Читать книгу Der blaue Kavalier - Albert Emil Brachvogel - Страница 5

Zweites Kapitel

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Der Fall des allmächtigen Rochester hatte für William anfänglich wahrhaft betäubende, für das Schicksal des Hauses Craven höchst entscheidende Folgen. Unser Held wurde nicht mehr Mister, nicht einmal bloß Sir, sondern Sir William, Ritter von Craven, am Allgemeinsten aber der »blaue Kavalier« genannt. Im ersten Staunen waren Vater und Sohn über das eigene Glück ganz verblüfft. Der Alte konnte gar nicht begreifen, was eigentlich sein Sohn für eine besondere Tat getan habe, William selbst fasste die Größe solcher Gunst nicht einmal, da er sich doch nur bewusst war, zum Schutze seines Vaters aufgetreten zu sein und seine Untertanenpflicht erfüllt zu haben, sich nur zu sehr bewusst war; wie der Zufall hierbei weit mehr als sein eigner Wille die bewegende Ursache gewesen. Dass kraftlose Fürsten gerade das zufällige Verdienst, sobald es sie nur in glücklicher Minute von einer persönlich drückenden Fessel, von den natürlichen Folgen ihrer eignen Schwäche befreit, am höchsten belohnen, ahnte er ebenso wenig, als dass solide, aus sich selbst erlangte Tüchtigkeit eines Untertans denselben selten mehr als eine zögernde, höchst laue Anerkennung abringt.

Das plötzlich entdeckte Verbrechen Lord Robert Carrs von Rochester, Herzogs von Somerset, war schwer, aber es war nicht ganz sein eignes.

Er schien mehr Mitschuldiger als eigentlicher Täter. —

Graf Essex, der Sohn des enthaupteten Lieblings Elisabeths, anfänglich König Jakobs Günstling, war durch Sir Robert Cecil, den Minister, an die schöne Franziska Howard aus dem königlichen Hause der Suffolk vermählt worden, ohne dass letztere ihn liebte. Sie lernte bei Hofe Rochester kennen.

Beide fassten eine wilde Leidenschaft füreinander, Essex’ Ehe ward hierdurch die leibhaftige Zwietracht, und die Scheidung wurde von Franziska alsbald mit den schamlosesten Mitteln betrieben. Der Ritter Oversbury, Rochesters vertrauter Freund, war hiergegen aufgetreten. Er hatte versucht, den Herzog von der Verbindung mit einer Frau abzuhalten, die weder in dem Rufe der Keuschheit noch Treue stand.

Franziska, racheerfüllt, wusste aber den schwachen Geliebten zu bestimmen, dass er Oversbury höchst hinterlistig um des Königs Gnade, ja in so schweren Verdacht brachte, dass man ihn in den Tower warf.

Dort, unter Rochesters Vorwissen, hatte Franziska durch ihre Kreaturen den Giftmord an diesem Unglücklichen verübt, und über seinem Grabe war ihre Trennung von Essex, wie die Verbindung mit dem mächtigen Günstlinge erfolgt. Hätte es im Plane des Hofes gelegen, Rochester aufrecht zu halten, sicherlich wäre William Craven, statt zum Ritter geschlagen zu werden, als Verleumder exemplarisch genug bestraft worden, und man hätte sich beeilt, alle Zeugen und Beweise für die Tat beiseite zu schaffen. Rochester, der in unumschränkter Gewalt sich nach und nach über den eignen Herrn erhoben hatte, war diesem indes längst lästig geworden. Der größte Teil des Hofes, besonders Villiers, hasste ihn und hatte an seinem Fall gearbeitet, ohne ihm beikommen zu können. Dieselbe Schwäche Jakobs, welche Robert Carr erhoben, hielt ihn auch, und die Koterien arbeiteten fruchtlos gegeneinander. William Cravens Entdeckung kam Jakob, der Königin, dem Prinzen und Villiers somit als eine Erlösung, und die summarische Hast, mit der Rochesters Prozess betrieben, möglichst bitter und beschimpfend gemacht, und somit ein Skandal, der dem Hofe selbst wenig zur Ehre gereichte, absichtlich der Öffentlichkeit preisgegeben wurde, bewies, wie sehr man froh war, den überlästig Mächtigen unterm Schilde des unparteiischen Gesetzes vernichten zu können.

Rochester und Franziska wie ihre Helfershelfer wurden von der Sternkammer zum Tode verurteilt.

Indes nicht auf strenges Gericht, sondern moralische Vernichtung, auf die Unschädlichmachung des ehemaligen Günstlings nur war’s abgesehen, denn der König begnadigte das verbrecherische Paar zum Tower; nachdem die Sache der Erinnerung der Menschen aber entrückt war, verbannte er sie auf ihre Güter.

Rochesters Sturz aber war zur Zeit für jedermann das außerordentlichste und froheste Ereignis.

Die Königin, Prinz Carl von Wales und Villiers, der seine Bahn nun frei sah, überschütteten unmittelbar nach begonnenem Prozesse den »blauen Kavalier« mit glänzenden Beweisen ihrer Gunst. Als Rochester verurteilt worden war, besuchten Mitglieder des Parlaments scharenweise des Hofschneiders Haus und gratulierten ihm zu dem furchtlosen Patriotismus seines Sohnes, der das Land wie den Thron von einem »übermütigen Bedrücker« erlöst habe, und stellten William die stolzeste Zukunft in Aussicht. Bei der Bürgerschaft und dem niederen Volke erlangte die Familie Craven aber eine Popularität, als ob ihrem Schoße ein Volksbefreier entstiegen wäre, und nie hatte Meister Craven mehr Bestellungen, als in diesem gesegneten Jahre. Solchem Übermaße von Glück war der Geist des Hofschneiders kaum gewachsen.

