Verbeugung an. »Es mag sein, dass wir eines Tages erneut Eure Hilfe benötigen werden. Aber fürs Erste habt Ihr mehr als genug für uns getan.«

Die Gefährten hatten sich gerade wieder zum Gehen gewandt, als sie plötzlich hastende Schritte hörten. Sie zogen die Waffen und Prinz Trian machte ein mehr als erschrockenes Gesicht, als plötzlich sein kleiner Sohn in der Öffnung erschien.

»Ergon, im Namen des Donnergottes! Was tust du hier?«

Ergon konnte nicht gleich antworten. Er war so schnell gerannt, dass er jetzt keine Luft mehr bekam.

»Die … Soldaten … sie … suchen euch«, stieß er heftig schnaufend hervor.

Sein Vater kniete sich neben ihn und fasste ihn am Arm. »Was sagst du?«

Ergon erzählte alles, was er wusste. Als er geendet hatte, blickten sich alle betreten an.

»Durch das Schloss könnt Ihr nicht flüchten«, stellte Prinz Trian besorgt fest. »Ihr werdet Euch wohl hier verstecken müssen, bis sich die Aufregung ein wenig gelegt hat.«

Die anderen stimmten ihm zu. Ergon zupfte seinem Vater ununterbrochen am Ärmel. »Vater ich …«

»Nicht jetzt, Ergon«, unterbrach dieser ihn und beratschlagte mit Myrthan und den anderen, wie es weitergehen sollte.

»Ich muss zu meiner Frau. Seora ist sicherlich schon krank vor Sorge.«

»Vater ich …«, setzte Ergon erneut an und begann neben seinem Vater auf und ab zu hüpfen.

»Nicht jetzt!«, wiederholte Trian, nun etwas ärgerlich, und wandte sich Myrthan zu. »Ich werde Euch meine Soldaten hier lassen.«

»Aber ich …«, plärrte Ergon los.

»Verflucht noch mal, jetzt sei doch endlich still!«, schrie Prinz Trian. Jetzt war er wirklich wütend.

»ABER ICH WEISS EINEN WEG HIER RAUS!«, schrie Ergon aus Leibeskräften.

Sofort verstummten alle Gespräche und jeder blickte den kleinen Prinzen verdutzt an, der den Kopf einzog.

»Wie? Du kennst einen Weg hier raus?«, fragte sein Vater verständnislos.

Ergon strahlte ihn an. »Ich habe oft hier gespielt. Es gibt einen Gang, der führt am Fluss vorbei nach draußen.«

Prinz Trian wurde bleich. »Wieso hast du hier gespielt?«

Sein Sohn grinste nur und zuckte die Achseln.

»Mir scheint, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm«, meinte Daron lächelnd.

»Und du bist dir sicher, dass du den Weg nach draußen findest. Und vor allem, dass auch Erwachsene hindurch passen?«

Der Kleine nickte begeistert. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und fragte mit strahlenden Augen: »Ich darf sie wirklich nach draußen führen?«

Einige Zeit zögerte Trian und kämpfte innerlich mit sich doch dann drückte er Ergons Schulter. »Ich befürchte, das musst du, denn ich muss nach deiner Mutter sehen.«

Ergon hüpfte von einem Bein auf das andere und rannte bereits ans äußerste Ende des Thronsaals, von dem ein Gang abzweigte.

»Kommt doch!«, rief er begeistert.

»Warte, Ergon«, rief sein Vater streng und der Kleine blieb ungeduldig stehen.

»Wenn Ihr draußen seid, folgt dem Fluss. Ich weiß nicht genau, wo der Gang endet, aber flussaufwärts gibt es eine auffällige Felsformation«, erklärte Trian seinen Begleitern. »Es handelt sich um drei hohe, abgerundete Steine. Zwischen dem zweiten und dritten führt ein schmaler Spalt in eine Höhle, das ist der Anfang eines Labyrinths. Wartet dort auf mich.«

Daron kannte diese Felsen. »Ich werde Euch ins Schloss begleiten. Ihr solltet nicht alleine gehen.«

Erschrocken sog Ceara die Luft ein, doch Prinz Trian schüttelte bereits den Kopf. »Nein, ich gehe allein. Mir werden die Soldaten nichts tun. Ihr habt Ergon ja gehört. Mein Vater hat angeordnet, dass ich verschont werde. Nehmt meine Soldaten und geht, sie würden ohnehin bestraft werden. Und bitte, passt auf Ergon auf.«

Daron nickte halbherzig. Ihm gefiel es nicht, dass Prinz Trian ganz ohne Begleitung ins Schloss zurückkehren wollte, aber ihm war auch bewusst, dass Trian Recht hatte.

Nun rief Prinz Trian seinen Sohn zu sich zurück. Ergon kam ungeduldig näher. »Ergon, du musst mir jetzt genau zuhören.

Du führst unsere Freunde nur bis zum Ausgang der Höhle und kehrst sofort zurück ins Schloss. Ist das klar?«

Enttäuscht schob Ergon die Unterlippe vor. »Ich könnte sie zu den Felsen führen.«

»Nein!«, sagte Prinz Trian streng. »Bis zum Ausgang und dann kehrst du ins Schloss zurück. Und sei sehr vorsichtig, ja?«

»Also gut«, seufzte er.

Prinz Trian umarmte seinen Sohn und Myrthan bemühte sich, ihn zu beruhigen. Er würde gut auf Ergon aufpassen. Kurz darauf verschwand der Prinz mit einem letzten besorgten Blick auf seinen Sohn in den Felsengängen. Ergon nahm währenddessen Ceara an der Hand und zog sie voller kindlicher Begeisterung und Abenteuerlust durch die Höhle – für ihn war das alles ein aufregendes Spiel.

König Assan saß mit gereiztem Gesichtsausdruck in seinem Arbeitszimmer. Bisher hatten seine Soldaten die ominösen Fremden nicht aufspüren können. Dann kam plötzlich Harakoel hereingeplatzt, ohne sich auch nur die Zeit zu nehmen, anzuklopfen. Er keuchte und hechelte, bis er endlich zu Wort kam.

»Der Gefangene … er … ist nicht … im Kerker!«

König Assan zog die Augenbrauen zusammen und sprang auf. »Was soll das heißen? Wer hat ihn herausgelassen?«

»Der Kerkermeister … wusste gar nichts … von … einem Gefangenen.« Harakoel japste nach Luft, ließ sich seufzend in einen der Sessel fallen, und warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Krug mit Wein, welchen der König allerdings nicht beachtete.

König Assan begann im Zimmer auf und ab zu laufen. »Schickt einen Boten zu Hochkönig Adamath. Euer Herr wird wissen wollen, dass sein Gefangener entkommen ist. Ich werde einfach den Kerkermeister hinrichten lassen, dann gibt es zumindest einen Schuldigen.« Sein Gesicht verdüsterte sich Hochkönig Adamath duldete kein Versagen.

»Wie Ihr wünscht, mein Herr. Ich werde einen Botenvogel schicken.« Harakoel erhob sich ächzend.

König Assan wedelte ungeduldig mit der Hand, bis Harakoel endlich verschwand. Irgendetwas lief hier verdammt schief und der König wusste einfach nicht, was es war. Aber er würde es herausbekommen.

Prinz Trian hastete durch die niedrigen, engen Gänge. Er machte sich ernsthafte Sorgen um seine Frau. Und was hatte sein Vater vor? Gerade erreichte er den letzten Gang und kroch in den Keller, als er auch schon von zehn bewaffneten Soldaten umringt war.

»Ergebt Euch, Prinz Trian. Ihr seid verhaftet!«, rief einer der ranghöheren Soldaten.

Trian zog sein Schwert. »Lasst mich durch. Ich muss zu meiner Frau.«

Der Hauptmann schüttelte entschieden den Kopf. »Wir haben Anweisungen, Euch zu verhaften. Also, lasst Euer Schwert fallen.«

Als Trian jedoch keine Anstalten dazu machte, drangen die Soldaten geschlossen auf ihn ein. Er wehrte sich, so gut es ging, doch schließlich wurde er überwältigt. Die Soldaten schleiften ihn ins Arbeitszimmer des Königs, wo sie den tobenden Prinzen einschlossen. Daraufhin verständigten sie seinen Vater und begannen die Gänge zu durchsuchen, durch die der Prinz gekommen war.

König Assan eilte zu seinem Arbeitszimmer.

Sein Sohn trat ihm wutentbrannt entgegen. »Was fällt dir ein, mich hier einzuschließen?«

»Die Frage ist doch – Was fällt dir ein, dich mit Rebellen einzulassen?« Missbilligung zeigte sich auf seinem von Runzeln überzogenen Gesicht.

