Читать книгу Lina´s Mährchenbuch - Eine Weihnachtsgabe - Albert Ludewig Grimm - Страница 3

Kapitel 1

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Erster Band.

Mit fünf colorirten Kupfern.


Vorrede für die Aeltern.

Indem ich dieses Mährchenbuch dem Publikum übergebe,

glaube ich einigermaßen zur Rechenschaft über

den Inhalt desselben verbunden zu seyn. – Leicht wird

man in M o r d i ' s G a r t e n die Fabel des Singspieles

Z e m i r e und A z o r , so wie in dem K n ü p -

p e l a u s d e m S a c k e ein anderes bekanntes

Volksmärchen wieder erkennen, das ich unter dieser

Gestalt, die ich für die ursprünglichste halte, am häufigsten

fand. Das Mährchen von dem k l e i n e n

F r i e d e r m i t s e i n e r G e i g e geht ebenfalls,

obgleich nur selten, noch im Volke umher. Ich habe

es aus A y r e r , einem Nachfolger des Hanns Sachs

genommen, wo es dramatisirt steht, und einige Redensarten

sind ganz von ihm beibehalten. Das Mährchen

von B r u n n e n h o l d und B r u n n e n s t a r k

verdanke ich mit allen darin beibehaltenen Nebenumständen

der Erinnerung an meinen siebenzigjährigen

Großvater, einen schlichten Bürgersmann, der es mir

in meinem sechsten und siebenten Jahre nebst den

meisten Mährchen der T a u s e n d u n d e i n e n

N a c h t so oft erzählte, daß ich es mit diesen ganz in

eine Reihe zu stellen gewohnt ward, und es sogar in

der Tausend und einen Nacht suchte, als ich sie später

einmal in die Hände bekam. Woher er den köstlichen

Stoff dieses Mährchens geschöpft, ist mir bis diese

Stunde noch unbekannt, so sehr ich auch allenthalben

darnach forschte. Selbst meine gelehrten beiden Namensverwandten

übergehen es in ihrem von ungemeiner

Belesenheit zeugenden Anhange zu dem ersten

Theile ihrer »Kinder- und Haus-Märchen,« und das

Mährchen selbst besitzen sie nur in einem, durch des

Volkes Mund sehr verunstalteten und skizzenartigen

Fragmente. – Die Thierfabel von der F r e u n d -

s c h a f t d e s P e r l h u h n s m i t d e m S e i -

d e n h ä s c h e n u.s.w. ist durch ein auffallendes Beispiel

freundlichen Beisammenwohnens und Zusammenspielens

jener Thiere entstanden. Ich habe nur den

Thieren Sprache gegeben; und so ist diese Erzählung

geworden, die eher Wahrheit, als Fabel, zu nennen

wäre. Das Mährchen von der s c h w a r z e n Z i -

t h e r ist durch einen unvergeßlich wunderbaren

Traum aus meinem frühesten Kindesalter veranlaßt,

zu dessen weiterer Erzählung hier nicht die schickliche

Stelle zu seyn scheint.

Ueber die Behandlung der Stoffe und das Gewand,

in welchem diese Mährchen erscheinen, bedürfte es

eigentlich keiner weitern rechtfertigenden Auseinandersetzung.

Eine ähnliche Sammlung hatte sich eben

sowohl einer ermunternden Beurtheilung in mehreren

öffentlichen Blättern zu erfreuen, als sie auch von den

Kindern aller Stände mit gleicher Lust gelesen Und

wieder gelesen wurde. Selbst auf einem einsamen

Bauernhofe fand sie einer meiner Freunde in den Händen

eines Bauerknaben, der sich sogar durch die ungewöhnliche

Ankunft des Fremden nicht stören ließ,

sondern mit unermüdlichem Eifer darin fort las. Solche

Erscheinungen sind die günstigsten Recensionen

für Jugendschriftsteller. Gleichwohl finde ich mich

durch die Vorrede meiner Herren Namensverwandten

in dem ersten Theile ihrer Sammlung zu einigen Worten

darüber veranlaßt. In kindlicher Einfachheit müssen

freilich die Mährchen für Kinder erzählt werden.

Aber dazu gehört ein ganz idealer Erzähler, den man

nicht in der ersten besten Kindermagd unserer Tage

findet, und fehlt dieser, so muß der Dichter seine Stelle

vertreten. Der selige Runge hat in ihrer Sammlung

zwei wunderschöne Mährchen unnachahmlich in

plattdeutscher Sprache erzählt. Sie sind aber gewiß

nicht s o aus dem Munde des Volkes aufgeschrieben.