»Nein«, rief er mitten im Taumel dieser Tage, »nein, mein lieber Junge, der Ruhm ist zu groß für mich, meine alten Schultern können die Last der Ehre nicht mehr tragen! Ich bin ein leidlicher Lordmayor gewesen und habe in der Gilde wie vor der Stadt Robe und Barett mit gutem Anstande getragen. Aber dass unser Haus in Dir zu solcher Höh’ gelangen solle, das hat wohl Deine selige Mutter, die des Fassbinders Uleswather ehrsame Tochter gewesen, im Traume nicht gedacht! Da Du uns und die Schneiderei nun so zu Ansehen gebracht hast, ein Ritter bist, und — wie die Herren vom Parlamente, die Leute vom Hofe und wer mich nur ansieht, versichern, — Dir wer weiß welche Stellen und Würden noch bevorstehen, ja man in diesen bewegten Zeiten doch noch gar nicht wissen kann, ob Du nicht ’n mal wie der selige Osborne Herzog und Peer wirst, obwohl er nicht ’n mal ’n reicher Bürgerssohn wie Du, sondern nur ’n armer Weberjunge und Bettelschüler von St. Paul gewesen, — darum ist’s billig, dass unser Haus und die Schneiderei Dir dafür auch erkenntlich sei, zu allem Guten verhelfe und in Dich seinen größten Stolz und seine Wohlfahrt setze! So wie’s gewesen ist, kann die Sache nicht mehr bleiben! Du bist für das Geschäft zu vornehm! Sollst mir nicht mehr mit Elle und Maß in der Leute Häuser rennen, was sich auch für keinen Ritter schickt, sondern als ein Kavalier und Herr leben, wie Dir behagt, studieren und tun, was Du magst. Allenfalls in den Kontobüchern kannst Du zum Rechten sehen, denn Du bist einmal, wenn der alte Craven die Augen schließt, doch das Haupt der Familie, und ich bin sicher, Du wirst ihrer auch im höchsten Glanze nicht vergessen, wirst Deinen Geschwistern beispringen, wenn’s Not tut, und dieses alte gute Haus in Ehren halten!«

William küsste dem Überschwänglichen bewegt die Hand.

»Das, lieber Vater, will ich gewiss und werde nie meines Ursprungs, Eurer Güte und meiner Pflichten uneingedenk bleiben. Ihr wisst ja, ich habe niemals für den Werktisch getaugt, und danke Euch recht innig, dass Ihr mich nicht länger in Fesseln schmiedet, die mein kindlicher Gehorsam doch auf die Länge nicht zu tragen vermocht hätte. Wohl sehe ich nicht ab, wie die guten Erwartungen der Leute an mir in Erfüllung gehen sollen, aber ich habe den besten Willen, den Lebenszweck, welchen Gott mir einst zuteilen mag, zu seiner wie Eurer Ehre und des Vaterlandes besten zu erfüllen.«

»Wohlgesprochen und ritterlich, mein Sohn, Gott segne Dich und uns alle!«

»Damit er’s aber tue, Vater, lasset uns auch gerecht sein. Nimmer wäre Rochester durch mich gefallen, nimmer solche Ehre an uns geschehen, wenn nicht, — ehe wir nach Whitehall gingen, Doderidge mir von dem Verbrechen Mitteilung gemacht hätte. Winwood, Franklins Genosse, wohnte ja im selbigen Hause wie seine Mutter und Schwester! Ihm hatte sich der Elende in seinem Rausche in der Nacht, da er heimkam, verraten! Wir verdanken Doderidge also unser Glück, und es ist billig, ihn zu belohnen. Da er ’n guter Arbeiter ist, obwohl ’n Puritaner, solltet Ihr ihn im Lohn und Arbeit verbessern, zumal die Seinen gar so arm sind!«

»Versteht sich, Kind, versteht sich! Alles das soll geschehen! Ich will über seine Sekte und seine Niedrigkeit ganz wegsehen, er soll die Hülle und Fülle haben! Schon deshalb, mein Junge, dass er uns wegen der Geschichte mit Rochester reinen Mund hält und Deine Verdienste vor den Leuten etwa nicht schmälert! Ruf’ ihn mir sogleich, William, Du sollst mit Deinem Alten wohl zufrieden sein.«

Infolge dieses Gesprächs erhielt Doderidge nicht nur ein namhaftes Geldgeschenk, ward nicht allein mit doppeltem Lohn unter die ersten Gehilfen aufgenommen, denen neben Edward nur Sammet, Seide und Brokat durch die Finger ging, auch des jungen Mannes Bitte, seine Schwester unter die Näherinnen des Geschäftes aufzunehmen, ward gegen das Versprechen des Schweigens erfüllt.

Alsbald erschien Jeany Doderidge, ein sanftes, blauäugiges Mädchen im Cravenhause, dem die Purpurwangen mit den Grübchen und die milchweiße Haut vortrefflich zu dem hohen, braunen Tuchmieder mit breitem, puritanischem Kragen und der schwarzen, engen Kappe passten, die ein schmaler Spitzensaum lieblich um dies Gesichtchen abschloss. Das Mädchen war von mildem, bescheidenem Ernste, höchst arbeitsam und zurückhaltend. Bei alledem sprach sich in ihrem Benehmen aber eine Bestimmtheit aus, dass man sah, die kleine dralle Person habe einen sehr entschiedenen Charakter.

Seit dem Tage ihres Erscheinens ging in Edward eine auffällige Veränderung vor. Er kleidete sich sauberer als sonst und war zu den Arbeiterinnen fortan viel höflicher. William, der »blaue Kavalier«, lebte nunmehr nach dem Willen seines Vaters höchst kavaliermäßig und ging seinem Studium wie seinen Vergnügungen mit schrankenloser Freiheit nach. Für andere junge Leute seines Schlages wäre dies leicht höchst verderblich geworden. Die Affenliebe eines splendiden Vaters hätte jeden anderen zum Verschwender und Wüstling gemacht, das allgemeine Lob und die Gunst des Hofes ihn zu dünkelvoller Anmaßung verleitet. William Craven war nicht von so windigem Stoffe. Studien wie Waffenübungen machten ihm ein wahrhaftes Vergnügen.