Prinz Trian schnaubte abfällig. »Wer sagt denn, dass ich das getan habe?«

Mit böser Miene kam der alte König näher und fasste seinen Sohn an den Schultern. »Harakoel hat dich gesehen. Und dieser Gefangene ist niemals im Kerker gelandet. Was hast du dazu zu sagen?«

Trian überlegte kurz, dann stieß er seinen Vater ungeduldig weg. »Also gut. Ja, ich wollte etwas gegen diesen Tyrannen Adamath unternehmen.«

»Was soll das? Uns geht es sehr viel besser, als dem Rest der Menschen, die in unserem Land und den Ländern um uns herum leben. Willst du das alles deinem jugendlichen Gerechtigkeitssinn opfern? Denk doch an deine Frau und deine Kinder!«

Furchtlos blickte Trian seinem Vater ins Gesicht. »Genau das tue ich. Und ich will nicht, dass sie zu Kriechern und Jasagern heranwachsen.«

»Ach ja? Dann möchtest du wohl lieber, dass sie in Armut aufwachsen, ihr Leben lang auf der Flucht sind, oder gar getötet werden?«, fragte König Assan mit scharfer Stimme, dann wurde er etwas ruhiger und nahm seinen Sohn erneut bei den Schultern. »Sag mir, wo die Rebellen hin wollten. Ich werde Hochkönig Adamath gegenüber nicht erwähnen, dass du irgendetwas mit ihnen zu tun hast.«

»Ich werde es niemals sagen. Ich bin nicht so ein Kriecher wie du!«

König Assan verpasste seinem Sohn eine schallende Ohrfeige.

Dieser war zunächst verdutzt, doch dann schubste er seinen Vater gegen die Wand und hielt ihn fest. »Du hast mich als Kind geschlagen, vielleicht manchmal auch zu Recht. Aber jetzt bin ich erwachsen und kann selbst entscheiden, was ich für richtig halte.« Trians Blick war kalt.

Die Miene seines Vaters wurde immer verbissener und König Assan kämpfte darum, frei zu kommen, doch Trian hielt ihn weiter in seinem eisernen Griff, was seinen Vater noch wütender machte. Der König wusste sehr genau, dass sein Sohn stärker war als er selbst.

»Ich werde das Schloss verlassen und mich diesen ›Rebellen‹ anschließen. Mach doch mit deinem Königreich was du willst«, sagte Trian abfällig.

»Das wirst du nicht tun! Ich befehle es dir!«

Trian ließ seinen Vater los und hastete zur Tür. Er zog den Schlüssel ab und war schon draußen, bevor sein überraschter Vater etwas unternehmen konnte. Dann sperrte Trian von außen zu. Im Arbeitszimmer konnte er seinen Vater schreien und gegen die Tür hämmern hören. Doch Trian achtete nicht darauf. Er eilte durchs Schloss, besorgte sich die Kleidung eines einfachen Soldaten, und machte sich auf den Weg zu seiner Frau. Unterwegs lief er noch einem seiner vertrauenswürdigen Soldaten über den Weg und Trian wies ihn an, die anderen Soldaten zu suchen und zu seinen Gemächern zu kommen.

Trian fand Seora am offenen Kamin sitzend vor. Sie sprang erleichtert auf, als sie ihn sah, blickte ihn dann aber fragend an.

»Warum trägst du diese Uniform?«

»Wir müssen fliehen. Pack das Nötigste zusammen, mein Vater lässt mich suchen.«

Seoras Augen weiteten sich entsetzt. »Wir können doch nicht von hier weggehen. Ich bekomme ein Kind!«, rief sie empört.

»Aber doch erst im nächsten Frühling«, erwiderte Trian ungeduldig und begann nach möglichst einfachen und unscheinbaren Kleidern und Decken zu suchen.

»Nein, ich will das Schloss nicht verlassen!« Entsetzt keuchend wich Seora zur Wand zurück.

Trian seufzte genervt und unterbrach seine Suche. »Mein Vater lässt mich suchen und ich bin mir sicher, dass Adamath auf dem Weg hierher ist. Also muss ich fliehen.«

»Aber denk doch an unsere Kinder. Ich kann doch in meinem Zustand keine Flucht wagen!«

»Verdammt noch mal«, fluchte Trian und blickte seine Frau eindringlich an. »Andere Frauen arbeiten in ›deinem Zustand‹ auf dem Feld! Die Schwangerschaft ist noch nicht sehr weit fortgeschritten und ich möchte nicht wissen, was Adamath mit dir macht, wenn er dich hier vorfindet!«

Seora stieß einen empörten Schrei aus und wollte sich beleidigt abwenden, überlegte es sich allerdings doch anders.

»Ich muss Ergon wecken«, sagte sie wütend.

Trian wurde ein wenig blass. »Nein, zieh dir einfache Reisekleider an, die Soldaten werden dich zu der verabredeten Stelle bringen. Ich werde mit Ergon nachkommen.«

»Nein, mein Sohn kommt mit mir«, rief sie empört und blickte in Richtung des Zimmers, in dem sie ihren Sohn schlafend glaubte.

Gereizt fuhr sich Trian durch die Haare. »Es ist sicherer, wenn wir uns aufteilen. Also los, zieh dich um und ich werde mit Ergon einen anderen Weg nehmen.« Er schlug einen bestimmten und herrischen Tonfall an, den er sonst selten gebrauchte.

Verblüfft blickte Seora ihn an. So kannte sie ihren Mann gar nicht.

Zu Trians Erleichterung verschwand sie mit den Kleidern in der Hand in ihrem Schlafgemach. Trian atmete auf und ging in das Zimmer seines Sohnes, wo er rasch einige Sachen zusammenpackte. Er kam gerade heraus, als die Soldaten eintrafen.

»Bringt die Prinzessin zu den drei Felsen flussaufwärts«, befahl er gehetzt. »Sagt ihr, ich sei bereits mit Ergon los gelaufen.«

Der ranghöchste Soldat warf ihm einen fragenden Blick zu, nickte aber schließlich pflichtbewusst ― als Soldat hatte man keine Fragen zu stellen. Trian rannte durch das Schloss. Er wusste, dass er seinen Sohn unbedingt finden musste, bevor die Soldaten dies taten, sonst würden sie ihn nur zu seinem Großvater bringen und der würde Ergon garantiert als Druckmittel einsetzen. Was Seora dazu sagen würde, daran durfte er gar nicht denken!

Ergon eilte mit Ceara an der Hand eifrig voraus durch die schmalen Gänge. Alle wunderten sich, wie sicher der kleine Prinz den Weg fand.

»Bist du sicher, dass es hier raus geht?«, fragte Ceara immer wieder.

Doch Ergon nickte eifrig und versicherte, er wäre hier schon oft gewesen. Immer wieder mussten sie anhalten, da die Erwachsenen teilweise kaum durch die halb verschütteten Gänge kamen. Das Zwergenreich musste einst eine gigantische Anlage von unterirdischen Gängen gewesen sein. Ständig zweigten Felstunnel rechts und links ab.

Irgendwann schien der Kleine müde zu werden, traute sich aber wohl nicht, das einzugestehen. So sagte Ceara schließlich mit einem Augenzwinkern nach hinten: »Wir sollten eine Pause machen, ich bin etwas erschöpft.«

Ergon konnte ein erleichtertes Seufzen nicht unterdrücken und sie setzten sich in den an dieser Stelle etwas breiteren Gang und aßen etwas aus ihren Proviantsäcken.

Als sie fertiggegessen hatten, setzte sich Daron neben Ceara.

»Ich werde Ergon nicht allein zurückgehen lassen. Ich hoffe, du verstehst das?«, sagte er leise.

Sie runzelte die Stirn, überlegte kurz und nickte dann. »Dann komme ich auch mit, ich hoffe das verstehst du jetzt!«

Nun war es an Daron die Stirn zu runzeln.

»Wir bringen ihn nur bis zum Eingang vom Keller«, schlug sie vor, »dann drehen wir um. Ab dort wird ihm nichts mehr passieren.«

»Also gut.«

Nach kurzer Zeit brachen sie wieder auf. Es dauerte noch einige Zeit, bis man endlich das Rauschen des Flusses hörte. Mächtig und brodelnd floss er durch die Höhlen. Ein schmaler Grat führte an seinem Ufer entlang und bald konnte man das erste Tageslicht erblicken.

Die Sonne war bereits am Sinken, als sie endlich an die frische Luft traten. Alle atmeten auf. Die Enge in den Gängen war erdrückend gewesen.

»Vielen Dank, Ergon, du warst sehr tapfer und eine große Hilfe für uns.« Myrthan beugte sich zu dem Kleinen hinunter.

Der nickte eifrig. »Ich muss jetzt zurück«, meinte er wichtig, »mein Vater hat es gesagt.«

»Ceara und ich kommen mit dir«, sagte Daron.

In Ergons Gesicht spiegelten sich widerstrebende Gefühle. »Ich kann das aber allein«, sagte er stolz.

»Das weiß ich«, erwiderte Daron. »Aber ich, äh, ich muss noch etwas mit deinem Vater besprechen, das habe ich vorhin vergessen.«

Ergon blickte ihn misstrauisch an, doch dann nickte er. Man sah ihm deutlich die Erleichterung an, nicht alleine durch die finsteren Felstunnel laufen zu müssen. In der Ferne sah man plötzlich hier und da Fackeln und hörte heisere Schreie. Myrthan blickte sich unbehaglich um.

