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Drittes Kapitel

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Die eigentümliche Gemüts- und Geistesveränderung des blauen Kavaliers übte auf alle Bewohner von Cravenhaus einen unerklärlichen Zauber. Nicht dass William nicht vorher schon ein wackerer Mann gewesen sei und die Zuneigung seiner Umgebungen verdient habe, aber alle seine guten Eigenschaften traten vordem gewissermaßen nur willenlos aus ihm heraus, so dass man sagen konnte, es sei weniger sein Verdienst, als seine Gewohnheit, gut zu sein. Dabei hatte er Schattenseiten besessen, die, wenn sie auch nicht unedel genannt werden konnten, auch nicht geradezu schädlich wirkten, ihm selber doch Schaden gebracht, ihn weniger glücklich gemacht und von der freien Entfaltung seiner eigentlichen Seelenkräfte abgehalten hatten. Das Bewusstsein, eines reichen Mannes Sohn zu sein, hatte einen gewissen Stolz in ihm befördert und den Ehrgeiz, sich über seinen Stand in Sphären zu erheben, die doch nimmer seine dauernde Heimat waren. Er hatte den Stand seines Vaters heimlich zu verachten sich gewöhnt, welcher ihm doch die Mittel bot, seinen unbürgerlichen Neigungen zu folgen. Sein vormaliges Traumleben, zumal seine phantastische Schwärmerei für Elisabeth von der Pfalz und der Ritterschlag hatten ihn umso mehr seinen angeborenen Verhältnissen entfremdet, als die eitle Liebe seines Vaters seine vornehme Abgeschlossenheit begünstigt hatte, bis endlich seine Überhebung und romantische Torheit durch die Schlacht am weißen Berge zu solch einer Höhe erwachsen war, dass wenig gefehlt hätte, ihn für immer vom Vaterhause zu trennen.

Jedenfalls war er demselben innerlich durchaus entfremdet und in einen Gemütszustand gebracht worden, der weder ihn selbst noch irgendwen in seiner Nähe beglücken konnte. Seit er von dem wunderbaren Esquire aber zurückgekehrt war, schien er ein neuer Mensch, in seinem Wesen gänzlich verwandelt zu sein. Ich sage »schien«.

Denn in Wahrheit hatte sich sein eigentliches Wesen jetzt nur voll und ganz entfaltet und durchs Bewusstsein geklärt. Sein Hirn war nun frei von hohlen Phantasten, eigensüchtigem und zugleich widersinnigem Sehnen. Die Eitelkeit seines Rittertums belächelte er jetzt ebenso sehr, als er von ihr vordem geschwellt wurde, und das peinigende Mitleid um Elisabeth, seine glühende Liebe und Vergötterung der schönen Unglücklichen waren einem ruhigen, ernsten Gefühle tiefer Verehrung, zugleich aber zu einer festen Hoffnung geworden, die gänzlich rein von eigenen Wünschen war. —

Die ganze Welt, das Vaterhaus, hatten ihm jetzt eine neue, höhere Bedeutung, er in sich selbst einen neuen, sichereren Zweck, und dies Gefühl, das zugleich Glaube und Wissen, ja eine Art höherer, geheimnisvoller Weisheit war, breitete den Schimmer froher Ruhe und gewinnender Herzlichkeit über sein ferneres Leben. An allem im Hause nahm er teil, ohne nach dem Regimente desselben zu geizen oder sich in Dinge des Geschäfts zu drängen; für welche er sonst keinen Sinn gehabt. Er war da, wo man ihn zu brauchen gesonnen war, lebte jedoch ebenso eifrig seinen Büchern und den Waffenübungen, zu welchen sein Stand ihn berechtigte. Besonders aber nahm er sich seiner kleinen Schwester Maggy an, der er sonst nur geringe Beachtung gegönnt hatte. Diesen seinen Einflüssen konnte sich denn auch keiner, der im alten Cravenhause lebte, entziehen. Der Vater, die Arbeiter vergötterten ihn, Maggy hing an ihm mit wahrer Begeisterung, und so wenig er sich auch den Anschein gab, bestimmen oder befehlen zu wollen, genügte doch seine leichteste Bemerkung, ja der Ausdruck seiner Mienen, um die Handlungsweise seiner Umgebung zu bestimmen.

Edward selbst vermochte sich nicht seinen Einwirkungen und der brüderlichen Innigkeit zu entziehen, mit der er ihm überall entgegenkam und bei diesem spröden Gemüte um Gegenliebe warb. Wenn auch noch so erzwungen, Edward musste doch seine Freundlichkeit erwidern. Der reiche Verdienst, den William so seltsam dem Säckel des Hauses zubrachte, die Art der rätselhaften Arbeit bei Welby, verbunden mit der Neugier, hinter den Schleier dieser Geldquelle und die Seltsamkeiten des grauen Hauses in der Grubstreet zu kommen, welche auf William gar so tief gewirkt hatten, verbunden mit dem Verlangen, vielleicht selber der Vorteile zu genießen, die dort unzweifelhaft zu erringen waren, vermochte geraume Zeit den Dämon der Zwietracht und des Übelwollens, die kleinlichen und doch so heftigen Leidenschaften nieder zu halten, welche in Edward lebten.

»Sag’, Willy, ist’s wirklich denn so gefährlich bei dem Esquire, dass man außergewöhnlichen Mut nötig hat? Könnte Unsereins nicht auch ’n Mal es wagen, bei ihm zu arbeiten? Scheint mir doch eher Gutes zu sein, was einem da geschieht, weil Du seitdem so gar glücklich und zufrieden geworden bist?«

»Willst Du’s mit dem Esquire versuchen?« erwiderte William lebhaft. »Mein erstes Wort bei ihm soll sein, zu bitten, dass er auch Dich bei sich arbeiten lässt! Gefährlich, in jenes Haus zu treten, ist’s ganz sicher für den, dessen Gewissen nicht rein ist. Auf ihn würden alle schrecklichen Folgen dessen fallen, was in ihm an verwerflichen Gedanken, frevlen Wünschen und giftigen Leidenschaften wohnt. Wer aber die Prüfung seines Innern erst bestand, wird nie mehr unzufrieden sein. Selbst wenn ich auch treulos geworden wäre, Edward, Dir alles zu sagen, was ich über jenen Mann weiß, den sie einen Sonderling nennen und nur seines Reichtums wegen gelten lassen, Du würdest es doch so wenig verstehen, wie etwa eine fremde Sprache. Das will gesehen, gefühlt, im Herzen erlebt sein, Edward. Ich versprech’ Dir aber, einst sollst Du sicher in dies Haus; gedulde Dich bis dahin.«

Mehr erfuhr Edward trotz aller Bemühungen nicht, und was er erfahren, war ebenso sehr geeignet, ihn zu erschrecken, als ihn nur desto lüsterner zu machen, das Dunkel zu durchdringen, welches den unbegreiflichen Welby umgab.

