Читать книгу Als Luther vom Kirschbaum fiel und in der Gegenwart landete - Albrecht Gralle - Страница 7

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„Ein seltsam Ding, dass mich mein Käthe hier hat liegen lassen wie ein Haufen Abfall. Das sieht ihr so gar nit ähnlich, dass sie ihren Brummbär hat vergessen.“

Mühsam kam er wieder auf die Beine, sah die Umrisse eines Hauses, ein paar Bäume und erleuchtete Fenster. Es kam ihm vor, als ob drinnen Hunderte von Öllampen stünden. So hell war es. Und weiter hinten rauschte es, als ob ein Fluss vorbeiströmte. Nur passte es nicht recht zusammen, denn von dem Strom ging Licht aus. „Ob gar die Stern vom Himmel gfalln sein?“, überlegte der Doktor, „und die Welt an ihr End kommen ist?“

Seine Kutte steckte immer noch im Gürtel. Er zog die Enden heraus, ging langsam auf die hellen Fenster zu und wunderte sich, dass das Gebäude gar nicht wie das ehemalige Augustinerkloster aussah. Viel kleiner. Und es standen noch mehr Häuser daneben. Das sah er jetzt erst, denn in den anderen brannte kein Licht.

Er hörte eine Glocke und lauschte: elf Schläge. Also war es elf Uhr in der Nacht. So lange hatte er unter dem Kirschbaum gelegen?

Inzwischen hatte er das Haus erreicht und näherte sich dem Fenster.

Es sah aus wie eine Tür aus Glas, und es war so klar, dass er jede Einzelheit dahinter sehen konnte. Er wusste bisher nicht, dass man Glas in so großen Flächen herstellen konnte. Seine eigenen Fenster bestanden aus tellergroßen, aneinandergereihten Scheiben.

Drinnen entdeckte er ein langes Polster, Bilder an den Wänden und viele Bücher in Regalen. Das musste ein reicher Mann sein, dem das Haus gehörte. Ein Bild bestand nur aus Farbklecksen, und auf den dicken Kissen lag ein Mann in weiten Beinlingen und einem dicken, roten Hemd. Er blickte auf eine bunte Scheibe, auf der sich etwas bewegte. Neben ihm, auf dem kleinen Tisch, stand ein Glas mit einer gelben Flüssigkeit, die wie Bier aussah, nur viel klarer.

Luther schaute genauer auf die bunte Scheibe und sah kleine Männer in abgeschnittenen Hosen über eine Wiese laufen. Ab und zu flog ein Ball durch die Luft.

„Ein magisch Ding, ein Zauberspiegel“, flüsterte Luther. „Wo bin ich nur hinkommen?“ Ein dumpfes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus.

Der Mann auf dem Polster war zweifellos ein Mensch, aber seltsam gekleidet. Die Einrichtung: grell.

Leise zog sich Luther von der Terrasse zurück und ging um das Haus herum. Er sagte sich, dass er erst genauer sehen wollte, wo er eigentlich war, um mit diesen bunten Menschen zu reden.

Unter einem Dach ohne Wände stand ein glänzendes Etwas auf vier Rädern, wie eine zusammengepresste Kutsche. Denn im Inneren, so viel konnte Luther gerade noch erkennen, waren Sitze angebracht. Aber es gab keine Riemen oder Stricke, mit denen man die kleine Kutsche an Pferde anbinden konnte.

Und ein Stall war auch nicht in der Nähe. Es roch auch nicht nach Pferden. In dieser niedrigen Kutsche war das Glas so klar, dass man es fast übersah.

Das Rauschen jenseits des Hauses war jetzt stärker geworden, und als Luther sich von dem Gebäude entfernte und dem Geräusch nachging, kam er zu einer Brücke, die sich über eine breite Straße schwang.

Er traute seinen Augen nicht, denn dort, auf der Straße, die in der Mitte gestrichelt war, huschten diese kleinen Kutschen vorbei in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Vorne kam ein gelbes Licht heraus und hinten ein rotes.

Aber das Erstaunliche bestand darin, dass die Kutschen ohne Pferde fuhren. Ohnehin hätte kein Pferd je solche Schnelligkeit erreicht.