Die meisten ihrer übrigen Mährchen tragen noch das

Gepräge eines ganz gewöhnlichen Erzählers aus dem

Volke mit allen seinen Fehlern, wie es denn überhaupt

an der übrigens so sehr verdienstlichen Sammlung

zu bedauern ist, daß nicht sorgfältiger davon abgeschieden

wurde, was doch augenscheinlich durch

die Länge der Zeit, während diese Mährchen Volkseigenthum

waren, von verschiedenen Erzählern

Schlechtes und Unpoetisches in Form und Stoff zuge-

mischt ist, woher es auch kommt, daß man unter verschiedener

Form dasselbe Mährchen oft zwei- oder

dreimal in demselben Buche findet.

Als ein Buch, das Kindern in die Hände gegeben werden

kann, darf man jene Sammlung aber keineswegs

ansehen, wenn auch alles Erwähnte unerwiesen oder

unschädlich wäre. Ich habe es immer nur mit dem

größten Mißfallen in Kinderhänden gesehen. Statt

weiterer hier nicht am rechten Orte stehender Erörterungen

verweise ich nur auf Nr. 12, und Väter und Erzieher

werden hier, wie an noch mehreren Orten, Ursache

genug finden, ihm nicht den Namen einer Kinderschrift

beizulegen, was es auch nach der Ansicht

der Herren Herausgeber wohl gar nicht seyn soll.

Sollten sie es aber doch auch dazu bestimmt gehabt

haben, so möchte hier das alte Sprüchlein anzuwenden

seyn: »Niemand kann zweien Herren dienen.« –

Nur das Reinste kann Stoff für die Phantasie des

Kindes seyn, und Halbreines ist hier schädlicher, als

völlig Unreines. In dieser Ueberzeugung ist Lina's

Mährchenbuch entstanden, und Niemand wird in dieser

Rücksicht ein Aergerniß daran zu nehmen Ursache

finden.

So nehmt es denn hin! und möchten sich recht viele

Kinder seiner erfreuen, wie sich viele der ersten

Sammlung erfreuten.

Daß ich dieses Buch aber gerade L i n a ' s Märchenbuch

nenne, werden sich alle Kinder, so Knaben

als Mädchen, schon gefallen lassen, wenn ich ihnen

sage, daß Lina dasselbe gute Mädchen ist, von dem in

dem Mährchen von der Freundschaft des Perlhuhns

mit dem Seidenhäschen u.s.w. erzählt wird, und dem

alle jene Thiere gehörten.

Weinheim, im Christmonate.

A.L.G.

Zur Erklärung des Titelkupfers.

Auf der Höhe ruht der Sänger,

Mild umspielt vom Abendwind

Zu den Füßen seiner Lieben;

Neben ihm ein lieblich Kind.

Unter ihm auf blauen Wellen

Still dahin die Schiffe ziehn,

Und die alten Schlösser schauen

Ernst aus dunklem Blättergrün.

Ueber ihm regt seine Schwingen

Stolz ein silberweißer Schwan,

Und der Abendstern blickt grüßend

Den verzückten Dichter an.

Aus den Felsenritzen tönet

Neckischlust'ger Gnomen Chor;

Ueber ihren braunen Häuptern

Lacht ein bunter Blüthenflor.

Der Poet lauscht bald der Sage,

Bald des Mährchens süßem Sang,

Und berührt vom Schmetterlinge

Rauscht der Zitter Saitenklang.

Liebe flüstert mild zur Sage,

Sage spricht zum Dichter mild;

Er erzählt dann Sag' und Mährchen,

Tief im Thal dem frommen Kind.

K a r o l i n e L e o n h a d t - L y s e r .

1. Mordi's Garten,

ein dramatisirtes Mährchen in vier Akten.

􀁾 Mordi »Bist du etwa Besenstielchen?«

(Mordis Garten)

Personen.

Herr Mordi, erst ein Ungeheuer, hernach ein König.

Schira, ein reicher Kaufmann.

Astralle

Hirlanda

Roselinde seine Töchter.

Sami

Lugar

Guran Schira's Diener.

Ein Meister Arzt.

Besenstielchen.

Rauna

Billowa

Lodissa Königstöchter.

Mehrere Diener Mordi's und Schira's.

Miß Käthchen, im Anfange Misekätzchen.

Hunde, Störche und dergleichen Diener Mordi's.

Minister, Räthe, Gefolge.

Erster Akt.

Erste Scene.

(In Mordi's Garten.)

Ein breiter Weg zieht durch hohe, blühende Bäume:

neben dem Wege blühen mancherlei Blumen. Ein

wenig vom Wege entfernt steht ein Rosenstock mit

einer einzigen eben aufblühenden Rose. Etwas

ferner sieht man dichte Lauben und schattige

Gänge. Im Hintergrunde steht ein prächtiges

Schloß, über welches ein hohes Gebirge hervorragt,

auf dem einzelne rauchende Hütten zerstreut liegen.