»Geht schon mal vor zu den Felsen. Wenn wir nicht so viele sind, dann fallen wir ohnehin weniger auf«, meinte Daron.

So verabschiedeten sich alle. Alan machte ein ziemlich unglückliches Gesicht, hielt sich aber diesmal zurück. Ihm war klar, dass er Ceara nicht umstimmen konnte. Myrthan, Bran und Alan verschwanden flussaufwärts in der Dämmerung, während Ceara, Daron und Ergon zurück in die Tunnel gingen, den gleichen beschwerlichen Weg zurück.

Gegen Mittag dieses Tages erreichten Hochkönig Adamath und Krethmor auf dem widerwärtigen Krăădan das Schloss im Felsenreich. Harakoels Botenvogel hatte eine eigentümliche Nachricht überbracht. Adamaths Gefangener war geflohen – nur, dass Adamath gar nichts von einem Gefangenen wusste!

Er hatte Krethmor gezwungen, den Krăădan zu rufen und war mit ihm ins Felsenreich geflogen. Er musste wissen, was vor sich ging. Unter dem entsetzten Blick von König Assans Soldaten landeten sie auf dem großen Platz vor dem Schloss. Alle wichen vor dem widerwärtigen geflügelten Dämon zurück. Mit festen, wütenden Schritten eilte Adamath auf das Schloss zu.

»Ich muss sagen, Krethmor, diese Art zu reisen behagt mir«, meinte er mit einem bösen Lächeln auf dem narbigen Gesicht.

Krethmors ohnehin schon säuerliche Miene verzog sich noch mehr. »Gewöhnt Euch nicht daran, Ihr könntet den Krăădan nicht ohne meine Hilfe beherrschen!«

Adamath machte eine wegwerfende Handbewegung und bedachte den zwei Kopf kleineren Zauberer mit einem verächtlichen Blick. So stürmten sie auf das Schloss zu. Die Soldaten fielen reihenweise auf die Knie. Ein ranghoher Offizier brachte den Hochkönig und den Zauberer zu König Assan, den vor einiger Zeit ein Soldat aus seinem Arbeitszimmer befreit hatte. Noch immer war König Assan aufgebracht, doch langsam beruhigte er sich ein wenig. Die Soldaten würden seinen Sohn schon finden.

Als der Hochkönig eintraf, verbeugte er sich tief. »

Eure Majestät ist bereits eingetroffen«, sagte er ehrfürchtig.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Adamath ungeduldig. Ihm waren die vielen aufgeregten Soldaten aufgefallen, die hier herum liefen. Das konnte unmöglich an einem einzelnen entflohenen Gefangenen liegen.

»Harakoel sagte, Euer Gefangener sei entflohen. Außerdem vermuten wir, dass sich die Verräter, die Ihr sucht, im Felsenreich aufhalten«, erklärte König Assan, ohne es zu wagen, den Blick zu heben.

»Ihr habt die Verräter gesehen? Wo?«

König Assan wand sich ein wenig. Er wollte nicht zugeben, dass sein Sohn beteiligt war. »In den Felsengängen. Ich habe alles veranlasst. Es wird bereits nach ihnen gesucht.«

Adamath zog die Augenbrauen zusammen und fuhr sich durch den kurzgeschnittenen grauen Bart. »Gut, aber was soll diese dämliche Geschichte mit dem angeblichen Gefangenen?«

»Der Gefangene, den Ihr vor, nun ja, einiger Zeit, es dürfte beinahe einen Mond her sein, gebracht habt. Harakoel sagte, er sei aus seiner Zelle geflohen.«

Die Miene des Hochkönigs verfinsterte sich immer mehr und er beugte sich zu dem wesentlich kleineren König Assan hinunter.

»Ich war das letzte Mal vor etwa fünf Wintern bei Euch!« Seine Stimme hatte einen drohenden Klang angenommen.

Voller fassungslosem Entsetzen starrte König Assan ihn an, dann räusperte er sich. »Ich selbst habe Euch nicht gesehen. Aber Harakoel war sicher, dass Ihr hier wart.«

»Lasst diesen Wurm zu mir bringen«, schrie Adamath und Krethmors hageres, faltiges Gesicht verzog sich kritisch.

König Assan bemühte sich, nicht allzu auffällig auf Krethmors verbrannte Gesichtshälfte zu blicken, konnte es allerdings nicht ganz vermeiden. Der stechende Blick des Zauberers traf ihn und König Assan wandte sich rasch ab.

»Darf ich den hohen Herren eine Erfrischung anbieten?« Er drehte sich zu seiner Vitrine um, wo er einige edle Tropfen aufbewahrte.

Achtlos stürzte Adamath den teuren Weinbrand in einem Zug hinunter. Er wartete ungeduldig auf Harakoel, der schließlich von einer Wache hereingebracht wurde. Als er den Hochkönig sah, fiel er sofort auf die Knie.

»Oh, mein Herr. Was für eine Freude, Euch zu sehen!«

Ungeduldig zerrte Adamath ihn auf die Füße. »Was redest du für einen unglaublichen Blödsinn? Ich habe niemals einen Gefangenen hierher gebracht! Und wer soll das überhaupt gewesen sein?«

Harakoels Augen weiteten sich entsetzt. Er schluckte und begann zu zucken. »Aber Hoher Herr, ich sah Euch doch selbst, als Ihr ... diesen Gefangenen, der … Eure Verlobte damals entführen wollte ... zu Prinz Trian brachtet«, stammelte er ängstlich.

Adamath nahm ihn am Kragen seines schmutzigen Hemdes. »Die Kreatur, die meine Verlobte entführt hat?«, fragte er mit mühsam beherrschter Stimme.

Mit ängstlichem Gesicht bestätigte Harakoel dies und bemühte sich, die Füße wieder auf den Boden zu bringen.

Adamath drückte Harakoel gegen die Wand. »Ich soll bei Prinz Trian gewesen sein?«, fragte er gefährlich leise.

Harakoel, der jetzt wirklich Todesangst hatte, nickte hektisch.

»Ich war NIEMALS bei Prinz Trian!«, schrie Adamath außer sich und Harakoel versuchte, seinen Kopf nach hinten zu lehnen, doch dort war nur die Wand. »Was bist du für ein Idiot? Kann man mich wirklich so leicht verwechseln?«

»Natürlich nicht, mein Herr, Ihr seid unverwechselbar. Deswegen bin ich mir auch so sicher, dass Ihr es wart. Ich selbst sah Euch im Arbeitszimmer von Prinz Trian«, wimmerte Harakoel und zuckte mit den Beinen.

Einen unartikulierten Schrei ausstoßend schleuderte der Hochkönig Harakoel durch den halben Raum. Der bucklige Mann blieb zusammengekrümmt liegen. Adamath setzte Harakoel nach und hielt ihn mit einem Fuß am Boden fest, als er aufstehen wollte.

»Du wirst das verantworten müssen, Harakoel«, drohte der König.

Wimmernd hob der ehemalige Turmwächter den Kopf, so weit es eben ging. »Aber … fragt … Prinz Trian, er hat Euch auch gesehen.«

Adamath holte aus, um ihm ins Gesicht zu treten, überlegte es sich dann aber anders. »Holt Euren Sohn«, befahl er König Assan.

Der wurde bleich, fing sich jedoch bald wieder. »Mein Sohn hilft bei der Suche nach den Verrätern.«

Missbilligung zeigte sich auf Adamaths Gesicht, dann nickte er jedoch. »Gut, berichtet mir alles über die Suche und zeigt mir, wohin die Verräter geflüchtet sind. Ich werde meine eigenen Männer, die wohl bald eintreffen werden, ebenfalls mit der Suche beauftragen.«

König Assan versicherte nervös, alles in seiner Macht stehende zu tun. Adamath betrachtete den noch immer am Boden kauernden Harakoel verächtlich, doch plötzlich trat ein böses Grinsen auf sein hässliches, grobschlächtiges Gesicht. Er packte den entsetzten Harakoel an seinem alten, schmuddeligen Hemd und hob ihn mühelos auf.

»Ihr solltet etwas mehr auf Eure Kleidung achten. Ihr seht abgerissen aus!«

»Natürlich, wie Ihr befehlt. Natürlich!«

Adamath wandte den Blick zu König Assan. »Lasst einen Trupp Orks in den Schlosshof kommen.«

Mit einer Verbeugung verließ König Assan den Raum und sandte einen Boten. Adamath hielt den wie besessen zuckenden Harakoel am Hemd fest und schleifte ihn hinter sich her. Bald waren sie im Schlosshof angekommen, wo sich eine Gruppe von zehn Orks befand, die unter der Leitung eines Dämonenreiters standen. Die schwarz verhüllte Gestalt zischte dem größten der Orks etwas zu, welcher der Anführer war, und die groben, hässlichen Gestalten in ihren schmutzigen Rüstungen fielen grunzend auf die Knie.

Mit Harakoel am Kragen trat Adamath vor. Das bösartige Grinsen kehrte auf das Gesicht des Hochkönigs zurück.