Luther atmete schwer, und ihm fiel ein, was er einmal bei Kopernikus gelesen hatte. Der hatte behauptet, die Welt sei eine Kugel und würde sich um die Sonne drehen. Sie sei aber so groß und hätte so eine große Anziehungskraft, dass die Menschen dachten, sie befänden sich auf einer Scheibe. Und es sollte viele solcher Kugeln geben, die frei durch den Raum schwebten.

Wenn er, Luther, nun auf so einer anderen Kugel gelandet war? Wenn die Kraft dieses Blitzes ihn durch den Himmel geschleudert hatte? Oder waren diese bunten Menschen womöglich Engel? Befand er sich im Himmel?

Nein, das konnte nicht sein. Sagte nicht die Heilige Schrift, dass es dort niemals Nacht würde?

Wie komme ich nur wieder zu meiner Käthe zurück? Ihm tat es nachträglich leid, dass er so unwillig gewesen war mit dem Kirschenpflücken.

Jetzt war er einmal um das Haus herumgekommen. Es hatte zumindest ein schräges Dach, so wie die Häuser in Wittenberg.

„Luther“, sagte er zu sich, „du musst jetzt hell denken, sonst wird dir noch dein Arsch g’stohlen, und dann sieht’s bös aus.“

Er fühlte mit einem Mal wieder diese große Müdigkeit und erinnerte sich an die Sitze in der Kutsche ohne Pferde. Wenn er sich dort ein wenig ausruhen könnte, bis es Morgen wurde …

Er ging wieder zu dem Schuppen ohne Wände und probierte an der Kutsche, ob er eine Tür aufbekam, aber die Türgriffe konnte man nicht nach unten drücken. Endlich bewegte sich der eine Griff zu ihm hin, und die Tür ging tatsächlich auf. Es roch nach etwas, das er noch nie gerochen hatte, aber das war ihm jetzt gleichgültig. Er streckte sich auf der Rückbank aus, machte leise die Tür zu und schlief ein.

Die Morgensonne, die schräg in die gepresste Kutsche schien, weckte ihn auf. Ein paar Augenblicke brauchte er, bis er sich wieder zurechtfand und sich daran erinnerte, dass er bei dem Gewitter in eine Art Zauberland versetzt worden war und sich hier zum Schlafen gelegt hatte.

Gedämpft durch die Scheiben hörte er das frühe Gezwitscher der Vögel.

Nun, immerhin etwas, das er kannte.

Er richtete sich gähnend auf und schaute sich um. Durch die Glasscheiben sah er die Hauswand und, weiter vorne, einen Teil des Gartens.

Es dauerte eine Weile, bis er herausgefunden hatte, wie die Tür aufging.

Dann stand er draußen und ging auf die Wiese.

Das Grundstück war von Gebüschen und einem weißen Zaun umgeben, und es gab daneben noch ein Haus. Alles war sehr sauber und ordentlich gebaut.

„Was soll ich tun?“, überlegte Luther. „Am besten, ich klopf an und frag die Leut.“

Er klopfte. Nichts rührte sich.

Gab es vielleicht einen Klingelzug, an dem man ziehen konnte? Nein, den gab es nicht, aber er fand einen Knopf. Darüber stand: Familie Brückner. Als er daraufdrückte, hallte eine Klingel durch das Haus. Beeindruckend. Er klingelte noch einmal, und diesmal etwas länger.

Da hörte er Schritte. Jemand in einer weißen Kutte kam die Treppe herunter. Das konnte er alles durch dieses wunderbare Glas sehen.

Es war eine Frau. Sie hatte die Haare nachlässig nach oben gesteckt, und man konnte ihre nackten Waden sehen. Außerdem war sie sehr groß. Vor der Tür blieb sie stehen und starrte Luther stirnrunzelnd an, was ihr gar nicht stand.

Sie machte die Tür einen kleinen Spalt auf. Luther hörte eine Kette klirren.