Sein ernster, träumerischer Sinn bekümmerte sich weit mehr um den Weltlauf und seines Vaterlandes Geschicke, als die Völlerei seiner Altersgenossen, und sein Umgang galt weit mehr gesetzteren Leuten, von denen er lernen , konnte, als leichtfertigen Genossen, die zwischen Kegelspiel, Karten, Sektflaschen und Raufhändeln ihre Muße teilten. Seine Schwärmerei für edle und hohe Taten, wodurch er einst sein Rittertum verdienen wollte, sein heißes Sehnen, des Kusses jener hohen Dame einst wert zu sein, deren Bild auf ihn herab gesehen, als er Rochester entlarvte, und die Überzeugung, zwischen ihr und ihm bestehe eine sonderbare, aber absichtliche Schicksalsverkettung, hielten ihn von allem Nichtigen und Gemeinen fern. Seine Liebe für den Vater, sein Pflichtgefühl gegen die eigene Familie; und dass er sich als das natürliche Haupt derselben ansah, machten, dass er gern das Rechnungswesen des Hofschneiders fortführte und so eine Mitregierung ausübte, die der Vater ihm selber angetragen. Ritter William fand trotz allem indes keine besondere Veranlassung, sein Glück für ungetrübt zu halten, und alle Ehre wie Unabhängigkeit vermochten nicht, die Wunden zu heilen, welche ihm der heimliche Groll und Neid seines Bruders täglich — ja stündlich schlug. War Edwards Verhältnis zu ihm vordem schon ein liebloses, bitteres gewesen, jetzt wurde es ein fast feindseliges. Nur Feigheit und Eigennutz zwangen ihn zu einer Verstellung, die allein dem blöden Auge des von sich selbst berauschten Hofschneiders entgingen. Dass sein Meisterwerk, das wundervolle blaue Wams, zerfetzt worden, und der König nun ein anderes haben müsse, war Edward schon ärgerlich genug, aber William in einen Ritter verwandelt zu sehen, sein Lob in Londons Munde zu hören, dulden zu müssen, dass derselbe über alles erhaben, der Abgott und Tonangeber des Hauses werde, ja, dass er gezwungen war, besagtes blaues Wams auch noch auszubessern und zu ändern, damit es zu seinem Grimme als adliges Prunkkleid auf dem Leibe des »blauen Kavaliers« prange, das setzte seiner Erbitterung die Krone auf. So wenig William mit dem Bruder auch im Charakter übereinstimmen mochte, liebte er ihn doch, suchte dessen Fehler vor sich selbst zu entschuldigen und belächelte einen Neid, der ihm zwar verzeihlich schien, dessen er aber an Edwards Stelle unfähig gewesen wäre. Die heimliche und berechnete Bosheit desselben jedoch, der Hohn, welchen Edward allen brüderlichen Annäherungen entgegensetzte, sein offener Widerwille, der sich bei des Vaters Erscheinen in heuchlerische Freundlichkeit zu verwandeln vermochte, fielen William schwer aufs Herz, denn Edwards ganzes Benehmen zeigte ihm, dass am Sarge des Vaters einst die Maske fallen, derselbe ihm als offener Feind gegenübertreten werde.

So ging man nebeneinander hin. Rochesters Fall wie das blaue Rittertum Williams machten bald anderen, wichtigeren Begebenheiten Platz.

Villiers, nun Herzog von Buckingham, hatte des gefallenen Günstlings Platz zum Ärger der Nation eingenommen. Die Unzufriedenheit im Lande wuchs und der Streit der Parteien.

In Deutschland aber hatte jener heillose Krieg begonnen, der unterm Banner der Religion dreißig Jahre den Kontinent nach allen Richtungen durchrasen sollte. Die protestantische Union und die Böhmen hatten sich gegen den Kaiser erhoben, Graf Thurn stand gegen Dampierre, Ernst von Mansfeld gegen Bouquoi im Felde, Kurfürst Friedrich v. von der Pfalz, Elisabeths Gemahl, hatte sich zum Haupte der Union erklärt, und von den Böhmen zum Könige erwählt, hatte der törichteste aller Fürsten zu Prag die Krone genommen.

»Elisabeth von England — Böhmens Königin!« tönte es in Williams schmerzlich bewegter Brust, weshalb, wusste er selbst nicht, wider. Ach, die hohe Frau ahnte gewiss nicht, dass überm Kanal für sie das sehnsüchtige Herz eines Schneidersprösslings schlug, und ihr munterer Kuss in der Guildhall, ihr Bild in der Residenz zu London die Magnete waren, welche den Ärmsten mit fast krankhafter Sehnsucht zu ihr zogen.

Mehr denn ein Jahr war vergangen, als der Hofschneider eines Tages den Besuch Mister Trehearnes empfing. Es war seit dem Sturze Rochesters zwar nichts Ungewöhnliches mehr, ihn im Cravenhause zu sehen, aber diesmal zeigte Sr. Majestät Türsteher schwermutsvollen Ernst, tiefe Traurigkeit. William, der sich im Comptoir über den Büchern befand, rief den Vater aus der Werkstatt.

»Ei, ei, Mister Trehearne«, sagte der Hofschneider, »das ist für Euch eine ganz ungewohnte Tageszeit. Sonst mögt Ihr um diese Stunde doch wenig abkommen? Und was für ein Gesicht! Ist’s nicht, als wenn Ihr eben zu ’ner Leiche gingt? Um Ihro Majestät die Königin könnt Ihr unmöglich so den Kopf noch hängen, ist’s doch bereits zwei Jahre, dass sie erblich, und Euer Trauerrock muss längst verschossen sein.«

»Der König ist mit dem Prinzen und Mylord Buckinghams auf ’ne Woche gen York. Sie haben den langen Evans und ihr Zwergenvolk Jeffrey Hudson und Archias mit, da hab’ ich indessen Ruh’!« —

Er setzte sich schwer atmend und starrte den blauen Kavalier an.

»Was ist Euch aber denn, Mister?« sagte dieser beunruhigt, »Ihr seid wie abwesend?« —

»Wie abwesend, ja! — Mein altes Herz ist bei der, die wohl ’ne treue Seele brauchen könnte in ihrem grenzenlosen Weh, ’n redliches, altenglisches Herz, das die Heimatlose grüßte von der Heimat!«

»Herr, ich — ich kann nicht fassen, was Ihr sagt!« stotterte William bleich.

»Von wem redet Ihr denn nur, Mann?« rief der Hofschneider.

»Erinnert Ihr Euch beide wohl noch des Tags mit dem Rochester? Des Bildes unserer lieblichen Elisabeth, die den Pfälzer nahm? Und dass ich Euch sagte, sie sei ihrer Großmutter so gar ähnlich, und wie mich das oft traurig mache? — Meine Voraussicht trog mich nicht! — Friedrich der Böhmenkönig, ist vor ’nem Monate, grade am 8. November, bei Prag am weißen Berge von Tilly geschlagen worden! Ist entthront, ist in die Kaiseracht getan, Prag und ganz Böhmen ist erobert! Der Spanier Spinola aber hat die ganze Pfalz weggenommen! Flüchtig durch Schlesien und die Mark irrte die Unselige mit Gatten und Kindern, bis sie in Holland endlich zu Reenen Zuflucht fand!«

Tränen rollten über des alten Mannes Wangen.

»Entthront?! — Beraubt?! — Heimatslos?!« schrie William auf.

»Heiliger Christ, ist das ein Unglück!«

Der Schneider schlug die Hände zusammen.

»Wo blieben denn aber die deutschen protestantischen Fürsten alle, deren Haupt Friedrich doch war?«

»Weg! Sie blieben alle weg in der Stunde der Gefahr! Die Herren von der Union hatten ja vorher schon heimlich ihren Frieden mit dem Kaiser gemacht — und ließen Friedrich nun im Stiche! Hab’ ich nicht immer gefürchtet, dass bei der deutschen Heirat nichts Gutes ’rauskommen werde?!«

»Nein, nein, Trehearne, das allein ist nicht die Schuld«, meinte der Schneider. »Hätten sie sich eben nur an der Pfalz genügen lassen, sich nicht in die Händel mit dem Kaiser gemischt und die Krone eines Volkes von halben Wilden genommen, die eine barbarische Sprache reden! König Jakob selber war dagegen, sagt man. Aber die liebe Eitelkeit und der Ehrgeiz, das ist das Ganze!«

William wollte heftig auffahren, als ihm Trehearne zuvorkam.