Mehrere Jahre gingen hin. — Zu verschiedensten Malen war William längere oder kürzere Zeit bei dem Esquire gewesen, um zu arbeiten, und seine glückliche Heiterkeit blieb sich immer gleich. So oft ihn aber auch Edward ungeduldig fragte, »wann er denn nun auch einmal dort zur Arbeit komme«, — antwortete ihm William nur: »Ich habe gefragt und zur Antwort erhalten: er wird gerufen sein, wenn — seine Zeit gekommen ist!« —

Diese Zeit schien nie kommen zu sollen. Dafür aber kam etwas anderes, Unerfreulicheres. —

Das menschliche Gemüt, durch Klugheit und eigenen Vorteil gezügelt, kann wohl eine Zeit lang sein wahres Wesen verleugnen, seine Antipathien und Gelüste zurückdrängen, aber nicht auf die Dauer. Die Spannung, welche innerer Kampf stets erzeugt, die Unnatur jeder Verstellung, der Widerstreit zwischen dem inneren Fühlen und äußeren Tun des Menschen wird endlich so groß und unerträglich, dass er alle Bande sprengt, und seine ursprüngliche Natur nur umso wilder dann hervortritt. Dies geschah mit Edward und wurde durch eine neue Leidenschaft bewirkt, die alle anderen überwucherte und seine eigene Zukunft entschied. Dass er das Haus des Esquire nicht betreten durfte, erfüllte ihn mit tiefem Misstrauen und dem alten, schlecht unterdrückten Neide zu William. Er war der Meinung, dass es gewiss nur in dessen Absicht und Vorteil liege, ihn von Welby fern zu halten, dass diese von aller Welt gepriesene, in den Himmel erhobene Sanftmut, Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit des Bruders aber nichts sei, als eine verdammt schlaue Berechnung, um sich der Macht über alle Gemüter, über das Haus und die Erbschaft zu versichern, welche er durch seine romantischen Tollheiten schon beinahe verloren gehabt.

Edward glaubte fest, dass dieses Benehmen Williams auch die beste Manier sei, ihn bei Welby beliebt und unentbehrlich, ja sich vielleicht zum Herren des Sonderlings zu machen, indem er alle verrückten Gewohnheiten, wie die Geheimniskrämerei desselben begünstige, und es wahrscheinlich sehr gut zu Williams Plänen passe, den Ruf der Gefährlichkeit und des rätselhaften Schreckens mit verbreiten zu helfen, in welchem das Haus auf der Grubstreet stand. Die alte, tiefe Abneigung, der mühevoll bezwungene Hass gegen den Bruder kehrte mit doppelter Stärke in sein Herz zurück. Sonst hatte er ihm seines kavalieren Lebens, seiner Überhebung wegen übelgewollt, und nicht ganz ohne einen gewissen natürlichen, entschuldbaren Grund, jetzt feindete er ihn wegen seiner Vortrefflichkeit an, welche bei Williams ritterlichem Stande doppelt hochgeachtet wurde und Edwards gewöhnliche Denkungsart nur umso greller erscheinen ließ.

Ein neues Moment aber wirkte entscheidend. Vom Augenblick an, wo Jeany Doderidge Cravenhaus betrat, hatte sie tiefen Eindruck auf Edwards Herz gemacht, und er hatte ihr von Stunde an besondere Aufmerksamkeit gewidmet, soweit sich dies nämlich mit seiner Vorsicht und der Furcht vor dem Vater vertrug.

Mit höflichem Ernst hatte die Kleine solch verstohlene Galanterien hingenommen.

Ob sie Edwards Absichten merkte, war schwer zu entscheiden, aber sie war Weib genug, um einen Galan hinzuhalten, ohne ihn zu ermüden, denn das verstehen Evas Töchter alle. Edward zweifelte einige Zeit auch nicht im Entferntesten, Jeany werde freudig »Ja« sagen, sobald er es für gut finden möge, seine eigentliche Bewerbung anzubringen. Seines Vaters zweiter Sohn wusste sehr genau, was sein Ehering wert war, und wie hoch die Puritanerin mit seiner Liebe geehrt werde. Diese Siegesgewissheit hatte indes einen argen Stoß empfangen, nachdem William das erste Mal von Welby zurückgekommen, und sein Auftreten ein so verändertes war. Jeany Doderidge errötete jedes Mal, wenn William mit ihr sprach, und verriet ein Interesse, eine Ergebenheit zu demselben, die über das bloße Verhältnis der Dienstbarkeit hinaus ging, in welchem sie und ihre Genossinnen zum Cravenhause standen. William, so schien’s, sprach aber öfterer und in herzlicherer Weise als sonst mit ihr. Nur noch die Eifersucht der Liebe hatte gefehlt, Edwards Hass gegen den Bruder unversöhnlich zu machen, sobald er sich nur erst überzeugt glaubte, dass derselbe ihn, wie bisher überall, nun auch in seinem heiligsten Interesse, dem höchsten Glück seines Lebens bedrohe. Sich diese Überzeugung zu verschaffen, nahm er den Augenblick wahr, wo Jeany sich einmal im Comptoir allein befand, um unter den Stoffen und Garnituren das Passendste zu einer Robe für Lady Falkland auszusuchen. Vater und Bruder waren fort, die beiden Schreiber in Geschäften des Hauses ausgegangen und alles ringsum still.

»Ein Wort im Vertrauen, Jeany«, er stockte.

»Ich höre, Mstr. Edward.«

»Ihr wisst, Jeany, dass, seitdem Ihr in unserem Hause seid, ich Euch immer sehr höflich und zuvorkommend behandelt habe.«

»Ihr wart immer gütig, Mister.«

»Sehr zuvorkommend sogar, kann man sagen! Was ich Euch nur an Artigkeit erzeigen konnte, wie ich Euch nur bevorzugen und meinem Vater empfehlen konnte, ich tat’s.«

»Gottes Gnade möge dafür groß an Euch werden.«

»Ja, und keiner andren, glaubt mir, hätt’ ich’s getan, Jeany, obwohl Ihr ’ne Puritanerin seid und nichts herbrachtet, als Euer hübsches Gesicht und Eure geschickten Hände.«

»Das Gesicht, Mister Edward, kann Alter und Krankheit bald entstellen, diese Hand kann erlahmen und alles, was Ihr an mir lobt, dahinfallen, so gut wie dieses prachtvolle Gewebe und selbst Eures Vaters Reichtum. Es sind Dinge dieser Welt, die Motten und Rost fressen. Aber das reine Licht der Schrift, die rechte Lehre, ohne Schlacken und Zutat, das Herz in unserer Brust, kann weder gefälscht, noch alt werden, noch erlahmen in mir, und spottet des Glanzes und Hochmuts, auf den Ihr pocht.«

»Wohl, Jeany, richtig. Und ich bin diesem Eurem Glauben nicht etwa gram, obgleich es gefährlich ist, ihn zu hegen, und es Unehre bringt, ihn gar zu offen in unserm guten, ansehnlichen Hause zu bekennen. Aber das soll mich nicht abhalten, Jeany, und ich will über alles hinwegsehen, denn ich — ich — liebe Euch! Ich will Euch zu meiner Frau machen und werde meines Vaters Abneigung gegen Eure Sekte nach und nach überwinden. Einst sollt Ihr hier allein gebieten, Doderidge soll mein Bruder und Geschäftsteilhaber, Ihr werdet die reiche, geehrte Frau Edward Cravens sein, die mit niemand tauschen mag!«

Jeanys Gesicht glühte purpurrot. Das Zeug, was sie ausgebreitet gehalten, war ihren Fingern entglitten, und mit gesenkten Wimpern hatte sie zugehört.