„Was wollen Sie denn so früh?“, krächzte sie. „Es ist halb sechs! Und wer sind Sie überhaupt?“

Es kam Luther seltsam vor, dass er wie eine Frau angeredet wurde. Eine seltsame Grammatik. Und müsste es nicht heißen: Was will sie überhaupt? Aber immerhin sprach die Frau eine Art Deutsch. Luther neigte den Kopf und sagte: „Gott zum Gruß. Ich bitt um Verzeihung. Hab wohl früh geklopfet, aber kannst du mir sagen, wo ich mich befind? Martinus Luther werd ich genannt, Doktor der Theologie aus Wittenberg, wohn im schwarzen Kloster.“

Die Frau schloss die Augen, und Luther hörte, wie sie etwas murmelte, das sich wie „als Eimer“ und „Residenz“ anhörte, dann sagte sie laut und langsam: „Aha! Sie sind also der Luther und haben die Bibel übersetzt, was? Die Kutte steht Ihnen immerhin.“

Luther blickte die Frau erstaunt an. Woher wusste sie das mit der Bibelübersetzung? Und er sagte erstaunt: „Ganz recht. Bin grad dabei, die Genesis nochmal durchzupflügen und …“

„Ja, das hab ich mir schon gedacht, dass Sie so was machen, bei dem Namen.“ Sie gähnte. „Dann gehen Sie mal ein paar Häuser weiter, da ist ein großes Haus. Da gibt es extra ein Zimmer für Sie. Vielleicht treffen Sie auf … wie heißen diese Burschen? Calvin und Zwingli.“

Luther musste sie wohl völlig entgeistert angestarrt haben, denn sie entschloss sich jetzt, die Tür ganz aufzumachen. Offensichtlich dachte sie, der Mann sei harmlos.

Sie schlüpfte in ein paar Schuhe, zog die weiße Kutte fester um die Schultern, kam vor die Tür und sagte: „Kommen Sie mal mit. Ich bringe Sie hin.“

Luther war erstaunt, dass Zwingli und Calvin hier gleich in der Nachbarschaft wohnen sollten. Eigenartig. Aber egal. Das war ihm gerade recht. Mit dem Zwingli hatte er noch ein Hühnchen zu rupfen, was das Abendmahl betraf. Diese würdelose Vorstellung, als ob es sich nur um ein bloßes Symbol handelte!

Die Frau wusste wohl über dieses Zauberland Bescheid. Wenn sie sogar Zwingli und Calvin kannte …? Vielleicht hatte der Kurfürst Friedrich ein Treffen anberaumt? Aber was hatte diese Frau damit zu tun? War sie vielleicht eine Gräfin, die sich der Reformation angenommen hatte?

Und nun legte sie auch noch ihren Arm um Luthers Schultern, als sei er ein Kind, das sich verlaufen hatte. Das ging nun doch zu weit. Gerade wollte sich Luther dagegen wehren, da sagte sie: „So, da wären wir.“ Sie deutete auf ein großes, schönes Gebäude, vor dem mindestens zehn dieser kleinen Kutschen parkten.

Der Eingangsbereich war ganz aus Glas, sicher die Residenz eines Fürsten. Luther war beeindruckt.

Die Frau drückte auf einen Knopf, eine Dienstmagd erschien in einem hellblauen Kleid, das sogar die Knie freiließ. Luther trat erschrocken einen Schritt zurück, als die Tür von selbst aufging. Hier wurde anscheinend alles durch Frauen und magische Kräfte geregelt.

„Guten Morgen“, sagte Luthers Begleiterin. „Ich habe Ihnen den Luther vorbeigebracht und ihm versprochen, dass er Zwingli und Calvin treffen kann.“ Sie zwinkerte mit einem Auge.

Die andere Frau nickte und lachte sogar.

„Das wird wohl ein Neuzugang sein. Den hab ich noch gar nicht auf dem Schirm. Na, komm mal mit, Lutherchen. Hast dich wohl verlaufen? Vielen Dank!“

Die andere Frau nickte und beeilte sich, wieder in ihren Palast zu kommen.

Wie durch Geisterhand zischte die Tür zurück, und Luther betrat nun den Palast eines unbekannten Fürsten. Vielleicht Graf von Allzeimer?

„Dann setz dich mal so lange hin“, sagte die Magd. „Hast du Durst? Willst du etwas trinken? Trinken kann nie schaden, weißt du.“

Sie zeigte ihm einen Sessel mit Lehne, in dem er Platz nahm, dann holte sie eine kostbare Flasche, ganz aus Glas, und füllte sie mit einer Flüssigkeit. Luther probierte vorsichtig. Es schmeckte wie Wasser, aber es perlte wie Apfelwein. Jetzt erst merkte er, wie durstig er war, und bat gleich um ein zweites Glas. Staunend sah er, wie die Magd nach einem Stein griff und hineinsprach. Wieder so ein magisches Ding, als ob man mit einem Rohr sprechen könnte!