»Eure Orks leisten sicher gute Arbeit. Haben sie heute schon etwas zu essen bekommen?« Bei dem Wort ›Essen‹ erhob sich gieriges Gegrummel.

Der Dämonenreiter schüttelte seinen maskierten und verhüllten Kopf. »Nein, mein Herr. Dafür war noch keine Zeit.«

»Sehr gut!« Adamath schubste den verdutzten Harakoel in Richtung der Orks. »Hier, nehmt den. Er muss sowieso weg.«

Alle starrten den Hochkönig entsetzt an. Vor allem natürlich Harakoel, der nach Worten rang.

»Aber mein König! Ich habe Euch immer gut gedient!«, rief er entrüstet.

Adamath hob gleichgültig die Schultern. »Nicht gut genug. Wenn du zu dämlich bist, mich zu erkennen, dann verdienst du nichts Besseres.«

»Aaaber, mein Herr«, heulte Harakoel und kroch mit zuckenden Gesichtszügen aus der Reichweite der gierig grunzenden Orks. »Ich bin nicht schuld! Ich bin nicht schuld!« Harakoel blickte sich hektisch um und deutete mit einer zitternden Hand wahllos auf einen Pagen. »Er, er ist schuld! Er ist verantwortlich! Und Prinz Trian. Er muss den Orks vorgeworfen werden, nicht ich!«, schrie er hysterisch.

Belustigt hob Adamath die nach oben geschwungenen Augenbrauen und Krethmor trat zu ihm.

»Vielleicht war es eine List. Sie haben eine Fiilja bei sich, die können die Gestalt verändern.«

Dieser Gedanke war Adamath noch gar nicht gekommen, doch dann schüttelte er den Kopf. »Egal, ich wollte diesen Wurm ohnehin loswerden.«

Krethmor zuckte gleichgültig die Achseln und wandte sich ab.

Harakoel wimmerte und kroch zu den Füßen des Hochkönigs. »Verschont mich, edler Herr, ich bin Euer treuer Diener. Ich bin sehr wichtig!«

Für einen Augenblick glomm etwas Hoffnung in Harakoels Gesicht auf, als Adamath ihn am Kragen packte und auf die Füße zog.

»Dann wirst du sicher mit einer sehr wichtigen Aufgabe zufrieden sein, nicht wahr?«

Harakoel nickte übereifrig.

»Hervorragend!« Mit einem bösen Lachen warf Adamath den kleineren Mann beinahe mühelos vor die Füße der wartenden Orks. »Du wirst ein gutes Mahl für meine Orks abgeben. Fresst ihn!«

Harakoel schrie hysterisch auf, als sich die Horde grunzender Orks auf ihn stürzte. Innerhalb kürzester Zeit hatten sie ihn zerrissen.

Adamath schaute belustigt zu, während sich König Assan, der zu ihnen getreten war, und seine Soldaten sich angewidert abwandten.

Dann grunzte der Anführer der Orks plötzlich und spuckte ein Stück von Harakoel auf den Boden.

In der grunzenden, kaum verständlichen Sprache seines Volkes sagte er: »Schmeckt nicht. Zu schleimig.«

Auch die anderen Orks warfen die Überreste von Harakoel zu Boden. Dann stampften sie wieder zum Tor hinaus.

Überrascht glotzte Adamath ihnen hinterher. »Merkwürdig, normalerweise sind Orks nicht so wählerisch«, sagte er kopfschüttelnd und machte dann eine ungeduldige Handbewegung zu König Assan. »Lasst diese Sauerei forträumen. Es sieht nicht sehr appetitlich aus!«

Ein Würgen unterdrückend beauftragte König Assan einen Pagen, der ziemlich blass wurde, Harakoels Überreste zu entsorgen. Anschließend ging der Hochkönig in Begleitung des Schattenmagiers zum Schloss zurück. Der immer noch entsetzte und fassungslose König Assan zeigte ihnen den Eingang zu den Tunneln, wo die Gesuchten verschwunden waren.

Adamath nickte. »Meine Männer finden sie sicher. Ich werde einige Dämonenreiter schicken.«

Zweifelnd wiegte König Assan den Kopf. »Ich befürchte, die Gänge dort unten sind sehr weitläufig. Niemand hat sie jemals wirklich erforscht.«

Daraufhin machte Adamath ein wütendes Gesicht und Krethmor blickte kritisch in die dunkle Öffnung.

»Gibt es noch Aufzeichnungen aus der Zeit der Zwerge über die unterirdischen Gänge?«, schnarrte der Schattenmagier und fuhr mit der Hand über seinen weißen Spitzbart.

»Nur sehr wenige und noch dazu unvollständige Zeichnungen.«

»Trotzdem, zeigt sie mir«, verlangte Krethmor und König Assan nickte.

Sie begaben sich in das Arbeitszimmer des Königs und Krethmor studierte die wenigen, uralten Pergamentrollen genauestens.

Währenddessen liefen Ceara, Daron und der kleine Ergon zurück durch die Gänge. Sie kamen gut voran, obwohl alle ziemlich erschöpft waren. Sie konnten nicht mehr weit von dem ehemaligen Thronsaal der Zwerge entfernt sein, als man aus einem Seitengang heraus das Geklirr von Schwertern hörte. Vorsichtig schlich Daron vorwärts und bedeutete den anderen zu warten.

Er schaffte es gerade noch, Ergon zurückzuhalten, der an ihm vorbeischlüpfen wollte, und ihm den Mund zuzuhalten, als er: »Va… «, schrie. Gerade verteidigte sich Prinz Trian gegen einen Soldaten.

Bevor Daron eingreifen konnte, hatte Prinz Trian den Mann jedoch bewusstlos geschlagen. Ergon riss sich los und rannte so schnell ihn seine kurze Beine trugen auf seinen Vater zu.

Diesem sah man seine Erleichterung an. »Ich suche dich schon einige Zeit«, sagte er, noch immer etwas atemlos, »ich wusste nämlich nicht, welcher Gang nach draußen führt.« Dann wandte er sich an Daron und Ceara. »Vielen Dank, dass Ihr ihn begleitet habt.«

Die beiden nickten lächelnd.

Prinz Trian seufzte. »Wir werden ebenfalls diesen Weg nehmen müssen. Ich kann nicht zurück ins Schloss, ich habe mich mit meinem Vater überworfen. Wenn Ihr nichts dagegen habt, schließe ich mich Euch an. Zehn meiner Soldaten sind bereits mit meiner Frau unterwegs zu den Steinen.«

Daron sah überrascht aus und Ergon fragte mit großen Augen: »Sind wir jetzt auch Rebellen?«

Als sein Vater nickte, begannen Ergons Augen zu strahlen. »Das ist ein Abenteuer!«

Prinz Trian drehte sich nervös um. »Wir sollten uns beeilen.«

So lief er mit seinem kleinen Sohn voraus, den er ab der Hälfte des Weges tragen musste, da ihm seine kurzen Beine einfach nicht mehr gehorchten. Auf dem Arm seines Vaters schlief Ergon ein.

Krethmor studierte bereits seit einiger Zeit die Schriftrollen.

»Ha, das ist es«, sagte er schließlich zufrieden.

Adamath hob interessiert den Kopf. Er hatte die Karaffe mit Weinbrand bereits bis auf den letzten Tropfen geleert, wie König Assan missmutig feststellte. Er würde es jedoch niemals wagen, den Hochkönig zu kritisieren.

»Ihr müsst nur den Fluss stauen, damit die Höhlen und Gänge voll laufen. Dann sind diese Verräter unschädlich gemacht«, meinte Krethmor emotionslos.

Voller Entsetzen starrte König Assan den Schattenmagier an und es gelang ihm nicht, etwas zu erwidern.

»Hervorragend!«, dröhnte der Hochkönig unterdessen. »Lasst einige Orks kommen, die haben den Fluss gleich gestaut.«

König Assan schüttelte sich und konnte endlich sprechen. »Aber meine Soldaten sind ebenfalls dort unten, und vor allem, mein Sohn!«

»Na und, ich werde Euch Ersatz besorgen.«

»Aber mein Sohn …«, setzte der alte König erneut an.

Adamath erhob sich und wies eine der wartenden Wachen an, einige Orks zu holen. Dann schlug er König Assan auf die Schulter.

»Ihr seid zwar schon alt, aber es wird sich sicher noch eine Frau finden, die Euch einen neuen Sohn gebärt.«

König Assan war nicht in der Lage, einen Ton herauszubekommen. Er starrte Adamath fassungslos an, der gerade zur Tür gehen wollte, gefolgt von dem Zauberer.

Endlich fasste sich der alte König. »Nein, das könnt Ihr nicht tun!«

Adamath fuhr herum. »Was sagt Ihr da?«

König Assan schluckte. Noch niemals hatte er es gewagt, etwas gegen den Hochkönig zu sagen, aber jetzt musste es sein.

»Ihr wisst doch gar nicht, ob sich die Verräter noch in den Gängen aufhalten. Vielleicht haben sie bereits einen Weg nach draußen gefunden.«

»Vielleicht aber auch nicht«, erwiderte Adamath gleichgültig und drehte dem König den Rücken zu.