Langsam erhob sie ihr Auge:

»Und wenn Ihr alles mit mir teilen wollt, was Eures Vaters ist, und so tut, als seiet Ihr schon der Herr darüber, was bleibt denn Eurem edlen Bruder, dem Erstgebornen, der nach dem Gesetz Euch voransteht?!«

Edward fuhr heftig zurück.

»Meinem Bruder? Was geht Euch mein Bruder an, und was er hat oder nicht hat? Wenn ich um Euch werbe, steht’s Euch an, nach ihm zu fragen, sich um sein Wohl zu härmen?«

»Noch bin ich nicht Eure Braut, Mister Edward! — Was soll mir nicht anstehen, nach ihm zu fragen? War er’s nicht, der allein vordem für Doderidge ein Herz gehabt, ihn geschützt in seinem Glauben, ihn aus der Not gezogen, und dem ich, was ich habe, verdanke? Er ist der Engel des Herrn gewesen, der uns aus der Traurigkeit gerissen hat! Wer seinen Bruder nicht lieben kann, Mister Edward, kann auch keinem Weibe die rechte Liebe geben, denn sein Herz ist starr und tot, und der Himmel von ihm gewendet! Das ist meine Antwort auf Euren Antrag!«

Sie raffte das Zeug hastig und tief bewegt zusammen, um sich zu entfernen.

»Das Eure Antwort?! Ihr — Ihr verwerft mich?!«

»Ich nicht, Ihr habt Euch — selbst verworfen!«

»Nein, Mädchen, verstelle Dich nicht. Er ist’s, den Du mir vorziehst, den schlanken, blauen Kavalier, den Herrn Tugendspiegel mit dem ewigen Lächeln und den verführerischen Worten, der mir alles stiehlt, alle meine Wege kreuzt und mich nicht mehr atmen lässt. Aber ich will mit ihm abrechnen, glatt und schnell, und auf Dein Gewissen allein lad’ ich alle Folgen!!« —

Außer sich stürzte er hinweg und schloss sich ins Wohngemach. Jeany stand wie vernichtet. Dann fuhr sie auf und blickte starr vor sich hin.

»Das, Herr der Gnade, das darf nimmer geschehen! Du wirst Deinen Erwählten nicht verlassen!«

Edwards tiefe Abneigung gegen William, durch eine Eifersucht verstärkt, deren blinde Wildheit nur aus dem langen Zwang erklärt werden kann, den er seinen Leidenschaften angetan, hatte nunmehr die Höhe erreicht, welche ihn zu jeder Abscheulichkeit fähig machte, sobald sie ihn nur von demjenigen befreite, in welchem er den Todfeind und glücklichen Nebenbuhler in allem sah, was er Lebensglück nannte. Das Gefühl seiner eignen körperlichen Ohnmacht, die Furcht allein, sich durch eine gewaltsame Tat selbst zu verderben, hielt ihn noch ab. Dafür gab’s aber in London Rat. —

Dass er über einem heillosen Plane von Stund’ an brüte, es auf irgendeine Art mit den Brüdern ein schlechtes Ende nehmen musste, verriet Edwards scheues, lauerndes Benehmen, dies Starren, In-sich-hinein-Flüstern, sobald er allein war, und dass er den forschenden Blick Doderidges mied. Jeany hatte diesem ihre schweren Besorgnisse mitgeteilt, war seit Edwards Gespräch mit ihr sofort gegen William höchst zurückhaltend geworden und wich ihm aus, wo es schicklicher Weise nur geschehen konnte, ohne geradezu zu beleidigen. Gern hätte Doderidge William von der Werbung Edwards wie dessen Eifersucht in Kenntnis gesetzt und ihn gewarnt. Aber ersteres unterließ er auf Jeanys flehentliche Bitten. Die Tränen, welche ihr die Scham bei dem Gedanken auspresste, William könne eine solche Eröffnung anders auffassen, in derselben vielleicht nur eine ehrgeizige Spekulation erblicken, von welcher die Puritanerin sehr weit entfernt war, ließen ihren Bruder Josuah schweigen. Sie bestand darauf, dass diese Werbung als gar nicht geschehen angesehen werde, und Doderidge gab ihren Gründen umso mehr nach, da es allerdings außer der Möglichkeit lag, der Hofschneider könne jemals seine Einwilligung zur Verbindung eines seiner Söhne mit einem armen Mädchen von so niederer Herkunft geben, deren Glaubenslehren nicht nur verfolgt wurden, sondern auch für schimpflich und gottlos galten. Sir Craven, der ehemalige Lordmayor, wäre ja aus der Gilde gestoßen, von der Liste der Aldermans gestrichen worden, hätte Hofgunst und öffentliche Achtung eingebüßt, wenn er seine Familie so erniedrigt hätte. Wo also jede Voraussetzung eines solchen Falls aufhörte, erschienen alle Befürchtungen, die man gegen William aussprechen mochte, überaus gewagt. Dass Edward dies nicht selbst einsah, und wie töricht seine Eifersucht sei, dass er ferner Williams Gefühle nicht besser kannte, bewies, wie die Leidenschaft seiner Neigung aller vernünftigen Schranken spotte, und, weil er Jeany blind liebte, ohne die Unmöglichkeit seiner Werbung zu bedenken, er umso mehr eine gleiche Leidenschaft bei seinem Bruder voraussetzte. William endlich bloß vor Edward im Allgemeinen zu warnen, ohne ihm Gründe anzugeben, war ebenso widersinnig und hieß Zwietracht säen, ohne ihre Quelle zu verstopfen.

»Sei getrost, Mädchen«, sagte Doderidge; »der, dessen Auge die Schatten der Nacht und die Rinde der Erde so gut durchdringt, wie die Herzen der Boshaften, wird auch seine Rechte recken über ihn als Schirm, ich aber will sein Wächter sein und zu ihm stehn, wie Jonathan zu David!«

Die Geschwister kamen nun gewissenhaft überein, Edward unter die strengste heimliche Kontrolle zu stellen, namentlich sollte ihn Doderidge, so oft er allein, besonders zu ungewohnter Zeit ausgehe, was jetzt öfter geschah, genau beobachten, um allen Übeln zuvorzukommen, welche derselbe etwa gegen William ins Werk zu setzen versuche.