Luther stellte das Glas ab und merkte, wie seine Augen schwer wurden und zufielen. Der Sessel war so herrlich weich.

Er musste wohl kurz eingenickt sein, denn neben ihm saß plötzlich ein älterer Mann und streichelte seine Hand.

„Guten Morgen“, nickte er. Die Magd kam herüber und sagte laut und langsam zu Luther: „Das ist Pfarrer Andreas Sonnhüter. Er wird sich ein wenig um dich kümmern. Im Augenblick weiß ich nicht, wo wir dich hinstecken können …“

„Frau Degenhard“, sagte der Pfarrer. „Haben Sie ein Zimmer, wo ich mich mit dem Herrn in Ruhe unterhalten kann? Bevor ich die Polizei verständige, möchte ich gerne versuchen, mehr aus ihm herauszubringen.“

Frau Degenhard schien erleichtert zu sein und führte Luther und Pfarrer Sonnhüter in ein leeres Zimmer.

Es war spartanisch eingerichtet: Ein hohes Bett, ein Schrank, ein Tisch und zwei Stühle. Ein zusammengeklappter Rollstuhl stand in der Ecke. An der Wand: ein heller Fleck, wo einmal ein Bild gehangen hatte.

Als die beiden saßen, fragte Andreas Sonnhüter: „Man sagte mir, dass Sie … sich Martin Luther nennen?“

„Ich bin nit sie, sondern er oder du“, stellte Luther klar.

„Gut, also du. Ich bin der Andreas.“ Er gab Luther die Hand, die dieser zögernd ergriff.

„Dein Name ist also Martin Luther.“

„Ja. Doktor Martinus Luther.“

„Hm“, machte der Pfarrer und strich sich über das Kinn. Er dachte nach. Plötzlich hob er den Kopf und sagte: „Quid custodiens placebo Deo?“1

Luther schaute ihn verwundert an, aber antwortete sofort: „Non confidas in tua iustitia, sed in iustitia Dei.“2

Sonnhüter war beeindruckt, überlegte kurz und fuhr auf Hebräisch fort: „Bereschit bará Älohim …“3

Und Luther ergänzte: „Ha schamajim we ha ärätz.“4

„Mein lieber Luther“, sagte Andreas Sonnhüter. „Entweder hast du dich auf deine Rolle sehr gut vorbereitet, oder du bist wirklich Luther. Und nun erzähle mal, wie du hierhergekommen bist.“

Luther holte tief Luft und erzählte alles, so gut er es vermochte. Der Pfarrer stellte Fragen, wenn er nicht alles verstand oder das alte Deutsch ihm unverständlich erschien, und hörte aufmerksam zu.

Als Luther schwieg, schaute er ihn lange an und sagte: „Das ist das Merkwürdigste, was ich jemals in meinem Leben erfahren habe, aber was du sagst, hört sich … irgendwie stimmig an. Soll ich dir nun sagen, wo du bist?“

Luther nickte und hatte Tränen in den Augen.

„Also, aus irgendeinem Grund“, sagte Sonnhüter und betonte jedes Wort, „aus einem Grund, den ich nicht kenne, bist du nicht im Himmel oder in einem fremden Land, sondern bist in die Zukunft versetzt worden.

Du befindest dich nicht mehr in deinem Jahrhundert, sondern über fünfhundert Jahre später im Jahr des Herrn 2017.“

Luther starrte den anderen an und war zunächst sprachlos. Er erhob sich, ging erregt auf und ab, murmelte etwas und setzte sich wieder. Sein Gesicht hatte eine blasse Färbung angenommen.

„Über fünf … hundert Jahr später?“, stammelte Luther. „Die … die Welt ist nicht an ihr End kommen?“

„Nein, sie ist immer noch da.“

„Aber über fünfhundert Jahr!“

Sonnhüter schwieg und ließ Luther Zeit, diesen ungeheuren Gedanken zu fassen.

„Dann … dann werd ich … Das ist ein Abgrund, wo ich nit vermag nüberspringen. Ich kann nit zurück in mein Wittenberg!“

Er vergrub sein Gesicht in den Händen. Sonnhüter war erschüttert, aber als er sich vorstellte, wie es ihm wohl gehen würde, wenn er plötzlich im Jahr 2517 auftauchen würde, konnte er Luther etwas nachempfinden.