»Schämt Euch, Freund, schämt Euch, so von einer Tochter der königlichen Stuarts zu reden! Galt’s nicht die protestantische Lehre gegen kaiserliche Übermacht? — Freilich tat Friedrich nicht wohl daran, sich von Elisabeth aufreden zu lassen, die böhmische Krone zu nehmen, aber, lieber Gott, ist der Hang nach Größe denn einer Königstochter so unwürdig? War die Ärmste denn nicht kaum aus den Kinderschuhen, als sie in die fremde deutsche Welt hineinkam? Dazu an eines Mannes Seite, dem noch nicht der erste Flaum ums Kinn spross! Ist’s ein Wunder, wenn sie da irrte?!«

»Und königlich hat diese hohe, unglückliche Frau geirrt!« rief William eifrig. »Die Majestät wird doch gleich das Parlament versammeln, gegen den Kaiser rüsten und mit allen braven englischen Herzen ausziehn, um der beraubten Elisabeth zu ihrem Lande zu verhelfen?!«

»Ausziehn? Unser Herr? Das Parlament berufen? — Wo denkt Ihr hin, Sir? — Wisst Ihr denn nicht, wie schlimm er mit den Gemeinen steht? Dass sie ihm wohl mit den alten Forderungen und Klagen auf den Leib rücken, aber keinen Rosenoble bewilligen werden, es sei denn, er demütige sich? Dazu des Volkes Hass gegen Mylord Buckingham und dieser neue unselige Prozess Lord Bacons. Unser armer Herr kann ja nichts tun, Ihm sind die Hände überall gebunden! Hätte er aber auch Geld und Truppen, kann er denn offen gegen den Kaiser ins Feld ziehen? Würde sich denn nicht das Heiratsprojekt zwischen dem Prinzen Carl und der Infantin Maria gleich zerschlagen, das mit so vieler Mühe glücklich in Gang gekommen?!«

»Für den künftigen Vorteil des Sohnes also«, entgegnete William heftig, »lässt der König die Tochter im Elend?! O, nie hat’s ’ne herzlosere, unwürdigere Politik in England gegeben, und Schmach wie Unglück wird das Ende sein!«

»Aber Junge, Junge, was geht Dich denn das an? Kannst Du den Weltlauf ändern? Willst Du Sr. Majestät weisliches Regiment tadeln? Jeder schläft, wie er sich bettet! Ist der Kurfürst von unserem Herrn nicht gewarnt worden genug? Musste ihn denn der Teufel reiten, mit dem Kaiser anzubinden?«

»Ob der Kurfürst Recht tat oder nicht, das weiß Gott allein, er ist dafür genug gestraft, Vater! So viel aber weiß ich, dass, wenn ein Kind so in Unglück, Schmach und Trauer gekommen, wie Elisabeth, ein Vater helfen muss! Einem wahren Könige steht es wohl an, mit dem Schwerte seinem Kinde Recht zu verschaffen, statt sich hinter politische Rücksichten und jene spanische Heirat zu verkriechen, die das Volk wie die Pest hasst und verwünscht! Woher dieser Hader im Lande, der Trotz der Parteien, die man sich über den Kopf wachsen ließ, als um Günstlinge zu mästen, die da enden wie Rochester, und nun Bacon, der, groß und weise als Denker, mit greisen Haaren auf der Höhe seines Ruhms vor den Schranken der Lords zitternd bekennen muss, er sei doch nur ein Schuft und Blutsauger seines Landes gewesen?! Hatte die tote Elisabeth je Furcht vor den Gemeinen, und legte das Volk ihr nicht Gut und Blut zu Füßen, wenn’s Ehr und Glauben und eine gute Sache galt? Wenn jener Geist der Kühnheit und der Liebe, des Rittertums und Opfermuts noch wie in ihren Tagen in den Seelen unseres feigen Krämergeschlechts lebte, die Tochter Englands sollte nicht vergebens in der Fremde weinen und ihre Hände hilflos nach der Heimat strecken! Für einen Mann im Lande wenigstens steh’ ich gut!«

Damit stürmte der junge Mann hinaus. Staunend blickten ihm beide nach. —

William barg seine furchtbare Erregung in seiner einsamen Klause. Die Schlacht am weißen Berge hatte auf einmal seinem Leben die rechte Deutung, seinen nebelhaften Phantastereien ein greifbar Ziel gegeben. Durch das Unglück war ihm Elisabeth näher gerückt, menschlicher geworden. Der Wunsch, sich ihrem Dienst zu weihen, war kein fernes unbestimmtes Sehnen mehr, es war ihm Pflicht, Naturnotwendigkeit geworden. Er sah seine Liebe zu ihr, den Ritterschlag und ihr jetzig Elend als etwas Zusammengehöriges, — eine Veranstaltung Gottes an, um ihn zum Retter der Frau zu machen, welche mit ihm einen wunderbar geheimnisvollen Seelenbund geschlossen. Sein Entschluss, das Vaterhaus zu verlassen, nach Deutschland zu gehen und der Kurfürstin seinen Degen anzubieten, stand fest, er erwog nur noch die Art, das zu bewerkstelligen, und die Mittel, welche ihm hierbei zu Gebote standen.

Während dieses alles wie mit Feuerflammen noch durch sein Hirn loderte, trat der Vater bedächtig und lauernden Blickes zu ihm ein. Die Gefühlsexpektorationen seines Ältesten hatten ihn denn doch stutzig gemacht, und nach Trehearnes Weggehen sah er sich veranlasst, dahinter zu kommen, inwieweit sein Argwohn sich bewahrheite.