Nun nahm König Assan all seinen Mut zusammen. Er hatte sich zwar mit seinem Sohn gestritten und sie waren auch selten einer Meinung, aber in den sicheren Tod schicken wollte er Trian dann doch nicht. So fasste er den zwei Kopf größeren Hochkönig an der Schulter. »Das lasse ich nicht zu!«

Mit vor Hass verzerrter Miene fuhr Adamath herum. »Ihr stellt Euch gegen mich?«

König Assan schluckte und nickte schließlich. »Ich bringe doch nicht meinen eigenen Sohn um!«

Adamath zuckte die Achseln, zog mit einer für seinen Körperbau ungewöhnlich geschmeidigen Bewegung sein riesiges Schwert und rammte es dem entsetzt aufkeuchenden König Assan in den Leib.

»Ihr werdet Euren Sohn bald wiedersehen«, sagte er emotionslos und stieß den alten König zurück, der auf die klaffende Wunde blickte, aus der das Blut schoss. Wenige Augenblicke später brach er zusammen.

Mit donnernden Schritten ging Adamath hinaus und sagte belustigt zu Krethmor: »Vielleicht hätte ich Harakoel doch verschonen sollen. Er wäre sicherlich ein mir treu dienender neuer König des Felsenreichs geworden.«

Krethmor verzog nur das Gesicht. Er hatte für die makaberen Scherze von Adamath nichts übrig.

Die Orks trafen ein, vergrößerten innerhalb kürzester Zeit mit Hilfe von schweren steinernen Äxten und Keulen die Gänge, bis sie auf den unterirdischen Fluss trafen. Dort schichteten sie Felsbrocken und Holz auf, bis sich das Wasser zu stauen begann und sich nur noch ein kläglicher Rinnsal durch die errichtete Mauer ergoss.

Adamath kehrte ins Arbeitszimmer des toten Königs zurück, dessen Leiche bereits fortgebracht worden war, und plünderte seinen Vorrat an Alkohol. Wenn die Rebellen in den Gängen wären, würden sie sicher bald ertrunken sein. Wenn nicht, hätte er auch nichts verloren. Fürs Erste war Adamath zufrieden.

Die vier Flüchtenden glaubten, sich langsam dem Ausgang zu nähern. Sie waren todmüde, wagten jedoch nicht, anzuhalten. Ceara war die Erste, die bemerkte, dass sich Wasser unter ihren Füßen zu sammeln begann.

»Was ist das denn?«, fragte sie nervös. Doch die anderen wussten keine Antwort darauf.

»Wir müssen weiter«, drängte Daron. Hin und wieder hatten sie das Leuchten von Fackeln in einem der Seitengänge gesehen. Offensichtlich suchten König Assans Soldaten noch immer nach ihnen. So hasteten sie so schnell es ging voran. Das Wasser stieg merklich und bald reichte es ihnen bis zu den Waden.

Keuchend hielt Trian an. »Verdammt! Ich hatte nicht gedacht, dass mein Vater so weit geht, sogar die Gänge fluten zu lassen. Er muss mich wirklich hassen.«

»Wer weiß, ob er überhaupt dahinter steckt«, meinte Daron beruhigend, blickte jedoch kritisch auf das rasch steigende Wasser. »Wir müssen die niedrigen Gänge so schnell es geht hinter uns bringen, sonst sind wir vom Ausgang abgeschnitten. Wenn wir erst auf dem Grat neben dem Fluss sind, wird es einfacher.«

Trian nickte und kroch in den halb eingefallenen Gang vor ihnen. Ergon hing auf seinem Rücken und schlief, er bekam von alledem nicht viel mit. Auf Händen und Knien krochen sie durch das steigende Wasser und bald waren alle vollkommen durchnässt. Der Bergbach war auch jetzt im Sommer eiskalt. Endlich hatten sie einen der etwas höheren Gänge erreicht, in dem man zumindest stehen konnte.

»Geht es noch, Ceara?«, fragte Daron besorgt.

Sie nickte, obwohl sie todmüde war und unterdrückte ein heftiges Zittern. Nun hasteten sie durch das knietiefe Wasser, welches rasend schnell stieg.

Ergon wachte irgendwann auf. »Vater, wo kommt denn das viele Wasser her?«, fragte er ängstlich.

»Ich weiß nicht. Keine Angst«, antwortete dieser keuchend und versuchte, seine Schritte zu beschleunigen.

Das Wasser stieg beängstigend und stand Ceara nun bereits über der Hüfte. Die größeren Männer kamen etwas besser voran, doch auch sie waren erschöpft. Endlich erreichten sie die Stelle, an welcher der schmale Felspfad noch einige hundert Meter am Rande der Höhle entlang führte. Bald wären sie im Freien.

»Haltet euch ganz an der Wand, dort ist der Weg sicher«, schrie Daron von hinten und Trian balancierte, mit seinem Sohn auf dem Arm, vorsichtig tastend am Rand entlang.

Man konnte nicht erkennen, wo der Fels endete und der Fluss begann. Plötzlich tauchte aus einem Seitengang ein Soldat auf, der die Augen weit aufgerissen hatte. Als er die Flüchtenden sah, zog er sein Schwert.

»Lass das«, rief Daron, »sonst ertrinken wir alle!«

Doch der Soldat war so pflichtbesessen, dass er mit erhobenem Schwert auf ihn los ging. Fluchend zog Daron sein eigenes Schwert, ebenso wie Ceara. Prinz Trian stand unentschlossen im steigenden Wasser.

»Lauft vor, Trian, bringt Euren Sohn in Sicherheit«, rief Daron und wehrte die durch das kalte Wasser etwas unbeholfenen und verlangsamten Schläge des Soldaten ab. »Ceara, geh mit ihm!«

Sie schüttelte den Kopf und blieb mit erhobenem Schwert stehen. Prinz Trian zögerte ebenfalls kurz, ging aber schließlich weiter.

»Wartet nicht auf uns, lauft zum Treffpunkt«, schrie Ceara ihm hinterher und der Prinz hob die Hand, zum Zeichen, dass er sie verstanden hatte.

Ceara kämpfte sich durch das eiskalte Wasser weiter zu Daron und dem Soldaten durch. Daron versuchte noch immer, den Mann zur Vernunft zu bringen.

»Jetzt lass es doch. Wir ertrinken beide!«, rief er verzweifelt und wehrte einen Schlag über dem Kopf ab.

Der Soldat schüttelte verbissen den Kopf. »Es … ist … meine … Pflicht«, keuchte er zwischen mehreren Schlägen durch.

»Du Idiot!«, schimpfte Daron und schaffte es endlich, dem Soldaten seine Klinge in die Schulter zu rammen. Dieser ließ seine Waffe fallen und kippte erschrocken nach hinten und das Wasser färbte sich rot. Er wurde rasch von der stärker werdenden Strömung davon gespült.

Daron kämpfte sich durch das Wasser, welches auch ihm bereits über die Hüfte reichte, zu Ceara durch und fasste sie am Arm.

»Du hättest vorgehen sollen«, sagte er anklagend.

Ceara brachte nur ein zittriges Grinsen zustande, ihr war eiskalt.

»Hättest du auch nicht gemacht«, antwortete sie mit klappernden Zähnen.

Er seufzte und zog sie an der Hand mit sich. Die Strömung wurde immer stärker und das Wasser reichte Ceara bis zur Schulter, als sie endlich den Felsgrat erreicht hatten. Hintereinander hangelten sie sich am Felsen entlang, als sie plötzlich von einem starken Sog gepackt wurden, der sie beide in die Mitte des Flusses zog – was sie nicht wussten war, dass der Staudamm gebrochen war. Das Wasser saugte nun alles in sein natürliches Flussbett zurück.

Ceara schrie auf und Daron erwischte sie gerade noch am Ärmel, bevor sie von den Wassermassen weggerissen wurde. Kurz bevor der Fluss in ein bodenlos scheinendes Loch stürzte, schaffte es Daron, sich an einem vorstehenden Felsen festzuhalten. An der anderen Hand hielt er Ceara eisern fest, die gegen die Strömung kämpfte, jedoch nicht bis zum Rand kam. Sein Gesicht verspannte sich vor Anstrengung und immer wieder drohte seine Hand vom glitschigen Felsen abzurutschen. Er versuchte verzweifelt, Ceara zu sich zu ziehen, doch der Sog war stärker.

»Du musst mich loslassen«, rief sie mit vor Schrecken geweiteten Augen. »Du kannst uns nicht beide festhalten.«

Verbissen schüttelte er den Kopf. »Nein, diesmal nicht!«

Daron packte Ceara fester am Handgelenk und bemühte sich erneut, sie an den Rand zu ziehen, aber der Sog ließ nicht nach.

Eine kleine Ewigkeit schien zu vergehen. Daron hatte die Augen geschlossen und sein Kiefer war zum Zerreißen gespannt. Er würde Ceara nicht loslassen, egal was passierte.

Endlich verlor der reißende Sog etwas an Gewalt und Ceara schaffte es aus eigener Kraft, an den Rand zu schwimmen und sich festzuhalten. Daron atmete erleichtert auf und hielt sich, nun zu Tode erschöpft, mit beiden Händen fest.

