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3 Lermontov

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Die Gastwirtschaft Zur goldenen Gans , wo er am Gründonnerstag einkehren wollte, war nicht mehr weit; er schritt behutsam weiter durch den Nebel, der die schmalen Gassen der Kleinseite wie ein vom gelblichen Licht der Gaslaternen verfärbter Schleier umhüllte. Die Wirtschaft war gerammelt voll. Der einzige freie Platz, den er noch finden konnte, war ein bescheidener Stuhl an einem großen, ungedeckten Tisch zusammen mit einer

großen Gruppe von Besuchern aus Russland.

Jan wurde neugierig. Trotz der allgegenwärtigen Symbole der Freundschaft und Brüderlichkeit des Landes mit der Sowjetunion hatte er nie die Gelegenheit gehabt, mit echten Russen zu sprechen. In seiner Stadt gab es einfach keine, außerdem war das Image Russlands - nicht nur unter Jans gleichaltrigen Freunden - katastrophal.

Viele Russenwitze machten die Runde. Seine Freunde mochten Amerika und schwärmte von Kennedy als Staatsmannsidol, über den Russen Chruschtschow wurde nur gelacht. Es war die Zeit der Kubakrise und kurz

darauf wurde Kennedy erschossen.

Nun befand er sich unverhofft unter gut zwanzig Sowjetmenschen; ihm gegenüber saß ein älteres Ehepaar, Mann und Frau, beide Russen. Das asiatisch anmutende Gesicht des Mannes hatte viele Falten, weißhaarig war er. Seine Frau war wohl viel jünger, aber mit Kopfttuch. Sieh mal da, Babuschka, dachte Jan, das russische Grossmütterchen.

Jans Großvater, der im ersten Weltkrieg unter österreichischen Fahnen gegen das Russland des Zaren Nikolai als Kanonenschütze kämpfte - wobei er fast das Gehör verlor - , brachte aus der russischen Gefangenschaft ein kleines, abgegriffenes Lehrbüchlein des Russischen nach Hause zurück. Fasziniert von den andersartigen Buchstaben des russischen Alphabets, lernte Jan als sechsjähriger Bub im Selbststudium Russisch, kopierte die Buchstaben in ein anderes Heft und lernte sie auswendig. Damit schrieb er dann sein erstes geheimes Tagebuch, zwar nicht auf Russisch, nein, er schrieb in seiner Muttersprache, aber mit russischen Buchstaben.

Der Kellner kam und das Russenpaar bestellte zweimal russischen Borschtsch, diese durch Zugabe von roter Beete blutrot gefärbte deftige Kohlsuppe, die damals in Prag recht beliebt war.

Selbst in dieser Traditionswirtschaft, wo hauptsächlich typisch böhmische Gerichte wie Schweinebraten mit Kohl und Knödeln serviert wurden, konnte man russischen Borschtsch bekommen..

Jan bestellte nur eine Kleinigkeit: sein Monatswechsel war knapp war und ab der Mitte des Monats herrschte die Ebbe in seiner Kasse.

" Für mich russische Eier mit Mayonnaise, Herr Ober", sagte er mit etwas Ironie zum Kellner, als er nach seinem Wunsch gefragt wurde.

Der Kellner konnte sich das Lachen kaum verbeissen. "Mit Brot? " Brot gab es üblicherweise gratis zu allen Speisen, so konnte man richtig satt werden.

"Ja, mit viel Brot." Das gefiel dem Ober nicht mehr. "Hör mal", sagte er, " wenn du viel Brot essen willst, geh’ doch zu den Barmherzigen Brüdern ins Kloster"

Der offensichtliche Altersunterschied - der Kellner war ein schlechtgelaunter Glatzkopf um die Fünfzig - rechtfertigte das Duzen. Und Klöster gab es auch noch einige in Prag, sie wurden geduldet.

"Nichts für Ungut", sagte Jan. Ich nehme danach noch einen Wodka." Wodka war der billigste Schnaps.

"Wenn es dich sattmacht", meinte der Kellner lakonisch und ging.

Der bejahrte Russe, der Jan gegenüber saß und ihn mitunter neugierig beäugte, sprach ihn plötzlich auf Russisch an und fragte ihn, ob er aus Prag sei.