»Was ist denn das mit Dir, William, dass Du Worte sprichst, die sich eher für’n Puritaner, für den Pym, Elliot oder Hollis im Parlament als für’n gehorsamen Untertan schicken, den Seine Majestät obenein zum Ritter schlug?«

»Ja, zum Ritter, und ritterlich drum und treuer, als der König selbst, will ich handeln! Seit ich weiß, diese edle Frau sitzt in so namenlosem Jammern, leidet mich’s hier nicht mehr! Ich muss weg, Vater! Nach Deutschland! Und für altenglische Ehre und Stuarts Tochter das Schwert ziehen! Das ist das Rittertum, dessen ich wert bin, und das sie auf die Stirne mir geküsst hat in der Guildhall, da sie noch nicht ahnte, sie gehe lächelnd in ihr Elend!«

»Und Du glaubst, ich bin Narr genug, das ruhig anzusehen?« schrie der Hofschneider außer sich. »Ich glaube gar, er ist in sie verliebt! —Heiliger Georg, will der Mensch hinüber laufen und sich für ’ne verjagte Frau totschlagen lassen! O willst Du nicht gar auf meine Kosten ’ne ganze Rotte landloses Volk auflesen und als blauer Ritter ins Blaue reiten?«

»Warum nicht!«

»Das wirst Du bleiben lassen, Mensch!« kreischte der Alte. »Hab’ ich darum gearbeitet, darum Vermögen erworben, dass Du’s mit solcher Windbeutelei vertun darfst? Bist Du darum zu Ehre und Ansehen gekommen, um in die Welt zu rennen und wie’n deutscher Landsknecht hinter der ersten besten Hecke zu sterben, statt daheim Glück, Gunst und Gewicht zu erlangen? Wenn Dich der Ehrgeiz schon so kitzelt, gibt’s im Lande nicht genug Gelegenheit, Dich vorwärts zu bringen? Willst Du ins Parlament, sag’s, ich will Dich bei der Wahl schon durchbringen, und wenn Du halbwegs Dein Maulwerk brauchst für den König, wie vorhin gegen Trehearne, kann Dir’s nicht fehlen! Mit dem Fortlaufen in den Krieg aber bleibe mir vom Leibe, oder — so wahr ich Dich liebe, nicht ’nen Fahrding geb’ ich Dir mehr! Ich will Dir zeigen, dass Du doch noch in meiner Gewalt stehst!!«

»Ins Parlament? Ich? — Um für den König zu reden, diesen König, der sein Kind verleugnet? Der für seinen Günstling das Volk plündert? Nun, wahrhaftig, Pym und Hollis, sag’ ich Euch, würden Lämmer an Sanftmut neben mir sein! Das wäre für den — Hofschneider freilich ’n Todesstoß! Beim ewigen Gotte, dass Jakob so sein Kind verlässt, wird ihm einst fürchterlich selber heimkommen! Am eigenen Volke wird er die Untreue noch erleben, die er an Elisabeth bewiesen hat! Ich will mit ihm nichts mehr zu tun haben, will sein Ritter nicht sein! Wenn ich je durch die Tat meinem Stande und Namen Ehre mache, allein fürs Recht der verlassenen Elisabeth soll’s geschehen!«

»Schon gut, Du setzt Deinen Kopf auf! Aber ich habe auch einen, Sir, und sage Dir, Sir, bei meinem Vaterfluche, Du wirst still sitzen hier im Lande und leben, wie Du gelebt hast! Eher in den Tower wegen Deiner gotteslästerlichen Reden über die Majestät sollst Du, als dass ich so alle Hoffnungen, die ich auf Dich setzte, wie Spreu und Rauch verfliegen seh’! Das merk’ Dir. Nun tu’, was Du Lust hast!«

Der wütende Hofschneider ließ seinen verzweifelnden Sohn allein. William bestand jetzt einen Kampf mit sich, der ihn bis hart zur Narrheit führte. Nach diesem Gespräch war nur ewige Trennung vom Vater oder gehorsame Unterordnung möglich. — Die Pietät und Vernunft siegte. — Was konnte er, mittellos, verlassen von den Seinen, einer Frau nützen, die an ihrem eigenen Grame gerade genug zu tragen hatte? Was ihm vorher so hoch und heilig erschienen war, wenn er’s im Verein wackrer Herzen, von der Hoffnung des Volkes begleitet, unternahm, wie elend und lächerlich sah es nun aus, wie eine Irrfahrt, von einem einsamen, bettelhaften Abenteurer unternommen. In den Staub mit seinem brechenden Herzen sank sein nutzloses Rittertum, der hohe Minnedienst für Maria Stuarts Enkelin. —

Der Sohn des Hofschneiders beugte sich seinem Schicksale. Aber nicht leicht und willig wie ein feiger Schwächling, sondern finster, grollend über sein Geschick und mit düsterer Melancholie, die sich wie ein Bahrtuch jetzt über alle seine Wünsche legte. Teilnahmslos gegen alles, vegetierte er von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr, mit schmerzvoller Bitterkeit das Wechselspiel des Krieges in Deutschland betrachtend, und wie Georg von Baden-Durlach, Ernst von Mansfeld, der wilde Christian von Braunschweig, Graf Thurn und Christian von Dänemark vergebens den großen Ringkampf gegen Habsburg kämpften, mit jeder Niederlage, die ihnen Tillys Arm bereitete, die Hoffnung Friedrich V. von der Pfalz geringer, Elisabeths Zukunft aussichtsloser ward. Musste es ihn nicht ebenso wie die ganze englische Nation mit Verachtung erfüllen, dass Jakob mit den Summen, welche man ihm zu kriegerischer Unterstützung seiner bedrängten Kinder bewilligt hatte, die glänzenden Marmorhallen Whitehalls vollendete?

Vom Plafond des Bankettsaales, der seinesgleichen kaum in Paris hatte, blickte Rubens’ prunkvolle Apotheose des königlichen Jakob auf den Beschauer in einer Zeit herab, in der dieser Monarch die schmählichsten Beweise seiner Erbärmlichkeit und Beschränktheit als Mensch wie Monarch gab und von den Höfen zu Madrid und Wien am diplomatischen Narrenseil gelenkt wurde, um ihn politisch ganz ohnmächtig zu machen! —

Williams düstrer Seelenzustand, sein fast einsiedlerisch Abschließen, seine unverhohlene Disharmonie mit dem Vater hätten jeglichem auffallen, die Veranlassung hierzu den Insassen von Cravenhaus auch ohne weitere Auslassungen bald bekannt werden müssen. Im ersten Überwallen seines Zorns aber hatte der Hofschneider mit höchst unzarter Schwatzhaftigkeit die Pläne und Wünsche des »blauen Ritters« dem spöttischen Urteile seiner Umgebungen preisgegeben. Mit wahrer Höllenfreude stimmte Edward in den Zorn des Alten ein, begünstigte den Riss zwischen ihm und dem Bruder auf alle Weise, bemächtigte sich ganz des Vaters Vertrauens, überschüttete William bei jeder Gelegenheit mit dem spitzen Geschoss seiner Sarkasmen und demütigte das heiligste Gefühl in dessen Brust durch spießbürgerlich plumpe und lächerliche Anspielungen. Oft war William ihm gegenüber in einer Seelenverfassung, wo er des Äußersten fähig gewesen wäre, hätte nicht die Heiligkeit der Blutsverwandtschaft und das Sittengesetz in seiner Brust ihn von Dingen zurückgehalten, die nur Reue, Schmach und ewiger Bruch mit den Seinen im Gefolge haben konnten. Man lebte notgedrungen wohl zusammen, aber es war ein trauriges, liebloses Leben.