»Wir müssen uns nach vorne hangeln«, sagte Ceara mit bebenden Lippen.

Daron nickte müde und sie machten sich durch das kalte Wasser auf den Weg zu dem Felsgrat. Nach einer Weile hatte der Fluss wieder beinahe seine ursprüngliche Form zurück. Daron und Ceara ließen sich zitternd auf dem Felsgrat nieder. Er nahm sie erleichtert in den Arm und sie lehnte sich gegen ihn. Beide waren vollkommen durchnässt und durchgefroren.

»Wir müssen weiter«, sagte Daron kurze Zeit später und erhob sich mit tropfenden Kleidern. Er versuchte seine linke Schulter zu bewegen. »Du hast mir fast den Arm rausgerissen.«

»Das tut mir leid«, sagte sie betreten. »Aber ich habe doch gesagt, du sollst mich loslassen.«

Er verzog das Gesicht zu einem halbherzigen Grinsen. »Na, dann lieber ein abgerissener Arm.«

Rasch machten sie sich auf den Weg nach draußen. Beide hatten auf einen warmen, sonnigen Nachmittag gehofft, doch nun regnete es in Strömen. Ein Gewitter hatte die Luft abgekühlt. Von Trian und Ergon war keine Spur zu sehen. Sie waren wohl bereits zum Treffpunkt aufgebrochen.

Mit eingezogenen Köpfen und todmüde machten sich Daron und Ceara auf den Weg nach Nordwesten, um die anderen zu treffen.

»Zumindest sieht so niemand unsere Spuren«, meinte Daron und lief mit gezogenem Schwert hinter Ceara her, die sich bemühte, nicht zu stolpern. Sie war wirklich am Ende ihrer Kräfte. Hin und wieder mussten die beiden sich hinter einem Felsen verstecken, da immer wieder Orks und Soldaten auftauchten.

Als der Abend dämmerte und Ceara ständig hinfiel, suchten sie sich eine Felsnische und ließen sich erschöpft nieder.

Ceara zitterte unkontrolliert und umklammerte ihre Knie. Daron setzte sich neben sie und legte den Arm um sie.

»Komm her, dann wird es vielleicht etwas wärmer.«

»Gggehht schschhon. Iist gar nicht so kkalt«, erwiderte Ceara mit klappernden Zähnen.

Er grinste. »Dir vielleicht nicht, aber mir. Also, tu deine Pflicht und wärme mich!«

Ceara lachte bebend und lehnte sich an ihn, auch Daron zitterte am ganzen Körper. Eng umschlungen warteten sie in der kleinen Felsnische auf den Morgen. Schlafen konnte jedoch niemand, es war einfach zu kalt. Noch bevor die Dämmerung einsetzte, machten sie sich todmüde und erschöpft auf den Weg. Zum Glück konnten sie den Orks aus dem Weg gehen, denn Kraft zum Kämpfen hätte wohl niemand mehr gehabt.

Erst am Ende dieses Tages erblickten sie mit großer Erleichterung die markanten Felsen, die ihr Treffpunkt waren. Zumindest hatte gegen Mittag der Regen aufgehört. Die Kleider waren jedoch noch immer tropfnass und der aufgeweichte Proviant zum größten Teil ungenießbar. Ceara und Daron lächelten sich erleichtert an und eilten so schnell sie konnten auf die Felsen zu. Doch plötzlich sprangen ihnen fünf Soldaten in den Weg. Daron und Ceara zogen ihre Schwerter, aber ihre Schläge waren schwach und kraftlos.

Sie hätten wohl nicht sehr lange durchgehalten, wenn nicht kurz darauf Pfeile durch die Luft geschwirrt wären. Bran stand mit zum Gruß erhobener Hand über ihnen und auch die anderen kamen nun mit gezogenen Waffen zu Hilfe. Bald waren die Soldaten besiegt. Aber von weitem sah man schon Nachschub heran eilen.

»Beeilt euch«, rief Alan. »Die anderen sind in der Höhle. Es kommen noch mehr Soldaten.«

Ceara und Daron sammelten ihre letzten Kräfte und eilten hinter Alan her. Bald hatten sie die Höhle erreicht und verschwanden in dem schmalen Durchlass. Myrthan begrüßte sie erleichtert. In der kleinen Höhle warteten bereits acht von Trians Soldaten, zwei waren während der Flucht getötet worden, Ergon, Prinz Trian, und seine etwas missmutig dreinblickende Gattin Seora.

»Es tut mir leid, ihr seid sicher erschöpft, aber wir müssen weiter, falls die Soldaten hier nach uns suchen«, drängte Myrthan.

Ceara seufzte tief, doch dann raffte sie sich auf und alle flohen so schnell sie konnten durch die Felsengänge. Zumindest konnte man hier im Gegensatz zu den Katakomben überall aufrecht stehen.

»Es ist eine Art Felsenlabyrinth, das an den Rand von Fearánn führt«, erklärte Trian im Laufen.

»Dorthin müssen wir sowieso«, antwortete der Zauberer.

Als sie ein gutes Stück hinter sich gebracht hatten und ziemlich sicher waren, nicht verfolgt zu werden, gab Myrthan das Zeichen zum Anhalten. Eigentlich war Ceara viel zu müde, sich umzuziehen, doch Bran drückte ihr entschieden ihre Wintersachen zum Wechseln in die Hand.

»Los, sonst wirst du krank!«

Seufzend verschwand sie hinter einem Felsen. Daron zog sich ebenfalls um und wickelte sich in eine Decke. Ceara kam bald zurück und setzte sich neben ihn. Beide waren zum Umfallen müde. Kurz darauf brachte Prinz Trian etwas zu essen, während sich seine Frau im Hintergrund über den harten Boden und die kratzigen Decken beschwerte. Trian verdrehte die Augen und gab Daron ein Stück Brot und etwas Käse. Ceara war an seine Schulter gelehnt bereits eingeschlafen.

»Sie kann später essen«, sagte Daron leise und streichelte ihr liebevoll über die Haare.

Prinz Trian betrachtete sie nachdenklich. »Eure Gefährtin ist sehr tapfer.«

»Ich weiß auch nicht, wie sie das durchhält. Ich bin selbst ziemlich am Ende.«

»Meine Frau ist wütend, weil ich das Schloss verlassen habe.« Der junge Prinz setzte sich neben ihn.

»Sie wird es schon noch verstehen, Prinz Trian«, erwiderte Daron und unterdrückte ein Gähnen.

»Wir sollten die Förmlichkeiten lassen«, schlug Trian vor und grinste dann. »Schließlich bin ich jetzt auch ein Rebell, wie mein Sohn so schön sagen würde.«

Daron nickte lächelnd und schaffte es noch, einige Bissen von dem Brot zu essen, bevor auch er einschlief. Viele Stunden Schlaf waren ihnen allen nicht vergönnt. Myrthan weckte sie bald wieder auf.

»Ceara, wir müssen aufstehen.«

Sie grummelte etwas und verzog das Gesicht, dann legte sie den Arm um Daron und hielt ihn fest. »Ich mach einfach die Augen nicht auf und lass dich nicht gehen«, murmelte sie.

Lächelnd streichelte er ihr über die Haare. »Ein verlockender Gedanke, das muss ich zugeben!«

Ceara öffnete mühsam die Augen und seufzte. »Ich glaube, durch die Zeit im Schloss bin ich etwas verweichlicht.«

Daron küsste sie flüchtig und half ihr beim Aufstehen. »Ist dir jetzt wieder warm?«, fragte er und betrachtete sie von oben bis unten.

»Ja. Sind unsere Sachen schon wieder trocken?«

»Nein, aber hier in den Höhlen ist es ohnehin ziemlich kühl, da ist es nicht so schlimm, wenn wir die Winterkleidung anhaben.«

Noch einmal gähnte Ceara herzhaft und streckte sich mit verzerrtem Gesicht, sie hatte heftigen Muskelkater. Anschließend machte sie sich daran, ihre Sachen zusammenzupacken. Am anderen Ende der Höhle hörte man Prinz Trian mit seiner Frau streiten, die sich über das armselige Essen beklagte. Ergon war währenddessen schon wieder voll in seinem Element und wartete ungeduldig darauf, aufbrechen zu können. Prinzessin Seora hielt sich deutlich von den Gefährten fern und betrachtete sie ein wenig abfällig. Auch ihrem Sohn verbot sie es streng, zu den anderen zu gehen und hielt sich nur in der Nähe der Soldaten auf. Bereits nach wenigen Stunden Marsch durch die Felsgänge behauptete Seora, erschöpft zu sein und eine Pause zu brauchen. Prinz Trian redete eindringlich auf sie ein und überzeugte sie davon, zumindest noch ein kurzes Stück zu gehen, woraufhin Seora mit beleidigter Miene an ihrem Mann vorbeistolzierte und ihn keines Blickes mehr würdigte. Trian stand kopfschüttelnd da und sah seiner Frau hinterher.

