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Liebevolles Ostern

Ich spürte es, ich war angekommen. In meinem ersten Jahr in der Jugendarbeit gelang es mir, bei den Jugendlichen die notwendige Annahme zu finden. Wie jeder Mensch brauche ich sie. Wie das tägliche Brot. Für mich war es wichtig, zum ersten Mal ohne meinen Vorgänger zitiert zu werden. Einmal nicht zu hören, wie Kaplan Müller es gemacht hatte! Obwohl ich nichts gegen Müller hatte, belastete mich der eine, immer wiederholte Satz: „Kaplan Müller hat es aber so gemacht.“

Jetzt endlich konnte ich machen, was ich für sinnvoll hielt. Beruhigt lehnte ich mich zurück und beobachtete die Mädchen und Jungen. In der Disco gab es viel zu beobachten. Nicht dass die Aufsicht über Bier oder Schnaps ein Problem gewesen wäre, es knüpften sich erste zarte Bande an. Ich wurde zum Zeugen. Bei meinem Vorgänger waren diese Jugendlichen zu jung, um ihre erwachten Gefühle auszuleben. Es entstand ein Beziehungsnetz, in dem es alte und neue Knoten gab. Wer tanzte mit wem? Und wie lange? Wer verschwand mit wem und zu welcher Zeit? Wer trank was mit wem? Als Außenstehender sah ich, registrierte ich und schwieg. Kirchliche Jugendarbeit gewährte damals Einblicke in die Jugendseelen. Die Jungen testeten „ihren Marktwert“, wie es mir einmal eine besorgte Mutter sagte.

Carla, 15 Jahre und ein paar Monate alt, war geeignet, sich selbst zu testen. Sie war spritzig und immer in Bewegung. Franz, der Intellektuelle, der keineswegs so schüchtern war, wie er aussah, erprobte sich und war „hinter ihr her“. Immerhin ging sie kein einziges Mal alleine an die Bar, um sich ihre Cola zu holen. Die eher stille Katharina mit den wachen Augen stand hinter der Theke und Markus ließ sie keine Minute unbeobachtet. Im Gegensatz zu Katharina konnte trotz lauter Musik jeder sofort hören, wo sich Markus gerade aufhielt. Kein Ohr konnte sich vor seiner dröhnenden Stimme schützen. Deshalb war sein Standort immer navigationssicher. Mehrmals holte er sich einen feuchten Putzlappen, um angeblich die schmutzigen Tische zu säubern. Beim wilden Scheuern rutschte manchmal seine Hand aus und wie von selbst berührte sie Katharinas Arm. Dabei waren die Tische gar nicht so schmutzig. Katharina und Markus gehörten schon im Vorbereitungsteam zusammen. Sophia und Luca hockten an der Kasse. Dort saßen sie genau richtig, um sich immer anzublinzeln. Denn Sophia stellte ihr lockiges, fülliges Haar zur Schau, das der blonde Luca offenkundig anstarrte. Ansonsten war er ein Fußballspieler, der seine Kraft auf dem Platz abtrainieren musste. Unter den Besucherinnen und Besuchern stellten sich Charlotte und Christian abseits, aber eng zusammen. Charlotte war ein pfiffiges Mädchen, das den hageren Christian aus der Reserve lockte, vorsichtig und immer ein wenig näher. Sie tasteten sich heran, Mädchen zu Junge und Junge zu Mädchen.

Ich selbst musste aufpassen, nicht in den Sog der Atmosphäre hineinzugeraten. Immerhin war ich erst 27 Jahre alt, also im richtigen Alter, um mein Alleinsein zu hinterfragen. Die Studentinnen aus der alten Jugendgruppe hatten ihren Reiz. Sie schauten oft am Wochenende in ihrer alten Pfarre vorbei. Zwar war der Zölibat versprochen und auf einer Urkunde feierlich unterschrieben, aber bekanntlich macht Gelegenheit Liebe. Für mich galt genau wie für die Jugendlichen „All you need is love“.

Obwohl im ersten Jahr keine richtigen Liebesgeschichten begannen, ahnte ich die Sehnsucht der jungen Menschen. Ihrer ersten Freundschaft wollten sie Ewigkeit verleihen. Sie stellten sich vor, dass ihr reizendes Spiel niemals beendet sein könnte. Ein unbedenklicher Hauch von Ewigkeit umwehte die Beziehungen. Den Jugendlichen dämmerte nicht, was Alter war. Treue und Verlässlichkeit waren die Worte, die ihre erste Verliebtheit immer im Schlepptau hatte. Österliches lag in der Luft. Vielleicht drängte sich deshalb die Liebe als Thema für die Osterpredigt auf. Das Evangelium des Ostersonntags liegt auf der Linie. Der Jünger, den Jesus liebte, lief zum Grab. Wie gut hätte ich ihn einbringen können! Aber ich lief vorbei. Vielleicht war ich zu sehr mit meinen Sehnsüchten beschäftigt. Meine zweite Osterpredigt blieb wieder bibelfrei. Ihr Jesusbezug wirkte wie ein Feigenblatt.