Ende des Jahres 24 trat aber ein Ereignis ein, das die drückende Schwüle zu Cravenhaus plötzlich unterbrach, seine Bewohner aufs Lebhafteste beschäftigte und das Einerlei ihres Daseins mit dem Reize des Geheimnisvollen durchflocht. Ein ziemlich zerlumpter Kerl, wie deren im Comptoir des Hofschneiders eben nicht oft gesehn wurden, trat eines Tages plötzlich in dasselbe und fragte nach Mister Craven, dem Hofschneider.

»Ihr meint Sir Craven?« entgegnete Edward trocken. »Was habt denn Ihr mit ihm zu schaffen?«

»Sir oder Mister, das ist gleich, in der Grube fault er genauso sicher, als ob er’s Hosenband am Knie hätte. Was ich von dem Hofschneider will? — Das werd’ ich ihm selber sagen.«

»Ich bin Mister Edward, sein Sohn, Freund, und das ist ebenso gut. Der Sir ist nicht für Leute Eures Schlags zu haben!«

»Hm, seht mir an! Ja, ja, beim Schneider tun’s die Kleider, aber ’s liebe Geld noch mehr. So sage ich Euch denn, dass Ihr Eurem Vater kundtut: ’n Bote von Harry Welby wolle ihn gleich sprechen! Er ist gewohnt, dass man seiner Aufforderung folgt!«

Edward machte große Augen. —

»Sir — Sir Harry Welby meint Ihr? — Den — den Esquire von Lincolnshire?«

»Na ja!«

»Den — den in der Grubstreet doch?«

»Ja doch!«

»Wartet! Seid so gut und setzt Euch! Mein Vater soll gleich zu Diensten sein!«

Damit stürzte Edward in die Werkstatt, der Bote aber lachte hell auf und machte vom ersten besten Stuhle Gebrauch.

»Vater, Vater!« eilte Edward an den Zuschneidetisch. »Denk’ nur, der reiche Esquire von Lincolnshire schickt her und will Dich sprechen!«

Alle Köpfe richteten sich staunend empor ob dieser Nachricht.

»Wer? Sir Welby, sagst Du? Der in der Grubstreet? Der reichste – lumpenhafteste Mann Londons? Schade, dass er weder ehrlich ist noch ’n adlig Haus hält, da kann er nicht viel werden. — Seit 40 Jahren, Leute, kam er nicht aus seinem alten düstern Hause. Niemand kennt ihn, doch ist er stets in aller Munde. Was in der Welt kann der mit mir haben?!« —

Der Hofschneider eilte ins Comptoir, Edward hinter sich.

»Also von Esquire Welby kommt Ihr, Freund?« redete er den Boten an. »Soll ich denn zu ihm kommen, wie?«

»Das weiß ich nicht; glaub’s kaum. Da ist ein Brief.«

Der Hofschneider erbrach hastig das Schreiben, Edward blickte ihm gespannt über die Schulter.

»Schickt mir gleich einen Eurer Söhne, den, der am besten maßnehmen, auch leidlich nähen kann, er soll bei mir arbeiten. Wie lange ich ihn brauche, weiß ich nicht, 20 Pfund auf den Tag werden wohl genug sein. Lasst es indes den Herzhaftesten sein, ’s dürfte sonst zu seinem und Eurem größten Schaden gereichen. Harry Welby.«

Vater und Sohn sahen sich starr an, lasen den Brief abermals, und ihr Staunen blieb unvermindert, ja schwankte bereits lebhaft zwischen Furcht und Begehrlichkeit. — Harry Welby war das Geheimnis von ganz London. — Man trug sich mit den schrecklichsten und zugleich abenteuerlichsten Gerüchten über ihn, die dieser Brief nur leider zu sehr zu bestätigen schien. Was dieser Mann auch Gutes oder Schlimmes getan haben oder noch tun mochte, sein ungeheurer Reichtum und seine unsichtbare Gewalt, die, wie man sagte, bis zum Throne sich erstreckte, machten ihn für die bürgerlichen Gesetze unantastbar. 20 Pfund Lohn für den Tag waren indes ein ungeheures, noch nie verdientes Geld, das sich Craven doch nicht entgehen lassen konnte. Was für ’ne Schneiderarbeit musste aber das wohl sein, welche Mut erforderte? Craven wie Edward bekamen eine gelinde Gänsehaut bei diesem Gedanken. Welby besaß jedenfalls die Mittel, der Familie Craven auf eine ebenso geheimnisvolle Art zu nützen, als zu schaden, wie es denn auch bekannt war, dass er hinter alles zu kommen verstand, was ihm eben zu erfahren beliebte.

»Na, wird’s bald? Antwort oder nicht!«

»Ja, ja!« schrak der Alte auf. — »Sag’, Edward, willst Du?«

»Jjj — nnnein! — Nein, ich nicht, Vater, so gern ich Euch sonst gehorche! — Seht, — was — was man so gewöhnlich Mut — Kriegsmut nennt, da — da ist mir der William doch voraus. Hat’s ja geübt mit seinem Fechten und Reiten. Will ich denn ’n blauer Kavalier sein? Gott behüt’ mich! Als Schneider leb’ ich und sterb’ ich! Hat er so große Lust, übers Wasser in den deutschen Krieg zu ziehen und für Frau Elisabeth seine Glieder zu wagen, wird er doch wohl für seines Vaters Beutel auch Mut genug haben, dem Esquire einmal unter die Augen zu gehen. Maßnehmen kann er, und so viel nähen am Ende auch.«

Der Bote lachte wieder. — Craven ging ganz verstört hinüber in Williams Kabinett, wo er denselben über seinen Büchern fand. Mit einer gewissen Schüchternheit, die aus dem Gefühle entsprang, den guten Willen dessen jetzt beanspruchen zu müssen, welcher mit ihm seit langer Zeit auf gespanntem Fuße stand, reichte er ihm Welbys Brief.

»Edward will nicht zu dem Esquire, er fürchtet sich. Willst Du nicht hin und mir — ausnahmsweise — das schöne Geld verdienen? ’s ist zwar unter unserer Würde, außer’m Hause zu arbeiten, und für Dich, ’nen Ritter, erst recht, aber bei ’nem Manne, der einem — so nützen und schaden kann, dacht’ ich, würdest Du’s wohl tun. Wer erfährt’s denn?«

William blickte regungslos auf die Schrift, indes der Alte in ihn liebevoll dringend hineinredete. Langsam stand er auf und blickte mit finsterem Spott auf den Vater.