S c h i r a ,

auf einem schönen Arabischen Rosse reitend, hinter

ihm seine Knechte mit reich beladenen Kameelen.

Er hält sein Pferd an, und ruft zurück.

Haltet, Knechte! laßt die Thiere

Von der Fahrt ein wenig rasten.

Mögt auch selbst ein wenig ruhn.

Früh sind wir ja aufgebrochen,

Und es war der Weg beschwerlich,

Bin des Reitens selber müde.

Er steigt ab, und winkt einem Diener.

Sami, nimm mein Roß am Zügel,

Führ' es, bis es sich verkühlet.

S a m i

nimmt das Roß, und führt es auf und ab.

S c h i r a , umhersehend.

Ei, welch blumenreicher Garten

Ist das nicht, in dem wir weilen.

Wer nur in dem Garten lebte,

Wer die Herrschaft jenes Schlosses;

Müßte glauben, Frühling sey es,

Während draußen vor dem Garten

Schon der Herbstwind von den Bäumen

Roth und gelbe Blätter schüttelt.

S a m i .

Ja, das ist auch M o r d i ' s Garten,

Wo die Blumen immer blühen.

S c h i r a .

Mordi's Garten? Wer ist Mordi?

S a m i .

Herr, nachher sollt Ihrs erfahren,

Wenn wir aus dem Garten ziehen.

Hier getrau ich's nicht zu sagen.

S c h i r a .

Furchtsam Herz! Ich kenn dich, Alter.

Steckt dein Kopf doch voller Mährchen,

Die verwirren dir die Sinne.

S a m i .

Hütet Euch, daß Ihr nicht selber

In ein Mährchen Euch verstricket.

Folget meinem guten Rathe,

Und verlaßt Herrn Mordi's Garten;

Haltet wenigstens Euch ruhig.

(zu den Knechten:)

Und ihr Andern, bleibt im Wege,

Daß die Thiere nichts zertreten!

Hütet euch vor Mordi's Rache.

S c h i r a .

Hat ein Wahnsinn dich ergriffen,

Alter? bist du närrisch worden?

S a m i .

Herr, befolget, was ich sage,

Denn ich kenne wohl den Garten;

Wohnt ich einst doch in der Nähe. –

Seht Ihr dort die Hütten rauchen?

Dort stand meines Vaters Hütte,

Dort erzählte mir die Mutter

Manches wunderliche Mährchen,

Und dann wies sie oft herunter,

Sprechend: »Seht, d o r t ist's geschehen!

Dort steht noch Herrn Mordi's Garten.

Darum bleibt hier auf den Bergen,

Hütet euch vor Mordi's Rache!«

S c h i r a .

Dort im Schlosse wohnt Herr Mordi?

S a m i .

Schweigt, o Herr, ich bitt' Euch herzlich!

Alles sollt Ihr ja erfahren,

Wenn wir aus dem Garten ziehen.

Nur verschont mich jetzt mit Fragen.

S c h i r a , unwillig.

Läppisch Kind mit grauem Kopfe!

Solltest dich der Einfalt schämen.

So behalte dein Geheimniß,

Deine dummen Ammenmährchen!

Will sie jetzt auch gar nicht wissen.

Aber geh mir aus den Augen,

Und im Zuge sey der Letzte.

Führ' ein Andrer meinen Rappen,

Daß ich ihn heut nicht mehr sehe.

G u r a n

nimmt ihm das Roß ab, und Sami geht traurig auf

die Seite.

L u g a r kommt.

Sollen wir ein Zelt Euch spannen,

Das Euch vor der Sonne schirmet?

S c h i r a .

Laßt's. Wir rasten hier nicht lange,

Stehn ja hier auch viele Bäume,

Ferne dort auch kühle Lauben,

Drin ich kühlen Schatten fände.

Doch mich lockt der schöne Garten,

Näher mir ihn zu betrachten.

(Er geht herum, und betrachtet die Blumen.)

Sieh doch! blühn ja hier versammelt

Alle Blumen, die ich kenne.

Nur die Königinn der Blumen,

Nur die Rose seh' ich nirgend.

Und vor allen möcht' ich grade

Eine Rose mir jetzt pflücken,

Denn es mahnen mich die Blumen

An ein unerfüllt Versprechen.

– Als ich auszog aus der Heimath,

Fragt' ich meine Töchter alle:

Was soll ich euch aus der Ferne

Bringen, wenn ich wiederkehre?

Und es forderten die ältern

Sich ein Kleinod zum Geschenk.

Doch als ich die dritte fragte,

Meine zarte Roselinde:

Sprich, was soll ich für ein Kleinod

Dir mein herzig Mädchen bringen?