Von dem, was um ihn vorging, hatte der blaue Kavalier keinen Begriff. Er bemerkte nicht einmal das zurückhaltende Benehmen Jeanys. Zwar sah er ein, alles Entgegenkommen nütze ihm bei Edward nichts, ja, derselbe sei misstrauischer, bitterer denn sonst, aber William hatte die Zuversicht, dass er doch einst seines Bruders Hartherzigkeit durch Mittel besiegen werde, denen kein menschlich Herz so leicht widerstand. Andre Dinge gingen ihm im Kopfe herum, und wenn auch durch dieselben sein Glauben an die Kraft der Überzeugungen, die nun sein Herz mit Frieden füllten, nicht gerade getrübt ward, sein Gemüt wurde doch von ihnen herabgestimmt.

Die Dinge der Außenwelt zogen ihn mehr als sonst, mehr als er wollte, vom Vaterhause ab. Es gibt einen Trübsinn, den die festeste Zuversicht nicht immer bemeistern kann.

Zu demselben war reichlicher und zwiefacher Anlass.

Selbst Leute, die viel weniger den Gang der Weltereignisse zu beachten pflegten, als William, sahen bereits mit höchst besorgten Blicken in die Zukunft. —

Das Regiment der toten Elisabeth war ein volkstümliches unter despotischen Formen gewesen, es hatte einem Volke gegolten, das unter ihr erst in die Reihe der großen Staaten getreten war und seinen Handel und Wandel kaum in Blüte gebracht hatte. Jakobs I. Regiment aber war ein despotisches, das sich in volkstümliche Formen hüllte, und zwar einer Generation gegenüber, die nicht bloß weit selbstbewusster, gereifter war, sondern sich auch bereits eines Reichtums, einer industriellen und merkantilischen Macht erfreute, welche nur bei einer offenen, reellen und kraftvollen Politik gedeihen konnte. Elisabeth, bei aller ihrer Schwäche, wusste genau, wie weit sie bei der Nation gehen konnte. Als gegen Ende ihres Lebens das Parlament zum ersten Male wider die Monopole einmütig aufgetreten war, hatte sie sich beeilt, der Nation auf halbem Wege entgegen zu kommen; die Monopole waren gefallen. Es kam ihr auch nie in den Sinn, zu leugnen, dass sie ihre Krone vom Volke habe, denn Erringung der Volksliebe war gerade das große Geschäft ihres Lebens gewesen, und selbst in den Herzen der finstern Puritaner, die sie doch brav gehetzt hatte, wurde ihr Andenken als das einer großen Königin geehrt. Jakob dagegen hatte das für jeden Engländer unerhörte Dogma aufgebracht, »er habe seine Krone allein von Gott, und es sei bloß guter Wille, wenn er dem Parlamente gestatte, bei gewissen Dingen mitzureden«. Das Günstlingswesen, der Druck der Monopole war zehnfach schlimmer wiedergekehrt, die Gelder des Staates waren sinnlos in Nichtigkeiten verschwendet worden. Der Handel mit Ämtern und Titeln hatte als neue unbekannte Plage begonnen.

England, das einst Spaniens Weltmacht niedergeworfen, war im Ansehen Europas unter Dänemark herabgesunken, und Jakobs klägliche Art, das königliche Amt zu verwalten, hatte dahin geführt, das demokratische Prinzip zur Blüte zu bringen. Das war der trübe Hintergrund dieser Epoche, die Quelle aller künftigen Erschütterungen. Ohnmächtiger, wie Jakob gewesen, da er Elisabeths leeren Sitz eingenommen hatte, war er im März 1625 ins Grab gesunken. Außer dem bittern Andenken an Rochesters und Bacons skandalösen Fall, und dass er Elisabeth von der Pfalz um der spanischen Heirat Willen dem Kaiser preisgegeben, einer Heirat, die dennoch nicht zustande gekommen war, hinterließ er seinem träumerischen Sohne Carl, den seine jüngst erkorene Gemahlin Henriette von Frankreich und Buckingham, sein Günstling, lenkten, eine mächtig erstarkte Opposition, erschöpfte Finanzen, königlichen Allmachtsdünkel und alle Folgen seiner unredlichen und feigen Politik. Der ewig witzelnde Hof von St. Germain machte auf ihn den verächtlichen Vers:

Tandis qu’ Elisabeth fut Roi,

l’Anglais fut d‘Espagne l’effroi,

Maintenant, devise et caquette

Regie par la Reine Jaquette.

In Deutschland indes warf Wallenstein alles vor sich nieder. Ein protestantischer Streiter um den andern erlahmte in dieser Kriegshetze, Blatt um Blatt fiel von dem Hoffnungsbaume der betrogenen Elisabeth, und jeder Vernünftige musste sich sagen, dass die Zukunft nur noch Trüberes versprach. Das war wohl Grund genug für Williams Herz, sich dem Unmut und der Trauer zu übergeben, mochte er auch noch so sehr vertrauen, dass es nicht so bleiben, der Leiter der Weltgeschicke solch allgemeines Unheil nicht ewig dauern lassen werde.

Um diese Zeit nahm Edward plötzlich wieder die Miene des Arglosen, Freundlichen an, tat gerade so, als habe er nie an Jeany gedacht, und wie wenn keinerlei Übelwollen gegen William in ihm wohne. Er hatte endlich seinen Plan gefasst, er bedurfte nur der Ausführung.

Eines Abends, der Alte schlief schon, Maggy saß noch bei William auf dessen Zimmer, denn er pflegte ihr oft vorzulesen, war’s, dass Edward in den Mantel gewickelt fortschlich, sorgsam das Haus schloss und durch Wichstreet, bei Holwell und Essexstreet vorbei eilig seinen Weg den Strand östlich bis zur Fleet nahm und durch Temple-Bar in das abgeschlossene und unheimliche Revier trat, welches zu der Zeit der alte Temple und Blackfriars bildeten. Dieser düstere, isolierte Stadtteil, längst von den Tempelrittern und dem Orden der schwarzen Büßer verlassen, war Zufluchtsort aller derjenigen geworden, die den Arm des Gesetzes zu meiden Ursache hatten. Der Abschaum der Londoner Verbrecherwelt, der Liederlichen und Herabgekommenen oder solcher, die nur noch im gewaltsamen Umstürzen aller bürgerlichen Ordnung sich emporbringen konnten, fand hier seine Heimat, und die klägliche Handhabung der damaligen Polizei bewies sich gänzlich unfähig, diese Brut aus ihren Schlupfwinkeln zu vertreiben. Unter Jakob I. zumal hatte sich hier ein förmlicher Staat im Staate gebildet, der seine eigene Obrigkeit und Organisation besaß, durch das Recht des Stärkeren in Ordnung gehalten wurde und bei allen Gelegenheiten, wo es galt der Obrigkeit zu trotzen, eine heillose Verbrüderung bildete, zu blutigem Widerstande stets bereit. Ein Regiment Soldaten hätte genügt, diese Hornisse auszutreiben, aber Soldaten kannte man zur Zeit in England nicht, und die Miliz von London bildete die einzige Sicherheit der Hauptstadt, die geringe adlige Leibgarde des Königs abgerechnet. So schlagfertig erstere auch bei jeder öffentlichen Gefahr dastand, oft genug die Empörung gedämpft und fremden Eindringlingen die Stirn geboten hatte, aber Polizeidienste zu tun verschmähte sie.