Daron schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Sie wird sich schon noch daran gewöhnen«, versicherte er.

»Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Sie wird mir ewig vorhalten, dass wir das Schloss verlassen haben.«

»Du hast doch nur das getan, von dem du überzeugt warst«, entgegnete Daron verständnislos.

»Natürlich, aber ich habe ihr bequemes Leben aufs Spiel gesetzt.« Trian wirkte resigniert und sein Blick wanderte zu Ceara, die zwar deutlich müde war, jedoch ohne zu murren ihres Weges lief. »Ceara ist ganz anders. Kennt ihr euch schon lange?«

»Nein, noch nicht sehr lang. Aber sie ist wirklich anders als die meisten Frauen, die ich kenne. Zu Anfang dachte ich, sie wäre ein Mann«, meinte er lachend.

Trian grinste. »Das kann man sich schwer vorstellen, ich finde sie sehr hübsch.«

»Damals war sie verhüllt und hatte kurze Haare«, erklärte Daron.

Erneut blickte Trian seiner Frau hinterher, die mit ihrem Sohn schimpfte. »Obwohl Seora und ich beide in adligen Familien aufgewachsen sind, glaube ich manchmal, wir kommen aus verschiedenen Welten.«

Daron grinste und schlug ihm im Weiterlaufen auf die Schulter. »Das tun Ceara und ich auch. Das kannst du mir glauben!«

Verwirrt blickte Trian Daron nach und beeilte sich dann, ihm zu folgen.

Sie wanderten den ganzen Tag über. Hin und wieder öffneten sich die Felsengänge und die kleine Gruppe machte auf einer sonnigen Lichtung Rast, wo auch endlich Cearas und Darons Kleider trocknen konnten. Nach weiteren Stunden anstrengenden Weges erreichten sie endlich das Ende der Felsengänge und die Gefährten traten wieder auf offenes, mit schroffen Felsen bedecktes Land. Am Nachthimmel leuchteten bereits die Sterne.

»Gut. Wir bleiben über Nacht hier und stellen Wachen auf. Ich denke, so weit im Westen sollten nicht viele Orks unterwegs sein«, sagte Trian.

Einige Männer verschwanden, um Wache zu halten. Alle anderen ließen sich müde nieder, wo sie gerade standen.

»Ich kann doch nicht schon wieder auf dem nackten Felsen schlafen«, rief Seora empört aus, obwohl Trian ihr gerade seine eigene Decke überlassen hatte, damit sie es etwas bequemer hatte.

»Kannst du mir sagen, wo du dann schlafen möchtest?«, fragte er gereizt.

Seora schnaubte zornig und versuchte, ihr zerknittertes Kleid zu glätten.

Anschließend fuhr sie sich mit wütender Miene durch die einst kunstvoll frisierten Haare, aus denen sich einige zerzauste Strähnen gelöst hatten.

»Du wirst mich zu meiner Schwester nach Huellyn bringen!«

Trian sah sie verständnislos an. »Was meinst du, wo mein Vater oder Adamath zuerst nach dir suchen werden?«

»Na und, wir sollten ohnehin ins Schloss zurückkehren.«

Trian packte sie etwas härter als nötig an den Schultern und blickte ihr nachdrücklich ins Gesicht. »Wir können nicht zurück ins Schloss. Mal abgesehen davon, dass ich mich mit meinem Vater überworfen habe, würde mich Adamath sicher töten und dich und Ergon höchstwahrscheinlich auch. Ich habe seinen Feinden geholfen, ist dir das nicht klar?«

Sie schnaubte empört. »Und das war die größte Dummheit, die du dir jemals geleistet hast. Uns ging es gut auf dem Schloss.«

Trian stieß einen mühsam unterdrückten Schrei aus. »Du denkst immer nur an dich. Hast du dich jemals gefragt, wie es den anderen Menschen geht?«

»Unseren Bediensteten ging es auch recht gut«, unterbrach ihn Seora.

I»Ach ja, und hast du dir auch nur ein einziges Mal die Mühe gemacht, in die Minen zu gehen, wo die vielen Männer sich zu Tode arbeiten, damit Adamath in Reichtum schwelgt? Hast du dich jemals gefragt, wie es mir dabei geht, immer zu allem ›Ja‹ zu sagen, das vollkommen gegen meine Überzeugung war? Du bist nichts weiter als ein dummes, verwöhntes Gör!«

Entsetzen stand in Seoras Gesicht, so hatte Trian noch niemals mit ihr geredet. »Ich … ich … werde zu meiner Schwester gehen«, beharrte sie. »Der Hochkönig wird mich begnadigen.«

»Bist du dir da so sicher? Ich habe gesehen, wie er ohne mit der Wimper zu zucken Frauen und Kinder umgebracht hat«, erwiderte Trian kalt.

Seora schreckte zusammen, dann sagte sie weinerlich: »Aber ich kann nicht wie eine Gewöhnliche im Freien leben!«

»Oh doch, das kannst du. Und es wird dir wahrscheinlich nicht einmal schaden.« Entschlossenheit stand in Trians Gesicht.

»Denkst du denn überhaupt nicht an deine Kinder? Ich bin schwanger, falls du das vergessen hast!«, kreischte Seora .

»Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich möchte, dass unsere Kinder stolz auf uns sind. Und das können sie momentan eher, wenn sie in einer einfachen Holzhütte wohnen, als in einem Schloss mit einem Leben, das nur aus Lügen besteht.« Trian ließ die wütende Seora einfach stehen.

Zornig setzte sich der Prinz an das kleine rauchlose Feuer und stocherte in der Glut herum.

»Sie wird schon noch einsehen, dass Ihr Recht habt«, sagte Myrthan beruhigend.

Trian schnaubte. »Seora hat ihr ganzes Leben lang nur Wohlstand kennen gelernt, sie wird sich nicht ändern.«

»Das habt Ihr auch. Und trotz allem seid Ihr hier.« Auf Myrthans weisem Gesicht erschien ein Lächeln.

Der Prinz zog die Augenbrauen zusammen. »Ja, aber es war meine freie Entscheidung. Ich habe sie gezwungen, mit mir zu kommen.«

Myrthan nickte. »Trotzdem, sie wird es noch einsehen, glaubt mir.«

Zwei Tage lang wanderte sie am Fuße eines gewaltigen Felsmassivs entlang, welches das Felsenreich von Fearánn trennte. Zunächst hatten sie überlegt, es zu überqueren, doch das hätte wohl länger gedauert und wäre anstrengender gewesen, als außen herum zu gehen. Zwischen Seora und Trian herrschte noch immer eisiges Schweigen, aber die Prinzessin hatte zumindest mit ihrem ständigen Genörgel aufgehört.

Am Abend des zweiten Tages hörte man von weitem ein Donnern. Ceara blickte sich um, konnte aber am wolkenlosen Himmel keine Anzeichen eines Gewitters erkennen. Außerdem war die Luft angenehm klar und eine leichte Brise wehte.

»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte Ceara zu Daron gewandt, der neben ihr herlief.

»Das Meer«, antwortete er lächelnd.

Die Sonne ging glutrot im Westen unter, als sie schließlich eine felsige, steil abfallende Küste erreichten. Unter ihnen donnerte das Meer an die Klippen, zahllose Seevögel kreischten am Himmel und etwas weiter westlich sah man lange Sandstrände, die sich in felsige Buchten schmiegten. Dahinter erstreckten sich lichte Wälder, die in der untergehenden Sonne glitzerten. Hier und da hatten sich sogar schon einige Blätter bunt gefärbt.

»Das ist wunderschön.« Voller Staunen blickte Ceara auf das unglaublich blaue Meer hinab.

Daron schlang die Arme um sie. »Dort im Westen beginnt Fearánn. Ich war auf den nördlichen Hügeln nicht mehr …« Er stockte und seine Stimme wurde heiser. »… seitdem unser Dorf zerstört wurde. Ich hatte selbst vergessen, wie schön es hier ist.«

»Eines Tages möchte ich mit dir über diese Strände galoppieren. Meinst du, wir werden Morrigan und Cahan irgendwann wiedersehen?«

»Das wäre schön.« In melancholischen Gedanken versunken betrachtete Daron die untergehende Sonne. Auf ihrer Reise durch das ehemalige Elfenreich Myth´allan waren sie vor längerer Zeit zu den Elfenpferden gekommen, hatten diese jedoch zurücklassen müssen, als sie durch den verfluchten Wald von Drath´Mor gereist waren. So standen die beiden lange in der Abenddämmerung, während die anderen bereits ihr Nachtlager aufschlugen.

An diesem Abend beratschlagten alle, wie es weitergehen sollte. Ergon saß, sehr zum Ärger seiner Mutter, auf Cearas Schoß und lachte über die kleinen Zaubertricks, die Fio´rah ihm vorführte. Der Kleine hatte mittlerweile seine ganze Scheu verloren und schien sich richtig wohl zu fühlen.

»Wir brauchen nur noch zwei Runen«, begann Myrthan ernst und alle Gespräche verstummten. »Wie ihr wisst, befindet sich die eine Rune in Fearánn. Daron, du wirst wissen, wo Norns Auge liegt.«

Dieser nickte ernst, mit leicht angespanntem Gesicht.