Sprach sie: Bring von deinen Fahrten

Mir, o Vater, nichts zum Schmucke,

Nichts, als nur ein frisches Röslein.

Das versprach ich, nicht bedenkend,

Daß ich mit dem Herbst erst wieder

Mich zu meiner Heimath wende. –

Unter vielen reichen Waaren,

Die ich zum Verkauf' ertauschet,

Bring' ich auch, was ich versprochen,

Meinen beiden ältern Töchtern. –

Roselindens frisches Röslein

War mir aus dem Sinn gekommen.

Hier kann ich es ihr nun suchen.

Und in feucht genetztem Moose

Hält es sich wohl frisch und blühend,

Bis ich es nach Hause bringe,

Was bis morgen kann geschehen.

L u g a r .

Täuscht mich nicht mein Auge? sehet,

Blüht dort nicht ein frisches Röslein,

Schön, wie Roselindens Wangen?

S c h i r a .

Nein, es täuscht dich nicht dein Auge;

Ja, das ist ein frisches Röslein!

Und wie schön! es faltet eben

Aus dem grünen Kelch die Blätter,

Die erröthend sich in Fülle

An das Licht der Sonne drängen.

(Er geht hin, die Rose zu brechen.)

Komm, du Röslein, laß dich brechen!

Sollst mein frommes Kind – –

S a m i

(stürzt ihm in den Weg und läßt sich auf die Kniee.)

O, haltet!

Zürnet, Herr, so viel Ihr wollet,

Stoßt mich ganz aus Euern Diensten,

Stoßt mich alten Mann ins Elend –

Aber schonet Euch nur selber,

Brecht von Mordi's Blumen keine.

S c h i r a .

Bist du ganz von Sinnen, Alter?

S a m i .

Laßt, o laßt die Rose stehen.

S c h i r a .

Sami, stelle nicht zu lange

Meine Nachsicht auf die Probe,

Daß ich deine früh're Treue

Nicht um deiner Thorheit willen

Gar vergesse. – Und was ist es

Denn am Ende werth der Rede?

Mag Herr Mordi seine Rose

Höher achten, als wir glauben, –

Wäg ich sie ihm auch mit Golde,

Wird er sich zufrieden geben;

Und der Kauf soll mich nicht reuen,

Müßt ich zehnfach Goldesschwere

Für das frische Röslein wägen,

Um es meiner Roselinde

Von der Fahrt mit heim zu bringen,

Wie beim Abschied ich versprochen.

Darum geh, laß mich gewähren!

(Er stößt ihn zurück, und bricht die Rose.)

S a m i .

Herr, Ihr werdet mein gedenken.

S c h i r a .

Wohl, so ist es meine Sache.

(Er betrachtet die Rose.)

Ei, wie herrlich ist das Röslein.

(zu den Dienern:)

Geht, und sammelt in ein Kästlein

Weiches Moos, und netzt's mit Wasser,

Daß wirs unverwelkt erhalten.

Suchet in der Karawane

Das Kameel mit rother Decke.

Jenes trägt an goldnen Dosen

Einen reichen Schatz. Die größte

Soll das frische Röslein bergen.

E i n i g e D i e n e r abgehend.

Herr, wir werden's gleich besorgen.

S c h i r a zu Sami.

Nun, hier hab ich ja die Rose,

Und was ist uns denn geschehen?

Siehst du, alter Mährchenvater,

Wie du kindisch bist und albern!

S a m i .

Herr, o Herr, lacht nicht zu frühe,

Sind wir erst aus Mordi's Garten,

Dann erst kann ich auch mich freuen.

E i n D i e n e r laufend.

Wehe, Herr, es kommt!

S c h i r a .

Was kommt denn?

D i e n e r .

Schwarz und feurig.

A n d e r e D i e n e r , laufend.

Zähne so lang!

S c h i r a .

Was denn!

D i e n e r .

Ohren so groß!

S c h i r a .

Was denn?

(Man hört stark und dumpf brüllen.)

D i e n e r .

Hört Ihr?

A n d e r e D i e n e r kommen gelaufen.

Rettet, rettet!

S a m i .

Gelt, ich sagt es?

Hättet Ihr nur glauben wollen!

S c h i r a .

Feige Knaben! warum rennet

Ihr so thöricht?

K n e c h t e .

Hättet Ihr es

Nur gesehen. –

S c h i r a .

Groß und schwarz ists?

Zähne so lang, Ohren so groß –?

(Er lacht:)

Was Unwissenheit nicht thun kann!

(Er lacht noch stärker:)

K n e c h t e .

Ja, die Nase, Herr! die Nase!

S c h i r a noch stärker lachend.

Nun, die Nase, ja die Nase!