Das Gesindel blieb daher unbelästigt mitten im Herzen der Einwohnerschaft. —

Wie alles übertäubend musste der leidenschaftliche Hass in Edward nicht gären, da derselbe seine sonstige Furcht gänzlich überwunden hatte und unempfindlich für die Gefahren geworden war, denen er sich in diesen Regionen aussetzte. So tief in sein heilloses Brüten war er versenkt, dass er nicht bemerkte, wie Doderidge ihm fast auf dem Fuße folgte.

Durch verschiedene winklige Gässchen, von Baracken und Häusern eingefasst, denen man das Elend und die Verworfenheit ansah, gelangte der Sohn des Schneiders endlich zu einer Taverne, die den Namen »Der lustige Holländer« führte, und in welcher die Lustigkeit in der Tat einen Grad erreicht zu haben schien, der ziemlich an Raserei grenzte.

Edward stand still, horchte, sah sich zögernd um und trat rasch ins Haus.

Doderidge hätte notwendigerweise von ihm bemerkt werden müssen, wäre er nicht zu rechter Zeit hinter den dicken Pfeiler eines vorspringenden Torweges geschlüpft, der sich dicht, bei der Tür der Schänke befand.

Edward in dieselbe zu folgen, konnte nur seine Entdeckung und einen sicheren Untergang zur Folge haben.

Doderidge beschloss deshalb, in seinem notdürftigen Versteck zu bleiben und Edward zu erwarten, vielleicht dass bei ihm dann eine Sinnesänderung zu bewirken war, sobald er sich bei seinem bübischen Anschlage ertappt sah.

Ein Zwischenraum des Torgebälks, das ihn schützte, vergönnte ihm, die Schänke im Auge zu behalten, vor der eine trübe Laterne schwankte und ihren matten Schein auf das Schild zum lustigen Holländer und die nächste Umgebung ausgoss. In der Straße war’s öde.

Hin und wieder nur huschte eine zerlumpte Gestalt vorüber, und das Gebrüll der Zecher nebenan klang weit durch die Nacht. Länger denn eine Stunde harrte er in peinigender Ungewissheit und Sorge.

Endlich öffnete sich die Schänke, Edward und drei andere traten heraus.

»Also von morgen früh an«, sagte Edward rau. »Ihr trefft ihn, wo Ihr ihn findet!« —

»Ihr sollt mit uns zufrieden sein, Herr«, versetzte ein langer Kerl, dessen Raufdegen gegen das Pflaster klirrte. »Kommt denn und zeigt mir das Haus in Drurylane, damit man weiß, wo des Vogels Nest ist. In einer Stunde bin ich zurück, Crivor! Haltet ’n steifen Trunk bereit!«

»Sollst ihn haben, Rore, so stark als ihn Dein Stierschädel immer vertragen kann.«

Schritte klangen. Edward kam mit dem Raufbold vorüber, einem würdigen Exemplare jener Menschengattung, welche man Londoner Brüllbuben nannte, und die, den italienischen Bravis gleich, ihre Klingen dem Meistbietenden ganz unbedenklich zu verhandeln pflegten.

Die beiden andern, von denen der kurze Dicke mit rot gedunsenem Gesicht sich durch die Schürze als der würdige Inhaber der Spelunke erwies, der zweite vermöge des Stoßdegens und Schlapphuts aber das Pendant zu Edwards Begleiter bildete, sahen den Dahineilenden nach und flüsterten eine ganze Weile. Dann traten sie ins Haus zurück und schlossen die Tür. Angstschweiß stand auf Josuah Doderidges Stirn, seine schlimmsten Befürchtungen waren bestätigt. Edward hatte Mörder für den eigenen Bruder gedungen, jetzt zeigte er einem von ihnen die Gelegenheit. Zitternd verließ der Puritaner sein Versteck und eilte dem verworfenen Sohne seines Meisters nach. So schnell er indes auch lief, derselbe war ihm längst aus dem Gesichte. Der Raufer wusste unfehlbar in dem Häuser und Straßen-Labyrinthe viel besser als er Bescheid und hatte Edward einen näheren Weg geführt. Denn als Doderidge an der südlichen Ecke der Drurylane anlangte, kehrte Rore der Raufer bereits zurück und schritt der Wichstreet zu.

Doderidge fand vor Cravenhaus alles still, Edward längst daheim; er war zu spät gekommen.

Jetzt noch Einlass zu begehren, offen zu sagen, was er wusste, hätte nur eine Katastrophe in der Familie herbeigeführt, ihn nutzlos selber gefährdet, vielleicht William aber nur desto sicherer ins Verderben gebracht. Denselben ins Geheime zu warnen war das einzige, was er einstweilen tun konnte. Traurig ging er nach Haus und legte sich nieder, ohne Jeany seine Entdeckung mitzuteilen, damit diese in ihrer Angst sich morgen nicht verrate. Die ganze Nacht tat er kein Auge zu, und kaum graute der Tag, so stand er schon vor dem Cravenhause, damit William nicht dasselbe ohne sein Wissen verlasse, ehe er Zeit gewonnen, mit ihm zu sprechen.

Niemand hatte eine Ahnung des Unheils, welches bevorstand. Edward war in sich gekehrt und still, er suchte unter übereifriger Arbeit zu verbergen, was in ihm vorging. Nur wenn sein scheues Auge sich erhob und Doderidges forschenden Blick traf, lief es wie ein Schauer über ihn hin. Die Regsamkeit der vielen Menschen, das Treiben des Geschäfts, vor allem des Meisters gewöhnliche Redseligkeit, verhinderten Doderidge, eine Frage an Edward zu richten, welche ihn etwa einschüchtern konnte. Was war auch damit getan? Was geschehen sollte, geschah darum doch. Eine kurze Abwesenheit Sir Cravens benutzte indes Josuah, hinüber zu William zu schlüpfen, der sich gerade zum Ausgehen rüstete.