"Ich bin nicht aus Prag", sagte Jan, "aber jetzt wohne ich hier".

"Prag ist eine schöne Stadt", meinte der Russe. "Viele schöne Häuser gibt es hier."

"Ja, und wo seid ihr her?"

"Wir sind aus Chabarovsk."

"Chabarovsk ?"

Damit konnte Jan nichts anfangen. Keine Ahnung, wo dieser Ort etwa sein konnte, Russland ist ein großes Land.

"In Südsibirien. Sibirjaci sind wir."

"Dort ist es wohl sehr kalt", meinte Jan.

"Nur im Winter", belehrte ihn freundlich der Russe. "Im Sommer ist es warm, ja sogar heiss, über 30 Grad."

"Das ist in Prag eine Ausnahme", sagte Jan. " Hier ist es im Sommer nie zu heiß und im Winter nie zu kalt. Im Sommer regnet es viel und im Winter schneit es auch schon mal, aber der Schnee bleibt nicht auf den Straßenliegen, schmilzt schnell und wird zu Matsch."

Das Gespräch über das Wetter war nur der Anfang, weiterer Meinungstausch, wenn auch ohne Tiefgang, folgte. Der Mann hieß Ivan und seine Frau Natascha.

Als Soldat im zweiten Weltkrieg - jetzt war er schon pensioniert - kämpfte er an der russischen Front in der Mandschurei gegen die Japaner, die er hasste..

" Das ist ein Volk", sagte er, "wie eine Schlange." Dem konnte Jan sich nicht anschließen, da er sich mit dem Gedanken herumtrug, schon bald das Studium der Bohemistik an den Nagel zu hängen und sich statt dessen im viel aufregenderem Fach, so dachte er, der Japanologie einzuschreiben.

.“Warum hast du einen Bart?“ fragte Ivan ihn irgendwann.

Jan war um eine Antwort verlegen; ihm schwebten Bilder von vollbärtigen rusischen Leibeigenen vor.

.“Trägt man bei euch keine Bärte mehr?“

“Nein. Das ist rückständig. Wir sind jetzt wie die Amerikaner, ohne Bart. Und ins Weltall

fliegen wir auch!“ Ivans Stolz war nicht zu bremsen, doch das Gespräch stockte plötzlich, es fehlte an Themen.

"Und wie fühlt ihr euch bei uns? " fragte Jan, bevor sie gingen.

"Wie zu Hause!“

Nachdem die Russen weg waren, blieb er noch eine Weile bei seinem Wodka sitzen. Enttäuscht sinnierte er über die slawische Melancholie, von der sein Russischlehrer

manchmal sprach. Die sibirjaci hatten keine Spur davon.

Der besagte Lehrer war übrigens ein hervorragender Russist und Kenner der russischen Literatur, die er liebte. Dostojewski, Gogol, Lermontov...ja vor allem war es Lermontovs Poesie, die er versuchte, seinen nicht an Poesie sondern am Fußball interessierten Schülern nahezubringen.

Anstatt russische Gramatik zu erklären, setzte er sich in der Klasse hin und las Lermontovs Gedichte vor:

.... ..weiß schimmert das einsame Segel in des Meeres blauem Dunst....

Und so weiter. Hinterher hatte man über Lermontovs kurzes Leben gesprochen. Zarensoldat im russischen Kaukasuskrieg war er, Gedichte geschrieben, sich wegen einer Frau duelliert und im Duell gestorben.

Ein echter Russe!

Der Russischlehrer war übrigens parteilos und aus diesen und jenen Gründen wollte die Schulleitung ihn loswerden, was irgendwann auch geschah. Gerüchte über seine Neigung zum Glücksspiel gingen um, es hieß, er wäre ein Zocker.

Er verlor seine Stelle, seine Wohnung, seine Frau, zog in eine kleine Dachkammer und es war unklar, wovon er eigentlich lebte. Mit dreiunddreißig Jahren starb er an Krebs.

Später forschte Jan auf eigene Faust über Lermontov nach und fand heraus, dass seine Vorfahren nach Russland ausgewanderte, schottische Adelige waren und Lermont hießen.

Das Lächeln von Kleopatra

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