Dann ists eben so gewisser

Nur ein Elephant gewesen,

Und vermuthlich gar ein zahmer,

Den Herr Mordi sich gezogen.

D i e n e r .

Aber, Herr, die Feueraugen –

S c h i r a .

Die du in der Angst gesehen?

Waren klein, wie Ochsenaugen.

Hundertmal hab ich's gelesen,

Und in Bildern oft gesehen.

Schämt euch, schämt euch, o ihr Thoren!

(Man hört ganz nahe fürchterlich brüllen: Blut!

Blut! Blut!)

S c h i r a fährt erschrocken zusammen.

G u r a n bringt das Roß.

Gelt, Ihr schreckt doch auch zusammen?

Setzet Euch auf Euern Rappen,

Und entflieht so schnell Ihr könnt.

S a m i .

Ist zu spät, da kommt er eben.

Mag Euch jetzt der Himmel schützen

G u r a n , L u g a r , D i e n e r , K n e c h t e laufen

ab.

S a m i bleibt in nicht großer Entfernung stehen.

M o r d i kommt.

(Er ist ein Ungeheuer mit großem schwarzem Kopf

mit zwei faustgroßen feuerfarbenen Augen; zwei

große schwarzzottige Schlappohren hängen ihm bis

auf die Schultern; auf der Stirne sitzen ihm zwei

dicke aber kurze, stumpfe Hörner; zu dem Rachen

stehn ihm, auf- und abwärtsgebogene große, sehr

spitze Zähne hervor, und darzwischen hängt ihm

eine große blutrothe Zunge weit herab. Die Nase ist

aufwärts gebogen und beweglich. Sein Leib gleicht

einer ungeheuern Raupe, ist mit schwarzen

Schuppen auf dem Rücken, mit gelblich rothen am

Bauche bedeckt, und endigt sich in einem langen

Schlangenschwanz, auf dem er aufrecht steht. Die

Arme sind riesenhafte Adlersfüße mit scharfen

Krallen.

Es geht auf Schira zu, der zitternd stehen bleibt,

umschlingt ihn mit seinem Schwanze, und packt ihn

mit der Kralle an der Schulter; dann spricht er sehr

dumpf und langsam:)

Schira, Schira, mußt es büßen!

Reicher Kaufmann mußt bezahlen!

Hast mein Röslein abgebrochen,

Mußt das Röslein theuer zahlen.

S c h i r a ängstlich.

Fordert nur, wir werden hoff' ich

Handels einig. – Aber lasset

Eure Krallen – Seid nicht böse –

Eure Nägel, wollt' ich sagen –

Bitte, laßt sie mir vom Leibe.

M o r d i schäumend.

Meiner Rache bist verfallen,

Darum fühle meine Krallen.

Drücke dir sie bis ins Blut,

Blut nur büßt den Frevel gut.

S c h i r a .

Ach, mein Herr, seid nur vernünftig,

Fordert nur, ich will ja gerne,

Was Ihr fordert, Euch bezahlen.

Fordert Geld, so viel Ihr wollet.

M o r d i .

Geld? ich hab' genug des Quarkes.

S c h i r a .

Nun, wie kann ich denn bezahlen?

M o r d i .

Du bezahlst mit deinem Leben.

S c h i r a .

Mit dem Leben?

M o r d i .

Mit dem Leben!

S c h i r a halb für sich klagend.

Meine fromme Roselinde,

Du begehrtest das Geringste,

Und dieß kostet mich am meisten.

Das hast du wohl nicht gefürchtet,

Daß dein Vater mit dem Leben

Dir dein Röslein kaufen würde?

M o r d i .

Hattest du für Roselinde

Dieses Röslein abgebrochen?

S c h i r a .

Ja, ich brach's für Roselinde.

M o r d i .

Wohl, so magst du weiter ziehen,

Magst ihr auch das Röslein bringen,

Daß sie sich mit selbem schmücke.

Du bist frei von jeder Strafe.

Aber sie, die es begehret,

Sie, für die du es gebrochen,

Mußt du mir zu eigen geben.

S c h i r a .

Roselinde Euch zu eigen?

M o r d i .

Ja, so sagt ich: mir zu eigen.

S c h i r a .

Laßt Ihr Euch denn nicht erbitten?

Seht, da hab' ich hundert Thiere,

Jegliches ist reich beladen,

Jegliches mit andern Waaren,

Die in diesem Lande fremd sind,

Jegliche von großem Werthe –

Wählt Euch nur, was Euch gefällig.

M o r d i .

Roselinde will ich haben.

S c h i r a .

Ach, was wollt Ihr mit dem Kinde?

Wenn Ihr es auch fressen wolltet –

O, verzeiht! ich wollte sagen:

Wenn Ihr es auch essen wolltet –

Denkt, sie hat erst zehn, elf Jahre!