»Wollt Ihr weg, Sir?«

»Gewiss, Freund. ’s ist ja die Zeit, wo ich auf dem Schottenhofe meine Fechtübungen zu machen pflege. Man kann heutzutage nie wissen, wie bald man’s einmal ernstlich braucht.«

»Geht nicht aus! Bei der Gnade der Gerechten, geht nicht aus, wenn Euer Wohl Euch lieb ist!«

»Bist Du närrisch? Und dies blasse Gesicht, dieser schreckhafte Blick! Was fällt Dir denn ein?«

»Ihr gleicht einem lächelnden Kinde, das Blumen pflückt und den Molch nicht ahnt, der drunter lauert. Ich sage Euch nur eins, und möge ich fallen in die Hand des Verderbers hier und dort, wenn ich lüge, aber — hütet Euch vor Eurem Bruder, damit der Tag von Kain und Abel in diesem Hause sich nicht erneuere!«

William fuhr zurück.

»Mensch, Du siehst Gespenster am hellen Tage! Unnatürlich ist, was Du sagst! Wohl seh’ ich, dass meine größte Willfährigkeit nicht imstande ist, mir Edward zu gewinnen, aber zu einer Tat, wie — Du andeutest, ist doch sein Herz nicht fähig. Haha, Du, der Du ihn lange genug kennst, müsstest Dir doch bei kaltem Blute sagen, dass er dazu nicht einmal den Mut hat! Nenne mir die Gründe, ihn zu solchem Entschlusse zu bewegen! Was tat ich ihm je zuleide?«

»Da Ihr’s anders doch nicht glaubt, so sag’ ich denn, Edward hat sein Auge auf Jeany geworfen, hat das Wort des Unheils ausgesprochen, und — sie hat ihn abgewiesen, denn sein Herz ist dürre, wie der Feigenbaum, der verflucht ward. Da Ihr aber leider öfters freundlich zu Jeany ward, glaubte er, Ihr hättet des Mädchens Gunst, und aller Neid, alle Missgunst, die er gegen Euch seit langer Zeit wie Otternbrut in sich genährt, sind Leviathane und Drachen geworden durch seine blutdürstige Wut der Eifersucht. Gestern war er in Temple in einer Spelunke und hat —«

Die Tür ging auf. Ein Schreiber trat ein, der einen Brief brachte.

»Vergebt, Sir, dass ich störe. Ein Bote von Esquire Welby, er will Antwort.«

William erbrach das Schreiben.

»Gut, gut, ich komme.«

Er durchflog den Brief, indes der Schreiber hinausging.

»Gott sei Dank, endlich! Edward wird mit mir heute zu dem Esquire gehen!«

William wollte ins Comptoir.

Doderidge packte ihn fest am Arme.

»Ich beschwöre Euch, geht nicht fort. Ich hörte selbst, wie er die Mörder gedungen!«

William entfärbte sich.

»Also doch? Er konnte es doch?« —

Dann reichte er aufatmend Doderidge die Hand, feierliche Ruhe kehrte auf sein Gesicht zurück.

»Ich danke Dir, Freund. Sei ganz ruhig, ’s ist Gottes Fingerzeig, dass wir zu Welby gehen. Mir wird nichts geschehen, verlass Dich drauf. Schweige, warte, alles wird gut, ja vielleicht besser als vordem.«

Er schritt hinaus.

»In einer Stunde sind wir beide da«, rief er dem Boten zu und trat in die Werkstatt.

»Dein Wunsch ist erfüllt, Edward, lies diesen Brief. Esquire Welby fordert uns beide heut’ zur Arbeit. Rasch, zieh’ Dich an, in einer Stunde müssen wir dort sein.«

»Wir — beide hin?« schrie Edward auf, als, weckte ihn die Posaune des Gerichts. »Zu dem — Esquire?« — Er erhob sich schaudernd, das Schreiben entfiel seiner Hand. »Gerechter Gott im Himmel, jetzt gerade! Es — ’s ist nicht möglich!«

Des Bruders ernst forschender Blick ruhte auf ihm.

»Fürchtest Du Dich? Wie?«

Er lächelte.

»Sei ruhig, Edward, ich bin ja bei Dir. Komm, sei einmal ein Mann. Du hast’s ja selbst gewünscht und lange genug gewartet. Du findest mich auf meinem Zimmer, Doderidge mag aber dem Vater den Brief geben, wenn er kommt. Ich denke, wir werden· nicht allzu lange fort sein.«

William entfernte sich ruhig, als empfände er nicht das Mindeste.

Stier blickte Edward, mechanisch reichte er Doderidge des Esquires Bestellung, schwankend wie ein Trunkener verließ er die Werkstatt. Verzweiflung und Entsetzen rangen mit ihm. Mochten die Besorgnisse Doderidges auch wirklich noch so groß sein, die Ruhe Williams brachte endlich selbst mehr Ruhe in sein Herz, und auf Edwards Mienen war etwas wie Gewissenspein und Reue zu lesen. Es schien Doderidge wenig glaublich, dass William gerade an des Bruders Seite überfallen werden könne, zumal ihr nächster Weg sie durch die belebtesten Teile der City führte. Seine Sorge ernstlich niederkämpfend, ging der Puritaner an seine gewöhnliche Arbeit.

Welche Selbstpein Edward, während er sich auf den unerwarteten Gang vorbereitete, erlitten, das stand auf seinem fahlen Gesicht, da er zu William eintrat.

»Du hast wirklich große Furcht, man sieht es Dir an. Fasse Dich doch, der Redliche hat bei Welby nichts zu fürchten.«

»Der Redliche, o mein Schöpfer! Das eben ist es. — Ich bin gegen Dich nicht — immer redlich gewesen, Bruder, und — ich fürchte mich.«

William reichte ihm die Hand.

»Ich vergebe Dir alles gern, so bist Du also nicht mehr schuldig. Komm nur.«

Edward wollte sprechen und presste Williams Hand, aber das Wort blieb ihm zwischen den Zähnen.

Er rang nach Luft. —

»Gib mir unterwegs Deinen Arm und gehe dicht bei mir; willst Du?«

»Warum denn nicht? Wir sind wohl selten genug Arm in Arm gegangen.«

Als die Brüder auf die Straße kamen, fasste Edward William mit ängstlicher Hast unter den Arm und blickte sich scheu überall um.

»Sonderbarer ist aber niemand wie Du, Edward! Fast glaub’ ich, Du bist krank.«

»Ja, krank, — ich glaub’ es selbst.«

»Was hast Du denn, dass Du so scheu umher und hinter Dich blickst?«

»Es — es ist in London nicht immer sicher. — Man hat schon oft von Anfällen am lichten Tage gehört, und statt durch die City führst Du mich über Holbornhill und Smithsfield. Nimm Dich in Acht, ich bitte Dich!«

»Sei unbesorgt. Wen sollte es denn reizen, uns anzufallen? Lass’ uns lieber den Geist auf das wenden, was uns nun bevorsteht, denn es ist sehr wohlgetan, mit reiner Hand und reinem Herzen zur Arbeit in das Haus zu kommen, dessen Geheimnisse Deine Geduld so lange auf die Probe gesetzt haben. Zwischen uns zumal, die Gott aus einer Mutter Schoß erweckte, darf fortan keinerlei Heimlichkeit mehr sein.«

Edward atmete schwer, er rang nach Fassung.