»Ich gehe hin! Vielleicht trägt’s so viel ein, wie ich Euch seither gekostet habe.«

»Mein lieber Junge, wie Du so ’was nur reden kannst! — Du willst also wirklich hin? Wirklich? Sieh’ das ist schön, das macht mir Freude, Gott segne Dich!«

Damit eilte er hastig ins Comptoir zurück.

»Er geht hin, William wird gleich kommen!«

Der Bote lachte und erhob sich.

»Also in der Grubstreet, dicht bei Cripplegate, das graue hohe Haus rechter Hand. Lebt wohl.«

»Wollt Ihr denn nicht ’n Schillingsstück für den Gang nehmen? Und hört, braucht denn der Esquire kein Zeug zu dem Gewande, das er will?«

»Wer mich schickt, bezahlt mich auch. Wenn Welby bloß ’nen Schneider will, so will er kein Zeug, sonst hätt’ er’s geschrieben.«

»Aber herzhaft, Mensch, soll doch einer sein! Es – es geschieht doch nichts Gottloses da?«

»Haha, das weiß ich nicht. Wenn Euer Sohn Furcht hat, so bleibe er heim.«

William trat eben, den Brief in der Hand, ein.

»Wer spricht von Furcht? Ich habe gesagt, ich komme; das ist genug.«

»Willst Du Dir keine Waffe mitnehmen?« sagte der Hofschneider halblaut und bänglich an ihn herantretend.

»Eine Waffe? Nein. Ich gehe, um dem Esquire Dienste zu leisten, nicht mit ihm zu streiten. Ich fürchte nichts mehr im Leben, am wenigsten die Schrecken, welche mir Esquire Welby, haha, bereiten mag! Gott ist um mich überall, und dieser Mann sein Geschöpf so gut, wie ich.«

Der Bote sah William starr an.

»Hoho, Herr, habt Ihr wirklich so viel kalt’ Blut? — Desto besser, Ihr könnt es, wo Ihr hingeht, brauchen!«

»Ihr habt doch welches, da Ihr um den Esquire seid?«

»Ich um den Esquire? — Ich kenne ihn nur aus seinen Wirkungen, die aber machen Mannesseelen mürbe. Gehabt Euch wohl!«

Der Bote schritt hinaus. Der Hofschneider und Edward standen noch immer starr und träumend.

Ohne ein Wort weiter zu erwähnen, traf William seine Zurüstungen, hing den Mantel um, und dem Vater zunickend, verließ er das Haus, um dem Rufe des sonderbaren Briefes zu folgen.

Die Gedanken, mit welchen sich der Hofschneider in den ersten Stunden nach Williams Entfernung beschäftigte, waren zwischen Befürchtungen für dessen Sicherheit, der Berechnung des wahrscheinlich zu hoffenden ansehnlichen Gewinns und den Mutmaßungen geteilt, welcherlei Arbeit der reiche Sonderling wohl von seinem Ältesten verlangen könne. Edward hingegen war froh, dass er einer so fatalen Aufgabe entgangen war, und William sich durch seine trotzige Kühnheit hatte verleiten lassen, eine Weile demjenigen Gewerbe zu huldigen, für das ihn der Vater seit dem Ritterschlage zu vornehm gefunden.

Es vergingen drei, vier Tage, eine Woche, William kehrte nicht zurück. — Das Personal begann unruhig zu werden, besonders Doderidge. Man erging sich flüsternd in allerlei Mutmaßungen. Der Hofschneider begann schlecht zu schlafen und von beängstigenden Träumen gequält zu werden. Selbst Edward, der sonst nie Neigung für William hatte blicken lassen, ihm höchstens ein negatives Interesse gewidmet hatte, konnte eine steigende innere Aufregung nur mühsam unterdrücken und war einsilbig wie noch nie. War’s vielleicht eine Reaktion seiner besseren Natur, oder etwa die peinliche Erwartung einer Katastrophe, die ihn für immer von dem stolzen Erstgebornen, dem Teilhaber am väterlichen Vermögen erlöse? Er hütete jedenfalls seine Zunge und suchte eine Gleichgültigkeit zu heucheln, die niemand im Hause teilte, und welche er in Augenblicken, wo er sich nicht genug bewachte, selbst Lügen strafte. —

Die zweite Woche neigte sich ihrem Ende, und William erschien nicht wieder. Da litt es den Alten nicht länger. Eine unerklärliche Angst überfiel ihn, und er sprach laut aus, dass er nach der Guildhall oder nach Mansion-Haus gehen, in seiner Not beim Lordmayor und den Aldermans Rats holen wolle. Edward bestärkte ihn eifrig darin, und der Hofschneider machte sich auf den Weg.

Sir Baptist Hicks von Campden, der große Seidenhändler, zur Zeit mit der obersten Würde der Stadt betraut und seines menschenfreundlichen Wohltätigkeitssinns wegen berühmt, hörte die Besorgnisse Cravens mit Ruhe an und sah den Brief des Esquire.

»Dagegen, Sir, so leid mir’s tut, ist nichts zu machen. Wer mit Welby anbindet, mag sehen, wie er fertig wird. Dieser Brief ist so gut wie ein Vertrag. Trotz seiner eigenwilligen und gefahrdrohenden Bedingungen habt Ihr freiwillig Euren Sohn, großen Lohnes wegen, dem Esquire überlassen. Der junge Mann ist gleichfalls freiwillig zu ihm gegangen, hat sich also die Folgen selbst zuzuschreiben. Ihr habt auf nichts Anspruch, als das Geld, und zwar so lange, als Euer Sohn nicht in Eure vier Pfähle zurückgekehrt ist, was Euch der Esquire auch auf die erste Mahnung gewiss zahlen wird. Macht Euer Gewissen Euch darüber Vorwürfe, Freund, so kann ich wohl Eure Vaterangst mitfühlen, Euch sehr bedauern, aber weder meine richterliche Macht, noch die eines anderen Gerichtshofes reicht hin, Euch William wiederzuschaffen, wenn er nicht von selbst kommt.«

»Sagt das nicht, Mylord«, rief Craven bebend, »sagt nicht, dass ich mein Kind, den Stolz meines Hauses, das Glück meines Alters für Mammon verschachert habe! An die Sternenkammer, zum Könige selbst, will ich gehen! Mein Vaterrecht muss mir doch werden!?«

Der Lordmayor schüttelte mitleidig, ja fast verächtlich das Haupt.