's ist kein guter Bissen an ihr;

Junges Fleisch ist gar nicht kräftig.

M o r d i .

Roselinde will ich haben!

Mach' mich nur nicht ungeduldig.

S c h i r a .

Bitt' Euch, denkt an Euern Magen!

Fraget nur einmal den Doktor,

Solches Fleisch k a n n nicht gesund sein.

Wollt Ihr Euch um's Leben bringen?

M o r d i .

Willst du noch in Zorn mich bringen?

(Er faßt ihn, und schüttelt ihn von Neuem mit den

Krallen seines Arms:)

Nun, so fühle meine Krallen!

Soll ich Roselinde haben?

S c h i r a .

Au, au, au! so zwingt Ihr freilich

Endlich mich, nur j a zu sagen.

M o r d i ihn loslassend.

Wirst du endlich doch vernünftig?

S c h i r a .

Ach, ich bin es ja schon lange,

Aber Ihr – verzeiht! ich meine,

Ihr thut klüger – Seht die Thiere!

Seht nur hier wie reich beladen!

Nehmt so eins; laßt mir das Mädchen.

M o r d i .

Was?

S c h i r a .

Nun zwei? – Auch vier nicht? – Sechse?

Zwölfe? – Zwanzig? – Aber vierzig?

M o r d i geht auf ihn zu.

S c h i r a , vor ihm laufend.

Auch vierzig nicht? – dann sechzig? achtzig?

M o r d i umschlingt ihn wieder.

S c h i r a .

So nehmt sie meinetwegen alle.

M o r d i schüttelt ihn.

Will ich denn Kameele haben?

S c h i r a .

Roselinde wollt Ihr haben.

M o r d i .

Schwörst du mir bei deinem Leben,

Roselinden mir zu senden,

Wenn ich meine Diener schicke?

S c h i r a .

Schwör es Euch bei meinem Leben,

Roselinden Euch zu senden,

Wenn Ihr Eure Diener schicket!

M o r d i .

Wohl, nun magst du weiter ziehen.

Meine Diener werden kommen,

Wenn der dritte Morgen scheinet.

(Er geht ab nach dem Schlosse.)

S c h i r a ihm nachsehend.

Ja, nun mag ich weiter ziehen,

Jetzt, nachdem ich hier verloren,

Was das Liebste mir gewesen.

D i e n e r und K n e c h t e kommen furchtsam.

S c h i r a .

Wollt ihr denn hier ewig bleiben

In der Macht des Ungeheuers?

Jeder schnell zu seinen Thieren!

Treibt sie eilig durch den Garten,

Daß wir nicht zum zweitenmale

In die Krallen ihm gerathen.

D i e K n e c h t e

jagen ihre Kameele auf, und ordnen sie zum Zuge.

L u g a r

bringt eine große goldene Dose und etwas feuchtes

Moos.

Hier ist, Herr, die goldne Dose;

Größer konnt ich sie nicht finden.

Doch das Röslein wird hinein gehn.

S c h i r a legt die Rose hinein.

O, du fromme Roselinde,

Dir soll ich das Röslein geben,

Das ich um dich selbst erkaufet.

Das ich mit dir selbst bezahle?

– Ja, du hast es selbst begehret.

O, ich hätt' es merken sollen,

Als du nur ein Röslein wünschtest,

Daß in dem geringen Wunsche

Noch geheim ein Zauber stecke.

G u r a n bringt das Roß.

S c h i r a

nimmt den Zügel, und giebt Guran die Dose.

Nimm die Dose, trag sie sorgsam,

Daß du mir sie nicht verlierest.

Sie enthält ein theures Kleinod,

Wohl das theuerste von allen,

Die ich in der Karawane

Diesesmal nach Hause bringe.

(Er steigt auf das Roß.)

Armes Mädchen! armes Mädchen!

Warum mußtest du vor allen

Auf die Rose denn verfallen?

(Er reitet traurig und langsam ab. Die Diener und

Knechte folgen ihm mit den hundert Kameelen in

geordnetem Zuge.)

Zweite Scene.

(In Schira's Hause. Wohnzimmer.)

H i r l a n d e , A s t r a l l e und R o s e l i n d e .

A s t r a l l e .

Meine Spitzen sind jetzt fertig.

Jetzt hab' ich den schönsten Anzug,

Den ich mir nur wünschen könnte:

Denket euch mein Kleid von Scharlach,

Meine goldgestickten Schuhe,

Meine Diamantenringe,

Und jetzt gar mein Spitzenschleier! –

Ach, wie stolz will ich dahergehn!

Meine Perlen in den Haaren!

Aber Eines fehlt noch, – Eines:

Gold'ne Ohrgehäng' mit Steinen,

Die im Lichte strahlend flimmern.

