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2.2.5.2 Liturgiewissenschaft als theologische Disziplin
ОглавлениеMaßgeblich beeinflusste 1921 Romano Guardini (1885–1968) mit seinem Aufsatz »Über die systematische Methode in der Liturgiewissenschaft« die weitere Entwicklung des Faches und vor allem der Liturgietheologie. Einflussreich war sein Buch »Vom Geist der Liturgie«, das 1918 in erster Auflage erschien (Guardini/445; Vom Geist der Liturgie/512). Guardini erhob den Anspruch, die Liturgiewissenschaft sei Theologie, und erweiterte damit das Spektrum des Faches, in dessen Mittelpunkt bis dahin die Geschichtsforschung gestanden hatte. Zudem beschrieb Guardini den Gegenstand dieser Theologie in einer innerhalb der Gesamttheologie ungewohnten Weise: Liturgiewissenschaft solle sich mit der Kirche beschäftigen, die in der Liturgie die Gnadengeheimnisse vollzieht.
»Gegenstand der systematischen Liturgieforschung ist also die lebendige, opfernde, betende, die Gnadengeheimnisse vollziehende Kirche, in ihrer tatsächlichen Kultübung und ihren auf diese bezüglichen, verbindlichen Äußerungen« (Guardini/184: 104).
Guardini geht es um die lebendige, opfernde und betende Kirche. Zu untersuchen sind die tatsächliche Kultausübung, also die Liturgie selbst, und die auf sie bezogenen Äußerungen der Kirche. Das Interesse soll aber letztlich, so Guardini, der sich darin äußernden übernatürlichen Wahrheit und Lebensordnung gelten, welche die Kirche vermittelt.
»Es handelt sich um Theologie, d.h. um Lehre von der übernatürlichen Offenbarung und Lebensmitteilung. Ihr Inhalt ist theoretisch wie praktisch festgelegt durch die verbindlichen Lehräußerungen, die wesentlichen Vorschriften und die tatsächliche Handlungsweise der Kirche. So gilt die Arbeit der liturgischen Theologie zunächst der von der Kirche maßgebend vermittelten übernatürlichen Wahrheit und Lebensordnung. Während es sich aber in der kirchlichen Rechtslehre um das aktive Leben der Kirche handelt, richtet sich die Liturgiewissenschaft auf deren kontemplatives oder kultisches Leben, sowie auf die darin zum Ausdruck kommende übernatürliche Wahrheit und Gnadenwirklichkeit« (Guardini/184: 104).
Guardini sah die Systematische Liturgiewissenschaft in deutlichem Kontrast zu Exegese und Dogmatik, sollte sie doch keine systematische Glaubenslehre, sondern den Lehrgehalt des Kultes formulieren.
»Wohl will auch sie den Lehrgehalt des Kultlebens herausholen, aber nicht um ein System der Glaubens- oder Sittenlehre aufzustellen, sondern um die lebendige Wirklichkeit des kirchlichen Gottesdienstes von den verschiedensten Seiten her zu erfassen. Sie ist die methodische Erforschung der wirklichen Kirche in ihrem Gebetsleben« (Guardini/184: 108).
Er unterschied eine besondere Liturgiewissenschaft, welche die Einzelteile wie das Ganze der Liturgie erforschen sollte, und eine allgemeine, die sich auf »die liturgische Tatsache an sich« konzentrieren (Guardini/184: 107), also nach dem Begriff des Liturgischen, nach dem Verhältnis der Liturgie zur individuellen Andacht und zur Volksandacht, zum religiösen Geistesleben usw. fragen sollte.
Lex orandi und Lex credendi, Liturgie der Kirche und Glauben der Kirche, werden hier wieder in Beziehung gesetzt. Der in der zeitgenössischen Liturgischen Bewegung neu erstarkte Sinn für die Liturgie als Ort des Glaubens wirkte sich nun auch in der Theologie aus. Allerdings betrieb man die Systematische Liturgiewissenschaft gerade im deutschen Sprachgebiet lange Zeit nicht in der Weise, wie ihr wissenschaftliches Programm es verdient hätte.
Ein herausragender, in vielen Werken anderer Theologen rezipierter liturgietheologischer Ansatz des 20. Jahrhunderts stammt von Odo Casel (1886–1948; vgl. Schilson/251, Häußling/194). Er führte die Mysterientheologie in die liturgie- und sakramententheologische Diskussion ein. Die Feier der Liturgie interpretierte er, vor allem vor dem Hintergrund patristischer Studien, als lobpreisende Erinnerung und Vergegenwärtigung des Pascha-Mysteriums (Casel/168, 170 u. 171). Casel entwickelte ein Verständnis von Liturgie, demzufolge die Gläubigen im Gottesdienst Anteil an der einmaligen, aber jetzt gegenwärtigen Heilstat Christi erhalten. In der Liturgiefeier sind die Mitfeiernden in sakramentaler Weise Zeitgenossen der Mysterien (vgl. Kap. 4.3.3); sie wohnen dem Erlösungswerk Gottes in Christus bei. Zudem tritt die Liturgie wieder in den Mittelpunkt christlicher Existenz. Kern christlicher Identität ist das in der Liturgie gefeierte Heilshandeln Gottes. Casels Theologie beeinflusste stark die Vorbereitung der Liturgiekonstitution »Sacrosanctum Concilium« und die liturgiewissenschaftliche Beschäftigung mit der Liturgie im 20. Jahrhundert insgesamt.
Casel arbeitete sowohl mit biblischen als auch mit patristischen Quellen. Problematisch ist, dass er das Judentum als provisorisch und defizitär, als eine bloße Episode und überwunden betrachtet hat. In diesem Sinne sprach er vom »Alten« Bund und sah das Christentum enger dem Hellenismus als dem Judentum verbunden. Er meinte im Judentum eine vor allem irdische Heilserwartung und eine Trennung von Gott und Mensch sowie Gott und Welt, die nicht überwindbar sei, zu erkennen. Hier sah er eine tiefe Differenz zum Glaubensgeschehen in Jesus Christus. Deshalb spielt in seiner Theologie auch das Alte Testament keine zentrale Rolle (Schilson/251: 265–271, Ebenbauer/596: 23–26). Es handelt sich um eine wirkliche Schwachstelle einer Theologie, die ansonsten zu den entscheidenden sakramententheologischen Entwürfen des frühen 20. Jahrhunderts zählt.