»Es ist nichts damit, täuscht Euch nicht. Wollt Ihr ein Narr sein, erhebt Geschrei, so viel Ihr wollt, aber die Lords der Sternenkammer werden Euch auslachen und sagen, Esquire Welby sei ein Ehrenmann, falls es nicht gar einem seiner stillen Freunde einfällt, Euch auf Beschimpfung eines Mannes vom ältesten Adel anzuklagen. Der König weiß aber wohl am besten, dass er dem nicht an den Leib kann, der ihn in — Verlegenheit bringen und — aus Verlegenheit ziehen kann! So lange Euer Sohn nicht selbst über Gewalttat und Verletzung seiner Rechte als Engländer klagt, tut Ihr am besten, Geduld zu haben. Ich rate es Euch.«

Blass und verzweifelnd kehrte der Hofschneider in sein Haus zurück.

»Ich habe meinen Sohn verkauft, ich elender Mann! Ich habe ihn verloren, auf immer verloren! Vermaledeit alles, Glück und Wohlstand, die Zierde ist hin, die schönsten Hoffnungen, die ihm erst Wert gegeben haben!«

Tiefe Bestürzung und Ratlosigkeit herrschte im Cravenhause. Edward allein machte den eifrigen Tröster, weil er vielleicht selbst am getröstetsten war, und mit jedem neuen Tage, mit welchem die Hoffnung von Williams Wiederkehr geringer wurde, klangen Edwards Perorationen in frömmerer Zuversicht und wurden über den göttlichen Schutz beredter. Die dritte Woche begann und verrann. Alle Befürchtungen vergewisserten sich. Denn dass Welby William wirklich so lange und für 420 Pfund beschäftigen könne, war eine Verrücktheit, an die kein Schneiderkalkül glaubte.

Doderidge trat endlich tief bewegt zu dem Meister. —

»Sir, heute ist Freitag, der Tag, an dem der Herr litt, der Tag, da der Ärmste vor drei Wochen von uns wegging. Was Gott auch über Euer Haus im Zorn verhängte, nicht länger darf unsere Hand in den Schoß gelegt sein. Ich will hin und die Satansmacht, in deren Klauen er vielleicht schon unterging, zerschmeißen mit dem Worte der Kraft und die Finsternisse dieses argen Mannes Welby durchdringen! Hilft keiner uns zum Rechte, so ist eine Macht noch, die der Sternenkammer, dem Welby und dem Obersten dieser Rotte Korah noch gewachsen ist, das Parlament! Vielleicht ist der Erzfeind Williams, der ihn auf dem Gewissen hat, näher, als wir meinen!«

Doderidge schoss einen wilden, starren Blick auf Edward. Edward erbleichte und wendete sich bebend ab.

»So gehe denn, Freund, geleite Dich der Himmel! Wenn Du ihn wieder —«

Die Tür ging auf, William stand vor ihnen. Edward prallte zurück, als sähe er einen Geist.

Aufschreiend stürzte der Alte in des Wiedergekehrten Arme.

»Da? Doch da, endlich? Dir lieber, guter Junge, Du mein Herzenssohn und Kleinod? Und gesund? Wahrhaftig, und gesund ist er! Kommt her, alle, seht ihn an! Er ist wieder da! Gott sei gelobt in seiner Herrlichkeit, Amen!«

»Das sei er!« erwiderte William hellen Auges mit sanftem Lächeln. »Ihr ahnt wohl nicht, wie sehr auf mich gerade der Ausruf passt? Ja, in seiner Herrlichkeit gepriesen sei er, aber nicht jeder kann sie sehen, Vater, und das wunderbare Getriebe durchschauen, was wir Leben nennen und doch oft so wenig verstehen!«

»Aber sage mir nur, wo und weshalb bliebst Du so lange denn? Wir waren in Todesschrecken um Dich. Ich bin schon beim Lordmayor deshalb gewesen.«

»Glaubtet Ihr denn, mir könne was geschehen? Jedes Wesen hat seine abgesteckte Bahn, und aus der Welt geht keiner, der nicht das Teil erfüllt, was ihm oblag auf Erden. Wenn ich mir selber nur nichts tue, wer sollte mir dann was anhaben? Bei dem Esquire Welby bin ich gewesen, sonst nirgends. Warum so lange? — Die Arbeit, Vater, die da geübt wird«, er lächelte, »ist keine, wie Ihr hier macht, keine, die so bald fertig wird. Ich gehe drum auch wieder hin.«

»Wieder hin?« rief Edward starr. »Gott behüte mich!«

Craven faltete die Hände. »Und wann denn?«

»Wenn mich der — Esquire rufen wird!«

»Und das Geld, Junge, das Geld! Ist’s denn möglich, dass Du so viel verdient hast? Das schaffen in derselben Zeit ja die Hälfte unserer Leute nicht!«

»Ist’s Dir um das Geld, Vater, so brauchst Du nur ’ne Anweisung an Welby zu Gresham, dem Goldschmied, zu bringen, dann hast Du’s. Der Esquire meint aber, Du tätest besser, Du ließest es, bis mehr dazu kommt, dann hättest Du doch auch die Zinsen.«

»Auch die Zinsen!« echote Edward wie abwesend.

»Nein, wenn ich Dich nicht leibhaftig sähe, Willy, ich hielt’s für ’nen Traum! Welby muss Golcondas Schätze ja besitzen, wenn er das zahlen kann!?«

»Er hat mehr Schätze, als sonst das weite England fasst, verlasst Euch darauf.«

»Und welche Arbeit, beim Himmel, ist das denn?« stöhnte Edward. »Sage mir nur, Mensch, ist’s in Samt, Atlas — oder in was Kostbarem sonst ist sie denn gewesen?«

»Mein Christenwort befiehlt mir Schweigen, Bruder. Das aber glaube mir, der Stoff, den ich zur Arbeit hatte, ist der köstlichste, seltenste und zarteste, den je Menschenhand berührt. Unter rohen, gemeinen Händen wird er vernichtet. Genug, ich habe anderes mit Euch zu sprechen. Im Groll und Unmut, trübem Brüten und finsterem Trotze habe ich sonst unter Euch gelebt. Verzeih mir, Vater, Du sollst fortan ein willig Kind in allen Stücken an mir finden. Kränkte ich Dich aber jemals, Edward, vergiss es, gib mir die Hand, und — was uns am meisten Not tut, lass uns — Brüder sein.«

Er umarmte den Alten und ergriff herzlich Edwards Hand. Blöde und scheu die Augen niederschlagend, ließ dieser ihm die Rechte.

»Ich habe ja aber gar nichts wider Dich!«

Dann wendete sich Edward ab und ging wie zerschlagen in die Werkstube.

»Heiliger Dunstan, Junge, was hat der Welby denn aus Dir gemacht? ‘nen Engel!«

»Ein Engel, Vater«, lächelte William, »wird man auf Erden nicht. ’s ist schon schwer genug, ein Mensch zu werden. Nicht jeder bringt’s so weit.«


Der blaue Kavalier

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