Doch die bringt mir ja der Vater,

Wenn er kommt von seiner Reise.

Aber dann ist auch mein Anzug

So vollkommen, als nur möglich.

H i r l a n d e .

Und mir fehlt es nur an Ringen.

Weißt du? Ohrgehänge hab' ich,

Aber keine Demantringe.

Darum sagt ich auch dem Vater,

Als er fragte, was ich wollte:

Schöne Fingerringe möcht' ich

Wohl an meinen Händen tragen.

Die versprach er mir zu bringen. –

Ach, er bleibt nur gar zu lange

Diesesmal auf seinen Reisen.

R o s e l i n d e .

Fast kann ich ihn nicht erwarten.

Als die Veilchen kaum noch blühten,

Zog er mit der Karawane

Nach dem reichen Morgenlande.

Jetzt sind schon die Asterblumen

Bald verblüht, und immer, immer

Will er noch nicht wiederkehren.

H i r l a n d e .

Ei, mich freut's, wenn lang er bleibet.

Solches ist ein sicher Zeichen,

Daß er viele reiche Waaren

Sich ertauscht in fernen Landen.

Und so wird er immer reicher,

Gar so reich, als unser König,

Und wenn man von uns dann redet,

Sagt man nur: d i e r e i c h e n D a m e n –

Täglich dürfen wir in Seide

Und in Gold gestickt dann gehen,

Dürfen bei des Königs Festen

Sitzen unter seinen Rittern,

Wie die Gräfinnen und Fräulein,

Spielen dann mit seinen Töchtern,

Tanzen auch mit seinen Söhnen.

A s t r a l l e .

Ja, da hast du Recht. Wir sehen

Ja schon jetzt, wie alle Leute,

Die an uns vorüber gehen,

Tief sich neigend uns verehren.

R o s e l i n d e .

Ja, sie grüßen uns sehr höflich.

Aber sag mir, liebe Schwester,

Wenn wir nun in schlechten Kleidern

Gingen, wie im Hof die Mägde,

Würden sie dann auch uns grüßen?

A s t r a l l e .

Ei, wie dumm!

H i r l a n d e .

Einfältig Mädchen!

A s t r a l l e .

Wer wird eine Magd denn grüßen,

Die in schlechten Kleidern gehet,

Wie man reiche Kaufmannstöchter

Grüßet, die in Seide gehen?

R o s e l i n d e .

Ei, da grüßen ja die Leute

U n s nicht, sondern unsre K l e i d e r .

H i r l a n d e .

Wie du wieder kindisch redest

Für ein Mädchen von elf Jahren.

(zu Astrallen:)

Komm, Astralle! komm, wir wollen

Uns an's Kaufgewölbe setzen,

Wo die Leute aus- und eingehn.

Habe von des Königs Hofe

Eingehn sehn zwei hohe Diener,

Die sind immer gar zu höflich

Ach, wie werden die sich neigen,

Wenn sie uns da sitzen sehen.

(Sie gehen ab.)

R o s e l i n d e allein.

Ich weiß nicht, was meine Schwestern

Nur in aller Welt dran haben,

Wenn sie fremde Leute grüßen,

Da man doch ihr Kleid nur grüßet.

Und warum denn möchten gar sie

Mit des Königs Töchtern spielen?

Pfui! mit diesen spielt ich gar nicht!

Hab' ihnen noch vor wenig Tagen

In dem Garten ihres Schlosses

Beim Spazierengehn begegnet.

Als die Eine springen wollte,

Einen Schmetterling zu haschen,

Sagte gleich die alte Dame

Mit der spitzen, rothen Nase,

Die sie überall begleitet,

Auf Französisch ein Par Worte:

»Fi ma chère vous êtes prinçesse!«

Und des Vaters Schreiber sagte,

Dieses heiße: »Pfui doch, Liebe!

Schickt sich das für die Prinzessinn?«

Nein, wenn ich nicht laufen dürfte,

Nicht nach Schmetterlingen haschen,

Nicht mit meinem Lämmchen springen,

Nicht im Garten Fangens spielen,

Oder meine Blumen gießen –

Sitzend möcht' ich gar nicht spielen.

– Ei, da kommt das liebe Mädchen

Aus den kleinen Häuschen drüben,

Wo der Besenbinder wohnet.

B e s e n s t i e l c h e n

guckt furchtsam zur Thüre herein; in der Hand hat

sie eine Handvoll Samenkronen vom Löwenzahn.

Darf ich' rein?

R o s e l i n d e .

Ja, Besenstielchen;

Meine Schwestern sitzen unten.