»Du sagtest vorhin, Du seiest nicht immer redlich gegen mich gewesen, Edward, aber das Warum sagtest Du nicht. Soll ich’s?«

»Ja, schone mich nicht, ich — ich habe Deinen Hass, Deine volle Verachtung, verdient!!«

»Hassen und verachten? Und meinen Bruder? Weinen müsste ich eher, hätte ich das Mittel nicht, Deiner Seele Krankheit endlich zu heilen, denn Deine Seele ist krank, Edward!«

»Meine arme — elende Seele!« flüsterte er.

»Warum hast Du denn nie das Herz gehabt, mir zu sagen, dass Du die kleine Jeany Doderidge liebst? Sie so über alle Beschreibung liebst, Edward, dass Du Deiner Vernunft nicht mehr mächtig bist? Freilich ist sie arm und ’ne Puritanerin. Unser Vater würde außer sich drüber sein, aber weißt Du denn nicht, dass treue Liebe alle Hindernisse besiegt, hoch und niedrig, arm und reich ausgleicht? In welcher Form wir zu Gott beten, ob puritanisch oder anders, das, glaube mir, ist jenem majestätischen Allwesen gleich, wenn wir’s nur mit wahrhaftigem Herzen tun. Sieh’, auch ich liebe! Liebe unglückseliger, törichter wie Du, Freund! Das Weib meiner Anbetung ist mir fern, steht sternenweit über mir, ach, meines Herzens Wahn ist eine Königstochter, ein Weib, eine Mutter! — Sag’, ist solche Narrheit nicht weit mehr zum Lachen, als Deine Leidenschaft für Jeany? Und dennoch bin ich etwa nicht traurig oder verzweifelt, denn ich weiß, über mir wacht der Regierer der Zeit, der alle wunderbaren Fäden der Menschengeschicke spinnt. Er führt dennoch zusammen, was er einander bestimmte, er legt in uns den starken Mut und Willen, die Träume unsers Herzens wahr zu machen! So denke Du nur auch, und dass Jeany Dein sein kann, wenn Du der Mann nur bist, ehrlich und frohen Vertrauens um sie zu ringen!«

Edward, der staunend, brennenden Auges ihn angeblickt, stand still und ließ ihn los.

»Du — Du liebst Jeany also nicht? Du stellest Dich meinem Glück nicht in den Weg, bist nicht mein Gegner und mein Feind?!«

Er schlug entsetzt die Hände zusammen.

»Hätte ich Jeany je geliebt, Dir hätt’ ich’s doch gewiss zuerst gesagt. Nein, nein, mir ist so ruhiges Glück, wie sie Dir bereiten mag, nicht beschieden. Meine Bahn geht weit davon, und ich werde vielleicht im fernen Kampfestaumel enden, während Du, der Herr vom Druryhause, der reiche behäbige Alderman, neben Jeany nichts von der Zwietracht der Welt empfindest. Wir sind am Barbican. Es ist die höchste Zeit, lass’ uns eilen.«

Er bot Edward wiederum den Arm.

Mechanisch, in tiefer Niedergeschlagenheit schritt dieser neben ihm, Redcross hinab, auf Cripplegate zu.

»Ich wünschte, ich könnte sterben, William; mir wäre dann besser!«

»Kein Sterben ist aber ohne — Auferstehen! Aus dem Leben feige entfliehen wollen, ist Torheit, denn der Tod ist nur die Pforte einer — andern Welt. Hast Du noch immer Furcht?«

»Je mehr ich mich verschuldet und verdammt fühle, und an Dir, Bruder, desto schrecklicher ist mir jeder Schritt, jeder neue Atemzug, den ich tue!«

»Wir sind zur Stelle, drüben an der Ecke der Grubstreet ist Welbys Haus. Wenn die Furcht Gottes der Weisheit Anfang ist, Edward, dann ist Gewissensfurcht Anfang der — Bess’rung. Dein alter Mensch geht in dies Haus hinein, lass’ ihn — dort sterben! Neu tritt aus dieser Pforte, und neu wird Dir das Leben sein. Deine Hand, folge mir!«

Sie schritten auf das erwähnte Haus zu.

Grau und finster, ein sonderbares Ding, für ein gewöhnliches Haus zu hoch für einen Turm zu breit, ein Würfel von uraltem Gemäuer lag es da, fast einem viereckigen Kastell vergleichbar, zumal seine weite Fassade nur drei breite gotische Fenster hatte. Es mochte augenscheinlich einst zu den Befestigungen gehört haben, welche die alten britischen Könige gegen ihre Feinde im Innern des Landes, namentlich die Waliser, errichtet hatten.

William zog Edward vorwärts, und in verzweifelter Stumpfheit überließ sich derselbe willenlos allem Kommenden. Die Tür sprang auf, sie traten ein, die Pforte fiel rasselnd zu, dass alle Glieder Edwards bebten.

»Ich muss Dich hier verlassen, doch nur auf kurze Zeit. Geh’ jene Treppe da hinab, sie führt Dich zu einer Tür. Durch diese tritt ein. Du findest dort — Deine Arbeit.«

Ehe Edward ihm etwas erwidern konnte, war William durch eine Seitentür verschwunden.

Die tiefe Stille dieser düstern Hallen vermehrte nur noch den Schrecken und die Bangigkeit, welche er empfand. Hätte er fliehen können, er hätte es in diesem Augenblicke gewiss getan, aber die Haustür war zu, und nirgend sah er in dem weitläufigen, gewölbten Raume eine Möglichkeit zum Entrinnen. Bebenden Schritts folgte er der erhaltenen Weisung und stieg langsam die Treppe hinab, die ins Dunkle, Unterirdische zu führen schien, bis er endlich gegen ein Pförtchen rannte, das er nicht hatte erkennen können. —

Es sprang auf. — Einer Lampe matter Schein, der auf die angrenzenden Wände fiel, ließ ihn undeutlich erkennen, dass er sich in einem ziemlich weiten Gemach befand. Ratlos umherblickend und seiner Sinne kaum Herr mehr, blieb er stehen. — Die Flamme ward voller, heller. Er erkannte die Gestalt eines alten Mannes, die unter derselben auf mächtigem Eichenstuhle hinter dunkel verhangenem Tische saß. Zwei Sessel standen links und rechts an den Wänden.