Auf jeden Fall habe ich später drei Paare aus der Jugendarbeit getraut. Sie sind bis heute zusammen. Ihre Osterliebe hat gehalten.

Erste Liebe

„Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte.“ (Joh 20,2)

In meinem Arbeitszimmer hängt ein Druck. Er zeigt einen Jugendlichen, der mit dem Sensenmann Gitarre spielt. Es ist ein Bild aus dem Totentanz von Basel. HAP Grieshaber hat den Holzschnittzyklus geschaffen. Die Linien sind grob gezogen. Aber die schroffe, eckige Darstellung vermittelt den Rhythmus der Musik. Zwischen den Gitarristen versteckt sich in roter Farbe das Wort „love“. Es weist wahrscheinlich auf einen bekannten Beatles-Song hin, denn der Jüngling hat im Gegensatz zum Tod mit seinem kahlen Schädel eine lange Mähne. „All you need is love“ sangen die Beatles, alles, was du brauchst, ist Liebe.

Wenn ich von meinem Schreibtisch aus das Bild betrachte, werde ich daran erinnert, wie Liebe und Tod eng zusammenhängen. Es sind zwei wesentliche Aspekte unseres Lebens. Die Liebe verlangt nach Dauer. Sie hofft auf Unzerstörbarkeit und will letztlich ewig währen. Insofern rennt die Liebe beständig gegen den Tod an. Sie ist unser Schrei nach Ewigkeit. Denn der geliebte Mensch ist immer mein geliebter Mensch, den ich auf keinen Fall verlieren will. Er darf der Zerstörung durch den Tod nicht ausgesetzt werden. Indem ich ihn liebe, werde ich selbst unsterblich. Im Hohelied, einem Liebesbuch des Hebräischen Testamentes, heißt es: Die Liebe ist so stark wie der Tod, hoffentlich noch stärker. Dennoch wird die Hoffnung durch die Realität widerlegt. Auch Liebende müssen sterben.

Ob wir lieben oder nicht, alle sterben wir dahin. Der Tod erweist sich als Sieger. Dabei spielen unsere Gefühle keine Rolle. Liebe scheint nicht stärker als der Tod zu sein. Trotzdem wehre ich mich dagegen. Wenn der Geliebte gestorben ist, lebt er in der Erinnerung des Liebenden. Mag sein Körper bereits zu Staub geworden sein, er ist in dessen Herzen. Ein Weiterleben gibt es auch in den Kindern. Sie sind die Frucht der Liebe. Kinder lassen die Eltern gegenwärtig bleiben. Deshalb war es früher ein Fluch, ohne Kinder zu sterben. Aber letztlich ist das Weiterleben in der Erinnerung und in den Kindern nicht das, was wir uns wünschen. Wir selbst wollen leben. Ein Gedanke, eine Idee, die von uns weiterlebt, ist zu wenig. Wo ist unser eigenes Leben?

Die Liebe braucht Dauer. So begründet sie die Ewigkeit. Wenn überhaupt, die Unsterblichkeit wächst aus der Liebe. Ist Liebe also doch stärker als der Tod? Auferstehung erfordert eine Liebe, die stark ist, um jede Grenze zu überschreiten. Unsere Erfahrung lehrt uns, menschliche Liebe ist niemals stark genug für die Grenzüberschreitung. Wir hängen am eigenen Leben und verlieren uns nicht im anderen Leben. Durch unseren Egoismus kreisen wir um uns selbst, ohne das Leben der anderen miteinzubeziehen. Deshalb sind wir auf ein Vorbild angewiesen. Wir brauchen einen Menschen, der uns zeigt, wie stark Liebe sein kann.

Jesus Christus ist der Mensch, der die Liebe zu uns Menschen höher schätzte als sein eigenes Leben. Sein Tod war der Liebesbeweis für die Menschen. Mit ihm hatte der Tod bereits verloren. Er trat seine Macht an die Liebe ab. Sie selbst ist der letzte Grund seines Sterbens gewesen. Alles lief in seinem Leben auf die Liebe zu. Der liebende Jesus konnte nicht im Tod bleiben, weil er der Geliebte Gottes ist. Gott hielt seinen Sohn fest. Ihn und sein Leben hat er für die Ewigkeit bewahrt. Aus diesem Grund ist die Auferstehung Jesu konsequent. Er liebte unendlich und damit ging sein Leben unendlich weiter. Da aber Jesus liebt, schenkt er uns das, was fehlt. Er füllt unsere Liebe aus, ohne dass wir es verdient haben.

Das Bild des Totentanzes stimmt, wenn wir lieben und uns vom Auferstandenen beschenken lassen. Die Liebe lässt mit dem Tod tanzen.

Zwischen Zuversicht und Zweifel

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