Freilich, wenn die bei mir wären

Würden sie dich von mir schicken;

Denn sie sagen, ich sey reicher,

Hätte viele schöne Kleider,

Und da woll' es sich nicht schicken,

Daß ich mit dir freundlich spiele,

Denn du hättest schlechte Kleider;

Aber ich hab' doch dich gerne. –

Ei, was hast du da für Dinge?

B e s e n s t i e l c h e n .

Blumenlichter. Guck!

(Sie bläst die Samenkrone von einem Stiel ab.)

Ei, Alles!

Das bedeut' mir langes Leben.

R o s e l i n d e .

Ach, du liebes Besenstielchen,

Sey so gut, schenk mir doch eines.

B e s e n s t i e l c h e n .

Da, da!

(Sie gibt ihr alle.)

Nimm nur alle. Morgen

Geh' ich wieder mit dem Vater

In den Wald nach Besenreisern,

Bring dir da den ganzen Arm voll.

R o s e l i n d e bläst eine Samenkrone ab.

Sieh, das hab' ich ausgeblasen,

Alles ist davon geflogen.

(Sie bläst die andern auch ab.)

B e s e n s t i e l c h e n .

Guck, ei, guck! du wirst recht alt noch.

R o s e l i n d e .

Ei, wo kannst du das denn sehen?

B e s e n s t i e l c h e n .

Ist kein Härchen dran geblieben,

Das bedeutet langes Leben.

Mein' Großmutter weiß so Vieles,

Die hat mir das auch gelehret.

Aber die muß sehr bald sterben,

Sie hat so 'nen schwachen Athem,

Kann dir keines halb ausblasen,

Bleiben alle beinah hängen.

– Ach, was hast du da für schöne

Rothe Schuh an, Roselinde?

R o s e l i n d e zeigt sie.

Gelt, du hast nur immer schwarze?

Schwarze Schuh sind aber besser,

Da darf man doch auf der Straße

Gehn und springen nach Gefallen,

Auf den Wiesen und im Walde.

Aber da mit meinen Schuhen

Darf ich morgens nicht im Garten

Anders, als im Wege gehen,

Weil sie sonst vom Thau verderben.

Ich möcht' lieber schwarze Schuhe!

B e s e n s t i e l c h e n .

Nein, ich nicht, ich lieber rothe.

R o s e l i n d e zieht die rothen Schuhe aus.

Da!

(Sie gibt sie hin und springt in den Strümpfen

herum).

So ist es noch viel besser,

Ohne Schuh, in bloßen Strümpfen.

B e s e n s t i e l c h e n

betrachtet die rothen Schuhe mit Vergnügen.

R o s e l i n d e .

Nun, so zieh sie an, sie sind dir

Groß genug.

B e s e n s t i e l c h e n .

Ach, nein! ich darf nicht!

Deine Schwestern werden schelten.

R o s e l i n d e .

Nein! ach, nein!

(Sie bückt sich, hilft Besenstielchen die rothen

Schuhe anziehen, und sich zieht sie die schwarzen

Schuhe an.)

Wie angemessen,

Passen sie dir ja am Fuße.

Sieh, jetzt hast du rothe Schuhe.

B e s e n s t i e l c h e n .

Dürft' ich sie nur auch behalten!

R o s e l i n d e .

Ei, du sollst sie ja behalten.

B e s e n s t i e l c h e n .

Deine Schwestern –

R o s e l i n d e .

Ach, das thut nichts.

Aber wart', zu rothen Schuhen

Steht nicht gut dein braunes Kleidchen.

(Sie fängt an, ihr Oberkleid auszuziehen.)

Komm, ich geb dir auch mein Kleidchen,

Und du mußt mir deines geben.

B e s e n s t i e l c h e n fängt an sich auszuziehen.

Ach, das schöne weiße Kleidchen!

– Aber –

R o s e l i n d e .

Was denn?

B e s e n s t i e l c h e n .

Deine Schwestern!

R o s e l i n d e .

Ach, die werden mir nicht zanken,

Hab' ja noch gar viele Kleider.

So! – Gib mir nun auch die Mütze;

Da hast du mein Bändernetzchen.

(Sie zieht es ab, und setzt es ihr auf.)

Ei, wie steht dir das so niedlich.

(Sie ziehn sich gegenseitig vollends an.)

R o s e l i n d e .

Sieh, jetzt bist du Roselinde,

Und ich bin das Besenstielchen.

– Wart, wir wollen 'mal so spielen,

Ich wär du, und käm jetzt zu dir.

(Sie geht zur Thüre hinaus, klopft an, und kommt

wieder herein.)

Guten Morgen, Roselinde?

B e s e n s t i e l c h e n .

Guten Morgen, Besenstielchen.

(Sie lachen beide).

R o s e l i n d e .


Lina´s Mährchenbuch - Eine Weihnachtsgabe

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