»Setze Dich dorthin!« klang des Unbekannten Stimme, und er deutete auf den linken Sitz.

Der junge Mann gehorchte. — Ihm war es, wie wenn ein Flüstern rings sich erhöbe.

»Edward Craven, Dein jahrelanger Hass gegen William, Deinen eignen Bruder, die wilden Wünsche Deines selbstsüchtigen Herzens haben Dich dahin gebracht, gestern Nacht im Temple Mörder zu dingen, um Dich von ihm zu befreien! Was Dein Herz überwinden und Dein Hirn ausbrüten konnte, muss auch Dein Auge zu sehen imstande sein. — William soll hier vor Dir sterben! Du wirst das Totenkleid ihm nähen! Das ist die Arbeit, die Deiner wartet!«

Ein Schlag, der durch den Raum dröhnte, erstickte jeden Laut, welcher den Lippen des Verratenen entfliehen wollte.

William stand vor ihm mitten im Gemach. Es war, als sei er plötzlich aus dem leblosen Gestein der gegenüberliegenden Wand gekommen. Zu gleicher Zeit öffnete sich eine andere Tür, die beiden ihm allzu wohl bekannten Raufer Fiery und Rore traten, sich erschrocken umblickend, ein.

»Zieht Eure Waffen! Auf den Wink dessen, der Euch gestern im Temple gedungen, tut hier sogleich Euer Werk!« —

Verdutzt und an allen Gliedern bebend, wendeten die Mörder ihr fahles Antlitz zu Edward. — —

Derselbe stieß einen entsetzlichen Schrei aus. Er stürzte zu seinem Bruder und umklammerte ihn fest.

»Erbarmen! Tut ihm kein Leid, ich widerrufe meinen Auftrag! Mich, mich schafft aus dieser Welt, die ich geschändet habe, sie soll ein Ungeheuer, wie ich bin, nicht mehr tragen! O Du unerforschlicher, allmächtiger Manu, der Du gleich Gott die Frevel wunderbar entdeckst und verderbliche Gedanken in der Menschenbrust liest, richte Du mich! Tu’ mir, was ich verdiente! Nur lass mich nicht ganz ohne Hoffnung, ohne Versöhnung von hinnen gehen!«

Weinend hielten die Brüder sich umschlungen. Das Ungeheure, Unmittelbare hatte Edward niedergeworfen.

»Verzeih’ mir, William! O verzeih’, ich —«

Ohnmächtig glitt er zu Williams Füßen nieder. — —

Es war ein langer, schwerer Traum, ein tiefer Schlaf, aus dem er erwachte. Wie Blumenduft und Frühlingsodem wehte es ihn an. —

Als er das Auge aufschlug, blendete ihn Lichterglanz. Feierlich und wehmütig, sanft wie Orgelton und Engelssänge umtönte es ihn. Zweie, die still neben ihm gesessen, William und jener furchtbare Mann aus dem finstern Gemache, standen vor ihm.

»Sieh auf«, sagte der Alte, und unaussprechliche Freude durchglühte sein Gesicht, das schneeige Locken umwallten. »Die Bruderliebe hat Dich gerettet und erneut. Sei neugeboren für das Leben und fühle das Glück, ein Mensch zu sein. Dann wirst Du wert des Bruderbundes sein, der hier uns eint, wert der Arbeit, die wir hier treiben, und würdig des Lohns, den Dir der Meister einst geben wird, der Erde und Meer, den Glühwurm wie den Sternenreigen gemacht hat! Auch ich, den sie den Esquire Welby nennen, hatte einst einen Bruder, den Geldgier, Neid, Eifersucht und gemeine Triebe dahin geführt, die Hand gegen mich zu heben. Er starb, glücklich und versöhnt. In der Liebe schönen Taten hat er ausgelöscht, was er gewesen, und sein Leib ruht in dem finstren Gemache an der Stelle von allen Erdenkämpfen aus, wo Du Deine Schuld bekannt hast. Über seiner Asche sollten alle die bekennen und alle die büßen, die gleich ihm gefehlt, das war sein letzter Wille. Erhebe Dich, Wiedergeborener! Vergessen, begraben ist, was Du gewesen!«

William umarmte Edward und zog ihn empor.

In langem, schmerzvoll-seligem Weinen hing Edward an seinem Halse und wollte ihn gar nicht lassen.

»Ermanne Dich und werde fröhlich. Hier wirst Du lernen, Jeanys wert und selbst im größten Lebensschmerz beglückt zu werden«, flüsterte William.

Edward ergriff hastig des Esquire Hand und presste sie an seine Lippen.

»Auf meinen Knien möchte’ ich Euch danken, Sir!«

»Hier gibt es keine Sirs, nichts Reiches und nichts Hohes, nur Brüder. Schließ’, was Du hier erlebt und erleben wirst, als Heiligtum in Deines Herzens Tiefe. Nur Deine Taten sollen draußen beweisen, was Du geworden bist; folge mir!«

Ein hohes Portal sprang auf, eine Fülle von Licht strömte herein. Edward glaubte, er sei einer der Erlösten im Paradiese, und aller Erdenjammer falle von ihm ab. —

Die Brüder waren drei Tage später nach Cravenhaus zurückgekehrt. Das Erstaunen des Hauses, namentlich Doderidges und Jeanys, über Edwards Veränderung war ganz unbeschreiblich. Seine Hingebung, ja Unterordnung gegen William, seine Freundlichkeit und eine Art von Demut, die er sonst nicht gekannt, dazu eine heitere, männliche Ruhe und Klarheit ließen ihn fast als ein anderes Wesen erscheinen. Er zeigte plötzlich für Dinge Wärme und Teilnahme, welche er sonst übersehen hatte, namentlich für das Wohlbefinden und Glück derer, die seines Vaters Brot aßen. Kurz, Cravenhaus ward im Laufe der Zeiten unmerklich eine Stätte, wo Glück und Zufriedenheit zu wohnen begannen.

»Miss Jeany«, sagte bald nach seiner Rückkehr Edward, »habe ich Euch wehe getan, verzeiht mir wie eine Christin. Was Leidenschaft gefehlt, lasst es Demut büßen. Ihr hattet Recht. Wer den Bruder nicht einmal liebte, wie will der sonst wem Liebe einflößen! Eine gute Lehre, die ich zu Herzen nahm, Gott segne Euch dafür.«

Sie errötete tief und gab ihm die Hand. —

»Wenn Ihr mit Reue Euer Herz erfüllet, dann hat sie der Engel des Herrn auch vor des Ewigen Thron getragen. Sie wird Euch Früchte tragen, dessen seid gewiss!«

William und Edward arbeiteten noch oft zusammen in der Grubstreet, und mancher stand noch in jener dunklen Kammer auf der Stelle, wo der Bruder des Esquire Welby von allen seinen Irrtümern ausruhte.


Der blaue Kavalier

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