Myrthan lächelte. »Ich befürchte, Ceara wird sich nicht davon abhalten lassen, dich zu begleiten?!«

Als sie grinsend nickte, zwinkerte Myrthan ihr zu, doch dann wurde er ernst. »Im Moment scheinen keine Orks in der Nähe zu sein. Aber Adamath und Krethmor werden vermuten, dass wir nach Fearánn flüchten wollen, also ist es nicht ganz ungefährlich. Wir sollten in kleinen Gruppen reisen. Ich werde versuchen, die Höhlenmänner aus Drago´llaman zusammenzutrommeln. Wenn wir erst alle Runen haben, müssen wir die Feuerquelle einnehmen. Wirst du die Fiiljas holen, Fio´rah?«

»Selbstverständlich, Myrthan!«

»Wir wissen nicht, wie wir auf die Feeninsel gelangen sollen«, fuhr Myrthan fort, »aber darum sollten wir uns später kümmern. Wir werden uns in dem Dorf am Rande von Myth´allan treffen, in das Daron damals die Flüchtlinge gebracht hat.

Ich schlage vor, dass Ihr Eure Frau dorthin bringt, Prinz Trian.«

Seora schnaubte entrüstet, sagte aber nichts.

»Meine Frau legt keinen Wert auf meine Gesellschaft«, antwortete Trian bitter, »ich werde ihr fünf meiner Soldaten mitgeben. Ich möchte mich Daron und Ceara anschließen, falls sie nichts dagegen haben.«

Seoras Blick schien ihn erdolchen zu wollen, doch er hielt ihm stand. Erst vorhin hatten sie wieder heftig gestritten.

»Nun gut, aber sie brauchen jemanden, der schon einmal in dem Dorf war, sonst finden sie nicht hin«, wandte der Zauberer ein.

»Ich werde mitgehen«, bot Bran an.

Unentschlossen blickte Alan von Bran zu Ceara. Diese sagte schließlich lächelnd: »Ich würde mich freuen, wenn du mit uns kommst, Alan.«

Alan nickte erleichtert. Also würden Bran, die Prinzessin und Ergon mit fünf Soldaten nach Myth´allan aufbrechen, Myrthan wollte sich als Drache verwandeln und die Höhlenmänner suchen. Fio´rah beschloss, die Fiiljas alleine zu holen, da sie meinte, ohne Begleitung schneller und unauffälliger zu sein. Ceara, Daron, Alan, Trian und die restlichen drei Soldaten vereinbarten, sich auf die Suche nach der Rune zu machen. So verbrachten sie die letzte gemeinsame Nacht zusammen.

Am Morgen verabschiedeten sie sich mit einem dumpfen Gefühl im Magen. Sie hofften alle inständig, sich bald in dem kleinen Dorf in Monalyth wiederzusehen. Seora flehte ihren Mann nun doch an, mit ihr zu kommen, aber Trian blieb hart.

»Ich denke, es tut uns ganz gut, wenn wir uns eine Weile nicht sehen. Die Soldaten werden gut auf dich und Ergon achten. Ich vertraue ihnen.«

Seora wollte empört etwas erwidern, überlegte es sich aber scheinbar doch anders. »Pass bitte auf dich auf und kehre gesund zu uns zurück«, sagte sie unter Tränen und umarmte Trian.

Der nickte ernst und nahm seinen kleinen Sohn beiseite, dem ebenfalls Tränen in den Augen standen. »Ich habe eine wichtige Aufgabe für dich. Du musst gut auf deine Mutter aufpassen, ja?«

Ergon versprach es und unterdrückte ein Schluchzen. Dann verschwanden alle in verschiedene Richtungen und Myrthan verwandelte sich unter dem staunenden Blick seiner Freunde in den wunderschönen Drachen, der anmutig in die beginnende Morgendämmerung nach Süden flog.

Daron, Ceara, Alan und Trian, sowie die drei Soldaten, wanderten den ganzen Tag an der Küste entlang und obwohl das Wetter schön war und die Landschaft atemberaubend, hingen die meisten von ihnen düsteren Gedanken nach. Die drei Soldaten, Morad, Geldan und Faras, waren ohnehin sehr schweigsam. Trian hatte ihnen das ›du‹ angeboten und gesagt, sie sollten ihn nun nicht mehr als Prinzen, sondern als Gefährten betrachten. Doch die Soldaten schienen sich dabei nicht wohl zu fühlen und hielten sich abseits.

Als sie am Abend ein Stück im Landesinneren zwischen lichten Buchen und Eichen lagerten, sah Prinz Trian sehr unglücklich aus.

»Ich hoffe, ich habe keinen Fehler gemacht, als ich Seora und Ergon allein gelassen habe. Vielleicht wird sie mir das niemals verzeihen.«

»Meinst du, sie lässt sich scheiden?«, fragte Ceara mit vollem Mund. Sie hatte gerade ein paar Beeren gepflückt, welche sie nun verspeiste.

Trian schaute sie mit zusammengezogenen Augenbrauen verständnislos an. »Was meinst du damit?«

Alan begann zu grinsen und Ceara erklärte: »Na ja, dass sie dich verlässt, eure Ehe auflöst.«

Sowohl Trian als auch Daron sahen sie derart fassungslos an, dass Alan laut zu lachen begann.

»Ich befürchte, das ist hier nicht üblich!«

»Eine Frau kann doch die Ehe nicht einfach auflösen!«, rief Trian empört.

»Dort wo ich herkomme aber schon«, erklärte Ceara.

»Und wo ist das?« Der junge Prinz wirkte vollkommen fassungslos.

Ceara warf Daron einen fragenden Blick zu und der nickte kaum merklich.

»Ich bin eine Weltenwanderin, ebenso wie Alan und Bran«, erklärte sie.

Trians Augen weiteten sich noch mehr. Er keuchte leise und versuchte, seine Gedanken zu sammeln. »Ich … ich habe einmal davon gelesen, aber nie geglaubt, dass es diese Weltentore tatsächlich gibt.«

»Es gibt sie. Und zumindest ich bin schon zweimal hindurchgegangen.«

»Erzähle mir von deiner Welt«, verlangte Prinz Trian, nun ganz gespannt. »Bei euch können Frauen tatsächlich eine Ehe beenden?«

Ceara nickte grinsend und Alan sagte lachend: »Also, ich glaube, ich werde wirklich hier bleiben!«

Empört boxte Ceara ihn in die Seite und begann ein wenig von ihrer Welt zu erzählen, die auch Daron noch immer sehr fremd war und die Trian gar nicht fassen konnte. Es war schon sehr spät, als sie sich schlafen legten. Die drei Soldaten bestanden darauf, als Erstes Wache zu halten. Dies sollte eine der wenigen friedlichen Nächte sein, die sie in nächster Zeit erwartete.

Ein blutüberströmter Soldat war ins Schloss zurückgekehrt und berichtete Adamath und Krethmor, dass die Gesuchten nicht ertrunken waren, sondern zumindest ein Teil von ihnen sich auf der Flucht befand. Daraufhin befehligte der Hochkönig all seine Orks, Dämonenreiter und die Soldaten des ehemaligen Königs des Felsenreichs, das jetzt offiziell unter Adamaths alleiniger Herrschaft stand, überall im Felsenreich und in Fearánn nach den Flüchtenden zu suchen.

»Wer mir meine Verlobte bringt, den werde ich mit dem Königsthron des Felsenreichs belohnen«, verkündete er, woraufhin sich alle die nach Macht gierten − und das waren nicht gerade wenige − bereitwillig aufmachten, jede Gefahr auf sich zu nehmen. Adamath selbst beschloss, auf eigene Faust nach Fearánn zu reiten. Er wollte diese elenden Rebellen endlich zur Strecke bringen und es wäre ihm eine große Freude, dies selbst zu erledigen.

Währenddessen kehrte Krethmor in seinen Turm zurück. Er wollte noch einige Schattenwölfe aus der Feuerquelle beschwören, damit diese bei der Suche helfen konnten. Auf dem Krăădan flog er nach Kes´kadon zurück.

Myrthan hatte unglaubliches Glück. Wäre er nur einen Tag früher aufgebrochen, wären er und Krethmor sich begegnet. Doch so flog er im Abstand eines Tages gen Süden.

Prinzessin Seora und die anderen, unter der Führung von Bran, hatten ebenfalls Glück. Es war zwar keine einfache Reise, doch sie trafen auf keinen Widerstand und erreichten innerhalb von etwa drei Wochen das kleine Dorf am Rande des Elfenreichs. Sie hatten Glück gehabt und die Kriegspferde gefunden, die Bran und seine Freunde vor langer Zeit gegen die Elfenpferde getauscht hatten. Das hatte ihre Reise ein wenig abgekürzt.

Nun warteten sie in dem kleinen Dorf, das es mittlerweile zu einer ertragreichen Landwirtschaft gebracht hatte, und machten sich nützlich, wo es nur ging.

Dionarah - Das Geheimnis der Kelten

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