„Nun, nach Wittenberg könnten wir schon reisen“, sagte er leise und legte Luther die Hand auf die Schulter, „aber es wird ein anderes Wittenberg sein.“

Der theologische Gast blickte auf, zog die Nase hoch und spuckte das Ergebnis auf den Boden.

Sonnhüter sagte nichts dazu.

„Pass auf, Martin“, fing er an, „Folgendes werden wir machen: Wir gehen nicht zur Polizei … ahm … zum Rat der Stadt. Die können mit so etwas nicht umgehen. Wir gehen erst mal zu mir nach Hause. Du nimmst ein Bad, ziehst dich um, bekommst von mir ein paar andere Kleider, und ich werde sagen, dass du ein Ausländer bist … ahm …, dass du von sehr weit her kommst. Und dann werden wir eine Reise unternehmen und vieles entdecken. Du wirst sehen, was aus der Welt und aus deinem neuen Glauben geworden ist. Wir müssen nur der Dame an der Pforte plausibel erklären, wer du bist und dass du … Ja, wo wohnst du dann eigentlich?“ Sonnhüter blickte sich in dem fast leeren Zimmer um und sagte dann: „Du wohnst am besten bei mir! Er klopfte Luther auf die Schulter: „Luther, ich weiß, es ist schwer, aber was du erlebst, das erlebt sonst keiner. Vielleicht hat das Leben noch etwas mit dir vor. Und wenn das Schicksal dich in die Zukunft versetzt hat, dann kannst du auch wieder zurückgebracht werden. Solange du hier bist, stehst du unter meinem Schutz!“

„Nehmen sie den Leib“, murmelte Luther, „Weib, Gut, Ehr, Kind und Weib, lass fahren dahin. Sie haben’s kein Gewinn …“

„… das Reich muss uns doch bleiben“, fuhr der Pfarrer fort.

Luther blickte überrascht auf. „Du kennst den Gesang?“

„Oh ja, er ist auf der ganzen Welt bekannt!“

„Auf der ganzen Welt?“ Luther schüttelte verwundert den Kopf.

Andreas Sonnhüter erhob sich, Luther machte dasselbe. Bevor sie das Zimmer verließen, nahm Sonnhüter ein Stück Toilettenpapier, wischte den Lutherrotz vom Boden auf und warf das feuchte Papier in den Papierkorb.

„Hier bei uns spucken die Leute nicht auf den Boden“, meinte er. Dann gingen sie gemeinsam zur Pforte des Seniorenheims. Sonnhüter erzählte, dass er herausgefunden habe, wie der Mann heißt und dass er ihn zuerst mit sich nach Hause nehmen würde.

„Sollten wir nicht die Polizei …?“

Sonnhüter winkte ab. „Das ist ein harmloser Fall. Wenn es Schwierigkeiten gibt, rufe ich natürlich dort an, aber ich denke, wir klären das unbürokratisch ab.“

Luther zog Sonnhüter an seinem Ärmel und sagte laut und deutlich: „Man hat mir g’sagt, dass der Zwingli und der Calvin hier sein und auf mich warten. Ist ein ziemlich groß Sach, dass ich die beiden hier treffen mag.“

Die Frau an der Pforte grinste: „Ja, das hat vorhin die Nachbarin, Frau Brückner, gesagt, die ihn gebracht hat. Ein Scherz.“

„Komm, Martin, das war ein Versehen, ein Scherz …“

„Ein Scherz? Das wär schad. Ich hätt gern dem Calvin sein Abendmahl um die Ohren g’schlagen. Hatt er doch g’redet, dass es nur bloße Zeichen sein und der Leib Christi so weit entfernt sei vom Brot als der höchste Himmel von der Erden …“

„Luther, der Calvin ist nicht hier. Die Frau hat es nicht so gemeint.“

„Ja, ja, ich versteh gut“, nickte Luther. „Alls Lug und Trug.“

Und damit verließen die beiden Herren die Seniorenresidenz. Luther fuhr nun in einer dieser flachen Kutschen ohne Pferde und klammerte sich am Sitz fest, als das Auto mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit von sechzig Stundenkilometern über die Landstraße „raste“. Nach einem heißen Bad und neuen seltsamen Kleidern, die auf der Haut kratzten, ließ sich der Zeitreisende Bohnen, Brot und ein Steak schmecken, was unter anderem dazu führte, dass er nach dem Essen laut rülpste.

Als Luther vom Kirschbaum fiel und in der Gegenwart landete

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